Sahra Wagenknecht nimmt einen zweiten Anlauf zur Gründung einer Ausgliederung aus der Partei „Die Linke“. Mit ihrer Sammlungsbewegung „Aufstehen“ ist sie im Jahr 2019 gescheitert. Das neue „Bündnis Sahra Wagenknecht“, mit dem sie – zusammen mit neun anderen MdB – jetzt an den Start geht, soll zur Gründung einer neuen Partei führen. Damit verliert „Die Linke“ im Bundestag eigentlich ihren Fraktionsstatus, doch der interne Streit, der die Partei in den vergangenen Monaten geprägt hat, scheint weiterzugehen: Die zehn Abweichler:innen wollen die Bundestagsfraktion nicht verlassen.
Wagenknechts Schritt bedeutet einen Einschnitt in die bundesdeutsche Parteienlandschaft. Er verschärft einmal den schon seit Längerem anhaltenden Niedergang der Partei „Die Linke“, der es schwerfallen dürfte, 2025 den Wiedereinzug ins Parlament zu schaffen. Das bedeutet, dass eine Partei wegfallen würde, die im politischen Geschehen, als aktive Opposition, dringend gebraucht würde. Aber eben dies war „Die Linke“ zuletzt kaum noch: zu viel mit sich selbst und den inneren Gräben beschäftigt, an denen Wagenknecht übrigens nach Kräften mitgegraben hat. Der Eindruck konnte entstehen, dass Wagenknecht vor allem ihre eigenen Interessen verfolgte. Sie stellte sich mitunter offen gegen die Parteilinie, der es auch deswegen immer schwerer fiel, als das soziale Korrektiv aufzutreten, das sie sein wollte und hätte sein müssen.
Die andere schwerwiegende Veränderung, die mit einer solchen Parteigründung einhergehen könnte, wäre die Konkurrenz zur AfD, die viele Kommentatoren jetzt schon hinter Wagenknechts Plänen erkennen wollen. Sie vertritt Positionen ähnlich der AfD, nur sprachlich sanfter verpackt. Wagenknecht könnte der AfD Stimmen abgraben. Das wäre vermutlich aber nur als Phänomen an der Oberfläche zu deuten, während die eigentlichen Veränderungen tiefer gehen, von denen Wagenknecht im BSW-Gründungsmanifest spricht.
Die Titelseite der FR
vom 24. Oktober
Die geplante Partei soll eine „für die kleinen Leute“ werden – und damit die politische Lücke füllen, die „Die Linke“ zuletzt nicht mehr ausgefüllt hat. Wirtschaftspolitisch aber scheinen ihre Vorstellungen eher in Richtung überkommener nationalökonomischer Vorstellungen zu gehen, und damit gäbe es durchaus Schnittmengen mit den Vorstellungen der AfD. Inklusive EU-Skepsis, Putin-Freundlichkeit, grundgesetzfremde Vorstellungen zur Asylpolitik. Außerdem schlägt Wagenknecht sprachlich in dieselbe Kerbe wie die AfD, wenn sie sagt, dieses Land habe die schlechteste Regierung seiner Geschichte und – sinngemäß -: Man dürfe nicht mehr offen seine Meinung sagen.
Genau dies hat Wagenknecht aber in ihrer Zeit bei den „Linken“ getan. Sie hat kein Blatt vor den Mund genommen und damit ihr populistisches „Argument“ widerlegt, denn sie hat ihre Meinung gesagt. Und damit wesentlich zur Spaltung der Partei beigetragen. Es darf daher bezweifelt werden, dass es ausgerechnet einer Sahra Wagenknecht gelingen kann, auf Dauer eine neue politische Partei zu etablieren, denn so was ist ein bisschen mehr als eine One-Woman-Show. Und falls es ihr gelingt, darf bezweifelt werden, ob das gut ist für dieses Land und seine Menschen. Sie selbst scheint davon überzeugt zu sein, dass ein Gelingen ihres Projekts gut wäre. Das darf man ihr abnehmen.
Schon seit Jahren verliert die Linke Mitglieder
So überraschend kommt es ja nicht, Sahra Wagenknecht gründet einen Verein, aus dem später eine Partei werden soll. Sie und weitere Mitglieder haben die Partei „Die Linke“ verlassen.
Was ich nicht verstehen kann ist der Tumult, der jetzt in Partei und Bundestagsfraktion ausgebrochen ist. Schon seit Jahren verliert die Partei Mitglieder, und darunter nicht nur einfache Mitglieder. Das scheint keinen gestört zu haben. Erst jetzt heult Co-Fraktionschef Dietmar Bartsch auf, dass dieser Schritt „unverantwortlich und inakzeptabel“ sei. Erst jetzt Herr Bartsch? Wo waren Sie in all den Jahren vorher? Auch Sie müssten doch vor Scham rot anlaufen über die Aufnahmeangebote der SPD. Der Partei, die mit der Linken bislang nichts zu tun haben wollte. Das hängt nicht nur daran, dass auch der SPD das Wasser bis zum Hals steht. Die Übernahmen der plötzlich zu „Schwesterparteien“ in der DDR mutierten Blockparteien durch CDU und FDP hatte andere Gründe. Die SPD will die Linke haben, die mit linker Politik nichts am Hut haben.
Die Linke ist tot, es lebe die neue Linke. Denn wenigstens eine linke Partei sollte in den Parlamenten sitzen. Wer sich Sorgen machen muss ist die AfD. Auffallend ist, wie sehr sie dabei von Union, SPD und FDP unterstützt wird. Merkt diese Linke das auch nicht mehr?
Wolfgang Seibt, Wettenberg
Wer die Linke verlässt, sollte das Mandat abgeben
Jetzt wird es wohl umgesetzt das Gedicht über die Partei. „Hast du keine gründ(e) dir eine“.
Geschichte wiederholt sich nicht so ganz genau. Das kann gut oder auch nicht gut sein. Nachdem die APO nach 1968 sich in Klein- und Kleinstparteien gespaltet hatte, viele hatten als Namensanfang KPD, dahinter wurde das ABC in vielen Varianten angehängt, wurde für die linke Bewegung nichts besser. Des Kaisers Bart wurde in vielen Streitereien arg zerzaust. Das muss nicht nochmal so kommen, kann aber. Für die berechtigten Anliegen derer, die sich links nennen, ist das nicht hilfreich.
Zu der Aufspaltung der APO schrieb 1974 der Berliner Autor Peter Schneider ein Buch mit dem Titel: „Wir waren die stärkste der Parteien“. Wenn ich das Buch noch hätte, würde ich es Frau Wagenknecht zuschicken.
Für die MdB, die die Partei „Die Linke“ verlassen, um bei dem BSW mitzumachen, wäre es konsequent, ihr Mandat im Bundestag aufzugeben. Alle sind über der Liste der Partei in den Bundestag gekommen. Leider ist es eine menschliche Eigenschaft, und nicht die beste, die Beute zu behalten. Mit Beute meine ich die Bezahlung der MdB. Mit dieser üppigen Versorgung während des Mandates ist sehr viel leichter etwas Neues zu beginnen. Diejenigen die diese üppige Versorgung nicht erhalten tun sich schwerer mit einer Parteineugründung.
Die Beute in Form der üppigen Altersvorsorge bleibt sicher. Für vier Jahre Mandat erhalten pensionierte MdB so viel wie Durchschnittsarbeitnehmer / innen nach 37 Jahren Arbeit, und nicht zu vergessen 37 Jahren einzahlen in die gesetzliche Rentenversicherung. Für MdB gelten andere, bequemere Regelungen.
Gerhard Müller, Offenbach
Bedenkliche Positionen zur internationalen Politik
Die Vorstellung des Vereins BSW und deren Website lassen durch ihren Sprachgebrauch und der Vereinfachung komplexer Sachverhalte erkennen, auf welchen Grundpfeilern die entstehende Partei aufgebaut sein wird: Populismus, Staatszentrismus und Konservatismus.
Angesprochen werden dabei gezielt Menschen, die Angst vor sozialem Abstieg und Migration haben und die – so die Ansicht – von abgehobenen, unfähigen Eliten regiert werden, die ihnen allenthalben Vorschriften machen, sei es durch „ökologischen Aktivismus“ oder „Sprachreglementierung“. Das Konservative der Weltsicht wird dabei überdeutlich, wenn soziale (Un-) Gerechtigkeit eher mit einem abgehängten Bergarbeiter verbildlicht wird und eben nicht über ein digitales Prekariat aus dem städtischen Milieu. Dieses passt nämlich nicht in die Welt der Sarah Wagenknecht, in der ein junges urbanes Milieu immer nur in Form einer weltfremden Elite vorkommt.
Überraschend ist zwar, wie oft von Wirtschaft und Vernunft, sogar von Freiheit gesprochen wird, aber dennoch bietet das Gesellschaftsverständnis am Ende immer nur Platz für einen Staat, der alles richten soll, und der momentan auch an allem Schuld ist – an der Inflation und wenn der Bus zu spät kommt.
Was jedoch wirklich bedenklich ist, sind die Auffassungen zur internationalen Politik, bei der es offensichtlich vor allem darauf ankommt, dass man sich bedenkenlos überall günstige Rohstoffe sichert – ungeachtet der politischen Verhältnisse. Wie glaubwürdig ist vor diesem Hintergrund der Appell für eine Stärkung der Demokratie?
Wenn diese Parteigründung vielleicht einen guten Effekt hat, so wäre dieser eine Dezimierung der AfD-Wahlergebnisse. Aber wenn am Ende doch kein bisschen „Vernunft“ in der neuen Partei herrscht, hätte man hier nur rechten durch linken Populismus ausgetauscht.
Volker Weinreich, Ascheberg
Eine Mogelpackung mit sozialem Schleifchen
Wagenknechts neue Partei ist eine linke Mogelpackung, verschnürt mit einem sozialen Schleifchen und einem Band der Sympathie für Putins Russland. Sie wird die AfD nicht schwächen, sondern mit der rhetorischen Anpassung an deren Affektpolitik – die Ampel sei die schlechteste Regierung aller Zeiten (sic)- und der Übernahme von deren Narrativen von Migration und „Kampf gegen linke Eliten“ letztendlich die Faschisten weiter normalisieren und indirekt sogar stützen.
Wolfgang Lackinger, Frankfurt
Ist diese Parteigründung wirklich nur ein Egotrip?
Im 20. Deutschen Bundestag wird bis September 2025, dem Ende der Legislaturperiode, keine Fraktion der Linken mehr vertreten sein. Denn diese katapultiert sich derzeit selbst aus der Politik heraus. Den Anstoß dazu gab Sahra Wagenknecht, die bereits seit längerem über die Gründung einer neuen linken Partei öffentlich nachdenkt. Mit der Gründung ihres Vereins und dem Austritt von neun Abgeordneten aus der Partei verzichtet die parlamentarische Linke auf Einfluss in der Bundespolitik. Ein Abgeordneter hat angesichts des kollektiven Suizids die Fraktion bereits verlassen und sich der SPD angeschlossen. Er könnte nicht der Einzige bleiben, der bei Sozialdemokraten und Grünen um Asyl bittet.
Lässt sich diese Entwicklung allein mit dem „Ego-Trip“ Sahra Wagenknechts erklären, wie die Linken-Vorsitzende Janine Wissler mutmaßt? Und reichen gekränkte Eitelkeit und unreflektiertes Sendungsbewusstsein aus, um darauf zu hoffen, dass aus den Ruinen eine neue Linke auferstehen könnte?
Ein Hinweis auf die tatsächlichen Beweggründe könnte das Interview sein, das Klaus Ernst der Zeitschrift „Cicero“ gab. Dieses Magazin bewegt sich seit sieben Jahren endgültig am rechten Rand konservativer Publizistik. Im Frühjahr 2017 schaute „Journalist“, das Magazin des „Deutschen Journalisten-Verbandes“, genauer hin: „Im Cicero, so bekommt man den Eindruck, wird AfD-Gedankengut so elegant verpackt, dass es beim ersten Hinhören gutbürgerlich klingt.“ Die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten bewertete dieses „Magazin für Kultur und Politik“ als „List der evolutionären Vernunft“ und als Antwort auf „einer der Dekadenz verfallenen Entwicklungsstufe der Menschheit“ (April 2018).
Der Antaios Verlag des rechten Publizisten Götz Kubitschek veröffentlichte 2017 das Buch „Mit Linken leben“ und wirbt dafür so: Die „Rechten“ seien der Stachel im Fleische. „Wie damit leben? Die Linke kommt mit uns nicht mehr zurecht. Und wir mit ihnen? Martin Lichtmesz und Caroline Sommerfeld (zwei der temperamentvollsten und klügsten Vertreter einer Neuen Rechten) beschreiben, wie wir mit Linken leben könnten.“ Die Thesen dieses Buchs kommen Sahra Wagenknechts Konzepten so nahe, als hätte sie diese selbst formuliert. Also eine Abkehr von Anti-Kapitalismus, Energiewende, Klimaschutz und der Lösung der Flüchtlingsproblematik.
Es hat den Anschein, dass das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ in Kreisen der extremen Rechten entworfen wurde. Mutmaßlich mit Billigung der AfD, die zusammen mit Putin, Orban & Konsorten ein „identitäres“, also rassistisches und antidemokratisches Europa errichten will.
Klaus Philipp Mertens, Frankfurt
Die Europawahl ist ein erster Test
Ein Bündnis mit mir – die Ein–Personen-Partei heißt Sarah Wagenknecht, umringt von Linken -Bundestagsabgeordneten.
Eine bunte „Mischung“ – ein politisches Programm ist im Angebot für alle die auf der Suche sind, nicht die AFD oder die in der Endzeitstimmung den baldigen Untergang der “ Linken“ befürchten.
Ein Experiment nach der Gründung der „Bündnis-Grünen“, eine gewagte Transformation von einer „bundesweit bekannten medialen Persönlichkeit zur kollektiven Partei, die erst geformt werden muss. Die Chancen stehen 50 zu 50, die Europawahl ist ein erster Test.
Thomas Bartsch Hauschild, Hamburg
Brauchen wir wirklich noch eine Geschichtenerzählerin?
Dieses ganze hausgemachte Tamtam um eine Frau Sahra Wagenknecht, das geht mir voll am Schnürsenkel vorbei! Was soll überhaupt dieser ganze Hype, dieses seltsame und makabere Spielchen um einen Egotrip? Ein Schelm, der dabei Böses oder doch Gutes denken dürfte, egal! Brauchen wir wirklich noch so eine Geschichtenerzählerin, die mich, nur so ganz nebenbei, sehr stark an den Baron Münchhausen und seine Ammenmärchen erinnert?
Sehr geehrter Herr Mertens,
auch ich finde Trump als Person einen ganz schlimmen Menschen, aber seine Wahl erscheint mir tatsächlich als „List der evolutionären Vernunft“. Denn ausgerechnet dieser Mensch hat den sinnlosen Afghanistankrieg beendet und seine Wiederwahl oder schon die Angst davor kann die Ukraine von dem selbstzerstörerischen Stellvertreterkrieg gegen Russland befreien. Der Egotrip von Sahra Wagenknecht, einen politischen Verein nach ihrem Namen statt nach einem Programm zu benennen, empfinde auch ich als Ausnutzung der verhängnisvollen deutschen Sehnsucht nach Führungspersonen. Aber diese schlimme Marschroute kann doch nur Erfolg haben, weil der Kanzler in eine katastrophale bellizistische, sozial äußerst schädliche Zeitenwende gegen Art 87a GG führt und Annalena Baerbock in den größenwahnhaften Wirtschaftskrieg gegen Russland, um an diesem auch noch festzuhalten, nachdem sie selbst bemerkt, dass dieser Krieg uns mehr schadet als Russland. Eben von dieser „einer Dekadenz verfallenen“ Führungsmannschaft kann Wagenknecht profitieren, ebenso wie die AfD, deren „Billigung“ des Wagenknechtsprogramms Sie unterstellen. Unser „rassistisches und antidemokratisches Europa“, das Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken lässt, nach dem es Fluchtursachen geschaffen hat, ist nicht durch die AfD entstanden, sondern durch eine neoliberale Politik, die vordemokratische Schiedsgerichte für Konzerne in Handelsabkommen schreibt und die demokratische Selbstbestimmung opfern will durch Ermächtigung einer privatkapitalistisch dominierten WHO, die keiner demokratischen Kontrolle unterliegt. So schlimm auch mir das Erstarken der AfD erscheint, es ist müßig, sich darüber zu beklagen. Dadurch wird nichts besser. Dieser Entwicklung ist durch eine bessere Politik einer besseren Führungsmannschaft zu begegnen. Sonst wird Sahra Wagenknecht eben Erfolg haben.
Friedrich Gehring, Backnang
Wer dazu befähigt ist, eigenständig Erkenntnisse zu gewinnen, sieht sich gegenwärtig zunehmend öfter dem Vorwurf ausgesetzt, angeblich der Szene der Querdenker und Spaziergänger anzugehören. Sogar Staatsanwaltschaften weisen theoretisch angeleitet und empirisch kontrolliert erhobene Befunde mittlerweile als, wortwörtlich, „bloße Behauptungen und Vermutungen“ ab. Vor allem eine evidenzbasierte Medizin ist dadurch vollends ad absurdum geführt. Hannah Arendt bezeichnete schon im Oktober 1950 solch hoheitliches Gebaren als einen „flight from reality“. Angesichts dessen wäre Sahra Wagenknecht politisch nur dann ernstzunehmen, wenn sie daran Kritik üben würde. Ohne dafür jemals Anstalten zu unternehmen, flüchtet sie lediglich fortgesetzt vor der Notwendigkeit.
Volker Weinreich schreibt:
„Was jedoch wirklich bedenklich ist, sind die Auffassungen zur internationalen Politik, bei der es offensichtlich vor allem darauf ankommt, dass man sich bedenkenlos überall günstige Rohstoffe sichert – ungeachtet der politischen Verhältnisse.“
Aber warum bedenkenlos? Hat der Wirtschaftsminister mit Bedacht LNG in Katar geordert? In einem Land, in dem die Menschenrechte kaum vorkommen. Ist es angemessen, dass die Bundesregierung sich an US-amerikanische LNG-Importe bindet und deshalb deutsche Unternehmen das Dreifache im Vergleich zur dortigen Konkurrenz zahlen müssen? Dass dabei wirtschaftliche Verwerfungen nicht zugunsten Deutschlands entstehen, dürfte auf der Hand liegen. Ein führendes Wirtschaftsmagazin, das Handelsblatt, berichtet im September dieses Jahres:
„Die deutsche Industrie steht vor großen Umbrüchen. Die hohen Preise für Strom und Gas durch die Energiekrise sind wohl erst der Anfang: Deutschland drohen langfristig Wettbewerbsnachteile durch hohe Energiekosten.“
Es ist unverzichtbar, dass verantwortungsbewusste Regierungen darauf achten, dass die Wirtschaft nicht aufgrund widersprüchlicher werteorientierter Ansichten stagniert. Wenn die Konjunktur einbricht und Arbeitsplätze verschwinden, können Rechtsradikale großen Nutzen daraus ziehen. Dies zeigt ein Blick in die deutsche Geschichte.
@ Friedrich Gehring, Backnang
Hallo Herr Gehring,
als Kriegsdienstverweigerer (vom Prüfungsausschuss in Dortmund am 23.11.1966 anerkannt) bin ich Kriegsgegner und war von 1966 bis 1972 in einer Organisation der Kriegsdienstgegner, dem VK, aktiv, zuletzt als Geschäftsführer der Dortmunder Gruppe und Gründer des „Club Zivil“. Allerdings bin ich kein grundsätzlicher Pazifist. Ich verstand und verstehe meine Position als Beitrag zu einer geistigen Entmilitarisierung Deutschlands. Die Bereithaltung von Streitkräften ist für mich Teil der Auseinandersetzung mit der Realität, insbesondere mit der gefährlichen Destruktivität sowohl von Autokraten als auch von anti-intellektuellen Spießern. Auf dem Evangelischen Kirchentag 1983 in Hannover, der von lila Tüchern geprägt war, fand ich Kontakt zu kritischen Bundeswehroffizieren, die sich in der Gruppe „Darmstädter Signal“ organisiert hatten. So entstand für mehr als ein Jahrzehnt ein fruchtbarer Dialog zwischen Überzeugungstätern, nämlich Kriegsdienstverweigerern und Soldaten, die ein gemeinsames Ziel hatten: Frieden, Freiheit, soziale Gerechtigkeit und Solidarität.
Selbstverständlich war ich gegen den Afghanistankrieg. Das Stopp-Signal von Donald Trump empfand ich jedoch als ebenso irrational wie die Entscheidung von George Bush jun., in diesen Krieg zu ziehen. Ähnliches galt für den Irak-Krieg. Ich konnte nicht nachvollziehen, warum die US-Administration ausgerechnet Saddam Hussein, einen Schweinehund zwar, aber doch erklärten Feind der iranischen Mullahs und Garanten des Status quo im Nahen Osten, bekämpfte.
Den Überfall Russlands auf die Ukraine nehme ich Wladimir Putin besonders übel. Denn dieser Angriff ist ein Feldzug gegen meine persönliche Friedenspolitik; er richtet sich gegen meine eigene Biografie als Friedensaktivist. Hätte ich es entscheiden können, wären die Aggressoren bereits im März/April 2022 gescheitert. Nicht zuletzt an deutschen Kanonen, Panzern, Flugabwehrraketen und Taurus-Marschflugkörpern. Damals fiel mir ständig die Forderung Bonhoeffers ein, dass man einem betrunkenen Autofahrer, der das Leben von Menschen gefährdet, ins Lenkrad greifen und ihn stoppen müsse. Und ich hätte sämtliche sich bietende Möglichkeiten genutzt, um die russische Opposition bei der Schaffung eines neuen und demokratischen Russlands zu unterstützen.
Als Sahra Wagenknecht zusammen mit der abgetakelten Steuerbetrügerin und Pseudo-Feministin Alice Schwarzer einen Friedensaufruf samt Stopp der Waffenlieferungen proklamierte, der das Ende der Ukraine bedeuten würde, war mir klar: Nach stalinistischer Art instrumentalisiert sie den Friedenswunsch der Menschen. Ihr geht es um einen prominenten Platz in der Geschichte, notfalls in der Nachbarschaft von Putin.
Die Flüchtlinge, die Europa für ein Paradies halten, sind das Opfer vieler paralleler Umstände. Ihre Lebenswelten sind bedroht vom Klimawandel, der ein Kollateralschaden der Industrieländer und ihres Massenkonsums ist. Ihren diktatorisch regierten Heimatländern sind sie gleichgültig, in den Gastländern sind sie nicht willkommen, dienen dort neofaschistischen Strömungen als Argument für völkische Apartheid.
Wir werden diese Verhältnisse nicht gesundbeten können. Als gottloser reformierter Protestant fällt mir ein Vers aus dem Lukas-Evangelium ein: „Meint ihr, dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf Erden. Ich sage; Nein, sondern Zwietracht.“ Karl Marx gab darauf ein säkulare Antwort: Man muss den herrschenden Verhältnissen die eigene Melodie vorspielen. Fazit: Man muss sich mit den Ausbeutern und Menschenschindern sowie ihren Propagandisten anlegen. Mögen sie Putin, Xi oder Hamas heißen.
Die von der FR gewählte Artikelüberschrift „Rechtes Gedankengut mit sozialem Schleifchen“ ist unzutreffend. Dass die Beschreibung des derzeit herrschenden Wirtschaftssystems, wie im Vereinsgründungspapier nachzulesen, rechtes Gedankengut sein soll, kann ich nicht nachvollziehen:
„Es sind marktbeherrschende Großunternehmen, übermächtige Finanzkonzerne wie Blackrock und übergriffige Digitalmonopolisten wie Amazon, Alphabet, Facebook, Microsoft und Apple entstanden, die allen anderen Marktteilnehmern ihren Tribut auferlegen, Wettbewerb untergraben und die Demokratie zerstören.“ Bisher dachte ich, diese Art von Kapitalismuskritik sei links. Vielleicht ist bei der FR das alte ‚Links‘ zum neuen ‚Rechts‘ mutiert. Auch die Darstellung der desolaten Infrastruktur wie fehlende Wohnungen, ein kaum funktionierender Zugverkehr, nicht ausreichend vorhandene Kita-Plätze, zerfallende Schulgebäude, marode Straßen und Brücken, Internet-Funklöcher u.a. ist eine zutreffende Beschreibung der Folgen bisheriger Politik. Diese Fakten sind weder rechts noch links, sie spiegeln schlicht die Realität des deutschen Alltags wider.
Ja, was ist denn nun rechte Politik, die die FR in den Mittelpunkt ihrer Analyse gestellt hat? Wir wissen, dass die AfD, die derzeit großen Zulauf hat, am herrschenden neoliberalen Wirtschaftsmodell nichts ändern will. Darin unterscheidet sie sich nicht von der FDP. Und dass Wagenknecht und Co. gegen weitere Waffenlieferungen an die Ukraine sind, macht sie noch lange nicht zu Rechten, nur weil die AfD die gleiche Position vertritt. In der Bundesrepublik sieht das laut mehreren Umfragen eine knappe Mehrheit so. Daraus eine „Putin-Freundlichkeit“ abzuleiten, wie die FR schreibt, halte ich für gewagt.
@ Rudi
Die gewählte Überschrift „Rechtes Gedankengut mit sozialem Schleifchen“ ist absolut zutreffend, weil sie gut zusammenfasst, was in den folgenden Meinungsbeiträgen (vulgo Leserbriefe) gesagt wird. Wohlgemerkt: Das sind Meinungsbeiträge. Es geht nicht um Nachrichtliches. Auch diese Überschrift ist nicht nachrichtlich aufzufassen. In meiner Anmoderation oben ist das Gründungsmanifest des BSW verlinkt, außerdem weitere einordnende FR-Artikel. So kann sich jede und jeder selbst ein Bild machen.
Hallo Herr Mertens,
vielen Dank für Ihre Mühe, meinem Kommentar eine so ausführliche Rückmeldung zu widmen.
Ihre biographischen Mitteilungen verdienen meinen großen Respekt. Ich durfte zwar als angehender Geistlicher nicht den Kriegsdienst mit der Waffe verweigern, habe mich aber ab 1979 als Beistand für Kriegsdienstverweigerer eingesetzt und nicht nur von der Kanzel, sondern auch im Religionsunterricht für Friedensbildung stark zu machen versucht, wie auf meiner Website (friedensbildung-schulpraktisch) nachzulesen ist. Zwar lese ich Lk 12,51 im Zusammenhang der weiteren Verse 52-53 so, dass Jesus durch seinen Ruf zur Umkehr (Mk 1,15) Reaktionen auslöst, die Meinungsverschiedenheiten („Zwietracht“) offenbaren. Diese will er aber nicht mit „Kanonen, Panzern, Flugabwehrraketen und Taurus-Marschflugkörpern“ austragen, sondern in Streitgesprächen, also gewaltfreier demokratischer Überzeugungsarbeit. Ich will nicht unterschlagen, dass er bei seinem Auftritt im Tempel (Mk 11, 15-18) gegen die priesterlichen Ausbeuter die Grenze zur Gewalt ein Stück weit überschreitet. Aber bei seinem Einritt in Jerusalem auf einem Esel statt einem Pferd entzieht er sich doch deutlich der Erwartung, messianischer militärischer Anführer beim Aufstand gegen die römische Kolonialmacht zu werden.
Der Aufruf von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer geht auch mir nicht weit genug: Es reicht nicht aus, nur einen Waffenlieferungsstopp zu fordern. Zentral ist für mich die Forderung Jesu, die Balken aus den eigenen Augen zu ziehen (Mt 7,1-5). Leider ist zu wenig bekannt, was Israels Ex-Präsident Bennett und neuerdings auch Gerhard Schröder ( https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/gerhard-schroeder-im-exklusiv-interview-was-merkel-2015-gemacht-hat-war-politisch-falsch-li.2151196) bezeugt, dass der Frieden in der Ukraine wenige Wochen nach Kriegsbeginn ohne Waffenlieferungen möglich war, aber durch die US-geführte Nato blockiert wurde durch den Beschluss vom 23.3.2023 in Brüssel gegen den Verzicht der Ukraine auf die Natomitgliedschaft. Johnson wurde zu Selenskyj geschickt, um mit dem Versprechen von Waffenlieferungen zur Weiterführung des Kriegs zu motivieren. Der US-Enthüllungsjournalist Daniel Ellsberg nannte dies ein „crime against humanity“ (Months Before Death, Daniel Ellsberg Warned Crisis over Ukraine & Taiwan Could Lead to Nuclear War – YouTube ab min 3.30). Aus christlicher Sicht muss deshalb die Rückkehr zu den Verhandlungen vom März 2022 gefordert werden.
Da gibt es weder etwas zu beschönigen noch zu relativieren. Sahra Wagenknecht entlarvt sich mit der Gründung ihres fragwürdigen Bündnisses eindeutig als rechte Politikerin, die nach eigenem Bekunden in braunen Gewässern fischen will und eine Politik der Ausländerfeindlichkeit, der Minderheitenfeindlichkeit und der Putin-Freundlichkeit vertritt. Die Werte unseres Grundgesetzes sind ihr fern und von innerer Liberalität scheint sie auch nichts zu halten. Als linker Sozialdemokrat wiederhole ich meine Position, wonach aufrechte Linke besser in der Sozialdemokratie aufgehoben wären und damit als demokratische Sozialisten in der SPD die Parteilinke stärken und somit den Einfluss etwa der DL21 stärken könnten. Sahra Wagenknecht und ihre Mitläufer sollten aufhören, sich als „links“ zu definieren. Denn ihr Gebaren ist in vielen Passagen AfD-ähnlich. Das ist ein bewusster Anschlag auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung und erfüllt den Sinn derer, die diese Demokratie destabilisieren wollen und mit ihrer Politik rechte Stereotype und Vorurteile transportieren wollen. Sahra Wagenknecht sollte sich schämen, als sogenannte Linkspolitikerin bezeichnet zu werden und mit ihrem Verhalten die Rechtsextremen um die AfD zu normalisieren. Wenn sich die politischen Koordinaten hierzulande noch weiter nach rechts verschieben, dann trägt die sogenannte BSW dafür eine erhebliche Mitverantwortung.
Sehr geehrter Herr Kirsch,
Ihre Werbung für die SPD unter Linken empfinde ich als sehr kühn, seit Gerhard Schröder ungebremst durch seine Partei sich rühmen durfte, durch die Hartz IV-Gesetze sanktionsbewehrte Niedriglohnzwangsarbeit geschaffen zu haben. Diese ist inzwischen vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig erkannt worden und insofern „ein bewusster Anschlag auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung“, die sie bei Sahra Wagenknecht sehen wollen. Mit der so genannten Zeitenwende und den 100 Milliarden Rüstungsschulden knüpft die SPD an ihre dunkelste Stunde an, als sie 1914 den Kriegsanleihen zustimmte. Die Entspannungspolitik von Brandt gilt plötzlich als beschämend. Mit der Ausbildung von Ukrainern an deutschen Panzern seit Mai 2022 ist Deutschland nach Feststellung des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags Kriegspartei ohne angegriffen zu sein und verstößt damit gegen Art. 87 a GG, der die Bundeswehr auf Verteidigungsaufgaben beschränkt. Hier ist Sahra Wagenknecht verfassungstreuer als die SPD. Ihre angebliche „Putin-Freundlichkeit“ ist gedeckt durch Art 24 GG, dessen Vorstellung von einem „System gegenseitiger kollektiver Sicherheit“ auch die Sicherheit Russlands mit einzubeziehen fordert. Der Kabarettist Günther Schramm ließ schon vor vielen Jahren seinen hessischen Sozialdemokraten sagen: „Wir haben jetzt eine neue Gruppe gegründet: Sozialdemokraten in der SPD“. Ihr Versuch, für eine Gruppe „Linke in der SPD“ zu werben, ist für mich angesichts der real existierenden SPD alles andere als verlockend.
Friedrich Gehring, Backnang
Sehr geehrter Herr Gehring,
ich gebe ihnen recht, wenn Sie in Bezug auf Gerhard Schröder Kritik vor allem an den Hartz-IV-Gesetzen üben. Doch es dürfte Ihnen nicht entgangen sein, dass es in der SPD von heute wohl nun noch kaum einen gibt, der die durch Hartz-IV erfolgte Armut per Gesetz rechtfertigt. Ganz im Gegenteil, die Schröder-Ära wird wohl heute kaum von einem Sozialdemokraten noch positiv gesehen, Und es ist nicht meine Sache, des in die SPD nach langer Pause 2018 wieder Eingetretenen, die verheerende Sozialabbaupolitik zu rechtfertigen. Was die Friedens- und Entspannungspolitik von Willy Brandt betrifft, so kenne ich keinen Sozialdemokraten, der diese richtige und gute Politik von Willy Brandt plötzlich als beschämend empfindet. Im Übrigen werbe ich nicht für die Linken in der SPD, sondern ich weise darauf hin, dass die sozialdemokratische Parteilinke Verstärkung braucht, um die Partei wieder zu einem lebendigen Diskussionsforum zu machen, das linke Inhalte wieder in die Programmatik der SPD einbringen könnte. Insofern ist allerdings von Bedeutung, noch einmal darauf hinzuweisen, dass die geplante BSW nach eigenem Bekunden von Sahra Wagenknecht ja AfD-Wähler ansprechen will, deren Inhalte ja wie ich meine wohl auch von Ihnen zutiefst ablehnt und bekämpft werden. Ich halte es allerdings für sehr gewagt, wenn Sie die Friedens- und Entspannungspolitik Willy Brandts und Egon Bahrs dazu missbrauchen wollen, um Sahra Wagenknechts Flirten mit dem Diktator Putin zu rechtfertigen. Nein, Willy Brandt war sich bewusst, dass seine Politik, die zu einem Tauwetter zwischen Ost und West führte, nur durch eine feste Verankerung der Bundesrepublik in der Nato beschritten werden konnte. Wir brauchen heute keine sich auf einem Egotrip befindende Politikerin, die bereit ist, braune Inhalte zu übernehmen, wie das meiner Meinung nach Sahra Wagenknecht tut.
@ Manfred Kirsch
Herr Kirsch, ich weiß nicht, was in Ihrem links-sozialdemokratischen Kopf vor sich geht, wenn Sie schreiben: „Sahra Wagenknecht sollte sich schämen, als sogenannte Linkspolitikerin bezeichnet zu werden und mit ihrem Verhalten die Rechtsextremen um die AfD zu normalisieren.“ Sie müssen unterscheiden zwischen der Partei AfD und denjenigen, die sie wählen. Ich würde nicht behaupten, dass die hessischen Sozialdemokraten, die bei der jüngsten Wahl nach Erkenntnissen von ‚infratest dimap‘ 29.000 Wählerinnen und Wähler an die AfD verloren haben, irgendetwas mit Rechtsextremen am Hut hätten. Sie als Sozialdemokrat müssten sich viel mehr die Frage stellen, weshalb die Politik, die Ihre Partei jahrelang in Regierungsverantwortung mitgestaltet hat, ein derartiges Anwachsen der AfD ermöglichte. Ihre Partei wäre sicher dankbar, verlorene Wählerstimmen von der AfD zurückholen zu können. Bei den derzeitigen Umfragewerten den Bund betreffend und den Landtagswahlergebnissen in Hessen und Bayern können die Genossinnen und Genossen jede Stimme gebrauchen.
So wie ich Frau Wagenknecht und ihre Mitstreiter und Mitstreiterinnen verstanden habe, geht es ihnen keineswegs darum, „die Rechtsextremen um die AfD zu normalisieren“, sondern deren Wählerschaft, enttäuscht von SPD, Grünen und CDU/CSU, wieder ins demokratische Spektrum zurückzuholen, auch wenn es links der Sozialdemokratie angesiedelt sein sollte.
@Rudi
Leider ist es offensichtlich schwierig, deutlich zu machen, dass Sahra Wagenknecht und ihre BSW auf eine Art und Weise auf die Wählerinnen und Wähler der AfD zugehen wollen, die keine Distanzierung und deutliche Abgrenzung von der AfD-Politik beinhaltet. Wer leider wie Sahra Wagenknecht die Inhalte der AfD übernimmt und ähnliche Argumente wie die AfD vertritt etwa in Bezug auf Migrantinnen und Migranten, der macht sich mit den Inhalten der Braunen gleich. Im Übrigen wird genau damit das rechtsextreme Gedankengut normalisiert. Wer sich Aussagen prominenter AfD-Mitglieder, ich nenne nur die Namen Gauland und Höcke, zu Gemüte führt, der müsste eigentlich wissen, dass die Wählerinnen und Wähler der AfD sehr genau darüber in Kenntnis sind, welche rechtsextremen Parolen und welcher Ungeist von diesen Herrschaften ausgehen. Eigentlich müsste jeder, der die AfD-Thesen hört, wissen, dass jede Stimme für die AfD eine Stimme für die Abwahl unseres hervorragenden Grundgesetzes ist. Wer das negiert, sollte überprüfen, ob er selbst nicht genau zugehört hat oder überhaupt nicht gehört hat, was die braune AfD für eine Politikvorstellung hat. Deshalb bin ich auch nicht bereit, mich als Kümmerer für die Wählerinnen und Wähler der AfD zu verstehen, sondern ich behaupte, dass jeder, der die AfD wählt, wissen muss, womit er rechnen kann, wenn diese Braunen vielleicht im Konzert mit der sogenannten BSW mit Verantwortung ausgestattet würden. Ich bin einigermaßen erschrocken, wie hoch das Maß an, wollen wir es einmal positiv formulieren, Naivität gegenüber den Feinden unserer Demokratie ist.
Es nützt nichts, Herr Kirsch, Probleme zu ignorieren. Am 23.10.23 titelte die taz über die sozialdemokratische Flüchtlingspolitik: „Katalysator für den rechten Rand – Kanzler Scholz will mehr abschieben, im ‚großen Stil‘. Die sozialen Probleme im großen Stil lösen – das wäre mal sozialdemokratische Politik.“
Das ist der Punkt. Sie wie ihre Partei gehen nicht darauf ein, dass die jahrelange eigene Politik ohne sozialen Ausgleich erst die AfD hat wachsen lassen. Es ist doch nicht so, dass die AfD, die weder programmatisch noch personell gut aufgestellt ist – ich sage: zum Glück! – einfach so die Stimmen der Wählerinnen und Wähler einsammeln kann. Es muss doch Ursachen geben, weshalb die Leute ihr Kreuz bei dieser Partei machen. Sie schreiben, Sie seien nicht bereit, sich „als Kümmerer für die die Wählerinnen und Wähler der AfD zu verstehen“. Das müssen Sie nicht. Aber wenn man sie mit dieser Parteienwahl im Regen stehen lässt, nicht breit ist, ihre Entscheidungsfindung zu entschlüsseln, sie sozusagen nicht hört, wird man mindestens als arrogant und abgehoben empfunden. Man wendet sich ab, geht eventuell gar nicht mehr wählen oder wählt eben eine Partei, über die sich die etablierte Politik am meisten ärgert. Die Sozialdemokraten tragen für das Anwachsen der AfD eine Mitverantwortung.
Ich vermute, dass eine Partei, so wie sie von Frau Wagenknecht und Co. konzipiert zu werden scheint, Politik für die materiell schlecht Aufgestellten in prekären Verhältnissen Lebenden in den Mittelpunkt zu rücken, die Sozialdemokratie weiter marginalisieren könnte. Und Sie, Herr Kirsch, deshalb so vehement darauf drängen, sie nach rechtsaußen zu verorten, um sie aus dem demokratischen Diskurs auszugrenzen.
Als inzwischen schon längst zum Neuwieder Gewordener möchte ich mich in die Diskussion auch unter Einbezug der regionalen Perspektive einbringen. Die Linke ist in der Tat ein schwieriges und auch gewöhnungsbedürftiges, aber immerhin pluralistisches Konstrukt. Wenn etwa Wolfgang Huste, der Sprecher der Linken im Kreistag von Ahrweiler, herausstellt, man habe vor Ort eine Mitgliederstruktur, die zu Sahra Wagenknecht kritisch stehe, und er sogar berichtet, es habe Mitglieder gegeben, die unter anderem deshalb aus der Partei ausgetreten seien, weil Wagenknecht sich im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg nicht deutlich von Putin distanziert habe, sind das erfreuliche Signale. Unlängst habe ich es positiv zur Kenntnis genommen, dass der ehemalige linke Bundestagsabgeordnete Gert Winkelmeier, bislang einziger MdB der Linkspartei aus dem nördlichen Rheinland-Pfalz, der während des Kalten Krieges überzeugter Funktionär der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) gewesen war, auf der Gedenkkundgebung in Koblenz zum 78. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus ohne Einschränkung erklärte, aus seiner Sicht sei der Überfall von Russland auf die Ukraine das größte Verbrechen wahrscheinlich dieses Jahrhunderts, die größte Katastrophe dieses Jahrhunderts auch. Neben der klaren Verortung von Schuld bei Putin hat sich darüber hinaus nicht nur Bodo Ramelow, der von mir sehr geschätzte linke Ministerpräsident Thüringens, seitens der Linkspartei zustimmend zu Waffenlieferungen an die Ukraine geäußert.
Schon vor längerer Zeit hat hingegen der Fraktionsvorsitzende der Linken im Neuwieder Stadtrat, Tobias Härtling, mit der Linken gebrochen und sich zu Sahra Wagenknecht bekannt. Natürlich hat Tobias Härtling mit seiner Kritik an der Solidaritätserklärung des Linken-Landesverbandes Rheinland-Pfalz mit den Angeklagten im Dresdener Antifa-Prozess recht. Im Hinblick auf die Solidaritätsbekundung der Landeslinken mit der Letzten Generation hat er teilweise recht. Absolut nicht in Ordnung ist es, die Bildung einer kriminellen Vereinigung durch die Letzte Generation zu behaupten, aber die Verfolgung tatsächlicher Straftaten im Rahmen zweifelsfrei politisch nicht missbrauchter Gesetze muss diese Bewegung in Kauf nehmen.
Aber Sahra Wagenknechts Abspaltung als künftige Perspektive? Mit der AfD haben wir schon eine Russlandpartei. Dass Härtling in Erwägung zieht, sich einer AfD-light-Russlandpartei anzudienen, ist nicht nachzuvollziehen. Wenn man seine bisherige Partei kritisiert, weil sie zu bekloppten Beschlüssen fähig ist, kann es doch nicht die Lösung sein, sich auf eine noch nicht existierende Partei zu orientieren, die mit hoher Wahrscheinlichkeit noch bekloppter sein wird. Um es noch einmal deutlich zu sagen, mit der AfD haben wir doch schon eine Russlandpartei. Eine aller Voraussicht nach zu befürchtende AfD-light-Russlandpartei brauchen wir nicht wirklich.
Sehr geehrter Herr Kowallek,
sie erwecken den Eindruck, das redaktionelle Angebot des Links auf das BSW-Gründungsmanifest nicht genutzt zu haben, sonst könnten sie Sahra Wagenknecht nicht die Gründung einer „AfD-light-Russlandpartei“ unterstellen. Denn im BSW-Gründungsmanifest wird im Gegensatz zum kriegstreiberischen Zeitenwendemainsteam, dem fatalerweise auch erheblich viele Linke Beifall zollen, eine verfassungsgemäße Sicherheitspolitik vertreten, die sich an Art 24, 26 und 87 a orientiert. Zu Art. 26 GG (Verbot der Vorbereitung eines Angriffskriegs) benennt das Manifest die Verbrechen der US-geführten Nato, an denen wir uns spätestens seit dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg im Jahr 1999 gegen Serbien beteiligen. Konsequent wird die Rückkehr zu reiner Verteidigungspolitik nach Art. 87 a GG gefordert. Zu Art. 24 GG (System gegenseitiger kollektiver Sicherheit) wird gefordert, auch Russland mit einzubeziehen, was Putin 2001 vor dem deutschen Bundestag unter großem Beifall vorgeschlagen hat. Eine derart verfassungstreue Partei als „Russlandpartei“ zu bezeichnen wirkt auf mich grob daneben. Eine solche Partei ist im gegenwärtigen grassierenden irrationalen Bellizismus dringend zu wünschen, vor allem angesichts einer angeblich feministischen Außenpolitik, die größenwahnhaft Russland „ruinieren“ will, obwohl sie bemerkt, dass dieser Ruinierungversuch uns selbst ruiniert.
Das Manifest stellt außerdem klar, dass es sich beim Ukrainekrieg um einen geopolitisch motivierten Krieg handelt. Dies ist umso notwendiger, als der Krieg nach wenigen Wochen hätte beendet werden können, hätte die Nato nicht am 23.3.2022 in Brüssel beschlossen, dass die Ukraine nicht auf die Nato-Mitgliedschaft verzichten darf und den Krieg dafür weiter führen muss, was jüngst unter anderen auch Gerhard Schröder bezeugt, der bei den Friedensverhandlungen involviert war (https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/gerhard-schroeder-im-exklusiv-interview-was-merkel-2015-gemacht-hat-war-politisch-falsch-li.2151196 ). Verfassungstreue und friedliebende Linke sollten deshalb Sahra Wagenknecht nicht diffamieren, sondern unterstützen.
Friedrich Gehring, Backnang
@ Friedrich Gehring
Es fällt mir schwer, Ihren Gedankengängen zu folgen, aber ich glaube, das liegt eher an Ihnen als an mir. Sie wollen, dass man Wagenknecht unterstützt? Ist das zu fassen? Auch Ihrer Einordnung Putins muss ich widersprechen. Kürzlich war auf Arte ein längerer Doku-Beitrag zu diesem Thema zu sehen, in dem es auch um Putins berühmte Bundestagsrede ging. Dort wurde sie in einen Kontext gestellt, während sie in Beiträgen wie Ihrem stets aus dem Kontext gerissen wird: Er hat das aus rein taktischen Gründen gesagt, um den Westen auseinanderzudividieren. Dieselbe Taktik verfolgt er heute noch. Dazu gehört auch die Mär, dass bereits kurz nach Kriegsbeginn zwischen Russland und Ukraine ein Frieden möglich gewesen wäre. Es gab damals Verhandlungen, das ist richtig. Federführend war der damalige israelische Premier Naftali Bennett. Darüber war seinerzeit in der FR zu lesen, dass es eine Chance von 50 zu 50 für Frieden gegeben hat. So eindeutig, wie Sie das formulieren, war das nicht. Ich fürchte, Sie sind der russischen Propaganda aufgesessen. Diesen Eindruck hatte ich auch schon bei früheren Leserbriefen von Ihnen. Sie sollten besser aufpassen, was Sie schreiben.
Ergänzend zu den Ausführungen von Herrn Briem sei darauf hingewiesen, dass durch die russischen Kriegsverbrechen in Butscha und anderen Vororten von Kiew Verhandlungen für die Ukraine unzumutbar wurden. Diesen Verteitigungskrieg führt dieses Land um sein Überleben und nicht um der NATO einen Gefallen zu erweisen.
Demzufolge wäre für mich eine „Wagenknecht-Partei“ ebenso unwählbar wie die AfD.
@Rudi
Ich glaube, es ist notwendig, noch einmal meine politischen Positionen zum einen zum Thema Geflüchtete und zum anderen zu Hartz-IV deutlich zu machen. Ja, ich bin auch hier erschrocken über das Schwadronieren des sozialdemokratischen Bundeskanzlers Olaf Scholz, der im Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ erklärt hat, er wolle jetzt „im großen Stil“ abschieben. Ich sehe mit Entsetzen und Empörung, dass auch die Ampel-Regierung und hier insbesondere die FDP das rechte Gedankengut hierzulande in ihre Politik übernimmt und nicht bereit ist, offensiv Flagge gegenüber den Rechten zu zeigen. Hierbei ist es Olaf Scholz offensichtlich egal, wenn er rechte Politik durch deren Übernahme normalisiert. Es tut mir in der Seele weh, wie SPD, FDP und Bündnisgrüne den Rechtsextremen den Erfolg ihrer Politik möglich machen und dabei die Dämme der Humanität brechen lassen. Und natürlich war die Hartz-IV-Politik des Basta-Kanzlers und Putin-Freundes Gerhard Schröder eine Ursache für die Verwerfungen im politischen Parteiensystem der Bundesrepublik. Das wird auch von einem Großteil der sozialdemokratischen Genossinnen und Genossen so gesehen. Ich möchte nicht den Eindruck entstehen lassen, als ob ich die Politik der Bundesregierung gegenwärtig rechtfertige. Wer aber zuhört, was die rechtsextreme AfD so von sich gibt, der muss doch feststellen, wohin die Reise mit den AfDlern gehen soll. Im Übrigen wäre eine Sozialpolitik der AfD gerade für jene verheerend, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Denn die AfD ist neoliberal und würde eine noch viel unsozialere Politik betreiben als wir sie momentan erleben. Und die AfD ist gerade der Gegner der sogenannten kleinen Leute und ein von ihr geführtes rechtsautoritäres Regime würde die Armut in unserer Republik in unvorstellbare Dimensionen ansteigen lassen. Es hat nichts mit Arroganz zu tun, wenn ich den Menschen empfehle, sich unabhängig über allgemein zugängliche Quellen über die AfD zu informieren. Jeder, der die Thesen der AfD zur Kenntnis nimmt, wird bald feststellen, dass die AfD für ein rechtsautoritäres, unsolidarisches und unsoziales Gebaren steht. Es hat weder etwas mit Abgehobenheit noch Arroganz zu tun, wen man den AfD-Wählern empfiehlt, sich über das klar zu werden, was kommen würde, wenn die AfD Verantwortung für unser Land tragen würde. Und Wagenknecht und Co. fischen in Gewässern der Rechten und haben bisher noch keine Anzeichen erkennen lassen, mit offenem Visier gegen die rechtsextreme AfD vorzugehen. Und ich sage bewusst, dass die AfD rechtsextrem ist. Der Begriff „Rechtspopulismus“ für dieses bräunliche Sammelbecken ist eine Verharmlosung dieser Herrschaften und macht nicht deutlich, wie groß die Gefahr für die Demokratie hierzulande durch die Braunen ist.
Dass meinen Gedankengängen so schwer zu folgen ist, hängt wohl damit zusammen, dass ich konkrete Grundgesetzinhalte zu Fragen des Kriegs heranziehe. Zur Zeit des Entwurfs unserer Verfassung wussten viel noch, was Krieg ist. Heute ist der Mainstream sehr weit davon weg und Sofabellizisten haben Konjunktur. Kriegsberichte werden konsumiert wie Fußballspielberichte. Wer da wie ich noch an das pazifistisch orientierte Grundgesetz erinnert, muss aufpassen, was er schreibt. Ihre Warnung wirkt auf mich irgendwie bedrohlich. Es nützt aber nichts, wenn Sie mir wegen der Zitierung der pazifistischen Verfassung drohen. Sie müssten versuchen, das Grundgesetz bellizistisch verändern zu lassen, wenn ihnen der Pazifismus von 1949 zuwider ist.
Sehr geehrter Bäumlein,
Gerhard Schröder, der in die Friedensverhandlungen involviert war, berichtet nicht, dass die Verbrechen von Butscha die Friedensverhandlungen unzumutbar gemacht haben. Er berichtet: „Bei den Friedensverhandlungen im März 2022 in Istanbul mit Rustem Umjerow haben die Ukrainer keinen Frieden vereinbart, weil sie nicht durften. Die mussten bei allem, was sie beredet haben, erst bei den Amerikanern nachfragen.“ (https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/gerhard-schroeder-im-exklusiv-interview-was-merkel-2015-gemacht-hat-war-politisch-falsch-li.2151196). Das passt sehr genau zum Beschluss der Nato am 23.3.2022 in Brüssel gegen die Neutralität der Ukraine, also den Verzicht auf die Natomitgliedschaft. Warum hat ein Nato das zu beschließen? Das bestätigt doch Schröders Aussagen. Der Ukrainekrieg begann am 15.4.2014 als Angriffskrieg der ukrainischen Putschregierung gegen die eigene prorussische Bevölkerung im Donbass. Nach 14000 Toten vor allem unter der prorussischen Bevölkerung des Donbass griff Putin ein zugunsten der Angegriffenen wie wir 1999 im Kosovo für die von Serbien bedrängten Kosovaren. Der jetzige Krieg ist kein Verteidigungskrieg, es geht für die ukrainische Regierung um die Wiedereroberung des Donbass, um die Herrschaft über die dortige Bevölkerung wieder zu erringen, die aber aus guten Gründen so wenig wieder unter dieser Regierung leben will wie die Kosovaren unter der serbischen Herrschaft.
zu Friedrich Gehring, 31.10.2023, 14:41 Uhr:
Um sich von außen verübten Angriffen erwehren zu können, bedarf es einer spezifischen Zurichtung menschlicher Arbeitskraft, ohne die vor allem ein Soldat kaum eine Überlebenschance hätte. Ist nun der gesellschaftliche Prozess hiesig Gegenstand von Untersuchungen gewesen mit dem Ziel, die von Natur aus gegebenen Mechanismen der Leistungsbegrenzung auszuhebeln, hat man dadurch wenigstens in den vergangenen dreißig Jahren in der Tat das Wesentliche „verbockt“, wie Herr Pistorius in einer Sendung des ZDF jüngst reklamierte. Selbst wenn also das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland pazifistisch orientiert ist, darf es niemals sein, die eigenen Militärs sowohl körperlich als auch seelisch zu ruinieren. Politisch entscheidend bleibt somit stets die Frage der Reversibilität. Wissenschaftlich besteht dafür zumindest eine Evidenz. Der Ausruf des „Nie wieder!“ würde dann erheblich an Substanz gewinnen.
Ich nenne Sie jetzt Sofapazifist. Und dann noch mit Bibelzitaten um sich schmeißen. Was glauben Sie, wie es den Menschen in der Ukraine ergeht? Über die verlieren Sie kein Wort! Hauptsache nichts Übles über Putin, was? Glauben Sie, dass es diesen Menschen besser geht, wenn Sie Ihre Pro-Putin-Agenda hier durchsetzen? Schämen Sie sich!
@Manfred Kirsch
Herr Kirsch, ich teile Ihre Einordnung der AfD. Umso unverständlicher ist mir, weshalb sie Wagenknecht und Co., die bisher innerhalb eines doch linken politischen Milieus Politik machten, sich nach rechts gewendet haben sollen, wie Sie behaupten: „Sahra Wagenknecht entlarvt sich mit der Gründung ihres fragwürdigen Bündnisses eindeutig als rechte Politikerin…“. Es ist wohl so, dass in der aktuellen politischen Diskussion rechts und links je nach Gusto verschoben, verwischt oder derangiert werden. Wie sonst ist es möglich, dass pazifistische Grundpositionen von einem Tag auf den anderen über Bord geworfen werden, um sich zur härtesten Kriegspartei zu mausern, wie es bei den Grünen zu beobachten ist. Das zwei Jahre alte Wahlplakat dieser Partei „Keine Waffen in Kriegsgebiete“ birgt Rechtfertigungszwang. Weil der innere Widerspruch offensichtlich ist, verschiebt man einfach die Koordinaten. Friedenspolitik und Pazifismus galten mal als links, jetzt sollen sie Teil reaktionären Denkens sein, weil sie einen Despoten in Russland stützen würden.
Wie kann es sein, dass ein sozialdemokratischer Verteidigungsminister sagt: „Wir müssen kriegstüchtig werden!“ Und die Forderung nach einer neuen Mentalität an ein Volk richtet, das zwei Weltkriege begonnen hat. Das Schlimme ist: Es gibt keinen Protest, weder von Künstlern, Wissenschaftlern, Ärzten noch von Eltern oder Großeltern. Ich vermute, Willy Brandt und Egon Bahr würden diese sozialdemokratische Wende nicht teilen. Der Wunsch oder Willen zu einem friedlichen Miteinander wird dieser Gesellschaft zunehmend ausgetrieben. Und wieder sind es die Sozialdemokraten, die die „Drecksarbeit“ leisten, so wie damals bei der Einführung der Hartz-Gesetze.
zu @ Rudi
Schwer zu sagen was Willi Brandt oder Egon Bar sagen würden wenn sie mit der heutigen Situation konfrontiert wären. Frau Wagenknecht hat ja auch schon anderes gesagt. Wir stehen vor einer beginnenden Klimakatastrophe die mit großer Wahrscheinlichkeit zu großen Wanderungsbewegungen und auch immer mehr an Kriegen führen wird. Ein Teil der Menschen die sich als Links ansehen versuchen Antworten in der Vergangenheit zu finden. Ich glaube das es nicht gelingen wird ohne selbst sagen zu können wie es weiter gehen soll bei den anstehenden Problemen. Vielleicht hat Frau Wagenknecht auch nicht völlig unrecht. Ich würde denken wir sollten versuchen das Asylrecht zu retten. Das bedeutet aber auch das alle die abgelehnt werden auch ausreisen müssen. Wie dazu eine Linke Position bei der es ja nicht zuletzt um Arbeitnehmer oder Mieterrechte und sozialem Ausgleich geht aussehen kann wird man sehen. Das aber sicher nicht in der Vergangenheit.
Sehr geehrter Herr Briem,
weil ich – anders als die Sofabellizisten – wahrnehme, dass in der Ukraine ein Krieg stattfindet wie 1916 bei Verdun, fordere ich, zu den Friedensverhandlungen vom März 2022 zurückzukehren. So kann es den Menschen in der Ukraine besser gehen. Nicht ich, sondern die Medien verschweigen beharrlich, dass dort täglich an den Fronten Hunderte sterben, auch Ukrainer, während in den Fernsehnachrichten nur die vergleichsweise wenigen zivilen Opfer von russischen Luftangriffen gezählt werden. Haben Sie sich noch nie gefragt, warum die täglichen Opfer an den Fronten in der Presse so gut wie nie erwähnt werden? Ich frage mich das und finde als Antwort: Das darf nicht wahrgenommen werden, weil sonst die Behauptung „Waffen retten Leben“ als absurd erwiesen würde. Nicht ich, sondern die Sofabellizisten, die dies behaupten und ihre Waffengeschäfte damit schön reden wollen, sollten sich schämen. Wie stehen Sie zu der Behauptung: „Waffen retten Leben“? Wollen Sie wirklich behaupten, dass es den Menschen in der Ukraine besser geht, seit die Friedensverhandlungen von der Nato durch das Versprechen von mehr Waffen im März 2022 blockiert wurden?
Sehr geehrter Herr Rath,
die aus Afghanistan tot oder „sowohl körperlich als auch seelisch“ ruiniert zurück Gekehrten sind nicht Opfer geworden von „von außen verübten Angriffen“ oder weil die nötige Ausrüstung der Bundeswehr „verbockt“ wurde, sondern weil sie in einen grundgesetzwidrigen Angriffskrieg geschickt wurden. Wie ich von der Großmutter des in Afghanistan erschossenen Backnanger Stabsgefreiten Konstantin Menz verlässlich erfahren habe, zog dieser dorthin, weil er sich als Entwicklungshelfer gefühlt hat. Er erlag der regierungsamtlichen Desinformation, es handle sich um eine „humanitäre“ Aktion (näheres dazu unter: Friedenssicherung und Bundeswehr — Landesbildungsserver Baden-Württemberg (schule-bw.de)). Auch von außen verübte Angriffe sind am besten vorbeugend zu verhindern dadurch, dass Art. 24 GG ernst genommen wird, etwa durch Annahme von Putins Angebot einer Sicherheitspartnerschaft vor dem deutschen Bundestag im Jahr 2001.
In dem Gastbeitrag für die „Frankfurter Rundschau“ vom 25. April 2006 kritisieren Martin Altmeyer und Helmut Thomä den seit vielen Jahren anhaltenden Boom eines naturalistisch verkürzten Menschenbildes. Angesichts dessen lohnt es sich schon ökonomisch längst nicht mehr, stets das Ganze im Blick zu haben. Nicht von ungefähr ist deshalb auch die Politik von Sahra Wagenknecht völlig unterkomplex, sonst wäre ihr kein Erfolg beschieden. Die Gewinner-Verlierer-Perspektive ist dadurch zwar in ihr Gegenteil verkehrt. Aber offenbar finden selbst noch die haltlosesten Behauptungen geradezu reißenden Absatz; während das, was fest in der Wirklichkeit verankert ist, eine Schmähung erfährt. Es nimmt dann nicht wunder, dass laut der Pressemitteilung des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung vom 27. Juni 2023 inzwischen fast jeder Fünfte zusätzlich einen von vornherein vermeidbaren Tod zu sterben hat. In absoluten Zahlen ereilte hierzulande solch ein Schicksal allein im Jahr 2022 mehr als 200.000 Menschen.
Übrigens: Wie fundamental sich die von mir gestern zitierte „Frankfurter Rundschau“ von der „Frankfurter Allgemeine“ unterscheidet, lässt sich schon daran ablesen, dass dort heute vor allem der deutsche Vizekanzler dafür gleichsam über den grünen Klee gelobt wird, dass Robert Habeck angeblich der Innen- und Außenpolitik „die Leitplanken … aufstellt“. Laut dem im Januar dieses Jahres verstorbenen und in der Traueranzeige als Solitär bezeichneten Friedrich Weltz sind hingegen von Natur aus Grenzen gesetzt, die realiter kein Mensch überschreiten kann. Auch der damalige Richter am Bundesverfassungsgericht, Ernst-Wolfgang Böckenförde, verweist anlässlich des Ersten Blaubeurer Symposions längst „auf das von Natur Rechte“. Das Beste haben wir somit nicht selbst gemacht. Völlig fiktiv ist deshalb, wenn der gegenwärtig amtierende Direktor des in Frankfurt am Main ansässigen Instituts für Sozialforschung (IfS), Stephan Lessenich, behauptet, dass das Ganze vermeintlich menschengemacht ist. Wäre es so, fände sich dadurch hiesig die Bevölkerung in einer Inszenierung wieder, in der alle nur noch Theater spielen, wie bereits Erving Goffman kritisiert hat.