Eine Meinung, ein Appell – und keine Debatte über Inhalte

Rolf Hochhuth schämt sich. Marcel Reich-Ranicki findet es ekelhaft. Raphael Gross nennt es einen Hassgesang. Die Medien treten es weitgehend unisono in die Tonne, auch die FR. Quell der Erregung: das Gedicht „Was gesagt werden muss“ von Günter Grass. Der Großdichter wird gar des Antisemitimus‘ verdächtigt, weil er, wie FR-Chefredakteur Uwe Vorkötter schreibt, ausgerechnet jenes Stereotyp verwende, „das ihm als antisemitisch geläufig sein muss: Man darf das ja eigentlich nicht sagen, aber jetzt muss es mal sein. So kennen, hören und lesen wir sie, die Rechten, Nationalen, verdrucksten Spießer, die aggressiven Glatzen. Und jetzt auch Grass.“

Grass ist umgetrieben von der Angst vor dem Krieg, der sich in Nahost immer deutlicher abzuzeichnen scheint. Israelische „Planspiele“, iranische Atomanlagen zu zerstören wie einst den irakischen Reaktor, sind seit längerem bekannt. Der Iran steht im Verdacht, Atombomben zu bauen. Die Bombe in Händen religiöser Fanatiker – das kann Israel natürlich nicht gefallen. Die ganze Nahost-Region muss sich vor diesem Szenario fürchten. Also wird die militärische Option eines Präventivschlags aus der Luft erwogen. Gar nicht so leicht, denn die Entfernung zu den Zielen ist groß, die israelischen Flugzeuge müssten in der Luft aufgetankt werden – und dazu braucht die israelische Streitmacht die Unterstützung ihrer US-Verbündeten. Die aber bremsen, sie fürchten die Risiken eines Krieges, der dann wohl unvermeidlich würde und in den sie hineingezogen würden.

Wie realistisch das Szenario ist, dass Iran wirklich die Bombe baut, kann letztlich niemand mit Gewissheit sagen. Die Geheimdienste, auf deren Erkenntnissen der Verdacht beruht, haben Vertrauen verspielt, seit sie tatkräftig daran mitwirkten, den Irakkrieg des George W. Bush herbeizureden. Doch wie realistisch ist überhaupt unsere (westliche) Sicht auf den Iran, in der ein Maulheld und Präsident namens Ahmadinedschad eine so große Rolle spielt? FR-Autor Karl Grobe lieferte kürzlich Einblicke ins Innere des iranischen Regimes, die seine Zerrissenheit nicht nur erahnen lassen. Ein Militärschlag würde das gespaltene Land nur hinter Ahmadinedschad vereinen. Realistisch ist es jedenfalls anzunehmen, dass Israel Atomwaffen besitzt – als einziger Staat in Nahost. Zur Abschreckung, so darf angenommen werden. Eingesetzt hat Israel sie jedenfalls nicht. Noch nicht?

Die Angst vor einem solchen Krieg muss uns alle umtreiben. Günter Grass hat ein Gedicht geschrieben, dass bei den FR-Leserinnen und -Lesern überwiegend gut angekommen ist; er hat einen Nerv getroffen. Ich habe in kürzester Zeit fast zweihundert Zuschriften erhalten. Das hat es lange nicht mehr gegeben. Es ist unmöglich, alle Zuschriften zu veröffentlichen, aber einige sollen hier folgen. Nehmen Sie sich Zeit dafür!

Achim Wolf aus Mannheim:

„Günter Grass weist auf die von Israels Atommacht ausgehende Gefahr hin, ohne dabei die Bedrohung durch den Iran zu verharmlosen. Er mag dabei ein deutsches Tabu brechen, das sich Deutschlands Politiker aus Angst und falscher Hörigkeit selbst auferlegt haben, weil es politisch unkorrekt sei, Israels Führung zu kristisieren, koste es was es wolle. Grass wünscht von den Verantwortlichen in Israel und im Iran den endgültigen Verzicht auf gegenseitige Gewalt, um eine Eskalation zu verhindern, daran ist nichts falsch. Alle, die Grass jetzt zum Hassprediger abstempeln wollen, haben das sogenannte Gedicht entweder nicht gelesen oder sie können bzw. wollen die von ihm benannten Tatsachen der Wirklichkeit nicht neutral sehen und bewerten.“

Roland Klose aus Bad Fredeburg:

„Günter Grass spielt wieder einmal auf seiner „Blechtrommel“ den unbequemen Mahner, Warner und Provokateur. Diesmal ist Israel dran. „Israel gefährde den Weltfrieden“, behauptet Grass im Stile eines göbbelschen Aufklärers für Volkspropaganda. Sein Gedicht, „Was gesagt werden muss“, offenbart in Form einer Hetz- und Anklageschrift die antisemitischen Gedanken eines verwirrten alten Mannes, der als Mann der Waffen-SS den Untergang Deutschlands hautnah miterlebte. Grass macht sich darin zum Handlanger von Irans Mahmud Ahmadinedschad, der Israel das Existenzrecht abspricht und akut bedroht. Grass verwechselt einfach Ross und Reiter im Nahostkonflikt. Iran ist der Aggressor und die eigentliche Gefahr für den Weltfrieden. Mit seinem besagten Gedicht hat sich Grass daher selber vom Literaturnobelpreisträger zum „Thilo Sarrazin der Literatur“ degradiert und disqualifiziert. Und das im Land der Dichter und Denker.“

Hartmut Wolf aus Hofheim

„Die völlig einseitige Berichterstattung und Meinungsverbreitung der FR zu Grass´ Gedicht ist nicht akzeptabel. Es werden fast ausschließlich Kommentare von jüdischen, israelischen Personen und Organisationen bzw. ihnen Nahestehender veröffentlicht. Diese einseitige Meinungsmache gegen Grass, dieser ständige Kotau vor jüdischen Befindlichkeiten, die selbst wiederum keine Sensibilität für arabische, palästinensische Befindlichkeiten haben, ist nicht hinnehmbar. Ich erwarte von meiner Zeitung eine ausgewogene Berichterstattung, die hier bewusst vermieden wird. Gehen Sie mal in die Online-Foren verschiedener Medien. Da werden Sie ein völlig anderes Bild der Meinung in der Bevölkerung feststellen. Ein neutraler Betrachter kann aufgrund simpler Fakten an Grass´ Gedicht nichts Falsches finden.“

Kurt Skrdlant aus Frankfurt:

„Danke Günter Grass!
Das ist alles, was ich schreiben möchte. Aber leider ist es notwendig sich zu rechtfertigen, wenn man die Politk des Staates Israel kritisiert. Nun denn: ich habe über 30 Jahre Schüler im Fach Politik unterrichtet. Ich war mit Ihnen in Dachau und Buchenwald. Ich habe die erschütternden Verbrechen der Deutschen an den Juden in vielen Klassen wochenlang thematisiert. Aber ich finde es unglaublich, daß verantwortliche Politiker und Militärs in Israel ganz ungeniert über einen Erstschlag gegen den Iran debattieren. Wo bleibt da der Aufschrei in der ganzen Welt? Ahmadinedschad und seine Politik erscheinen mir sehr suspekt. Aber kürzlich ging eine Meldung durch die Presse, daß die beiden großen US-Nachrichtendienste keinen Beleg dafür haben, daß der Iran Atomwaffen anstrebt. Will man aufgrund von Vermutungen einen Angriffskrieg rechtfertigen, der die ganze Region in Brand setzen kann? Ich erinnere an die „Begründungen“ für den Einmarsch der USA in den Irak. Alle haben sich im nachhinein als falsch erwiesen.
Deshalb Danke, Günter Grass!“

Götz Hütt aus Duderstadt:

„Der Iran stellt potentiell in Zukunft eine ernsthafte Bedrohung der Existenz Israels dar. Das ist selbstverständlich inakzeptabel. Offensichtlich mehr der Gegenwart nahe stellt Israel mit seinem bereits vorhandenen Atompotential eine Bedrohung der Existenz des Iran dar – auch mit deutscher Waffenlieferungshilfe. Das ist ebenfalls inakzeptabel. Auf das Letztere hat Günter Grass betont hingewiesen. Das muss in der Tat auch gesagt werden. Eine Gesamtlösung des Konflikts im Nahen Osten ist mehr als dringend und erfordert den Einsatz aller Kräfte und vieler Ressourcen, um den Frieden für alle als lohnendes Ziel erkennbar werden zu lassen. Kriegerische Gewalt ist kein zulässiger und geeigneter Weg zu diesem Ziel.“

Ute Plass aus Worms:

„Schade, dass die Redaktion der FR nichts besseres zu tun hat, als die künstliche Empörung über ein Grass-Gedicht mit voranzutreiben. Ob seines Inhaltes kann mannfrau geteilter Meinung sein und ist es ja auch, wie wir hier und andernorts vernehmen können. Was aufhorchen lässt, sind die dabei angeschlagenen Töne, die wenig von der Sorge um Israel und seine Menschen getrieben scheinen, dafür umso mehr von “deutschen Befindlichkeiten”. Wenn all diesen Empörten das Schicksal des Staates Israel und seiner Menschen wirklich am Herzen liegt, dann bedarf es nicht einer geschürten Aufgeregtheit, sondern eines Appells an unsere Bundesregierung , alles zu unternehmen, was den gefährlichen Iran-Nahost-Konflikt mit beruhigen hilft.
Dazu sagt der Publizist u. Nahost-Kenner Michael Lüders: “Wenn sich Deutschland mit Israel solidarisch zeigen möchte, wäre die Bundesregierung gut beraten, den Israelis diesen Krieg auszureden, der in jeder Hinsicht der helle Wahnsinn ist. Sowohl US-amerikanische als auch israelische Geheimdienstler und führende Militärs warnen vor den Folgen eines Angriffs auf den Iran. Vor diesem Hintergrund wäre es geradezu aberwitzig, wenn sich Deutschland auf diesen Krieg einlassen würde.”
Die FR-Redaktion sollte, anstatt mit aufgeheizten Stimmungen Schlagzeilen zu machen, ebenfalls ihren Beitrag zur (verbalen ) Deeskalation und Abrüstung beitragen.“

Friedrich Grimm aus Weinsberg:

„Habe mir soeben das Gedicht von G. Grass in der Süddeutschen in aller Ruhe durchgelesen. Und jetzt verstehe ich die zum Teil verletzenden Angriffe auf den Autor überhaupt nicht mehr. Betreibt denn Israel nicht eine unsägliche Siedlungspolitik? Wer kontrolliert die verdeckte Atommacht Israel? Hat nicht Netanjahu, bei seinem Besuch in den USA , versucht Obama in Sachen Angriffskrieg gegen den Iran regelrecht zu erpressen? Wer all dies negiert, der ist nicht ehrlich; ja nicht einmal zu sich selbst.“

Anton Chigurh aus Schermbeck:

„Man kann Günter Grass für diesen Beitrag gar nicht genug danken. Es ist ein wahrer Erdrutsch mit diesem Gedicht ausgelöst worden und er hat erreicht, was er erreichen wollte: NIEMAND kann später sagen „Wir haben nichts gewusst!“. Es ist ein mutiger, tapferer Schritt, diese Wahrheit endlich einmal auszusprechen und ich finde die von Grass angesprochene Heuchelei hassenswert. Er habe sich „vergaloppiert“ heißt es. Broder nennt ihn „nicht ganz dicht“ – was Broder ja zu jedem sagt, der Kritik an Israel übt. Grass hat sich mitnichten vergaloppiert: er hat endlich die Wahrheit ausgesprochen. Was daran „antisemitisch“ sein soll, wenn er die Banditen Netanjahu und Liebermann als Kriegstreiber entlarvt, verschließt sich mir vollends – denn nichts anderes sind sie, und das haben sie in den vergangenen Jahren mehrfach bewiesen. Der Westen schweigt größtenteils dazu, höchstwahrscheinlich aus historischen Gründen und weil sich auf irgendeine Weise fast jede Nation am jüdischen Volk die Finger schmutzig machte. Er nennt den iranischen Präsidenten einen Maulhelden, und es ist die Eigenschaft von Maulhelden, große Reden zu schwingen, aber keine Taten folgen zu lassen. Auch ich sehe nicht den geringsten Grund für eine völkerrechtliche Bevorzugung Israels in puncto Atomwaffen. Ganz im Gegenteil sogar: im Falle Israels ist die Existenz von A-Waffen bekannt und Israel bedroht ganz offen und unverblümt seine Nachbarn. Wo bitteschön bleibt da die Empörung ? Wenn ultrarechte Kriegstreiber wie der israelische Ministerpräsident und sein Außenminister die Finger an den roten Knöpfen haben, ist DAS eine Bedrohung des Weltfriedens – nicht das dumme Gefasel eines im Iran bereits auf der Abschussliste stehenden Großmaules. Grass hat auf genau das hingewiesen und weiter nichts. Wir sollten dankbar sein für einen, der sich dem „politisch korrekten“ Mainstream kritisch entgegenstellt.“

Werner Steinfeld aus Frankfurt:

„Welch unerträgliche Heuchelei und Selbstdisqualifizierung eines Literatur-Nobelpreisträgers, in seinem als Gedicht getarnten aggressiven Machwerk auf unterstem Stammtischniveau nebenbei noch seine „Verbundenheit mit Israel“ zu beteuern! Und welch groteske Verdrehung der Realität: Die Sorge, Israel könne „das iranische Volk auslöschen“ – während doch gerade die Vernichtung Israels seit jeher das erklärte Ziel des Iran, militanter Palästinenser und anderer von Grass nicht als gefährlich eingestufter Staaten ist! Wird der Iran von einem „Maulhelden“ regiert (welch groteske Beschönigung!), oder von einem skrupellosen Diktator, Fanatiker und Kriegstreiber, der genau die von Grass als Lösung verordneten „internationalen Kontrollen“ verhöhnt? Werden sich haßerfüllte Islamisten, die fast täglich Raketen auf Israel abfeuern, von Grass zu friedlichen (?) deutschen Gutmenschen umerziehen lassen? Es ist schäbig, anmaßend und unmoralisch, aus der Sicherheit der übersättigten Deutschlands ein fernes „vom Wahn okkupiertes“ Land zu diffamieren, das seit seiner Gründung ums nackte Überleben kämpft. Grass hätte sich seine „letzte Tinte“ (noch eine narzistische Anmaßung) besser für die Kritik an den vielen Diktaturen und Unrechtsstaaten dieser Welt aufsparen sollen, anstatt in realitätsverdrehender unsäglicher deutscher Tradition die Juden zum Sündenbock zu erklären.“

Gerd Keil aus Hatten:

„Wer mit militärischen Interventionen droht, muß sich auch Kritik gefallen lassen. Günther Grass drückt aus, was viele Menschen in Deutschland befürchten.“

Detlef Geisendörfer aus Schlangenbad:

„Sehr geehrter Herr Vorkötter,
Ihr prononcierter Artikel fordert Widerspruch. Ein Dichter wählt sein Medium – so wie Sie das Ihre in der FR und ich die Leserbriefe – wenn sie dann gedruckt werden. Daraus kann kein Vorwurf entstehen. Und wenn er sich äußert? In seinem Belieben!
Nehmen wir alle Worthelden‚ also Sie, Grass, sowie den „Maulhelden‘ und Netanjahu und andere ‚wörtlich‘: Wie kommt es, dass selbst ich als Ziviler mit meiner Frau diskutiere, warum Israel in seiner empfunden Notlage nicht zum ‚Erstschlag‘ ausholt – mit oder ohne Atombombe? Wir alle kennen die Antwort, denn seit Jahrzehnten leben wir mit dem Paradox ‚Wer zu erst schießt stirbt als zweiter‘. Darauf bezogen ist die Idee von Grass zu einer internationalen Kontrollinstanz der Atomwaffen beider Länder doch wohl nicht so unsinnig, oder?
Israel hat die Diskussion vom Erstschlag maßgeblich angestoßen und auch öffentlich gemacht. Wir erleben dabei mit Erstaunen, wie der Regierungschef versucht, den Präsidenten der Vereinigten Staaten in unterstützende ‚Geiselhaft‘ zu nehmen – unter Verweis und mit der lauten Zustimmung der jüdischen Wähler in den USA.
Zur Heuchelei des Westens – halten Sie den geplanten Raketenschirm der NATO vorgeblich gegenüber dem Iran für notwendig? Oder zur U-Boot-Lieferung – handelt die deutsche Politik fahrlässig oder bewusst? Soll das hilfreich sein, für was?
Jeder kann die prekäre Lage im Nahen Osten kennen. Alle Gruppierungen der ‚….iten‘, der Palästinenser und, und …… auch der Israelis (Juden und israelische Palästinenser) verhalten sich gegeneinander wie Feinde ihrer selbst, wahllos auch gegen Unbeteiligte. Ist die Furcht vor einem Krieg nicht begründet mit unkalkulierbaren Folgen? Israel kann sehr vernünftig urteilen wie auch das Gespräch mit Avi Primor zeigt – wir erwarten das! Warum dann der Schmäh über einen Besorgten? Auf seine Art ! Mir gefällt die Herausforderung !
Ihre journalistische Einsicht und die Empfindsamkeit von Grass muss nicht zusammen passen. Moralischen Anspruch hat beides gleichermaßen.
Mit freundlicher Anerkennung“

Sven Kühne aus Büttelborn:

„Also ich bin weiß Gott kein „Grass-Fan“, aber dennoch ziehe ich meinen Hut vor ihm, der es als „öffentlicher“ Mensch gewagt hat, etwas gegen die israelische Aussenpolitik zu schreiben, welche , wenn man einfach objektiv und nicht um jeden Preis politisch korrekt sein will, zum Himmel schreit! Wie oft hat die israelische Regierung schon ihr Wort gebrochen und illegale Siedlungen toleriert oder nicht verhindert? Ob Israel vor seinen Nachbarn geschützt werden muß, oder auch umgekehrt ein paar Schuh ‚draus wird, sollte ohne Angst vor Antisemitismusvorwürfen diskutiert werden dürfen! Selbst jüdische Arbeitskollegen von mir sind mit der israelischen Politik sehr unzufrieden und sprechen der israelischen Regierung einen großen Teil Schuld für die derzeitige Sizuation zu, und die dürfen das wenigstens sagen…“

Wolfgang Petzsch aus Augsburg:

„Es ist schon merkwuerdig: Grass hat die extrem fragwuerdige Praxis, Waffen in Krisengebiete zu liefern, angesprochen. Darueber wird gar nicht geredet. Warum? Jahrzehntelang war es gute Praxis, dass deutsche Waffen nur in stabile Regionen exportiert werden. Sowohl in diesem Fall als auch bei den Dauerexporten nach Griechenland kann davon wohl keine Rede sein. Anstatt mit der Antisemitismus-Keule nach Grass zu schlagen, was die echten Antisemiten nur aus dem Blick geraten laesst, sollten wir uns endlich mit der lange schon fragwuerdigen Praxis der Waffenexporte befassen. Fuer den Hinweis darauf verdient Grass grossen Respekt.“

Pablo Schoenberger aus Sarpsborg, Norwegen:

„Herr Grass hat mit dem Verschweigen seiner Vergangenheit, sich und Deutschland keinen Baerendienst erwiesen. So tolle Buecher und Gedichte zu schreiben und dabei mit dem Finger auf andere zeigen, ist alles andere als ehrenvoll. Ein Mensch wie Grass, der den Literaturnobelpreis erhalten hat und unzaehlige nationale und internationale Auszeichnungen dazu, dieser Mensch muesste verstehen, dass die Vergangenheit einstaendiger Begleiter des Lebens ist. Ich bin kein Kind der ersten, zweiten oder dritten Generation nach dem zeiten Weltkrieg. Auch hat meine Generation nichts mit der Ermordung von millionen von Juden zu tun. Meine Generation ist zu sehr damit beschaeftigt sich ueber das Internett an der Weltpolitik begrenzt teilzunehmen. Die meisten meiner Generation sind dieser Geschichte leid. Wir wollen LEBEN und unsere Meinung sagen. Auch als DEUTSCHE!!!! Herr Grass hat aus meiner Sicht ein hervorragendes Gedicht geschrieben. Es ist deutlich und doch vielsagend. Das hier trotzdem die Israelis wie wilde Stiere sich auffuehren, zeigt einfach, dass in diesem Land das Bewusstsein fuer das neue Deutschland noch lange nicht angekommen ist. 98 % der Deutschen sind keine NAZIS!!! Leider gibt es immer gestrige. Doch Deutschland wehrt sich erfolgreich dagegen. Die Bevoelkerung und die Politik will nicht mehr mit der Vergangenheit verglichen werden. Wir vergessen diese nicht, doch Israel vergisst gerne, wieviel Leid es ueber seine Nachbarn gebracht hat und immer noch bringt. Ist es verboten gier darauf hinzuweisen?? Die Politiker, die sich scheinheilig gegen dieses Gedicht stellen, stellen sich gegen einen grossen Deutschen, der mit der Vergangenheit aufgeraeumt hat. Herr Grass, vielen Dank fuer Ihr Gedicht!!! Es hat die Leute bewegt zumindestens darueber zu reden.“

Sigurd Schmidt aus Bad Homburg:

„Schweigen deutsche Literaten und Intellektuelle zur aktuellen Weltpolitik werden sie rasch der „Drückebergerei‘“ bezichtigt. Mischen sie sich aber dennoch ein, wie es jetzt Günter Grass in Sachen Nahst-Konflikt gemacht hat, ist es auch nicht recht und schnell wird der Vorwurf mangelnden Realitätssinnes erhoben. Es sollte nicht vergessen werden, daß aus der israelischen Opposition gerade in jüngster Zeit die Forderung an die deutsche Öffentlichkeit erhoben wurde, zur Siedlungs- und Besatzungspolitik Israels Stellung zu beziehen. Daß jeder geschichtsbewußte Deutsche das Existenzrecht Israels nur umfänglich anerkennen muß, steht außer Frage und wird auch nicht ernsthaft von Günter Grass bezweifelt. Kontrovers wird aber auch in Deutschand – wie in Israel – diskutiert, in wieweit Israel präemptiv agieren darf? Man kann die Diskussion dieser überaus heiklen Frage nicht unterdrücken wollen, wie dies von interessierter Seite gefordert wird.“

Christine Dreier aus Frankfurt:

„Zum Gedicht von Günter Grass: Ministerpräsident Netanjahu äußerte sich im März 2012 bei seinem Besuch in den USA eindeutig zu einem Angriff auf den Iran. Das war eine klare, eindeutige Drohung und löste in den Medien große Reaktionen aus. Auch in Israel wurde das Thema ernsthaft diskutiert. Weshalb darf ein Schriftsteller wie Günter Grass, der wahrlich kein Antisemit ist, kein Gedicht schreiben, um seine Stimme gegen einen wahnsinnigen Krieg zu erheben und zu warnen? Diejenigen, die sich jetzt über Form und Inhalt aufregen, hätten nach einem Atom-Erstschlag Israels, der den Krisenherd im Nahen Osten weiter eskalierte, beklagt, dass niemand gewarnt habe. Was ist falsch daran zu benennen, dass die deutsche Regierung mit der Genehmigung von U-Boot-Lieferungen an Israels ebenfalls an Vorbereitungen beteiligt ist. Ich unterschätze nicht die gefährliche Haltung der Regierung und der Mächtigen des Iran und verurteile sie. Denn eine Lösung kann es nur auf dem Verhandlungswege niemals auf den Schlachtfeldern geben. Gemeinsame Projekte, Abbau von Vor-Urteilen und Machtansprüchen sind und bleiben der einzig vernünftige Weg.“

Werner Dörr aus Polch:

„Warum erregt sich die Presse und die Politik über Günter Grass und nicht über die Thematik, auf die er aufmerksam macht? Warum wird ihm vorgeworfen, was er alles nicht gesagt habe, anstatt sich mit dem zu befassen was er gesagt hat? Weil Herr Grass hier drei Tabus gebrochen hat: Er hat Israel kritisiert, er hat über die israelischen Atomwaffen öffentlich gesprochen, und er hat die deutsche Waffenexportpolitik angeprangert. Unanangenehme Botschaften sind das: Israel, ein Staat, der in seiner Außenpolitik alttestamentarische Vergeltung auszuüben pflegt, verfügt über (ein Tabubruch, das so zu sagen?) „Massenvernichtungswaffen“ und Deutschland liefert potentielle Trägersysteme für Massenvernichtungswaffen steuersubventioniert in das Spannungsgebiet Nahost. Diese Tabus zusammenzubringen und auf die „Sprengkraft“, die politisch und tatsächlich darin liegt, hinzuweisen, darin liegt das Verdienst des Gedichtes. Und damit gilt es sich in der deutschen Politik ernsthaft auseinanderzusetzen. Oder haben uns die Folgen des letzten amerikanischen Irakkrieges so abgestumpft, dass wir jeglichen „Präventivkrieg“ im Nahen Osten für gerechtfertigt ansehen? Das Existenzrecht Israels muß anerkannt werden, aber das wird nur dann möglich sein, wenn auch Israel gleiches Recht für die Palästinenser gelten läßt. Nuklearpotentiale gehören überall auf der Welt unter internationale Kontrolle, so verstehe ich Grass‘ Botschaft. Und es ist nötig, die Doppelzüngigkeit deutscher Außenpolitik anzuprangern, wenn öffentlich Frieden gepredigt und heimlich Kriegswaffen in Spannungsgebiete geliefert werden.“

Stefan Seum aus Berlin:

„Ich möchte Herrn Grass aus vollstem Herzen danken. Er hat klare Worte gefunden und ist dabei sachlich korrekt und faktisch geblieben. Antisemitismus ist das nicht, müssten dann ja auch Millionen Isralelis der dortigen Friedensbewegung Antisemiten sein. Was diejenigen antreibt, die mit der Antisemitismus-Keule jegliche Kritik an der Politik Israels im Keim zu ersticken suchen, weiß ich nicht. Das Säbelrasseln, das einseitige Machtpotenzial der Exekution, der journalistische Maulkorb und die deutsche Beteiligung an der Aufrüstung machen mir große Sorge. Ich wünsche mir, dass Günter Grass Gedicht offen und ehrlich und breit diskutiert wird.“

Walter Sauermilch aus Pinneberg:

„Getroffene Hunde bellen. Der Pulverdampf der ersten Angriffswelle der getroffenen Hunde beginnt nun zu verfliegen. Auch dem selbsternannten, allgegenwärtigen Antisemiten-Entdecker mit flinken Lippen, Henryk Broder, gehen die Fehlinterpretationen aus.
Nun kann mit weniger Schaum vor dem Mund darüber räsoniert werden, wie lange noch das unendlich kriegsmüde israelische, von den orthodoxen Ultras geknechtete Volk schlimmer noch als bei uns von den religiösen Fanatikern aller Couleur und den Plutokraten manipuliert wird. Weiß denn das gebeutelte israelische Volk, wie viele Atomwaffen die eigene Regierung zur schrecklichen Verfügung hat? Und war es nicht ein gemeines Verbrechen, das die eigene Regierung und der Mossad an dem unvergessenen Whistle-Blower Vanunu begangen haben?
Von der israelischen Regierung werden wir alle nach wie vor belogen über deren wahres atomares Potential, errichtet mit westlichem Know how und Material. Leopard-Panzer und Atom-U-Boote, Minen und Streubomben, Kampfjets und DU-Munition, Zwangsbesiedelung widerrechtlich besetzten Nachbarlands und Versklavung der Frauen sind die Sprache der Mächtigen in Israel. Wen wundert da die Reaktion der Nachbarn? Mit welch abgrundtiefem Unrecht spricht man einem anderen Land das Recht ab, vermutlich eine A-Bombe bauen zu wollen, wenn man selbst den Keller davon voll hat und die „Freunde“ USA und NATO mit hundertfachem Overkill hilfreich zur Seite stehen?
Die Meinungsmacher in Politik und Medien versuchen doch tatsächlich, uns das weiter zu verkaufen. In diesen Sumpf hat Grass (hoffentlich noch rechtzeitig) hinein geschlagen.
Die von Grass geforderte Instanz gegen die atomare Aufrüstung gibt es schon lange, die IAEO in Wien. Nur: Die Blindheit dieser Atomenergiebehörde auf dem nach Israel gerichteten Auge ist ein Betrug besonderer Art und schreit gen Himmel.
Die Medien lügen, wenn sie allgemeine Empörung gegen das Gedicht behaupten. Es ist umgekehrt! Die Menschen spüren entgegen dem gesteuerten Mainstream, daß Grass ins Schwarze getroffen hat.“

Jochen König aus Eberbach:

„In diesen Tagen erleben wir einmal mehr den üblichen Zyklus, der den Feuillettonbetrieb auf Trab hält. Ein fragwürdiger – in Form, Stil, Kreativität und Inhalt – Kothurn im Furor-Duktus wird unter das ach so gebildete Volk gestreut, von einem ebenso namhaften wie in jeder Beziehung alternden Geistesmenschen, der sich als Praeceptor Germaniae positionieren will. Dabei setzt er auf Provokation, verwendet einen hauchdünnen Firnis, um die Restmenge politischer Korrektheit für sich in Anspruch zu nehmen (in diesem Falle die „Herkunft“) und kann dann seelenruhig abwarten, wie jener Zyklus reflexartig seinen Lauf nimmt. Zunächst folgt – vorhersehbar wie der Pawlowsche Reflex – ein Aufschrei der Empörung aus Politik, Kultur und Betroffenen. Dies wird von ihm re-kommentiert, wahlweise mit den Stoßrichtungen „Ich nehme nichts zurück“ oder „Soo war das nu auch wieder nicht gemeint“. Spätestens tags darauf reagieren die Feuilletons aller, aber auch wirklich aller Medien mit hermeneutischen und ikonologischen Grundsatzdebatten, die dem Verursacher meist widersprechen, ihm aber gerade dadurch einen – Achtung Marketing – um so höheren impact geben. Dabei ähneln sich die Kommentare (ich habe mir am 5.4. ca. zehn Kommentare dazu in deutschen Tageszeitungen interessiert angeschaut) doch sehr. Eine Werbemaßnahme mit viel Impact zeichnet sich durch einen sehr starken ersten Eindruck aus. Legionen von meist empörten Leserbriefen runden diesen Zyklus ab. Dieser kann durchaus noch in zweite und dritte Runden gehe, etwa wenn sich Rivalen des Provokateurs zu Wort melden.
Auf der Strecke bleibt Inhaltliches: Dass Grass’ Gedicht künstlerisch – auch am eigenen Werk gemessen – geradezu lachhaft banal ist, taucht höchstens in Nebensätzen auf. Und dass sich Iran und Israel in Sachen Vertrauensunwürdigkeit nicht viel nehmen, kommt weder bei Grass noch bei seinen Kontrahenten, die er auf den Plan ruft, vor. Dies ist der eigentliche Skandal: Form schlägt Inhalt, Marketing schlägt Reflexion.
Ob das gesagt werden musste? Allen – Grass, Feuilletonschreibern, Politikern, vielleicht gar mir selbst – also augenzwinkernd ins Stammbuch „Hättet Ihr geschwiegen, wäret Ihr Philosophen geblieben“. Gleichwohl: Gras wird drüber wachsen.“

Till Beier aus Groß-Umstadt:

„Es ist erschreckend, dass anstatt einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit den im Gedicht gemachten Aussagen fast ausschließlich darüber geschrieben wird, ob dieses eine antisemitische Motivation hat, ein Produkt eines mittlerweile senilen Menschen ist oder lediglich persönliche Probleme mit der eigenen Vergangenheit den Autor motiviert haben. Dies zeigt leider, wie wenig eine Kritik an der Politik des Staates Israel, nicht der Religion etc., möglich ist. Es ist leider eher zu befürchten, dass dieses Tabu Menschen in die Arme von Rechtsextremen treibt, als es einem Gedicht von Grass je möglich wäre. Der Kommentar von Frau Tkalec geht noch weiter als sämtliche vorige Berichte in der FR, da sie ausschließlich Verbindungen in die Vergangenheit sucht und jeden, der sich nicht gleich negativ zu dem Gedicht äußert, in eine sehr zweifelhafte Ecke drängt. Unter einem Kommentar verstehe ich jedenfalls mehr als eine Aneinanderreihung von Diffamierungen.“

Dr. Dirk Buddensiek aus Norderstedt:

„Was gesagt werden muss! Langsam aber sicher nimmt die Debatte abstruse Züge an und ist wohl nur dem Umstand zu schulden, dass ein Literaturnobelpreisträger ausgesprochen hat, was seit dem Israel in Besitz von Atomwaffen ist, eine latente Bedrohung des Gleichgewichts in Nah-Ost darstellt. Ohne die Bedrohung aus dem Iran herunterspielen zu wollen, Fakt ist – Isarael verfügt über Atomwaffen – Israel hat in der Vergangenheit Präventischläge geführt (Sechs Tage Krieg, Schlag gegen den irakischen Reaktor in Osirak 1981). Zudem gibt es seit 2010 immer wieder Gerüchte um einen bevorstehenden Schlag gegen iranische Atomzentren. Also was ist an dem Gedicht von Grass nun antisemitisch im Sinne der Definition „Judenfeindlich“. Es enthält lediglich eine Meinung und einen Appell, die auf gewissen Fakten und in den Medien zitierten CIA-Berichten beruht. Allenfalls kam Grass´ Reaktion viel zu spät. Wenn das in diesem Lande einen Aufschrei der Entrüstung und heuchlerischer Solidarisierung auslöst gibt mir das sehr zu denken.“

Erwin Hasselbach aus Königstein:

„Sein neues Gedicht wird sicher nicht in den Rang von Weltliteratur aufsteigen. Im internationalen Geschrei über das Gedicht hat es aber jetzt schon Weltrang erreicht. Wer die Zeilen aufmerksam liest und jedes Wort seziert wird feststellen, dass Grass zum Teil mit grenzwertigen Behauptungen operiert und dabei gegen einen der Wahrheit verpflichteten Nobelpreisträger verstößt. Allein Israel als den Aggressor und den Iran als Opfer zu sehen, ist grober Unfug und das weiß auch Herr Grass.
Aber es gehört in diesem Gedicht zu seiner bewusst gewählten Provokation. Doch es sind auch Fakten, dass der Staat Israel eine Atommacht ist, der sich schon über viele Jahr weigert, sich dem Atomwaffen-Sperrvertrag oder einer internationalen Kontrolle zu diesen Waffen zu unterwerfen. Solange leider Atomwaffen als Sicherheits-und Machtfaktor in der Welt angesehen werden, wird man dem Iran nicht ausreden können, was die westliche Welt Israel stillschweigend konzediert.
Es ist auch eine Tatsache, dass die israelische Regierung Planspiele für den präventiven Erstschlag gegen den Iran diskutiert und sich dazu als kleines gefährdetes Land selbst das Recht einräumt. Schließlich ist es auch leider richtig, dass die deutsche so pazifistische und friedliebende Regierung Waffen(U-Boote) in kriegsgefährdete Gebiete schon geliefert hat und wieder liefern will. Was soll also das überzogene Geschrei und die Diffamierung gegen Herrn Grass. Die hässlichen Fakten liegen doch schon lange allerseits auf dem Tisch. Aber sie so deutlich, wenn auch überzogen anzusprechen und damit der verlogenen westlichen Politik den Spiegel so ins Gesicht zu halten, das gehört sich bei der allgemein praktizierten „Political Correctness“ nicht.“

Wiebke Dau-Schmidt aus Hirschberg:

„Der Umgang mit dem Grass-Gedicht – zumindest was die Kommentare in der FR angeht – bestätigen auf das Schönste Grass“ These von der „Gleichschaltung der Presse“. Fast alle Kommentatoren behandeln die Meinungsäußerung genau so, wie er es vorhergesagt hat. Dies geschieht auf eine Weise, die mich zutiefst erschreckt.
Statt sich mit den zentralen Aussagen seines Gedichts auseinanderzusetzen („Ein Militärschlag gegen den Iran würde die gesamte Region destabilisieren und den Weltfrieden gefährden. Deutschland unterstützt diese Politik durch die Lieferung von U-Booten.“), werden Schmutzkübel über ihm ausgeleert. Wegen seiner Mitgliedschaft in der Waffen-SS als 17-Jähriger (!) in einer Zeit, deren gezielte Verführung der Jugend allgemein bekannt ist und der andere Persönlichkeiten dieser Generation wie Walter Jens, Peter Härtling, Erich Loest u.a. verfielen, wird ihm jetzt unterstellt, er sei ein verkappter Nazi, der nur bis heute stillgehalten habe. Statt inhaltlicher Auseinandersetzung also Gegenangriff der allerübelsten Sorte. Manche Kommentatoren formulieren diese Unterstellung vorsichtig (Christian Thomas) oder verklausuliert (Raphael Gross) , aber die FR-Verantwortliche für das Ressort „Meinung“, Maritta Tkalic, versteigt sich zu einem Text, den man ohne weiteres als „Hassgesang“ bezeichnen kann, einen Begriff, den Raphael Gross auf Grass münzt. Sie schreibt: „Es riecht übel, was da aus dem biografischen Faulschlamm am Seelengrund des einstigen Waffen-SS-Freiwilligen aufsteigt. Er öffnete kurz die moralische Güllegrube, die unter der gepflegten deutschen Gedenkoberfläche liegt.“
Wenn es sich nicht um die FR handeln würde, die ich seit Jahren lese und schätze, wäre ich weniger erschüttert, aber dieser Umgang mit Andersdenkenden ist Ihrer Zeitung nicht würdig.
Leider reiht sich dieser Vorfall ein in die Kommentierung von Gabriels Twitter-Nachricht zu seiner Erfahrung in Hebron (FR vom17.3.12; Maritta Tkalec) und der Tatsache, dass Götz Aly dem Hassprediger Hendryk Broder ein Forum geben darf (FR vom 20.3.12).“

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121 Kommentare zu “Eine Meinung, ein Appell – und keine Debatte über Inhalte

  1. Ich kann mich nur den meisten Leserbriefen anschließen und den Kernaussagen von H. Grass zustimmen. Was ich mich inzwischen frage ist wie die Reaktion gewesen wäre wenn es nicht um Israel ginge sondern um ein beliebig anderes Land.

  2. Eine kleine Schaltung und Aufschrift würde das Problem lösen.

    „By pushing „Accept“, you accept to be hit by an electric shock of 150000 Volts.“

    Options :“Accept“ „Deny“ „Think“

  3. Die Diffamierungskampagne der FR und von großen Teilen der veröffentlichten Meinung in der BRD gegen Günter Grass ist nicht gerechtfertigt. Das fängt schon damit an, dass die Methoden der Kritik in sich widersprüchlich sind. Einige Journalisten der FR und in anderen Medien arbeiten gegen Grass mit dem Argument des Antisemitismus und des Judenhasses, wenn er die Kriegstreiberei der israelischen Regierung gegen den Iran kritisiert.
    Andere, die in der FR auch zu Wort kommen, geben sich wie der israelische Historiker und Journalist Tom Segev objektiv. Er versucht Grass aber damit herunterzumachen, dass er behauptet, die Tatsachen, die Grass anführt, seien bekannt, bei den weniger oder nicht bekannten sei er schlecht informiert.
    Es mag sein, dass Günter Grass überzieht, wenn er behauptet, Israel plane einen atomaren Erstschlag gegen den Iran. Der israelischen Regierung und Herrn Segev mag es schon reichen, wenn bei einem Krieg gegen die Atomanlagen im Iran mit bunkerbrechenden Bomben , die Israel bei der Regierung der USA angefordert hat, Teile der iranischen Bevölkerung umkommen oder atomar verseucht werden. Bei der Kritik mit den bekannten Argumenten führt Segev an, dass der Kritiker der israelischen Atompolitik Mordechai Vanunu schon bekannt gemacht habe, dass Israel über Atomwaffen verfügt. Er vergisst jedoch zu erwähnen, dass Vanunu für die Bekanntgabe dieser Information jahrelang im Gefängnis eingesperrt war und dass aus dem Bekanntwerden bis jetzt keinerlei Konsequenzen gezogen wurden, wie sie Israel gegenüber dem Iran fordert.
    Darüber hinaus meldet sich Maritta Tkalec mit der dümmlichen Kritik an Grass Gebrauch des Begriffs Gleichschaltung zu Wort. Sie möchte den Begriff für die Nazis reserviert wissen. Es gibt aber auch andere Formen der Gleichschaltung als die der Nazis. Wenn etwa Personen oder Organisationen mit allen Methoden und Tricks als Antisemiten und Judenhasser diffamiert werden, die die Politik der israelischen Regierung gegenüber der palästinensischen Bevölkerung verurteilen.
    Gleich mehrere Journalisten haben sich in der FR über Monate gegenüber der Linkspartei dieses Tricks bedient (Bommarius, Honnigforth, Hein und zuletzt M.Tkalec gegenüber Sigmar Gabriel).
    Die Folge dieses Totschweigens und Wegdrückens jeglicher Kritik an der Politik der Regierung Israels besteht darin, dass sie ihre Verbrechen der jahrzehntelangen Vertreibung und Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung durch Abrisse ganzer Dörfer, Zerstörung der für deren Landwirtschaft notwendigen Brunnen und Bewässerungsanlagen, Einsperren durch Mauerbauten usw. ungehindert fortsetzen kann.
    Diese Politik und auch die Militär- und Kriegspolitik (Gazakrieg) wird ebenso von einem kleinen Teil israelischen Historiker, Journalisten und Intellektuellen kritisiert – der bekannteste ist Uri Avneri, der ebenso wie Günter Grass aus den Fehlern seiner Jugend gelernt hat. Er war einige Jahre an der Vertreibung der Palästinenser beteiligt. Die FR berichtet auch gelegentlich darüber. Warum also über Grass herfallen, wenn er diese Kritik mit literarischen Mitteln aufnimmt. Tom Segev möchte ihn aus allzu durchsichtigen Gründen auf Romanschreiben beschränken.
    Deutsche können die gewaltigen Verbrechen gegenüber der jüdischen Bevölkerung nicht dadurch aufarbeiten und ungeschehen machen, dass sie die Verbrechen der israelischen Regierung totschweigen.

  4. Günther Grass ist ein Wichtigtuer. Ein Wichtigtuer ist nicht nur einer, der tut, als sei er wichtig, sondern auch einer, der Wichtiges tut. Das lässt sich nicht so leicht voneinander trennen. Indem er sich wichtig macht, bewirkt er vielleicht die eine oder andere Bewegung, macht feste Brocken flüssiger oder umgekehrt, entweder in eine gute oder eine böse Richtung, die er nicht mehr bestimmen kann. Natürlich schreibt er subjektiv und mit Halbwissen. Im Grunde hat er nur ein Betroffenheitsgedicht geschrieben so wie viele Menschen oft zum lyrischen Rahmen greifen, um ihre Emotion zu kanalisieren, ohne dass sie damit schon ein Gedicht verfasst hätten. Nur weil er Schriftsteller ist und zur Zeilenform greift, schreibt er damit noch lange kein Gedicht. Es fehlen nach Calvino die Anschaulichkeit, die Haltbarkeit, die Genauigkeit, die Schnelligkeit, die Vielschichtigkeit und die Leichtigkeit. Also zu sagen: Seht her, diese Reaktion hat ein Gedicht bewirkt, ist falsch. Gerade ein Gedicht hätte etwas anderes bewirkt. Kein Geschrei, sondern stummes Nachdenken. Sein ‚Gedicht‘ ist also mehr oder minder nur Post an Unbekannt. Insofern freu ich mich, dass sich z.B. ein Bundespräsident dazu nicht zu Wort meldet bisher und auch ich melde mich dazu jedenfalls nicht weiter zu Wort.

  5. Hätte Günter Grass seine Kritik an der Lieferung des U-Bootes nicht überspitzt und etwas sehr dramatisch formuliert, wäre ihr sicherlich nicht diese Aufmerksamkeit geschenkt worden. Die Regierungen Israels darf man zwar kritisieren, aber bitte so dezent, dass es niemanden wirklich weh tut. Sie durften nach der Besetzunge des Westjordanlandes mehrere UNO-Resolutionen missachten, ohne wie andere Länder Sanktionen befürchten zu müssen. Sie durften heimlich Atombomben bauen, ohne dass sich jemand lautstark darüber aufregte. Und sie dürfen bis heute ihre gegen das Völkerrecht verstoßene Siedlungspolitik fortsetzen, weil dagegen nur folgenlos protestiert wird.

    Besonders ärgerlich ist, dass Günter Grass das Recht zur Kritik an der Politik Israels abgesprochen wird, weil er als Jugendlicher schließlich noch bei der Waffen-SS gelandet ist. Von Herrn Netanjahu war nichts Anderes zu erwarten. Er ist ja zum ersten Mal an die Macht gekommen, als Rabin ermordet worden war und hat seitdem den Friedensprozess blockiert und damit zur Verschärfung der Konflikte im Nahen Osten beigetragen. Aber dass auch in Deutschland solche Meinung geäußert wird, kann ich nicht begreifen. Mein Bruder war Flakhelfer und ist nur deshalb nicht mehr Soldat geworden, weil er als nicht einmal Siebzehnjähriger noch Jüngere ausbilden musste. Aber bis zuletzt wollte er „das Vaterland verteidigen“. Hätte er deshalb auch sein Leben lang keine Kritik an der Politik des Staates Israel äußern dürfen?

  6. Krass, Günter! Also: Da drohen die Mullahs in Teheran Israel seit Jahren mit dessen physischer Vernichtung und bemüht sich die Regierung Ahmadinedschad ganz offensichtlich nach Kräften, die für eine Realisierung dieser ’Vision’ nötigen militärisch-nuklearen Voraussetzungen zu schaffen. Aber wer in diesem Szenario angeblich „den Weltfrieden gefährdet“, ist – Israel! Auf so was muss man erst mal kommen! Na, wenn sich der Autor mit diesem als ’Gedicht’ getarnten literarischen Erstschlag, geschrieben „mit letzter Tinte“ (der, in der er seither sitzt?), mal nicht grandios ver-dichtet hat!
    Diagnose: Grassierender Realitätsverlust. – Deutschland, Land der Dichter und Denker? So manchen Denker wünschte man sich dichter!

  7. Ich wundere mich wieder einmal über die typisch deutsche Besserwisserei zu dem Grass-Gedicht. Warum werden die offensichtlichen Fakten nicht wahrgenommen und stattdessen nur nach Haaren in der Suppe gesucht. Der Iran hat den Atomwaffen-Sperrvertrag unterschrieben, hat keine Atomwaffen, und der ihm unterstellte Plan zur Entwicklung solcher Waffen ist nicht nachgewiesen. Die Mullahs sind sicher Fanatiker, aber keine Idioten. Dass sie – etwa entsprechend ihrer rhetorischen Kraftmeierei – tatsächlich einen Krieg mit Israel und deren Schutzmacht USA vom Zaume brechen, ist eher unwahrscheinlich. Israel hat den Atomwaffen-Sperrvertrag nicht unterschrieben, hat Atomwaffen und hat sich – wie Premier Netanyahu gerade in Washington bestätigt hat – den Präventivschlag gegen Iran vorbehalten. Mein Vertrauen in die Rationalität der Netanyahu-Regierung – in der die rechtsradikale Siedler-Lobby und die ultra-orthodoxe Schas-Partei das Sagen haben – hält sich in Grenzen, auch angesichts ihrer unglaublichen Siedlungspolitik und der anhaltenden Obstruktion der Road-Map. Die bekannte Hau-Drauf-Mentalität der israelischen Militärs kann einem zusätzlich zu denken geben. Da sollte man die Warnung, die Günter Grass uns geben will, nicht gleich lächerlich machen, sondern ernst nehmen. Das hat nicht mit Antisemitismus zu tun, sondern mit dem Zur-Kenntnis-Nehmen der Realitäten.

  8. Deutschland steht auf immer in tiefer Sünde vor dem israelischen Volk. Verbrechen einer aussterbenden Generation haben deren Kindern auf immer die Hände zu einem Flehen nach Vergebung gefaltet, ihnen aufgegeben eine Schuld abzutragen, die, wie Günter Grass erkennt, nicht zu tilgen ist. Im Rahmen dessen ist es zur Notwendigkeit erwachsen, das Wort „Israel“, sobald es über deutsche Lippe kommt, im Vorhinein ein Dutzend Mal auf der Zunge gewendet, jede Kante des Kontextganzen abgeschliffen zu wissen, denn polemische Nuancen laufen sofort Gefahr, antisemitisch interpretiert zu werden. Kann diese Tatsache allerdings gleichfalls die Isolation Deutschlands in der Diskussion um jeden sich anbahnenden Konflikt von Weltmaß bedeuten, solange einer der Akteure Israel heißt? Hat ein Land, dessen relativ junge Geschichte mit Mord und Verfolgung geschrieben, dessen Ideologie mit maßloser Geistesverwirrung verseucht wurde, ja, das die ganze Welt mit tiefem Leid verdarb, nicht eben dadurch die Pflicht vor der Welt entwickelt, künftig ähnlichem, vielleicht wachsamer als jedes andere Land entgegenzuhorchen? Es ist nun einmal Fakt: Jedes Land, das ein Atomprogramm in großer Manier betreibt, stellt eine potentielle Gefährdung des Weltfriedens dar, sobald es in einen harschen Konflikt mit einer anderen Nation gerät. Die Geschichte lehrt uns, wie zerbrechlich die friedvolle Dynamik der Weltpolitik sein kann. Zunehmlich wird dieses Potential in leichtem Schlummer um Zündstoff bereichert, wo ein nicht entwirrbares Gespinst aus ideologischem Gegensatz sich immer stärker verdichtet, wo die Realexistenz von Nuklearwaffen nicht ohne Zweifel bewiesen ist. Grass kritisiert zurecht, und nennt es „Heuchelei des Westens“, dass die realpolitisch angespannte Lage durch Waffenlieferungen an eine der Parteien (welche genau muss bei dieser Betrachtung stets irrelevant bleiben) in ihren Konsequenzen und Entwicklungen hoch gefährdet wird. Die Heuchelei liegt hierbei im tiefen Antagonismus, in der Doppelmoral zwischen proklamierter Friedenspolitik und eben jener erwähnten Waffenlieferung, die die Frucht des unter Leid und Klage erlernten Friedens offenbar für einen Kapitalschub zurückzustellen bereit ist. Dass mit der erworbenen Waffe ein Erstschlag im Bereicht des Möglichen liegt, steht außer Zweifel. Die Gefahr dessen, die ist (noch) gering, das weiß auch Grass und dennoch natürlich präsent und angedenk der unaussprechlichen Folgen, die sie in sich birgt auch um jedes Risiko zu schmälern. Es liegt in der Natur des Konflikts, stets von Eskalationsrisiko beseelt zu sein und es liegt in der Natur der Eskalation, zuoberst unberechenbar zu sein. Folglich sehe ich Grass, entgegen der Hüter des erhobenen Zeigefingers, der selbsternannten Zensurbehörde, die sich raubvogelgleich auf jedes leichte Kräuseln der Oberfläche stürzt, sobald am strengen Tabu „Israel“ gezupft wird und die eigene moralische Integrität in möglichst multiuperspektivischen Kameraaufnahmen darzustellen gesucht, als einen, sich dem Weltethos „Frieden“ verpflichtet fühlenden Menschen, der lauscht, hinweist und warnt. Die Qualität des „Ekelhaften“, die Marcel Reich-Ranicki, in seinem „Gedicht“ entdeckt, ist diesen Zeilen ebensowenig beizuschätzen, wie aus ihnen das Bild eines Anachronisten der alten ideologischen Schule entspringt. Die Öffentlichkeit hat sich schuldig gemacht, die Intention zu verkennen, den Inhalt zu verklären und Günter Grass zu diskreditieren.

  9. Gewiss: Auf den ersten Blick – und das war auch mein Eindruck – erscheint das Gedicht von Günter Grass formal wie inhaltlich ziemlich missraten. Und, wenn man einzelne Aussagen (so das Bild des von einem „Maulhelden“ unterjochten Iran) aus dem Kontext isoliert, ist man geneigt, sich über die Blauäugigkeit des Nobelpreisträgers zu wundern, wo doch schon ein Blick in die Amnesty-Statistik über Todesstrafen genügt hätte, um sich über den menschenverachtenden Charakter des „Gottesstaates“ iranischer Prägung und seiner „geistlichen“ Führungsclique zu informieren.
    Und dennoch: Es ist nun mal ein Gedicht, dessen Aussagen ausnahmslos aus dem Blickwinkel eines „lyrischen Ich“ erfolgen und das – ob das einem nun gefällt oder nicht – der subjektivsten aller literarischen Gattungen zuzuordnen ist – also nur unter Berücksichtigung dieses Kontextes adäquat zu beurteilen ist. Insbesondere, da sich der überwiegende Teil mit der eigenen Befindlichkeit, der Frage nach den Ursachen der inneren Schere beschäftigt.
    Und man sollte wohl davon ausgehen können, dass ein Literatur-Nobelpreisträger die Merkmale dieser Gattung kennt und nicht der Belehrung eines Heeres selbsternannter Literaten bedarf.
    Gewiss wird sich auch hier Herr Grass fragen lassen müssen, wie sich denn apodiktische Aussagen, die mit dem Charakter einer Tatsachenbehauptung daherkommen (wie „die Atommacht Israel gefährdet den ohnehin brüchigen Weltfrieden“) mit dem lyrischen Charakter des Gesamttextes vereinbaren lässt.
    Betrachtet man aber den Text unter dem Aspekt der geradezu unsäglichen Reaktionen von Reich-Ranicki über Hochhuth bis zur fast gesamten Presselandschaft, die einer Selbstentlarvung gleichkommen, beobachtet man, wie selbst bei einem hochgeehrten Literaturpabst die größte Plumpheit und Widersprüchlichkeit im eigenen Urteil zum Vernichtungswahn gerinnt, wie Hinz und Kunz in diesem Lande sich berufen fühlen, einem Nobelpreisträger Senilität im fortgeschrittenen Stadium zu bescheinigen, erscheint alles unter einem ganz anderen Licht. Besonders schmerzhaft, wenn sich eine Zeitung wie die FR (der ich seit über 40 Jahren die Treue halte) sich nicht entblödet, auch mit den Wölfen zu heulen, wenn sie u.a. einer Maritta Thalec das Wort erteilt, die mit plumpesten Vorurteilen dem Moralisten Grass als Obermoralistin meint entgegentreten zu müssen, sich dabei berufen fühlt, in einem Aufwasch gleich die gesamte bundesrepublikanische Aufarbeitung der Vergangenheit in einer „moralischen Güllegrube“ zu versenken.
    Die Aggressivität und unerträgliche Heuchelei von Grass-Kritikern, die aufgrund von historisch erklärbaren Fehlern eines 17jährigen das gesamte Lebenswerk eines 85jährigen in den Orkus des Vergessens werfen und die Person Grass dem kollektivem Gespött und der Verachtung überantworten zu können meinen, gibt dem Autor im Nachhinein Recht. Und die literarischen Schwächen erscheinen unter dem Aspekt der unendlich dummen Reaktion der nationalistisch-religiösen Fundamentalisten um Netanjahu, Lieberman und Eli Jeschai als fast genialer Coup. Hat er doch auf diese Weise die Weltöffentlichkeit dafür sensiblisiert, dass eine tatsächliche Atomwaffe in der Hand solcher Fanatiker mindestens so gefährlich ist wie eine mögliche in der Hand von Islamisten. Dass ein Staat wie der Iran eine gefährliche atomare Aufrüstungspolitik mit mindestens gleichem Recht mit Bedrohung von außen rechtfertigen kann wie eine atomar bestückte Regierung, die aggressive Siedlungspolitik betreibt und sich schon dadurch auf eine ähnliche Stufe stellt.
    Die Diskussion um Pershing-Raketen und Cruise missiles der frühen achtziger Jahre hat die Panik offenbart, in die jeder Staat gerät, wenn ein „begrenzter“ atomarer Krieg als führbar erachtet wird. Der die Lehre aus dem kalten Krieg missachtet, dass es völlig unerheblich ist, ob ein atomarer Schlag als Erstschlag oder als Zweitschlag erfolgt, weil lediglich als zweiter stirbt, wer als erster zugeschlagen hat. Wer die Ängste miterlebt hat, welche durch eine solche atomare „Logik“ ausgelöst wird, dem muss es als geradezu makaber erscheinen, wenn selbst ein Tom Segev und die israelische Haaretz die Diskussion um einen „präventiven Militärschlag“ gegen Iran als Ausdruck besonderer „Weisheit“ preist.
    Bleibt die Frage, was nun tatsächlich nicht nur die israelische Öffentlichkeit so an einer bloßen Meinungsäußerung eines Schriftstellers erregt. Und es entsteht der Verdacht, dass es, neben der Tatsache, eine Diskussion um die „Gefährdung des Weltfriedens“ durch die nationalistisch-fundamentalistische israelische Regierung nicht mehr verhindern zu können, noch ein weiterer Gedankengang von Günther Grass ist: Dass, wer angesichts des Pulverfasses Vorderer Orient, zu Recht eine internationale Kontrolle einer möglichen Atommacht Iran fordert, dies mit gleichem Recht auch für einen national-religiös regierten Staat Israel fordern muss.
    Alleine dies ins öffentliche Bewusstsein gerückt zu haben, dafür sollte man Herrn Grass eigentlich dankbar sein.

  10. Jeder, der sich als „Jude“ oder „Christ“ bezeichnet (und sich damit als „in-group“ von den Anderen der Poppulation separiert), ist eben selber schuld!

    Ich will endlich einmal in einer Welt leben ohne diesen jüdisch-christlich-muslimisch-kapitalistisch-kommunistischen Blödsinn und Schwachsinn überall!!!

    Jede Diskussion um diese veralteten Begriffe setzt diese Begriffe („Juden“, „Christen“, „Arier“, „Iraner“) nur absichtlich fort!!

  11. Es ist etwas verblüffend, daß in der Diskussion fast nirgends auf den Umstand eingegangen wurde, daß Israel Atomwaffen hat, dem Iran das Streben danach aber unisono als unzulässig vorgeworfen wird. Es gibt „gute“ Aromwaffenländer (USA,GB, Frankreich), „fragwürdige“ (Indien, Pakistan). Wozu zählt Israel? Können wir sicher sein, daß dieses Land, das nur wegen Obamas Wahlkampf noch keinen konventionellen Präventivschlag geführt hat, auf alle Zeit verantwortungsvoll mit seiner atomaren Macht umgeht? Schließlich hat es von einem konventionellen Präventivschlag bisher nur deshalb abgesehen, weil Obama seine Wiederwahlchancen nicht durch einen Krieg im Nahen Osten gefährdet sehen will. Wir werden sehr bald sehen, ob Israel nach den US-Wahlen weiter Vernunft walten läßt oder folgende Spirale in Gang setzt: zuerst israelischer Präventivschlag – dann Gegenschlag durch iranische Raketen – und dann? Antwortet seinerseits Israel wieder konventionell oder atomar?

    Was ist von folgender Überlegung zu halten: In den Zeiten des Kalten Krieges, als die USA und die UdSSR sich hochgerüstet gegenüberstanden, brach kein militärischer Konflikt aus, weil beide wußten, es würde keinen Sieger geben. Hätte der Iran ebenfalls Atomwaffen wäre angesichts eines dann bestehenden israelisch-iranischen atomaren Gleichgewichts ein Krieg zwischen diesen beiden Ländern ausgeschlossen, weil für beide tödlich. Wären iranische Atomwaffen also nicht nur eine Gefahr, sondern auch eine Chance für ein friedliches Gleichgewicht des Schreckens im Nahen Osten?

  12. Im Juni 1981 griff Israel in den irakisch-iranischen Konflikt ein: Israelische Flugzeuge bombardierten den Atomreaktor Osirak in der Nähe von Bagdad und zerstörten ihn (Operation Opera). Begründet wurde dieser Zwischenfall mit der atomaren Bedrohung Israels durch den Irak. (aus: WIKIPEDIA, Geschichte Israels)
    Ebenfalls aus WIKIPEDIA, Politik Israels: „Die USA sind Israels wichtigster Verbündeter und gewähren ihm den Status eines „wichtigen Verbündeten außerhalb der NATO“. Dabei wird Israel gegenüber Jordanien und Ägypten, die ebenfalls mit den Vereinigten Staaten verbündet sind, bevorzugt behandelt. Dies betrifft beispielsweise den Zugang zu nachrichtendienstlichen Informationen oder Rüstungstechnologie.“ Und weiter: „Israel hat den Atomwaffensperrvertrag nie unterzeichnet und verfügt nach allgemeiner Einschätzung seit den sechziger Jahren über Atomwaffen, die im Negev Nuclear Research Center entwickelt worden sind. In den siebziger Jahren gab es eine geheime gemeinsame Atomwaffenforschung mit Südafrika. Fachkreise gehen davon aus, dass Israel über rund 200 Kernsprengköpfe verfügt. Der israelische Atom-Techniker Mordechai Vanunu veröffentlichte etliche Einblicke in das israelische Kernwaffenprogramm, wofür er angeklagt und verurteilt wurde. Die offizielle Politik der Regierung ist, diese Frage nicht zu kommentieren, also den Besitz weder zuzugeben noch ihn abzustreiten (die so genannte Politik der „atomaren Zweideutigkeit“) Ein Interview im Dezember 2006, in dem Premierminister Ehud Olmert in einer Aufzählung von Atommächten neben Frankreich, den USA und Russland auch Israel nannte, wurde von der internationalen Presse als indirektes Eingeständnis für einen israelischen Atomwaffenbesitz und gleichzeitig als Drohung und Replik in Richtung Iran gewertet.“

    Soweit ich es den WIKIPEDIA-Infos entnehmen kann, muß Uran sehr hoch angereichert werden, um atomwaffentauglich zu sein. Ob und wieweit der Iran hier in Natans gekommen ist, entzieht sich meiner Kenntnis. Ich halte es allerdings für hirnverbrannt und gefährlich, allein aus einer irgendwann vielleicht einmal vorhandenen MÖGLICHKEIT bereits eine Angriffsabsicht abzuleiten. Abgehen davon wäre dies für den Iran reiner Selbstmord, weil dann nicht nur die in Israel vorhandenen Sprengköpfe für einen Zweitschlag verwendet würden, sondern auch das atomare Arsenal der 6. US-Flotte im pers. Golf.

    Ich kann versuchen, mich in die Rolle eines x-beliebigen iranischen Politikers hinein zu versetzen, mit dem Wissen der Vorgehensweise Israels in den letzten 30 Jahren, dem völkerrechtswidrigen Krieg der USA gegen den Irak aufgrund vorgeschobener, nicht vorhandener, Beweise, der vorherigen Unterstützung Saddam Husseins auch in seinem 9 Jahre dauernden Krieg gegen den Iran, dem in Afghanistan geführten Krieg, und, last but not least, dem Energiehunger (nicht nur der USA), dem bedenkenlos alle humanen und demokratischen Einstellungen geopfert werden, nur um ihn zu stillen.

    Da der Iran weiß, das er bei einer 100&igen Öffnung und Gestattung des Zutritts zu den eigenen atomaren Versuchsanlagen somit gleich eine Einladung an US-amerikanische (und wegen der Weiterleitung der Informationen an israelische) Militärkreise aussprechen würde, hat er natürlich Probleme mit einem ungehinderten Zugang.

    Jeder straffällig Gewordene erhält in demokratischen Rechtssystemen eine zweite Chance. Aber Grass hat wohl aufgrund seiner SS-Mitgliedschaft auf ewig und immer den Mund zu halten. Mir scheinen da zwei Traumate aufeinander zu treffen, das deutsche der Holocaust-Schuld und Verantwortung, und sich einem daraus ableitenden Bemühen um eine Art „Wiedergutmachung“ (das geschehene Grauen läßt sich nie und nimmer wieder-gut-machen!) und dem jüdischen kollektiven und im Volk verankerten Wissen und Erleben der Shoah.

    Daraus leiten sich für mich dann solche Sätze wie die von Außenminister Fischer „ein zweites Auschwitz“ verhindern, als Begründung für das Eingreifen im Bosnien-Krieg, oder Münteferings Worte „die Freiheit am Hindukusch zu verteidigen“ ab. Und wenn hier in Deutschland jemand, so wie jetzt Grass, etwas Wahres ausspricht, wird er sofort mit der Moralkeule geprügelt, auf die etliche auch noch „Antisemit“ drauf schreiben.
    Die Lieferungen deutscher U-Boote an Israel, welche lenkwaffenfähige Trägersysteme an Bord haben, scheint mir auch aus solch falschem „Wiedergutmachungs-Gedanken“ zu erwachsen. Warum wir allerdings immer ganz laut „Pazifismus“ brüllen, und gerne auf unsere Friedensliebe, und unsere NIchteinmischung im Libyen- oder im Irak-Krieg verweisen, aber dann nichts dabei finden, der weitweit drittgrößte Waffenexporteur zu sein, und dabei den Begriff „Spannungsgebiete“ selbst definieren, wird mir weiter ein Rätsel bleiben. Es sein denn, die Lösung heißt ganz banal: „Arbeitsplätze“.

    HOffen wir, daß wir in nächster Zeit nie eine irrationale Reaktion der in ISrael Verantwortlichen, genannt „Präventivschlag“ erleben werden. Genauso, wie wir nur hoffen können, daß auch im Iran sich die Selbstmörder nicht durchsetzen.

    Wenn ich allerdings registriere, wie in den letzten Jahren Irrationalität, Fanatismus jeder Couleur und Inhumaninät weltweit Raum greifen, habe ich so meine Zweifel.

  13. Einige Anregungen zum Nachdenken:

    Die Angst vor den Folgen eines militärischen Angriff auf Irans Atomanlagen (auch wenn, trotz der Dichtung von Grass, weder ein atomarer „Erstschlag“ oder die „Auslöschung des iranischen Volks“ droht und Kernkraftwerke nicht das Ziel sein werden) teilt wohl jeder. Klar ist aber, dass der erste „Gegenschlag“ Israel treffen wird; und zwar durch die von Iran an Hisbollah und Hamas gelieferten Raketen. Wie wahrscheinlich ist es dann, dass Israels Führung, für die der Schutz ihrer Zivilbevölkerung bekanntermaßen die höchste Priorität besitzt, dieses Risiko eingehen würde, wenn es keine ernstzunehmende Hinweise gäbe, Iran bereite den Bau einer Atombombe vor?

    Wenn Iran keine Atomwaffen anstrebt, warum braucht es dann eigene Anreicherungsanlagen, die verbunkert werden und hochangereichertes Uran produzieren? Warum hat sich Iran heimlich Pläne zum Bau von atomaren Sprengköpfen beschafft und ballistische Raketen getestet? Warum geht Iran nicht auf die Vorschläge der 5+1-Gruppe ein, die von Russland und China (die wohl nicht von westlichen Geheimdiensten manipuliert sind) mitgetragen werden?

    Wenn Iran Israel nicht mit der Atombombe bedroht, welchen Grund hätte Israel, Iran mit Atomwaffen anzugreifen? Warum soll plötzlich Israels Atomarsenal eine Bedrohung des Weltfriedens sein, nicht aber das von Pakistan, Indien, Frankreich, Großbritannien, China, Russland und den USA?

    Wenn Iran aber doch Atomwaffen entwickelt, welche Wahrscheinlichkeit besteht, dass sich seine Führung von diesem Ziel durch eine atomare Abrüstung Israels abbringen lassen würde? Kann das winzige Land Israel angesichts einer atomaren Bedrohung überhaupt auf seine Fähigkeit zum atomaren Gegenschlag verzichten?

    Trägt eine Diskussion, bei der einseitig Iran von Atomplänen freigesprochen wird, dazu bei, Iran noch zum Einlenken zu bewegen und so die Gefahr einer militärischen Auseinandersetzung zu vermeiden? Verstärkt eine solche Diskussion nicht die Befürchtungen in Israel, Europa und die USA werden einknicken und Irans Atombombe ohne Rücksicht auf die möglichen Folgen für Israel „schlucken“? Wächst dadurch die Gefahr, dass sich Israel zum militärischen Alleingang entschließt?

    Wenn Iran aber doch eine Atombombe baut und deren Einsatz gegen Israel droht, können wir die Gefahr für Israel ignorieren, nur weil Obama seine Wahl gewinnen will und wir uns vor einer Verteuerung des Öls fürchten?

  14. Jeder Kommentator einer Tageszeitung hat das Recht, seine Meinung zum Grass-Gedicht kund zu tun. Wenn diese Kommentare ähnlich ausfallen, kann Grass nicht von einer Gleichschaltung der Presse reden. Das ist barer Unsinn. Ebenso hat Grass das Recht, seine Meinung(en) zur Nahostproblematik zu veröffentlichen. Dann aber muß er auch den Gegenwind ertragen. Von Tabus oder Tabubruch zu reden im Zusammenhang mit deutschen Waffenlieferungen und geplanten Angriffen Israels auf den Iran ist natürlich ebensolcher Unsinn. Deutsche Waffenlieferungen werden seit Jahrzehnten in den Medien, in der Öffentlichkeit diskutiert. Isrealische angriffe auf den Iran waren vor kurzem Thema beim Treffen des amerikanischen Präsidenten und des israelischen Regierungschefs. Die Art und das Ausmaß der israelischen Waffen ist ebenso bekannt. Doch hier gerade trifft man auf Grass´ ewiges Problem. Statt zu recherchieren, was möglicherweise alles bekannt und in Diskussion ist, weiß Günter Grass im voraus schon alles. Er veröffentlicht und gibt Interviews zu allen möglichen Themen, offensichtlich ohne sich vorher ausreichend zu informieren. Lieber schlägt er verbal um sich, umso schlimmer, je älter er wird. Ich dachte bisher, seine Verwirrtheit bestehe erst seit den Tagen der Wiedervereinigung, einen Vorgang den er aufs Unmöglichste verdrehte, ohne zu begreifen, dass die Wiedervereinigung von den DDR-Bürgern mehrheitlicht gewünscht wurde. Nein, diese Art und Weise seiner Aussagen geht nocht viel weiter zurück, es ist nicht das beleidigte Umsichschlagen eines ausgeschriebenen Autors. Im heutigen FR-Beitrag „Der Grimm des GG“ erzählt Ch. Thomas, wie Grass 1979 der Germanistik bei einer Leseung an der Uni Münster vorwarf, nicht zu lesen, die Barockliteratur zu ignorieren. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Grass zuvor ausreichend Zeit an der Uni Münster verbracht hatte, um dies tatsächlich beurteilen zu können. Grass konnte ebenso nie begreifen, wie man seine Bücher nicht durchweg positiv rezensieren konnte. Negative Rezensionen seiner Werke (ich möchte hier nur die schlimmsten nennen: Die Rättin, Ein weites Feld, Unkenrufe, Örtlich betäubt) waren für ihn stets persönliche Angriffe der bösen, ihn verachtenden deutschen Literaturkritik. Ich kann mir solches Handeln eines großen Autors, und mit seinen Werken „Katz und Maus“, „Das Treffen in Telgte“, „Die Vorzüge der Windhühner“, „Ausgefragt“ und „Gleisdreieck“ gehört er nun mal zu den großen deutschen Autoren des 20. Jahrhunderts, nur mit noch immer in ihm glühendenden Ressentiments gegen intelligente, gebildete Mitmenschen erklären, zu denen seiner Ansicht nach (alle) Journalisten, Wissenschaftler und Politiker zählen. Seine SS-Zugehörigkeit im Alter von 17 Jahren – geschenkt. Dass er aber mit 85 so tut, als spreche er sonst Ungesagtes aus, mit letzter Tinte – da frage ich ihn lieber: „Warum ist ihnen die Tinte nicht schon etwas früher ausgegangen?“

  15. @abraham #14

    1. Die Grundforderung ist eindeutig: Niemand soll Atomwaffen besitzen! Wenn diese Forderung nur mit Hilfe von Atomwaffen durchsetzbar ist, dann müssen diese in der Gewalt der vertrauenswürdigsten Organisation der Weltgemeinschaft liegen.

    2. Wenn Iran Atomwaffen anstrebt, dann folgt es nur der Logik des Gleichgewichts. Es nicht einzusehen, daß es eine lokale Atommacht im Nahen Osten geben soll, es sei denn, sie vertritt nicht-lokale Interessen. Bislang geht die Drohung allein von Israel aus, weil es (angeblich) Atomwaffen hat, sich aber auf eine angeblich höhere Rationalität der Anwendung beruft.

    3. Selbst wenn Iran Israel mit der Atombombe bedroht, darf dies nicht zu einem Präventivschlag führen und die Verlässlichkeit der Informationen wird zurecht angezweifelt. Die Lehre aus der Geschichte sollte allerdings sein, daß kein Volk gezwungen sein sollte, sich allein zu verteidigen.

    4. Selbstverständlich sind alle Staaten, Organisationen und Einzelpersonen, die über ein Atomwaffenarsenal verfügen, eine Bedrohung des Weltfriedens. Hier steht allerdings die Antwort der Physiker noch aus. Sie haben das Werkzeug in die Welt gebracht und es versäumt, eine Sicherung anzubringen. Lösbar ist dieses Dilemma nur dadurch, daß die Täter den Mut haben, vor ihrem Opfern zu sterben, womit sich das Problem erledigt. Alles andere bezeichne ich als Feigheit.

    5. Eine atomare Abrüstung ist aktuell eine Grundbedingung für den Frieden. Ob diese eine Einfluss auf den phantasierten oder realen Gegner der Region hat, ist unerheblich. Es ist nicht mehr sinnvoll, daß ein Land sich allein gegen eine Bedrohung wehrt, sondern es ist notwendig, daß die Staatengemeinschaft jedes Land gegen Angriffe verteidigt. Es wäre also ebenso notwendig, Israel des Schutzes gegen Iran, als auch Iran des Schutzes gegen Israel zu versichern. Beide sind winzige Länder, ebenso unbedeutend wie die Bundesrepublik.

    6. Von mir wird Iran nicht einseitig freigesprochen, sowenig wie Israel oder andere Nationen oder Nationenvorsteher, die den Werbeversprechen der Waffenhersteller unterliegen. Sie sind bloss dumme Waschmittelkäufer, die einem faschistischen Reinheitsversprechen auf den Leim gehen.
    Frieden ist das Gegenteil von subjektiver Ordnung. Das verstehen sie nicht und das nutzen die Waffenverkäufer aus.
    Auch hier fehlt die Antwort der Physiker.

    7. Israel lässt sich zum Stellvertreter westlicher Interessen machen. Ein militärischer Alleingang wird nur als nützliches Idiotentum verbucht werden.

    8. „Wir“ (ich) ignoriere(n) die Gefahr für Israel nicht, sowenig wie jede andere. Ich fürchte mich auch nicht vor einer Verteuerung des Öls oder dem Wahlausgang in Amerika. Es hat sich als ziemlich gleichgültig erwiesen, wer in Amerika regiert, und der Ölmarkt ist eine Realität, die völlig unabhängig von Politik und Politikern ist. So what?

    Fazit: Wovor sich viele fürchten ist, daß die Völker des Nahen Osten irgendwann erkennen, daß nicht sie Gegner sind.

  16. Ich begrüsse das, was Günter Grass zu sagen hatte, gesagt wurde Mir ist die Reaktion der ‚Intellektuellen‘, der Politiker und auch der Presse, soweit ich das beurteilen kann, ein Rätsel. In seinen späteren Interviews hat er ja zur Kenntnis gegeben, dass er sich insbesondere auf die jetzige israelische Regierung bezieht. Und diese Regierung gibt nicht den Eindruck, am Frieden interessiert zu sein und lieber den Status Quo beibehalten zu wollen. Das heisst, weiterhin Besatzung und Siedlungsbau. Mit der Reaktion gegenüber dem Iran wird Angst geschürt ( obwohl nicht zu unterschätzen), um Macht zu stärken und das Palästinaproblem von der Tagesordnung zu streichen. Klar, keiner soll Atomwaffen haben und unsere Politiker sollten sich nicht länger einfach mit einer Besatzung abgeben, die menschenfeindlich ist und die akzeptiert wird, als wäre es das Normalste in dieser Welt.

  17. Im Nahen Osten gibt es einen Staat mit Atomwaffen, Israel, und einen, von dem vermutet wird, dass er Atomwaffen herstellen will, nämlich Iran.
    Jeder, aber auch jeder Staat, der Atomwaffen besitzt, begründet das mit der notwendigen Selbstverteidigung. Jeder, aber auch jeder Staat, der Atomwaffen anstrebt, begründet das mit der Bedrohung durch die Atomstaaten.
    Berechtigt das Recht auf die eigene Existenz die Drohung mit Massenvernichtungswaffen oder die Herstellung von Massenvernichtungswaffen? Nach meinen Moralvorstellungen: Nein.
    Als Ausweg aus diesem Dilemma sehe ich nur, dass alle (!) Staaten sich darauf einigen, auf Atomwaffen zu verzichten. Diese Vereinbarung ist schon gelungen auf der südlichen Hälfte unserer Erde. Im Nahen Osten wird sie gelingen, wenn die großen Atommächte und ihre Verbündeten, also auch Deutschland, ebenfalls glaubwürdig abrüsten. Versprochen ist dies alles schon seit 40 Jahren in Verträgen, die fast alle Staaten unterzeichnet haben. Aber die Atommächte und ihre Verbündeten, also auch Deutschland, finden immer wieder Gründe, weshalb eine vollständige Abrüstung nicht möglich sein soll.
    Albert Schweitzer meinte vor gut 50 Jahren: die Atomwaffengefahr kann nur beseitigt werden, wenn die Bevölkerung jeder Regierung die Legitimierung für Atomwaffenbesitz und –herstellung entzieht. Also, liebe Mitbürger: Machen wir unseren Regierungen klar, dass wir sie abwählen, wenn sie keine vollständige Atomwaffenabrüstung betreiben!

  18. Endlich hat mit Günter Grass einer, den Politik und Medien nicht überhören können, die Mauer der sogenannten political correctness ein Stück eingerissen und medienwirksam Tacheles gesprochen. Ich war mehrmals für Monate in Israel und habe dort Freunde gefunden. Aber seit Jitzchak Rabins Ermordung durch einen jüdischen Fanatiker hat sich dort, auch zu deren Kummer, vieles zum Dunklen gewendet.
    Wir sind durch die unsäglichen Verbrechen unserer Großväter-generation dem Staate Israel und seiner Existenz weit mehr als andere Staaten verpflichtet. Doch gerade diese durch nichts zu tilgende Schuld verbietet uns die Menschenrechte und Unobeschlüsse mißachtende Politik der Regierung Netanjahu durch Augenschließen angesichts ihrer Siedlungs-und Apartheid-Politik zu stützen und durch Lieferung von präventivschlag-fähigen atomarbestückbaren U-Booten aufzurüsten.
    Ein noch so fanatisch geifernder Ahmadinedschad berechtigt nicht zu einem vorbeugenden Angriff auf ein Land, von dem bislang nur vermutet werden kann, eine Atommacht werden zu wollen und das im Gegensatz zu Israel nicht seit Jahrzehnten über ein unkontrolliertes Atomwaffenarsenal verfügt. Selbst eine von einem durchgeknallten Ahmadinedschad geführte iranische Regierung würde doch nicht im Ernst Israel, ein Land, das, eng verflochten mit Gazasreifen, besetztem Westjordanland und gemeinsamer Hauptstadt, kleiner als z.B. Brandenburg ist, mitsamt den zu befreienden Palästinensern in eine atomarver-seuchte Wüste verwandeln, falls sie dazu die Fähigkeit erlangen würde. Wer glaubt ernsthaft, falls der Iran zu solch einem selbstmörderischen Atomschlag fähig werden würde, dass seine Führung nicht den geballten Vergeltungsschlag der Nato ins Kalkül zu ziehen wüßte.
    Und gebe es überhaupt diese Fanatisierung im Iran und im restlichen islamischen Raum in dieser krassen Ausformung, wenn es die jahrzehnte anhaltende Besetzung mit fortschreitender Anektierung des palästinensischen Lebensraumes durch israelische Siedlungspolitik nicht geben würde und stattdessen zwei Staaten friedlich voneinander profitieren würden?
    Ich habe Respekt und Bewunderung für die Aufbauleistung der Israelis in einem einst unwirtlichen und von vielen Feinden umgebenen Lande. Deshalb wünsche ich den Israelis kluge Regierende, die diesem wunderbaren Land helfen endlich eine friedliche Zukunft mit ihren Nachbarn zu finden.

  19. Zugegeben, Günter Grass:
    • hat mit der Einschätzung überzogen, Israel betreibe Planspiele zur möglichen Ausrottung des iranischen Volkes;
    • stellt einseitig Israel an den Pranger, ohne die vorausgegangenen Drohungen Ahmadinedschads beim Namen zu nennen.
    Aber:
    • ist er ein Antisemit, weil er die Regierung Israels kritisiert?
    • darf er diese Kritik nicht äußern, weil er als 17-jähriger kurz vor Kriegsende in die Waffen-SS eingetreten ist?
    • kann man ihm nicht abnehmen, dass ihn die Sorge um den ohnehin brüchigen Weltfrieden umtreibt?
    Wenn die Kritik an Israels Atomaufrüstung und die unterstützenden Waffenlieferungen durch die Bundesrepublik nicht verschwiegen wird, sondern allgemein bekannt ist und überall diskutiert wird, warum dann diese große, zum Teil hysterische Aufregung? Haben die Medien und viele Prominente vielleicht selbst die Befürchtung, im Zuge einer sachlichen Auseinandersetzung des Antisemitismus bezichtigt zu werden?
    Sorge machen muss man sich über die Wortwahl, mit der Grass überzogen wird. Da ist die Rede von dem alten Mann, den man nicht mehr ernst nehmen kann. Ausdrücke wie irre (BILD), ekelhaft, Gemeinheit (Reich-Ranitzky), entsetzt, geschmacklos (Mißfelder), schreibt wie ein SS-Mann (Broder), Du bist der SS-Mann… (Hochhuth), aggressives Pamphlet der Agitation (Zentralrat der Juden), durchschaubares Schmierentheater (Knobloch) zeigen eine Sprache, die mehr über den Gemütszustand der Kritiker selbst sagt als über den Autor des Gedichtes.
    Erstaunlich, welche Formulierungen die Kommentatorin dieser Zeitung (Maritta Tkalec, 7. April 2012) verwendet: Irr-Gedicht, oder: Es riecht übel, was da aus dem biographischen Faulschlamm am Seelengrund des einstigen Waffen-SS-Freiwilligen aufsteigt, oder: Er öffnete kurz die moralische Güllegrube, die unter der gepflegten deutschen Gedankenoberfläche liegt. In dieser Grube hat der alte Mann mit seinem Gerede seine Ehre versenkt. Hat meine Zeitung es nötig, solche Kommentare abzudrucken?
    Man wünscht sich, was selten in den Kommentaren vorkommt: eine sachliche Auseinandersetzung mit den Fakten, von denen neben den falschen Darstellungen viele nicht zu bestreiten sind. Gibt es hier doch einen Gleichklang (selbstverständlich keine Gleichschaltung) der Medien?

  20. Die Frage geht über das Thema Atomwaffen hinaus. Wenn der Aufbau einer friedlichen Nutzung von Atom soweit geht das es ab dann nur noch ein kleiner Schritt ist zur kriegerischen Nutzung ist muß man die friedliche Nutzung auch in Frage stellen. Zum Glück hat sich die friedliche Nutzung aus ökonumischen Gründen weitgehend erledigt.Daraus folgt aber erst recht die Frage warum möchte der Iran Aton friedlich nutzen. Die Frage sollte aus der einen Seite das Land möglicherweise selbst entscheiden,auf der anderen Seite aber glaubwürdig begründen können das man Atom friedlich nutzen möchte.Eine solche Begründung kann ich mir gerade in einem ÖL,Gas und nicht zu letzt Wüstenstaat(AKW brauchen viel Wasser)nicht vorstellen. Deshalb ist die Frage schon berechtigt was der Iran da eigentlich vorhat. Wobei die Frage nicht ausreicht um einen massiven Erstschlag von Israel zu begründen.

  21. Ich verlinke hier mal auf eine Seite bei hintergrund.de, auf der sich Intellektuelle zur „Grass-Hysterie“ zu Wort melden, darunter Moshe Zuckermann. Ein langer Text, aber lesenswert.

  22. Ich habe, wie empfohlen, die hier veröffentlichten Beiträge zu dem Gedicht »Was gesagt werden muss« von Günter Grass gelesen und mir einige Gedanken dazu gemacht. Hier mein vorläufiges Ergebnis.

    Worum geht es?
    Um den Nahen Osten.
    Um das Recht auf staatliche und völkische Existenz, um wirtschaftliche und politische Interessen, um Ansprüche auf Einfluss, Macht und Vormacht, um Angst und Sicherheit.

    Was ist der Fall?
    Israel, die Palästinenser, der Iran und die Großmächte der Welt kämpfen mit Worten und Waffen mit kulturellen, säkularen, religiösen, traditionellen, historischen Werten und Rechtsansprüchen, mit Wahrheiten und Lügen:
    Israel um seine Existenz, um die Erweiterung seines Staatsgebiets, um seine Vormachtstellung und um Sicherheit vor seinen Nachbarn.
    Die Palästinenser um ihre völkische und staatliche Existenz, die ihnen von Israel verweigert wird.
    Der Iran um Vormacht, Israel und der Westen gegen Machtverlust.

    Wovon ist die Rede?
    Die Rede ist von einem Gedicht, das die Sorge vor einem Atomkrieg ausdrückt und dafür besonders die israelische und deutsche Politik verantwortlich macht,
    um die Atomwaffen Israels, die jeglicher Diskussion und Kontrolle entzogen sind,
    um die Belieferung Israels mit atomwaffenfähigen U-Booten aus Deutschland,
    um die Verwendung der Holocausterinnerung zur Unterdrückung von Kritik und Diskussion und als politisches Druckmittel.

    Was mir auffällt.
    Die Beiträge der Blogger beschäftigen sich mehr mit der Sache, die der Journalisten mehr mit dem Dichter.
    Die Aufmachung des Gedichts in der FR. Der Dichter in seiner Gruft, gebeugt unter einem schwarzen Grabstein mit dem eingeschriebenen Gedicht. (5/6. Apr.2012)
    Die Machtverhältnisse und Interessen werden von den Bloggern kaum diskutiert, von den Journalisten weitgehend ausgeklammert.
    Die Hemmungen der Presse in diesem Fall für die Freiheit der Rede der Meinung und der Kunst einzutreten, die sie doch im Falle der Mohammedkarikaturen vehement und einhellig verteidigen.

    Meine Meinung
    Das Gelände ist stark vermint, vernebelt und die Wegweiser vielfach verstellt. Mit rechtlichem und moralischem Kompass allein ist da nicht durchzukommen. Ohne Diskussion der Machtverhältnisse und Interessen kommt man an den Kern der Sache nicht heran. In Machtfragen wird alles instrumentalisiert, einschließlich Wissenschaft, Religion, Geschichte, Kultur, Moral und Recht immer und überall, mehr oder weniger. Israel macht da keine Ausnahme. Wer das leugnet, lügt. Erstaunlich die Wirkung dieses Gedichts. Ein Grass‘scher Stolperstein.

    Friedrich Meinl

  23. Heute morgen im Deutschlandfunk hörte ich Herrn Prof. M. Wolffsohn zum Thema Grass reden. Er hat mehrere Male wiederholt, dass Grass sich vor allem als Waffen-SS-Mitglied diskreditiert habe.
    Ich muss schon sagen: zählt denn das Lebenswerk und die Entwicklung eines Menschen nach 1945 gar nichts? Meine Eltern haben die Geburtsjahre 1922 und 1929, Grass wurde 1928 geboren. Er hat – wie meine Eltern – seine ganze Kindheit und Jugend unter dem Einfluss der Nazi-Propaganda verbracht. Übrigens ebenso wie Christa Wolf, die die Folgen dieser Beeinflusung sehr eindrücklich in ihrem Roman Kindheitsmuster beschrieben hat. Und – im Gegensatz zu vielen anderen – hat sich Grass sehr intensiv auseinandergesetzt mit dieser Zeit und zwar ein ganzes langes Leben lang. Mit welchem Recht kann man das jetzt alles wegwischen? War alles nix was sei 1945 geschehen ist?

  24. Ich habe eben den von Ihnen empfohlenen Hintergrund gelesen, Herr Bronski und bin schwer beeindruckt. Ja, da können sich auch Ihre lieben Kollegen mal einiges davon abschneiden – ganz vorne dran Herr Thomas und Frau Tkalek sowie einige andere, die überall und gerne auch bei den Linken die „braune Soße“ aufspüren…!!!

  25. @ Hannah Erben

    Nicht die Zugehörigkeit eines 17-jährigen zur Waffen-SS ist das moralische Problem von Grass, sondern sein jahrzehntelanges Schweigen darüber.

    Sein „Gedicht“ ist aber nicht deshalb problematisch, sondern weil er entgegen aller Realität der „Atommacht“ Israel die Absicht eines „Erstschlags“ und einer „Auslöschung des iranischen Volks“ unterstellt sowie die Bedrohung Israels durch das Streben Irans nach der Atombombe klein redet. Hinzu kommt die unerträgliche Pose eines Tabubrechers, der angeblich endlich darüber redet, was tatsächlich bereits seit Monaten in Deutschland, in ganz Europa, in den USA und auch in Israel höchst kontrovers diskutiert wird.

    Dass Grass nur Israels Rechten nützt und das Friedenslager schwächt, hat Inge Günther gut kommentiert: http://www.fr-online.de/israel-iran-konflikt/leitartikel-guenter-grass—besondere-egozentrik,11950234,14700814.html.

  26. @ Abraham

    Sie betreiben hier wie schon im anderen Thread eine “ja-aber-Strategie“, mit der sie immer wieder vom Kernpunkt des Problems ablenken. Und weil Moshe Zuckermann in dem von Bronski verlinkten Text dazu so klare, eindeutige Worte benutzt hat, zitiere ich die nun einfach mal:

    „Wer nicht begreifen will, dass die Bedrohung Israels durch die Saddam Husseins und die Ahmadinedschads der Region in erster Linie durch den (noch) ungelösten Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern erst eigentlich möglich wird, muss sich vorhalten lassen, dass sein Gerede über die Existenzbedrohung Israels, gar über eine Israel drohende „zweite Shoah“ manipulativ-ideologischen Charakters ist.
    Aber genau darin übt sich die israelische Politik schon seit Jahrzehnten: Israel will den Frieden mit den Palästinensern nicht, denn dieser ist ohne Abzug aus den besetzten Gebieten nicht zu haben; es betreibt ganz gezielt und intensiv die Besiedlung palästinensischen Landes, unterjocht dabei die Bewohner und bedient sich perfidester Ideologisierung dieses Grundumstands, indem es seine eigene Nichtbereitschaft zum Frieden auf die von ihm unterdrückten und geschundenen Palästinenser projiziert.“

    Darüber, lieber Abraham, sollten Sie mal reflektieren, dann erübrigt sich nämlich das Nachdenken über all die Argumente, die Sie hier der Leserschaft mit so großer Vehemenz nahe legen, von alleine.

  27. Grass, armer Poet im Regen

    Wenn der Rauch aus seiner Pfeife sich verzogen und der Sturm der Entrüstung über Günter Grass sich gelegt hat, bleibt zu fragen: Was ist da eigentlich passiert? Die Reaktionen in beiden Lagern (pro und kontra Grass) sind fast alle ebenso einseitig und undifferenziert, wie das umstrittene Gedicht es ist. Die einen fallen massenhaft über ihn her, um ihn, der sie provoziert hat, zu vernichten. Die anderen machen aus ihm einen Märtyrer und Helden, der sich nicht den Mund verbieten lässt. Dabei wird die Sache, um die es geht, der Konflikt zwischen Iran und Israel, auf gegenseitige Schuldzuweisungen reduziert, und die Fronten werden verhärtet.

    Die Wirklichkeit ist unteilbar. Deshalb müssen a l l e, die am Konflikt beteiligt sind, zur Rechenschaft gezogen werden. Das sind die herrschenden Kräfte im Iran und deren Widersacher in Israel. Das sind die Staaten, die den Iran oder Israel mit Geldern unterstützen und mit Waffen beliefern. Das sind dieselben Staaten, die mit Boykott- und Blockadedrohungen ihren Gegner in die Knie zwingen wollen. Damit zeigen diese Bellizisten ihre Bereitschaft zu einem Krieg, der noch verheerender sein würde als der zweite Weltkrieg.

    In die kritische Betrachtung einbezogen werden muss das gesamte Konfliktfeld Nahost/Mittelost. Dazu gehört die israelische Siedlungs- und Besatzungspolitik in Palästinensergebieten ebenso wie der gewaltsame Widerstand von Betroffenen. Terror auf beiden Seiten. Ein für Israelis und Palästinenser unerträglicher Zustand, der zu allererst beendet werden muss.

    Grass hat die Ende März in der Süddeutschen Zeitung und in «Freitag» erschienene „Erklärung aus der Friedensbewegung und Friedensforschung“ zum Irankonflikt nicht mit unterzeichnet. Er hat seinen Bauch sprechen lassen, anstatt seinen Kopf. Nun steht der arme, um seine psychische Befindlichkeit besorgte Poet im Regen, ohne Schirm. Und der Tabak ist nass geworden.

  28. Hier sind viele gute Beiträge zu lesen, die nicht nur nachdenklich stimmen sondern auch ohne Häme geschrieben sind. Das ist sehr wohltuend. Aber eine große Öffentlichkeit erreichen diese Beiträge eher nicht.
    Auch der Appell in der SZ und im „Freitag“, immerhin ganzseitig und von namhaften Persönlichkeiten unterschrieben, hat keinen großen publizistischen Wirbel verursacht. Günther Grass Gedicht hingegen schon. Das Thema wurde eben leider nicht „seit Monaten in Deutschland, in ganz Europa, in den USA und auch in Israel höchst kontrovers diskutiert“,@ Abraham, jedenfalls nicht in der breiten Öffentlichkeit. So hat Grass zwar kein Tabu gebrochen (und Mut braucht man zum Glück auch noch nicht, um gegen den Strom zu schwimmen), aber er hat ein Problem öffentlich gemacht und mir vor allem in erschreckender Weise verdeutlicht, wie undifferenziert und unkritisch unsere „seriösen“ Zeitungen mittlerweile agieren. Und letzteres finde ich sehr, sehr bedenklich für eine Demokratie.

  29. @ Bronski, all

    Ein herzlicher Dank an Bronski für den Link zu den „Hintergrund“-Kommentaren „Was auch noch gesagt werden muss“, die mich sehr beeindruckt haben (hintergrund.de). Nach dem gegenwärtigen Stand der Diskussion erscheint mir eine weitere Beschäftigung mit den Vorwürfen der Anti-Grass-Hysteriker als reine Zeitverschwendung. Die disqualifizieren sich von alleine, denn ihre Vorwürfe fallen auf sie selbst zurück. Dies gilt auch für den von Abraham empfohlenen Kommentar von Inge Stephan mit ihrer m.E. völlig falschen These, die von Grass aufgeworfene Debatte sei Wasser auf die Mühlen der „politischen Rechten“ in Israel und schade dem „Friedenslager“.
    Die „Hintergrund“-Kommentare setzen sich inhaltlich mit den aufgeworfenen Fragen auseinander und widerlegen so klar derartige Behauptungen. Sie zeigen damit auch die Richtung für eine produktive Diskussion auf. Es erscheint mir hilfreich und notwendig, die hier genannten Argumente (die wohl im Wesentlichen Positionen der israelischen Friedensbewegungen entsprechen) zu verbreiten und sich mit ihnen auseinanderzusetzen.
    Um dies zu erleichtern, fasse ich im Folgenden die m.E. entscheidenden Argumente nach thematischen Gesichtspunkten zusammen und erlaube mir, im Anschluss daran zu einzelnen Punkten selbst Stellung zu beziehen.

    Zu den Hauptargumenten:

    1. Behauptung von der Gefährdung der Existenz Israels:
    „Die Existenz Israels wird aber nicht durch die (potentielle) iranische Atombombe bedroht – es gibt keinen Grund anzunehmen, dass der Mullah-Staat sie gegen Israel einsetzen würde, wenn er nicht das Risiko eingehen möchte, innerhalb weniger Tage selbst in Schutt und Asche gelegt zu werden –, sondern durch die nichtnukleare Dynamik des Krieges, der nach einem nichtatomaren Präventivschlag Israels gegen den Iran folgen dürfte. (…) Eine solche Kriegsdynamik, welche in der Tat den Einsatz israelischer Nuklearwaffen zur Folge haben könnte, wäre nicht das Resultat der realen Bedrohung Israels durch die (vorerst noch nicht existierende) iranische Atombombe, sondern das Ergebnis des von Israel initiierten konventionellen Erstschlags.“
    (MOSHE ZUCKERMANN)
    „Irans Präsident Ahmadinedschad fordert, das zionistische Regime Israel solle von der Landkarte verschwinden. Das ist nicht freundlich. Aber Israel fordert schon seit langem einen „Regimewechsel“ im Iran. Tut es damit dem Iran nicht genau das an, was ihm selbst verhasst ist? Ebenso: Iran möchte vielleicht die Atombombe. Aber Israel hat sie längst schon selbst. Mit welchem Recht kann es sie dem Iran verbieten?“
    (ROLF VERLEGER)

    2. Innere Logik von Angriffskriegen:
    „Eine Atommacht, die fast täglich Kriegsdrohungen gegen einen Nachbarstaat ausstößt, sodass nicht mehr darüber diskutiert wird, ob, sondern nur noch darüber, wann der Angriff erfolgt, ist eine Gefahr für den Weltfrieden. Auch die Leugnung des Holocaust, die Zweifel an der Beteuerung, Atomkraft nur für zivile Zwecke einsetzen zu wollen, und die Angst vor einer feindlich gesinnten Regierung geben keine Rechtfertigung für die Drohung mit einem Angriff. Denn Teheran hat nie mit einem Krieg gegen Israel gedroht.“
    (NORMAN PAECH)
    „Grass hat nicht viel mehr gesagt, als was die Friedensforschung in den dunklen Jahren des Kalten Krieges nicht müde wurde der Öffentlichkeit einzuschärfen, dass ein atomarer „Schlagabtausch“ (ob Erstschlag oder nicht) zu einer Totalvernichtung von Städten, Landschaften und Staaten führen könne und sehr wahrscheinlich auch werde:
    Insbesondere gilt die historische Regel, dass es so gut wie keinen Angriffskrieg gibt, der sich so entwickelt und abgespielt hat, wie das jeweilige staatliche und militärische Führungspersonal ihn berechnet hatte: Es kam immer anders und schlimmer.“
    (EKKEHART KRIPPENDORFF)

    3. Palästina-Konflikt und friedensgefährdende Politik:
    „Auch dass die Atommacht Israel den „ohnehin brüchigen Weltfrieden“ gefährdet, wie Grass behauptet, muss man nicht als das Resultat eines von Israel direkt und bewusst durchdachten Plans verstehen, sondern als Auswirkung einer Politik, die Israel in einem Kontext betreibt, der sich schon oft genug als bedrohlich für den Weltfrieden erwiesen hat.
    Wer nicht begreifen will, dass die Bedrohung Israels durch die Saddam Husseins und die Ahmadinedschads der Region in erster Linie durch den (noch) ungelösten Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern erst eigentlich möglich wird, muss sich vorhalten lassen, dass sein Gerede über die Existenzbedrohung Israels, gar über eine Israel drohende „zweite Shoah“ manipulativ-ideologischen Charakters ist. Aber genau darin übt sich die israelische Politik schon seit Jahrzehnten: Israel will den Frieden mit den Palästinensern nicht, denn dieser ist ohne Abzug aus den besetzten Gebieten nicht zu haben; es betreibt ganz gezielt und intensiv die Besiedlung palästinensischen Landes, unterjocht dabei die Bewohner und bedient sich perfidester Ideologisierung dieses Grundumstands, indem es seine eigene Nichtbereitschaft zum Frieden auf die von ihm unterdrückten und geschundenen Palästinenser projiziert.(…) Israel beherrscht ja das, was einzig zum Ausgangspunkt eines Friedensabkommens genommen werden kann; in Israels Hand ist es, ein solches Abkommen real voranzutreiben. Israel will dies aber nicht; den Staatsmann, der es (vielleicht) wollte, hat man mörderisch beseitigt. Die gegenwärtige Regierung Israels übt sich im Lippenbekenntnis zur Zwei-Staaten-Lösung, welche sie aber selbst systematisch unterminiert.“
    (MOSHE ZUCKERMANN)
    „Dass nämlich der Schlüssel zur Entschärfung der explosiven Lage im Mittleren Osten in konkreten Schritten zur mühsamen Lösung der Palästina-Problematik liegt, an der die gegenwärtige Regierung kein ernsthaftes Interesse hat, indem sie mit ihrer systematischen Siedler- und Vertreibungspolitik jeden Tag neue Barrieren gegen das Volk errichtet, mit dem sie angeblich in Frieden leben will. Müsste es nicht den bedingungs- und kritiklosen Verteidigern israelischer Staatsräson zu denken geben, dass Israel inzwischen der einzige Staat in der Region ist, der die demokratisch-revolutionäre Entmachtung der arabischen Diktaturen nicht begrüßte?“
    (EKKEHART KRIPPENDORFF)

    4. Missbrauch der Shoah zur Verschärfung des Konflikts:
    „Es ist schon bemerkenswert, wie gerade in jüdischem (vor allem jüdisch-israelischem) Munde die historische Leiderfahrung der Juden banalisiert wird und zum Mittel niedrigster Polemik verkommt. Aber was will man schon von Israels – einer Avigdor Lieberman unterstellten – Botschaft, wenn sich „sein“ Ministerpräsident nicht entblödet, Israels Lage im Jahre 2012 mit der von Juden in Auschwitz zu vergleichen bzw. die Unterlassung des US-amerikanischen Militärangriffs auf Iran der Nichtbeschießung des Vernichtungslagers während der Shoah gleichzustellen?“
    (MOSHE ZUCKERMANN)

    5. Deutsch-israelisches Verhältnis und deutsche Mitverantwortung:
    „Jene in Deutschland, die sich mit einem Israel solidarisieren, das dabei ist, sich selbst zugrunde zu richten, sind nicht befreit von der Last, objektiv zu befördern, wogegen sie sich vorgeblich in ihrer Solidarität richten. Dass sie sich von ihren pro-israelischen Befindlichkeiten aus geschichtlichen Gründen nicht loslösen können, sei ihnen nachgesehen – das neuralgische Verhältnis von „Juden und Deutschen“ nach dem Holocaust wird sich nicht so schnell „kurieren“ lassen (vor allem aber sollte man sich vom Gedanken, etwas „wiedergutmachen“ zu sollen, tunlichst verabschieden). Eine ganz andere Sache ist es aber, sich die Befindlichkeit durch den Antisemitismus-Vorwurf zurecht zu ideologisieren. Man verrät stets die historischen Opfer des Antisemitismus (besonders die des deutschen eliminatorischen), wenn man diesen Begriff allzu unbeschwert in den Mund nimmt, um sich in seinem eigenen identitären Defizit besser zu positionieren.“
    (MOSHE ZUCKERMANN)
    „Seit Jahren gehört es zur außenpolitischen Rhetorik von Bundesregierung und Parlament wenn von Israel die Rede ist, diesen Staat als ‚Teil der deutschen Staatsräson’ zu bezeichnen. (…)
    Wenn sie aber etwas bedeuten soll, dann wohl dieses, dass die deutsche Politik sich mitverantwortlich fühlt für die staatliche Existenz Israels. Dafür gibt es genügend gute und legitime Gründe historischer und moralischer Natur. Nur darf das für die Staatsräson keine Einbahnstraße sein: Als „Schutzmacht“ übernimmt der bundesrepublikanische Staat eine gewisse Teilverantwortung für die Politik ihres Schützlings.
    Wenn die „Schutzmacht“ die praktische und taktische Politik ihres Schützlings stillschweigend oder explizit nicht zuletzt materiell unterstützt – und hier wäre pars pro toto aktuell das von Grass zitierte deutsche U-Boot zu nennen – dann wird sie auch mitverantwortlich für diese Politik, also im gegebenen Fall für einen israelischen Angriff auf die Atomanlagen des Iran. Die Bundesrepublik Deutschland würde damit zur Kriegspartei.“
    (EKKEHART KRIPPENDORFF)
    „Innerhalb Deutschlands scheinen sowohl die Elite als auch eine Schicht der Bevölkerung in ihren Worten und Taten die infamen Thesen Goldhagens akzeptiert zu haben, nach denen alle Deutschen für die Verbrechen des Dritten Reiches schuldig waren. Dieses Denken basiert auf dem zionistischen und zionophilen Argument, die Verbrechen gegen die europäischen Juden seien einzigartig in den Annalen der Geschichte. Das war richtig, soweit es die Methode der Vernichtung betrifft, aber nicht in anderer Hinsicht.
    Deutsche Bürger sollten das Folgende bedenken: Es waren nicht die Palästinenser, die verantwortlich für die Ermordung von Millionen Juden während des Zweiten Weltkriegs waren. Doch sie, die Palästinenser, sind die indirekten Opfer des Genozids an den Juden geworden. Jene, denen Böses getan wurde, tun im Gegenzug Böses gegen andere. Warum also keine Sympathie für die Palästinenser?“
    (TARIQ ALI)

    Eigene Stellungnahmen:
    Zu 2:
    Seit jeher wurde Angriffskriege mit dem Recht auf „Selbstverteidigung“ gerechtfertigt. Die Diskussion um einen „Präventivschlag“ verkennt bzw. verharmlost deren innere Logik und ihre Folgen, insbesondere die Gefahren eines möglicherweise folgenden atomaren Schlagabtauschs. Sie stellt so eine höchst gefährliche Rückwärtsentwicklung dar. Schon die Diskussion der frühen achtziger Jahre, auf dem Höhepunkt des „kalten Krieges“, hat die innere Dynamik der Entwicklung aus konventionellem Angriffskrieg über (vermeintlich) „begrenzten“ atomaren Schlagaustausch zum totalen Atomkrieg aufgezeigt. In dieser Weise ist das von Grass verwendete Bild vom „Erstschlag, der das von einem Maulhelden unterjochte und zum Jubel gelenkte iranische Volk auslöschen könnte“ zu verstehen und insofern auch stimmig. Und nach diesem Verständnis ist auch sein Vorwurf nachvollziehbar, „die Atommacht Israel gefährdet den ohnehin brüchigen Weltfrieden“.
    Ein Atomkrieg wird nicht geplant (was Grass auch nicht behauptet), und seine Entwicklung ist auch nicht planbar. Man schlittert in ihn hinein, weil ideologische Schranken die Suche nach Alternativen verhindern.
    Es erscheint mir erschreckend, dass in einer Situation, die geprägt ist von (durch aggressive israelische Siedlungspolitik weitgehend selbstbeförderte) Existenzangst selbst bei aufgeschlossenen Menschen machtpolitische Planspiele um sich greifen, ohne dass sie deren Prämissen und Implikationen erkennen: Es wird von einem als selbstverständlich gegebenen Freund-Feind-Schema ausgegangen und dies für unveränderlich gehalten (vgl. #13 – ich schließe mich hier Annas Entgegnung in #27 ausdrücklich an). Die atomare Bedrohung bis zu den 80er Jahren wurde bekanntlich dadurch überwunden, dass selbst ein Hardliner wie US-Präsident Reagan die eigene Kalte-Kriegs-Rhetorik durchbrach und Abrüstungsverhandlungen mit dem Vertreter des Landes führte, das er selbst wenig vorher das „Reich des Bösen“ genannt hatte. Es wird nicht zu erwarten sein, dass die Weltgeschichte noch einmal so glimpflich davonkommt, wenn ideologische Borniertheit die Büchse der Pandora wieder öffnet. – So gesehen erscheinen die apokalyptisch klingenden Warnungen von Grass durchaus angemessen und alles andere als Ausdruck von Senilität.
    Zu 5:
    Auch die bildhafte Anspielung von Grass auf deutsche Mitverantwortung – von Frau Stephan in dem von Abraham empfohlenen Kommentar in unverschämter Selbstüberhebung als „moralinsaure Larmoyanz“ lächerlich gemacht – wird von den hier genannten Autoren adäquat erfasst: Schuldkomplexe, die sich aus menschenverachtender Ideologie und waffenstarrendem Weltherrschaftswahn ergeben, sind nicht durch Waffenlieferungen zu beseitigen, die geeignet sind (unter welchem Vorzeichen auch immer), zu neuem Genozid beizutragen. Die von Grass angeprangerte Haltung der Bundesregierung beweist, wie weit beide Seiten von „normalen“ deutsch-israelischen Beziehungen entfernt sind. In Denkblockaden entfaltet die Verkettung beider Länder durch die Shoah weiterhin fatale Virulenz: Wer zur alleinigen Handlungsmaxime erhebt, einerseits „nie wieder Täter“, andererseits „nie wieder Opfer“ sein zu wollen, verstrickt sich in seiner rückwärtsgewandten Sicht in neue Schuld. Wer einmal Opfer war, kann sehr wohl zum neuen Täter werden, und ein Täter macht seine Tat nicht dadurch wieder „gut“, dass er sich auf Gedeih und Verderb dem (vermeintlichen) Opfer ausliefert. Als paradigmatisch für eine solche rückwärtsgewandte Sicht, die Merkmale von Wirklichkeitsverlust in sich trägt, erscheint der perfide Hitlervergleich der – ehemals durchaus verdienten – Präsidentenkandidatin Beate Klarsfeld.
    Die von Krippendorf angesprochene „Einbahnstraße“ bundesrepublikanischer „Staatsraison“ in Form kritikloser Bindung an die Politik der jeweiligen israelischen Regierung (statt den Friedensinteressen von Israelis UND Palästinensern) erinnert mich an die verheerende Bedeutung des Blankoschecks des deutschen Kaisers an österreichisch-ungarische Machtinteressen beim Ausbruch des ersten Weltkriegs. Aus kritik- und bedingungsloser Selbstunterwerfung unter fremde Interessen erwächst im Falle des Missbrauchs auch Mitverantwortung und Mitschuld. In dieser Hinsicht ergibt auch die Warnung von Grass an Deutsche einen Sinn – wenn auch im Ausdruck stark verkürzt und überspitzt –, „Zulieferer eines Verbrechens“ zu werden.
    Ernst zu nehmen und richtig zu deuten wäre schließlich auch die Aussage von Grass, die „ausgesprochene Wahrheit dem Land Israel, dem ich verbunden bin und bleiben will, zuzumuten“.
    Meines Erachtens kann das nur heißen: Auch Solidarität ist keine Einbahnstraße. Im Fall Israel ist diese in erster Linie an den Willen und an erkennbare Bemühungen zu knüpfen, die Lebensinteressen ALLER auf seinem Territorium lebenden Menschen zu respektieren – eine Erwartung, die von der gegenwärtigen israelischen Regierung mit Füßen getreten wird.
    Tariq Ali ist daher völlig zuzustimmen, dass die Anerkennung historischer deutscher Schuld verlangt, sich auch als Anwalt der Menschen – konkret also der Palästinenser – zu verstehen, welche mittelbar durch die Shoah zu Schaden gekommen sind und immer noch an ihr leiden. Im Kern geht es – wie auch die Schlussstrophe zeigt – bei dem Gedicht von Grass um eben dies.
    In der unsäglichen Anti-Grass-Kampagne und den unverblümten verbalen Aggressionen, gerade auch von Menschen, die sich zu den Geistesgrößen dieses Landes zählen, kommt m.E. zu Tage, was sich an Verdrängtem und Unverdauten unterschwellig in diesem Land noch tummelt. Dass sie aber, statt, wie etwa die israelische Friedensaktivistin Shula Keshet („Der ambivalente Grass“), Erklärungen für Unklarheiten einzufordern, wo dies notwendig ist, den Boden zivilisierter Auseinandersetzung verlassen, kann einem nur die Schamröte ins Gesicht treiben.

  30. @ # 27 Anna

    Ich lege Wert darauf, dass ich hier meine Meinung vertrete, auf Gegenargumente eingehe und nicht irgendwelche „Strategie“ verfolge. So kann ich teilweise Moshe Zuckermann zustimmen, bin aber auch z.T. anderer Meinung. Seine Feststellung „Wer nicht begreifen will, dass die Bedrohung Israels durch die Saddam Husseins und die Ahmadinedschads der Region in erster Linie durch den (noch) ungelösten Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern erst eigentlich möglich wird“ halte ich beispielsweise für unzutreffend. Selbst wenn es Israelis und Palästinenser schaffen, sich auf eine Zwei-Staaten-Lösung zu verständigen (was ich für beide hoffe), und die Besetzung Westjordanlandes beendet wird (was ich den Palästinensern wünsche), bleiben „Sadam Husseins und Ahmadinedschads“ übrig, die weiter die Befreiung ganz Palästinas weiter fordern werden. Die Lösung des im Grunde genommen lokalen Konflikts wird nur erschwert, wenn dieser zum Regionalkonflikt oder gar zum globalen Konflikt gemacht wird.

  31. @ # 29 I. Werner

    Offensichtlich lesen wir unterschiedliche Medien oder nehmen diese auf unterschiedliche Weise wahr. Sowohl in der FR, die ich online lese, als auch in der SZ wurde immer wieder der Konflikt um das vermutete iranische Atombombenprogramm und um die mögliche „militärische Reaktion“ Israels unter verschiedenen Aspekten behandelt. Nicht die Medien, sondern die Öffentlichkeit hat dieses Thema bisher weitgehend ignoriert.

  32. Eigentlich müßte jegliche Nutzung von Atomenergie längst obsolet sein, denn Fukushima ist immer noch hoch explosiv und nur offiziell „unter Kontrolle“. Auch darüber wird geschwiegen.
    Grass hat etwas ausgesprochen, das nicht umsonst auf soviel Gegengeifer stößt. Aber das wurde hier im Blog deutlich und umfassend diskutiert.

  33. Heute Abend gab es im DLF eine 20 Minütige-Reportage
    „Leben in Deschenin“
    http://www.dradio.de/dlf/sendungen/hintergrundpolitik/1727888/

    Am Ende des Beitrages ging es um die Aufteilung des Westjordanlandes in A-B-C. In A dürfen die Palästinenser, in B schon nicht mehr und in C breitet sich Israel mit seiner Siedlungspolitik aus, obwohl dies gar nicht vorgesehen war, als dieses „Stillhalte-„-Abkommen erzielt wurde. Und das, das kann sich nur eine Besatzungsmacht erlauben. Nicht nur das finden die Palästinenser erniedrigend, weil Welt Israel nicht die Grenzen aufzeigt.

    Vor nicht allzulanger Zeit machte die Runde, Gaza sei das größte Getto der Welt… übersehen wurde hier, daß die Hamas zum großen Teil dafür selbst verantwortlich ist. Die heutigen Mißstände im Gaza sind hausgemacht.

    Es ist nicht einfach, unter diesen Ströungen ein für alle tragbarer Kompromiß zu finden. Die zwei Staatenlösung kann nicht mehr funktionieren, dafür hat Israel sich zu viele Flecken angeeignet und die Siedler werden alles andere tun, nur diese Gebiete nicht räumen.

    Bleibt noch die Einstaatenlösung… träumen darf man ja wohl noch. Der Vorteil wie in Europa, wenn hier wer kommt und jammert, wegen der verlorenen Gebiete, kann man sagen: „Gehe er hin und sterbe in Frieden dort.“ Ist ja in Europa kein Problem. Man kann dort arbeiten, hat die EU-Fahne hinter sich und lebt dann in Frieden in Polen oder anderswo.

  34. Sicherlich nicht neu, aber neuerlich zu betonen ist, wo der moderne Holocaust stattfindet.
    Es geht nicht mehr um Völker, Volksgemeinschaften, religiöse Gruppen etc. Es geht nicht mal mehr um Menschen.

    Der moderne Holocaust findet dort statt, wo kleine und kleinste Interessen tausende Wesen verbrauchen, um an den Rohstoff Uran zu kommen, wo Millionen verseucht werden, um Strom zu produzieren, wo die ganze Lebenswelt von den Auswirkungen von Forschung und Tests und Anwendungen getroffen und getötet wird und wo lokale Befindlichkeiten die ganze Welt beschädigen.

    Grass spricht von der Auslöschung eines Volkes, Israel und alle anderen fürchten sich davor, bezogen auf die nationale Begrenztheit der Wahrnehmung und dem nationalen Überleben. Verständlich, aber kläglich homozentrisch. Es geht längst nicht mehr um solche begrenzte Schäden.

    Das hier ist keine Relativierung von Menschheitsverbrechen, es ist die Herabstufung von Menschheitsverbrechen gegenüber einem viel weitreichenderen Verbrechen.

    Atomkraft und Atomwaffen sind ein Angriff auf die biologischen Grundlagen der Fortpflanzung, ein Angriff auf das Leben, auf jedes Wesen und auf die Evolution selbst.

    Wir bedrohen uns mit der Vernichtung von Völkern und „Gegenschlägen“. Eine lächerliche Drohung. Der Gegenschlag kommt von der Natur.

  35. @ Standort (#35)
    Das schlagwütige Wesen namens Natur wird sich schon rächen, ne? Schauen Sie gerne auf N24 oder NTV diese Boulevardreportagen an? War nur ’ne Frage.

  36. @ Abraham

    „Selbst wenn es Israelis und Palästinenser schaffen, sich auf eine Zwei-Staaten-Lösung zu verständigen (was ich für beide hoffe), und die Besetzung Westjordanlandes beendet wird (was ich den Palästinensern wünsche), bleiben ‚Sadam Husseins und Ahmadinedschads‘ übrig, die weiter die Befreiung ganz Palästinas weiter fordern werden. Die Lösung des im Grunde genommen lokalen Konflikts wird nur erschwert, wenn dieser zum Regionalkonflikt oder gar zum globalen Konflikt gemacht wird.“

    Diese Aussagen liegen ja voll auf Linie der israelischen Regierung, was natürlich erklärt, warum Sie kaum Kritik an der israelischen Politik zu üben haben.
    Mir erscheint dagegen Moshe Zuckermanns Meinung viel zutreffender und vor allem lösungsorientierter zu sein und ich wünschte mir, die israelische Regierung würde ihm zuhören. Angesichts des großen Leids der Palästinenser erachte ich das zionistische Projekt sowieso für nicht haltbar, denn wie Einstein schon gesagt hat, lassen sich Probleme niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.

  37. Ich möchte nicht wiederholen was schon gesagt worden ist. Das Gedicht von Günter Grass kommt zum richtigen Zeitpunkt.
    Nur, wie geht es weiter ! Wir werden es vergessen und es geht weiter wie bisher.

  38. @rü #36

    Nein, ich meine ernsthaft, daß die Menschheit durch hirnlose Konfliktnutznießer seit Jahrtausenden an einer vernünftigen Weiterentwicklung gehindert wird, weil diese die Welt und das Leben so strukturieren, wie sie sie verstehen, nämlich primitiv, und diese die Welt behalten wollen, weil sie nichts anderes können.

    Darüber hinaus vergiften sie seit Jahrhunderten unsere,meine Umwelt mit allen möglichen Stoffen bis hin zur Radioaktivität und beschädigen damit die Entwicklungsfähigkeit der Natur, von der sie selbst leben. Dies führt schon jetzt und immer schneller zu einer Verwüstung, die uns nicht mehr erhalten kann.

  39. zu @ 39 Standort
    Wenn man sieht wie beim Uranabbau der Gehalt pro Tonne in Gramm dahinschmilz kann man Ihre Argumentation schon nachvollziehen. Aber die großen Atomkonzerne in D. haben es tatsächlisch geschaft Atom als im Betrieb saubere Technonlogie in die öffentliche Meinung zu bringen. Heute werden dafür sogar in den Nachrichten zusätzliche Suventionen gefordert. Na ja ohne neue Subventionen gibt es nie neue AKW. Da reicht es nicht was sie jetzt schon bekommen.

  40. @ # 37 Anna

    Wie kommen Sie darauf, dass ich „kaum Kritik an der israelischen Politik zu üben habe“? Offensichtlich haben Sie meine Beiträge nur selektiv gelesen. Weil ich mich gegen Schwarz-Weis-Malerei wehre, bin ich noch lange kein Anhänger von Netanjahu oder gar Lieberman.

    Auch Moshe Zuckermann sieht wohl die Lage differenzierter als Grass, sonst hätte er nicht so ausführlich dargelegt, wie man das „Gedicht“ umschreiben müsste, um es vernünftig diskutieren zu können. Zu Grass scheint mir inzwischen ohnehin alles gesagt zu sein (wenn auch noch nicht von jedem).

    Auf einen Satz von Ihnen muss ich aber doch noch eingehen: „Angesichts des großen Leids der Palästinenser erachte ich das zionistische Projekt sowieso für nicht haltbar.“ Das „zionistische Projekt“ ist der Staat Israel als „Heimstätte“ von Juden. Halten Sie also den Staat Israel für nicht haltbar? Soll seine Existenz rückgängig gemacht werden? Ich hoffe, dass Sie das nicht meinen und wäre für eine Klarstellung dankbar.

  41. Hallo Abraham,
    ich habe keine Zeit zum Mitdiskutieren, möchte Dir aber kurz sagen, dass ich Deine Position gut nachvollziehen kann und Deine Beurteilung sowohl des Grass-Gedichtes als auch des Israel-Palästina-Konflikts in den Hauptgesichtspunkten teile. (Mir fehlen in bestimmten Detailfragen die vertieften Kenntnisse, um diese kompetent beurteilen zu können. So habe ich längst den Überblick über die israelischen Siedlungen verloren. Mich überzeugt aber Deine Argumentation.)

    Beste Grüße
    maat

  42. Um mal auf Sie, Abraham, zu antworten: nein, der Staat Israel in den Grenzen von 1967 soll gerne bestehen bleiben und dabei deutlich demokratischer werden und friedlicher und ohne sich immer wieder auf den Opfer-Status zu berufen! Es wird immer wieder betont, Israel sei ja der einzige demokratische Staat im Nahen Osten – gerade in der heutigen FR wieder von Hubertus Knabe (in Abgrenzung zu Grass‘ angeblichem Mielke-Vergleich). Ein demokratisches Land sollte aber gleichberechtigt mit allen Bürgern umgehen und nicht Teilen davon die Rechte erheblich beschneiden, ihnen keine Baugenehmigungen erteilen, ihre Häuser abreissen, Familienzusammenführungen erschweren usw. Es gibt in Israel deutlich eine 2-Klassen-Politik, die stark unterschiedliche Rechte einräumt ihren jüdischen und ihren arabisch-stämmigen Staatsangehörigen. Und das ist alles andere als demokratisch.

  43. @hans
    Ja, ich spreche davon, daß, bevor noch irgendein Staat die Waffen angesammelt hat, die er glaubt, zur Verteidigung zu brauchen, längst eine Masse von Toden geschehen sind, um diese Waffen zu produzieren. Unsere tägliche Sicherheit ist ein täglicher, verschwiegener Krieg gegen die Menschen, die geschunden und ausgebeutet werden, um die Rohstoffe zu beschaffen, entlang der ganzen Produktionslinie, mit Ausnahme vielleicht der „besseren“ Arbeitsplätze, von denen ich allerdings glaube, daß deren Inhaber psychisch und moralisch ausgebeutet werden. Darüber hinaus werden Millionen von den Umweltschäden erfasst, die solche Produktionen nach sich ziehen. Das sind nicht „nur“ die unmittelbaren Schäden durch Gifte, das sind auch die langfristigen Schäden an der Umwelt, die tief hinein in die Struktur des Ökosystems eingreifen und die Grundlagen des Lebens verändern.
    Bevor noch ein Schuss abgefeuert wurde, haben die Besitzer der Waffen dazu beigetragen, einen stummen Krieg gegen die Menschheit zu führen.
    Nicht nur Iran und Israel leisten sich den Luxus, angebliche Konflikte zu haben, viele andere Staaten tun dies auch.

  44. zu Standort (#39) und hans (#41)

    Guten Morgen,

    das hat aber alles wenig mit dem zurückschlagen der Natur zu tun, es sein denn man glaubt an irgendeinen Naturglauben. läßt einiges außen vor oder nicht zu. Und ist es nicht der Glaube, dann ist es die Raffgier, die uns am Ende das Ende beschert. Ursache – (Aus)Wirkung.

    Und wenn ein Baustein im komplizierten Ökosystem nicht mehr funktioniert, dann wehrt sich nicht die Natur, schlägt gar zurück, sie funktioniert dann nicht mehr so, wie zu einer anderen Zeit. Und wenn der eine Baustein nicht mehr ist oder nur noch ganz minimal, hat dies Auswirkungen auf andere Bausteine im Ökosystem.

    Wir, der Mensch ist es, weil wir das System nicht begreifen (wollen), trotz vieler Sattelsitten, Bojen im Meer, Meßstationen auf dem Land.

    Die Natur tut uns nix, ist unser/e beste/r FreundIn (tolle Freunde hat er/sie).

  45. @ Abraham

    Sie haben Recht, der von Ihnen beanstandete Satz ist verkürzt formuliert und deshalb tatsächlich offen für Interpretationen.
    Natürlich stelle ich den Staat Israel als Heimstätte der Juden nicht in Frage.
    Allerdings finde ich es mit nichts zu rechtfertigen, wenn ein Staat eine Politik verfolgt, die so frank und frei nur eine ganz bestimmte ethnisch-religiöse Gruppe bevorzugt wie das nun mal in Israel geschieht.
    Für völlig unhaltbar empfinde ich es, dass von Staats wegen zwischen jüdischen und arabischen Bürgern unterschieden wird, zumal das mit vielfältigen Benachteiligungen für die arabischen Israelis einhergeht.
    Ganz krass sieht es in den besetzten Gebieten aus, wo die jüdischen Siedler unverhältnismäßig besser gestellt sind als die Palästinenser und offene Feindseligkeiten von den Siedlern gegenüber der palästinensischen Bevölkerung geduldet werden, wie das in Hebron offensichtlich in erschütterndem Ausmaß passiert.

    Und zugegebenermaßen stelle ich auch ganz allgemein in Frage, ob ein jüdischer Staat, der völlig durchmilitarisiert ist, um den tatsächlichen und vermeintlichen Bedrohungen trotzen zu können, wirklich imstande ist, den Antisemitismus einzudämmen. Mir scheint das eher nicht so, weshalb ich denke, dass nach mehr als sechs Jahrzehnten andauernder militärscher Auseinandersetzung und Eskalationen noch einmal ganz neu nachgedacht werden sollte.

    Ich kam auf die Idee, dass Sie offenbar kaum etwas an der Politik Israels zu kritisieren hätten, weil Sie kaum Kritik geäußert haben und wenn, dann nur sehr eingeschränkt („ja-aber“). So befürworten Sie zum Beispiel die Siedlungspolitik Israels zwar nicht, aber als wirklich schwerwiegend scheinen Sie diese auch nicht zu betrachten.(s. Ihr Zitat unten *) Außerdem scheinen Sie allen Ernstes die Zwei-Staaten-Lösung noch immer für machbar zu halten, egal wie aufhaltsam jüdische Siedler noch immer in die besetzten Gebiete vordringen.
    Und das alles wirkt auf mich eben als eine Rhetorik, die weitgehend regierungskonform ist.

    *„Die meiner Meinung nach politisch unkluge Konzentration der „Friedensgespräche“ auf einen Siedlungsbaustopp (obwohl es sich bei den Bautätigkeit nicht um neue Siedlungen, sondern um neue Wohnungen innerhalb von Siedlungen handelt, die zum großen Teil bei der Realisierung der Zwei-Staaten-Lösung im Zuge eines Gebietstausches zu Israel kommen werden; wobei ich die Genehmigungen dafür ebenso für einen politischen Fehler halte) …“

  46. zu @46 rü
    Man kann das alles so hinnehmen und als unvermeitlich sehen. Das tue ich und zum Glück immer mehr Leute nicht.Die Energiewende hat das Potential zumindest einiges zu verändern. Man muß sich nur mal vorstellen wenn es dezentral an den Afrikanischen Küsten möglich ist füe 1-2 Cent/kwStd. Solarstrom zu erzeugen und damit Meerwasserentsalzungsanlagen zu betreiben. So könnte man einige Fehlentwicklungen umkehren.

  47. Korrektur zu # 47:

    Im vorletzten Satz muss es natürlich „unaufhaltsam“ heißen (keine Ahnung, wohin das „un“ gerutscht ist).

    Dann auch gleich noch ein paar Worte zu Grass Gedicht:
    Erst einmal gebe ich I. Werner Recht, die in # 29 angemerkt hat, dass es Grass mit seinem Gedicht geglückt ist, dass der Israel-Iran-Konflikt ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt wurde und somit durchaus als Weckruf gewertet werden kann.

    Und ich denke Grass hat mit Bedacht die Gedichtform gewählt, weil er als Dichter eben gerade keinen „sachlich differenzierten“ Leitartikel zu schreiben braucht.
    Auch Brecht hat beispielsweise die von ihm wahrgenommenen sozialen und politischen Ungerechtigkeiten häufig in Gedichtform kritisiert.

    Ich halte deshalb die harsche Kritik, die Grass zu Teil wird, und das von Israel verhängte Einreiseverbot für völlig überzogen.
    Erfreulich finde ich dagegen, die vielfältigen sachlichen Diskussionen, die durch sein Gedicht ausgelöst wurden. Und nichts anderes wollte Grass wohl mit seinem Gedicht bzwecken.

  48. Endlich hat mit Günter Grass einer, den Politik und Medien nicht überhören können, wenn auch teils angreifbar, die Mauer der sogenannten political correctness ein Stück eingerissen und medienwirksam Tacheles gesprochen. Ich war mehrmals für Monate in Israel und habe dort Freunde gefunden. Aber seit Jitzchak Rabins Ermordung durch einen jüdischen Fanatiker hat sich dort,auch zu deren großen Kummer, vieles
    zum Dunklen gewendet.

    Wir sind durch die unsäglichen Verbrechen unserer Großvätergeneration dem Staate Israel und seiner Existenz weit mehr als andere Staaten verpflichtet.
    Doch gerade diese durch nichts zu tilgende Schuld verbietet uns die Menschenrechte und Unobeschlüsse mißachtende Politik der Regierung Netanjahu durch Augenschließen angesichts ihrer Siedlungs- und
    Apartheid-Politik zu stützen und durch Lieferung von präventivschlag-fähigen atomarbestückbaren U-Booten aufzurüsten. Auch wenn die momentan Regierenden weder
    in der Lage noch willens sind, durch einen atomaren Erstschlag gegen das vermutete iranische Atomwaffen-Projekt das iranische Volk auszulöschen, wie Gass überzogen poltert.

    Ein noch so fanatisch geifernder Ahmadinedschad berechtigt aber nicht zu einem vorbeugenden Angriff auf ein Land, von dem bislang nur vermutet werden kann,
    eine Atommacht werden zu wollen und das im Gegensatz zu Israel nicht seit Jahrzehnten über ein unkontrolliertes Atomwaffenarsenal verfügt. Selbst eine von einem durchgeknallten Ahmadinedschad geführte iranische Regierung würde doch nicht im Ernst Israel, ein Land, das, eng verflochten mit Gazasreifen, besetztem Westjordanland und gemeinsamer Hauptstadt, kleiner als z.B. Brandenburg ist, mitsamt den zu befreienden Palästinensern in eine atomarverseuchte Wüste verwandeln wollen, wenn sie dazu die Fähigkeit erlangen würde.
    Und wer glaubt ernsthaft, falls der Iran zu solch einem selbstmörderischen Atomschlag fähig werden würde, dass seine Führung nicht den geballten Vergeltungsschlag der Nato ins Kalkül zu ziehen wüßte.

    Und gebe es überhaupt diese Fanatisierung im Iran und im restlichen islamischen Raum in dieser krassen Ausformung, wenn es die jahrzehnte anhaltende Besetzung mit fortschreitender Anektierung des palästinensischen Lebensraumes durch israelische Siedlungspolitik nicht geben würde und stattdessen zwei Staaten friedlich voneinander profitieren würden?
    Ich habe Respekt und Bewunderung für die Aufbauleistung
    der Israelis in einem einst unwirtlichen und von vielen Feinden umgebenen Lande. Deshalb wünsche ich den Israelis kluge Regierende, die diesem wunderbaren Land helfen endlich eine friedliche Zukunft mit ihren Nachbarn zu finden.

    Rainer Weingärtner, Düsseldorf

  49. @ Anna #47 und #49

    Versprecher und Verschreiber treffen den Kern einer Aussage oft sehr genau. Nach http://de.wiktionary.org/wiki/-sam hat die Nachsilbe -sam als Wortbildungselement drei Bedeutungen:

    [1] es adjektiviert Verben dahingehend, dass man mit jemand oder etwas etwas machen kann
    [2] es adjektiviert Verben dahingehend, dass jemand oder etwas etwas (häufig oder gewöhnlich) tut
    [3] es adjektiviert Substantive dahingehend, dass jemand oder etwas von etwas erfüllt ist oder etwas bereitet

    Im Sinne der Beutung 1, also biegsam = man kann es biegen, haben Sie das Wörtchen „aufhaltsam“ eigentlich richtig verwendet: man kann (oder besser: man könnte, wenn man es denn nur wollte) das Vordringen der „jüdische[n] Siedler … in die besetzten Gebiete“ aufhalten.

  50. Wenn ich die Rethorik, Forderungen, Drohungen und Argumente aus Israel und dem Westen, betreffend Iran zusammensehe mit der Lieferung von atomwaffenfähigen U-Booten an Israel und dem Aufbau eines europaweiten Raketenabwehrschirms durch die USA, der ganz ausdrücklich gegen Raketenangriffe aus dem Iran errichtet wird und an dem sich inzwischen die NATO und die BRD beteiligen und andere Länder wie Spanien, Polen, Rumänien ihre Beteiligung zugesagt haben, dann stellt sich mir das als Kriegsvorbereitung dar, die weit über die gegen den Irak hinaus geht; auch weit über eine Sicherungsmaßnahme für Israel oder über ein Druckmittel, um eine Verhandlungslösung zu erreichen. Das hat strategisches Ausmaß. Israel spielt da zweifellos eine wichtige Rolle aber sicher nicht die wesentliche und schon gar keine führende. Ich finde, das sieht ziemlich bedrohlich aus.

  51. hans (#48)
    Ich denke, wir verschieben unseren Gedankenaustausch auf den nächsten Umwelt-Thread den Bronski uns bei Gelegenheit reicht. (Feinstaubmessungen in Flörsheim 😉 )
    Bis dahin, schönen Sonntag (auch an die anderen), rü

  52. @ M. Beitz

    Ja, Sie sagen es, natürlich könnten die israelischen Siedler aufgehalten werden, aber dafür fehlt eben auf der israelischen Seite jegliches Interesse. Und damit entblößt sich auch die ganze Doppelzüngigkeit der israelischen Regierung: Während man sich vordergründig für eine Zwei-Staaten-Lösung ausspricht, werden durch die jüdische Besiedlung des Westjordanlands tatsächlich Fakten für eine Ein-Staaten-Lösung geschaffen.
    Die Leidtragenden dabei sind die fast völlig entrechteten Palästinenser, die diesen unsäglichen Zustand unter der Knute des israelischen Militärs erdulden müssen.
    Und da es aber der israelisch-jüdischen Bevölkerung unter diesen Bedingungen insgesamt recht gut geht, ist eine freiwillige Änderung der jetzigen Verhältnisse kaum zu erwarten.
    Deshalb sind die Palästinenser auf die Unterstützung der Staatengemeinschaft angewiesen, die nicht müde werden darf, die israelische Regierung zu einer fairen und einvernehmlichen Lösung zu drängen.

  53. zu @53 rü
    sehe ich auch so, wobei mir in dieser Diskussion schon nochmal klar geworden ist wie sehr die Verbreitung von Atomwaffen mit der friedlichen Nutzung der Kernenergie verbunden ist.

  54. @ Anna

    Sicher ist auch mein Nebensatz verkürzt formuliert. Unzweifelhaft muss es das Ziel der Friedensgespräche sein, die Besatzung zu beenden. Daraus folgt die Konsequenz, dass sich die jüdischen Siedler aus den meisten Siedlungen zurückziehen werden müssen (oder bei der palästinensischen Verwaltung eine Aufenthaltsgenehmigung beantragen). Seit den (leider letztlich gescheiterten) Verhandlungen von Camp David und Taba ist aber auch klar, dass einige grenznahe Siedlungsblöcke durch einen Gebietstausch dem Staatsgebiet von Israel zugeschlagen werden. Ich halte es deshalb nicht für politisch sehr klug, wenn die palästinensische Seite die Einstellung jeglicher Bautätigkeit in den Siedlungen zur Vorbedingung für weitere Friedensgespräche macht. Ein differenzierteres Vorgehen, bei dem sich die palästinensische Forderung z.B. auf einen Stopp jeglicher weiteren Beschlagnahme von Land für Siedlungen oder Infrastruktur konzentrieren würde, fände wahrscheinlich auch in der politischen Landschaft und der Öffentlichkeit in Israel breitere Unterstützung. Hingegen ist den (jüdischen) Israelis kaum zu erklären, warum der Bau neuer Wohnungen z.B. in dem Stadtteil Gilo im Süden Jerusalems „protestwürdig“ sein sollte, wo dieses früher zum jüdischen Westjerusalem zugehörige Gebiet nach 1948 von den Jordaniern besetzt wurde. Dies nutzt die Siedlerlobby, um ihre expansionistische Politik, die von der Mehrzahl der Israelis nicht unterstützt wird, zu verschleiern.

  55. zu @ Abraham
    Dann hätten Sie bestimmt auch nichts dagegen wenn die Palistinenser im israelischem Kernland Siedlungen bauen würden und die dann zum Tausch anbieten.

  56. Ich will endlich einmal in einer Welt leben ohne diesen jüdisch-christlich-muslimisch-kapitalistisch-kommunistischen Blödsinn und Schwachsinn überall!!!
    Jede Religion (auch die jüdische als die älteste…) ist nicht Opfer, sondern Täter!!
    Jeder also, der sich selbst als „Jude“ oder gar als „Christ“ oder „Deutscher“ bezeichnet, ist letztlich selber schuld bzw. hat einfach nichts gelernt (auch nicht aus einer wie auch immer gearteten „Geschichte“)…

    Wie sagte schon der stoische Montaigne (1590):
    „Ich habe schon genug mit meinem Menschsein zu tun. Warum muss ich denn auch noch Franzose (etc.) sein?“

  57. @ # 57 Hans

    Wogegen ich etwas habe oder nicht ist ziemlich unwichtig. Es kommt darauf an, auf was sich die Beteiligten einigen, um zu einer Zwei-Staaten-Lösung zu kommen. Ein Gebietsaustausch zwischen Teilen des „israelischen Kernlandes“ und einigen Siedlungsblöcken im Palästinenserland scheint ein fester Bestandteil dieser Lösung zu sein, den beide Seiten bereits akzeptiert haben.

  58. Warum hat mensch in der FR-Redaktion nicht den Mumm
    z.B. den von Werner Engelmann (12.4. 16.09h )
    zusammengestellten Kommentarauszügen und seiner
    eigenen Stellungsnahme (und sei auch der Kötter vor)
    in der FR Raum zugeben.
    Es würde so einiges wieder ins Lot bringen und mir nicht
    mein langjähriges Abonnententum, in letzter Zeit zunehmend, sauer aufstoßen lassen.
    Und das nicht nur seit der grass-ierenden Dichterhatz.

  59. Ich finde auch, dass die Frankfurter Rundschau zu sehr in das Grass-„Bashing“ miteinstimmt.
    Wenn man auf der Suche nach anderen Positionen ist, landet man oft in jüdisch-amerikanischen Blogs oder aber bei kleineren Zeitungen.

    In der Neuen Presse(Hannover)erschien ein sehr lesenswertes Interview mit Uri Avnery:

    >>Uri Avnery zum Fall Günter Grass: „Total unnötig“

    Israel erklärt Günter Grass zur Persona non grata: Der Literaturnobelpreisträger ist wegen seines umstrittenen Gedichts in dem Land nicht mehr willkommen. Doch selbst Kritiker des Schriftstellers halten die israelische Reaktion für überzogen. Der israelische Autor Uri Avnery meint im NP-Interview, jeder kann seine Meinung zu Israel äußern, selbstverständlich auch Deutsche.

    Ist das Grass-Gedicht antisemitisch?
    Unsinn. Antisemitisch und prosemitisch sind für mich dasselbe. Es bedeutet, dass Juden etwas besonderes sind und eine Sonderbehandlung brauchen. Wir wollen ein Staat wie andere Staaten sein und mit denselben Maßstäben gemessen werden. Jede Einstellung, die besagt, dass Israel eine Art Sonderbehandlung haben muss, ist antisemitisch. Weil es bedeuten würde, dass wir nicht wie andere Menschen sind, dass wir – zum Guten oder zum Schlechten – anders behandelt werden müssen.
    Hätte Grass besser die israelische Regierung statt der ganzen Nation kritisieren sollen?
    Die Politik eines Staates wird durch die Regierung bestimmt. Wenn wir Deutschland kritisieren, kritisieren wir die deutsche Regierung. Wenn Israel Atombomben produziert oder Iran angreift, dann ist das eine Entscheidung der Regierung.

    Hat Grass mit der Aussage Recht, dass Israel eine Gefahr für den Weltfrieden ist?
    Das ist weit übertrieben. Günter Grass, den ich sehr respektiere, übertreibt gern in so mancher Beziehung. Israel wird Iran nicht angreifen.

    Und welche Gefahr geht vom Iran für Israel aus?
    Mahmut Ahmadinedschad ist ein politischer Präsident, der im Iran sehr wenig zu sagen hat. Die Politik dort wird von den Ayatollahs bestimmt. Das sind sehr vorsichtige und oft vernünftige Menschen.

    Der israelische Innenminister Eli Jeschai hat Grass die Reise ins Heilige Land verboten. Was halten Sie davon?
    Das ist auch Quatsch. Eli Jischai ist ein mittelmäßiger Politiker. Er ist ebenso ein Großmaul wie Ahmadinedschad, er macht inhaltslose Gesten. Grass zur Persona non grata zu erklären, ist völliger Blödsinn – schon allein deswegen, weil Günter Grass gar nicht den Plan hat, hierher zu kommen. In Deutschland und in Israel läuft gerade einen Wettbewerb, wer kann Grass mehr beschimpfen, und wer findet extremere Ausdrücke für ihn. Der politische Krawall darum ist total unnötig – sowohl in Israel als auch in Deutschland. Warum soll ein Deutscher nicht seine Meinung sagen?

    Im Grunde geht es um ein schwerwiegendes politisches Problem im Nahen Osten …
    Israel wird auf Dauer seine nukleare Monopolstellung im Nahen Osten nicht halten können. Dann werden entweder auch andere Länder nuklear aufrüsten oder man entscheidet sich für den Frieden, für die Abrüstung. Das ist ein politisches Problem, das von Politikern gelöst werden muss. Aber natürlich kann jeder eine Meinung dazu haben. Und selbstverständlich auch ein Deutscher.

    Spielt der Holocaust bei dem Streit eine Rolle?
    Der Holocaust darf nicht vergessen werden, aber er ist 60 Jahre her und er sagt nicht aus, dass ein Deutscher 60 Jahre später nicht seine Meinung äußern darf. Es ist antisemitisch, darauf zu bestehen, dass Israel in Deutschland nicht kritisiert werden darf.<<

    http://www.neuepresse.de/Nachrichten/Politik/Deutschland-Welt/Uri-Avnery-zum-Fall-Guenter-Grass-Total-unnoetig

  60. Abraham (#60)

    Salut,
    ich weiß ja nicht, aber irgendwie drehen sich alle im Kreis.

    http://www.zeit.de/politik/ausland/2012-04/abbas-brief-netanjahu

    Ohne das Eine, setzen wir uns nicht an den Tisch. So wird das nie was. Wenn alle die gleichen Rechte bekämen würden, wäre dann eine Einstaatenlösung so abwägig? Es ist doch Abrahams Land, was für ’ne Fahne da weht ist doch egal, wenn ich nicht mehr Angst wegen Bomben und Raketen haben müßte. Ist das zu naiv?

  61. zu Anna (#62)

    Mir gefällt das auch nicht, was da an Bashing auszumachen ist. Und es gab mal eine Zeit, da kam erst die eine Seite in der FR zu Wort, dann die andere Seite. Darüber habe ich mal im Blog geschrieben… auch schon eine Weile her. Mittlerweile will ich diese Stimmen,
    http://www.frblog.de/apartheid/#comment-36519
    die unter Deckmäntelchen der Redefreiheit übelsten Jargon verbreiten, nicht mehr haben, lieber wenige Stimmen, aber dafür welche mit Hirn.

    Gestern oder vorgestern ein „Burschenschaftsbericht“ im WDR. Ariernachweis, wird da unter anderem angesonnen. Verfassungsschutz interessiert das nicht, weil Politgrößen der etablierten Parteien dort auch anzutreffen sind. Wen interessiert’s? Aber auf Grass draufhauen…

  62. @Anna
    Liebe Anna, es geht doch nicht darum, DASS Grass Israel kritisiert hat, sondern auf welche Weise und mit welchen direkten (und indirekten Bezügen). Der für mich gravierendste Kritikpunkt ist seine völlig falsche Darstellung der Tatsachen, indem er Ahmadinedschad verniedlicht, der tatsächlich droht, Israel zu vernichten und Israel als den Aggressor darstellt, der ein ganzes Volk (Iran) vernichten möchte.Das zeugt von verzerrter Wahrnehmung. Ob das Gedicht nun antisemitisch ist oder nicht, darüber kann man streiten. Ich würde sagen, es hat antisemitische Aspekte. Zusätzlich zu dieser unlauteren Verdrehung der Wirklichkeit wählt er Formulierungen und Begriffe nämlich so, dass sich Verknüpfungen zum Holocaust aufdrängen. Auf diese Weise wird suggeriert, dass Iran heute so bedroht ist wie einst die Juden. Diese ekelhaften unterschwelligen Verknüpfungen, von denen es mehre gibt, macht den in meinen Augen antisemitischen Charakter einiger Passagen aus.

    maat

  63. @maat

    Was Sie sagen stimmt nicht.

    Grass stellt Israel nicht als Aggressor dar, er spricht auch nicht davon, welche Absicht Israel haben könnte, er spricht explizit und ausschließlich vom „Recht auf den Erstschlag“, welches den Weltfrieden gefährdet, da es keinerlei Kontrolle der Verteidigung mehr geben wird, wenn schon ein Verdacht zu einer militärischen Intervention genügt.
    Es gibt hierzulande und anderswo genug Maulhelden, die die Vernichtung Israels verlangen. Würden Sie einen atomaren Erstschlag auf Deutschland akzeptieren – präventionshalber?? Welche Begrenzung der Wirkung der atomaren Waffen würden Sie flächenmäßig hinnehmen? Frankfurt, Bremen, Hamburg, Wunsiedel, ungeachtet der Gerechten? ?

    Grass meint auch nicht die physische Vernichtung des Volkes, er meint die politische Vernichtung des Volkes und die Unauslöschbarkeit des atomaren Traumas, wie es die Japaner erfahren haben.
    Ein Präventivschlag Israels würde jeden Friedenswillen in Iran, Irak und vielleicht in der gesamten arabischen Liga politisch vernichten. Vielleicht sogar den Friedenswillen der Welt.

    Grass sagt, daß die Atommacht Israel den Weltfrieden (in Verbindung mit dem Erstschlag-Gedanken) gefährdet, er sagt nicht, daß dies Israels Absicht ist.

    Die Anspielungen auf den Holocaust sind mir aus der Dichtung heraus sehr verstehbar: Auch U-Boote sind bloss Dosen.

  64. @ maat

    Liebe maat, Standort hat ja deinen Einwänden dankenswerterweise bereits ein paar sachliche Argumente entgegengehalten, so dass ich mich darauf beschränken werde, nur etwas Allgemeines anzumerken.

    Kritik ist natürlich immer irgendwie „anti“. Und wenn zwischen zwei Parteien so tiefe Wunden vorhanden sind wie zwischen Deutschen und Juden, ist es eben besonders problematisch Kritik zu äußern, weil diese Wunden sofort wieder zu bluten anfangen.
    Ich erlebe es hier im südlichen Afrika auch immer wieder, dass auf Kritik von Weißen sehr empfindlich reagiert wird und ziemlich schnell Rassismus gewittert wird. Dieses Reaktionsmuster muss man stets im Hinterkopf haben und sehr vorsichtig bei der Äußerung von Kritik sein.

    Und „vorsichtig“ war Grass eben gerade nicht, da hast du schon Recht. Aber ist es wirklich so schlimm, wenn in einem Gedicht Dinge etwas überzeichnet werden, damit das, was kritisiert werden soll, auch für jeden sichtbar wird?
    Ich meine nicht. Und je nach dem wie sich die Lage im Nahen Osten noch entwickelt, kann ich mir auch gut vorstellen, dass Grass Gedicht in ein paar Jahren anders bewertet werden könnte.

    Gruß
    Anna

  65. Zitat: „Und wenn zwischen zwei Parteien so tiefe Wunden vorhanden sind wie zwischen Deutschen und Juden, ist es eben besonders problematisch Kritik zu äußern, weil diese Wunden sofort wieder zu bluten anfangen.“

    Ich glaube genau auf der Ebene liegt das Problem. Dadurch das immer wieder wiederholt wird wie problembelastet die Beziehung zwischen Deutschen udn Juden ist, kann sie aber auch nur schwer besser werden. Ich weigere mich Deutsche und Juden in unterschiedliche Parteien zu trennen. So wird man den Menschen nicht gerecht, die im zweifelsfall Beides sind.

  66. zu Grass und Israel:

    Könnte man jetzt bitte mal auf den Punkt kommen, um den es Grass auch wesentlich geht (und der nebenbei gesagt nah bei dem liegt, was zu Köhlers Rücktritt geführt hat)?

    Warum exportiert Deutschland immer mehr Waffen in Krisengebiete?

    Dazu habe ich im Rahmen der Debatte auffallend wenig gehört. Tut das Thema so weh?
    Dann sollte man erst recht hinschauen!

    Wolf v. Ausgburg

  67. @ Anna

    Auch Uri Avnery weist die Behauptung von Grass zurück, Israel sei eine Gefahr für den Weltfrieden. Jacob Augstein hat bei Jauch die Formulierung, Israel wolle mit einem „Erstschlag“, die Bevölkerung Irans „auslöschen“ als falsch bezeichnet (sich also in den von ihm kritisierten Gleichklang-Chor eingereiht). Sieht man von diesen Passagen und der merkwürdigen Selbstbespiegelung in der Manier „Man wird doch sagen dürfen“ ab, was bleibt von dem Gedicht?

    Langsam habe ich das Gefühl, dass die Frage nicht lautet, ob man Israel kritisieren darf. An Israels Politik wird, oft zu recht, manchmal auch unbegründet, in den Medien und den Blogs ständig Kritik geübt, ohne dass diese Kritik auf nenneswerten Widerspruch stößt. Vor den Folgen eines israelischen Militärschlags hat z.B. der deutsche Verteidigungsminister gewarnt, ohne dass irgendwelche Vorwürfe gegen ihn erhoben wurden. Die Frage lautet almählich, ob man „Israel-Kritiker“ und den Iran kritisieren darf. Man sehe sich an, mit welchen Kommentaren bei FR-online die (durchwegs kritische) Israel-Berichterstattung von Inge Günter bedacht wird.

  68. Naja, Abraham, Uri Avnery findet es lediglich „übertrieben“, wenn Grass schreibt, Israel gefährde den Weltfrieden, weil er davon überzeugt zu sein scheint, dass Israel den Iran mit dem Kriegsgeschrei nur einschüchtern möchte. Er hält offenbar weder Israel noch den Iran für verrückt genug, wirklich einen atomaren Krieg zu riskieren.*

    So schreibt Avnery in einem weiteren Text , der den herrlichen Titel „Günter der Schreckliche“ trägt, folgendes:

    „Er (Grass) behauptet dann, dass die „Atommacht“ Israel den „ohnehin brüchigen Weltfrieden gefährdet“.
    Um diese Gefahr abzuwenden, schlägt er vor, das „israelische atomare Potential und Irans Atomanlagen “ unter unbehinderter und permanenter internationaler Kontrolle zu stellen – mit dem Einverständnis beider Regierungen.
    Am Ende erwähnt er auch die Palästinenser. Nur auf diese Weise könnten den Israelis und Palästinensern und allen andern Bewohnern, der „vom Wahn okkupierten Region“, geholfen werden.

    NUN, ICH fiel nicht vom Stuhl, als ich dies las. Das Gedicht kann und muss kritisiert werden, aber es gibt nichts, das ernste Verurteilung verlangt.“

    Und die Kritik, die Inge Günhters Leitartikel, „Günter Grass – besondere Egozentrik“, erntete, ist für mich auch nicht übermäßig verwunderlich, weil der jede Menge Spitzen enthält. Wie z.B. die Frage gleich zu Beginn des Textes: „Darf so einer wie Günter Grass, der in jungen Jahren eine SS-Uniform trug, was er mehr als sechs Jahrzehnte verschwiegen hat, den jüdischen Staat als potenziellen Täter hinstellen und das auch noch verpacken in moralinsaure Larmoyanz?“
    Von solcher Art Polemik fühlt sich ein Teil der Leserschaft verständlicherweise um ihre kostbare Zeit beraubt.

    Ihre Selbstbefragung, ob gegen „Israel-Kritiker“ und gegen den Iran überhaupt noch Kritik geäußert werden dürfe, halte ich übrigens für irreführend.
    Der Iran ist den Hegemonialansprüchen der USA/Israel in der Region doch schon lange ein Dorn im Auge und deshalb auch schon seit langem zur Zielscheibe westlicher Hetze geworden. Dafür werden sogar Zitate falsch übersetzt und immer wieder von neuem falsch heruntergebetet.
    Und seit Israel nun damit gedroht hat, Irans Atomanlagen angreifen zu wollen, erheben sich mehr und mehr kritische Stimmen – und zwar ganz einfach deshalb, weil nicht nur Grass, sondern auch viele andere zu Recht befürchten, dass ein Krieg mit dem Iran fatale Konsequenzen für die ganze Welt hätte.

    Dann fragen Sie weiter, was von Grass überhaupt „übrigbliebe“, wenn man sowieso davon ausgehen kann, dass Israel den Iran in Wirklichkeit gar nicht angreifen will und somit auch der „Weltfrieden“ nicht wirklich gefährdet ist.
    Dazu habe ich eine schöne Auflistung gefunden – allerdings nur auf Englisch, in der auf die wichtigsten Kritikpunkte in Grass Gedicht eingegangen wird, u.a. auch noch mal sehr ausführlich zum „Weltfrieden“:

    „Does Israel have nukes? According to just about every source in the world, the answer is yes. Shimon Peres is widely credited as the father of the Israeli nuke plan and has never denied it. John Crossman (formerly Mordechai Va’anunu) served 18 years, many of them in solitary confinement, in an Israeli prison for exposing this truth.

    Are those weapons supervised? Of course not. Israel is above such petty laws.

    Is Israel plotting an attack against Iran? Yes. Netanyahu and his ministers have said so time and time again. Recently, Netanyahu said that an attack on Iran is not an “if” question but rather a “when” question. His Minister of Security, Ehud Barak, said openly that in case of such an attack, Israel expects 500 casualties (Hebrew). This week, the government ministers were informed that this number has been notched down to 300 (Hebrew).
    Is Israel considering using nukes against Iran? Yes, or at least it gives good reason to believe it does. Netanyahu has said time and time again that “all options are on the table,” and that means the nuclear option is on the table as well. Reuters has reported that Israel considers using tactical nukes, as did a Fox News commentator, quoting an Israeli source claimed to be knowledgeable and accurate (here, around the 2:15-2:25 mark). One could plausibly make the claim that this is just psychological warfare on Israel’s part, and that not even Ehud Barak is that insane; but can one blame Grass for falling victim to Israel’s psychological offensive? When you’re playing the regional madman, don’t blame people if they think you’re actually barking mad.

    Will German-provided submarines be used to deliver those tactical nuclear weapons? Quite possibly. Israel’s Dolphin-class submarines, provided by Germany, are widely assumed to be armed with nuclear weapons.

    Is Netanyahu considering wiping out the Iranian people? Considering some of his statements, it’s not out of the realm of possibility. One of Netanyahu’s aides claimed Netanyahu thinks of the Iranians as Amalek, the mystical people who are the enemies of God and who are to be wiped out to the last. Netanyahu never formally retracted this genocidal comment, and he never paid a public price for it. He also keeps referring to the Iranians as Nazis – and to Nazis and Iranians as Amalekites.
    So, basically everything said by Grass is plausible, at least within the frame of the psychological warfare waged by Israel.”

    ______________
    * „Hat Grass mit der Aussage Recht, dass Israel eine Gefahr für den Weltfrieden ist?
    Das ist weit übertrieben. Günter Grass, den ich sehr respektiere, übertreibt gern in so mancher Beziehung. Israel wird Iran nicht angreifen.
    Und welche Gefahr geht vom Iran für Israel aus?
    Mahmut Ahmadinedschad ist ein politischer Präsident, der im Iran sehr wenig zu sagen hat. Die Politik dort wird von den Ayatollahs bestimmt. Das sind sehr vorsichtige und oft vernünftige Menschen.“

  69. @ Anna

    „Der Iran ist den Hegemonialansprüchen der USA/Israel in der Region doch schon lange ein Dorn im Auge und deshalb auch schon seit langem zur Zielscheibe westlicher Hetze geworden. Dafür werden sogar Zitate falsch übersetzt und immer wieder von neuem falsch heruntergebetet.“

    Genau das ist es, was ich meine. Mit solchen Sätzen wird jede Kritik an Iran delegitimiert.

    Welches Geschrei gebe es, würde jemand schreiben: „Israel ist den Hegemonialansprüchen des Islams in der Region doch schon lange ein Dorn im Auge und deshalb auch schon seit langem zur Zielscheibe iranischer Hetze geworden. Dafür werden sogar geschichtliche Fakten gefälscht und immer wieder von neuem falsch heruntergebetet.“

  70. Ich weiß gar nicht was Sie wollen, Abraham. In ähnlicher Weise wird doch schon die ganze Zeit argumentiert. Der Iran wird dämonisiert, weil er angeblich in den Besitz nuklearer Waffen gelangen möchte und so eine akute Bedrohung für Israel darstellen würde – und das, obwohl Israel schon lange selbst über ein beachtliches atomares Waffenarsenal verfügt.
    Und diesem Argument wird eben entgegen gehalten, dass der Iran mit einem eigenen nuklearen Waffenprogramm , sofern ein solches tatsächlich in Planung sein sollte – was ja nicht bewiesen ist, lediglich das erforderliche Gleichgewicht herstellen möchte, um seine Souveränität gegenüber dem Westen bewahren zu können.

    Sie werden mir jetzt ggf. entgegenhalten wollen, dass das israelische Arsenal in den Händen vernünftiger Menschen liegt, wohingegen das möglicherweise vom Iran geplante Nuklearpotenzial in die Hände von unvernünftigen Menschen gelangen würde. Nehmen Sie es mir dann aber bitte nicht übel, wenn ich mich auf solche Spekulationen nicht einlassen möchte.

  71. De facto ist die Hegemonialmacht im Nahen Osten im Besitz der USA und Israels. Für Israel ist das die wesentliche Voraussetzng für seine Politik und die ist de fakto expansionistisch und repressiv. Alle Versuche, diese Politik mit rechtlichen und moralischen Waffen zu stoppen, sind bisher gescheitert. Also bleiben den Arabern nur zwei Optionen, entweder die glaubwürdige Kontrolle der israelischen Atomwaffen oder Waffengleichheit, d.h. in diesem Fall Erlangung einer glaubwürdigen Zweitschlagfähigkeit. Auf dieser Basis wäre dann eine dritte Option denkbar, aus meiner Sicht die nachhaltigste, Verständigungspolitik und kontrollierte Abrüstung auf beiden Seiten.

  72. Jetzt mal ein konkreter Vorschlag zu einer Verständigungspolitik, die so vielleicht jetzt schon denkbar ist. Ich meine Verhandlungen über die Wiedergutmachung der durch die Errichtung des Staates Israel verursachten Schäden und Verluste bei der einheimischen palästinensischen Bevölkerung einschließlich der Flüchtlinge. Ich denke, dass Wiedergutmachung aus guten Gründen wirklich nachhaltige friedenstiftende Wirkungen entfalten würde. Die Kosten müßte nicht allein Israel tragen; daran wären alle mitverantwortlichen Länder, insbesondere auch Deutschland zu beteiligen. Die Verhandlungen sollten nicht bilateral, sondern multilateral geführt werden. Die beteiligten Länder müßten dafür eine internationle Verhandlungsbasis schaffen.

  73. @ Friedrich Meinl

    „De facto ist die Hegemonialmacht im Nahen Osten im Besitz der USA und Israels“.

    Zweifelsohne haben die USA, Russland und China ihre Hegemonialinteressen im Nahen Osten. Kann man aber wirklich Israel als „Hegemonialmacht“ bezeichnen? Israel hat palästinensische Gebiete (und die syrischen Golanhöhen) besetzt und hält diese Besatzung mit militärischer Macht aufrecht. Man kann auch Israel kritisieren, weil es das Recht auf Selbstverteidigung extensiv auslegt. Doch darüber hinaus hat Israel gegenüber seinen Nachbarstaaten oder anderen Ländern des Nahen Ostens keine Gebietsansprüche, erhebt keine Ansprüche auf deren Rohstoffe, kontrolliert nicht deren Wirtschaft und mischt sich nicht in deren interne Angelegenheiten ein, strebt also keine Hegemonie über diese an. Mir ist auch nicht bekannt, dass Israel gegenüber Iran jenseits des Streits um seine Atomrüstung sowie um die Unterstützung der Hisbollah und Hamas (die mit iranischen Waffen Israel angreifen und bedrohen) irgendwelche politischen Forderungen erhoben hätte.

    Die seit Jahrzehnten bestehende atomare Rüstung Israels haben die arabischen Staaten bisher offensichtlich nicht als Bedrohung angesehen. Weder Ägypten, noch Saudi-Arabien oder die Golfstaaten haben bisher zu ihrer Verteidigung gegen Israel die Erlangung der „Zweitschlagfähigkeit“ für notwendig erhalten. Erst durch das Streben Irans (das kein arabischer Staat ist) nach der Atombombe (für das auch nach der Überzeugung Russlands und Chinas, die entsprechenden Resolutionen der IAEO zugestimmt haben, schwerwiegende Indizien sprechen) droht ein atomares Wettrüsten im Nahen Osten.

  74. @ Abraham

    „Erst durch das Streben Irans (das kein arabischer Staat ist) nach der Atombombe (für das auch nach der Überzeugung Russlands und Chinas, die entsprechenden Resolutionen der IAEO zugestimmt haben, schwerwiegende Indizien sprechen) droht ein atomares Wettrüsten im Nahen Osten.“

    Auf welche Resolution beziehen Sie sich denn da? – Meinen Sie die Resolution, die Ende 2011 verabschiedet wurde und in der die „steigende Besorgnis“ gegen Irans Atomprogramm ausdrückt wurde?

  75. @ Abraham
    Hegemonialmacht und Hegemonialpolitik sind nicht dasselbe. Sie gehören zu verschiedenen Kategorien. Macht ist Potenz, Politik ist Aktion. Macht wird nicht durch Politik beschrieben, sondern durch die zur Verfügung stehenden Machtmittel, z. B. Waffen, Technik, Wissen, Geld, Bildung, Industrie, Rohstoffe, Bevölkerungszahl, Landgröße. Hinzu kommen die Potenzen der Bündnispartner. Die Politik Israels habe ich nicht als hegemonial, sondern als expansionistisch und repressiv bezeichnet. Sie expandiert in die im U.N. Teilungsplan von 1947 ausgenommenen Gebiete und behandelt die eingesessene Bevölkerung mit repressiver Politik und militärischer Gewalt.
    Jetzt droht die israelische Regierung mit einem Militärschlag gegen iranische Atomanlagen. Die USA verhängen wirtschaftliche Sanktionen gegen Iran und stellen Israel militärische Unterstützung in Aussicht. Iran kann das umgekehrt nicht, auch kein anderer Staat im Nahen Osten. Hier tritt die Hegemonialmacht des Bündnisses Israel-USA und die Asymmetrie der Machtverhältnisse deutlich in Erscheinung. Was daraus wird, wenn die Aktion zu einem Krieg eskaliert, weiß niemand.
    Israel ist bis heute darauf angewiesen, seine Existenz mit militärischen Mitteln zu sichern und ist deshalb bis an die Zähne bewaffnet. Es hat keinen Freund in der Region und sieht sich in Frage gestellt und bedroht. Um auf lange Sicht zu überleben, muss Israel sich mit seinen Nachbarn verständigen und dazu eine neue Politik entwickeln. Ich halte das für möglich. Einen Vorschlag dazu habe ich gemacht. Darüber nachzudenken lohnt sich eher, als weiter nach immer neuen Rechtfertigungen für die alte Machtpolitik zu suchen. Man braucht dazu nicht auf die Regierungen zu warten. Das kann ganz klein anfangen und hat ja, Gott sei Dank, auch schon begonnen. Haben Sie was dagegen? Wenn ja, was?

  76. „Darüber nachzudenken lohnt sich eher, als weiter nach immer neuen Rechtfertigungen für die alte Machtpolitik zu suchen.“

    Das finde ich auch – und jetzt bin ich sehr auf Abrahams Einschätzungen dazu gespannt.

    Übrigens hat die FES gerade eine Analyse „der Krise um das iranische Nuklearprogramm“ veröffentlicht, die sehr interessant eingeleitet wird:

    > Iran ist ein rationaler Akteur der internationalen Politik, der seine sicherheitspolitischen Entscheidungen auf Grundlage der wahrgenommenen Bedrohungssituation trifft.
    > Iran befindet sich, dem Staate Israel durchaus vergleichbar, in einer prekären Sicherheitslage; aus der Perspektive Teherans ist es daher durchaus rational, am Atomprogramm als Mittel der Abschreckung und damit der Selbstverteidigung festzuhalten.
    > Die Lösung der Iran-Krise hängt wesentlich davon ab, ob und inwieweit es gelingen wird, die Bedrohungswahrnehmung auf Seiten Irans zu verändern; den USA kommt hier eine Schlüsselfunktion zu.
    > Ein Militärschlag gegen die iranischen Nuklearanlagen wäre kontraproduktiv; er würde das Atomprogramm lediglich verlangsamen, aber nicht dauerhaft verhindern.
    Tatsächlich würde ein Angriff in Teheran die Überzeugung stärken, dass eine iranische Atombombe als Mittel der Abschreckung und Selbstverteidigung notwendig ist.
    (…)

    http://library.fes.de/pdf-files/id/ipa/09027.pdf

  77. Zunächst Dank an Anna für den Link http://www.uri-avnery.de/news/185/22/Guenter-der-Schreckliche.
    Bereits in meinem Beitrag #9 habe ich den Verdacht geäußert, dass das Grass-Bashing auch mit der Angst zu tun haben könnte, dass sein Vorschlag am Ende des Gedichts tatsächlich diskutiert werden könnte, nämlich dass sowohl das israelische atomare Potential wie auch die iranischen Atomanlagen unter internationale Kontrolle gestellt werden sollten. Die Methode, dies zu verhindern, konnte jeder in den Medien erleben: durch Verunglimpfung der Person Grass und wilde Behauptungen über ihn, die durch seine tatsächlichen Aussagen in keiner Weise abgedeckt sind. Exemplarisch für diese Art von Manipulation die(unwidersprochene!), mit viel künstlicher Empörung vorgetragene Behauptung von Michel Friedman bei Maybrit Illner, Grass bestreite das Existenzrecht Israels – wo doch im Gedicht das exakte Gegenteil steht.
    Das alles offenbar, um mit allen Mitteln die – von Grass, wenn auch in angreifbarer Weise, angeregte Diskussion über israelische Machtpolitik und die Bedeutung als einziger Atommacht der Region zu verhindern.
    Uri Avnery nun zeigt, wie völlig anders die Diskussion läuft, wenn man sich tatsächlich nicht nur auf den Inhalt des Gedichts von Grass einlässt, sondern auch seinen Vorschlag ernst nimmt.
    In diesem Zusammenhang auch eine Widerrade zu Abrahams in # 78 geäußerte Befürchtung, „erst durch das Streben Irans nach der Atombombe … droht ein atomares Wettrüsten im Nahen Osten“.
    Man vergleiche mit dem Wettrüsten der USA und der Sowjetunion zur Zeit des „kalten Krieges“: War es nicht gerade das atomare Patt, das die beiden nicht nur ideologisch verfeindeten Supermächte letztlich an den Verhandlungstisch zwang? Wäre das auch so gewesen, wenn es der Sowjetunion nicht gelungen wäre, den atomaren Rückstand zu den USA aufzuholen? Wäre die Versuchung für die dominierende Atommacht USA, ihre atomare Überlegenheit hegemonial zu benutzen, nicht erheblich größer gewesen? Verlautbarungen von Präsident Truman, nach denen der Einsatz der Atombombe im Koreakrieg weit mehr als nur ein Gedankenspiel war, sprechen hier eine deutliche Sprache. (Der Dokumentarfilm „Atomic Cafe“ geht auf dieses Problem ein und zeigt u.a. Übungen in amerikanischen Klassenzimmern zum „Schutz“ vor der Atombombe: „Duck – and cover“ – auf Deutsch: Schultasche über den Kopf!)
    Überträgt man diese Erfahrungen auf den Palästina-Konflikt, so hieße das: Selbst eine iranische Atombombe (was noch keinen Gleichstand mit der Atommacht Israel bedeutete) hieße noch lange nicht (wie propagandistisch immer wieder behauptet wird), dass die Existenz Israels auf dem Spiel stünde, wohl aber die hegemoniale Siedlungspolitik der israelischen Regierung und ihr doppelzüngiges Verhalten in Bezug auf die 2-Staaten-Lösung. Israel würde zu ernsthaften Kompromissen gezwungen, die vor allem auch für Palästinenser akzeptabel wären. Es würde gezwungen, die Interessen dieser Bevölkerungsgruppe zur Kenntnis zu nehmen, sie als gleichberechtigte Bürger anzuerkennen.
    Der Grasssche Vorschlag einer internationalen Kontrolle ergäbe dann nicht nur einen Sinn, er wäre geradezu notwendig, um eine Eskalation zu verhindern.
    Geht man von diesem Gedankengang aus, wird auch verständlich, warum bei den öffentlich-rechtlichen Scheindiskussionen jegliches Eingehen auf die israelische Siedlungspolitik peinlichst vermieden wird, warum der Iran zum Monster aufgebaut werden muss (auch wenn die verharmlosende Bezeichnung Ahmadenidschads als „Maulheld“ zu kritisieren wäre). Auch wenn man die pauschale Einschätzung von Israel als Bedrohung für den „Weltfrieden“ als stark übertrieben ansehen muss – bezieht man die aggressive Siedlungspolitik der Regierung Netanjahu als Haupthindernis für eine Lösung des Konflikts in die Betrachtung mit ein, erscheint sie nicht ganz unberechtigt.
    In diesem Zusammenhang möchte ich Abraham daran erinnern, dass die von hans in #57 aufgeworfene Frage nach vergleichbaren palästinensischen Siedlungen im israelischen Kernland – die ich durchaus nicht als polemisch empfinde – noch immer nicht beantwortet ist.

  78. @ Werner Engelmann

    „In diesem Zusammenhang auch eine Widerrede zu Abrahams in # 78 geäußerte Befürchtung, ‚erst durch das Streben Irans nach der Atombombe … droht ein atomares Wettrüsten im Nahen Osten‘“.

    In Ihrer „Widerrede“ gehen Sie allerdings mit keinem Wort darauf ein, dass die schon lange bekannte atomare Bewaffnung Israels die arabischen Staaten (die sich noch am ehesten von Israel bedroht fühlen könnten) bisher nicht veranlasst hatte, sich um eigene Atombombe zu bemühen. Ich kann auch Ihr Argument nicht nachvollziehen, eine iranische Atombombe würde Israel zum Rückzug aus den besetzten palästinensischen Gebieten zwingen. Erstens ist Iran kein uneigennütziger Vertreter palästinensischer Interessen, sondern kocht im Nahen Osten sein eigenes Süppchen, mal mit der Hamas, mal mit den noch radikaleren Dschihadisten. Zweitens ist Irans ideologisches Ziel nicht eine Zwei-Staaten-Lösung, sondern die Beseitigung des „Zionistischen Regimes“ (also die Zerstörung der staatlichen Existenz Israels) – was keineswegs ein „Übersetzungsfehler“ einer Rede Ahmedinedschads ist, sondern immer wieder von Irans Klerikern geäußert wurde (schon Chomeini hat Israel zum „kleinen Satan“ – neben dem „großen Satan“ USA – erklärt). Dabei belässt es Iran nicht bei Worten, sondern lässt in diesem Sinne Hisbollah und Hams blutig handeln.

    Bitte sehen Sie mir nach, wenn ich mich nicht aus der Sicherheit Deutschlands an der Debatte beteilige, wie man den Israel-Palästina-Konflikt „einfach“ lösen könnte. Sicherlich wird man die Israelis nicht zu Kompromissen bewegen, wenn man ihnen das Schlimmste unterstellt, während man bei Iran jeden Zweifel an bösen Absichten als „Manipulation“ oder „westliche Propaganda“ abtut. Nicht dass ich Kritik an Israels Regierenden für falsch halten würde: Nur diese wird – vor allem in Israel (und auch in den USA) – frei und frank geäußert. Hingegen wird in Iran jede Kritik an der Regierung blutig unterdrückt – um so mehr sollten wir hellhörig sein.

    P.S.: Die Frage nach palästinensischen Siedlungen in Israels Kernland habe ich längst beantwortet – der damals fast zu Stande gekommene Deal sah ja einen Tausch besetzter Gebiete gegen Gebiete im „Kernland“ Israels vor. Ein solcher Tausch ist keine nachträgliche moralische Rechtfertigung der Siedlungspolitik, sondern könnte ein „Preis“ für eine friedliche Lösung sein. Auch die Anerkennung der Oder-Neise-Grenze erfolgte trotz das Unrechts der Vertreibung, war aber die einzige realistische Alternative für ein friedliches Europa.

  79. @ Abraham

    Sie scheinen in einem Systemwechsel (= Trennung von Staat und Religion)in Israel die „Zerstörung des Staates Israels“ zu sehen. Das verstehe ich nicht. Warum sollte es Ihrer Ansicht nach denn nicht möglich sein, dass Israel ein säkularer Staat wird?

    Außerdem habe ich auch noch einen Einwand zu folgender Anmerkung:
    „In Ihrer „Widerrede“ gehen Sie allerdings mit keinem Wort darauf ein, dass die schon lange bekannte atomare Bewaffnung Israels die arabischen Staaten (die sich noch am ehesten von Israel bedroht fühlen könnten) bisher nicht veranlasst hatte, sich um eigene Atombombe zu bemühen.“

    Dabei unterschlagen Sie jedoch, dass Syrien ebenfalls schon länger in Verdacht steht, an einem Atomprogramm zu arbeiten, und dass Israel deswegen bereits 2007 eine Atomanlage in Syrien bombardiert hat.

  80. @ Abraham

    „Ein solcher Tausch ist keine nachträgliche moralische Rechtfertigung der Siedlungspolitik, sondern könnte ein “Preis” für eine friedliche Lösung sein. Auch die Anerkennung der Oder-Neise-Grenze erfolgte trotz das Unrechts der Vertreibung, war aber die einzige realistische Alternative für ein friedliches Europa.“

    Auch bei diesen beiden Sätzen regt sich Widerspruch bei mir.
    Erstens ist es eben doch eine moralische Rechtfertigung und zwar nicht nur der israelischen Siedlungspolitik, sondern überhaupt der des ganzen Unrechts, das an den Palästinensern im Zuge der Staatsgründung Israels begangen wurde.
    Und deshalb hinkt auch Ihr Vergleich mit der Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze mehr als. Immerhin war Deutschland der Aggressor, der Zerstörung und Leid in Europa initiiert hatte, weshalb die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze – obwohl die vorausgegangene ethnische Säuberungsaktion ein Unrecht war – wirklich zwingende Voraussetzung für ein friedliches Europa war.
    Im Falle des Israel-Palästina-Konflikts ist die Lage aber völlig anders. Die Zionisten haben mit der Unterstützung vor allem Großbritanniens in einem blutigen Krieg, der heute euphemistisch als „Unabhängigkeitskrieg“ bezeichnet wird, Gebiete gegen ein praktisch wehrloses Volk erobert, von dem damals schon ein Großteil vertrieben wurde. Wenn also etwas anerkannt werden müsste, so müssten die Israelis endlich die „Nakba“ anerkennen und Zugeständnisse an die Palästinenser machen. Aber genau das Gegenteil fordert der Aggressor Israel vom Opfer Palästina, weshalb bisher auch kein Frieden geschlossen werden konnte.

    Ganz am Anfang der Diskussion empfand ich die Worte, die Sari Nusseibehs in einem in der taz erschienen Interview geäußert hat (http://www.taz.de/Philosoph-ueber-den-Nahostkonflikt/!89831/) für etwas übertrieben. Jetzt, nachdem so viel dazu geschrieben wurde, und ich Uri Avnerys Ausführungen zu den „Amalekiter“ und der „Haggadah“ (http://www.uri-avnery.de/news/184/22/Giesse-aus-Deinen-Zorn) gelesen habe, schwant mir aber, wie Recht Nusseibeh wohl damit hat:

    „Eine Zweistaatenlösung ist derzeit nicht möglich. Wenn die Israelis nicht nach Kompromissen suchen, haben sie nur zwei Optionen, mit uns Palästinensern umzugehen: ENTWEDER HERRSCHEN SIE IN EINEM APARTHEIDSYSTEM ÜBER UNS. DAS WÜRDE DIE GESELLSCHAFT SPALTEN UND PROBLEME MIT DER INTERNATIONALEN GEMEINSCHAFT SCHAFFEN. ODER ABER SIE ROTTEN UNS AUS. DAS ABER GEHT HEUTE NICHT MEHR. Wenn die Israelis über ihre eigene nachhaltige Zukunft nachdenken, dann müssen sie sich etwas einfallen lassen. Anfangs dachten sie, sie könnten ihren jüdischen Staat aufbauen und wir würden irgendwo in der Wüste verschwinden. Als sie 1967 den zweiten Krieg gegen uns gewannen, haben sie das palästinensische Territorium wiedervereinigt. Heute leben mehr Palästinenser im historischen Palästina als in der Diaspora. Das ist für Israel eine sehr unangenehme Vorstellung.“

  81. @ Anna

    Es liegt mir wirklich fern, irgendwelche historische Parallele zwischen den Gebietsverschiebungen in Europa nach dem 2. Weltkrieg und dem territorialen Konflikt in Palästina zu ziehen. Insofern akzeptiere ich Ihren Widerspruch. Allerdings regt sich auch bei mir heftiger Widerspruch gegen Ihre Beschreibung des Israel-Palästina-Konflikts, weil Sie offensichtlich keine Ahnung von den historischen Abläufen haben. Die zionistische Einwanderung Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts in die vernachlässigte Provinz Palästina und der damit verbundene Landewerb durch die Jewish Agency geschah mit Billigung des Osmanischen Reiches, das schon Ende des 15. Jahrhunderts den aus Spanien vertriebenen Juden Aufnahme gewährte. Die Kolonialmacht Großbritannien hatte im Vorfeld des 1. Weltkriegs sowohl der zionistischen Bewegung eine „jüdische Heimstätte“ in Palästina versprochen als auch den sich neue formierenden arabischen Nationalisten ihre Unterstützung für deren Unabhängigkeitsbestrebungen zugesagt, um den Nahen Osten als den strategisch wichtigen Verbindungsweg nach Indien zu sichern. Nach dem 1. Weltkrieg wurde dann tatsächlich Großbritannien vom Völkerbund die Hoheit über Palästina als „Mandatsgebiet“ übertragen. In den Folgejahren schränkte Großbritannien die jüdische Einwanderung nach Palästina immer mehr ein und ließ nicht einmal jüdische Flüchtlinge aus Nazi-Deutschland oder dem von Nazis besetzten Europa in das Land herein. Die antijüdische Politik in Palästina setzte Großbritannien auch nach 1945 fort, stimmte 1947 gegen den UN-Teilungsplan (der in der Generalversammlung mit den Stimmen der UdSSR und der von ihr abhängigen Staaten eine Mehrheit fand). Im Krieg von 1948, der durch den Überfall der arabischen Nachbarstaaten auf den gerade ausgerufenen Staat Israel begonnen hat, stand Großbritannien nicht auf der Seite Israels; britische Offiziere befehligten die jordanischen Truppen, die vor allem in Jerusalem Geländegewinne erzielt haben (unter anderem auch die gesamte Altstadt besetzt und das jüdische Viertel vollständig zerstört haben). Die ersten Waffen hat Israel aus der (schon kommunistisch regierten) Tschechoslowakei erhalten.

    Die Kette des gegenseitig zugefügten Unrechts zwischen den Juden in „Erez Israel“ und den Palästinensern fängt schon in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts an. So haben palästinensische Pächter oft das von ihnen bewirtschaftete Land verlassen müssen, wenn es (durchaus legal) von der Jewish Agency erworben wurde. Manche von ihnen sahen die jüdischen Einwanderer deshalb (aber auch wegen ihres europäischen Lebensstils) als ihre Feinde an. Die steigenden Spannungen führten zum palästinensischen Terror (der sich im Vorfeld der Ausrufung des Staates Israel nochmals steigerte) sowie zum jüdischen Gegenterror (der sich auch gegen die Britten richtete). Die Kriegshandlungen von 1948 (sowie Massaker seitens der jüdischen Terrorgruppen) führten zur Flucht und Vertreibung eines Teiles der Palästinenser, der „Nakba“. Das den Palästinensern Unrecht geschehen ist, bestreitet in Israel kaum jemand, wenn auch über die Ursachen gestritten wird. Einige (wenn auch nur eine kleine Minderheit) der „neuen Historiker“ in Israel meinen Hinweise auf planmäßige und systematische Vertreibung der Palästinenser gefunden zu haben, andere bestreiten ein planmäßiges Vorgehen der zionistischen Führung.

    Allerdings gehört zu den historischen Fakten auch, dass die Palästinenser deshalb Flüchtlinge in eigenem Land geblieben sind, weil Jordanien und Ägypten den Teil Palästinas, der den palästinensischen Arabern zugesprochen wurde, annektiert und die Flüchtlinge überwiegend in Lager gepfercht haben. Auch so wurde dafür gesorgt, dass es auch vor 1967 genügend Nachwuchs für Gruppen gab, die Terror gegen Israel geübt haben. Die blutige Spur israelischer Militärgewalt und des palästinensischen Terrors zieht sich bis heute. Diese „kollektive Erinnerung“ auf beiden Seiten ist einer der Gründe (neben dem Versagen der politischen Führungen z.B. der Palästinenser unter Arafat sowie der gegenwärtigen Regierung Israels), weshalb es so schwer ist, die an sich von der Mehrheit auf beiden Seiten akzeptierte Zwei-Staaten-Lösung umzusetzen.

  82. Lieber Abraham,

    (…)“weil Sie offensichtlich keine Ahnung von den historischen Abläufen haben.“

    Na vielen Dank für das Kompliment. 😉

    Wahrscheinlich ist es aber eher so, dass Sie Ihr Wissen aus anderen Quellen beziehen als ich meines und wir sicherlich auch bestimmte Informationen anders bewerten.
    Ich fand die Diskussion jedenfalls sehr interessant und aufschlussreich, werde sie jedoch jetzt erst mal ruhen lassen. Da das Thema aber wohl leider bis auf weiteres ein Dauerbrenner bleiben wird, werden wir darüber sicher nochmals ins Gespräch kommen.

    Ein schönes Wochenende und herzliche Grüße
    Anna

  83. @ Abraham
    Zunächst einmal herzlichen Dank für Ihre Antwort in # 83 und Ihre historischen Ausführungen in # 86. Ich rechne es Ihnen auch an, dass Sie sich nicht, wie viele andere, um eine Antwort auf heikle Fragen wie die israelische Siedlungspolitik drücken.
    Vorneweg soviel: Ich halte es – nicht nur aus moralischen Gründen – für idiotisch, historische Fakten beim Zustandekommen des Staates Israel und dessen Existenz im Nachhinein in Frage stellen zu wollen, unabhängig von dem jeweiligen Anteil an „Schuld“. Nicht Revisionismus kann eine Antwort auf aktuelle Probleme darstellen, sondern nur Relativierung oder zumindest erträglich Machen von Grenzen. Europa ist dafür ein Beispiel.
    Zweitens halte ich es für geboten, zu allererst demjenigen Solidarität zukommen zu lassen, dessen Existenz oder Lebensgrundlagen bedroht sind und der ihrer bedarf. Das gilt freilich nicht nur für Israel.
    Nehmen Sie es mir aber bitte nicht übel, wenn ich im Folgenden auf, wie mir scheint, ziemlich grundlegende Unklarheiten hinweise.
    1) Zur Frage der Siedlungspolitik und des „Tauschs“:
    Anna hat hierzu bereits Stellung bezogen. Dennoch dazu so viel: Mir ist völlig unklar, wie das von statten gehen soll. Unter dem Strich bleibt es eine „ethnische Säuberung“, die Menschen als beliebig zu verschiebende Objekte ansieht und zudem schreckliche historische Vorbilder hat. Auf Stalin oder Srebrenica brauche ich wohl nicht zu verweisen. Doch auch ein „friedlicher“ Austausch nach dem Modell Indien – Pakistan 1948 war schrecklich genug. Wenn ich mir hier eine persönliche Bemerkung erlauben darf: Meine Eltern mussten nach dem Krieg ihre Heimat verlassen, und ich habe meine Heimatstadt in Tschechien erst über 40 Jahre später kennengelernt. Ich meine also zu wissen, was dies für Betroffene bedeutet. Für sie ist es ziemlich bedeutungslos, im Namen welcher „Staatsraison“ oder angeblich höherrangiger Prinzipien das erfolgt. Zudem wüsste ich nicht, was höherrangig wäre als die Existenzsicherung und das Wohl der Menschen.
    (Übrigens durfte ich anlässlich meiner Tschechienaufenthalte erfahren, wie viele Menschen schon seit Jahren beste Kontakte zu den Menschen pflegten, die heute in ihren früheren Häusern in der früheren Heimat leben. Ein Hinweis darauf, wie viele Menschen selbst zu schmerzlichem Verzicht bereit sind, so denn Regierungen oder selbsternannte „Vertreter“ nicht den Hass untereinander schüren.)
    2) Zum „ideologischen Ziel“ und den Interessen des Irans sowie dem Charakter des Mullah-Regimes:
    Zunächst scheinen Sie mein Gedankenexperiment in Analogie zum Abbau des Ost-West-Konflikts nach dem atomarten Patt missverstanden zu haben. Auch hier gab es ideologische Ziele und widersprüchliche Interessen en masse, die aber alle ziemlich bedeutungslos wurden angesichts eines gemeinsamen Interesses: überleben zu wollen. Und ich gehe wohl zu Recht davon aus, dass selbst das schreckliche Mullah-Regime keine Ansammlung potentieller Selbstmörder ist. (Da schicken sie lieber andere vor, doch im atomaren Konflikt wären sie selbst betroffen.) Außerdem meine ich, dass auch die (gegenwärtige) israelische Regierung eines solchen „Zwangs“ bedarf, um zur Einsicht zu kommen, dass man nicht ungestraft mit einem Pulverfass spielt, ohne mögliche Konsequenzen zu bedenken – wie Grass sie in – zugegeben drastischer und ziemlich einseitiger Weise – schildert.
    Des Weiteren unterscheiden Sie nicht – wie eigentlich in allen Ihren Beiträgen – zwischen Regierungsinteressen und Lebensinteressen der Bevölkerung. Der ständige Hinweis auf die „blutige“ Unterdrückung im Iran wird hier zum Bumerang: Belegt doch die Tatsache, dass es solcher Mittel bedarf, um das Regime (noch) an der Macht zu halten, wie gravierend die Gegensätze zwischen Regime und Bevölkerung sein müssen und wie sträflich es ist, dies zu unterschlagen. Konfliktlösungen wird man natürlich nur finden können, wenn man die Interessen der Menschen in den Mittelpunkt des Denkens stellt, statt, wie das Kaninchen auf die Schlange, nur auf Regierungskonzepte zu starren.
    Übrigens frage ich mich, wie unsicher man seiner eigenen Argumente sein muss, wenn man es nötig hat, dem jeweiligen Gegenüber Blauäugigkeit oder Blindheit auf einem Auge zu unterstellen. Meine Frau und ich pflegen über den Luxemburger Flüchtlingsrat ziemlich intensiven Kontakt zu Exiliranern, die unter Lebensgefahr ihr Heimatland verlassen haben. Ich meine daher nicht, Nachhilfeunterricht zu benötigen, was den diktatorischen und menschenverachtenden Charakter des Mullah-Regimes betrifft.
    3) „Bitte sehen Sie mir nach, wenn ich mich nicht aus der Sicherheit Deutschlands an der Debatte beteilige, wie man den Israel-Palästina-Konflikt „einfach“ lösen könnte.“
    – Gilt dieser Einwand auch für Uri Avnery oder Moshe Zuckermann, die zu ganz ähnlichen Einschätzungen kommen?
    Hier, meine ich, kommen wir zum Kern unseres Dissenses: Meinen Sie im Ernst, aus einer Situation gefühlter Existenzbedrohung sei man zu besonders klarer und überlegter Einschätzung in der Lage? –
    Die Geschichte ist voll von Belegen, dass das Gegenteil der Fall ist. Hier nur der Extremste – nicht als Vergleich misszuverstehen, sondern als Hinweis gedacht, zu welchen Formen von Selbstzerstörung man Menschen bringen kann:
    Nach der (für Nazis) vernichtenden Niederlage von Stalingrad hätte man meinen können, deren Auswirkung würde von der Nazi-Führung propagandistisch heruntergespielt. Das Gegenteil war in der schrecklichen Sportpalast-Rede von Josef Goebbels am 17.2.42 der Fall: Er steigerte das Bedrohungsszenario ins Unerträgliche, und er wusste, was er tat. Bedingungslose Solidarisierung mit dem Regime bis zum Untergang, Bereitschaft zur Selbstaufopferung waren die Folge. – Bedrohungsszenarien machen kopflos, deren Beschwörung sind ein Mittel – nicht nur diktatorischer Regime (vgl. Thatcher und Falkland-Krieg), die Bevölkerung in bedingungslosem Gehorsam hinter sich zu scharen, sie auf eine kriegerische „Lösung“ einzuschwören und als einzig Mögliche darzustellen.
    Nicht die israelische Regierung (die dies sicher als äußere „Einmischung“ interpretiert), wohl aber die Bevölkerung dürfte wohl beraten sein, Beiträge aus einer Position (relativer) „Sicherheit“ zumindest zur Kenntnis zu nehmen – umso mehr, als die Beseitigung von Regierungen (was ich sowohl den Iranern wie den Israelis wünsche) Angelegenheit der jeweiligen Bevölkerung sind, die Entfesselung kriegerischer Konflikte jedoch in keinem Fall mehr als „innere Angelegenheit“ angesehen werden können.
    Ich wünsche noch einen schönes Wochenende.
    Mit freundlichen Grüßen
    Werner Engelmann

  84. @ Anna

    Habe vorher Ihren Beitrag # 84 übersehen. Sie fragen darin: „Warum sollte es Ihrer Ansicht nach denn nicht möglich sein, dass Israel ein säkularer Staat wird?“ Nun: Der Zionismus ist von Anfang an eine säkulare Nationalbewegung gewesen, von mehrheitlich a-religiösen bzw. antireligiösen Liberalen und Sozialisten getragen. Von seiner staatsrechtlichen Verfasstheit ist Israel ein demokratischer Rechtstaat, der unabhängig von Religion (oder ethnischen Herkunft) Bürgerrechte einschließlich der Religionsfreiheit garantiert. Israel ist also so „jüdisch“ wie Frankreich französisch, nämlich im nationalen und nicht im religiösen Sinne. Das Rechtssystem in Israel ist säkular, richtet sich also nicht nach den jüdischen Religionsvorschriften der Halacha (oder denen der Scharia), was z.B. die Gleichberechtigung der Frauen oder die rechtliche (und weitgehende gesellschaftliche) Akzeptanz von gleichgeschlechtlichen Beziehungen betrifft.

    Das Judentum ist in Israel keine Staatsreligion, alle Religionsgemeinschaften (auch Muslime, Christen, Drusen) regeln ihre „internen“ Angelegenheiten autonom und unabhängig vom Staat. Dazu gehört (wie es im Nahen Osten historische Tradition ist), dass die Religionsgemeinschaften ein vom Staat unabhängiges „Monopol“ in Angelegenheiten des Familienrechts haben. Dieses umstrittene Privileg der Religionen haben sich die Zionisten bei der Staatsgründung von der Orthodoxie abtrotzen lassen. Zu den vehementesten Befürwortern der Einführung einer standesamtlichen Ehe gehört Scharanskis rechtsnationalistische Partei „Unser Haus Israel“.

    Ich kann mir außerdem schlecht vorstellen, dass die von Irans Führung erwünschte „Beseitigung des zionistischen Regimes“ auf die Trennung von Religion und Staat zielen sollte, die es in der „Islamischen Republik“ mit der Staatsreligion Islam und einer Diktatur der Kleriker (mit erzwungener Trennung von Geschlechtern im öffentlichen Raum und der Verfolgung von Homosexuellen und Bestrafung von Ehebruch) ohnehin nicht gibt.

    Die überwiegende Mehrheit der jüdischen Israelis befürwortet (im nationalen Sinn) einen „jüdischen Staat“ mit seiner Rechtsordnung. Die „Abschaffung des zionistischen Regimes“ könnte also nur mit Gewalt gegen diese Bürger durchgesetzt werden, entweder durch militärische Besetzung Israels und die Unterdrückung der Bürgerrechte der jüdischen Israelis, oder durch deren Vertreibung oder Ermordung. Ich glaub nicht, dass dies der „richtige Weg“ zur Beendigung der israelischen Besatzung der palästinensischen Gebiete wäre.

    Die durch israelische Angriffe unterbundenen atomaren Bemühungen Syriens (und des Irak unter Saddam Husein) waren, soweit ich es beurteilen kann, ebenfalls weniger eine Reaktion auf eine mögliche Bedrohung durch das Nuklearpotenzial Israels. Beide Länder strebten (ähnlich wie Iran) den Status einer regionalen Hegemonialmacht (siehe auch Syriens Libanon-Politik) und wollten sich (ähnlich wie Nordkorea) durch Atomwaffenbesitz „unangreifbar“ machen. Unabhängig davon: Auch ich halte das Ziel eines atomwaffenfreien Nahen Ostens (und einer atomwaffenfreien Welt) für erstrebenswert, das aber kurzfristig nicht erreicht werden kann. Sicher ist aber, dass ein kontrollierter Verzicht Irans auf die weitere Entwicklung in Richtung Atombombe (wie er in den 5+1-Gesprächen verhandelt wird und vom UN-Sicherheitsrat gefordert wurde) sofort die Gefahr eines israelischen Angriffs beseitigen würde. Hingegen würde die atomare Entwaffnung Israels die Feindschaft der Iranischer Kleriker und ihres Staates gegenüber dem „Zionistischen Regime“ nicht beenden, genauso wenig, wie ein israelischer Rückzug aus den besetzten palästinensischen Gebieten (von dessen Notwendigkeit ich überzeugt bin).

    P.S.: Noch ein Nachtrag zum 1948-Krieg, der Ihrer Meinung nach von Israel „gegen ein praktisch wehrloses Volk“ geführt wurde. Falls Sie einmal Israel besuchen, werden Sie mancherorts noch die syrischen und jordanischen Panzer sehen, die mit primitivsten Waffen von der Hagana gestoppt wurden. Die Bombenangriffe auf Tel Aviv und die monatelange Belagerung Jerusalems sind kaum von einem „praktisch wehrlosen Volk“ erfolgt, sondern von hochgerüsteten (wenn auch zum Glück für Israel miserabel geführten und schlecht koordinierten) arabischen Armeen.

  85. @ Anna

    Mit meiner Bemerkung, dass Sie „offensichtlich keine Ahnung von den historischen Abläufen“ haben, wollte ich Sie nicht kränken. Es tut mir leid, wenn Sie sich persönlichg angegriffen fühlen. Sicher gibt es unterschiedliche Quellen und mögliche Interpretationen des Geschehens, aber es gibt auch objektive Fakten, z.B. dass Israel 1948 nicht die Unterstützung Großbritanniens hatte.

  86. @ Werner Engelmann
    Auch ich möchte mich bei Ihnen für die sachliche Diskussion bedanken. Bitte sehen Sie mir nach, wenn ich nur kurz antworte.

    1. Im Gegensatz zu uns beiden sitzen Uri Avineri und Moshe Zuckermann nicht in Sicherheit, sondern sind ein Teil der israelischen Gesellschaft. Sie haben jedes Recht, von ihrer Regierung andere Politik zu fordern, weil sie auch die Risiken mit tragen. Im Gegensatz zu uns ist der Konflikt für sie keine Theorie, sondern Teil eines von vielen Gefahren bedrohten Lebens. Sie kennen die Ängste von Eltern und Großeltern, die nicht wissen, wann die nächste Bombe in einer Pizzeria oder in einer Disko hochgeht, wann die nächste Rakete in einem Kindergarten einschlägt. Sie wissen aber auch, dass jeder Krieg sie selber, ihre Kinder und Enkelkinder direkt trifft, denn sie alle (auch die Kinder und Enkel der höchsten Politiker) dienen in der israelischen Armee. Gerade weil es in Israel eine kontroverse öffentliche Diskussion gibt, braucht das Land nicht unsere „guten“ Ratschläge. Das heißt natürlich nicht, dass wir Israels Politik kritiklos hinnehmen müssen.

    2. Israel wird von einer demokratisch gewählten Regierung geführt. Ein widersprüchliches Wählerverhalten gehört aber zu den Widersprüchen der Demokratie. So ist aus Umfragen bekannt, dass die Mehrheit der Israelis die Siedlungspolitik ablehnt (weil sie viel Geld kostet, zu viel Sicherheitskräfte bindet und vielen ein moralisches Unbehagen bezüglich der Behandlung der Palästinenser verursacht). Trotzdem wählen sie mehrheitlich Parteien, die sich zu der Siedlungspolitik bekennen, weil sie meinen, diese würden besser für ihre Sicherheit sorgen. Die Bedrohung durch Iran (die eine überwiegende Mehrheit des Israelis bis tief in das Friedenslager als real empfindet) verstärkt dieses verhalten. Auf politischen Druck von außen reagieren Israelis ebenfalls mit Verhärtung.

    3. Israel hat bittere Erfahrungen mit Selbstmordatentätern, die davon überzeugt sind, als Märtyrer direkt ins Paradies zu kommen. Der Märtyrerkult ist im schiitischen Islam besonders ausgeprägt, im iranisch-irakischen Krieg wurden von den Ayatollas tausende Kinder mit einem Plastikschlüssel zum Paradies um den Hals in den Märtyrertod geschickt. Kann man ausschließen, dass solche religiöse Fanatiker nicht bereit sind, den Märtyrertor Tausender Palästinenser oder Iraner in Kauf zu nehmen, wenn auch „Ungläubige“ vernichtet werden?

    4. Noch am einfachsten lässt sich die Frage beantworten, wie ein Gebietstausch zwischen Israel und dem künftigen Staat Palästina aussehen könnte, weil dafür im Camp David und in Taba bereits Karten gezeichnet wurden. Soweit ich mich erinnern kann, umfassen die zum Austausch vorgesehenen (grenznahen) Siedlungsblöcke etwa 5 % der besetzten Gebiete, die bereits jetzt nahezu ausschließlich von jüdischen Israelis bewohnt werden. Dafür sollten Palästinenser (unbewohntes) gleich großes Gebiet in Galilea und im Negev erhalten. Mit dem einvernehmlichen Gebietstausch wäre also keine zusätzliche Vertreibung verbunden.

  87. @ Abraham # 90

    Ich fühle mich weder gekränkt noch angegriffen – ich habe nur in den nächsten Tagen Besseres zu tun als mich weiter an einer Diskussion zu beteiligen, die sich für meine Begriffe inzwischen totgelaufen hat.

  88. @ Abraham
    @ Anna

    Drei Punkte möchte ich jetzt doch noch ansprechen:
    – Die Tatsache, dass arabische Staaten keine Atomwaffen haben bzw. nicht (mehr) nach ihnen streben, heißt noch lange nicht, dass sie sich nicht von Israels Atomwaffen bedroht fühlen. Dementsprechend braucht man jetzt keinen iranischen Sonderweg zu behaupten. Die Iraner können es ganz einfach und lassen sich nicht so leicht einschüchtern.
    Ob es nun stimmt oder nicht, Libyen, Syrien und Irak standen lange im Verdacht, ein geheimes Atomprogramm zu betreiben, in einem Fall gab es sogar Krieg deswegen.
    – Wie ich schon einmal bemerkt habe, ist die angebliche Vernichtungsdrohung Ahmadinedschads Ergebnis einer umstrittenen Übersetzung – ein Thema, das in Deutschland anscheinend kaum interessiert. Braucht man das Feindbild Ahmadinedschad so dringend, dass man die fragliche Übersetzung nicht überprüft und einer seriösen Diskussion stellt?
    Nochmal: Ich wäre froh, wenn dieser Präsident seine Politik mäßigen würde. Ich wäre froh, wenn Iran viel weniger Einfluss in der Region hätte. Aber das heißt nicht, dass ich die israelischen Positionen gutheiße.
    – Wir sind hier bei Beitrag # 93, über zwei Wochen sind seit der Veröffentlichung vergangen, aber anscheinend findet es kaum jemand in der deutschsprachigen Öffentlichkeit nötig, deutsche Waffenexporte in ein Krisengebiet zu diskutieren. Das war Grass‘ Ausgangspunkt, und das weitgehende Schweigen beweist nur, wie dringend nötig es war, das Thema anzuprechen, und wie berechtigt sein Vorwurf der Rede- und Denkeinschränkungen ist, so problematisch ich seinen Text finde.

  89. @ Anna / @ Bronski
    # 71

    Ich würde bitten, in einem deutschsprachigen Blog keine ausgedehnten fremdsprachigen Zitate einzufügen. Besonders bei englischprachigen Äußerungen will ja meist niemand zugeben, dass er sie nicht versteht.
    Dennoch bin ich der festen Überzeugung, dass viel weniger Leute so gut Englisch können, dass sie all die Feinheiten, die bei einer sprachlichen Äußerung, gerade bei so sensiblen Themen wie Nahost, mitschwingen, verstehen können.
    Ich würde mir wünschen, dass jemand, der so eine Quelle anbringen will, zumindest sein Verständnis des fremdsprachigen Textes darstellt.
    Auf die Komplikationen durch ungenaue Übersetzungen habe ich soeben und auch schon früher im Zusammenhang mit der Ahmadinedschad-Drohung (ist es eine?) hingewiesen.

  90. @ Wolf v. Augsburg

    # 94

    Ihr Einwand ist wahrscheinlich berechtigt. Allerdings wäre es mir zu aufwändig solche Beiträge zu übersetzen, weshalb ich das in Zukunft lieber sein lasse. Was eigentlich ein Jammer ist, weil gerade der Blog aus dem ich zitiert habe, die Dinge in wunderschöner Weise benennt. Außerdem geht gerade die lockere amerikanische Ausdrucksweise durch eine Übersetzung verloren. Ich persönlich kann mir auch englischsprachige Filme nur noch im Original ansehen. Die synchronisierten Versionen bereiten mir Ohrenschmerzen.

    # 93

    „Wir sind hier bei Beitrag # 93, über zwei Wochen sind seit der Veröffentlichung vergangen, aber anscheinend findet es kaum jemand in der deutschsprachigen Öffentlichkeit nötig, deutsche Waffenexporte in ein Krisengebiet zu diskutieren.“

    Ja, Sie haben Recht, „deutsche Waffenexporte in ein Krisengebiet“ sollte für uns Deutsche ein wichtiger Diskussionspunkt sein.
    Aber was soll man dazu sagen? –Genau das läuft wohl unter der Heuchelei des Westens, derer Grass für mein Dafürhalten völlig zu Recht überdrüssig ist. Wegen des Holocausts hätte Deutschland eine besondere Verantwortung gegenüber Israel und muss deshalb Rüstungsgüter liefern. In Wahrheit ist das aber wohl eher eine dieser idealtypischen win-win-Situationen: die deutsche Rüstungsindustrie verdient gutes Geld dabei und die andere Seite kann sich auf unfaire Weise einen militärischen Vorteil verschaffen. – Und der deutsche Steuerzahler darf dafür den Mammutanteil berappen.

    Wäre Verantwortungsbewusstsein wirklich ein Thema, so dürfte Deutschland von vornherein nicht zu den weltweit führenden Waffenexporteuren (Platz 3) gehören.

  91. @ Wolf v. Augsburg
    „Wir sind hier bei Beitrag # 93, über zwei Wochen sind seit der Veröffentlichung vergangen, aber anscheinend findet es kaum jemand in der deutschsprachigen Öffentlichkeit nötig, deutsche Waffenexporte in ein Krisengebiet zu diskutieren.“
    Wie wäre es, wenn Sie dazu ein Beitrag schreiben würden? Es gibt nichts Gutes, es sei denn, man tut es.

  92. Westliche Waffenexporte nach Israel.
    Wenn man Israel als Brückenkopf, als Hebel und als Speerspitze des Westens im Nahen Osten betrachtet, machen Waffenexporte Sinn. Selbst die Spannungen, die Israel verursacht, sind in diesem Sinne vorteilhaft, denn sie liefern die Rechtfertigung für die Waffenlieferungen und zudem jederzeit Eingriffsgründe.

  93. @ Wolf v. Augsburg, Anna, # 71, 94, 95

    Ich bin grundsätzlich kein großer Freund davon, lange Passagen aus Texten anderer Seiten hier hereinzukopieren. Ich werde es nicht unterbinden, aber eine Verlinkung erscheint mir der sauberere Weg, solche Inhalte hier einzubringen. Dann haben auch Betreiber der jeweiligen Seiten etwas davon, da auf ihre Seite geklickt wird.

    @ Friedrich Meinl, # 96

    Jawohl, das unterstütze ich. Wenn sich jemand – Wolf v. Augsburg? Standort? – die Mühe machen möchte, einen Meinungsbeitrag zu deutschen Waffenexporten zu schreiben, auch gern einen längeren, biete ich an, ihn als Gastbeitrag zu veröffentlichen, um eine eigene Diskussion zu diesem Thema anzustoßen.

  94. Heute um kurz nach 7 Uhr, kam im DLF der palästinensische Philosoph Sari Nusseibeh zu Wort. Thema:

    Ende der Zweistaatenlösung? Über die Zukunft Israels und Palästinas.

    War interessant und gut zu wissen, daß man auch anderswo die Einstaatenlösung gedanklich durchspielt. Ich dachte ja schon, ich bin fern aller Welten zu hause…

    Schönen Sonntag Euch.

  95. @ # 93 Wolf v. Augsburg

    „Wie ich schon einmal bemerkt habe, ist die angebliche Vernichtungsdrohung Ahmadinedschads Ergebnis einer umstrittenen Übersetzung – ein Thema, das in Deutschland anscheinend kaum interessiert.“

    Die Geschichte der „falschen Übersetzung“ ist meiner Meinung ein iranischer Propagandafeldzug. Soweit ich mich erinnern kann, wurde die ursprüngliche englische Übersetzung, wonach das Besatzungsregime (oder des zionistische Regime; beides in der islamischen Welt Synonyme für den Staat Israel, dessen Namen man nicht ausspricht) „von der Weltkarte getilgt“ wird, auch in iranischen Agenturmeldungen verwendet. Erst später, nach den Veröffentlichungen im Westen, wurde die (wohl korrekte) Übersetzung nachgeschoben, „von den Seiten der Geschichte“ getilgt. Im Kontext der feindlichen Politik Irans gegen den „kleinen Satan“ Israel, der finanziellen und militärischen Unterstützung der Hamas und Hisbollah zur „Befreiung ganz Palästinas“, den Rufen „Tod Israel“ bei Demonstrationen zum Jerusalem-Tag in Iran (die auch bei ähnlichen Demos in Berlin ertönen), erscheinen mir beide Aussagen recht eindeutig: Iran tut alles, damit Israel verschwindet.

    Im Übrigen hat sich Ahmadinedschad ähnlich mehrmals geäußert, ohne dass „Übersetzungsfehler“ geltend gemacht werden. Hier das Ergebnis einer kurzen Google-Recherche:
    Die Existenz Israels sei „eine Ungerechtigkeit und per se eine ständige Bedrohung“, sagte Ahmadinedschad. Israel sei „auf dem Weg zur Vernichtung“.
    RP Online, 14.4.2006

    „Wenn ihr dieses Jahr den Fehler vom vergangenen Jahr wiederholt, wird sich der Ozean der Nationen der Region empören und das zionistische Regime mit Stumpf und Stiel ausrotten“, sagte Ahmadinedschad auf einer Massenkundgebung in Isfahan.
    Spiegel online 24.5.2007

    Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad hat erneut den Fortbestand des israelischen Staates in Frage gestellt. „Mit Gottes Hilfe haben die Kinder Libanons und Palästinas den Countdown zur Zerstörung des zionistischen Regimes in Gang gesetzt“, sagte der Politiker am Sonntag. „Wir werden hoffentlich in naher Zukunft die Zerstörung dieses Regimes erleben“, fügte er in einer Rede zum Todestag des iranischen Revolutionsführers Ajatollah Ruhollah Chomeini am Montag hinzu, ohne dies näher auszuführen.
    Süddeutsche.de 3.6.2007

    Was eine „Zerstörung des zionistischen Regimes“ bedeuten würde, habe ich bereits in meinen Beiträgen # 83 und # 89 erörtert.

    Noch ein Wort zu der von Ihnen gewünschten Diskussion über Waffenexporte: Bitte klammern Sie dabei die Waffenlieferungen Irans an Hisbollah (im Widerspruch zu UN-Resolutionen, deren Einhaltung unsere tapfere Bundesmarine überwacht, während die Raketenlieferungen über Syrien munter abgewickelt wurden), an die Hamas und an Syrien, sowie die Waffenexporte Russlands (z.B. an Syrien und Iran), Chinas (z.B. an den Iran) und Nordkoreas (z.B. der Raketentechnik an den Iran) nicht aus.

  96. Atomwaffen
    Ich war bisher der Meinung, dass der Bau einer Atombombe im Iran nur um den Preis eines Krieges verhindert werden kann, ähnlich wie im Irak. Inzwischen sehe ich doch noch einen Hoffnungsschimmer in den Verhandlungen. Wie könnte/würde der Irak reagieren, wenn Israel anbieten würde, seine Atomwaffen internationaler Kontrolle zu unterwerfen. Von einem solchen Angebot habe ich bisher nicht gehört. Iran müßte dann Farbe bekennen und würde sich schwer tun, die Kontrolle seiner Atomanlagen weiter zu verweigern. Anders würde der Iran enorm an Glaubwürdigkeit verlieren, Israel und der Westen würden in jedem Falle dazugewinnen. Warum also nicht? Was würde Israel dabei riskieren? Soweit ich das durchdacht habe, komme ich zu einem überraschenden Ergebnis: Vielleicht ist das Atomwaffenpotenzial Israels in Wahrheit kleiner als allgemein vermutet.

  97. @ Abraham, #91
    Danke für Ihre informative Antwort. Ich halte einen solchen Dialog immer für sinnvoll, auch und gerade bei unterschiedlichen Ausgangspunkten. Das ermöglicht einerseits, den gleichen Sachverhalt aus einer anderen Position zu betrachten, deckt andererseits auch eigene Unklarheiten auf und zwingt andererseits zur Präzision.
    Hierbei kam mir bezüglich des Grass-Gedichts ein Gedanke, der so noch nicht ausgesprochen wurde: Man könnte dieses – trotz oder vielleicht auch gerade bei seiner provokatorischen Absicht – auch als Kompliment an die israelische Gesellschaft (freilich nicht die israelische Regierung) ansehen, die solche Kritik aushalten sollte und auch kann. Ganz anders im Fall Iran: Einen vergleichbaren Dialog mit dem Regime zu führen, erscheint von vornherein sinnlos, mit Dissidenten im Lande ist dies nicht möglich, würde diese auch gefährden. Ein Dialog mit Exil-Iranern wird natürlich geführt. Wir tun dies jedenfalls, allerdings nur mit großer Vorsicht. Es besteht dabei die Gefahr, zu viele Traumata zu berühren und Wunden aufzureißen. Ein gewisses Verdrängen ist hier notwendig, bevor neue Perspektiven erkennbar sind.
    Ein Wort zu Ihrem Punkt 3:
    Angst vor Selbstmordattentätern ist ganz gewiss keine spezifisch israelische Angelegenheit und hier sicher ebenso verbreitet. Freilich ist das hier wie in Norwegen oder in Israel eine Herausforderung, trotz allem rational damit umzugehen, nicht in eine Hysterie zu verfallen, die eigene Grundwerte über Bord wirft. Inwieweit die israelischen Regierung eben dies befördert und die Iran-Diskussion für eigene politische Zwecke instrumentalisiert, kann ich von hier aus schwer beurteilen. Ich befürchte es zumindest.
    Auf zwei wesentliche Frage gehen aber Sie nicht ein – und ich bitte Sie, dies nachzuholen:
    1) die Unterscheidung zwischen Interessen der Regierungen oder Regime von „Gegnern“ und denen des Volkes. Offenbar ist zumindest die gegenwärtige israelische Regierung allein auf ersteres fixiert. Nicht nur die beleidigten Reaktionen auf Grass belegen dies, auch ihre offensichtliche Verunsicherung durch die Vorgänge in verschiedenen arabischen Ländern weisen darauf hin, dass keinerlei Vorstellungen, geschweige denn Strategien existieren, wie denn mit diesen Ländern umzugehen sei, die sich ihrer diktatorischen Regime (zumindest zunächst einmal) entledigt haben. Eine m.E. für eine Regierung absolut sträfliche Vernachlässigung, die hysterische Reaktionen befördert, unfähig macht, historische Chancen zu ergreifen.
    Eben dies aufzuzeigen war auch die Absicht meines Gedankenexperiments einer existierenden iranischen Atomwaffe (nicht etwa, dass ich dies für wünschenswert hielte – ich kenne niemanden, der dies tut): Eine Politik, die sich auf Sprüche eines Ahmadenidschad konzentriert, dreht sich im Kreise, verschärft Gefahren statt sie abzubauen.
    Ein Helmut Kohl (von dem ich sonst nicht sehr viel halte) hat in der Frage der deutschen Einigung begriffen, dass sich für historische Veränderungen immer nur „Zeitfenster“ von beschränkter, vielleicht auch sehr kurzer Dauer öffnen.
    Nun also die Frage: Welche Überlegungen kennen Sie, den gegenwärtigen Veränderungen Rechnung zu tragen, auf Sicherheitsbedürfnisse benachbarter Länder einzugehen, evt. auch sich mit „gemäßigten“ islamistischen Regierungen uns Benehmen zu setzen?
    2) Ich habe wiederholt den Grassschen Vorschlag angesprochen, die atomaren Potentiale der Region (besser, aber freilich z.Zt. wohl utopisch: aller Länder) unter internationale Aufsicht zu stellen. – Was spräche eigentlich dagegen, von israelischer Seite eine solche Unterstellung von sich aus anzubieten? Dies würde die Länder, die Atomwaffen anstreben, in Zugzwang bringen und tatsächliche Absichten erkennbar machen. Es würde auch einen enormen Sicherheitszuwachs bedeuten, Debatten um Erstschlag und Bedrohungen von außen weitgehend überflüssig machen und brächte darüber hinaus auch Bewegung in die Palästina-Frage. – Freilich: Auch die israelische Regierung müsste „Farbe bekennen“, müsste darauf verzichten, mit dem Finger auf die bedrohlichen Nachbarn zu zeigen – und da sind eben Zweifel angebracht, ob sie das wirklich will.
    Also: Gäbe es rationale Argumente, solches abzulehnen?

    @ Bronski, Wolf v. Augsburg, #93, Standort, #16
    Ich befürworte eine solche Diskussion um deutsche Waffenexporte.
    Übrigens meine ich, dass die Diskussion schon Einiges zu Tage gebracht hat:
    In der hysterischen Reaktion auf Grass ist m.E. die Heuchelei deutlich geworden, ein solches Geschäft mit „moralischen“ Argumenten der Loyalität zu Israel und vermeintlicher „Staatsraison“ zu untermauern, ebenso die panische Angst, dass dies in einer offenen Diskussion auffliegen könnte. –
    Daher wohl auch der Antisemitismusvorwurf an Grass, der vom eigentlichen Anlass ablenken und andere davor warnen soll, sich so wie er die Finger zu verbrennen.
    Umso mehr Grund, diese Diskussion zu führen!

  98. @ Werner Engelmann

    „Angst vor Selbstmordattentätern ist ganz gewiss keine spezifisch israelische Angelegenheit und hier sicher ebenso verbreitet. Freilich ist das hier wie in Norwegen oder in Israel eine Herausforderung, trotz allem rational damit umzugehen, nicht in eine Hysterie zu verfallen, die eigene Grundwerte über Bord wirft.“

    Es gab in Israel Zeiten, wo wöchentlich Busse, Restaurants und Diskotheken in die Luft gesprengt wurden. Davon ist die Bevölkerung in einem Ausmaß betroffen, die wir uns nicht vorstellen können. Ich selbst kenne mehrere Familien, deren Angehörige bei Anschlägen verletzt oder getötet wurden. Ich möchte nicht wissen, welchen Rechtsruck es in Deutschland geben würde, wenn uns etwas Vergleichbares widerfahren wurde. In Israel gibt es zwar vor jedem Lokal und vor Supermärkten Sicherheitskontrollen, von Hysterie merkt man aber nichts, der Schutz der Grundrechte steht nicht zur Disposition. Derzeit ist es relativ ruhig, was vor allem der funktionierenden Sicherheitszusammenarbeit mit den palästinensischen Behörden im Westjordanland (und zum Teil auch der Sicherheitsbarriere, an der immer wieder Eindringversuche abgefangen werden) zu verdanken ist.

    Was die unsichere Entwicklung nach dem „arabischen Frühling“ betrifft, drohen sich leider die Befürchtungen der Israelis zu bestätigen, dass die Moslembrüder (zu deren Ideologie ein von der europäischen nationalen Rechten des ausgehenden 19. Jahrhunderts entliehener Antisemitismus gehört, und die die „Paten“ der Hamas sind) an Einfluss gewinnen würden. Wie auf diese Entwicklung zu reagieren ist, weiß man weder in Israel, noch in Europa oder in den USA. Welche Strategie die israelische Regierung verfolgt, hat mir leider Netanjahu nicht veraten. Auch ich weiß nur das, was z.B. sehr kontrovers auf der englischsprachigen Webseite von Haarez diskutiert wird.

    Eine internationale Kontrolle des offiziell nicht zugegebenen Atomwaffenarsenals würde in Israel (auch wegen der Unsicherheit, dass eine muslimisch dominierte Regierung in Ägypten den Friedensvertrag mit Israel nicht aufkündigen könnte) derzeit sicher keine Mehrheit finden. Zu groß ist in Israel das Misstrauen, dass man sich auf internationale Garantien nicht verlassen kann. Ein Beispiel dafür ist der Libanon, wo internationale Truppen das von der UN beschlossene Waffenembargo „überwachen“, während die Hisbollah offen verkündet, sie habe ihre Raketenarsenale wieder aufgefüllt und verstärkt.

    Weit wirksamer wäre, würden die USA (und Russland) dem Iran eine (atomar abgesicherte) Bestandsgarantie geben, falls Iran überprüfbar auf seine atomaren Waffenambitionen verzichtet. Soweit ich weiß, liegt ein solcher Vorschlag inoffiziell auf dem Tisch. Dann hätte Israel überhaupt keine Grund mehr, Iran anzugreifen, so dass seine Atomwaffen für Iran irrelevant wären.

  99. @bronski #99

    Drei Thesen zu Waffenexporten.
    Vielleicht ergänzt Wolf v.Augsburg diese noch?
    (Ich greife hier natürlich niemanden an, der gewährleisten kann, daß seine Waffe niemanden tötet oder verletzt .. 🙂 )

    1. Die lukrativste Situation ist die des „unerklärten Friedens“.

    Sie ermöglicht die Produktion und den Verkauf von Waffen in einer Produktionssicherheit, welche den Zugang zu Rohstoffen, Arbeitskraft und Energie stets gewährleistet und die Produktion, den Verkauf und Transport unter geschützten Bedingungen stattfinden läßt. Waffenproduktion darf deshalb nie als „Kriegs(vorbereitungs)handlung“ sondern muß immer als „Verteidigungshandlung“ und „Friedenserhaltung“ definiert werden. Gleichzeitig bleibt aber die Vermutung einer Bedrohung bestehen und durch Schüren von Unsicherheit und Mißtrauen wächst der Bedarf.

    2. Die moralische Haltung ist die des Opportunisten

    Die Verantwortung für den Einsatz der Waffen muß von der Produktion getrennt werden. Ohne eine Entscheidung kann der Hersteller und Verkäufer sein bestes technologisches Wissen wahllos anbieten und die Verantwortung an den Kunden abwälzen. Hierbei hilft jeweils die angebliche Verteidigungssituation, eventuell auch noch der „Gnadenakt des effektiven Tötens“. Die Eskalation, die ausgelöst wird, weil der Hersteller und Verkäufer seine Waren nicht nur an einen Kunden verkauft, wird ebenfalls damit begründet, daß man nicht berechtigt sei, eine Entscheidung zu treffen. Dies gipfelt in der Lüge:“Ich darf nicht parteiisch sein, ich muß an alle verkaufen“, wobei sich das „parteiisch sein“ aus dem „muß verkaufen“ von selbst ergibt.

    3. Konkurrenz belebt das Geschäft.

    Genauer gesagt: Die Konkurrenz der Kunden belebt das Geschäft !
    Es ist nicht das Ziel der Hersteller , zu immer effektiveren, billigeren und besseren Produkten zu finden (zur Erinnerung: Produkten zur Verteidigung und zur Friedenserhaltung), sondern die Kunden zu einer Konkurrenz zu zwingen, die das Geschäft immer wieder belebt. Eine Konfliktlösung oder auch nur ein Patt liegen nicht im Interesse der Waffenverkäufer.

  100. Sehr geehrter Standort,

    der Versuch eine konstruktive Diskussion über „Waffenexporte“ zu führen ist erfreulich, scheitert aber gewöhnlich schon im untauglichen Ansatz.

    Schließlich werden allzu oft definitionslos ethische, rechtliche und technische Aspekte zu einem schwer verdaulichen Konvolut zusammengemischt. Was schließlich in wilden Konflikten zwischen verschiedenen Sichtweisen endet, die einander oft genug werde verstehen wollen noch können.

    Wie kann nun eine solche Zeitverschwendung vermieden werden?

    Was soll unter „Waffe“ verstanden werden?:

    Es mag sich daher auch für den internationalen Gebrauch anbieten eine zweckmäßige Begriffsbestimmung zu erarbeiten. Das scheint trivial, ist es aber leider nicht. Denn je nach Widmung können recht verschiedene Dinge Waffencharakter bekommen, solange es jemandem damit möglich ist Dritten seinen Willen aufzuzwingen. Vielen Menschen ist dabei leider eine auf offensichtliche Kampfmittel beschränkte Sichtweise zueignen, was dann in so problematischen Positivlisten endet, wie es beispielsweise die Anhänge zum dt. KWKG auflisten.

    Das aber auch Software, beliebige Maschinen oder Basischemikalien und einfache Werkstoffe bei zweckmäßiger Widmung Waffencharakter erlangen darf nicht vergessen werden. Nicht umsonst kennt die Enmod-Konvention das Problem “feindseliger umweltverändernder Techniken“…

    Denn damit sind auch die Problematiken der Einführung von Sanktionsmaßnahmen eingeschlossen; beweist doch die Vergangenheit, dass sich eine beliebige Aufrüstung nicht durch Verbot oder Beschlagnahme einer Ladung Panzer oder Munition verhindern lässt.

    Wann ist ein Waffeneinsatz vertretbar?:

    Dazu sein die These gewagt: Wenn der Einsatz mehr Vor-als Nachteile bringt. Ob eine solche Aktion dann noch als „Verteidigungshandlung“ beschönigt wird ist eher nachrangig.

    Genauso wie ja der Einsatz dem Gegner einen empfindlichen Nachteil bereiten soll, was nachhaltige Sach- und Personenschäden von der Methode her zwingend fordert.

    Über den Einsatz bestimmt, wer die tatsächliche Verfügungsgewalt besitzt in letzter Instanz. Denn derjenige entscheidet, ob er das Einsatzmittel in der vorgesehenen Form zur Wirkung bringt, oder durch „Sabotage“ davon absieht.

    Der „Eskalationsgedanke“:

    Ein mehr als zweifelhafter Ansatz, der die Beteiligten scheinbar zum Objekt einer „höheren Macht“ degradiert, oder habe ich das missverstanden?

    Der Iran und Israel zeigen recht gut, wie wenig mit Sanktionen erreichbar ist. Es resultiert unmittelbar in rüstungstechnischen Autarkiebestrebungen die aus allgemeinen ökonomischen Gründen in eigenem Waffen- oder KnowHow-export münden.

    Mit freundlichen Grüßen Karl Müller

  101. @Karl Müller

    Ja, dazu gibt es einiges zu sagen und zu klären. Ich warte aber ab, ob das Thema zum eigenen Thread wird.

  102. @Karl Müller
    Bronski hat anscheinend anderweitig zu tun…

    Konstruktive Ansätze, klein angefangen

    Jede Waffe muß eindeutig identifizierbar sein, einem Anwender zugeordnet und nur durch diesen ausgelöst werden können. Lage und Richtung der Waffe müssen durch Verfahren feststellbar sein, Ort und Zeitpunkt des Auslösens müssen erkennbar sein und diese Daten müssen gespeichert werden. Jede Waffe ist mit einer Aktivierungs- und Deaktivierungsfunktion auszustatten, die es ermöglichen, das Auslösen der Waffe im Voraus zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort für eine bestimmte Zeit zu erlauben. Das Deaktivieren der Waffe kann von außen gesteuert werden, bei Verlassen des beabsichtigten Verwendungsbereiches ist die Waffe automatisch zu deaktivieren.
    Jede Waffe teilt automatisch bei Aktivierung ihren Standort an den zentralen Server des Herstellers mit. Die Zielvorrichtung der Waffe ist mit einer Kamera zu versehen, die den Zielvorgang, daß erfasste Ziel vor und nach Auslösen der Waffe aufzeichnet und diese Information an den zentralen Server der Hersteller und der Kontrollbehörden sendet.
    Der Nachweis der Funktionsfähigkeit der Kontrollsysteme ist für jede Waffe regelmäßig und auf Anfrage der Behörden sofort durch den Hersteller zu erbringen.

  103. Einerseits freue ich mich, dass nun zahlreiche Beiträge zum Thema „Waffenexport“ eingegangen sind. Andererseits hat sich die Diskussion von der sehr konkreten Frage „Soll Deutschland U-Boote an Israel liefern?“ zu einer sicher auch interessanten, aber eher theoretischen Erörterung „Was ist als Waffe zu betrachten?“, „Wie könnte man Waffen mit moderner Technik kontrollieren?“ entwickelt.

    Ich stimme den in # 105 von Standort entwickelten Thesen zu, frage aber einfach nochmal in die Runde:
    Wie verträgt sich die geplante Lieferung von U-Booten nach Israel mit dem Anspruch, keine Waffen in Krisengebiete zu liefern?
    Oder eben: Soll Deutschland diese U-Boote liefern?

  104. @Wolf v. Augsburg

    Ich glaube nicht, daß die Frage ohne ausgeprägte Erörterung der Argumente beantwortet werden kann. Ich würde mir auch nicht anmaßen, eine solche weltpolitische Frage vom bequemen Sofa aus zu lösen. Nachdenken und diskutieren möchte ich darüber schon.
    Bis auf weiteres würde ich sagen: Unterbindung aller Kriegshandlungen in Krisengebieten durch die UN. Wenn es so einfach wäre…

  105. @ Abraham # 101

    Nun habe ich selbst noch einmal nachgeschaut, was andere Zeitungen zum Übersetzungs-Thema schreiben, und gleich ganz oben steht die SZ aus München. Sie kommt zu folgendem Schluss:


    „Am 26.10.2005 sprach Ahmadinedschad auf einer Konferenz, die unter dem Motto stand „Die Welt ohne Zionismus“. Es waren im Wesentlichen die großen westlichen Nachrichtenagenturen, die die Übersetzung dieser Passage lieferten: Israel von der Landkarte radieren (AFP), Israel von der Landkarte tilgen (AP, Reuters), Israel ausrotten (DPA). Ahmadinedschad sagte jedoch wörtlich: „in rezhim-e eshghalgar bayad az safhe-ye ruzgar mahv shavad.“

    Das bedeutet: „Dieses Besatzerregime muss von den Seiten der Geschichte (wörtlich: Zeiten) verschwinden.“ Oder, weniger blumig ausgedrückt: „Das Besatzerregime muss Geschichte werden.“ Das ist keine Aufforderung zum Vernichtungskrieg, sondern die Aufforderung, die Besatzung Jerusalems zu beenden.“

    Soweit das Zitat; der vollständige Artikel findet sich unter http://www.sueddeutsche.de/kultur/umstrittenes-zitat-von-ahmadinedschad-der-iranische-schluesselsatz-1.287333

    Die SZ ist sicher nicht verdächtig, einseitig pro-islamisch zu argumentieren. Und hier bloß zu behaupten, sie sei iranischen Desinformationskampagnen zum Opfer gefallen, greift wohl auch zu kurz. Was allerdings erstaunlich ist, ist, wie wenig die von der SZ ermittelte Bedeutung der Worte Ahmadinedschads berücksichtigt wird – vielleicht weil sie nicht zum bequemen Feindbild passt? Jemand, der nicht so schrecklich bedroht ist, wie behauptet wird, braucht vielleicht auch nicht so unbedingt die schönen Waffen, die wir verkaufen könnten!

  106. Ist es wirklich so kompliziert?

    Ist der Nahe Osten ein Krisengebiet? – Ja.
    Soll Deutschland in Krisengebiete Waffen liefern. – Nein.
    Also?

    Oder gelten, je nach Krisengebiet, andere Regeln? Dann sollte man das auch offiziell so sagen.

    Ich stimme zwar zu, dass auch die russischen, iranischen… etc. Waffenlieferungen zu verhindern sind. Verantwortlich bin ich aber für die deutschen, im weiteren Sinne für die aus der EU. Die Tatsache, dass der Iran über den Libanon Waffen schmuggeln lässt, kann jedenfalls für Deutschland keine Rechtfertigung sein.

  107. @ 111 Wolf v. Augsburg

    Sind dann auch die anderen Ziataet falsch übersetzt, die Bilder von Parolen „Tod Israel“ beim Jerusalem-Tag eine Fälschung westlicher Fernsehanstalten und die Waffenlieferungen an Hisbollah und Hamas eine Illusion?

    Machen Sie es nicht zu einfach, wenn Sie Israel alles Böse zutrauen, bei Iran aber die mildeste aller Möglichkeiten für richtig halten?

  108. Sehr geehrter Standort,

    ja scheint so. Aber zu Ihren Vorschlägen aus # 108. Dazu will ich eine polarisierende Antwort versuchen.
    Vom militärischen Standpunkt sind solche Einsatzmittel gerade wegen des Kontrollverlustes durch den Anwender abzulehnen. Das geht weder für Handwaffen noch für komplexere Systeme, und schon garnicht mit einer „übergeordneten Kontrolle“. Allein die Tatsache das auch im „elektromagnetischen Spektrum“ gekämpft wird, mag hinreiched viele Gründe (aus Anwendersicht) liefern, warum das nicht praktikabel ist.
    Natürlich gibt es ein paar Ausnahmen bei den Trägersystemen für Sonderwaffen und auf der taktischen Ebene ist ein ähnlicher Kontrollmechanismus für bestimmte Formen von gesteuerten Minenfeldern verfügbar. Da reicht die KOntrolle aber maximal auf die Brigadeebene und das ist m.E. noch zu hoch, aber ein anderes Thema.
    Niemand würde dermaßen reglementierte Einsatzmittel haben wollen, womit sich die Exportfrage allerdings auch erledigt hat!

    Mfg Karl Müller

  109. Zu #112

    Sehr geehrter Wolf v. Augsburg,

    da gerade U-Boote ein ganzes Spektrum von Fähigkeiten aufweisen die weit über den Einsatz als Waffenplattform hinausgehen, sehe ich die Lieferung derselben in diesem Fall als zweckmäßig an. Denn der stabilisierende Faktor ist m.E. hier größer als der eien destabilisierende Komponente die sicher auch vorhanden ist.
    Aufgrund des derzeitigen Lagebildes bin ich bereit bis zu 12 Dolphins zu „akzeptieren“, sofern sich ein Kostenträger findet.

    MfG Karl Müller

  110. @ Wolf v. Augsburg #112

    „Ist es wirklich so kompliziert?“
    Bin derselben Meinung.
    Wie wäre es mit einer parlamentarischen Anfrage?
    Vielleicht gibt es auch eine Meinungsumfrage dazu. Ich kenne allerdings keine.

  111. @Karl Müller

    Jetzt gehen die Inhalte doch zu sehr auseinander, ich schlage vor, wir warten auf den neuen Thread.

  112. @ Abraham

    „wenn Israel anbieten würde, seine Atomwaffen internationaler Kontrolle zu unterwerfen.“

    Der Nahe Osten braucht Deeskalation wie Europa im Kalten Krieg. Dazu sind vor allem Vertrauen bildende Maßnahmen nötig. Die hat seinerzeit die SPD in der Ostpolitik gegen starke Widerstände durchgesetzt und mit Erfolg durchgeführt. Ich denke das geht im Nahen Osten auch. Man muss es nur wollen und wagen.

  113. @ Friedrich Meinl # 118

    Schön wie kurz und knapp Sie das auf den Punkt gebracht haben.

    Aber dazu müsste Israel, wie Tony Judt (†) schon 2006 in einem Artikel angemerkt hatte, endlich ein „reifer“ demokratischer Staat werden und sich allmählich davon lösen, sich als das ewige Opfer zu begreifen, das mittels militärischer Überlegenheit und Schlagkraft den nächsten Holocaust verhindern müsste.

    Hier der schon etwas ältere Artikel, dessen Kernaussagen aber nach wie vor aktuell sind:

    http://www.freitag.de/2006/29/06290301.php

  114. @ # 112 Wolf v. Augsburg

    Gänzlich abgesehen von Israel: Wenn Sie jede Waffenlieferung in „Spannungsgebiete“ als politisch nicht vertretbar ansehen, negieren Sie damit nicht das legitime Recht der Staaten auf Selbstverteidigung? Kann man wirklich die deutsche Verantwortung nur auf eigene Waffenlieferungen begrenzen und sich gegen alles andere blind stellen? Spricht nicht die historische Erfahrung des Untergangs der spanischen Republik gegen solchen „Purismus“? In dem durch den Franco-Aufstand ausgelösten Bürgerkrieg hat der Völkerbund ein Waffenembargo gegen Spanien verhängt, an das sich die demokratischen Staaten (vor allem Frankreich) hielten und deshalb der legalen spanischen Regierung Waffenlieferungen verweigert haben. Hingegen haben das faschistische Italien und das Nazi-Deutschland Franco nicht nur mit Waffen, sondern auch mit eigenen Truppen unterstützt – mit blutigem „Erfolg“.

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