Die Geflüchteten sind nicht unser größtes Problem

Während ich im Urlaub war, kochte der Bamf-Skandal (Bamf: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) in Deutschland immer höher. Mitarbeiter der Behörde sollen in Asylfällen widerrechtlich positiv entschieden haben. Korruption soll im Spiel sein. Was wusste das Innenministerium seinerzeit davon? Das Kanzleramt? Was wurde durchgewinkt, ignoriert, unter den Teppich gekehrt? Dann das Gezerre um einen Untersuchungsausschuss des Bundestages, ins Gespräch gebracht zuerst von der AfD, dann auch von der FDP – chancenlos ohne mindestens eine weitere Oppositionspartei; 25 Prozent der BundestagsabgeordnetInnen müssen einen solchen Untersuchungsausschuss fordern. Da war wohl auch die (berechtigte) Furcht im Spiel, dass ein solche Ausschuss von der AfD genutzt werden würde, um auf der Klaviatur der politischen Skandalisierung das einzige Thema zu variieren, von dem sie zehrt – die Flüchtlingspolitik.

Von Frankreich aus hatte ich einen ziemlich distanzierten Blick auf diese Vorgänge. Ehrlich gesagt fand ich sie uninteressant. Die Flüchtlingspolitik ist kein Zukunftsthema. Im Zusammenhang mit ihr sehe ich ganz andere Themen, und je mehr Abstand ich von meinem journalistischen Tagesablauf bekam, desto klarer wurde mir, dass es ein Segen für Deutschland sein würde, wenn wir keinen Untersuchungsausschuss bekommen. Er hätte lediglich Schlagzeilen produziert, die im Sinne der AfD von den eigentlichen Problemen ablenken. Diese eigentlichen Probleme im Zusammenhang mit der Flüchtlingspolitik sind die Fluchtursachen, ihre Beseitigung, die Beendigung von Kriegen und die Beilegung von Konflikten, das Werben für Frieden und der Einsatz für friedliche Entwicklung. Darüber, finde ich, wird allgemein viel zu wenig gesprochen.

Ob beim Bamf ein paar Asylbescheide falsch waren (meinetwegen auch ein paar tausend), das ist nicht der Skandal. Der Skandal ist das, was die folgenden Leserbriefe thematisieren. Und darüber hinaus ist der Skandal, dass Deutschland seine Kräfte mit einer fruchtlosen, destruktiven Debatte über die Flüchtlingspolitik verschleudert, anstatt diese Kräfte für die Beseitigung der Fluchtursachen einzusetzen. Deutschland beschäftigt sich mit sich selbst, während draußen in der Welt möglicherweise bereits die Grundlagen für den nächsten Flüchtlingsstrom gelegt werden. Das ist der Skandal.

Balken 4Leserbriefe

Herbert Sehring aus Frankfurt

„Es gilt als ein „Skandal“ – dieser Begriff wird auch von der Autorin der FR übernommen –, dass etwa 1200 positive Asylentscheide der Bremer Außenstelle des Bamf zu Unrecht ergangen sein könnten. Ob das überhaupt so ist, muss noch überprüft werden. Aber wie nennt man es denn, wenn 62 Prozent der Flüchtlinge aus Syrien, 61 Prozent Afghanen und immerhin noch 17 Prozent Iraker (Zahlen von Pro Asyl) mit ihren Klagen gegen negative Asylentscheide vor Verwaltungsgerichten erfolgreich waren? Nein, zehntausende offensichtlich falsche Asylentscheide sind hier kein „Skandal“, wenn sie negativ ausgefallen sind. Seehofer & Co. treiben in der Asyldebatte alle vor sich her.“

Jochim Maack aus Hamburg:

„Endlich, endlich ein, zwei Artikel, die den angeblichen Skandal um das Bremer Bamf mal aus neutraler bzw. Sicht der Beschuldigten beleuchten. Seit nunmehr mehr als fünf Wochen beherrscht der angebliche Skandal um angebliche Asylmanipulationen die politische Diskussion. Und dies mit erheblichen Folgen für das politische Klima.
Ich und alle anderen noch aktiven ehrenamtlich Tätigen für Geflüchtete müssen sich seither für ihre Arbeit zunehmend rechtfertigen. Selbst aus dem näheren persönlichen Umfeld kommen Fragen, wie ich immer noch ehrenamtlich tätig sein kann. Das zeitgleich Menschen im Mittelmeer ertrinken, Geflüchtete in Libyen als Sklaven gehalten und brutal ermordet werden, rückt in den Hintergrund. Auch das skrupellose Geschäftemacher den Geflüchteten z.B. Schrottimmobilien zu horrenden Preise vermieten etc. scheint normal zu sein. „Wir werden sie vor uns her treiben“ sagte Gauland nach der Bundestagswahl, und so geschieht es. Das Traurige daran ist, dass sich praktisch alle Parteien und Medien von der AfD treiben lassen. Ist das der neue Zeitgeist? Willkommenskultur war gestern – heute scheinen die Geflüchteten das Problem Nr. 1 zu sein.
Erschreckend finde ich, dass erst jetzt recherchiert wird, was tatsächlich an den Vorwürfen dran ist. Klar war das Bamf unterbesetzt, und es fehlte und fehlt an qualifizierten Mitarbeitern. Die inzwischen zwangsversetzte Bremer Leiterin hat sich in dieser Lage m.E. nach humanitär verhalten und nach der Devise „im Zweifelsfall für den Antragsteller“ entschieden. Daraus einen Skandal zu machen und diesen gnadenlos für eine Veränderung des politischen Klimas zu nutzen, ist für mich der eigentliche Skandal.“

Michael Krawinkel aus Frankfurt:

„Wohin lassen wir uns eigentlich von AfD und CSU treiben? Der Skandal der möglicherweise illegal erteilten Bremer Asylbescheide muss in den Kontext gestellt werden, denn die Stimmungsmache der Rechten verzerrt offensichtlich die Wahrnehmung der Realität erheblich.
Anfang Dezember 2017 berichteten zahlreiche Medien, das Bamf in Nürnberg habe in den ersten sieben Monaten des Jahres knapp 444 000 Entscheidungen gefällt, und gegen fast jede zweite seien Asylbewerber vor Gericht gezogen. Von Januar bis Juli 2017 gaben die deutschen Gerichte mehr als jedem vierten Kläger recht. Rechnen wir also überschlagsmäßig mit 25 Prozent erfolgreich angefochtenen Bescheiden, dann hat das Bamf 55 000 Mal von Januar bis Juli 2017 zu Unrecht AsylbewerberInnen die Anerkennung verweigert. Dieser Skandal ist damals nicht „skandalisiert“ worden, obwohl wir erstens nicht wissen, wie viele Bescheide nicht angefochten worden sind, obwohl sie juristisch keinen Bestand haben konnten, und zweitens jeder unrechte Ablehnungsbescheid den Betroffenen Enttäuschung zusätzlich zu dem sonstigen Flüchtlingselend gebracht hat. Dem Bamf die Erklärung durchgehen zu lassen, die Zahl der Klagen habe stark zugenommen, weil die Flüchtlinge intensiver von Helferinnen und Helfern beraten wurden, blendet die Verantwortung des Amts aus.
Die jetzige Aufregung um 1200 ungeprüft positive Bescheide, von denen nach der Statistik im Fall der Ablehnung 300 wohl erfolgreich angefochten worden wären, ist vor diesem Hintergrund lachhaft. Das Bamf ist wegen der fehlerhaft abgelehnten Bewerberinnen und Bewerber zu kritisieren. Diesbezüglich sollten wir Aufklärung fordern. Was wurde inzwischen getan, um die vielen fehlerhaften Ablehnungen zu vermeiden?“

Dieter Murmann aus Dietzenbach:

„Es ist sicherlich nicht gut, wenn unsere Behörden unkorrekt arbeiten. Schlimm ist es, wenn für bestimmte Leistungen Schmiergeld genommen oder gar verlangt wird, was in dem vorliegenden Fall strittig und nicht bewiesen ist. Was mich an der ganzen Diskussion stört, dass dieses Thema nun durch alle Medien und Talkshows rauf und runter diskutiert wird und die Parteien das Thema viel zu hoch aufhängen und damit die Stimmung noch anheizen. Während ungerechtfertigte Asylgenehmigungen aufgeblasen werden, findet die zahlenmäßig weit größere Gruppe der fälschlicherweise abgelehnten Asylsuchenden kaum Beachtung.
Ich würde mir von unseren Medien und der Politik das gleiche Engagement wünschen, wenn es um wirklich wichtige Themen geht. Wir haben eine Autoindustrie, die betrügt, Konzerne, die keine oder weit unterproportional Steuern zahlen, wir steuern auf eine Klimakatastrophe zu und und und! Hier sind weder die Medien noch die Politik sonderlich aktiv. Bei den privaten Medien muss man sich nicht unbedingt wundern.
Während in der Bamf-Affäre ohne Beweis schon konkret von Schmiergeld die Rede ist, ist man in der Politik vor solchen unbewiesenen Anschuldigungen weitgehend geschützt. So besteht zum Beispiel bei der Heckler-und-Koch-Affäre ebenfalls der Verdacht der Bestechlichkeit, doch hier wird von Vorverurteilungen Abstand genommen. Dass der frühere Präsident des zuständigen Landgerichts Rottweil, in dessen Zuständigkeitsbereich die umgehende Schließung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft fällt, nach seiner Pensionierung inzwischen Geschäftsführer bei Heckler & Koch ist, ist bestimmt Zufall. Wenn die Lobbyindustrie bestimmten Parteien große Spenden zukommen lässt, will man selbstverständlich keinen Einfluss nehmen. Auch wenn ein hoher Beamter des Auswärtigen Amtes Sonderurlaub erhält, um gleichzeitig als VW-Cheflobbyist zu agieren, ist das nur eine kurze Notiz in der FR wert.
Hier wird mit zweierlei Maß gemessen und Politik zu Lasten der einfachen Bürger gemacht.“

Verwandte Themen

6 Kommentare zu “Die Geflüchteten sind nicht unser größtes Problem

  1. Sorry Bronski, ich habe die letzten Monate die eine oder andere Ermahnung geschluckt wenn ich eine Flüchtlingsdiskussion in Richtung Fluchtursachenbekämpfung lenken wollte weil ich das für das eigentlich wichtige Thema halte. Aber gut lieber spät als nie. Zum Thema. Vor einigen Tagen war in der FR ein Gespräch mit dem Vorstandsvorsitzenden von ABB. Wenn man sich ansieht war er da so gesagt hat und sich überlegt wie man so etwas in ein Konzept für Fluchtursachen Bekämpfung einbinden kann ist eigentlich klar was getan werden muss. Gerade in Afrika wäre mit dem Thema Energiewende sehr viel möglich. Das hätte ich übrigens genau so bei der SPD schreiben können.
    (vielleicht kann man dieses Gespräch hier verlinken?)

  2. Genauso alarmistisch, wie der sogenannte Skandal des Bremer BAMF bisher in der Öffentlichkeit behandelt wurde, schallt es jetzt in den Leserbriefen der FR-Leser zurück.
    Erst einmal hat jeder abgelehnte Asylbewerber das Recht, gegen die Entscheidung zu klagen, z.B. auch gegen den Status des subsidiär zu Schützenden, wenn er das „richtige“ Asyl mit mehr Rechten anstrebt (darum geht es in vielen Klagen, und nicht darum, ob der Antragsteller abgeschoben wird).

    Wenn das Verwaltungsgericht im Sinne des Klägers entscheidet, gibt es eine Gegenklage des BAMF. Und wie die letztendlich bindende Entscheidung aussieht, ist in vielen Fällen noch gar nicht klar, weil diese Prozedur von Klage und Gegenklage Jahre dauert.
    Daher rührt wahrscheinlich auch der eklatante Unterschied beim von den einzelnen Lesern angegebenen Prozentsatz von Fehlentscheidungen des BAMF. Da schwankt die vermutete Anzahl zwischen 25 und 60 Prozent.

    Dass Entscheider, die z.T. im Turbogang ausgebildet wurden und zudem zeitweise heillos überlastet waren, Fehler machen, liegt auf der Hand. Auf der Seite der Asylbewerber wird die Möglichkeit der Korrektur durch Klage reichlich genutzt (90% und mehr).
    Wie viele falsche Entscheidungen zugunsten der Antragsteller gefällt wurden, hat vor dem „Skandal“ niemanden interessiert. Das BAMF klagt ja normalerweise nicht gegen seine eigenen Entscheidungen. Erst wenn etwa der Bund der Steuerzahler oder sonst jemand gegen 90% der Asylgewährungen klagen würde, bekäme man nach langen Gerichtsstreitigkeiten ein realistisches Bild über die Arbeit des BAMF. Das ist bisher nicht geschehen, und wenn jetzt eine geringe Anzahl von positiven Entscheidungen überprüft wird, sehe ich darin durchaus keinen Grund zur Aufregung.

  3. @ Bronski

    „Deutschland beschäftigt sich mit sich selbst, während draußen in der Welt möglicherweise bereits die Grundlagen für den nächsten Flüchtlingsstrom gelegt werden. Das ist der Skandal.“

    Nun ist ja der eben noch vermeintlich die Republik erschütternde „Bamf-Skandal“ auch schon wieder Schnee von gestern, seit die CSU-„Strategen“ der „konservativen Revolution“ zum Zweck der Merkeldämmerung schon die nächste Sau durch die Medien treiben.
    Für Bayernwahlen, Orbanisierung der Republik und Zerstörung der EU werden fortlaufend neue Skandale gebraucht. Und dazu findet sich eben kein besseres Mittel als Panikmache via Flüchtlinge.

  4. AUch der „Schnee von gestern“ hinterlässt jede Menge Spuren. Und auf diesen werden die Süppchen gekocht – siehe die maßlose Skandalisierung der sog Flüchtlingskrise durch die CSU. Leider vergiftet dies hierzulande kontinuierlich das Klima. Der Eindruck von null Kontrolle, umgesteuerter Zuwanderung, womöglich korrupten Behörden etc wird laut und unisono durch die Medien gehechelt….. Da ist es kein Wunder, dass das Geschrei von Seehofer/Söder/Dobrindt viel Zustimmung findet in der Bevölkerung. Ich bin sehr froh hier in der FR, den Leserbriefen und im Blog doch sehr andere Sichtweisen zu finden. Leider gewinne ich allmählich den Eindruck, dass diese Stimmen mehr und mehr in die Minderheitenposition geraten. Von den anderen hört man leider allenthalben lautere Töne.

  5. Das stimmt doch gar nicht, dass „der Eindruck von null Kontrolle, umgesteuerter Zuwanderung, womöglich korrupten Behörden etc laut und unisono durch die Medien gehechelt“ wird. Und zwar stimmt das vorn und hinten nicht. Unisono? Als nächstes behaupten Sie: gleichgeschaltet. Was wollen Sie mit solchen Behauptungen erreichen? Einen Lügenpresse-Vorwurf von links? Lesen Sie Süddeutsche, lesen Sie Zeit, und egal ob Tagesthemen oder heute Journal – Seehofer kriegt sein Fett weg, abgesehen von einem wirklich unterirdischen Kommentar in den Tagesthemen am Montag. Auch in der FR. Warum beteiligen Sie sich mit solchen Behauptungen an der allgemeinen Panikmache?

  6. @ Matthias: Ich mache keine Panik, ich benenne sie nur. Ja, es ist schön und beruhigend, dass es Ausnahmen in der Berichterstattung und Bewertung gibt. Ohne diese könnte man glatt verzweifeln. Aber wer kümmert sich um diese Ausnahmen? Kommen Vernunft und Maß sowie realistische Einordnungen bei all dem Theaterdonner noch beim Publikum an oder sind das womöglich nur noch Minderheiten? Und dass Seehofer sein Fett weg bekommt wie Sie sagen bedeutet ja nicht, dass statt der Skandalisierungen beim Flüchtlingsthema andere, derzeit bedeutend wichtigere Themen wie oben genannt im Vordergrund stehen.

Kommentarfunktion geschlossen