Europa schottet sich ab: Attacke auf das Asylrecht

Europa hat Angst vor Flüchtlingen. Und vor noch mehr Flüchtlingen! Und noch mehr! Ist es also nur eine Art von Selbstschutz, dass in der EU nun über eine Verschlechterung des Asylrechts nachgedacht wird? Damit soll geflüchteten Menschen, so jedenfalls der Verdacht, der Anreiz genommen werden, sich aus den notleidenden Regionen dieses Planeten Richtung Europa auf den Weg zu machen.

Kuscht die EU vor den Rechtsextremen, den Rechtspopulisten, die überall in den Mitgliedsländern an Einfluss zu gewinnen scheinen? Die Wahl in Schweden – da werden möglicherweise die „Schwedendemokraten“ eine entscheidende Rolle für die Regierungsbildung spielen. Die Wahl in Italien – Neofaschistinnen an die Macht gespült; mal sehen, wohin das führt. Dann natürlich noch die bekannten Problemfälle Ungarn und Polen. Ungarn wurde kürzlich gar vom EU-Parlament der Status einer Demokratie abgesprochen. Ungarn ist jetzt ein „hybrides System der Wahlautokratie“. So weit sind wir schon. Polen ist auf einem ähnlichen Weg, dort versucht der mächtige Schattenmann Jarosław Kaczyński, der kein relevantes Regierungsamt innehat, die Gewaltenteilung auszuhebeln. Und dann wäre da noch Marine Le Pen in Frankreich – gerade in der Präsidentschaftswahl gescheitert und dennoch wohl noch nicht am Ende.

FylakioPolen und Ungarn haben sich vehement dagegen gesperrt, geflüchtete Menschen aufzunehmen. In Italien sind die Geflüchteten naturellement ein Riesenthema, weil über das Mittelmeer viele Menschen dorthin wollen, ebenso wie nach Griechenland, das aber, erstaunlich, trotzdem nicht durch einen Rechtsruck von sich reden macht. Nun, das Land wird ja bereits ziemlich konservativ regiert und handhabt das Flüchtlingsthema keineswegs im Sinne der westlichen Werte – Stichwort Pushbacks. Und Italien, um noch mal darauf zurückzukommen, hat sich auch in der Vergangenheit, noch unter einer Regierung der Mitte, keineswegs mit Ruhm bekleckert, was Lebensrettung aus Seenot im Mittelmeer betraf. Dazu kann ich nur wieder und wieder allen den Blogtalk ans Herz legen, den ich seinerzeit mit Ralf Michael Lübbers gemacht habe, einem Arzt aus Marienhafe, der an Bord der „Seawatch 3“ gearbeitet hat. Hier der Link zum Blogtalk, hier der Link zur Doppelseite im FR-Magazin, die ich daraus extrahiert habe.

Knickt die EU nun vor solchen menschenfeindlichen Tendenzen ein? Eigentlich ist die EU doch ein liberaler Verein. Na ja, oft genug auch ein neoliberaler, was nicht unbedingt was mit Liberalismus zu tun hat, es sei denn, man verenge den Liberalimus-Begriff aus rein Wirtschaftliche. Der aktuelle Impuls aus Brüssel will dafür sorgen, dass die EU gegen „hybride Attacken“ mit gelenkten Fluchtbewegungen gewappnet sei. Die Kritik: Damit werde dem europäischen Asylrecht der letzte Schlag versetzt.

fr-debatteDer Damm der Humanität bricht

Als Sozialdemokrat und Amnesty-International-Mitglied stimme ich sowohl der EU-Abgeordneten Birgit Sippel als auch dem Vorstandsmitglied von Amnesty International Deutschland Wolfgang Grenz voll und ganz zu, wenn sie die Pläne der EU-Kommission für einen Verordnungsvorschlag gegen die weitere Abschottung Europas gegen Geflüchtete wegen befürchteter „hybrider“ Angriffe konsequent ablehnen. Es ist in der Tat gefährlich und überflüssig, wenn sich die Sozialdemokratie ähnlich wie bei der faktischen Abschaffung des Asylrechts in der Bundesrepublik im Jahre 1993 an den unmenschlichen Maßnahmen beteiligt, die bereits damals umstritten waren und die SPD einschließlich meiner Person um viele Mitglieder gebracht hat.
Ich werde diesmal nicht ein zweites Mal die SPD verlassen, in die ich inzwischen wieder eingetreten war, aber ich hoffe inständig, dass der brechende Damm der Humanität in Europa nicht noch weitere Kreise zieht und wieder Menschenleben und viele Leidende fordern wird. Gerade die Bundesrepublik ist gefordert, wie Wolfgang Grenz richtig meint, eine stärkere deutsche Intervention für das Menschenrecht auf Asyl zu praktizieren. Das Asylrecht könnte bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt werden und muss daher gerade jetzt von der Ampel-Regierung geschützt werden. Es geht schlicht und ergreifend darum, dass fliehende, kranke und sterbende Menschen gerettet werden müssen und den Menschen eine Perspektive gegeben wird.

Manfred Kirsch, Neuwied

fr-debatteVom Asylrecht bleibt nichts mehr übrig

Dass sich Europa weiter abschotten will, halte ich für eine zumindest fragwürdige Aussage. Vielmehr handelt es sich um ein infames und beschämendes Ansinnen innerhalb der EU, das Asylrecht so auszuhöhlen, dass faktisch nichts mehr davon übrig bleibt. Dem illegalen Abschieben und der zum Teil verbrecherischen Politik würde weiter Vorschub geleistet. Im August wurden in Griechenland täglich 100 Geflüchtete „einfach aus dem Meer ausgesetzt.“ berichtet Erik Marquart in der FR.
Solchen Praktiken darf auf keinen Fall ein formalrechtliches Hintertürchen geöffnet werden. Mit dieser EU kann ich mich in keiner Weise identifizieren, obwohl ich von der europäischen Idee immer überzeugt war. Mit dieser rigiden, unmenschlichen Abschiebepolitik trägt die EU selbst zu einer Spaltung der Bürgerinnen und Bürger bei. Das immer so gern propagierte ,Wir‘ entpuppt sich als nichts weiter als eine perfide Doppelmoral. Dazu trägt die EU mit ihrer neoliberalen und nachkolonialen Politik, zum Beispiel in Afrika, indem sie Konzerne unterstützt, welche kleinen Unternehmen und Familienbetrieben die Existenzgrundlage nimmt, selbst bei, dass Menschen flüchten müssen. Auf diese Weise stellt die EU ihr moralisches Ansinnen in Frage, Andere wegen ihrer unmenschlichen Politik zu kritisieren. Dass Demokratie und Kapitalismus im Gespann laufen, was ich immer mehr bezweifle, gibt keiner Organisation das Recht, dies derart brutal aufs Spiel zu setzen.

Robert Maxeiner, Frankfurt

fr-debatteWas ist das für eine perverse Logik?

Verstehe einer diesen Irsinn: Europa befürchtet Instrumentalisierung von Flüchtlingen durch Drittstaaten. Bestraft werden: die Opfer. Welch perverse Logik ist das denn?

Elisabeth Marx, Frankfurt

fr-debatteKein Mensch ist „illegal“, Frau Faeser!

Heute, 26.9.22, die Nachricht, Bundesinnenministerin Nancy Faeser zeige sich besorgt über die steigende Zahl von Flüchtlingen auf der Balkanroute. Sie bezeichnet deren Einreise als „illegal“. Andere sogar als „illegale“ Flüchtlinge. Kein Mensch ist „illegal“, ob nun auf der Balkanroute oder über die Meere. Niemand verlässt seine Heimat, seine Wohnung, seine Familie, weil es in der ‚sozialen Hängematte‘ der reicheren europäischen Länder so gemütlich und traulich ist. Es ist dies immer die Flucht vor Krieg, vor Hunger und Elend, vor der Existenzzerstörung durch Klimawandel und Arbeitslosigkeit. Zum Großteil durch die Zielländer selbst, ihre koloniale und postkoloniale Politik verursacht, durch gigantische Ungleichheit der Aneignung der globalen Ressourcen und Güter. So dass einzelne Personen wie z.B. Musk nicht nur reicher sind als die Mehrzahl von sog. Entwicklungsländern, sondern sogar Kriege mit ihren finanziellen und technischen Mitteln auslösen, führen oder weitgehend in sie eingreifen können. So geschehen beispielsweise durch Musk im Ukrainekrieg. Niemand, so steht es in der Menschenrechtskonvention der UN, darf gezwungen werden, rekrutiert und zum Waffendienst genötigt zu werden, das gilt für die Teilmobilisierung in Russland und für den Zwang zur Kriegsteilnahme für Männer der Ukraine im Wehrdienstalter. Frage auch, wer darf den Schutz des inzwischen völlig ausgehöhlten Asylrechts beanspruchen, wenn nun schon die Innenministerin ihre Stirn in Sorgenfalten legt ob der hohen Anzahl ukrainischer Geflüchteter? Antwort: Vor allem diejenigen, deren Arbeitskraft verwertbar ist. Und dauerhaftes Bleiberecht ohnehin nur dann. Obwohl es Deutschland wegen des Bevölkerungsschwunds an Arbeitskräften fehlt. Zur Abwehr von Flüchtenden aber stehen nicht nur die Regeln von Dublin zur Verfügung, sondern auch -wie wiederum Nancy Faeser schreibt- die Grenzkontrollen in Österreich und Tschechien. Ganz abgesehen von den Auffangländern Türkei, Griechenland, Italien wird nach der Wahl der Faschistin Meloni hinzukommen und Dänemark exportiert seine Asylbewerber und Flüchtlinge zurück nach Afrika, nach Ruanda. Zu unguter Letzt: Es gibt kein Konzept zur Beendigung des Kriegs in der Ukraine, alle Sanktionen haben versagt, dennoch eskaliert man dies untaugliche Mittel, kein Verhandlungsangebot, kein Waffenstillstand in Sicht, Warten bis Russlands Wirtschaft ruiniert ist, wie Baerbock vorgeschlagen, und unsere Wirtschaft und Haushalte infolge des zigfach höheren Gaseinkaufpreises -Scholz pflanzt derweil Bäumchen ein beim saudi-arabischen Mordpotentaten. Ein Hoffnungsschimmer am düsteren Horizont, in 20 Jahren wird er Schatten spenden.

Jörg Sternberg, Hanau

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2 Kommentare zu “Europa schottet sich ab: Attacke auf das Asylrecht

  1. Dies ist ein Teil des Klima- und Umweltproblems. Zunehmend werden ganze Landstriche im tropischen Bereich durch zu hohe Temperaturen und an den Küsten durch steigende Ozeane unbewohnbar werden. Die Anzahl der Flüchtenden wird zunehmen. Ein Folge, in Europa und auch im Rest der (westlichen) Welt. Was bleibt den Menschen anderes übrig ?
    Die Annahme, die Menschheit werde diese Problematik sozial verträglich lösen ist genauso vermessen wie die Lösung des Klimaproblems. Die Entwicklung hier in Europa zeigt, dass die Rechtsdrift so verbreitet ist, dass das ganze demokratische Gefüge ins Rutschen gerät, denn wenn sich die Rechtsgewalt erst einmal eingenistet hat, wird man sie nicht mehr los. Jedenfalls nicht ohne Gewalt. Gewalt wird auch ganz allgemein vermutlich die Zukunft sein, wenn das jetzige Verhalten weltweit dem Klima und der Umwelt gegenüber ein Maßstab ist.Kämpfe um Ressourcen und Wasser werden die Zukunft sein. Der Kapitalismus wird den Hunger in der Welt weiter befördern durch Preistreiberei bei Weizen, Zucker, Öl. Ja vermutlich wird selbst Wasser verkapitalisiert werden. Viele dieser Entwicklungen gibt es schon, wo sollte Rettung herkommen ? America first und alles andere auch „first“ kann die Lösung nicht sein.

  2. zu @ Jürgen H.Winter
    In dem Fall haben sie sicher recht. Im Grunde hat das Herr Schellnhuber ja auch gesagt. Das Asylrecht wird ziemlich sicher zu den ersten Opfern des Klimawandels gehören.

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