Nur die Wertkonservativen regten sich damals auf

Der hessische Justizminister Jörg-Uwe Hahn, FDP, hat in der Debatte über sexuellen Missbrauch an der reformpädagogischen Odenwaldschule nachgelegt. In einem Antwortbrief an den hessischen Grünen-Vorsitzenden Tarek Al-Wazir bekräftigte Hahn den Vorwurf, „dass der Zeitgeist der 68er Jahre eine Tendenz der Verharmlosung und des Wegschauens mit sich gebracht“ habe. Er wolle mit diesen Äußerungen keinen unmittelbaren Zusammenhang zwischen rot-grüner Politikgestaltung und den aktuell diskutierten Missbrauchsfällen herstellen. Insbesondere nennt er die Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit und Antje Vollmer. Letztere habe sich „fragwürdig“ verhalten, nachdem sie 2002 über Missbrauchsfälle an der Odenwaldschule informiert worden sein, jedoch eine Stellungnahme aus der Ferne nicht für hilfreich gehalten habe. Fragwürdig ist, mein FR-Kommentator Pitt von Bebenburg, jedoch etwas ganz anderes: dass Hahn die Missbrauchsfälle nutzt, um parteipolitisch Nutzen daraus zu ziehen. Entschuldigen will er sich nicht, weil er seine Äußerungen, die im Gespräch mit dem Berliner Tagesspiegel fielen, für falsch und verkürzt wiedergegeben hält.

Klaus Lelek meint dazu:

„Hahn hat teilweise Recht (leider). Auf der Gründungsversammlung der Grünen im Dezember 1979 in Karlsruhe wälzten sich pädophile Reformpädagogen mit zwölfjährigen Mädchen auf dem Boden der Kongresshalle und forderten im Blitzlichtgewitter der Kameras straffreien Sex mit Kindern. Die Bilder gingen durch den deutschen Blätterwald. Die Anträge der Kinderschänder landeten sogar auf den Tischen der Delegierten. Über diese Exoten haben sich nur die wertkonservativen Umweltschützer aufgeregt. Die meisten Grünen waren eher genervt. Die Ideologisierung der Pädagogik und der fatale Machtanspruch, neue Wertmaßstäbe zu setzen, hat tatsächlich das Klima für sexuellen Missbrauch begünstigt. Allerdings haben die konservativen Parteien, allen voran die FDP, durch das Anheizen der Konsum-, Ego- und Spaßgesellschaft genauso ihren Anteil an den Missständen.“

Joachim Storck aus Kelsterbach:

„Es sei daran erinnert, dass es in den 70er Jahren die Jugendorganisation der FDP, die Jungdemokraten, war, die als einzige Gruppierung aus dem parlamentarischen Spektrum in diversen Landesverbänden, z.B.  Niedersachsen, die Legalisierung sexueller Beziehungen zwischen Erwachsenen und Kindern gefordert hat.“

Jürgen Brockelmann aus Bad Homburg:

„Nach dreißig Jahren leitender Position in der Jugendhilfe bin auch ich der Meinung, dass linke und grüne Strömungen in Verbindung mit einem reformpädagogischen Ansatz ein Klima schaffen, das Missbrauch begünstigt. Wenn man seinen Untergebenen als Freund betrachtet, kontrolliert man ihn weniger oder gar nicht. Wenn man ein Kind nicht als zu erziehenden Schutzbefohlenen, sondern als gleichgestellte/n Freund/Freundin ansieht, kann man auch Sex mit ihm/ihr haben. Diese Faktoren: Schwächung des Vorgesetztenverhältnisses und Schwächung des verantwortlichen Erziehungsverhältnisses, schaffen nach meiner Überzeugung ein Klima, in dem Missbrauch besser gedeihen kann, als wenn die Rollen und Verantwortlichkeiten klar definiert, eingehalten und kontrolliert werden.“

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8 Kommentare zu “Nur die Wertkonservativen regten sich damals auf

  1. Zu J. Brockelmann: Unabhängig von der sexuellen Frage ist der pädagogische Ansatz, nach dem das (kleine) Kind nicht Schutzbefohlener und damit untergeordnet, sondern gleichberechtigter Partner sei, laut dem Kinderpsychologen Michael Winterhoff Ursache für die um sich greifende defizitäre psychische Entwicklung vieler Kinder, die in letzter Konsequenz die Lebensgrundlagen unserer Gesellschaft zerstören wird. In diesem Zusammenhang spricht Winterhoff von „Symbiose“, wenn das Kind im Rahmen einer psychischen Verschmelzung vom Erwachsenen als Teil seiner selbst wahrgenommen wird, sozusagen als ein eigenes „Körperteil“ interpretiert wird, wie es Winterhoff häufig formuliert. Ob aus solcher „Symbiose“ heraus stattfindende Erziehung neben den kindespsychischen Defiziten, die sie laut Winterhoff begünstigt, dem Erwachsenen es auch vereinfacht, das gesellschaftliche Tabu „Sexuelle Beziehung zum Kind“ zu brechen(wenn das Kind nach W. ja sozusagen schon als eigenes Körperteil wahrgenommen wird, ist die Idee nicht so fern, daß man über es auch sexuell verfügen kann wie über ein eigenes Körperteil), ist ein interessanter Gedanke, der zusammen mit dem Gesamtkonstrukt der Winterhoffschen Theorie mitüberprüft werden könnte.

    Allerdings auch die unmoderne, sich über Jahrtausende bewährte Erziehungsmethode, bei der der Erwachsene über eine bestimmte kindliche Phase hinweg eben nicht Partner sondern Autorität ist, kann aber letztendlich nicht sexuellen Mißbrauch von Kindern ausschließen, wenn die Verantwortung, die mit Autorität einhergehen muß und die sich dem Wohl des Kindes verpflichtet fühlen muß, im Einzelfall nicht vorhanden ist.

    Zu K. Lelek: Daß die FDP als konservative Partei bezeichnet wird, ist an sich schon etwas merkwürdig (strukturkonservativ vielleicht, aber wertekonservativ?). Daß aber in einer Zeit, in der Kritik an der „Spaßgesellschaft“ hauptsächlich von konservativer Seite kommt, behauptet wird, ausgerechnet diese konservativen Kräfte würden die Spaßgesellschaft „anheizen“, ist ja noch merkwürdiger.

    Tja, Konservative müssen es sich wohl gefallen lassen, wenn sie von mehr Verantwortung, Gemeinschaft, Werteverpflichtung reden, daß man ihnen vorwirft, das alles gar nicht wirklich zu meinen, sondern eigentlich nur die Spaßmaximierung zu wollen. Mehr Spaß durch mehr Verantwortung, Gemeinschaft, Wertverbundenheit… jaaaa, genau das bedeutet „konservativ“ doch!!!

  2. Sagen wir mal so: Der 68er-Zeitgeist hat das, was bis dato unter einer dunklen Decke gehalten wurde,ans Licht gebracht, im Sonnenlicht als schönste Nebensache der Welt ausgebreitet.

    Aufgrund der „Öffnung“ gab es diverse Pfadfinderproduktionen, genauso wie es diverse Hefte im Handel zu kaufen gab – soft- und Hardcore.

    Ich habe das schon oft an anderer Stelle gesagt, die müssen alle leise die Flure entlanglaufen, ob Kirche, Staat, 68er. Wir waren Freiwild damals.

    Es gibt Geschichten aus dem Hesenland, wenn man die anfangen würde zu erzählen…

    Es gab auch Schutzengeml, wie die Frau Blum (Kinderheim Kelkheim Hornau) oder auch später Herr Beinborn (Betreuer)/Herr Mathieu (Heimleiter Jugendheim Biedenkopf). Die haben nicht weggehört, der Kinderklagen als Lüge abgestempelt.
    Die damaligen Rektoren der Willemerschule und der Frankensteinerschule gehörten nicht dazu.

    Schönes WE allen. rü

  3. Als gestern der Bischof da angezerrt wurde… habe ich so bei mir gedacht: „Wie, nur ’ne Watschn?“

    Bitte, wen wollen wir denn nun alles auf den Martplatz ausstellen, am Pranger festbinden? Eine Watsch war normal. Hast dich daheim beschwert, hast nochmal eine gekriegt Die Watsch war täglich Brot im Christenland DE, da hat er ausnahmsweise Recht, der Augsburger Bischof.

    Es gab viel schlimmere Verbrechen an den Kindern, das ging bis hin zur öffentlichen Hetzjagd von Lehrern aus angezettelt, weil die Mutter versuchte ihre vier Kinder durchs Leben zu schubsen, Vater im Knast war.

    Die Geschichte der Mühlbruchstraße in Sachsenhausen… Wenn die Steine erzählen könnten… Die Stadt Frankfurt hat sich da nicht mit Ruhm bekleckert, in meinen Augen ist sie für den Tod vieler verantwortlich.

    Ich hatte Schutzengel gehabt. Viele dieser Kinder nicht. Diese Seelen gibt es nicht mehr

    Wen wollen wir alles nun anklagen?

    In meinen Augen kann es nur eine Lösung geben, dazu braucht es keine verlogenen runden Tische, die als Kaffeekränzchen in die Geschichte eingehen:

    Es muß eine unabhängige Stelle geben, auf die weder der Staat noch die Kirche Einfluß ausüben kann, an die sich Kinder wenden können. Und diese Stelle muß nach Überprüfung der Sachlage tätig werden – egal ob am Ende Papst Benedikt steht, Pfarrer X oder Lehrer/Betreuer Y oder sonstwer (gilt auch für Muslime (siehe Gallus)).

    Die Geschichte mit der Entschädigung ist Blödsinn. Will man 20 €uro „Schmerzensgeld“ jedem aushändigen? Eine Entschuldigung können sie sich auch in die Haare schmieren, oder sonstwohin. Hessen hat gezeigt was die Wert ist. Die kirchliche Entschuldigung ist sowieso… da müssen wir uns nicht unterhalten, ne?

    Es kann nur um die Kinder der heutigen Zeit gehen, um den Schutz dieser für den Morgen danach.

    so… nun aber weg im WE 🙂
    (Tschuldigung Herr Bronski für das doppelte Lottchen)

  4. *nochmal reinlunzt*

    Ich bin ja absolut dagegen, das man nun hergeht, und irgendwen ausdeutet. Die Kinder sind sowieso nur Alibi – siehe Stopschild, siehe die Pornowelt im Internet, wo Kinder es absolut unmöglich gemacht wird, ihre Sexualität auf natürliche Weise zu entdecken. Unsere Gesellschaft heute, mit ihrer verwahrlosten und hemmungslosen (abscheulichen) iProstitution, ohne Rücksicht auf das was da hinter ihnen ist, macht mehr kaputt, als die Zeit damals.

    Dem Herr Hahn kann man noch zurufen: „Durch den 68er Zeitgeist hat man gelernt, sich nichts alles gefallen zu lassen.“ Dem befehlenden Wort wurde etwas entgegengesetzt, Drohungen der Stinkefinger gezeigt. Jetzt kann man natürlich abwägen… die eine Sache, der sexuelle Mißbrauch, tut nur beim ersten Mal weh, die andere Sache aber hat zumindest mich „aufstehen“ lassen. Aber nicht jedes Kind/Jugendlicher konnte dies umsetzen.

    Und was hat Ulrike Meinhof bezüglich der Mißstände in Heimen öffentlich von sich gegeben?

    Ich habe so ein Heim gesehen, in Frankfurt, mit Herrn Beinborn haben wir ein kind dort abgeholt und nach Biedenkopf gebracht.

    Wer hat hingehört? Herr Hahn nicht!

  5. Sehr geehrter Herr Wedell,

    Ich glaube, Sie haben (oder wollten) mich gründlich mißverstehen.
    Es gibt tatsächlich zwei Formen von Konservativen. Klingt paradox; ist aber leider so. Der normale „Konservative“, meist aus dem Lager der CDU/FDP- will vor allem seinen Wohlstand „konservieren“. Um diesen dauerhaft zu konservieren- damit die Kasse schön klingelt – muß er ständig was zerstören, z.B. unberührte Natur für neue Autobahnen, neue Häuser (Zersiedelung) noch mehr Flughäfen, Fluglinien, private TV-Sender (zur Verblödung der Leute…)Die hohle Ego, Spaßgesellschaft und Konsumgesellschaft ist daher das Werk von Konservativen.
    „Wertkonservative“ lehnen das zum großen Teil ab. Allerdings glauben Wertkonservative auch an so altmodische Begriffe wie „Ehre, Freundschaft, Treue, Verantwortung“ und vor allem an die Werte, die es uns erlauben in einer freiheitlich demokratischen Grundordnung zu Leben. Da es inzwischen gerade im Lager von Linken eine ganze Menge Leute gibt die aus Dekadenz und falsch verstandener Toleranz despotischen und antidemokratischen Kräften Tür und Tor öffnen, steht man als Wertkonservativer meist zwischen den Stühlen. Im übrigen gibt es „Salonkommunisten“, die viel Kohle machen und sich privat als wahre „Sozialdarwinisten“ gebärden, und es gibt durchaus auch Unternehmer, die sowohl ökologisch als auch sozial Meilensteine setzen.
    Soviel zur Deffinition „Konservativ“.

  6. Es ist ein völliger Blödsinn, Mißbrauch irgendwelchen politischen Strömungen zuzuordnen.
    Mißbrauch hat es immer gegeben und wird es immer geben und die Täter haben immer irgendein Mäntelchen gefunden, unter dem sie ihre Verfehlungen verbergen konnten.

    Die pessimistische Erkenntnis ist, dass weder „Links“ noch „Rechts“, weder „oben“ noch „unten“, weder „freie“ noch „repressive“ Konzepte vor solchen Verfehlungen schützen.

    Es sind nun schon viele „Päpste“ über das Thema gestolpert, es wäre für alle an der Zeit, sich von der Illusion der Unfehlbarkeit zu verabschieden.

    Gegen Mißbrauch hilft nur das Recht und die Kraft, sich zu wehren. Das Recht dazu ist naturgegeben, die Kraft dazu ist gesellschaftlich zu gewährleisten.

  7. Schönen guten Morgen zusammen 🙂

    Keine Fliegen am Himmel, man hört die Vögel, idyllisches Glockenläuten, ein schöner Sonntag, so wie er früher mal war.

    Normalität – Kindesmißbrauch in den 1960ern bis 80ern

    Es sei mir erlaubt ein Sonntagalink zu reichen – keine Werbung für meinen blog, denn ob da einer rumrennt oder 1.000.000, mein Kühlschrank wird dadurch nicht voller oder leerer 😉

    Und das ist nur ein Bruchteil.

    Den letzten Absatz von BvG

    Gegen Mißbrauch hilft nur das Recht und die Kraft, sich zu wehren. Das Recht dazu ist naturgegeben, die Kraft dazu ist gesellschaftlich zu gewährleisten.

    sollte man als immerwährendes Zitat in der FR für die kommenden Berichte, dazusetzen.

    Schönen Sonntag Euch allen.

  8. zu j.bockelmann,
    angenommen er hätte recht bzgl. „Untergebenen“ als freund behandeln usw. bedeutet auch sex mit ihm zu haben, würde bedeuten, das ganz skandinavien kindesmisbrauch betreibt.
    im zuge der end60er-bewegung wurden gerade diese schlimmen zustände in heimen und ähnlichen instituten ans licht der öffentlichkeit gebracht, angeprangert und ganz, ganz langsam beseitigt. noch in den 70ern gabes schlimme zustände in vielen heimen, egal ob staatlich, evang., kathol., ob diakonie, caritas, awo oder drk.
    erst die diskussionen in den end60ern ermöglichten es kinder und jugendliche als MENSCHEN und nicht als ABHÄNGIGE uä. zu sehen und vorallem zu behandeln.
    jürgen b., es sind fast immer die AUTORITÄREN väter, vorgesetzten, heimleiter, popen und andere, die kinder und jugendliche misshandeln.
    mein …,
    was hat j.b. bloss für ein menschenbild.
    timm pausmer
    schläfrig-holstein

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