Europa ist nicht Europa

Europa ist eine Illusion. Das vermeintliche Zusammenwachsen dessen, was historisch nie zusammengehört hat, ist eine politische Farce. Man sieht es an Sarkozy, der vor einer Weile meinte, neben der EU seine Mittelmeerunion aufziehen zu können. Man sieht es an den Briten, die auf ihrem EU-Rabatt beharren. Man sieht es an den Tschechen und den Polen, die mit den USA Bilateral-Verträge über Raktenstationierungen abschließen. Man sieht es an der Minderheitenpolitik einiger Regierungen, etwa der dänischen, aber auch der deutschen. Und man sieht es am Ergebnis des Eurovision Song Contests. 

Nichts gegen den Song, nichts gegen den Sänger. Und auch nichts gegen die Darbietung – obwohl dazu einiges zu sagen wäre. Die Stradivari. Der Eiskunstläufer. Da funzt die PR! Trotzdem: Nichts dagegen. Viel aber gegen die Art und Weise, wie dieser Sieg zustande kam. Natürlich stehen jetzt die Abstimmungsmodalitäten zur Diskussion, denn offenbar haben die Versuche, das osteuropäische Blockdenken aufzubrechen, nichts gefruchtet. Die Staaten der ehemaligen Sowjetunion stimmen füreinander. Die Staaten des Balkans stimmen füreinander. Ja, auch die skandinavischen Staaten stimmen weiterhin füreinander, so wie es schon immer war beim Eurovision Song Contest, der früher mal Grand Prix de la Chanson oder so hieß und eigentlich ein Komponistenwettbewerb war. UK kriegt ein paar Punkte aus Irland, Portugal kriegt viele Punkte aus Frankreich, weil da viele Portugiesen leben – früher hätte man sie als Gastarbeiter bezeichnet. And so on. Diese Art von demograhischem Faktor ist es, den die Veranstalter einkalkulieren sollten.

Dahinter steht aber mehr. Dahinter steht regionale Verbundenheit – auch wenn es sich bei Riesenstaaten wie der Ukraine und  Russland verbietet, von Regionen zu sprechen. Verbundenheit ist dennoch allemal vorhanden. Da mag Russland der Ukraine noch so oft den Gashahn abdrehen – 12 Punkte. Da mögen noch so viele Bosnier durch Serben abgeschlachtet worden sein – Bosnien-Herzegowina gibt Serbien 12 Punkte. 12 aus Montenegro, gerade unabhängig. 12 für Serbien auch aus dem EU-Mitglied Slowenien. Die Punkte beim Song Contest gehen allemal an die Nachbarn. Die Leute gucken ganz offensichtlich nicht danach, was ein guter Song ist. Sie stimmen nach regionalen Verbundenheiten ab. Und diese Verbundenheiten stehen Europa im Weg. Die europäische Idee, wenn es sie denn in einer vermittelbaren Weise gibt, ist bei diesen Leuten offenbar nicht angekommen.

Es gäbe Wege, dem zu begegnen. Beim Contest konkret: Die Länder, die das Finale nicht erreichen, dürfen auch nicht abstimmen. Schlecht für manche Einschaltquoten, aber gerecht. Dazu wird es aber eben wegen der Einschaltquoten nicht kommen. Andere Möglichkeit: Hochrechnung und Stimmengewichtung nach tatsächlich abgegebenen Votings, heruntergebrochen auf die Bevölkerungszahl des Landes. Es gab eh stets die heftigste Kritik am Contest dafür, dass kleine Länder das gleiche Stimmengewicht haben wie große. Mit moderner IT kein Problem mehr.

Doch das ändert alles nichts am grundsätzlichen Problem. Mit Gewalt können die regionalen Nationalismen mit Sicherheit nicht aufgebrochen werden. Das sieht man am Beispiel Serbiens, das gerade eine Schicksalswahl hinter sich hat. Europa oder Russland? Osten oder Westen? Serbien ist gespalten. In Serbiens Hauptstadt Belgrad war heute Abend Europa zu Gast. Europa wählte Russland. Europa ist gespalten. Europa ist nicht Europa.

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9 Kommentare zu “Europa ist nicht Europa

  1. Das Europa, welches vor mehreren Jahrzehnten mal geplant war, sollte ein »Europa der Regionen« werden (eine der vielen Möglichkeiten). Dies trug der Tatsache Rechnung, dass Europa eigentlich noch viel mehr Ethnien, Völker oder eben Regionen beherbergte, als durch die Nationalstaaten abgebildet wurde. Das hat sich bis heute nicht geändert.

    Und so verwundern die Ergebnisse beim Eurovision Song Contest (ESC) auch nicht. Wenn es darum geht, subjektiv die »Sangeskünste« anderer Nationen bzw. Regionen zu bewerten, gibt man die Punkte halt dem netten Nachbarn von nebenan. Ist doch auch in Ordnung so!

    Vielmehr sollte man sich fragen, ob die Idee des ESC in seiner jetzigen Form zeitgemäß ist. Vielleicht war er auch nie zeitgemäß und/oder hatte früher nur aufgrund der relativ wenigen Teilnehmerländer Erfolg. Ist der ESC nur ein den Menschen übergestülptes Konzept, das so in seiner Größe nicht mehr funktioniert weil es von den Zuhörern so genutzt wird, wie es jetzt genutzt wird?

    Um den Bogen zur EU zu schlagen: Ein Mehr-Staaten-Gebilde, welches den regionalen Besonderheiten und Vorlieben nur einen bürokratischen Überbau bietet und den regionalen Eigenheiten keine Platz zur Entfaltung bietet bzw. sie sogar zerstört, fördert den Rückzug ins Regionale sowie – allein aus Eigeninteresse – die Abschottung gegenüber den »anderen«. Es erzwingt geradezu Gruppenbildung zur Bewahrung der eigenen Identität und Interessen im Verbund mit den Nachbarn.

    Ein nach innen offenes Europa entsteht so nicht.

  2. Es ist schon eigenartig, wo hier (im o.a. Artikel) die Präferenz liegt: einzig und allein in diesem seltsamen Wettbewerb (warum nimmt der Artikel sonst fast ausschliesslich „darauf“ Bezug?).

    .. aber: Europa ist nicht nur Musik (oder das, was andere darunter verstehen).

    Zum Thema ein Wort von Wilhelm Busch: „Musik wird störend oft empfunden, dieweil sie mit Geräusch verbunden“ 😉

  3. Es bleibt aber zumindest ein Barometer für die Stimmungen in Europa ,und insbesondere auch für die BRD.
    Ein Ausdruck oder Eindruck wie Europa uns liebt,unabhängig von Wunschdenken.
    Wir würden zur Zeit nicht mal mit Elvis oder Stones auf die ersten drei Plätze kommen,aber der Sieg hat hundert Väter,allein die Niederlage ist eine Weise.
    Gibt es da eventuell andere Gründe?

  4. Wenn selbst die richtigen, echten Wahlen zu einem Klamauk der Werbestrategen werden und taktische Winkelzüge das Bild beherrschen, wie in Hessen erlebt, wer wollte dann noch an irgendeinen Ernst bei der Abstimmung zum Songkontest glauben oder diese Abstimmungen gar ernstnehmen?

    Der Kontest und die Politik gleichen sich: Man nutzt die Show, ohne sich dem Gedanken zu verpflichten. Gleiches gilt für Olympia und vieles mehr.
    Wen wundert es, daß sich die Zuschauer abwenden oder das System unterlaufen?

    Man macht ihnen ja was vor.

  5. „ Europa ist eine Illusion“?. Nein, Europa ist eine Hoffnung. Historisch ist dieser Flickenteppich der Nationen viel mehr miteinander verbunden, als es vielleicht scheint. Selbst der „eiserne Vorhang“ war nicht so engmaschig, dass er nicht Musik, Literatur und bildende Kunst durchgelassen hätte.
    Regionale Verbundenheit ist doch nichts Schlimmes, Vorlieben wird es immer geben, für Landschaften, Sprachen und Mentalitäten. Und nationale oder regionale Egoismen auch. Ich finde es sogar wichtig, dass die Eigenarten der verschiedenen Regionen erhalten bleiben.
    Europa ist nicht Europa? Genau betrachtet, ist es nicht einmal ein Kontinent, sondern nur ein Appendix von Asien. Aber eben doch EUROPA.

  6. „Europa ist eine Hoffnung ..“
    richtig, aber diese Hoffnung steht permanent auf dem Prüfstand und wird ebenso fortwährend durch kleinkariertes Denken von Politikern unterdrückt.
    .. mal ganz abgesehen von der Regulierungswut (Krümmungsradius von Bananen 😉 ).

  7. Was sich über den ESC so aufgeregt wird… mir unverständlich. Uns haben auch die Auftritte aus Bosnien-Herzegovina und Aserbaidschan am besten gefallen, nicht die aus Frankreich oder Norwegen. Man votet ja nicht zwingend für ein Land, in dem man gerne seinen Urlaub verbringt. Zumindest wähle ich kein schwedisches Alien, nur weil ich das Land gerne mag 😉
    Sollen die Deutschen, Schweizer, Briten etc halt originelle InterpretInnen hinschicken, dann werden sie auch Erfolg haben.

  8. Ach Gottsche, da muss mer sisch doch nicht drüwwer ufffresche.

    Beim Fußball wird die Rivalität doch auch akzeptiert. Oh, ja, wie ? OK, da wird jetzt nicht gerade abgestimmt, aber im Gegensatz zum Grandprix kloppen sich die Irren sogar untereinander.

    Mein Vorschlag an die Sendeanstalten, damit auch mal andere gewinnen:
    *Schafft viele Grandprix.
    Clowns, Akrobaten, Opernsänger, Stripper, Künstler aller Art etc. warten darauf, wettbewerbsmäßig sich mit anderen zu messen. Viele Bewerbe, viele unterschiedliche Sieger.

    Auf gehts………

    —-

    PS: Wer verrät mir die Formatierung für smilies und Zitate etc. Ich würde das auch mal gern benutzen.

  9. Wer hätte das gedacht:
    Heute werden in den europäischen Urlaubsländern die Russen lieber gesehen als die Deutschen.Böse Zungen behaubt ,dass läge am Geld !
    Gott schütze uns wenn wir auch kein Geld mehr haben.

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