Die EU-Regierungen versuchten fast verzweifelt, in der Euro-Krise das Heft des Handelns zurückzuerlangen. Wochenlang erschien die Politik als Getriebene der Finanzmärkte. Nachdem sie sich jahrelang dem Primat der Ökonomie gebeugt und alles dereguliert hatte, was dereguliert werden konnte, versucht sie nun, das Primat der Politik wieder durchzusetzen. Ein gigantischer Rettungsschirm mit einem Bürgschaftsvolumen von 750 Milliarden Euro wurde zum Schutz der EU-Gemeinschaftswährung aufgespannt. Deutschland leistet den kaum vorstellbaren Bürgschaftsbeitrag von knapp 150 Milliarden.
Warum wurde das nötig? Welche ursächlichen Fehler wurden im Lauf der Jahre gemacht? Und welche Schuld trifft die Bundesregierung selbst bei der Auslösung der Euro-Krise? Was muss jetzt getan werden? Reicht es, die Angriffe der Spekulanten einzudämmen, etwa mit Steuern auf Finanztransaktionen? Zeit für ein öffentliches Streitgespräch. Wir haben Professor Wilhelm Hankel eingeladen, den renommierten Wirtschaftswissenschaftler und Währungsspezialisten. Im Blogtalk kreuzt er bis zum 1. Juni die Klingen mit Robert von Heusinger, FR-Leitartikler und stellvertretender Chefredakteur der DuMont-Redaktionsgemeinschaft. Da beide vielfältige andere Verpflichtungen haben, wird die Geschwindigkeit des Blogtalks nicht allzu hoch sein – ich bitte daher die Leserinnen und Leser um Geduld.
Ausgangspunkt des Disputs ist der Leitartikel „Danke, Frau Merkel“ vom 29.4., in dem Robert von Heusinger die These aufstellte: „“Ein frühes Kanzlerinnen-Wort hätte doch gereicht: ‚Seien Sie beruhigt, zur Not helfen wir Griechenland!‘ Nun ist das Vertrauen zerstört. Und Merkel trägt Schuld an dem Flächenbrand.“
Achtung: Dieser Blogtalk gehört allein den beiden Teilnehmern. Diskussionsbeiträge von anderen Seiten sind an dieser Stelle nicht zugelassen! Die Argumente der Disputierenden können aber in einem Parallelthread geprüft und diskutiert werden – hier.
Lieber Herr v. Heusinger, Sie gehen in Ihren Stellungnahmen zum Thema: Müssen wir Griechenland und den Euro retten? davon aus, dass die EU in ihrer heutigen Form und die Euro-Währung in ihrem heutigen Umfang und mit ihrer gegenwärtigen Mitgliederzahl unveränderliche Größen, ja sogar Werte an sich seien: heilige Kühe, die man weder schlachten noch von der Wiese nehmen darf, wenn sie dort Schaden anrichten. EU wie Währungsunion sind jedoch Zweckeinrichtungen, die man immer wieder auf Kosten und Nutzen überprüfen muss, besonders dann wenn die Kosten überhandnehmen.
Genau das ist beim Euro der Fall und war auch vorauszusehen. Ich war nicht der einzige Ökonom, der darauf hinwies, und auch nicht der einzige Kläger vor dem Bundesverfassungsgericht gegen dieses im übrigen mehr als einmal in der langen Geldgeschichte widerlegte Währungsexperiment. Doch jetzt lernen unsere Politiker, was sie lange Zeit verdrängt haben und es mangels Krise auch konnten: Gegen ökonomische Gesetze lässt sich nicht regieren. Ja es ist verantwortungslos, das zu tun, denn die Zeche zahlen dann immer andere, nie sie selber. Die Pensionen und Renten der Damen und Herren (meist waren es wohl Herren), die Deutschland ins Euro-Debakel geführt haben, sind sicher, die der Angeführten leider nicht.
In der jetzigen Krise wird klar:
Erstens dass die „Sachzwangtheorie“: Europa wächst über die Währung zusammen, immer ein Irrtum und zudem gefährliches Spiel mit dem Feuer des nationalen Egoismus war und eben nicht die Solidarität unter den europäischen Völkern gefördert hat. Statt sich an die vereinbarten gemeinsamen Spielregeln zu halten (Stabi-Pakt, Vermeidung unverhältnismäßiger Budgetdefizite), missbrauchten einzelne Mitglieder der Währungsfamilie (keineswegs Griechenland allein) den Euro als Blankoscheck, um sich mit seiner Hilfe übermäßig zu verschulden. Der mit der neuen Währung verbundene niedrige Zins und die nicht mehr bestehende Gefahr der Währungsabwertung als Strafe für das Über-die-Verhältnisse-Leben verführte sie dazu.
Zweitens, dass die gegenwärtige Finanzkrise als Folge der fortschreitenden Überschuldung – als solche ein klares Indiz für Divergenz (also Desintegration) statt der erstrebten Konvergenz (oder Integration) der beteiligten Volkswirtschaften – früher oder später ausbrechen musste. Die Finanzmärkte (und ihre „bösen Spekulanten“) haben sie nicht ausgelöst, sondern angezeigt: Erstaunlich ist nur, dass sie solange gebraucht haben, den drohenden Bankrott dieser Staaten zu erkennen.
Die Krise ist also nicht vom Himmel gefallen, und die EU-Organe (Kommission wie EZB), die sie aufgrund ihrer eigenen Statistiken (Zahlen der Leistungsbilanz) als erste hätten registrieren konnn, haben statt einzuschreiten gewartet bis sie ausbrach.
Drittens: Doch jetzt, seit wir die Krise haben, sieht man deutlich, was sie die Euroländer kostet. Die Schuldenländer verlieren ihre Demokratie, ihr freiheitliches Sekbstbestimmungsrecht und große Teile ihrer Grund-, Menschen- und Sozial-rechte. Damit sie die mit der Hilfe verbundenen Auflagen erfüllen, werden sie unter das Kuratel von Fronvogten der EU und des IWF gestellt. Sie (nicht mehr die Parlamente!) bestimmen über die innere Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik. Und was für eine! Sie stürzt jetzt Griechenland in eine noch schwerere Krise als vorher. Und außerdem verwandelt sie die dem Land gewährten rückzahlbaren Kredite in verlorene Zuschüsse. Einem armen Land kann man so wenig wie einem nackten Mann in die Tasche greifen.
Die Hilfe gewährenden Länder (Deutschland zahlt am meisten) leisten Zahlungen, die
a) sinnlos, ja unverantwortlich sind, weil dieses Geld nicht den Menschen zugute kommt, sondern den geldgebenden Banken und Fi-nanzinstituten,
b)die Schuldenlast in den geldgebenden Staaten weiter erhöht und damit zu einer akuten Gefahr für die weitere Finanzierbarkeit der eigenen Haushalte und Sozialsysteme wird und
c) die geamte Euro-Zone in eine Dauerkrise à la 1930er Jahre stürzt, weil nun alle Euroländer zum Sparen gezwungen werden, und das in einer Situation, in der nur ein Weg Europa aus der Krise herausführen würde: wenn alle mehr investieren statt sparen würden!
Fazit: Der Euro verstärkt die Krise, statt sie zu bekämpfen, die Griechenland-Hilfe schadet dem Land, statt ihm zu helfen, und ruiniert zudem die Helfer; erst recht wenn weitere Griechenlands dazukommen.
Und die Rettung aus diesem Dilemma? Das katastrophale Krisenmanagement von EU und EZB gehört auf den Prüfstand und muss von Grund auf geändert werden. Es geht nicht um nutz- und sinnlose Kredite an vom Staatsbankrott bedrohte Euroländer,(Griechenland ist nicht das einzige), vulgo um eine kaum bezahlbare Konkursverschleppung. Im Privatrecht wäre sie strafbar. Im Recht der Staaten bedeutet sie Ent-Schuldung, und zwar zu Lasten jener Banken, die das Übel der krisenhaften Verschuldung finanziert haben. Warum fragt eigentlich niemand, wer die famosen „Rettungspläne“, wie sich Banken auf Kosten der Steuerzahler in den generösen Helferstaaten gesundstoßen, erfunden hat? War es die EU, waren es Staatskanzleieien und Finanzminister oder womöglich die zu rettenden Banken selber?
Es geht darum, den überschuldeten Ländern die Chance zur Selbsthilfe zu geben: Das verlangt ihren Austritt aus der Euro-Zone, der auf frewilliger Basis jederzeit möglich ist. Und es geht darum, den Bürgern der Euro-Zone ihren Euro als wertstabiles Geld zu erhalten, was nur in einer verschlankten Euro-Zone möglich und realistisch ist. Und es geht last but not least darum, unser eigenes Sozialsystem vor dem Kollaps zu bewahren.
Deshalb sollten Sie, lieber Herr v. Heusinger, über Reformen von EU und Währungsunion nachdenken, statt bedenkenlos für deren Erhalt und noch gefährlicheren Ausbau zu plädieren. Dieser europäische Leviathan kostet unsere Bürger demokratische Grund- und Menschenrechte, Millionen Arbeitsplätze und sichere Sozialrenten. Wollen Sie dafür hunderte von Milliarden Steuergelder zweckentfremden und sinnlos in den Sand setzen? Und das alles für einen Kult heiliger Kühen, die keine sind.
Lieber Professor Hankel,
das war ja schon mal ein starker Aufschlag. Da es sich um einen Blogtalk handelt, gestatten Sie mir, wenn ich mich peu à peu an Ihren Thesen entlang hangele. Die Währungsunion war von Anfang an mit der super-unabhängigen Zentralbank, die sich ihr Inflationsziel auch noch selber aussuchen durfte, sowie dem zweifelhaften Stabilitätspakt, falsch konstruiert. Da bin ich ganz bei Ihnen. Meine Hoffnung war und ist es immer noch, dass in der Krise, ja dass durch die Krise die ökonomische Einsicht reift und Euroland endlich eine vollwertige Wirtschafts- und Währungsunion wird, inklusive einer Fiskalunion, versteht sich. Denn wie Sie zu Recht anmerken, sind alle anderen, lockereren Währungsverbünde gescheitert. Also muss die Währungsunion endlich auf ein tragfähiges Fundament gesetzt werden.
Und wenn ich die Geschichte inklusive der Wirtschaftsgeschichte halbwegs verstanden habe, sind die Zusammenschlüsse zu Staaten und Nationen nie ganz euphorisch verlaufen. Warum sollte es jetzt anders sein?
Dass Sie den freien Wechselkursen das Wort reden, verstehe ich nicht. Was ist daran toll, dass der „freie Markt“ das Austauschverhältnis Euro/Dollar binnen zehn Jahren zwischen 0,82 und 1,60 Dollar je Euro schwanken lässt? Was bringt das der Realwirtschaft? Es füllt die Taschen der Banker, d’accord. Aber das scheinen ja auch nicht Ihre Freunde zu sein, wenn ich Ihren Text aufmerksam lese? Also für mich sind flexible Wechselkurse der schlechteste Zustand überhaupt, weil das kapitalistische System so gar nicht grundiert ist.
Kommen wir zum Wechselkurssystem EWS. Das mag als Mittelweg zwischen freien Kursen und der Währungsunion charmant sein, doch den Realitätstest hat es auch nicht bestanden. Erinnern Sie sich noch an 1992? Das war mein Erweckungserlebnis. Wie die Bundesbank damals mit ihrer panischen Inflationsangst nicht nur Europa in die Rezession gestoßen hat, weil sie die Zinsen auf über acht Prozent anhob. Sie hat den hiesigen Aufschwung unnötig brüsk abgewürgt und damit die Kosten der deutschen Einheit deutlich erhöht. Schlimmer noch, die Bundesbank hat es völlig ignoriert, dass England mit seinem auf dem Drei-Monats-Zins fußenden Immobilienmarkt die 8,5 Prozent nie und nimmer wird verkraften können. So kam es zur EWS-Krise, in deren Folge die D-Mark heftig aufwertete.
Von dieser Aufwertung, die die deutschen Lohnstückkosten logischerweise nach oben katapultierte, hat sich die Volkswirtschaft erst um das Jahr 2005 erholt. Ein verlorenes Jahrzehnt, dank einer völlig irrational handelnden Deutschen Bundesbank.
Deshalb sollten Sie die Kosten eines deutschen Alleinganges nicht zu niedrig ansetzen! Bei einem Blick auf die Taylor-Gleichung kann man feststellen, dass die EZB die Inflationsgefahren nicht ganz so hoch gewichtet wie es die Bundesbank getan hat. Also schon mal ein Fortschritt.
Soweit mein erster Einwurf: In welchem Währungsregime, das den Menschen, der Realwirtschaft, dient, wollen Sie denn leben, verehrter Herr Hankel?
Lieber Herr v. Heusinger, noch immer ist Angriff die beste Verteidigung. Sie fragen, was ich mir unter einem guten Geldsystem vorstelle. Theoretisch ist die Antwort leicht, politisch umsetzen lässt sie sich womöglich niemals, jedenfalls nicht zu 100 Prozent. Das ideale Geldsystem muss dem Bürger die korrekte Bewertung seiner Leistung (Einkommen, Vermögen) garantieren und der Gesellschaft ein Finanzierungsangebot machen, das es ihren hellen Köpfen ermöglicht, ihre Innovationsideen umzusetzen; mit anderen Worten: Es muss annähernd inflationsfrei sein und der jeweiligen Volkswirtschaft die Finanzierung ihrer Produktivitätspotentiale ermöglichen.
Die beiden Jahrhundertökonomen Schumpeter und Keynes stimmten darin überein, dass gleichwohl eine in Grenzen gehaltene Geldwertverschlechterung (sie begünstigt immer den Investor zu Lasten des Sparers) den gesellschaftlichen Fortschrittsprozess beschleunigt; denn wirklich stabile Preise gibt es immer nur in der Krise: wie zuletzt in den 1930er Jahren, nach dem Schwarzen Freitag – oder demnächst vielleicht wieder. Und sie stimmten auch darin überein, dass in diesem Prozess die Bankiers eine Schlüsselrolle spielen. Schumpeter nannte sie sogar die „Ephoren“ der Volkswirtschaft, Keynes beurteilte sie skeptischer; er kannte sie auch besser. Die Frage ist: ob sie dieser Rolle auch heute noch gerecht werden?
Das lässt sich nicht ohne Rückblick auf die Geldhistorie beantworten. Ursprünglich ging aller Geldfortschritt von den Staaten und ihren Münzmeistern aus. Diese lernten früh, wie man Geld „wirtschaftlich“ herstellt und aus knappen und teuren Geld-Rohstoffen (Gold, Silber) möglichst viel Endprodukte (Münzen) produziert. Bis Anbruch der Neuzeit war die „Münzverschlechterung“ (Fortschritt oder Betrug?) der eigentliche Motor des sozialen Fortschritts, denn er verbreiterte und verbilligte das Finanzierungsangebot. Diese Fortschritts- oder Betrugsfunktion ging mit Anbruch der Neuzeit auf die Bankwelt über. Man lernte dort mehr Geld auszuleihen als man hatte; denn nicht alle Einleger (Sparer) hoben ihr Geld gleichzeitig ab. Diese „Kreditschöpfung“ war ein glänzendes Geschäft; man hatte höhere Zinseinnahmen, aber auch der Gesellschaft bekam sie gut. Die Erfolgsgeschichte des modernen Industriekapitalismus lässt sich ohne diese Kreditinflation nicht schreiben.
Für die Einzelbank enthielt die Sache jedoch ein Liquiditäts-Risiko: das „banco rotto“, wenn es aufgrund zu hoher Kreditauszahlungen zu Bargeld-Problemen kam. Staaten wie Banken beschlossen, Abhilfen zu schaffen, nachdem sich solche Fälle häuften. Die Staaten richteten „Banken der Banken“ (Zentralbanken) ein, die in solchen Fällen mit Liquiditätshilfen bereit standen, die Banken organisierten ihre Selbsthilfe über einen Pool: den Geldmarkt, wo sie sich selber Kredite einräumen, vulgo anpumpen konnten. Daraus ist unser heutiges, zweistufiges Geldsystem mit seinen beiden Kreisläufen entstanden: dem Geldkreislauf zwischen Zentralbank, Geschäftsbanken und Geldmarkt und dem Kreditlauf zwischen Geschäftsbanken, Wirtschaft und Privathaushalte.
Und damit sind wir endlich bei der Gegenwart und der heutigen Finanzkrise angekommen. Dieses System hat leidlich, wenn auch niemals krisenlos funktioniert, solange der zweite (Kredit-)Kreislauf über den ersten (der Zentralbanken) kontrolliert werden konnte. Doch damit ist es seit der „Globalisierung“, genauer der Globalisierung der Banken-Geldmärkte vorbei. Die Banken und ihre Ableger (Fonds) konnten sich an den neuen exterritorialen Inter-Banken-Märkten sowohl von ihren alten Geld-Lieferanten: Sparern wie Zentralbanken wie auch ihren nationalen Aufsichts- und Kontrollämtern zu „befreien“. Auch die alten Kreditkunden (Investoren der Wirtschaft) brauchten sie nicht mehr. Geld nahmen sie bei ihresgleichen auf: im Inter-Bankenverkehr, und das aufgenommene Geld legten sie wiederum im Finanzsektor an: an Börse, Immobilienmärkten und dergleichen.
Kreditbanken verwandelten sich in Anlagehäuser (Investmentbanken), die Spitzeninstitute des Finanzsektors koppelten sich von der Realwirtschaft ab. Und das noch Bizzarere ist: Niemand nahm Anstoß daran. Dass die größte finanztechnische Innovation der neueren Geldgeschichte: die Trennung von Finanz- und Realsektor, von Sparer und Investor und allen Aufsichts- und Kontrollorganen, zugleich das Vorspiel zu weltweit größten Finanzkrise, um nicht zu sagen –katastrophe war, nahm (fast) niemand wahr, bevor sie ausbrach!
Dabei war alles „transparent“ gewesen: die Flucht der Banken in das unkontrollierbare Niemandsland gesetzloser Finanzoasen, die Aufblähung der globalen Inter-Bankenmärkte, die Blasenbildung an den Kapitalmärkten, die Renditenexplosion im Finanzsektor weit oberhalb realer Investitionsrenditen – und der bevorstehende Zusammenbruch der überdehnten Inter-Bankenmärkte, an denen die Schulden- und Geldbeschaffungstitel der Banken („Derivate“) gehandelt wurden. Seit diese Märkte (Herbst 2007 beginnend) zusammenbrachen, müssen Summen abgeschrieben werden, die die Eigenmittel weit überstiegen. Seitdem verlangen diese Banken, als ob es das Selbstverständlichste der Welt wäre, dass sie von Staat und Steuerzahler gerettet werden, denn sie seien ja doch „systemrelevant“ und „to big to fail“.
Lieber Herr v. Heusinger, Sie dürfen mir in Ihrem nächsten Beitrag verraten, was Sie von diesem Erpressungs-Argument halten. Offenbar teilen Sie es, denn Sie werfen ja „Mutti Merkel“ vor, dass sie im Falle der Euro-Banken solange gezögert habe, ihnen aus der Patsche zu helfen. Oder habe ich Sie falsch verstanden?
Und auf diese schlimmste und noch längst nicht ausgestandene aller Krisen setzen nun die Europäer ihre eigene, hausgemachte mit dem Euro drauf! Ausgerechnet mit jener Währung, die uns doch von den „bösen“ Amis und ihren Machenschaften schützen sollte. War das nicht der Slogan aller Euro-Freunde von der ersten Stunde an? Jetzt haben wir nicht eine Finanzkrise, sondern zwei: die globale der Banken und die innereuropäische der Club-Med-Staaten, die den Euro als Blankoscheck für ihr „Über- die-Verhältnisse-Leben“ missbraucht haben. Und wieder geht es (diesmal vor der Haustür) darum, Banken, die das Desaster ausgelöst haben, mit dem Geld des Steuerzahlers auszulösen – als ob es für dieses keine angemessenere Verwendung gäbe.
Lieber Herr v. Heusinger, ich breche an dieser Stelle ab. Wir müssen nicht alle Fragen in einem Blog klären. Wenn Sie wissen wollen, wie mein ideales Geldsystem aussieht, erkläre ich Ihnen das gerne das nächste Mal. Doch zuvor sollten wir unseren ratlosen Politikern noch sagen, wie sie beiden Krisen, die uns Bürger noch um Wohlstand, sichere Arbeitsplätze und Renten bringen können, besser lösen könnten als mit ihrem für uns teuren Kniefall vor den Banken.
Herzlichst Ihr Wilhelm Hankel
Lieber Professor Hankel,
da sind Sie aber ein wenig abgeschweift… Allerdings höchst interessant. Ich gebe Ihnen in fast allen Punkten Recht, nicht nur, weil sie mit unserer Debatte um den Euro wenig zu tun haben. Ich habe in der Krise – auch dank Ihnen – gelernt, dass das größte Problem die Privatisierung der Kreditvergabe ist. Der Staat hat die Kreditschöpfung nicht mehr kontrolliert – und die Banken konnten aus Wasser Wein machen, zu wunderbaren Alchemisten avancieren.
Seit wann das so ist? Sie schreiben, durch die Globalisierung des Geldgeschäftes hätten sich die Banken jeglicher Bremsen entziehen können. Ganz richtig. Seit dem Ende von Bretton Woods, dem Festwechselkurssystem, hat die Ideologie des freien Marktes ihren zweiten Siegeszug angetreten, oder gar ihren dritten? Wie auch immer man zählt: Auf jeden Fall herrschte der Glaube vor, je freier der Markt, desto besser das Ergebnis für die Volkswirtschaft als Ganzes. Also wurden Kapitalverkehrskontrollen abgebaut, erst für die langfristigen Kapitalströme, dann für die kurzfristigen. Etwas zeitversetzt meinte man, man müsse das Wettbewerbsprinzip auf den Banksektor anwenden. Die Zinsschranken für Ausleihungen und Einlagen, die den Banken feste Margen garantieren sollten, wurden ebenfalls aufgehoben. Welch Wunder, dass der Finanzsektor sein Heil in der Spekulation suchte und die unsinnigsten Kredite kreierte.
Das führte irgendwann zur Krise, die genau nach dem Muster von Hyman Minsky ablief, dem großen Spekulationstheoretiker und Postkeynesianer. Aber das nur nebenbei. Dann mussten die Banken gerettet werden. Sie werfen mir zurecht vor, dass ich im Camp der Bankenretter war und noch immer bin. Allerdings wollte ich die Banken erst verstaatlichen, mit dem Trick von Martin Hellwig, dann spalten in eine gute und schlechte Bank, dann so rekapitalisieren, dass sie ihren Zweck für die Realwirtschaft erfüllen. Und dann dafür sorgen, dass a) die Gehaltsstrukturen vernünftig gestaltet werden und b) die Zockerei unterbunden wird. Für mich sind Banken immer quasi-öffentliche Unternehmen. Es geht gar nicht anders. Deshalb gehören sie unter starken Staatseinfluss, zumindest aufsichtsrechtlich. Was hätten Sie tun wollen? Alle der Reihe nach pleite gehen lassen? Nicht Ihr Ernst, oder?
Also, klar ist, dass die Staaten, wollen sie den Primat über die Märkte zurück gewinnen, die Spekulation eindämmen müssen. Und dazu gehört an erste Stelle die Mutter aller Spekulation zu unterbinden, die Wechselkursspekulation. Womit wir wieder beim Thema sind, verehrter Herr Professor. Der Euro hat immerhin den Charme, dass es innerhalb Eurolands keine Wechselkursspekulation geben kann, dass die Realwirtschaft zum Zuge kommt.
Nochmal: In welchem Währungsregime wollten Sie am liebsten leben?
Lieber Herr v. Heusinger, background schadet nie.Wir und unsere Leser verstehen uns mit demselben besser als ohne ihn.
In puncto ideales Währungssystem wären wir beide uns längst einig, wenn Sie nicht immer nur die eine Seite der Münze sehen und als ungeheuren Vorzug anpreisen würden. Dummerweise hat die Münze zwei Seiten und im Fall des Euro-Systems sogar eine fatale dritte.
Jedes Fest-Kurs-System (so wie wir es im Goldstandard und im Bretton Woods-Akkord einst hatten)ist eine Rückversichung gegen hausgemachte Inflationen (der Währungssünder verliert Währungsreserven, riskiert den Staatsbankrott) und gegen „böse“ Spekulan-ten. Deren Spekulation lohnt sich nicht, denn die Kurse schwanken höchstens in der 3. oder 4. Stelle hinter dem Komma.
Doch was macht man, wenn die Inflation von außen kommt (über Kapitalzuflüsse „importiert“ wird), oder wenn zu Hause Arbeitslosigkeit droht und man das nationale Zinsniveau gegenüber dem inter-nationalen absenken muss? Weil Anfang der 1970er Jahre ersteres der Fall war,endete das Bretton Woodssystem, weil Ende der 1920er Jahre letzteres der Fall war,wurde der Goldstandard aufgegeben.
Der Staat, der seine Bürger vor Inflation und vor Arbeitslosigkeit schützen will, hat in solchen Situationen keine andere Wahl als mit dem Wechselkurs seiner Währung dagegen zu halten; der Wechselkurs ist ein wirtschaftspolitisches Instrument,auf dessen Einsatz er nicht verzichten kann! Diesen – wie Sie das offenbar anstreben – in einer Welt permanenter Veränderungen und unvoraussehbarer Überraschungen mehr oder minder mechanistisch festzuschreiben, bedeutet erstens den Verzicht auf ein effizientes wirtschaftspolitisches Instrument und stellt zweitens ein Risiko dar, das nicht einmal berechnen lässt. Wer weiß schon, was alles noch passieren kann?
Doch im Euro-System (innen eine Art „Goldstandard“,nur ohne Gold; nach außen wechselkursflexibel) ist die Lage viel vertrackter. Von innen droht Inflation und Schlimmeres, wogegen man sich wegen fester (Eins:zu Eins- Kurse)nicht wehren kann, besonders dann nicht, wenn die gemeinsame Zentralbank die Inflationskandidaten auch noch munitioniert (mit gleichen Zinsen wie für die stabilen Länder). Und von außen zeigen die „bösen“ Spekulanten wie Aasgeier gnadenlos auf, was und wer in der Euro-Zone zum Himmel stinkt! Jeder Tierschützer weiß, wie nützlich diese unsympathischen Tiere sind: Sie reinigen die Steppe und schützen andere Tiere vor der Infektion mit Leichen-gift. Und jeder Ökonom sollte wissen, dass diese Galgenvögel der Marktwirtschaft nicht Leichen schaffen, sondern helfen, sie zu beseitigen.
Die Crux der Euro-Zone ist, dass sie das Schlechteste aus beiden Welten kombiniert als innerer Goldstandard (mit festem Wechselkurs)keinen Sanktionsmechanismus gegen Währungssünder kennt: weder Reserveverlust noch Abwertungszwang. Also sündigen die Sünder tapfer weiter, bis den Zeche-Zahlern entweder der Kragen platzt oder das Geld ausgeht. Zugleich aber bietet das Euro-System als Flexi-Kurs-Standard der Post-Bretton-Woods-Ära allen schlauen (warum eigentlich bösen?) Spekulanten die Chance, die innere Schwäche des falschen Goldstandards nach Kräften auszunutzen.
Nein: Mein ideales Währungssystem ist dieser Wechselbalg aus hinkendem Fest-Kurs- und amputiertem Flexi-Kurssystem (das ein künstliches Risikogefälle zwischen innerem und äusserem Kapitalverkehr herstellt) nicht. Es wird es auch nie werden. Denn es nimmt dem Staat die Fürsorgefunktion für seine Bürger. Es lenkt die Kapitalsatröme in die falsche Richtung: aus Ländern hoher Produktivität (im Norden) und die mit niedrigerer (im Süden),wo für diese „Entwicklungshilfe höhere Inflationsgewinne winken, wie man aus der Zuwendung deutscher Exporte in (und Freude an)diesem europäischen Binnenmarkt ablesen kann. Vor allem aber, lieber Herr v. Heusin-ger, wäre denn gewonnen, wenn man mit Ihnen der Währungsunion eine Wirtschaftsregierung oder gar einenen vom Brüsseler Politbüro regierten Bundesstaat vor die Nase setzte? Aus monetären(über die EZB geleiteten) Transfers würden fiskalische aus dem Haushalt der Brüsseler Kommission – die Zeche wäre doch in beiden Fällen diesselbe und die für diese Hilfe aufzubringende Summe auch. Vielleicht sogar noch höher.
Ich kann beim besten Willen nicht sehen, dass ein europäischer Bundesstatt Europas Länder reicher, glücklicher und stabiler machen würde. (Das tut ohnehin kein Mega-Staat) Eher ärmer, besorgter und daher instabiler, was zwangsläufig geschehen wird,wenn Deutschland als Wohltäter erst verkümmert und dann ausfällt.
Wie immer: Ihr Wilhelm Hankel
Lieber Herr Hankel,
gut, jetzt haben Sie mir und uns verraten, warum Sie den Euro ganz schlecht finden, aber noch nicht, wie Ihr präferiertes Währungssystem aussehen sollte. Da kommen Sie bestimmt noch dazu. Ich möchte zwei Ihrer Ansichten attackieren: a) dass der Wechselkurs ein gutes Instrument der Wirtschaftspolitik ist und b) dass Deutschland die Zeche zahlt.
Zum Wechselkurs: Wenn der nominale Wechselkurs ein Politikinstrument sein soll, dann machen Sie sich für klassische beggar-thy-neighbour-Politik stark. Die eigene Nation soll zu Lasten der anderen Wettbewerbsvorteile erlangen, indem der Wechselkurs der eigenen Währung künstlich niedrig gehalten wird, oder von Zeit zu Zeit abgewertet wird. Na toll! Das ist nichts anderes als Foul spielen.
Ich habe lange nachgedacht, in welchem Fall ein flexibler Wechselkurs für ein Land überhaupt sinnvoll sein könnte – und bin bei Situationen hängen geblieben, wo Länder sich eines Regimes entledigen und versuchen sich in den Weltmarkt zu integrieren. Ich denke da an den ehemaligen Ostblock. Dort war es klug, dass sich diese Länder an die Weltmarktpreise und den dazugehörigen Produktivitäten mit Biegsamkeit, etwa einem crawling-peg-Regime, nähern. Ich weiß, dass Sie viele Entwicklungsländer bei der Währungspolitik beraten haben – vielleicht kommt Ihre Begeisterung für das Instrument aus dieser Ecke? Aber was flexible Wechselkurse zwischen hoch entwickelten und voll integrierten Staaten wie Deutschland, Frankreich, Italien sollen, erschließt sich mir nicht. Jut, Griechenland als Euro-Mitglied ist mit Sicherheit ein Grenzfall bei der Wirtschaftsstruktur. Aber das hätte man 2001 verhindern müssen. Jetzt ist es zu spät.
Sie haben Recht, dass feste, aber anpassbare Wechselkurse den Spielraum für die nationale Wirtschaftspolitik erhöhen. Aber so ein System funktioniert meiner Meinung nach nur, wenn ein Rat von Weisen die Anpassungen vornimmt und nicht brutale Realpolitik, wo sich der Stärkste durchsetzt.
Zum Zahlmeister Deutschland: Ich finde Ihre Argumentation schwer erträglich, weil sie suggeriert, Deutschland hätte seine Netto-Auslandsposition auch ohne den Euro so krass verbessert. Um rund eine Dreiviertel Billion Euro hat sich das Auslandsvermögen Deutschlands seit 1999, dem Start des Euro, alleine gegenüber den Mitgliedsstaaten der Währungsunion erhöht! Dass während dieser Zeit vor allem das Kapital die Gewinne des Euro in Deutschland eingesackt hat und nicht die Arbeit, wie Sie jetzt monieren könnten, ist richtig. Aber das liegt nicht am Euro, sondern an der hiesigen Wirtschaftspolitik und den schwachen Gewerkschaften. Und ich gehe sogar noch einen Schritt weiter: Deutschland hat spätestens ab 2005 grob Foul gespielt, weil weiter permanent seine Lohnstückkosten nach unten getrieben hat und damit nichts anderes gemacht hat, als sie es mit Ihrem Instrument Wechselkurs vorhaben.
Ich behaupte, dass wir die Euro-Krise nicht in dem Ausmaße hätten, wenn nur die Binnennachfrage in Deutschland stärker gewesen wäre. Ja, auch die Süd-Länder hätten mehr auf Lohnzurückhaltung achten müssen, aber wenn alle Lohnzurückhaltung üben, dann krachts auch zusammen.
Deshalb, verehrter Professor, bin ich mit Ihrer Argumentation ganz und gar nicht einverstanden. Die Währungsunion ist falsch konzipiert. Höchste Zeit, jetzt den Schritt in Richtung Fiskalunion vorzunehmen.
Herzlich,Ihr Robert Heusinger
Lieber Herr v.Heusinger, wenn ich Sie nicht so schätzen würde. würde ich jetzt aufstöhnen, wo bleibt Ihr volkswirtschaftlicher Sachverstand und wo Ihr soziales Gewissen? In einer Weltwirtschaft ohne Weltwährungsordnung (leider die unsre) schützt ein staatlich kontrollierbarer (nicht identisch mit einem allein von „bösen Spekulanten“ abhängiger) Wechselkurs
a) den Geldwert, bedroht von der („importierten“)Inflation Dritter (unser Problem in der Euro-Zone, doch davon später),
b) den Sozialstaat.
Mit der DM und ihrem nach oben tendierenden Wechselkurs hätten wir im letzten (Euro-)Jahrzehnt weder den Exportboom noch den fatalen Lohndruck bekommen. Ein sozialdemokratischer Bundeswirtschaftsminister namens Karl Schiller (ich habe ihm mit Freude als „Erfüllungsgehilfe“ gedient) hat damals vorexerziert, wie man über die Aufwertungspolitik die Währung stabil hält und die Massenkaufkraft (das Realeinkommen der Werktätigen) steigert und gleichzeitig ohne die mit der üblichen Stabilitätspolitik verbundene Zinseskalation den Binnenmarkt stärkt. Damals hatten wir, was uns heute fehlt: genügend Wachstum, ausreichende Beschäftigung, hohe Staatseinnahmen und jedes Geld zur Finanzierung unserer Sozialsysteme!
Und warum heute nicht? Weil wir über die („dank“ des Euro) festen, aber himmelschreiend falschen innereuropäischen Wechselkurse einen Vertrag zugunsten der Arbeitgeber geschlossen haben: Sie bekommen eine Exportprämie (keine Aufwertung, trotz der Inflation der Partner) und ein Argument gegen Lohnerhöhungen (Gefährdung der Arbeitsplätze,denn der Binnenmarkt bietet jetzt keinen Ausgleich mehr) in die Hand. Macht es Sie denn nicht stutzig, dass Sie (wie die meisten Ihrer Redaktionskollegen) ständig mit den falschen Bettgesellen das Lager teilen: Mit big business (und BDI) und der Hochfinanz, die sich gerade für ihr Euro-Desaster von staats- und steuerzahlerwegen sanieren lässt? Nur beide wissen, warum den Exportmarkt vor der Haustür, Lohndruck und Verstaatlichung ihrer faulen Kredite gut finden. Soll das gut sein für Europa? Zu Letzterem gleich noch mehr.
Sie fragen nach „meinem“ Währungssystem; hier die Antwort: Wenn schon feste Wechselkurse, dann nicht nominal stabile, sondern real stabile. Sie lassen jedem Land die Freiheit, seine eigene, den Bürger vor Inflation wie Arbeitslosigkeit schützende Politik zu verfolgen, die wahrhaft „autonome“!
Noch konsternierter bin ich über Ihre Vorstellung, man könnte über eine Fiskalunion der Europäer die jetzt sichtbar werdenden Schäden ihrer Währungsunion heilen. Das glauben nur Sie im Einvernehmen mit den Herren der verzockten Hochfinanz! Der deutschen, französischen und welcher auch immer. Wenn jetzt die Finanzmärkte mit ihren bösen Spekulanten-Buben für den Staatsbankrott der Währungssünder plädieren, schlagen sie den für alle Beteiligten – mit Ausnahme der Banken – billigsten (finanziell wie sozial) Ausweg aus der Krise vor. Der Staatsbankrott gibt den Schuldenstaaten die Möglichkeit, ihren Gläubigerbanken die Pistole auf die Brust zu setzen und haircut und Moratorium zu erzwingen. Und die Rettungs-Staaten könnten sich ihre Rettungs-Millarden sparen, denn mit Staatsbankrott und eigener Währung wären die Sünder raus aus dem Euro-Verbund und drin im Euro-Wartezimmer für bessere Zeiten: dem WKM II.
Ich verstehe nicht, warum diesen Weg des europäischen common sense so verteufeln. Eine Euro-Zone mit den Schuldenländer ruiniert alle, auch Deutschland und führt auf Dauer ganz Europa in den Sumpf der Massenarbeitslosigkeit bei gleichzeitigem Ruin der Staatsfinanzen!
Zum Schluss ein sehr persönlicher Rat: Lesen Sie am nächsten Wochenende einen alten ökonomischen Klassiker (also nicht mich) namens Böhm-Bawerk. Sein Essay: „Macht oder ökonomisches Gesetz“ aus dem Jahre 1914 hätte uns die heutige Krise und ihre Lektion erspart: die ökonomischen Gesetze setzen sich schon deswegen durch, weil auf „die Abstimmung mit dem Geldschein“ Verlass ist. Das hat sich jetzt gezeigt, und bei den Rettungschirmen (dem teuersten Geld-Rausschmiss in Friedenszeiten) wird es sich wieder bestätigen.
Und noch eine Bitte: Reden Sie nicht immer vom deutschen Export-Imperialismus in, gegen und über Europa. Seit 2000 liegen Deutschlasnds Exportzuwächse in der EU und am Weltmarkt gleichauf. Das sage nicht ich, sondern die IWF-Statistik.
Wie immer herzlichst Ihr Wilhelm Hankel
Lieber Herr Hankel,
drei Attacken auf die Schnelle, solang Sie mir noch wohlgesonnen sind, trotz meines schwindenden „Sachverstandes“.
Sie schreiben: „Mit der D-Mark und ihrem nach oben tendierenden Wechselkurses hätten wir in den vergangenen zehn Jahren weder Exportboom noch den fatalen Lohndruck bekommen.“ Hä? Wollen Sie behaupten, dass durch eine erfolgte Aufwertung in der ersten Hälfte der zehn Jahre der Lohndruck geringer gewesen wäre? Verstehe ich nicht. Oder hätte die D-Mark von Ihrer Zauberhand geleitet in den ersten fünf Jahren abgewertet und damit den Lohndruck gemildert und dann schön aufgewertet und den Exportboom vereitelt? Mensch Professor, Ihre Zauberhand über der D-Markt und alle Probleme sind gelöst.
Ihr ideales Währungssystem: Reale feste Wechselkurse: Das ist auch meines! Traumhaft. Dann kann kein Land ein anderes über kompetitive Abwertungen ausbeuten (genau das ist es ja, was Deutschland in der Währungsunion über die Lohnstückkosten tut und was Sie nicht wahr haben wollen, weil sie den anderen Schlamperei vorwerfen). Aber jetzt verraten Sie mir bitte, wie wir dahin kommen! Und ich bezweifele auch, ob die Nationalstaaten in diesem Regime so autonom wären wie sie es unterstellen. Denn durch die jederzeitige reale Anpassung des Wechselkurses dürften die übrigen realen Effekte durch die Geldillusion begrenz bleiben. Wenn ich allerdings die Wahl hätte zwischen zwei realistischeren Varianten: der Währungsunion oder den freien Wechselkursen, die aus ihrer Sicht manipulierbar sein sollten, ich entschiede mich eindeutig für die Währungsunion. Denn in letzter Instanz manipuliert der mächtigste Staat zu seinen Gunsten und setzt den Rest unter Druck.
Und last but not least: Wenn Sie in den begleitenden Kommentaren zu unserem Streit fragen: Was ist ihnen lieber: Heusingers Fiskalunion, die die Deutschen zu den Zahlmeistern macht, oder Hankels Auflösung der Währungsunkion, die am Ende, nach dem ersten Schreck, alle glücklich macht, dann frage ich Sie: Wie teuer wird der Austritt für Deutschland aus der Währungsunion? Bei einer Aufwertung von 30 bis 50 Prozent, je nach Überschießen der neuen D-Mark zahlen Millionen Deutsche mit ihrem Job, weil der Exportsektor implodiert. Zahlen Millionen Sparer und Kunden der Lebensversicherungen mit dem Verlust ihrer Altersvorsorge, zumindest mit dem ordentlichen Schrumpfen derselben. Denn die eine Billion Euro plus, die die Deutschen in Anleihen der übrigen Euroländer angelegt haben, sind dann eben nur noch 500 Milliarden Euro plus wert. Ein hübsches Sümmchen von 500 Milliarden Euro allein durch die Aufwertung der neuen D-Mark lösen sich in Luft auf. Da zahle ich doch lieber in der Fiskalunion jährlich ein paar Milliarden.
Wie immer ganz herzlich Ihr Robert Heusinger
Mein Lieber, Sie wissen natürlich längst, dass die Partie an mich geht und deswegen verzögern Sie ihr Ende: immer neue nicht zum Thema gehörige Finten und Seitenhiebe: Lohndruck und Aufwertung, feste reale Wechselkurse oder nicht, Kosten des Austritts aus der EWU.
Aber Sie sollen Ihre Antworten bekommen.
Bei Aufwertung öffnen sich die Lohnerhöhungsspielräume nominal wie real. Weil Stabilität importiert wird (über Billig-Importe, günstige terms of trade) kann man sich höhere Löhne leisten; das Argument, sowas gefährde Preisstabilität und Beschäftigung, zieht nicht mehr. Dazu kommt der Realeinkommenseffekt: man bekommt im In- wie Ausland mehr für sein Geld.Mein damaliger Boss Karl Schiller verkaufte seine DM-Aufwertungspolitik mit dem Slogan:Sie sei eine Sozialdividende für das deutsche Volk.Das war sie auch.Uns ging es niemals so gut wie damals, individuell und sozial Die Schere zwischen Kapital- und Arbeitseinkommen war nahez geschlossen.
Real fester Wechsekurs heißt: Man sichert seine Lohnerhöhungen durch Abwertung ab. Das haben vor dem Euro Italien, Frankreich u.a. ständig getan.Deutschland sicherte sich durch Aufwertung ab, nominale und reale Wechselkurse stimmten leidlich überein. Auf dieser Basis funktionierten alle innereuropäischen Vor-Euro-Systeme. EZU, EWA,Schlange im Tunnel, EWS oder wie immer sie hießen. Nur nicht die EWU mit ihren verkorksten Realkursen. Sie sind es, die Deutschlands Überschüsse und Griechenlands Defizite forcieren,die strukturelle Faktoren überlagern und verstärken.
Kosten des Austritts: Ahnen Sie was Beitritt und Zugehörigkeit zur EWU kosten? Es geht ja nicht nur um die ersten 22 + 147 Milliarden für Akt Eins der Fiskalunion. Der Kapitalabluss seit 10 Jahren in die Defizitländer, vorsichtig gerechnet eine Billion Euro und mehr, kostet Deutschland Jahr für Binneninvestionen, Arbeitsplätze, Infrastruktur,renommierte Inlandsadressen (Opel, Karstadt, Mittelstand), der Zinsvorsprung ist weg, die Konjunktur gespalten. Und das ist erst der Anfang. Wenn wir nach Griechenland die anderen Club-Meds sanieren dürfen – pardon ihre Gläubigerbanken – dann ist Deutschland ein Hochpreis-, Hochzins- und Hochsteuerland, nur eines nicht: ein Hochlohnland, sondern ein armes auf Club-Med-Niveau. (Vielleicht ist Köhler deswegen zurückgetreten, weil er das als deutscher Euro-Erfinder kommen sah!)
Daran gemessen ist der EWU-Austritt billig, geradez ein glänzendes Geschäft. Griechenland und die anderen Club-Meds können sich sanieren und ihre Bank-Gläubiger rasieren, Deutschland bekommt nach Abzug der Umsttellungskosten ein zweites Wirtschaftswunder: niedrigere Zinsen, Preise und Steuern, höhere Löhne. Unsere Landsleute könnten mit einem DM-Aufwertungs-Rabatt von 30 bis 40 Prozent an allen Mittelmeer- und Atlantik-Küsten Ferien machen. Warum, lieber Herr von Heusinger, gönnen Sie es ihnen nicht?
Ganz herzlich Ihr Wilhelm Hankel
Jetzt Kosten des
Lieber Herr Hankel,
Sie sind mir einer: Ein zweites Wirtschaftswunder, niedrigere Zinsen, Preise und Steuern sowie als Dreingabe höhere Löhne. Alles winkt den Deutschen, wenn sie nur den Euro verlassen. Ich lache mich schlapp. Wenn wir nur eine radikale Aufwertung der D-Mark neu bekommen, fängt dieses Land an zu blühen? Allmählich zweifele ich an ihrem Sachverstand, mein verehrter Herr Professor.
Haben Sie sich die jüngsten Arbeitsmarktdaten angeschaut? Können Sie mir bitte erklären, woher der Jobaufbau kommt? Trotz gemogelter Daten bleibt unterm Strich ein positiver Saldo. Das hat nur ein Land in der Eurozone geschafft. Der Rest erleidet eine weiter ansteigende Arbeitslosigkeit. Ich bin mir sicher, der gute Arbeitsmarkt geht auf den Euro zurück, auf die viel zu wettbewerbsfähigen deutschen Produkte, auf die beggar-thy-neigbour-Politik dieses Landes. Wenn es zu einem Auseinanderbrechen des Euro kommt, hilft das mit Sicherheit den Griechen und vielleicht den Spaniern. Die Deutschen aber werden am meisten leiden. Das Jobwunder ist dann sicher Geschichte! Auf diese Frage bitte eine Antwort, und nicht wieder ablenken. Bin nämlich auf Ihre Pirouette gespannt, was sie nun dem Euro unterschieben werden. Hätte die ganze Finanzkrise seit 2007 nicht gegeben, wenn es nicht den Euro gegeben hätte, oder?
Und dass Sie immer die Zeit des großen Schiller zitieren, verstehe ich ja. Doch es war nicht die Sozialdividende, die Aufwertung, die Deutschland damals goldene Zeiten beschert hat. Es war der gefesselte Kapitalverkehr weltweit. Nur Leistungsbilanztransaktionen durften damals ungehindert getätigt werden, aber keine Kapitalbilanztransaktionen. Damit war das Kapital verdammt, in die Realwirtschaft zu investieren. Das hat zu dem starken Wachstum und den hohen Löhnen geführt, weil es Vollbeschäftigung gab. Aber das war kein rein deutsches, sprich Schiller-Phänomen. Fast der gesamte Westen erlebte in den 50ern und 60ern das „goldene Zeitalter“, wie es die große Ökonomin Joan Robinson nannte. Sie aber tun hier so, als sei das Ihr Verdienst, oder Schillers. Nee, nee Professor, für dumm sollten Sie die Leser unseres Disputes nicht verkaufen. Außerdem habe ich überhaupt nicht das Gefühl, dass Sie vorne liegen. Doch das mögen die Leser entscheiden.
Deshalb zum Schluss die Frage, die nach vorne gerichtet ist. Wie soll es jetzt weiter gehen, wie Euroland raus aus der Krise? Aber erst bitte die Frage zum Arbeitsmarkt beantworten.
Bin gespannt und ab Sonntag wieder online.
Herzlich, Ihr Robert Heusinger
Lieber Herr v.Heusinger, es ist nicht leicht,gegen Ihre Unlogik zu argumentieren. Auf der einen Seite verteufeln Sie unseren teutonischen Exportfuror. Er erst habe die Griechen und andern Sonnengemüter in ihre jetzige Bredouille gebracht. Schuld ist unser deutsches Lohndumping. Auf der anderen Seite loben Sie den Euro, dem wir dies alles verdanken. Er erst habe unsere so griechisch-schön gefälschten Arbeitsmarktzahlen hervorgebracht.Verraten Sie bitte unseren Lesern, in welcher Währung die Griechen und anderen Mittelmeer-Anrainer über ihre Verhältnisse gelebt haben: in ihrer eigenen alten oder dem Euro? Und von welcher Währung in Deutschland Lohndruck, Konsumflaute, Angst um Arbeitsplätze, Ersparnisse und Renten ausgegangen sind: von unserer alten guten DM oder dem Euro?
Nur darum habe ich Karl Schiller und unsere leider im Eurowind verwehten goldenen Jahre erwähnt: Weil wir damals in der EU (und ihrem Vorläufer EWG)Währungen hatten, die in der Verantwortung ihrer Staaten (und deren Notenbanken) standen und nicht wie heute in der von einer (von anderen Staaten, EU und Bankenlobby) ferngesteuerten NGO. Ich spreche von der EZB. Wer früher gut mit dieser Verantwortung umging, hatte Wohlstand im Haus und konnte trozdem gut exportieren, wie wir. Damals war die die deutsche Exportwirtschaft nicht auf Lohndumping angewiesen, sondern verdiente an gesparten Sach-Kosten. Dank DM-Aufwertung importierte sie alles billiger:Rohstoffe, Energie, Vorleistungen. Wer mit seiner Währung unverantwortlich umging (unsere südlichen Europartner schon damals) musste abwerten, litt unter cost-push-Inflation und sozialen Spannungen, weil es mit dem häuslichen Wohlstand haperte.
Das alles hatte nichts oder nur wenig mit Kapitalunfreiheit oder -freiheit zu tun, sondern schlicht damit, dass jedes EU-Land für seine Währung, seine Politik und seinen Sozialstaat verantwortlich war und Bedrohungen vom bösen Kapital (so es solche gab) auch national abwehren konnte.
Das alles soll nun,verehrter Freund und Sparrings-Gegner,Vergangenheit sein? Nein es ist oder wird wieder unsere Zukunft werden. Denn das Euro-Projekt ist unwiderruflich gescheitert:ist tot, auch wenn der Totenschein dank der dank der unglaublichen und unverantwortlichen Reanimationsversuche unserer Regiertungen mit hunderten von Milliarden Steuergeldern erst später ausgestellt wird. Doch auf dem Grabeskranz wird stehen; Wir werden Dich nicht vermissen, weil Du uns so teuer warst!
Der über den Euro geräuschlos geschmierte Kapitaltransfer von Nord nach Süd hat die im Süden reicher, die im Norden ärmer, ablesbar an den Pro-Kopf-Einkommen der letzten Jahre. Doch jetzt ist die Party vorüber. Deutschland erzielt zwar immer noch Leistungsbilanzüberschüsse, die man abschöpfen kann. Aber die innere Verschuldung setzt unüberschreitbare Grenzen. Sie können keinem deutschen Steuerzahler und angehendem Renter klarmachen, warum er dafür zahlen und auf sauer verdiente Rentenansprüche verzichten soll, weil man im Süden unseres künstlichen Währungsgebietes über die Verhältnisse lebt und es auch weiterhin so halten will. Denn die Übernahme der Bankforderungen an diese Teile Europas durch den Staat (in erster Linie unseren) wird die Südländer der Eurozone nicht zu besseren Schuldnern machen. Das glauben ja nicht mal Sie – denn die Begleitbedingungen und Folgen unserer Hilfe sind ja so, dass sie das gar nicht können. Was wir geben, sind verlorene Zuschüsse, keine Kredite.
Die Zukunft des Euro ist sein baldiges Ende. Wir Kritiker der ersten Stunde haben jetzt dem Bundesverfassungsgericht zu Bedenken gegeben, dass es seine verdammte Pflicht ist, sicher zu stellen, dass der Rest-Staat Deutschland für die Arbeitsplätze und Sozialansprüche seiner Bürger aufkommen und einstehen kann. Das aber geht nur in einer Euro-Zone ohne unverantwortliche Schuldenmacher samt ihrer ebenso unverantwortlichen Erfüllungsgehilfen: jener Banken, die das Geld anliefern.
Deswegen brauchen wir in Europa eine verschlankte Euro-Zone unter Gleichen (und ohne Ungleiche) mit straffer Bankaufsicht oder – was mir lieber, weil sicherer erscheint – statt jeder Währungs- eine Wechselkursunion, in der man sich äusserstenfalls Währungsbeistand bei zu allzu großen Wechselkursausschlägen gewährt, wie in Europa goldenen Jahren vor dem Euro.
Lieber Herr v. Heusinger, Sie haben diese Zeiten (zumindest als Student) noch erlebt. Und Sie wissen längst.dass die Vereinigung Europas über eine Einheitswährung eine Reißbrett-Idee war mit von Ihnen und Ihren Freunden unterschätzten Kosten. Sagen Sie doch endlich den (leider wenigen) Leuten Dank, die von Anfang an versucht haben Sie und alle Deutschen vom Wohnen in diesem unbezahlbaren europäischen Wolkenkukucksheim abzubringen. Wenn wir jetzt nicht ausziehen, wird die Miete für Deutschland zum wirtschaftlichen und sozialen Selbstmord. Das sollten wir gemeinsam versuchen zu verhindern.
Herzlich, wenn auch voller Sorge Ihr Wilhelm Hankel
PS Übrigens: Der erste Mieter ist schon ausgezogen: unser Ex-Bundespräsident. Er hat uns in seinem früheren Job (als Chef-Unterhändler für den Maastricht-Verttrag) den Mietvertrag serviert.