Eine Insektenoase in der Innenstadtwüste (10)

Was tun für Insekten? FR-Blogger Bronski baut seinen Garten um und berichtet darüber hier im FR-Blog. Kräuter, heimische Blühpflanzen, Totholz – man braucht nicht viel Platz. Heute Teil 10 der Serie: Unscheinbare Hingucker.

Balken 4In meiner norddeutschen Herkunftsregion würde man sagen: Nun soll der Garten in die Puschen kommen! Wenn man heutzutage „Puschen“ liest, denken viele aber wohl eher an „pushen“. Da kollidieren moderne Zeit und Mundart: „Puschen“ nennt man im Norden Hausschlappen bzw. -schuhe. Also etwas, was eher für Gemütlichkeit und Langsamkeit steht. Man spricht das völlig anders aus als „pushen“. Eigentlich müsste man das Wort so schreiben: Puuschen. Oder Puhschen. Puh ha! Und nun soll der Garten also in die Puschen kommen? Also langsam machen? Nein, gemeint ist: Er soll mal langsam loslegen! Was ja irgendwie ein Widerspruch in sich selbst ist. Aber das haben wir Gartenbesitzer ohnehin nicht in der Hand. Also schauen wir heute mal ganz genau hin. Denn tatsächlich gibt es viel zu sehen, auch wenn der Garten sich noch Zeit lässt. Es ist weiterhin ungewöhnlich kühl für die Jahreszeit. Trotzdem:

Unscheinbare Hingucker

Hier haben wir so einen Fall. Kleine Pflanze heute mal ganz groß im FR-Blog: Kriechender Günsel ragt allerhöchstens mal 30 Zentimeter auf, bleibt aber meist unter dieser Marke. Wenn man große Blüten mag, wird man an so was wie dem Kriechenden Günsel vorbeigehen und höchstens denken: Oh, was Blaues. Doch diese kleine Pflanze produziert ganz ordentlich Nektar und wird gern von Insekten aufgesucht. Damit gehört sie unbedingt in mein Oasenprojekt.

Ich musste mich allerdings nicht darum bemühen, sie anzusiedeln, denn sie war schon da, als mein Mann und ich Haus und Garten übernahmen. Sie gilt als guter Bodendecker insbesondere unter Sträuchern im Halbschatten oder Schatten und ist ziemlich anspruchslos. Aus ihren getrockneten blühenden Teilen kann man Tee machen, der gegen Rheuma, Magengeschwüre, Angina und Durchfall helfen soll. Und nebenbei, wenn man mal genau hinguckt, ist diese Pflanze eine wahre Schönheit. Klicken Sie drauf aufs Foto, vergrößern Sie es mit Festhalten der STRG-Taste und gleichzeitigem Drehen am Mausrad, und Sie werden viele entzückende Kleinigkeiten entdecken.

Manchen Zeitgenoss:innen gelten Gewächse wie der Kriechende Günsel als „Unkraut“, gerade weil sie gute Bodendecker sind. Wenn man sie mal im Rasen hat, dann hat man ein Problem. Jedenfalls wenn man einen möglichst perfekten Rasen haben will. Denn in dem breitet sich der Günsel gern aus. Aus der Perspektive der meisten Insekten besteht allerdings kein großer Unterschied zwischen Rasenflächen und Asphaltwüste. Da blüht nix, da wird alles kurzgehalten – warum soll man da vorbeischwirren? Rasen ist so was wie ein Teppich, nur nicht im Wohnzimmer, sondern auf einem fruchtbaren Boden, der eigentlich viel mehr hervorbringen könnte als diese gärtnerische Version einer Wüste.

Was ist überhaupt ein „Unkraut“? Ich finde, das ist ein Unwort. Klingt nach Schädling, Kontrollverlust, Wegmachen. Ich schlage ein anderes Wort vor: Unerwünschtkraut! Denn alle „Unkräuter“ haben ihren Platz und ihre Bedeutung im Gesamtgefüge der Biosphäre unseres Planeten. Keines von ihnen ist „sinnlos“. Wenn man im Garten allerdings Rahmenbedingungen setzt wie „Gepflegter Rasen“, dann ist so gut wie alles ein Unerwünschtkraut. Bei mir ist es ein bisschen anders: In meinem Garten darf Unordnung einziehen, aber es darf sich niemand unangemessen auf Kosten anderer durchzusetzen versuchen. Sonst wird eingegriffen!

Meine heutige Panorama-Aufnahme soll dieses Unordnungs-Prinzip illustrieren. Das Bild ist nicht spektakulär: blühender Milchstern vor bald blühendem Borretsch und hinter bald blühender Zwergiris. Direkt neben dem Milchstern hat sich ein Fingerhut angesiedelt bzw. selbst ausgesät. Ordnungsliebende Geister würden jetzt sagen: Mach das weg! Bei mir bleibt’s stehen. Denn der Fingerhut kann zwar zwei Meter hoch werden, aber wenn es so weit ist, haben die anderen Pflanzen auf diesem Foto längst ausgeblüht. Er tritt dann an ihre Stelle. Zudem ist der Fingerhut eine gute Insektenweide. Aber Vorsicht: Fingerhut ist giftig! Zwei bis drei seiner Blätter können tödlich sein, wenn man sie verzehrt. Trotzdem mögen wir Fingerhut! Zum Anschauen. Und so findet alles hier seine Nische – mit ein bisschen Toleranz für Eigensinn, sofern der im Rahmen des Sinnes meines Oasenprojekts bleibt.

Ein sehr bescheidener Schlussakkord, finden Sie? Zu bescheiden, dieses Foto? Sie wollen noch was aufs Auge? Damit kann ich dienen. In dieser Woche hat unsere Flammen-Azalee (Rhododendron calendulaceum) zu blühen begonnen – in einer Pracht wie noch nie. Sie ist das Gegenteil von einem „unscheinbaren Hingucker“, um die es hier ja eigentlich ging. Wie der Kirschlorbeer gehört sie zu den indigenen Pflanzen in diesem Garten: Wir haben sie bei unserem Einzug vorgefunden, und wir lassen sie selbstverständlich stehen. Ich werde in den kommenden Tagen mal zu beobachten versuchen, was Insekten von ihr halten. Dann gibt es am kommenden Samstag vielleicht noch mehr Bilder von diesem „Blendwerk“.

Weiter geht’s in einer Woche an dieser Stelle.

Naoned!

Ihr Bronski

Teil 9 / Teil 11

Rechte an allen Bildern: Lutz „Bronski“ Büge
Startseite des Gartenprojekts

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