Der Beitrag „Sehr geehrter AfD-Wähler!“ von Stephan Hebel hat nicht nur hier im FR-Blog Diskussionen ausgelöst, sondern auch in der Klasse 9b der Gelehrtenschule des Johanneums in Hamburg. Dort, in Hamburg, bekommen junge Menschen Unterricht in PGW (Politik, Gesellschaft, Wirtschaft). Der Lehrer Helge F. Sturm fand den Text von Stephan Hebel so gelungen, dass er ihn seinen Schülerinnen und Schülern gegeben hat, soll heißen: Er hat den Text zur Diskussion gestellt.
Wenn man eine Diskussion anstößt, soll man sie auch führen. Die Schülerinnen und Schüler der 9b schickten mir ihre Reaktionen auf den offenen Brief, und diese Leserbriefe veröffentliche ich nun und lade einerseits die Klasse 9b des Johanneums ein, weiter darüber zu diskutieren, und andererseits natürlich alle Blog-User, die vielleicht darüber staunen, dass 13-jährige Teenager in Zeiten von Smartphones handschriftliche Leserbriefe schreiben. Üblich ist das ganz sicher nicht, aber es hat mich sehr gefreut, und darum wollen wir die Diskussion auch fortsetzen. Das Thema ist keineswegs überholt, auch wenn die Landtagswahlen des Jahres hinter uns liegen. Derzeit ist die AfD in den Umfragen bundesweit die drittstärkste Partei, und man fragt sich: Warum eigentlich?
Ein kurzes Wort noch zu den folgenden Leserbriefen: Ich habe aus den eingesandten Schriftstücken eine Auswahl getroffen und auch treffen müssen, einfach deswegen schon, weil ich entscheiden musste, welche ich abtippe. Normalerweise ist das nicht weiter schlimm, aber in diesem Fall bedaure ich dennoch, dass ich nicht alle abtippen konnte, denn ich möchte nicht, dass Schülerinnen oder Schüler zu kurz kommen. Ich lege daher Wert auf die Feststellung, dass meine Auswahl niemanden benachteiligen will. Jede/-r hat im Folgenden die Gelegenheit, seine Meinung via Kommentarfunktion nachzutragen und der Debatte damit hinzuzufügen.
Für die Frankfurter Rundschau danke ich Helge F. Sturm und den Schülerinnen und Schülern der 9b des Johanneums! Und so heißt es nun:
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Sehr geehrter Herr Hebel!
Leserbriefe
„Ich stimme Ihnen zu, dass Sie an die AfD-Wähler appellieren wollen, ihre Augen zu öffnen und nicht blind der AfD zu folgen. Ich habe mich sehr erschrocken, als ich die Zahlen nach den Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern geseehn habe. Ich finde auch, dass man die Flüchtlinge aufnehmen sollte, denn das haben unsere Nachbarländer auch getan, als viele Deutsche vor Hitler geflohen sind. Es ist eine Sache des Anstandes und der Menschlichkeit, sie aufzunehmen. Viele AfD-Politiker wissen vielleicht gar nicht, wie schlimm die Lage z.B. in Syrien ist und denken nur an sich und gar nicht daran, dass viele Menschen in Syrien Lebensgefahren ausgesetzt sind.“
Moritz Plate
„Zunächst möchte ich Ihnen sagen, dass ich grundsätzlich mit Ihrer Meinung einverstanden bin. Ich kann verstehen, dass Sie mit den Wahlzielen und Ankündigungen der Partei „Alternative für Deutschland“ nicht einverstanden sind, da diese ziemlich rechtsextremistisch sind. Zum Beispiel möchte die AfD Abtreibungen verhindern, doch ist es nicht selbstverständlich, dass jeder selbst darüber entscheiden kann, ob er sein Ungeborenes abtreiben lassen will oder nicht? Und wie sieht es in der Zukunft aus mit Menschen, die sich als Person des anderen Geschlechts fühlen? So etwas wird nicht mehr gern gesehen, und die AfD will nun Kinder dazu bringen, ihr biologisches Geschlecht anzunehmen. Als hätte man eine Wahl, wie man fühlt …
Die meisten Wähler der AfD sind sogenannte Protestwähler, aber meiner Meinung nach ist es kein Grund, die AfD zu wählen, weil man unzufrieden mit der Art und Weise ist, wie Angela Merkel regiert. Man muss nicht gleich die „Alternative für Deutschland“ wählen, es gibt genug Parteien, die nicht rechtsextremistisch sind.“
L.N.
Wir stimmen Ihrer Auffassung zu, dass die bisher regierenden Parteien der Mittel- und Unterschicht nur wenig geholfen haben. Die Angst vor einem sozialen Abstieg ist also vollkommen berechtigt. Ihr ironischer Tonfall jedoch, der schon in der Anrede anklingt, ruft keine Sympathie hervor. Im Gegenteil: Das Gefühl, an den Rand gedrängt zu werden, verstärkt sich – und hierbei nicht nur politisch, sondern gesellschaftlich.
Ihre Argumentation stützt sich auf ein einziges Hauptargument, welches Sie in verschiedene Richtungen auslegen: Die AfD hat den vom sozialen Abstieg bedrohten Menschen keine Lösungen zu bieten, sondern verweigert sich sogar den vorhandenen Möglichkeiten. Sie werden dabei sehr weitschweifig. Wir hätten uns stattdessen mehr Argumente gewünscht, die prägnanter zusammengefasst werden, damit sich die Zielgruppe wirklich angesprochen fühlt.
Letztlich haben wir alle ein gemeinsames Interesse: die Gesellschaft zusammenhalten. Wir wollen integrieren, nicht polarisieren – und das mit Klartext.
Cecilia Curio, Thea Delkeskamp,
Manizhe Jahani, Yuhan Ouyang, Till Wimmer
Ich finde es gut, dass Sie den Wählern der AfD einmal aufzeigen, was denn die einzelnen Programmpunkte der Partei sind. Ich glaube, dass die meisten Wähler der AfD sich damit gar nicht beschäftigt haben, sondern nur eine Angst verspüren, dass die vielen Ausländer, die nach Deutschland gekommen sind, ihnen was wegnehmen oder ihr Leben verändern könnten.
Wir haben ganz viele Asylbewerberheime in unserer Nähe, und am Anfang waren wir auch etwas unsicher, was das für Leute sind. Jetzt sehen wir die Flüchtlinge überall und sehen, dass es Menschen sind wie wir auch, kleine Kinder, Schulkinder, Jugendliche, Mütter, Väter und ältere Menschen. Ich glaube nicht, dass die Menschen jetzt noch Angst haben, aber viele Menschen glauben nicht daran, dass die alten Parteien es nun schaffen, dass alle diese Menschen Arbeit bekommen und die Kinder einen Schulplatz und die Leute eine normale Wohnung. Deshalb wählen sie vielleicht die AfD, damit die anderen Parteien merken, dass man nicht nur reden kann, sondern auch was machen muss. Wenn also mehr gemacht wird, müssen die Leute ja die AfD gar nicht mehr wählen.
Luca-Marie Nadjmi
Ich habe Ihren Brief an die AfD-Wähler gelesen und stimme Ihnen zu, dass man mit seiner Wählerstimme bewusst und sorgfältig umgehen muss und sich mit den tatsächlichen Inhalten (Partei- und Wahlprogramm) auseinandersetzen muss. Außerdem bin ich ganz Ihrer Meinung, dass man nicht einfach den Flüchtlingen die Schuld geben kann. Allerdings bin ich nicht Ihrer Meinung, dass bundespolitische Probleme (Steuerpolitik) als Argument für die vielen AfD-Wähler der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern herhalten.
Die Parteien müssen sich nun auch inhaltlich mit den AfD-Programmen auseinandersetzen. Sie müssen die Ursachen der „Protestwähler“ verstehen und Lösungen für die Probleme finden, um somit eine wirkliche Alternative für AfD-Wähler zu sein. Schließlich führt die AfD dazu, dass die Deutschen sich wieder mehr mit der Politik beschäftigen, und das ist gut so.
Caroline Müller
Ich möchte bei meiner inhaltlichen Stellungnahme mit Ihrer Aussage beginnen, dass die AfD nicht nur von tatsächlichen „Dummrassisten“, sondern auch von sogenannten „Protestwählern“ gewählt wird, in die Sie sich sehr gut hineinzuversetzen und die vermutlichen Gründe für deren Wahlentscheidung zu widerlegen wissen.
Meiner Meinung nach stimmt es, dass der wohl wichtigste Grund für den Erfolg der AfD die kaum mehr vorhandenen Unterschiede zwischen den größeren etablierten Parteien sind. (Wobei die CSU sich inzwischen von den anderen Parteien absetzen will, indem sie den AfD-Parolen nacheifert, was ich nicht begrüßen kann.) Tatsächlich ist die AfD anders, aber zu Recht fragen Sie, warum ausgerechnet die „Alternative“ eine Lösung parat haben sollte. Denn wie Sie sagen, kostet alles Geld, und dieses Geld muss irgendwo herkommen. Die fünf Milliarden im letzten Jahr für Flüchtlingshilfe mobilisierten Euro hätten auch für andere Zwecke eingesetzt werden können, ohne dass Steuererhöhungen nötig gewesen wären. Aber auch ich gehe davon aus, dass die AfD das Geld nicht für die Bürger und deren Anliegen eingesetzt hätte. Denn sie will die Steuern insbesondere für Vermögende senken und benötigen vor allem deshalb das Geld, das sonst für die Flüchtlingshilfe vorhanden wäre.
Ihre Argumentation zur Geldbeschaffung durch Erhöhung der Steuer für Leute, die viel haben, finde ich jedoch im Rahmen Ihres Briefes nicht gut, denn sie gibt offensichtlich Ihre eigene Meinung wieder. Aus meiner Sicht sollte ein solcher Brief aber AfD-Wähler zum Umdenken und Neubilden einer eigenen Meinung bewegen, nicht zum Übernehmen Ihrer Meinung.
Das Thema Europa streifen Sie zu meinem Bedauern nur kurz. Ich hätte diesem Aspekt höhere Bedeutung zugeschrieben, da die „anti-europäische“ Sicht auch ein wichtiger Bestandteil der AfD-Politik ist.
Katia Brüggemann
Für mich als Schülerin war die Auflistung in diesem Brief sehr hilfreich, um die Beweggründe eines „Protestwählers“ nachvollziehen zu können. Leider muss ich aber ansprechen, dass ich glaube, dass Sie mit Ihrem Brief nicht die von Ihnen gewünschte Zielgruppe erreichen. Außerdem glaube ich, dass die von Ihnen mühsam aufgezählten Argumente zu spät für den „Protestwähler“ kommen, da diese in einer Phase sind, in der man sie nicht mehr mit sachlichen Argumenten erreichen kann. Ich würde Ihnen vorschlagen, Ihre Aufmerksamkeit den regierenden Politikern zu widmen. Diese sollten durch ihre Arbeit für eine stabile Gesellschaft sorgen, in der auch Minderheiten ohne Angst begegnet wird.
Malin Gosewisch
In erster Linie finde ich es gut, dass sich mal jemand die Mühe gemacht und eine relativ deutliche Ansage formuliert hat: Danke dafür! Dennoch haben sie versucht, den Menschen viel mehr beizubringen, was sie „falsch“ gemacht haben, statt es ihnen einfach nur vorzuwerfen. Das fand ich sehr lobenswert. Da Sie sogar oft versucht haben, aus der Sicht der AfD-Wähler zu denken, konnte jeder Leser einen guten Eindruck von der Meinung der AfD-Wähler bekommen.
Dennoch, auch wenn es gewiss ist, dass man Solches nicht in einem Brief wie diesem schreibt, sollte man nie vergessen, dass einige Flüchtlinge auch zu etwas anderem fähig sind wie zum Beispiel zu den Vorfällen am Kölner Dom an Silvester. Es ist logisch, dass nicht alle Flüchtlinge kriminell sind, und dennoch empfehle ich sehr, immer ein Auge auf deren Aktivitäten zu haben.
Ich hoffe, Ihnen hat mein kleines Feedback gefallen und dass ich Ihnen damit weiterhelfen konnte.
Gion Brasseler
Auch ich denke, dass die AfD keine sinnvolle Alternative für unser Land darstellt. Meiner Meinung nach ist das Unbehagen der Menschen an der etablierten Politik nicht erst entstanden, als Angela Merkel vorübergehend die Grenze geöffnet hat. Sondern diese Unzufriedenheit ist durch diese Handlung nurn verstärkt worden. Also war schon vorher ein leichter Zweifel an der politischen Führung Deutschlands vorhanden.
Das ist kein direkter Vorwurf an die AfD, jedoch machen sie die Flüchtlinge für alle in Deutschland auftretenden Probleme – wie zum Beispiel die Angst vor Terror oder die zu hohen Steuersätze – verantwortlich. Doch sind wir mal ehrlich: Terrorismus kann nicht nur den Flüchtlingen zugeschrieben werden. Auch von einem deutschen Staatsbürger kann Terrorgefahr ausgehen. Doch glauben die von Ihnen bereits genannten Wähler – wie Arbeitslose, schlecht verdienden Selbstständige und ehemalige Nichtwähler – wirklich, dass ihnen die AfD bei einer Jobsuche oder bei einer Minderung der Steuersätze helfen kann?
Ich habe mir die Frage gestellt, was hätte ich an Angela Merkels Stelle getan, und ich muss offen und ehrlich sagen, dass ich keine Ahnung hätte. Wir urteilen so chnell, weil wir etwas nicht gut finden, und sagen, wir würden anders entscheiden, aber würden wir das wirklich?
Merle Kröger
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Ich stehe der AfD ebenso kritisch gegenüber wie Sie, auch verstehe ich die Tatsache, mit der Sie die AfD-Wähler versuchen zu überzeugen, dass diese Partei nicht die ist, die sie wählen sollten, aus Protest, ohne die Folgen zu beachten, wenn die AfD an die Macht kommen sollte. Die Wähler sind unzufrieden mit der Politik Deutschlands und geben den Flüchtlingen die Schuld. Die Frage ist nur, ob es diese Probleme nicht auch vor der Flüchtlingskrise gab.
Meiner Meinung nach sollen die Protestwähler ihre Meinung, möglicherweise Ihrem Beispiel folgend in einem Brief, an den Bundestag senden. Nein, nicht nur die Proteswähler, sondern alle, die mit der momentanen Politik unzufrieden sind, sollten dies tun, denn nur, wenn man versucht, etwas zu verändern, kann man etwas verändern.
Emilia Kaltz
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Viele AfD-Wähler scheinen sich nicht mit dem Wahlprogramm der AfD auseinandergesetzt zu haben. Sie wählen die AfD nur, um die Flüchtlinge loszuwerden. Die AfD spielt geschickt mit der Angst bzw. den Vorbehalten der einfachen Bürger gegenüber Ausländern.
Die Flüchtlinge kommen nicht, um den Sozialstaat auszubeuten, sondern weil in ihrem Land Krieg herrscht und sie verfolgt werden. Diese Tatsache wird von der AfD unter den Teppich gekehrt. Denn würden wir Deutsche nicht eine ähnliche Hilfestellung erwarten, wenn uns das gleiche Schicksal ereilen würde? Dass es in einer reichen Stadt wie Hamburg eine hohe Anzahl an Obdachlosen und Menschen gibt, die am Existenzminimum leben, ist nicht Schuld der Flüchtlingspolitik.
Liebe 9b des Johanneums in Hamburg.
Eure kritischen und sehr differenzierten Auseinandersetzungen mit dem Artikel von Stephan Hebel haben mich sehr erfreut. Vielleicht sollte sich Stephan Hebel zu einigen Fragen selber äußern, da er an machen Stellen von Euch direkt angesprochen wird.
Anmerken möchte ich nur, dass in einem journalistischen Kommentar die Meinung des Autors wieder gegeben wird, dahinter steckt seine persönliche Haltung. Das ist guter Journalismus und ihr, als kritische Leser, habt verstanden, dass man Texte kritisch (d.h. nachdenklich hinterfragend) begreifen muss. Gut habt Ihr das gemacht.
Euch alles Gute, Ihr habt ja noch Einiges vor Euch, bleibt weiterhin wach und kritisch und vor allem so menschenfreundlich, wie es aus Euren Briefen klingt.
Die Wirklichkeit ist komplizierter, als LNs Satz „Zum Beispiel möchte die AfD Abtreibungen verhindern, doch ist es nicht selbstverständlich, dass jeder selbst darüber entscheiden kann, ob er sein Ungeborenes abtreiben lassen will oder nicht?“ glauben lässt.
Was soll unsereiner mit einer so schwammigen Formulierung wie „sein Ungeborenes“ eigentlich anfangen? Das ungeborene Zellhäufchen (wie Polypen, Blinddarm, Zysten, Fisteln oder Ähnliches) oder doch das ungeborene Kind? Und was soll sich der geneigte Leser unter „die AfD [möchte] Abtreibungen verhindern“ vorstellen? So, wie der Antifa-Mob die Betätigung des politischen Gegners verhindert (durch „Abfackeln“ von Autos; „Entglasungen“, also Scheiben einschmeissen, und „Verschönerungen“, d.h. Schmierereien mit Teer am Wohnhaus; Einschüchterungen von Gastwirten, Hoteliers und Hallenvermietern durch Androhung von Gewalt; „Outing“, also Denunziation, bei Arbeitgebern und Nachbarn)?
Gerade beim Thema „Abtreibung“ stehen nicht nur medizinische, sondern vor allem auch ethische Vorstellungen, gesellschaftliche Ansprüche, das Selbstbestimmungsrecht der Frau und das Lebensrecht des Embryos bzw. Fötus im Widerstreit. Daraus folgen sehr unterschiedliche ethische Beurteilungen und juristische Regelungen.
Es gibt ja schon unterschiedliche Vorstellungen darüber, wann menschliches Leben entsteht. Bereits mit der Befruchtung der Eizelle? Mit dem Einnisten der befruchteten Eizelle in der Gebärmutterwand (Nidation)? Mit dem Einsetzen der Hirnströme (in Analogie zur Definition des Hirntods)? Irgendwann ab der 6. Woche? Mit der Überlebensfähigkeit des Fötus ausserhalb des Mutterleibs (Frühchen im „Brutkasten“)? Erst mit der Geburt bzw. dem ersten eigenen Atemzug?
Daher zunächst einmal zu den Fakten, für die als Quelle für den ersten Einstieg Wikipedia genügen muss: Stichwort „Schwangerschaft“, „Schwangerschaftswoche 5–8: Anlage der größeren Organe“ und „Schwangerschaftswoche 9–12: Weitere Ausdifferenzierung“.
Es ist also nicht nur aus rein religiösen Gründen (was daran wäre eigentlich verwerflich?) völlig nachvollziehbar und ebenso auch völlig legitim, dass Menschen hierzulande dieses „Ungeborene“ als Menschen begreifen und ihm damit auch die (unantastbare!) Würde zugestehen wollen, die laut GG dem Menschen vorbehaltlos zusteht. Und es sind ja nicht nur einzelne, zum Hassobjekt erklärte „Lebensschützer“, die das so sehen. Ausgehend von den – so oft beschworenen – Werten des Grundgesetzes gilt auch im deutschen Strafrecht: in der BRD ist Abtreibung grundsätzlich gesetzwidrig und strafbar, bleibt allerdings unter bestimmten Voraussetzungen straffrei (§ 218 a Abs. 1 und § 219, StGB).
Es ist also nicht nur nach eigenem Gutdünken, sondern vor allem nach unserer Rechtsordnung eben nicht „selbstverständlich, dass jeder selbst darüber entscheiden kann, ob er sein Ungeborenes abtreiben lassen will oder nicht“. Übrigens kann nur die Schwangere selbst die Abtreibung verlangen, der Kindsvater zählt hier gerade nicht zu „jeder“ – er darf im Zweifelsfall aber gerne Unterhalt bezahlen.
Das StGB enthält drei mögliche Ausnahmen, nach denen eine Abtreibung straffrei ist bzw. bleiben kann.
1. Kriminologische Gründe, also z.B. nach einer Vergewaltigung
2. Medizinische Indikation, d.h. es besteht eine Gefahr für das Leben oder die körperliche oder seelische Gesundheit der Schwangeren, welche nur durch einen Schwangerschaftsabbruch abgewendet werden kann.
3. Im Anschluss an eine ausführliche Beratung durch eine anerkannte Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle (ca. 97% der Fälle). Hierbei werden eine Vielzahl von Gründen für die gewünschte Abtreibung vorgetragen (oder vorgeschoben).
Einer der miesesten ist vielleicht, dass „das Ungeborene“ möglicherweise (hochgradig) behindert wäre. Bzgl. einer ggf. diagnostizierten Behinderung oder auch nur der Angst der Schwangeren vor einer möglichen Behinderung erinnert das allerdings stark an den Nazi-Begriff des „lebensunwerten Lebens“, mit all den schrecklichen medizinischen Menschenversuchen und der massenhaften Tötung von Behinderten (schon im Mutterleib oder nach der Geburt). Dass diejenigen, die heute bei jeder – meist unpassenden – Gelegenheit „Nazi!“ schreien, zu den größten Abtreibungsbefürwortern zählen, halte ich für schizophren.
Was sagt nun die AfD in diesem Zusammenhang?
Als Leitsatz gilt „Die AfD wendet sich gegen alle Versuche, Abtreibungen zu bagatellisieren, staatlicherseits zu fördern oder sie gar zu einem Menschenrecht zu erklären.“ Das Parteiprogramm führt unter Punkt 6.7 Willkommenskultur für Neu- und Ungeborene folgendes aus:
„Die Alternative für Deutschland setzt sich für eine Willkommenskultur für Neu- und Ungeborene ein. In Deutschland kommen auf rund 700.000 Lebendgeburten pro Jahr ca. 100.000 Schwangerschaftsabbrüche. Dabei liegt nur bei drei bis vier Prozent eine medizinische oder kriminologische Indikation vor, in allen anderen Fällen wird der Schwangeren nach einer Beratung eine Bescheinigung ausgestellt, die ihr eine straffreie Abtreibung aus „sozialen Gründen“ ermöglicht. Ein Schwangerschaftsabbruch stellt eine einschneidende Erfahrung für die Betroffenen dar und kann zu langanhaltenden Schuldgefühlen, psychosomatischen Beschwerden
oder depressiven Reaktionen führen.
Die AfD steht für eine Kultur des Lebens und ist im Einklang mit der deutschen Rechtsprechung der Meinung, dass der Lebensschutz bereits beim Embryo beginnt. Wir fordern daher, dass bei der Schwangerenkonfliktberatung das vorrangige Ziel der Beratung der Schutz des ungeborenen Lebens ist. Werdenden Eltern und alleinstehenden Frauen in Not müssen finanzielle und andere Hilfen vor und nach der Entbindung angeboten werden, damit sie sich für ihr Kind entscheiden können. Adoptionsverfahren sind in diesem Zusammenhang zu vereinfachen.“
Das Thema „Abtreibung“ als Munition gegen die AfD verwenden zu wollen, greift also völlig daneben und gehört für mich in den Bereich „Substanzlose Stimmungsmache“.
Ich schließe mich den Ausführungen von I.Werner an. Mir fällt die erfreulich sachliche und sachbezogene Auseinandersetzung auf, auch wenn man dies in Bezug setzt zu der hier im Blog gelaufenen Diskussion („Der dissonante Grundton in unserer Gesellschaft„).
Ich möchte noch ein paar Worte zu dem oben verwendeten Begriff, die Afd sei „ziemlich rechtsextremistisch“, schreiben. Zunächst ein paar Wortspiele und Wortklaubereien. Ein von Linken häufig verwendetes Brecht-Zitat lautet:
„Reicher Mann und armer Mann
standen da und sahn sich an.
Und der Arme sagte bleich:
»Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich«.“
Arm und reich bilden hier ein Begriffspaar, wobei man den untergeschobenen Kausalzusammenhang durchaus bezweifeln darf. Umformuliert lautet Brechts Aussage ja: „Weil ich arm bin, bist du reich“ bzw. „Weil du reich bist, bin ich arm“. Aber weil Bill Gates milliardenschwer ist, bin ich noch lange nicht arm. Und wenn mein Nachbar 15 Millionen Euro im Lotto-Jackpot gewinnt, werde ich deswegen keinen Cent ärmer.
Interessant werden derlei Sprüche dann, wenn man sie – mit einer minimalen intellektuellen Anstrengung – abwandelt: „Wär ich nicht hübsch, wärst du nicht hässlich“, „Wär ich nicht groß, wärst du nicht klein“ oder auch „Wär ich nicht klug, wärst du nicht dumm“. Wie wär’s gar mit „Je klüger ich bin, desto dämlicher bist du“?
Es sind Begriffspaare, Einordnungen, Unterscheidungsmerkmale (sowas nennt man auch „Diskriminierungen“), Definitionen, (persönliche) Maßstäbe, zwei Seiten einer Medaille. Richtiger wäre es wohl, das Wörtchen „gelten“ einzuführen: „Je mehr ich als hübsch gelte, desto mehr giltst du als hässlich“. So gilt eben auch das intellektuelle Magermodel, das Stefan Hebel im Outfit eines „Offenen Briefes“ über den journalistischen Laufsteg geschickt hat, als anziehend – weil Mainstream.
In politischer Hinsicht ist das minimal komplizierter. „Wär ich nicht links, wärst du nicht rechts“ bedeutet nämlich zweierlei. Einerseits geht es darum, was als links oder rechts gilt – abhängig von Moden, Macht und Medien. Andererseits bedingen rechts und links einander – das eine ist ohne das andere nicht zu haben. Je linker du wirst, desto mehr „Feinde von rechts“ wirst du haben – systemimmanent, aber irgendwie paranoid.
Anders gesagt: rechts zu sein ist völlig normal, völlig legitim, völlig systemkonform. (Links natürlich auch). Deswegen geht auch ein sog. „Kampf gegen Rechts“ gaaar nicht, weil damit einem Teil des Volkes die politische Existenzberechtigung abgesprochen wird. Wohin so etwas seit langem führt zeigt ein aktuelles, abschreckendes Beispiel, zu finden unter http://www.cicero.de/salon/bremer-studenten-kontra-debattenkultur-redefreiheit-nur-fuer-gleichgesinnte-
Allerdings muss sich ein Volk (gemeint hier als „demos“, nicht als „ethnos“) natürlich darüber verständigen, bis wohin es das politisch zulässige Spektrum definieren will. Dabei helfen u.a. Gesetze und Gerichtsurteile. Wenn es um Organisationen geht, gibt es z.B. den Begriff der Verfassungsfeindlichkeit (Ziele und/oder Methoden), bei Einzelpersonen gibt es die entsprechenden Paragraphen des Strafgesetzbuches.
Als eine relativ unverdächtige Quelle – auch wenn es sich um eine Bundesanstalt im Geschäftsbereich des Innenministeriums handelt – möchte ich die Bundeszentrale für Politische Bildung anführen, die dazu schreibt:
„In der politischen Auseinandersetzung werden die Begriffe „rechtsextrem“ bzw. „rechtsradikal“ häufig synonym verwendet. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat die Abgrenzung zwischen (Rechts-)Radikalismus und (Rechts-)Extremismus klar definiert:
„Als extremistisch werden die Bestrebungen bezeichnet, die gegen den Kernbestand unserer Verfassung – die freiheitliche demokratische Grundordnung – gerichtet sind. Über den Begriff des Extremismus besteht oft Unklarheit. Zu Unrecht wird er häufig mit Radikalismus gleichgesetzt. So sind z.B. Kapitalismuskritiker, die grundsätzliche Zweifel an der Struktur unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung äußern und sie von Grund auf verändern wollen, noch keine Extremisten. Radikale politische Auffassungen haben in unserer pluralistischen Gesellschaftsordnung ihren legitimen Platz. Auch wer seine radikalen Zielvorstellungen realisieren will, muss nicht befürchten, dass er vom Verfassungsschutz beobachtet wird; jedenfalls nicht, solange er die Grundprinzipien unserer Verfassungsordnung anerkennt.“
Von den Behörden und der Sozialwissenschaft wird der Begriff Rechtsradikalismus seitdem in der Regel auf Personen und Organisationen gerichtet, die klar rechts der Mitte des politischen Spektrums stehen, dabei allerdings im Rahmen der Verfassung bleiben. Der freiheitlich-demokratischen Grundordnung steht Rechtsradikalismus in der Regel nicht feindlich gegenüber.
Neonazis sind ganz klar immer auch Rechtsextremisten − umgekehrt gilt aber, dass nicht jeder Rechtsextremist automatisch als Neonazi bezeichnet werden kann.“
Nochmal ganz laut zum Nachsprechen: „Radikale politische Auffassungen haben in unserer pluralistischen Gesellschaftsordnung ihren legitimen Platz.“
Bei der Bundeszentrale für Politische Bildung heisst es in Bezug auf die FDGO dazu übrigens:
„Grundlegende Prinzipien der freiheitlich demokratischen Grundordnung sind (in Anlehnung an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1952):
* Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung
* Volkssouveränität
* Gewaltenteilung
* Verantwortlichkeit der Regierung
* Gesetzmäßigkeit der Verwaltung
* Unabhängigkeit der Gerichte
* Mehrparteienprinzip
* Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition.“
Trifft es auf die AfD wirklich zu, dass sie gegen den Kernbestand unserer Verfassung arbeitet? Darf man sie daher als „rechtsextrem“ oder im Ton noch schärfer als „rechtsextremistisch“ bezeichnen? Oder eben doch nicht? Und ändert ein rhetorisch-augenzwinkerndes „ziemlich“ etwas an einer solchen Fehleinschätzung?
Lieber Michael B.,
es sollte Ihnen aufgefallen sein, dass es sich bei dem von Ihnen angeführten Brecht-Zitat um Literatur, genauer um ein Gedicht handelt und nicht um eine wirtschaftswissenschaftliche Abhandlung. Ein gängiges Stilmittel von Literatur und jeder anderen Kunstform ist die Reduktion, mit der eine größere Prägnanz erreicht wird. In diesem Fall kommt noch das rhetorische Mittel des „pars pro toto“ (ein Teil steht stellvertretend für das Gesamte) hinzu. Es geht Brecht also nicht um einen beliebigen einzelnen Armen bzw. Reichen, sondern um die Bevölkerungsschichten, denen sie angehören. Und da kommen wir der Bedeutung seiner Aussage schon erheblich näher, wenn wir uns nämlich den Zusammenhang zwischen Ausbeutung zum Zweck der einseitigen Anhäufung materieller Güter auf der einen und deren Folgen, nämlich der Verarmung breiter Bevölkerungsschichten auf der anderen Seite ansehen. Man kann diese Interpretation sogar ausweiten auf ganze Staaten und Kontinente und feststellen, dass die Armut in der sogenannten Dritten Welt in ursächlichem Zusammenhang steht mit dem Überfluss, der, zumindest für die oberen Bevölkerungsschichten, in Europa und den USA herrscht (einseitige Ausbeutung der Ressourcen der armen Länder, unfairer Handel etc.).
Es ist klar, dass entsprechende ursächliche Zusammenhänge kaum bestehen zwischen der unterschiedlichen Körpergröße zweier Menschen, die nämlich vorwiegend von genetischen Faktoren abhängt und weniger von ökonomischen (es sei denn, man berücksichtigt die gestörte körperliche Entwicklung von Kindern aufgrund von Unterernährung).
@ Michael B.:
Das, was dem Historiker Jörg Baberowski widerfuhr, ist leider nichts Ungewöhnliches mehr.
Nicht erwünschte Thesen sollen gar nicht mehr den Weg in die Öffentlichkeit bzw. Eingang in eine Debatte finden können.
Ein Lied davon kann auch Martin van Creveld singen, dessen Zeit als Visiting Fellow an der Universität Trier vorzeitig beendet wurde (http://www.spiegel.de/lebenundlernen/uni/vortrags-panne-uni-trier-brueskiert-renommierten-kriegsforscher-a-794094.html).
@ deutscher Michel
Hatte van Creveld für seine abstrusen Thesen irgendwelche Belege? Basierten sie auf wissenschaftlichen Untersuchungen? Wenn nicht, ist er kein ernstzunehmender Wissenschaftler und hat als Lehrperson an einer Uni nichts verloren.
@ Brigitte Ernst et al.
Sie haben eine im Grunde völlig nebensächliche Bemerkung aufgegriffen, die hier aber nicht Gegenstand einer ausführlichen Erläuterung werden kann. Mir ging es um etwas anderes, das ich vielleicht nicht ausreichend verdeutlichen konnte.
Zwei Dinge haben mich als ehemaligen Jesuitenzögling am Canisius-Kolleg in Berlin wesentlich geprägt und zu dem freilaufenden Selbstdenker gemacht, der ich heute bin (oder für den ich mich zumindest halte): der sexuelle und seelische Missbrauch und die nahezu unausweichliche Anwendung bestimmter „Denktechniken“.
Grundlage meines Denkens ist das, was man wohl „Skepsis“ nennt. Man könnte auch „gesundes Misstrauen“ bis hin zum „Generalverdacht“ dazu sagen. Etwas, was ich übrigens von den Verantwortlichen in Politik, Medien und Erziehung als grundlegende Handlungsmaxime erwarte (leider meist vergeblich).
Die dazugehörigen „Denktechniken“ kennen Sie alle. Man kann – wie ich es im vorhergehenden Beitrag versucht habe – Analogien bilden, Aussagen auf andere Sachverhalte übertragen, Aussagen umdrehen, Dimensionen und/oder Blickwinkel verändern, Definitionen abfordern, implizite Voraussetzungen hinterfragen. Sie sind, jenseits irgendwelcher inhaltlicher, ideologischer Festlegungen, eben Techniken. Mit ihnen lassen sich Aussagen auf Wahrscheinlichkeit (Wahr-Scheinlichkeit), Plausibilität usw. überprüfen. Sie sind insoweit auch wissenschaftlich (ergo: aufklärerisch), als sie Hypothesen formulieren und/oder falsifizieren helfen. Sie werden in vielen Zusammenhängen auch als sog. Kreativitätstechniken verwendet. Und: sie machen Spaß! Ja, wirklich: Denken kann Spaß machen!
Die Schuldenuhr des Bundes der Steuerzahler ist so ein Beispiel. Dabei wird der unvorstellbare jährliche Schuldenzuwachs der öffentlichen Haushalte auf die Dimension einer Sekunde heruntergebrochen. Oder man überlegt: welche Strecke ergäben aneinandergelegte 500 Euro-Scheine, um den Betrag darzustellen? Wieviele Schulessen könnte man von der letzten Erhöhung der Abgeordnetendiäten finanzieren?
Eine andere Technik, insbesondere wenn es sich um öffentliche Verlautbarungen (einschließlich Pressemeldungen) handelt, besteht in der Umkehr der Aussage. Gibt es den behaupteten „Rechtsruck“ überhaupt? Oder handelt es sich tatsächlich um einen „Linksruck“, so dass die bisherige „Mitte“ nun als „weit rechts“ erscheint? Ist es nicht mindestens ebenso wahrscheinlich, dass die alten Kader der K-Gruppen ihren vor knapp 50 Jahren begonnenen Marsch durch die Institutionen erfolgreich absolviert und das Land mit Hilfe ihrer Netzwerke „linksgrün versifft“ haben? (Wie verdächtig schnell wurde zudem aus der Mauerschützenpartei namens SED eine, die inzwischen einen Ministerpräsidenten stellt, ehemalige Stasi-Spitzel wachen über die Zulässigkeit von Meinungsäußerungen u.v.m.)
Eine weitere Technik besteht darin, zunächst einmal die verwendeten Begriffe auf ihren tatsächlichen oder verfälschten Gehalt abzuklopfen bzw. sie an Definitionen zu messen. Eine aktuelle Schlagzeile z.B. lautete: „Bei der Räumung des ‚Dschungels‘ in Calais kam es zu Krawallen zwischen Flüchtlingen und der Polizei.“ Das hört sich so an, als würden zwei Gruppen von Fußball-Hooligans aufeinander losgehen. Tatsächlich kam es zu Ausschreitungen gegen die Polizei, oder – um den Begriff „Krawall“ zu verwenden – zu Krawallen gegen die Polizei. Welcher Journalist schreibt so einen Mist? Zu dämlich, um die deutsche Sprache zu beherrschen, zuviel „Haltung“, die in solches Geschmiere eingeht? Kein Wunder, dass Journalisten im Berufsranking bzgl. des Ansehens in der Bevölkerung stets auf den hintersten Plätzen rangieren?
Die FR machte in dieser Sache etwas vorsichtiger auf mit „Krawalle im ‚Dschungel‘ von Calais“ und fuhr dann jedoch fort: „Die Polizei wirft Rauchbomben, die Flüchtlinge werfen Steine“. Irgendwie ja kein Wunder, dass sich Menschen wehren, wenn sie von der Polizei mit Rauchbomben beworfen werden, oder?! Richtig ist, was ca. 12 Zeilen später zu lesen ist: „… flogen … Steine auf Polizisten, die dann Tränengas einsetzten …“. Aha, also genau anders herum wird ein Schuh daraus: die Polizisten werden mit Steinen beworfen und antworten mit Tränengas.
Ich möchte gerne auch noch etwas zu dem Grundsatz „Gleiches gleich behandeln“ schreiben. So ist z.B. höchstrichterlich abgesegnet, dass weder „die Polizei“ als Organ noch ein einzelner Polizist beleidigt wird, wenn ein Demonstrant ihm mit der Parole „ACAB“ gegenübertritt. Diese Abkürzung wird in wörtlicher Übersetzung – fälschlicherweise – mit „Alle Polizisten sind Bastarde“ angegeben, entspricht in kultursensibler Übersetzung allerdings eher dem hierzulande verwendeten „Alle Bullen sind Schweine“. Es fehle dabei laut BGH an der konkreten Abgrenzbarkeit einer bestimmten Personengruppe, was sich schon allein daraus ergäbe, dass es sich um eine englischsprachige Abkürzung handele. Somit seien auch Polizisten im Ausland gemeint. Auch schließe „ACAB“ Polizisten aller Bereiche ein, unterscheide also nicht zwischen Innen- und Aussendienst und umfasse z.B. auch pensionierte Beamte. Deswegen: keine konkrete Personegruppe und somit keine Beleidigung. (siehe hier: http://www.hrr-strafrecht.de/hrr/archiv/12-08/?sz=12)
[Achtung, Böhmermann-Vorbehalt! Kontext beachten!] „Alle Frauen sind Schlampen!“, „Alle Südländer sind Verbrecher!“, „Alle Moslems sind Verfassungsfeinde!“ stellen Sie sich mal mit so einer Pappe auf die Zeil, warten Sie auf die schlagkräftige Antwort der Anständigen, die hyperventilierenden Reaktionen einer Claudia Roth und eines Ayman Mazyek und stellen Sie sich auf eine spannende juristische Auseinandersetzung ein.
Gehen Sie bei Ihren Spaziergängen durch Bockenheim doch mal durch die Sophienstr. (in Höhe der Einmündung Juliusstr., beim Taxistand) und lesen Sie, was seit vielen Monaten – vom Eigentümer offenbar akzeptiert – an einer Hauswand steht. „Bullen müssen sterben“. Tja, wird mir da eine banale biologische Sachinformation vermittelt – alle Lebewesen müssen halt sterben? Oder gar Ausdruck eines mitfühlenden Bedauerns? „Asylbewerber müssen sterben“, „Nazis müssen sterben“, „Türken müssen sterben“. Weh dem, der Böses dabei denkt.
P.S. Schreibe aus dem Ausland mit etwas wackliger Internetverbindung. Text also vorformuliert und nach dem nächtlichen Toilettengang verschickt.
Ich bin durchaus für eine offene Diskussion auch mit anders Meinenden. Aber da sollten auch die Ziele deutlich benannt werden, welche Gesellschaft man sich wünscht. Ich beobachte, dass auch in studierten Kreisen die intellektuelle Rhetorik zu einer neuen (eigentlich alten) Herrschaftsform drängt, sehr konservativ, sehr restriktiv, und sich alte Privilegien zurückholen will. Nein, dahin will keiner zurück. Die haben uns ins Unglück und in Kriege geführt. Wenn kritische Studenten gegen solche Tendenzen protestieren und sensibel darauf reagieren, dann habe ich Hoffnung.
Das ist kein Maulkorb für freie Meinungsäußerung, das ist eine Abwehr gegen intellektuell verhüllte Rückeroberung eines verlorengegangenges Terrains einer schönen alten Zeit der Privilegien durch Geburt.
@ Brigitte Ernst:
machen Sie sich bitte selbst ein Bild:
https://de.wikipedia.org/wiki/Martin_van_Creveld
@ I. Werner:
zunächst sollte diskutiert werden, welche Formen der Gesellschaft realistisch sind. Erst als zweiter Schritt stellt sich dann die Frage, in welcher MÖGLICHEN Gesellschaft wollen wir leben.
@ Deutscher Michel
Dem Wikipedia-Artikel entnehme ich, dass van Creveld ein höchst schräger Typ ist, der große Probleme mit Frauen zu haben scheint und besonders für seine z.T. inhumanen und zynischen Äußerungen über das weibliche (das angeblich bevorzugte) Geschlecht von Rezensenten stark kritisiert wurde und wird. Außerdem scheint er besessen von Thema Krieg. Besonders bemerkenswert finde ich seine Klage, dass junge Männer heute unfähig zum Kriegsdienst seien, weil sie durch moderne Erziehungsmetoden verweichlicht würden. Da scheint einer seiner Mutter die Schuld daran zu geben, dass er selbst vor 52 Jahren aus gesundheitlichen Gründen vom Militärdienst befreit wurde, und diese Schmach, sich als Weichei gebrandmarkt zu sehen, sein ganzes Leben nicht verwunden zu haben.
Ob man so jemanden überhaupt als Gastdozenten einladen sollte, weiß ich nicht. Statt Empörung über seine verqueren Thesen verdient er allerdings meiner Ansicht nach nur herzliches Gelächter.
@ Brigitte Ernst:
Dass der Jude van Creveld, unter dessen Verwandten sich auch Holocaust-Opfer befanden, ein Interesse an Geschichte und auch noch am Thema Hitler entwickelte, finde ich nicht besonders erstaunlich. Dass dabei das Thema Krieg nicht außen vor bleibt, liegt meines Erachtens in der Natur der Sache. Eine Spezialisierung auf das Thema Krieg finde ich auch nicht pathologisch (Sie nennen es Besessenheit), immerhin ist es ein Phänomen, dass die Menschheit seit je her begleitet.
Soll nun so(!) jemand als Gastdozent eingeladen werden? Warum nicht. Immerhin war van Creveld von 1971 bis 2008 (seit 1988 als Professor) Lehrender an der an der hebräischen Universität Jerusalem. Weiterhin war er als Gastdozent und Referent in den USA und Großbritannien sehr gefragt. Dass er ausgerechnet in Deutschland Probleme bekam, wirft meines Erachtens ein eher trübes Licht auf die offene Debattenkultur / Meinungsfreiheit in Deutschland.
Sie werfen van Creveld ja aber besonders seine „Probleme mit Frauen“ vor. Da ich ihn weder persönlich noch von öffentlichen Auftritten her kenne, kann ich mich dahingehend nicht äußern. Ihm aber aufgrund seiner Thesen ein Problem mit seiner Mutter zu unterstellen, finde ich schon sehr gewagt.
Den Ausschluss von Frauen aus dem Militär zu fordern, halte ich zumindest zum Teil (für die kämpfenden Truppen) für tatsächlich überdenkenswert und nicht für frauenfeindlich bzw. antiemanzipatorisch. Ich denke da zum Beispiel an den Trubel, den der Absturz einer jungen Kadettin auf der Gorch Fock ausgelöst hat. Typisch für Deutschland: die Zukunft der Gorch Fock wurde in Frage gestellt.
Das einzige, was mich persönlich an van Crevelds Aussagen wirklich stören könnte, sind Teile seiner Aussagen zum Thema Vergewaltigung (Verweise auf „sexuell erfahrene Frauen“).
Aber auch hier gilt: bevor ich mich dazu äußere, würde ich gerne mehr zum Gesamtzusammenhang wissen, in dem er sich dazu geäußert hat.
@ all
Die Debatte über den Militärhistoriker ist hiermit abgeschlossen. Das Thema hier ist die AfD.
@ Bronski:
zurück zur AfD.
Lag der Klasse 9b der Gelehrtenschule des Johanneums in Hamburg neben dem Text von Stephan Hebel auch das Grundsatzprogramm der AfD vor?
zu @ deutscher Michel
Das mit dem Grundsatzprogramm der AFD lesen finde ich gut. Habe ich gerade in dem Bereich gemacht und nicht nur die Überschrift
FINANZEN UND STEUERN
Wir wollen Deutschland reformieren. Das geht nicht ohne
eine umfassende Reform des Steuerrechts. Wir treten für
ein einfacheres und gerechteres Steuersystem ein, das mit
niedrigen Steuern vor allem Mittel- und Geringverdiener
finanziell entlastet.
Sorry,selten so einen Blödsinn gelesen. Kurz mit meinen Worten zusammen gefasst. Kapitalsteuern sollen nur noch freiwillig gezahlt werden und für die Einkommenssteuer ein Stufentarif nicht genannter Höhe geprüft werden. Das hat schon einmal ein Professor aus Heidelberg vorgeschlagen. Was das dann mit sozialer Marktwirtschaft nach Erhardt zu tun haben soll und warum das dann gut für die kleinen Einkommen sein soll steht da leider nicht. Ich würde das Programm für Wildwest Kapitalismus nennen.