Der Welt steht eine Aufrüstungsspirale in Sachen nuklearer Bewaffnung bevor. US-Präsident Donald Trump hat das Washingtoner INF-Abkommen über nukleare Mittelstrecken-Raketensysteme am 1. Februar 2019 gekündigt. Es gilt als das Rückgrat der globalen Vertragsarchitektur zur Absicherung vor dem Atomkrieg, weil die betroffenen Mittelstreckenraketen Erstschlagswaffen sind: Werden sie gestartet, hat der Angegriffene in der Regel keine Chance auf Abwehr bzw. einen Vergeltungsschlag. Das liegt an der relativ geringen Reichweite dieser Raketensysteme von bis zu 5500 Kilometern. Der Verzicht bzw. der Abbau solcher Waffen war eine vertrauensbildende Maßnahme, die den Kalten Krieg beendete. Nach der Unterzeichnung des Abkommens am 8. Dezember 1987 durch Generalsekretär Michail Gorbotschow und Präsident Ronald Reagan bis 1991 zerstörten die USA vertragsgemäß 846, die Sowjetunion insgesamt 1846 Raketen, kontrolliert durch die jeweils andere Seite. Profitiert hat davon vor allem Europa, wo ein mit Mittelstreckenraketen geführter Atomkrieg vor allem ausgetragen worden wäre. Als Reaktion auf die Kündigung setzte Russland den Vertrag am 2. Februar ebenfalls aus.
Die USA behaupten, Russland habe Mittelstreckenwaffen des Typs 9M729 stationiert, der eine Reichweite von 2600 Kilometern habe und damit unter das INF-Abkommen falle. Russland sei also vertragsbrüchig geworden. Die Russen behaupten, die neue Waffe habe lediglich eine Reichweite von 480 Kilometern. Barack Obama hatte Russland schon 2014 den Test solcher neuen Waffen vorgeworfen. Russland hält Trump entgegen, dass die USA bereits im Jahr 2015 ihr landgestütztes AEGIS-Waffensystem auf zwei Nato-Raketenbasen in Rumänien und Polen stationiert habe. Mit dieser Senkrechtstartanlage lassen sich verschiedenste Lenkkörper starten, darunter auch Tomahawk-Marschflugkörper mit einer Reichweite von 2600 Kilometern, die ebenfalls unter das INF-Abkommen fallen. Offiziell dienen die Raketenbasen der ballistischen Raketenabwehr. Dort sind SM3-Raketen mit kinetischen Gefechtsköpfen stationiert, die anfliegende Raketen durch Aufprall zerstören und angeblich zur Verteidigung gegen iranische Raketen gedacht sind. Unbekannt ist, ob auf den Stützpunkten auch jene Marschflugkörper stationiert sind. Beide Anlagen sind Teil des US-Raketenschildes. Russland fühlt sich von ihnen bedroht.
Worum geht es eigentlich?
So weit der Stand der Dinge, wie er auf dem Tisch zu liegen scheint. Wer tatsächlich als erster den INF-Vertrag gebrochen hat, wird wohl irgendwann herauskommen. Doch das ist eigentlich nicht weiter interessant, denn beide Seiten haben ein Interesse daran, den Vertrag zu beenden. Das Theater, das sie uns drumherum vorspielen, ist reine Augenwischerei. Dahinter steckt mehr, und es geht keineswegs nur um Europa. Was natürlich nicht heißt, dass die alte Gefahr, zum nuklearen Schlachtfeld zu werden, damit vom Tisch wäre. Sie ist es nicht. Die Frage bleibt weiterhin: Wer hätte ein Interesse daran?
US-Präsident Donald Trump verfolgt vor allem zwei Ziele, bei denen ihm der INF-Vertrag im Weg ist:
- China hat aufgerüstet. Die chinesische „Volksbefreiungsarmee“ besitzt bis zu 120 nuklearwaffenfähige Mittelstreckenraketen verschiedener Bauarten der „Dongfeng“-Raketen mit Reichweiten von bis zu 4000 Kilometern. Mit der neuesten Dongfeng-Variante, der DF-26, gerät Guam in Reichweite des chinesischen Atomwaffenarsenals. Guam ist eine der wichtigsten US-Militärbasen. Die chinesische Bewaffnung wird vom INF-Vertrag, der ein bilaterales Abkommen zwischen den USA und der Sowjetunion bzw. Russland war, jedoch nicht erfasst. (Angaben laut IPPNW 2018.)
- Trump will die Nato-Verbündeten disziplinieren. Aus seiner Sicht tun die Nato-Staaten außer den USA viel zu wenig für die Verteidigungsfähigkeit des Militärbündnisses. Laut Nato-Verträgen sollen die verbündeten Staaten zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts in Verteidigung investieren. Beispiel: Deutschland ist davon weit entfernt. 2017 lagen die Verteidgungsausgaben bei nur 1,24 Prozent des BIP. Da kann es aus Sicht des „Dealmakers“ Trump nicht schaden, den aus seiner Sicht schlaffen Verbündeten Angst zu machen.
Der russische Präsident Wladimir Putin verfolgt im Wesentlichen ein Ziel, für das er den INF-Vertrag bzw. dessen Reste einsetzt:
- Putin will einen Keil ins westliche Bündnis treiben. Er tut dies auf verschiedenste Weisen, etwa indem er die Türkei aus der Front der Nato-Verbündeten herauszubrechen versucht – einen Gefallen, den der türkische Präsident Erdogan ihm gern tut -, unterstützt politische Bewegungen in allen westlichen Demokratien, die sich gegen den etablierten Politikbetrieb, gegen EU und Nato wenden (in Deutschland Teile der Linken und die AfD), hat sich mutmaßlich in den US-Wahlkampf eingemischt, um einen Erfolg von Hillary Clinton zu verhindern, und präsentiert als weitere Facette seiner Strategie neue Waffen wie die Hyperschallwaffe Awangard, die 2019 bei den Strategischen Raketentruppen Russlands in Dienst gestellt werden soll. Sie ist eine Antwort auf den US-Raketenschild, der vermutlich gegen sie nichts ausrichten kann, da sie anscheinend zu schnell ist. Damit ist sie eine Erstschlagswaffe. Es gibt bisher keine Maßnahmen zur Abwehr solcher Waffen. Die waffentechnische Erneuerung der russischen Streitkräfte, der auch noch weitere moderne Rüstungsprojekte zuzurechnen sind, dient dennoch offiziell der Sicherung der Zweitschlagsfähigkeit.
Der russische Präsident kann kein ernsthaftes Interesse an einem Rüstungswettlauf mit den USA haben. Dafür ist die russische Wirtschaft viel zu schwach auf der Brust. Dazu passt, dass er sich bei anderen Zukunftsprojekten noch bedeckt hält und dass bisher nichts über konkrete Anschaffungen der Awangard bekannt ist. Vermutlich plant er, sie eher nadelstichartig einzusetzen, wohlplatziert, um Trump zu provozieren. Desinformation und Propaganda sind in seiner Strategie gegen die Nato die wichtigeren Waffen. Auch die ständigen russischen Provokationen durch Kampfjets über dem Baltikum und der Ostsee gehören zu dieser Taktik der Nadelstiche.
Der US-Präsident hingegen hat durchaus ein Interesse an einem Rüstungswettlauf, denn er hat den US-Verteidgungshaushalt auf 716 Milliarden US-Dollar für 2019 aufgebläht (2017 noch 100 Milliarden weniger). Mittelfristig schadet das den USA durch den Aufbau einer exorbitanten Überschuldung, kurzfristig nutzt das der ohnehin nicht am Boden liegenden US-Rüstungswirtschaft und dem militärisch-industriellen Komplex. Die Frage ist nun, wie viel von diesen Milliarden in die zu erwartende nukleare Aufrüstung fließen wird und wie viel in andere Rüstungsprojekte eher konventioneller Natur, mit denen die USA ihre globale Hegemonie werden untermauern wollen. Offensichtlich ist, dass für die USA China verstärkt in den Fokus rückt.
Für die EU und für Deutschland und seine engen europäischen Partner heißt dies, dass sie sich von den USA emanzipieren müssen. Unter Trump, der unabgesprochene, eigensinnige Aktionen an die Stelle von Absprache und Koordinierung setzt, sind die USA kein verlässlicher Bündnispartner mehr. Vor diesem Hintergrund ist auch der kürzlich unterzeichnete Aachener Vertrag zu sehen, mit dem Frankreich und Deutschland ihre Zusammenarbeit vertiefen – und zwar explizit auch die militärische. Eine gemeinsame Haltung der EU wird vermutlich nicht zustandekommen. Jene Stimmen aus der EU, die in die Anklage gegen Russland einstimmten, den INF-Vertrag gebrochen zu haben, sind als Kotau vor Trump zu bewerten. Damit hat der US-Präsident, was er will. Zumindest in dieser Hinsicht ist Putins Keil-Strategie wenigstens vorerst gescheitert: Die Verbündeten haben sich hinter den USA versammelt. Jedenfalls hat es den Anschein.
Man muss Angst bekommen, denn unterm Strich steht die Erkenntnis, dass dieser Präsident den Gedanken sehr wohl erwägen dürfte, zur Durchsetzung der Interessen der USA – oder was er dafür hält – Waffen einzusetzen. Möglicherweise auch Atomwaffen. Bleibt die alte Erkenntnis aus dem Kalten Krieg: Die Welt wird durch mehr und immer mehr Waffen nicht sicherer. Im Gegenteil.
Leserbriefe
Wilfried Lietzau aus Bremen:
„Man fühlt sich in die 80er Jahre zurückversetzt mit der Rhetorik des kalten Krieges und strategischen Überlegungen zur Beherrschung des Kontinents. Die wieder drohende Aufrüstungsspirale mit Mittelstreckenraketen in Europa und der Gefahr des Atomkriegs aus Versehen wegen der kurzen Vorwarnzeiten sind ein Albtraum. Wir meinten, diese Gefahr mit dem INF-Vertrag von 1987 überwunden zu haben, der jetzt gekündigt wurde. Wir brauchen diplomatische Abrüstungsbemühungen auf allen Seiten für ein friedliches Miteinander. Nur so wurde die Überwindung des kalten Krieges möglich.“
Susanne Roether aus Frankfurt:
„Dass wir es beim derzeitigen US-Präsidenten mit einem verantwortungslosen Größenwahnsinnigen zu tun haben, ist eigentlich Gemeingut zumindest in Westeuropa – auch wenn unsere Politiker kaum dezidierte Gegenpositionen wagen, sondern oft genug vor der überlegenen Wirtschafts- und Militärmacht USA kuschen.
Was jetzt passiert, ist ein unglaublich würdeloses Schauspiel des eilfertigen Nachplapperns von Trumps Behauptung, Russland verfüge über Mittelstreckenraketen mit einer Reichweite über 500 Kilometer. Den angebotenen Gegenbeweis Russlands wenigstens zu überprüfen, überstieg offensichtlich den Mut der europäischen Politiker, nachdem der Chefideologe der Nato, Stoltenberg, alle Verlautbarungen Trumps unterschrieben hatte. Besonders peinlich ist immer wieder das unterwürfige, sich als Forschheit gerierende Auftreten des Außenministers Maas.
Was wird nun geschehen? Statt endlich den längst vom Bundestag beschlossenen Abtransport der in Büchel gelagerten US-Atomwaffen durchzusetzen, wird unsere Regierung uns demnächst wohl die Lagerung zusätzlicher amerikanischer Atomwaffen zumuten. Deren Schutzwirkung ist nicht etwa Null, sondern negativ. Das Risiko, in einem letzten Inferno verbrannt zu werden, steigt mit jeder zusätzlich produzierten und stationierten Waffe.
Es gab mal Zeiten, in denen das sogar einigen später in Regierungsämter gelangten Linken wie Otto Schily deutlich bewusst war. Die Folgen für uns selbst müssen wir unserer eigenen Trägheit zuschreiben. Unseren Kindern gegenüber, deren Zukunft wir aufs Spiel setzen, gibt es keine Entschuldigung.“
Rolf Wekeck aus Kassel:
„Wenn von engagierten Bürgerinnen und Bürgern mehr Finanzmittel zur Verbesserung im Bildungsbereich, im Gesundheits- und Pflegewesen, der Infrastruktur, zur Bekämpfung der Alters- und Kinderarmut gefordert werden, sind die Regierenden knapp bei Kasse. Wenn es aber um Finanzforderungen aus dem Militärbereich geht, werden die Hacken zusammengeschlagen.
Schon die Erhöhung des Militärhaushaltes von 37 auf 43 Mrd. Euro ist völlig unbegründet und verantwortungslos. Zum einen können die Entscheider bei den Militärausgaben nicht mit Geld umgehen. Wie ist sonst zu erklären, dass die Bundeswehr trotz der Unsummen von Euro wegen erheblicher Mängel bei Material und Ausrüstung nur „bedingt einsatzbereit“ ist? Zum zweiten meinen die Regierenden, bei jedem neuen Feindbild aufrüsten zu müssen, und sind sehr schnell bei der Einteilung in „Gut“ und „Böse“.
Nicht nur die russischen Raketen sind „böse“, auch die amerikanischen. Nicht nur der russische Anteil am Krieg in der Ukraine ist „böse“, sondern auch das zerstörerische Wirken der USA in Venezuela. Es ist für die deutsche Politik höchste Zeit, zur Entspannungspolitik zurückzukehren. Dazu müssten die Regierenden sich an den Interessen der Menschen orientieren und sich dem Einfluss der „Kalten Krieger“ entziehen. Dieser Politikwechsel wird beschleunigt, wenn aus der passiven Frage „Warum schweigen die Lämmer?“ (Buchtitel von Rainer Mausfeld) die aktive Antwort „Wir wollen in Frieden leben“ wird!“
Otfried Schrot aus Ronnenberg:
„Der INF-Vertrag war das Herzstück nicht nur der europäischen, sondern auch der globalen Sicherheitsarchitektur.
Seine Kündigung öffnet das Tor zu einer Aufrüstungsspirale nie gekannten Ausmaßes und gefährdet damit die ganze Menschheit. Damit kann man diese politische Entscheidung als ein Verbrechen bezeichnen, dass in seinen Dimensionen dem Holocaust gleich kommt, denn Trump führt mit seiner Entscheidung die ganze Menschheit bis dicht vor die Schlachtbank eines globalen Vernichtungskrieges.
Trump hat erklärt, die Russen haben Schuld. Falsch, Donald Trump, denn Sie haben etwas Entscheidendes unterlassen. Da Sie in Ihrer weltbekannten Lesefaulheit wahrscheinlich noch keinen Vertrag gelesen haben, den die USA jemals mitunterzeichnet haben, haben Sie natürlich noch nie etwas vom Vertrag über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, dem OSZE – Vertrag, gehört.
Es wäre Ihre verdammte Pflicht und Schuldigkeit gewesen, vor der Kündigung des INF – Vertrages den derzeitigen Vorsitzenden der OSZE, den slowakischen Außenminister Miroslav Lajcak, anzurufen und ihn zu bitten, als Vermittler an der Spitze einer neutralen Untersuchungskommission zu klären, ob Ihr Vorwurf gegenüber Russland berechtigt ist oder nicht. Diese Unterlassung ist Ihr Verbrechen, Donald Trump – und nicht nur an den USA, sondern an der Welt! Sie müssen endlich einmal auf die Kriminalität Ihres dilettantischen politischen Handelns aufmerksam gemacht werden. Sie haben sich während Ihrer Amtszeit bereits mehrfach mit dem russischen Präsidenten Putin und mit dem chinesischen Präsidenten Xi Yinping getroffen. Weshalb haben Sie diese Begegnungen nicht dazu benützt, nicht nur eine Weichenstellung für den Erhalt des INF – Vertrages, sondern auch für eine Erweiterung des INF – Vertrags auf China zu erwirken? Reicht Ihre Intelligenz nur für das Golfspiel?
Empfehlung: Herr Präsident, Sie sind als „Comedian“ ein As, aber als Führer einer Weltmacht eine Niete. Treten Sie zurück und ziehen Sie sich als Holzfäller in den kanadischen Urwald zurück! Vom Holzhacken verstehen Sie mehr als von der Politik. Lassen Sie Ihr Smartphone im Weißen Haus zurück und belästigen Sie die Welt nicht länger mit Ihren albernen „Tweets“!“
Uwe Neumann aus Rodgau:
„Ich freue mich, dass Mitglieder des Verteidigungsausschusses so humorreich sind und die Russen auffordern, ihre Raketen so weit nach Osten zu verlegen, damit sie Europa nicht erreichen können. Das hat mich doch so amüsiert, daß ich gleich zur Tastatur greifen mußte. Soviel Humor hätte ich den Verteidigungspolitikern gar nicht zugetraut. Hut ab. Nur gut, daß Deutschland Atomwaffen mit ihren Tornados aufnehmen und abwerfen kann, sonst wäre ja das militärische Gleichgewicht völlig außer Kontrolle. Und die Raketenabwehrsysteme, die man natürlich auch als Angriffswaffen nutzen kann, der lieben Amerikaner in Europa sind natürlich nur zu Verteidigungszwecke aufgestellt, man ist ja ganz friedlich. Nur der böse, böse Russe (siehe 1941)
will Europa zerstören, weil er wirtschaftlich kalt gestellt wurde. Ich glaube, ich habe es hier mit Leuiten der Kinderkrippe kleinste Gruppe zu tun. Wie oft will man noch die Bürger verarschen? Hat man nicht die Hetzreden eines NATO-Generalssekretärs nicht gehört?“
Die von Bronski vorangestellte Analyse muss erst einmal verdaut werden. Wobei der Kernsatz offenbar lautet:
„Man muss Angst bekommen, denn unterm Strich steht die Erkenntnis, dass dieser Präsident den Gedanken sehr wohl erwägen dürfte, zur Durchsetzung der bilateralen Interessen der USA – oder was er dafür hält – Waffen einzusetzen.“
Es dürfte nützlich sein, sich die Grundbedingungen in Erinnerung zu rufen, die in den 80er Jahren zur Stationierung von Mittelstreckenraketen auf deutschem Boden und im Gegenzug zum Anwachsen der Friedensbewegung geführt hat.
Schon unter Jimmy Carter, vollends unter Reagan, setzte im Pentagon ab 1980 eine Abkehr von der MAD-Strategie des „Gleichgewichts des Schreckens“ zwischen USA und UdSSR ein: „Ziel der US-Planer war fortan, einen Nuklearkrieg gewinnen zu können.“ (Wikipedia: „Gleichgewicht des Schreckens“).
Dem diente der Aufbau eines Abwehrschirms gegen Interkontinentalraketen (SDI) einerseits, der Nato-Doppelbeschluss und die Stationierung von Mittelstreckenraketen in Europa andererseits.
Die Pentagon-Strategen wollten damit das Ungleichgewicht zwischen den USA und der UdSSR nutzen, indem die USA durch Mittelstrecken-Raketen aus der Sowjetunion nicht erreichbar waren, die wichtigsten sowjetischen Städte wie Moskau oder Leningrad (heute: Sankt Petersburg) von den in Europa stationierten US-Raketen (Pershings und Cruise Missils) aber doch.
Dies bedeutete, dass für die USA ein „begrenzter Atomkrieg“ führbar war, wenn dieser auf Europa (insbesondere Deutschland), einschließlich den westlichen Teil der Sowjetunion, verlagert wurde und den die USA überleben konnten.
Das Anwachsen der Friedensbewegung, insbesondere in Deutschland, ist in dem Zusammenhang zu sehen, dass damit die Wahrscheinlichkeit eines Atomkriegs erheblich gestiegen war. Das Zustandekommen des INF-Vertrages ist auf US-Seite im Zusammenhang mit Druck der Friedensbewegung zu sehen, aber auch, dass mit Ronald Reagan ein Präsident regierte, der NATO-Verpflichtungen noch ernst nahm. Auf sowjetischer Seite gab es einen unideologischen Generalsekretär Gorbatschow, der einerseits zur Erkenntnis gelangt war, dass die Sowjetunion den Rüstungswettlauf ökonomisch nicht überleben konnte, der zugleich auch die Verpflichtung zur Friedenssicherung ernst nahm.
Der Vergleich mit den zuletzt genannten Bedingungen der 80er Jahre ist geeignet, einem hinsichtlich der neuesten Entwicklung Angst und Schrecken einzujagen.
Anders als für Gorbatschow hat für einen Putin nicht die Friedenserhaltung oberste Priorität, sondern persönliche und nationale Machtabsicherung und -erweiterung. Und anders als einem Ronald Reagan ist einem unberechenbaren, skrupellosen Egomanen und Chauvinisten namens Trump sehr wohl zuzutrauen, zur Durchsetzung seines Wahns auch einen „begrenzten“ Atomkrieg zu führen.
Die pausenlosen Attacken gegen Nato und EU ergeben erst in diesem Zusammenhang einen Sinn: Es ist wohl davon auszugehen, dass Europa für einen solchen Psychopathen völlig gleichgültig ist.
Bronskis Analyse „Trump will die Nato-Verbündeten disziplinieren“ erscheint in diesem Zusammenhang eher verharmlosend. Man muss wohl im günstigsten Fall von „Erpressung“ sprechen.
Zumindest ist davon auszugehen, dass im Jahr 2019 ein Trump gegenüber einem Putin die deutlich größere Gefahr darstellt. Was für die EU wohl in die Planung ihrer Gegenmaßnahmen einfließen sollte.
Aber auch ein Putin wird sich fragen müssen, ob seine Destruktionspolitik gegenüber der EU wirklich so klug ist. Berücksichtigt man die eingangs gegebene Analyse, insbesondere das Ungleichgewicht der Bedingungen zwischen Russland und den USA, könnte ja die Situation eintreten, dass er diese EU noch brauchen wird.
Militärpolitisch und -strategisch fühle ich mich nicht kompetent. Aber ich habe die Analyse von Bronski aufmerksam gelesen und ich würde lügen, wenn mich das Rüstungsszenario nicht beunruhigen würde. Die Kräfteverhältnisse von USA, Russland und China werden deutlich. Die Militärstrategie der USA dürfte auch ziemlich unabhängig von einem Präsidenten Trump sein. Die „Nadelstich“-Theorie Russlands überzeugt mich. Und China scheint unaufhaltsam weiter an militärischer (nicht nur wirtschaftlicher) Macht zu gewinnen.
Europa wirkt dagegen eher hilflos. Trotzdem sollte es nicht die Linie der Weltmächte mitmachen (Immer mehr und immer mehr) und alles Mögliche in friedenspoltischer Richtung betreiben. Deshalb ist der Deutsch-Französische FReundschaftsvertrag ein wichtiger Baustein und m.E. nicht von Details abhängig. Es geht um das Grundsätzliche!
Oliver Meier, Abrüstungsexperte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik über neue Atomraketen und die Chancen der Nato, den INF-Vertrag zu retten.
„Also ein Rückschritt in die 60er Jahre?
Absolut, aber viel gefährlicher. Es gibt heute sehr viel mehr Atommächte. Es gibt heute politische Führungen, die wenig bis gar kein Verständnis für die Gefahren haben, die von Atomwaffen ausgehen. Und wir haben eine technologische Entwicklung, die es in den 60er und 70er Jahren noch nicht gab. Die gegenseitigen Verwundbarkeiten, etwa von Frühwarnsystemen, sind heute größer als damals. Wenn New Start auch noch scheitern sollte, dann hätten wir gar keine nuklearen Abrüstungsverträge mehr auf der Welt.“
(https://www.fr.de/politik/inf-vertrag-abruestungsexperte-oliver-meier-ueber-ausstieg-russland-11757989.html