In Genua ist eine wichtige Autobahnbrücke eingestürzt, eine Schlagader des italienischen Verkehrs. Dabei starben mehr als 40 Menschen. Auch ich bin schon über diese Brücke gefahren wie sicher auch schon viele von Ihnen. Sie wurde 1967 vom berühtem italienischen Ingenieur und Baumeister Riccardo Morandi nach einer Methode erbaut, die er sich hatte patentieren lassen. Zur Frage der Einordnung hinsichtlich der Bedeutung der Brücke und der damals neuen Bauweise verlinke ich hier auf einen lesenswerten Artikel der Neuen Zürcher Zeitung. Die gegenwärtige nachrichtliche Situation bietet der FR-Artikel „Die Suche nach den Schuldigen„.
Ein fürchterliches Unglück hat also Menschen in den Tod gerissen. Jeder einzelne dieser Todesfälle ist zu beklagen. Es ist nur zu verständlich, dass die Familienangehörigen der Opfer – und nicht nur sie – wissen wollen, was da geschehen ist. Wie kann eine solche Brücke einfach einstürzen, ohne dass es Anzeichen für ihren Verfall, für die Gefahr gegeben hat? Oder, wenn es Anzeichen solcher Gefahr gegeben haben sollte: Warum hat niemand Alarm gegeben?
Der Gedanke ist schwer zu ertragen, dass Menschen einfach aus dem Leben gerissen werden, von einer Sekunde auf die andere. Trotzdem sollten wir uns nicht anstecken lassen von diesem Reflex, Schuldige zu finden. Richtig ist: Die Gründe für den Einsturz müssen ermittelt und analysiert werden, und dann müssen Konsequenzen gezogen werden. Dabei geht es selbstverständlich auch im Verantwortung, auch im juristischen Sinn. Wenn in der Vergangenheit Fehler gemacht worden sind, müssen sie benannt und abgestellt werden. Die italienische Regierung zeigte jedoch quasi als erstes mit dem ausgestreckten Finger nach Brüssel: Die EU sei schuld, wegen ihres Sparzwangs. Das ist zu billig und bedient lediglich niedere Reflexe. Zur Brückensanierung beispielsweise hat die EU immer Geld bereit gestellt. Allerdings hätten diese Mittel abgerufen werden müssen. Wenn also ein Sanierungsbedarf bestand, dann wäre es Aufgabe der italienischen Betreiber gewesen, diese Mittel zu beantragen. Die Betreiber sind privatwirtschaftlich organisiert, also keine Behörde. Der Sparzwang-Vorwurf greift daher zu kurz.
Es muss bedacht werden, dass zum Zeitpunkt des Einsturzes extreme Bedingungen herrschten. Gewitter und Starkregen sollten einer solchen Brücke eigentlich nichts ausmachen. Allerdings ist diese Brücke – und viele andere Brücken, auch in Deutschland – nicht für die Belastungen konzipiert, denen sie durch den modernen Verkehr ausgesetzt sind. Im Jahr 1967 gab es in Europa noch keine 40-Tonner-Lkw-Gespanne oder gar „Gigaliner“ mit 60 Tonnen. Ein einziges solches Sattelzug-Gespann setzt dem Untergrund, über den es fährt, so sehr zu wie 50.000 durchschnittliche Pkw. Das sollte man bedenken, ehe man versucht, schnell Schuldige zu präsentieren.
Im Gedenken an die Opfer der Katastrophe von Genua.
Leserbriefe
Stefan Otto aus Rodgau:
„Es ist überall ähnlich: Da wurden Brücken gebaut, die für wesentlich weniger Verkehrsbelastung konstruiert wurden. Da werden zwingende Wartungsarbeiten mit dem Hinweis auf angeblich mangelnde Haushaltsmittel oder mit dem Hinweis auf anzustrebende ausgeglichene Haushalte einfach unterlassen. Und das ist nicht nur im Straßen- und Brückenbau so. sämtliche öffentlichen Gebäude (vorzugsweise Kindergäten und Schulen) „verfallen“ in erbärmlichen Zustand. Da sind Schülertoiletten ein wahrer Sauhaufen.
Doch zurück zu dieser Brücke. Wer glaubt, das sei nur ein spezielles italienisches Problem, der irrt erheblich. Auch bei uns wird „getrickst“: Anstatt zu warten oder regelmäßig zu sanieren, werden Überholverbote und Verengungen eingerichtet.
Hinzu kommt noch ein noch nicht bewerteter Anteil von sogenanntem Pfusch am Bau selbst. Warum sollte es an einer Brücke anders als auf einer Straße sein? Wird beispielsweise Ein Stück Straße „erneuert“, so sind nach kurzer Zeit entweder Spurrillen oder gravierende Unebenheiten feststellbar.
Es stellt sich die Frage, wer hier eigentlich kontrolliert. Noch besser wäre, schon bei den Ausschreibungen die Leistungsfähigkeit des Anbieters unter die Lupe zu nehmen.
Für den sogenannten Pfusch am Bau gibt es gesetzliche Regressansprüche. Doch was ist mit denen Verantwortlichen der öffentlichen Hand, die unter Verletzung ihrer Aufsichts- und Fürsorgepflicht für die Allgemeinheit hier nachlässig handelten? Wo findet das Verursacherprinzip Anwendung?“
Jeffrey Myers aus Frankfurt:
„Der Schriftsteller Thornton Wilder, der 1957 den Friedenspreis des Deutschen Buch-handels in der Frankfurter Paulskirche erhielt, stellte angesichts einer eingestürzten Hängebrücke mit Todesfolge die Sinnfrage in seinem vielbeachteten Roman „Die Brücke von San Luis Rey“. Den Schluss des Buches bilden ehrliche und dennoch tröstende Worte: „Aber die Liebe ist genug…Es gibt ein Land der Lebenden und ein Land der Toten, und die Brücke zwischen ihnen ist die Liebe, sie allein überlebt, sie allein gibt einen Sinn.“
Jörg Harraschain aus Frankfurt:
„Es scheint mir angebracht, zur Brückenkatastrophe in Genua an ein anderes Brückenunglück zu erinnern. Theodor Fontane hat es in einer unsterblichen Ballade beschrieben. Das Unglück geschah am 28. 12. 1879 in Schottland. Damals wurde 75 Menschen in den Tod gerissen.
Unabhängig davon, wem man nun im Einzelnen schuldhaftes Verhalten nachweisen kann, ist sicherlich ein wenig Demut gegenüber der Natur und der Technik angebracht.“Tand, Tand, Tand ist das Gebilde aus Menschenhand, heißt es. Ich möchte, dass wir Menschen ein wenig von unserem gelebten Größenwahn runterkommen. Wir Menschen meinen immer alles beherrschen zu können: die Atomkraft, den Klimawandel, die Eingriffe in die Natur (Gentechnik) die Artenvielfalt der Tiere und Pflanzen….usw. Oftmals habe ich da so meine Zweifel, ob wir es schaffen, unsere Erde ökologisch intakt den nachkommenden Generationen zu übergeben. Wie gesagt: „Tand, ‚Tand, Tand ist das Gebilde aus Menschenhand…!“
Alan Mitcham aus Köln:
„Alle fragen sich warum die Brücke in Genoa eingestürzt ist und, ja, sicher hätten bessere Kontrollen diesen Leuten das Leben gerettet. Aber eigentlich, glaube ich, trägt „die moderne Welt“ einen großen Teil der Schuld mit …
Heutzutage heißt das herrschende Wirtschaftsdogma „Effizienz“: Also möglichst wenig Personal, wenig kontrollieren und erst nach der Panne reparieren. Hauptsache das Geld fließt: Sonst hat man Ärger mit den Aktionären! Und das Credo der Globalisierung heißt offene Grenzen nutzen, um den Gewinn zu maximieren, indem man, um Arbeits- und Produktionskosten möglichst niedrig zu halten, Waren billig Kreuz und Quer durch Europa und die Welt karrt. Dieser „Frachtwahn“ zerstört lokale Wirtschaftsstrukturen und (zusammen mit der Kühlung der Waren) erzeugt massenweise CO2.
Also man hat hier den perfekten Sturm: a.) Wenig Wartung (der Brücke); b.) Kolonnen von 40-Tonner Lastwagen, die ununterbrochen über Brücken, die nicht dafür konzipiert worden sind, donnern und; c.) anormale Hitze (erzeugt durch Klimawandel), die Stahl und Beton streckt und dehnt.
Man sollte sich nicht fragen warum die Brücke eingestürzt ist, sondern wann kommt die nächste? Und wer ist Schuld daran? Meiner Meinung nach sollten wir dringend bei den „Free-Trade“ Wirtschafts- „Experten“ in Brüssel, Berlin und Washington anklopfen!“
Sigurd Schmidt aus Bad Homburg:
„Teile der italienischen Regierung, besonders der Vize-Premier und Rechtspopulist Matteo Salvini geben der Brüsseler Kommission wegen ihrer angeblich „irrsinnigen Sparvorgaben und den Defizitregeln zur Stabilisierung des Euro eine maßgebliche Mitschuld an der maroden Infrastruktur in Italien. Diese Polemik vergiftet willkürlich das Verhältnis zwischen Brüssel und Rom und treibt einen Keil zwischen Italien und den anderen Mitgliedern der € Währungszone. Als Italien dem € beitrat, wußte das Land doch ,worauf es sich einläßt. Rom wird für sein flegelhaftes Verhalten eine negative Rückmeldung von den Finanzmärkten erhalten.“
Otfried Schrot aus Ronnenberg:
„Es gehört zu den üblichen Gepflogenheiten von Regierungen, Teile ihrer Aufgabenbereiche, die ihnen finanzielle Schwierigkeiten bereiten, in die Privatisierung „zu entlassen“. Der neuen noch nicht lange im Amt befindlichen italienischen Regierung kann man gewiss keine Schuld vorwerfen, wohl aber die Art ihrer „aus der Hüfte geschossenen Schuldzuweisungen.“ Die EU in Brüssel habe Schuld mit ihren Sparvorgaben. Weshalb nicht gleich die Eisbären am Nordpol? Die neue italienische Regierung sollte sich lieber einmal ganz genau die mit dem Betreiber abgeschlossenen Privatisierungsverträge ihrer Vorgängerregierungen ansehen. Auch im Falle einer Privatisierung kann sich der Staat nicht ganz aus der Verantwortung für die Sicherheit der Bürger und damit aus der Kontrolle der Geldströme in einem privatisierten Unternehmen entlassen, egal, ob es sich um einen Autobahnabschnitt oder um eine Brücke handelt. Die Parlamente wiederum sind gehalten, ihren Regierungen beim Abschluss von Privatisierungsverträgen genau auf die Finger zu schauen, um sicherzustellen, dass eine Restverantwortung des Staates im Privatisierungsvertrag ganz unmissverständlich festgeschrieben wird. Dazu gehört insbesondere die Pflicht der Regierung, „pingelig“ zu kontrollieren, welcher Anteil des Gewinnes in die Instandhaltung der Infrastruktur fließt. Im Übrigen: der Abschluss eines Vertrages ist eine Sache, die Kontrolle der Umsetzung eine andere. Das gilt für alle Bereiche der Politik. Möge auch die deutsche Politik aus der Katastrophe von Genua ihre Lehren ziehen!“