75 Jahre nach der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz durch die Rote Armee wird deutlich spürbar, dass es nicht einfacher wird, des Leids der Millionen Opfer zu gedenken und die Erinnerung an die unfassbaren Verbrechen der Nationalsozialisten lebendig zu halten. Aus einem Grund, der wiederum sehr einfach ist: Die Zeitzeugen sterben! Jene Menschen, welche die Vernichtungslager überlebt haben, sind heute mindestens 80 Jahre alt, die meisten deutlich älter. Ihre Gesichter und Berichte verschwinden zwar nicht, denn es hat viele Bemühungen gegeben, die Verbrechen und das Leid der Opfer zu dokumentieren. Aber aus erlebter Geschichte wird einfach nur Geschichte. Eine TV-Dokumentation kann tiefe Eindrücke hinterlassen und wird doch nicht auf dieselbe Weise wirken wie ein Bericht über selbst Erlebtes aus dem Mund eines Zeitzeugen, den man wiederum persönlich erlebt. Wir müssen uns also mehr anstrengen, um dafür zu sorgen, dass so etwas wie die Naziverbrechen sich nicht wiederholen kann.
Das ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Derzeit finden 22 Prozent der Deutschen, dass der Holocaust in der deutschen Erinnerungskultur eine zu große Rolle spiele. Es gibt Überlegungen, Schülerbesuche von Gedenkstätten zur Pflicht zu machen. Zugleich grassiert im Netz eine Welle von Holocaust-Leugnungen. Obwohl die Behauptungen, die da vorgetragen werden, samt und sonders widerlegt wurden, ficht das die Holocaust-Leugner nicht an. Sie verbreiten ihre Fake News und landen damit auf fruchtbarem Boden, wie es scheint. (Hier ein Link zum Faktenfinder der Tagesschau zu diesem Thema.) Zeit, Worte und Täter seien heute nicht dieselben wie damals, sagt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seiner viel beachteten Rede in Yad Vashem anlässlich des Jahrestages und fügte hinzu: „Aber es ist dasselbe Böse.“ Man denke an das Attentat von Halle, an den Mord an dem CDU-Politiker Lübcke, an die NSU-Morde, aber auch an die zahllosen Hakenkreuzschmiereien überall im Land, an die Schändungen von Gedenkstätten und Friedhöfen, an Rücktritte von Kommunalpolitikern, die bedroht werden. Ich erinnere an den Fall des FR-Lesers Manfred Kirsch, der Morddrohungen erhielt, weil er sich in Leserbriefen kritisch mit rechten Strömungen auseinandersetzt (hier geht’s zum Blogtalk mit ihm vom Juli 2019). Ich erinnere auch an einen Fall in Limburg, in dem es die Behörden für wichtiger hielten, gegen einen Lehrer vorzugehen, der Hakenkreuzschmierereien zu entfernen versuchte, als gegen die Hakenkreuze selbst (hier geht’s zum Blogtalk mit Klaus Philipp Mertens vom September 2016). Dies zeigt: Trotz allen Gedenkens wurde die Gefahr lange Zeit vielfach ignoriert. Was ist schon eine Hakenkreuzschmiererei? Vielleicht nur ein unbedachter Dumme-Jungen-Streich? Nein, das Hakenkreuz ist ein verfassungsfeindliches Symbol. Es ist dasselbe Böse, das Auschwitz ermöglicht hat. Wir Deutschen sind in der Pflicht, dieses Gedenken lebendig zu halten und es zu leben. Nicht aus persönlichem Schuldbewusstsein. Keiner von uns, die hier Leserbriefe schreiben oder im FR-Blog kommentieren, hat die Nazi-Zeit persönlich erlebt oder war gar an Nazi-Verbrechen beteiligt. Wir müssen dieses Gedenken lebendig erhalten aus Verantwortung vor der Geschichte – und weil dieses Böse immer noch unter uns ist.
In Deutschland werden Gedenkstätten geschändet
„Auschwitz, das werden die Deutschen uns Juden nie verzeihen können“, das sagte ein Überlebender des industriellen Völkermords der Nazis. Ein irrwitziger, abstruser Satz. Denn eigentlich hätte es ja heißen müssen: Auschwitz, das werden die Juden den Deutschen nie verzeihen können. Dennoch: eine weise, hellseherische Prophezeiung. Und so ist es gekommen. Während der Bundespräsident eine bedenkenswerte Rede in der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem zum Tag der Befreiung des Todeslagers durch die Rote Armee hält, werden in Deutschland unzählige Gedenkstätten des Mordes an Juden, Roma und Sinti, Kriegsgefangenen, Homosexuellen und politischen Häftlingen geschändet, mit Hakenkreuzen beschmiert, mit zynischen Naziparolen entweiht. Schüler, die Buchenwald besuchen, singen das „Blutlied“, „Wer Deutschland liebt, ist Antisemit“, grölt eine Meute beim Pegida-Umzug, in den „Duschräumen“ und Gaskammern finden sich Hygiene-Sprüche an der Wand, Pseudohistoriker erklären die Krematorien für „Fälschungen“, der Höhepunkt ein Video (s. Kulturzeit v.23.1.): Zwei Männer in SA-Uniform breitbeinig, grinsend, überwachen die gespielte Hinrichtung an der Genickschussanlage hinter dem Vermessungsapperat.
Bestürzende Vorkommnisse, sicherlich nur eine Minderheit verrohter Menschenfeinde oder missglückter Sozialisation, aber auf dem sumpfigen Boden derjenigen gewachsen, die – wie Höcke – die Erinnerungskultur „um hundertachtzig Grad drehen“ wollen. Heißt doch: die Opfer zu Tätern erklären. Vorwärts, Kameraden, wir wollen zurück. Ein Volk, ein Reich, ein Führer!, so schallt es aus der Gruft der Nazis von heute, die ein alternatives Morgen versprechen, von der AfD über die Identitären bis hin zum NSU 2. Allerdings: Noch hindert die Erinnerung, das Gedächtnis, die Erzählungen der KZ-Häftlinge daran, bald nur noch die Gedenkstätten. Und die Wachsamkeit der Kinder und Kindeskinder und all derer, die für das Leben der Nachgeborenen kämpfen.
„Nach uns wird kommen: nichts Nennenswertes“, so Brecht. Wohl eher in dem Sinn: dass man nicht in stundenlanger Lesung die Namen derer nennen muss, die Opfer der Nazitäter wurden. Nicht stundenlang, sondern jahrelang.
Jörg Sternberg, Hanau
Die Profiteure des Verbrechens dürfen nicht ungenannt bleiben
„Die am Lagerkomplex Auschwitz und der Ausbeutung von (jüdischen) Zwangsarbeitern verdienenden deutschen Firmen dürfen nicht ungenannt bleiben. Im FR-Artikel wird auf die Buna-Werke hingewiesen, die zum Frankfurter IG-Farben-Großkonzern gehörten. Das zur „Vergasung“ genutzte Zyklon-B wurde von der Degesch – einer Tochtergesellschaft der Degussa geliefert, die ebenfalls zum IG-Farben-Konzern zu zählen war. Die Auschwitz-Krematorien kamen von der Firma Topf & Söhne; sie dienten nicht der würdevollen Einäscherung, sondern waren „Entsorgungsstrukturen“ wie man sie zur Beseitigung von Tierkadavern nutzt. – Zahlreiche am Bau des Lagerkomplexes Auschwitz beteiligte und gut verdienende deutsche Firman sind ebenfalls zu erwähnen – z.B.: Lurgi und Dykerhoff-Zement.
Zur Wahrheit gehört auch, dass das Martyrium der jüdischen Häftlinge durch den opfervollen Vormarsch der Roten Armee beendet wurde. Die Sowjetunion musste 27 Millionen tote Menschen im Zweiten Weltkrieg beklagen. Bei der großen Gedenkveranstaltung saß Putin nicht umsonst neben dem israelischen Präsidenten, was in den Medien weitestgehend unerwähnt blieb.
Die frühe Gedenkstätten- und Erinnerungsarbeit in Westdeutschland wurde von der sozialistischen Jugendorganisation „Die Falken“ zu Ende der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts geleistet. Die Gedenkstättenfahrten der „Falken“ nach Auschwitz waren unter den Bedingungen des Kalten Krieges ein Novum und Politikum. Ganz wichtig waren auch die von „Aktion Sühnezeichen“ im KZ-Auschwitz organisierten und ermöglichten Arbeitseinsätze von jungen Menschen, die mit einer intensiven Bildungs- und Recherchearbeit verbunden waren. Ich erinnere zwei Fahrten vor und nach der Verhängung des Kriegsrechts in Polen zu Beginn der achtziger Jahre.
Eine „Erziehung nach Auschwitz“ (Adorno) wird auch diese Punkte umfassen müssen. Auch wenn „Auschwitz“ in erster Linie Vernichtungslager war, dürfen die Profiteure des mörderisch und planmäßig organisierten Unrechts nicht unerwähnt bleiben!“
Thomas Ewald-Wehner, Nidderau
Steinmeier diskreditiert die deutsche Sprache
Um es ganz deutlich vorweg zu sagen: Ich habe inhaltlich nicht das Geringste an der Rede unseres Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier bei seiner äußerst schwierigen Rede in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Frage zu stellen, das steht mir auch gar nicht zu. Aber dass er, als deutsches Staatsoberhaupt, diese Rede auf Englisch hält, da Deutsch – und so haben es die Fernsehmedien bei uns verbreitet – ja Tätersprache sei, ist schon zu beanstanden. Wenn Deutsch zu verschmutzt ist und er deshalb auf Englisch ausweicht, dann ist diese Sprache offenbar makellos. Was natürlich Unsinn ist, denn Sprache, keine Sprache, kann man kriminalisieren. Aber man kann sie beschädigen. Sprache ist das größte Kulturgut eines jeden Landes. Unsere Sprache ist die Grundlage für unser demokratisches Gemeinwesen. Sie ist der Garant für Teilhabe und sollte schon deshalb nicht zur Sprache der NS-Verbrecher verteufelt werden. Der einzige Holocaust-Überlebende im israelischen Parlament, der Knesset, Oppositionsführer Tommy Lapid sprach anläßlich des Israelbesuchs des damaligen Bundespräsidenten Horst Köhler. Er sagte am 2. Februar 2005, bevor der Bundespräsident dort seine beeindruckende Rede auf Deutsch hielt: „Deutsch ist nicht nur die Sprache von Hitler, Goebbels und Eichmann, sondern auch die von Goethe, Schiller und Heine. Die Sprache ist nicht zu beschuldigen, nur diejenigen, die sie mißbrauchen.“ In jeder Sprache kann man wunderbare Liebesgedichte schreiben, und in jeder kann man mörderische Befehle geben. Die Sprache als solche kann nichts dafür, wenn sich hasserfüllte und wahnsinnige Schreier ihrer bedienen. Aber durch die bewusste Nichtbeachtung der eigenen Sprache macht Bundespräsidenten Steinmeier vor aller Welt deutlich, dass das heutige Deutschland sehr wohl was Wesentliches mit dem Deutschland von damals gemein hat, nämlich die deutsche Sprache. Denn wenn er pauschal schon unsere Sprache als Tätersprache indirekt in Mithaftung nimmt, drückt er damit allen Angehörigen dieser Sprachgemeinschaft für alle Zeiten den gleichen Stempel auf. Für die abgrundtiefen Verbrechen während der NS ist niemand, der während des 2. Weltkrieges oder danach geboren wurde, persönlich verantwortlich. Das bedeutet nicht, dass Deutschland, als Nachfolgestaat des barbarischen Hitlerregimes, nicht weiter die politische Verantwortung für den industriellen Massenmord an unschuldigen Menschen trägt. Aber weiß unser Bundespräsident nicht, wie sehr damals die aus Deutschland geflüchteten und vertrieben Emigranten, besonders die Schriftsteller unter ihnen, darunter litten, nicht mehr in ihrer geliebten Muttersprache veröffentlichen zu können? Und als ehemaligem Außenminister, dem weltweit die Goethe-Institute unterstehen, müsste ihm klar sein, dass er Deutsch nicht nur im Inland als Tätersprache diskreditiert und somit zu eigenen Selbstverachtung beiträgt, sondern auch im Ausland. Wer möchte da noch die Sprache Goethes, Schillers und Lessings lernen, wenn sie doch eher die der Hitlers, Goebbels und Himmlers ist?
Dietmar Kinder, Elsdorf-Heppendorf
Wichtige und bleibende Eindrücke
Den Artikel über die Stadt Auschwitz/Oswiecim finde ich verdienstvoll. Da dieser Ort zu den Niederungen der deutschen Geschichte gehört, war ich schon als Schüler entschlossen, ihn selbst anzusehen, was mir 1994 gelang. Ein Geschichtsarbeitskreis der IG Metall hatte den Besuch vorbereitet. Der Besuch lief rein technisch so ab, wie im Artikel beschrieben: Hotel in Krakau und Tagesausflug mit dem Bus nach Oswiecim.
Um die Perfidie des damaligen deutschen Regimes zu erfassen, muss man die Anlage gesehen haben. Ich möchte einige für mich wichtige Eindrücke schildern, die der Artikel nicht bietet.
Die Stadt Oswiecim hat das Pech gehabt, dass es dort eine Reiterkaserne gab, die sich leicht zum Lager Auschwitz I umbauen und erweitern ließ, das wurde der Ort „Arbeit macht frei“. Schon hier quälte man Häftlinge damit, dass man sie zwang, den Putz an den bereits vorhandenen Kasernen abzuschlagen. Die „Wippe“ und andere Folterinstrumente, die Erschießungsmauer und eine Gaskammer sind hier zu finden.
Das Lager Auschwitz-Birkenau (II) mit dem Gleisanschluss wurde mit den Steinen des Dörfchens Brzezinka (Birkenau) gebaut. Weitere Gebäude waren ursprünglich Holzbaracken, die der Kavallerie als Pferdeställe dienten. Mehrere Baracken sind noch vorhanden, von den anderen Baracken stehen noch die gemauerten Kamine in der Gegend herum. Schaut man sich die Zaunpfähle im Innern des Lagerbereichs an, so entdeckt man verschiedene Wappen darauf, die den verschiedenen vertriebenen Familien des Dörfchens Brzezinka zuzuordnen sind. Die Krematorien und Gaskammern im Lager Birkenau wurden im letzten Augenblick von den Wächtern gesprengt, um Spuren zu verwischen. Mich beeindruckte, dass die Umgebung noch genauso aussah, wie sie ein Foto von 1945 nach der Befreiung darstellte. Im hinteren Teil des Lagers gibt es einen kleinen See, in ihn wurde die Asche der verbrannten Menschen geworfen… ein Ort, der mich frieren ließ! Weitere perfide Einzelheiten möchte ich nicht schildern.
Aber daran erinnern möchte ich, dass es noch ein drittes Lager gab, Auschwitz- Monowitz (III), dem Chemiewerk der IG-Farben gegenüber gelegen. Weil die zur Zwangsarbeit ausgewählten Lagerinsassen nicht mehr fähig waren, täglich den kilometer-weiten Marsch in das Werk zu machen, wurde dieses Barackenlager errichtet. Nur noch Torpfosten sind zu finden, 1994 waren an den Scheunen in der Nähe noch das eine oder andere Barackenteil zu erkennen.
Übrigens, die Baracken von Birkenau wurden nach dem Krieg in Warschau gebraucht, damit die Menschen dort, denen deutsche Soldaten die Häuser weggesprengt hatten, eine Unterkunft bekamen. Noch ein Detail zum Schluss. Die ersten Mordopfer wurden im hinteren Teil vom Lager Birkenau verscharrt, doch weil das Gebiet sumpfig war, verwesten die Leichen nicht. Gefangene mussten sie wieder ausgraben, damit sie dann in den Spezialöfen der Firma Topf aus Erfurt verbrannt werden konnten.
Der 2. Weltkrieg wurde einzig von Hitler und seiner NSDAP geführt,mit dem Ziel die Ausrottung der jüdischen Rasse und Kultur – auch ausserhalb des deutschen Reichs – hartnäckig zu verfolgen.
Es war ein Weltkrieg, der einzig den Antisemitismus, den Holocaust, in weitere andere Länder zu tragen versuchte.
Das geschah mit der nationalen und völkischen Verblendung. wie sie auch in der Gegenwart zu sehen ist.. Stolz und Kränkungen der Deutschen, zu dieser Zeit, wurden missbraucht um das eigentliche Ziel des 2. Weltkrieges, die Ausrottung der jüdischen Kultur und Bürger,dem NS Parteiprogramm, umzusetzen.
Ich will es einfach einmal darauf reduzieren, der Antisemitismus der Nazis – Hitlers – ist der Kriegsauslöser zum einen gewesen, dabei auch das Kriegsziel Hitlers.
Am Ende sollte niemand mehr mit jüdischen Glauben überleben, das wäre der Endsieg gewesen..
Der 27. Januar, die Auschwitz Befreiung, sollte daher genauso zum Feiertag werden, wie der 8. Mai.
jetzt der „neue Versuch“
Auf der Potsdamer Konferenz der Allierten wurde unter anderm beschlossen, das die „Wurzeln des Nazismus mit Stumpf und Stiehl ausgerottet werden müssen; Ziel sei ein demokratisches,antifaschistisches und friedliches Deutschland.“
Dieses Motto war auch das Motto der nach dem Krieg gegründeten „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes.“ In dieser Organisation hatten sich viele KZ-Überlebende zusammen geschlossen.
Doch nach wenigen Jahren waren viele NS-Täter rehabilitiert, waren wieder als Richter, Staatsanwälte oder in leitenden Positionen in der Polizei oder der neugegründeten Bundeswehr tätig.
Sogar der Massenmörder in Robe-Freisler – wäre wahrscheinlich wieder in den Staatsdienst gekommen. Nur eine allierte Bombe verhinderte das.
Exemplarisch sei der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hubert Schrübbers, genannt. Mitglied des SA-Sturmes Münster, zwischen 1938 und 1941 Staatsanwalt in Bochum, später Oberstaatsanwalt in Hamm, in dieser Zeit auch Mitglied der SS. Er erhob unter anderem Anklage gegen eine Jüdin, die 1943 in Auschwitz ermordet wurde.
Dieser lupenreine Demokrat war dann zwischen 1955 und 1972 Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz.
In seiner Tradition steht das Amt bis heute:
Der NSU-Unterstützer und Kindervergewaltiger Tino Brandt wurde mit 200.000 DM unterstützt. Dieses Geld floss direkt an braune Terrorbanden.
Nach dem Mord an Halit Yozgat in Kassel wurde bekannt, dass der Verfassungsschützer Temme – „Klein Adolf“ – am Tatort war. Seine polizeiliche Vernehmung wurde auf Betreiben des Verfassungsschutzes verhindert.
In dieser Woche wurde bekannt, dass Erkenntnisse dieses Amtes zum Mord an W. Lübcke nicht an die Bundesanwaltschaft weitergeleitet wurden.
Die Beispiele ließen sich noch lange weiterführen.
Und dieser „Verfassungsschutz“ diffamiert die antifaschistischen Organisation VVN-BDA als „linksextremistisch“; mit der Konsequenz, dass ihr die „Gemeinnützigkeit“ entzogen wurde. Und das am 75. Jahrestag der Befreiung der Opfer des Faschismus von Auschwitz durch die Rote Armee.
Die Kritik von Ulrich Krökel am Auschwitz-Gedenken der Politik führt noch nicht weit genug. Denn die eigentliche Achillesferse besteht nicht nur in der zunehmenden Instrumentalisierung von Geschichte im Ausland, sondern ebenfalls darin, dass gerade in einem Land wie Deutschland mittlerweile sehr deutlich die Erinnerungskultur bröckelt. Als Beispiel sei nur Hamburg genannt, wo am Ort des früheren Gestapo-Hauptquartiers unter dem Namen „Stadthöfe“, wo immerhin die Deportation von Juden aus ganz Norddeutschland organisiert wurde, anstatt einer würdigen Gedenkstätte lieber ein schnöder Shoppingtempel entstehen soll oder die Überreste des Tempels des liberalen Judentums in der Neustadt lieber dem schleichenden Verfall preisgegeben werden, anstatt der betroffenen Gemeinde wieder eine echte Begegnungsstätte zu geben. Deshalb bleiben gerade hier leider am Ende erhebliche Zweifel, wenn etwa Frank-Walter Steinmeier betont, dass historische Verantwortung nie vergeht, da sich ein gelebtes Geschichtsbewusstsein vor allem in Taten widerspiegelt!
Die Ermordnung der Juden und anderer „minderwertiger“ Menschen ist die eine furchtbare Seite. Die andere Seite steht nicht so stark im öffentlichen Interesse und das sind die Menschen, die in Ämtern und Unternehmen dafür in penibelster Art gesorgt haben, dass diese Massenermordungen überhaupt funktionieren konnten. Wer die Aktenvermerke, die amtlichen „Gestellungsmitteilungen“ an Juden zwecks ihrer Vernichtung, die Lagerberichte und Statistiken oder die Urteilbegründungen in sogenannten Blutschandeurteilen oder in Mietkündigungen einmal im Wortlaut gelesen hat, der wird – so wie ich – erschüttert sein. Man sollte die Protokolle der Finanzbehörden über die Bestandsaufnahme des Haushaltsraubgutes von umgebrachten Juden lesen. Den Wortlaut des Protokolls der Wannseekonferenz, das jeder im Internet lesen kann,ist in seiner „Sachlichkeit“ nicht zu übertreffen. Es lohnt sich, dieses Protokoll zu lesen, denn dazu gehören ja auch die Namen der hochrangigen Teilnehmer, die alle säuberlich aufgeführt sind und die Protokollierung der Imbisspause.Einfach pervers. Und, wenn ich dann die Gaulandr-Äußerung über den „Vogelschiss der
Weltgeschichte“ höre, und in der AfD kommt es zu keinem Aufschrei, dann weiß ich, welch Geistes Kind diese Menschen sind.Die Historiker müssen nach meiner Auffassung auch auf diese Akten und Unterlagen öffentlich stärker eingehen.
Meine Mutter ist im Februar 1945 mit vielen anderen tausend Menschen aus Schlesien geflohen. Die Stadt Breslau verlor danach ihre deutschsprachige Bevölkerungsmehrheit. Angesiedelt wurden dort in der Folgezeit Menschen aus dem ehemaligen Lemberg, die von dort wiederum zwangsweise und gewaltsam vertreiben worden waren.
Wenn die Präsidenten von Polen und Russland nun, wie zu lesen war, streiten, welches von beiden Ländern durch den Krieg und die deutsche Besatzung damals die höhere Opferzahl zu beklagen hatte, zeigt das einen eklatant falschen Blick auf das kollektive Trauma, das alle von Krieg, Verfolgung, Vernichtung, Flucht und Vertreibung betroffenen Menschen verbindet.
Kein Mensch kann eine echte Vorstellung von einer Million gewinnen. Die Vorstellung dieser Anzahl wird auch durch die Bildung von Analogien nicht wirklich konkreter. Eine Vorstellung von Schicksal und Leid entwickelt jeder Mensch nur durch die direkte und unverstellte Konfrontation mit der Geschichte eines einzelnen Menschen. Erst so werden die Dimensionen der Schmerzen, der Verluste, der anhaltenden Verwundungen erkennbar und nachfühlbar. Durch die aufrichtige Benennung des einen einzigen einzelnen nachvollzogenen menschlichen Schicksals wird die Bedeutung einer nationalen Überhöhung von absoluten Opferzahlen gleichzeitig immer kleiner. Die ehrlich und vollständig erzählte und offen angehörte Geschichte ist die Voraussetzung zur Heilung von Verwundungen und das Gegengift zu trennenden Ressentiments zwischen Nationen.
Man kann sich fragen, ob es ein Zufall ist, dass diejenigen Länder autokratisch regiert werden, in denen bestimmte Geschichten von Menschen offiziell verschwiegen werden müssen.
In der Türkei die Geschichte der Armenier, im Gebiet der ehemaligen Sowjetunion die der Opfer des Stalinismus und in Polen vielleicht das persönliche Trauma des Wladislaw Kaczinski, der seinen Bruder verlor.
Dort überall werden Zeichen erkennbar für einen erhöhten Bedarf an der Sammlung aufrichtig erzählter Geschichten und dem Aufdecken verschwiegener Schicksale. Dieses zu tun, würde, wie ich glaube, in diesen Völkern Kräfte zur Gestaltung wichtiger Zukunftsfragen freisetzen und die Möglichkeiten für die Fortentwicklung demokratischer Strukturen verbessern.
Wenn auch in den letzten Tagen lobende Worte für die Entwicklung der deutschen Gesellschaft seit 1945 zu lesen waren, es bleibt zu erinnern, dass heute auch bei uns viele Menschen leben, deren Geschichten aus der letzten Diktatur auf deutschem Boden bisher weder erzählt noch gehört wurden.
In Rede des Bundespräsidenten in Israel zum Holocaust-Gedenken heißt es u.a. „Ich wünschte, sagen zu können: Wir Deutschen haben für immer aus der Geschichte gelernt. Aber das kann ich nicht sagen, … wenn unter dem Deckmantel angeblicher Kritik an israelischer Politik kruder Antisemitismus hervorbricht.“
Das mag es vereinzelt auch geben. Aber so pauschal ist es ein empörender Passus. Wie kommt Steinmeier dazu, die Kritik an der israelischen Politik (nicht an Israel!) als antisemitisch zu verunglimpfen? Sie ist so berechtigt wie notwendig und zielt darauf, dass die israelische Regierung sich endlich an die Menschenrechte, an das Völkerrecht und an UN-Resulutionen hält. Und das ist mitnichten Antisemitismus. Das ist auch der Tenor eines lesenswerten Beitrags im aktuellen Heft der „Blätter für deutsche und internationale Politik“.