Das Märchen von Merkels Sozialdemokratisierung

Die CDU steckt in einer tiefen Krise, aber niemand scheint es so recht bemerken zu wollen. Sie ist ja auch an der Macht, in der Regierung, sie stellt die Kanzlerin, sie hat das Sagen; muss man sich da über erodierende Ideologien Gedanken machen? Besser wär’s. Die SPD ist ihr mit der Analyse ihrer Krise, die auch die Krise der Volksparteien generell ist, schon ein gutes Stück voraus. Doch während die SPD sich Richtung Zukunft zu orientieren scheint, wendet die Suche nach identitätsstiftenden Motiven bei der CDU zurück. Karl Doemens hat mitgezählt: Exakt 68-mal verwendeten die Redner von Union und FDP allein in den ersten drei Tagen der Haushaltsdebatte die Formel „christlich-liberal“, um ihre Koalition zu beschreiben. So viel „christlich“ war lange nicht mehr. Balsam auf die Seelen konservativer Wähler, die von merkelscher Papstkritik oder dem Gezerre um Erika Steinbach mit ihrem kantigen konservativen Profil desorientiert waren.

Christlich zu sein, scheint jedoch für die Koalitonäre nicht viel mit Wohltätigkeit zu tun zu haben. Oder wie passt dazu, wenn ein Roland Koch eine Arbeitspflicht für Hartz-IV-Empfänger fordert? In der FAZ wettert der hessische Ministerpräsident, der zu Hause nun wirklich genug zu tun hätte, gegen die „Perversion des Sozialstaatsgedankens“ und fordert, Langzeitarbeitslose zu gemeinnütziger Arbeit heranzuziehen. Natürlich bezieht er dafür Prügel, auch aus der eigenen Partei. Das hat er gewiss einkalkuliert. Denn ihm ging es ebenso gewiss nicht darum, einen Vorschlag zur Sache zu machen, sondern er wollte das konservative Gemüt bedienen, so wie Volker Kauder, der in der Haushaltsdebatte ohne inhaltlichen Zusammenhang herausstellte, dass die christliche Glaubensgruppe heutzutage die bedrohteste der Welt ist. Eben diese Auslassungen sind der überzeugendste Indikator für die Krise der CDU.

Dr. Horst Homburg aus Gieleroth meint:

„Ich bin überrascht, es mangelt an Stellen und die politisch Verantwortlichen haben diese Tatsache endlich zur Kenntnis genommen. Aber warum dann Hartz IV, einen menschenverachtenden und wohl grundgesetzwidrigen Sanktionenbaukasten, weiterführen, wenn die von Koch Gescholtenen gar nicht arbeitsscheu sind? Wäre es nicht an der Zeit, z.B. zur früheren Regelung für Langzeitarbeitslose zurückzukehren?
Wir erinnern uns. Als zu Anfang der vorigen Legislaturperiode die öffentliche Diskussion um Regelsatzerhöhungen bei Hartz IV in ein Pro umzukippen drohte, meldete eine Gruppe „Wissenschaftler“ der Uni Leipzig, dass auch der halbe Regelsatz ausreiche. Und wie reagierte Frau Merkel: Mit ihr werde es keine Absenkung des Regelsatzes geben. Kochs Vorstoß gibt der neoliberalen Kanzlerin nach einer Phase unerträglicher, aber koalitionsvertragskonformer Klientelpolitik die Gelegenheit, sich dem verstörten Volk als die politischen Vertreter einer ausgewogenen Sozialpolitik darzustellen, ohne ein Jota von der skandalösen und unsozialen Praxis abweichen zu wollen. Also das gleiche Schema.
Koch tut das was er kann. Und das ist nicht dumm. Er ruft mit Getöse eine Scheindiskussion ins Leben, um das Märchen von der Sozialdemokratisierung der Kanzlerin und großer Teile der CDU/CSU in den Köpfen ehemals sozialdemokratischer Wähler zu verfestigen. Was bei der Bundestagswahl verfing, sollte auch in NRW funktionieren. Dies umso mehr, als der SPD-Vorsitzende erklärt hat, dass die SPD Rüttgers nicht ablösen wolle (Ausschluss einer Koalition mit der Linken).
Um bisher nicht erreichte Wählergruppen für die CDU/CSU zu gewinnen, muss Merkel diesen unterschiedliche, ja sogar sich widersprechende Angebote machen. Die als Ergebnis der letzten Klausurtagung perfekt inszenierte politische Meinungsvielfalt in den Koalitionsparteien soll das menschenfeindliche Einerlei ihrer neoliberalen Agenden verbergen, um so auch die Wahlberechtigten zu erreichen, die sich teils angewidert von den sog. Reformparteien von der politischen Mitwirkung zurückgezogen haben.“

Ein Leser, der mit gutem Grund anonym bleiben möchte, mir aber bekannt ist, schreibt mir:

„Roland Koch fordert erneut eine Arbeitspflicht für Hartz-IV Empfänger. Eine derartige Forderung gab es in der Vergangenheit bereits von mehreren Politikern aus unterschiedlichen Parteien. Durch eine Arbeitspflicht für Langzeitarbeitslose soll Schwarzarbeit verhindert werden und verhindert werden, dass der Leistungsbezug als bequeme Alternative zum Erwerbsleben wahrgenommen wird. Aus dem selbigen Grund werden vielerorts auch Langzeitarbeitslose von der ARGE von einer Maßnahme in die Nächste mit dem Hintergrund geschickt, Schwarzarbeit zu verhindern.
Da die zuständigen Aufgabenträger vielen Langzeitarbeitslosen keinen regulären Arbeitsplatz vermitteln können, wird ihnen häufig ein staatlich geförderter Arbeitsplatz im Zweiten Arbeitsmarkt vermittelt. Als die Ein-Euro-Jobs eingeführt wurden war es beabsichtigt, Langzeitarbeitslosen Zuverdienstmöglichkeiten in Aufgaben zu ermöglichen, die nicht in Konkurrenz zu Tätigkeiten im Ersten Arbeitsmarkt stehen. Institutionen in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft und gemeinnützigen Organisationen sollte die Möglichkeit geboten werden, Langzeitarbeitslose in Tätigkeiten zu beschäftigen, die üblicherweise von Ehrenamtlichen ausgeübt werden.
Viele Ein-Euro-Jobs werden heute jedoch von so genannten Beschäftigungsgesellschaften angeboten. Dabei handelt es sich um gemeinnützige Organisationen, deren Gemeinnützigkeit in vielen Fällen jedoch sehr grenzwertig ist. Bei Beschäftigungsgesellschaften handelt es sich um Soziale Einrichtungen, deren einziger Zweck es ist, Menschen eine Beschäftigung anzubieten, die keinen Zugang zum ersten Arbeitsmarkt finden. Mit Hilfe der Produktivität der Beschäftigten werden dabei nicht nur Dienstleistungen und Produkte angeboten, die Bedürftigen oder der Allgemeinheit unentgeltlich oder gegen eine geringe Aufwandsentschädigung zu Gute kommen. Die Beschäftigungsgesellschaften präsentieren sich immer häufiger wie ein herkömmliches Industrie- oder Dienstleistungsunternehmen gegenüber ihren Kunden und bieten ihre Produkte zu marktüblichen Preisen an. Sie bieten beispielsweise Kantinen-, Transport- oder Reinigungsdienstleistungen an, produzieren Sportgeräte, Möbel oder Metallprodukte – eben eine bunte Palette an Produkten, die üblicherweise von herkömmlichen Industrieunternehmen produziert werden sollten. Dass sich hinter dem Betrieb im eigentlichen Sinne eine Soziale Einrichtung verbirgt, wird der Öffentlichkeit nach Möglichkeit verheimlicht.
Die gemeinnützigen Beschäftigungsgesellschaften haben sich längst zu einer Alternative zum Betrieb eines herkömmlichen Gewerbes entwickelt. Da sie dank der staatlichen Förderung kaum Lohn- und Sozialversicherungskosten zu tragen haben, können sie billiger produzieren als ihre Konkurrenz. Dadurch fördern sie letztendlich nicht die Beschäftigung, sondern vernichten reguläre Arbeitsplätze am Ersten Arbeitsmarkt und tragen dazu bei, dass immer mehr Unternehmen dazu gezwungen sind, Dumping-Löhne zu bezahlen.
Beschäftigungsgesellschaften sind ein wachsender Markt. Sollte die politische Forderung nach einer Arbeitspflicht für alle Hartz-IV-Empfänger umgesetzt werden, wird gewährleistet, dass es ihnen an Personal niemals mangeln wird und die Unternehmen am Zweiten Arbeitsmarkt einen weiteren Boom erleben. Mit ihrer Hilfe soll Schwarzarbeit verhindert werden. Dabei ist Schwarzarbeit jedoch das kleinere Übel. Denn während für Schwarzarbeiter lediglich keine Steuer- und Sozialversicherungsabgaben getätigt werden, erhalten Beschäftigungsgesellschaften de facto zusätzlich auch noch Geld vom Staat. Letztendlich wird eine große Summe an Steuergeldern dafür aufgewendet, um die ohnehin schon schwierige Arbeitsmarktsituation für Geringqualifizierte weiter zu verschlechtern – ein Widerspruch in sich als Ergebnis einer verfehlten Arbeitsmarktpolitik.
Ich fordere Herrn Koch dazu auf, einmal darüber nachzudenken, was er mit seiner Forderung nach einer Arbeitspflicht für Langzeitarbeitslose eigentlich bewirkt. Da sich seine Partei auch dafür einsetzt, insbesondere Besserverdienende steuerlich zu entlasten, sollte er sich auch darüber im Klaren sein, dass mitunter auch die Steuern von Unternehmern dafür aufgewendet werden, um eine gemeinnützige Schattenwirtschaft zu finanzieren, die zur Belastung für das eigene Unternehmen werden kann.“

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20 Kommentare zu “Das Märchen von Merkels Sozialdemokratisierung

  1. Genauso wie der Autor die Sache sieht, sehe ich sie auch. Doch ein Aspekt kommt meiner Meinung nach etwas zu kurz und zwar die Überproduktion von Waren. Heute sind in den Industriestaaten die Betriebe bzw. Maschinen so modern und gut, dass sie in einem Jahr Waren herstellen können, die die Menschen in 10 Jahren nicht verbrauchen können. Schauen wir uns die riesigen Autohalden weltweit an und täglich wird die Halde größer. Jetzt werden Unmengen an Autobauer entlassen. Das bedeutet, dass noch weniger Menschen sich hochwertige Produkte kaufen können. Und so ist es auch in anderen Industriezweigen. Das Problem muss gelöst werden. Und da es ein globales ist, muss es auch global gelöst werden. Doch Krieg ist hier in diesem Fall mit Sicherheit nicht die Lösung. Die Welt bzw. Deutschland wollte das Problem 1914 und 1939 mit Krieg lösen. Das ist gehörig schief gegangen. Wir sollten es mal mit Frieden versuchen.

    Brecht hat wohl mal gesagt:
    *Der Kapitalismus beinhaltet den
    Krieg wie die Wolke den Regen*.

    Wenn dem wirklich so ist, dann wird
    eine friedliche Lösung schwierig.

  2. Hallo Jörg,

    deine Annahme, dass Bronski schon reagieren wird, ist sicher nicht unbedingt falsch. Zumindest hat er bis heute noch nicht reagiert.
    Da dieses Thema zu meiner Anfrage an Frau Dr. Angela Merkel gut paßt, möchte ich noch einmal den Link nennen und euch bitten drauf zuschauen und mit abzustimmen. Die Abstimmungsfrist endet in 6 Tagen.

    *http://direktzu.de/kanzlerin/messages/24415*

  3. Bei der Zahl hat sich der *Druckfehlerteufel* eingeschlichen.
    Richtig muss es heißen:
    *http://direktzu.de/kanzlerin/messages/24414*

  4. Frau Merkel muß sich gar nicht so viele Gedanken um ihre Wähler machen. Diese bestehen nach meiner Einschätzung aus 2 Gruppen.Die einen sind Bürger! die eindeutig von ihrer Politk wirtschaftlich profitieren. Die andere sind Leute die sagen die Anderen machen es eh nicht besser. Diese Gruppe wurde von einem H. Schröder nachhaltig gestützt. Das hält noch eine zeitlang.

  5. Wahrscheinlich „merkt`s“ hier wieder keiner, aber was der Bronski bekannte, „aber aus guten Gründen unbekannt bleibende“ Texter im ellenlangen Einleitungstext schreibt, ist keine Kritik an Koch, sondern ein Ratschlag, wie er Klientelpolitik geschickter machen soll. Im übrigen ist es 100%-FDP-Kaptitalismusgesülze, wie man sich leicht überzeugen kann, wenn man z.B. nur mal das Papier aus dem badenwürttembergisvhen Lantag – schon aus 2007, aber nach wie vor gültig – liest, in dem die Gedanken des Anonymus schon mal vorgekaut waren und immer noch nachgebetet werden:

    Antrag der Abg. Dr. Ulrich Noll u. a. FDP/DVP
    und
    Stellungnahme
    des Wirtschaftsministeriums

    Von der Konfrontation zur Kooperation zwischen Beschäftigungsgesellschaften
    und Garten- und Landschaftsbaubetrieben

    http://www3.landtag-bw.de/WP14/Drucksachen/1000/14_1155_D.PDF

    So wie die FDP gegen den Mindestlohn als angeblich mittelstandszerstörende Maßnahme ist, ist sie gegen Beschäftigungsgesellschaften (mit Ausnahme des Sektors behinderter Menschen) (s. das Parteiprogramm der Bundes-FDP)

  6. Koch fordert „Arbeitspflicht für Hartz-IV Empfänger.“

    Schön, dann fordere ich eine
    „Arbeitsplatzpflicht für Wirtschaft und Staat.“

    .

  7. 6. Kommentar von: BvG

    Hast Du etwa Angst um oder Mitleid mit Koch und Konsorten, sie würden ihren Arbeitsplatz verlieren, oder in Schlichtwohnungen leben müssen, wenn sie dann doch mal ihren Posten aufgeben? Die haben sogar noch Einfluß mit ihrer „Arbeit“, wenn sie kein einziges öffentliches Amt bekleiden!

    Bevor Du einen Koch zur Arbeit bis 67 verpflichtest, (Der HERR erbarme sich über Hesssen!) stell erstmal sicher, dass er keinen Unfug macht, bzw. seine Arbeitsstelle trotz allem erstmal verliert. Wie und ob man das macht, hängt aber nicht davon ob, ob es eine „Arbeitspflicht“ für Politikfürsten oder Wirtschaftsführer gibt.

  8. Herrgottnocheins muß man Ihnen alles erklären?

    Ersetze
    „Arbeitsplatzpflicht“
    durch
    „Arbeitsplatzbereitstellungs bezahlungsbesetzungssozialleistungs
    gesunderhaltungsselbstverwirklichungs
    innovationsrecyclingsklimaschonenmenschenrechts…
    (to be continued)… pflicht “ !!!!!!!

  9. @ byby und @ BvG: bitte eröffnet hier jezt keinen neuen Kampfschauplatz! Das ist langweilig und führt nicht weiter!

  10. Heute habe ich folgenden wunderbaren Leserbrief gefunden:
    *Jeder muss Recht und Pflicht zur Arbeit haben*
    Zur Diskussion um die Hartz-IV-Gesetze:

    Wird zu wenig gezahlt, leiden die Leute „Hunger“ in allen Lebensbereichen; wird zu viel gezahlt, haben viele Betroffene kein Interesse mehr an der Arbeit. Deshalb Hartz IV abschaffen. Jeder Erwachsene hat das Recht und die Pflicht zur Arbeit, damit er seinen Lebensstandard verwirklichen kann. Es ist die letzte Chance für unsere bürgerlichen Parteien, Ordnung in unsere freiheitliche Demokratie zu bringen, sonst werden sie abgewählt, und radikale Parteien bekommen das Sagen.
    Hubert Seidel, 09573 Augustusburg

  11. Das Christliche in der Politik der CDU
    Zur Wertediskussion in der CDU

    „Christlich zu sein, scheint jedoch für die Koalitionäre nicht viel mit Wohltätigkeit zu tun zu haben. Oder wie passt dazu, wenn ein Roland Koch eine Arbeitspflicht für Hartz-IV-Empfänger fordert?“ So schreiben Sie, lieber Herr Bronski. Soll ja auch nichts damit zu tun haben, denn die Argumente und Scheinargumente laufen auf anderen Schienen. Die massive Unterstützung des Bankensektors, der Wirtschaft – jetzt wieder des Hotelgewerbes – generell wird uns entweder als systemisch – so der schöne verschleiernde Begriff – notwendig, ja überlebensnotwendig dargestellt oder als im Interesse der Schaffung oder Sicherung von Arbeitsplätzen stehend verkauft. Wir kommen also mit christlicher Moral leider in dieser äußerst brutalen, egoistischen Welt deshalb nicht weiter, weil – wie ich glaube – sie nicht einmal verstanden wird – von akzeptieren will ich nicht sprechen. Ganz im Gegenteil: gerade jetzt spricht ja der „christliche“ Teil der Bundesregierung wieder verstärkt über seine vermeintlichen christlichen Grundlagen; will sagen: es besteht sogar die Gefahr, dass uns diese Regierungspolitik als christlich ausgewiesen vorgestellt wird. Sogar noch die Boni, die unglaublichen Gehälter unserer Scheinelite, also der von Kanzlerin Merkel so genannten Leistungsträger, sind aus dieser Optik systemrelevant, weil sie einen Bereich stützen, der die Ökonomie in der Logik eines ungefesselten Marktes angeblich stützt. Also Ihr Pfarrer, Kritiker, Intellektuellen, Christen: seid friedlich: es ist aus dieser Optik und Interpretation des Begriffs „christlich“ zum Besten des Gemeinwohles. Dass es das nicht ist, sieht man an der Einkommensverteilung, an der ungebrochen hohen Arbeitslosigkeit, die ja nur deshalb etwas niedriger ist als vor fünf Jahren ausfällt, weil die Zahl der prekären Beschäftigungsverhältnisse, der Teilzeitarbeitsplätze und der Arbeitsplätze in der Leiharbeit zugenommen hat. Einen Nachweis, dass die unverminderte Stützung der Kapitaleigner Arbeit schafft, hat noch keiner erbracht.

    Nachdenklicher muss man bei dem Vorschlag des Ministerpräsidenten werden. Hätte er nicht das Wort „Arbeitspflicht“ in die Debatte eingeführt, könnte man also über die Förderung von Menschen mit so genannten Vermittlungshemmnissen ergebnisoffen sprechen, würde sich vielleicht eine leichte Korrektur an der Kritik ergeben. Wie ja allgemein richtig festgestellt wird: das Fördern funktioniert nicht. Ich meine jedoch, dass Herr Koch genau das in die Debatte – erneut – bringen wollte: Arbeit fördert besonders langzeitarbeitslose Menschen, die über dauerhafte Arbeitslosigkeit die Orientierung im praktischen Leben verlieren könnten. Wird Arbeit im öffentlichen Sektor massiv ausgeweitet mit der Absicht, diese Förderung zu bewerkstelligen, ist dies auch im Interesse der Betroffenen. So weit ich sehe, gibt es aber weit und breit nicht genügend Beschäftigungsmöglichkeiten dieser Art. Viele Beispiele, die Sie immer wieder in der Öffentlichkeit diskutiert sehen, sprechen eine deutliche Sprache: auch die Betroffenen finden eine sinnvolle, öffentlich würdige Arbeit immer auch für sich besser als fruchtloses herumliegen. Nur: das kostet Geld, Liebe und Zuwendung. Wollen wir diese aufbringen, im Sinne des Neuen Testamentes, das hier ein scharfes soziales Profil hat (Lukas, Matthäus) , dann hätten wir – auch der Ministerpräsident – gewonnen. Dann aber, siehe oben, sind einseitige Maßnahmen zur Unterstützung des Kapitals nicht mehr möglich. Die Gesellschaft, auch die CDU, mag sich entscheiden.

    Christliche Werte gelten offenkundig als besonders geeignet, Kriegen, Terror und Verfolgung vorzubeugen. Und vielleicht galten sie auch als geeignet, soziale Perspektiven zu verwirklichen.

    Deshalb hat die frühe CDU auch eine scharfe soziale Programmatik aufgegriffen; der Kapitalismus war es nach 1945 nicht, was dieser CDU vorschwebte. Man hat wohl auch erkannt, dass einige Wurzeln des speziellen deutschen Faschismus in marktradikalen, also kapitalistischen Praktiken lagen: die Arbeitslosigkeit, die man in der Weimarer Republik nicht als Erklärungsgrund für den Erfolg Hitlers klein reden darf, ist wohl auch eine Folge – natürlich nicht nur – kapitalistischer Denkweise.

    Man möchte annehmen, dass diese doppelte Begründung: letztlich Friedfertigkeit und – warum es nicht beim Wort nennen – Sozialismus die christlichen Fundamente waren, auf denen das Programm der frühen CDU beruhte. Und heute? Was meint es, wenn „die“ CDU eine stärkere Betonung des Christlichen in der Politik fordert? Warum sollen Kreuze in der Öffentlichkeit hängen? Ausweislich der gedruckten Nachrichten bleibt diese Forderung bislang ohne wirkliche Begründung. Wenn man aber alles, was in den letzten Jahren dazu gesagt und gefordert worden ist, zusammenfasst, bedeutet dies letztlich etwas eher Unverbindliches. Gemeint ist, vielleicht schreibe ich ein wenig polemisch, wohl das, was man unter Anständigkeit im menschlichen Zusammenleben versteht. Freilich, dies geht ganz gut auch ohne christliche Werte. Ist es „Gott“ in der Verfassung? Wenn ja, was bedeutet das dann? Etwa dieses: Du kannst nicht zwei Herren dienen, Gott und dem Geld? Zweifel sind angebracht.

    Jedenfalls steht das Christentum mindestens dafür, immer wieder die eigentlich „Unannehmbaren“ anzunehmen („Der verlorene Sohn“); es ist verbindlich, eine Religion, die letztlich nach dem Vorbild Jesu sicherlich nicht kuschelt, sondern im Dienst (aber keine Sklavenmoral, sondern eine, die sich für „Sklaven“ einsetzt) für die „geringsten Brüder“ – heute vor allem auch Schwestern – ihre eigentliche moralische, gesellschaftliche und menschliche Bestimmung hat: wenn dies unsere Gesellschaft prägen soll, nach einem Wort von Herrn Papier, der dem Christentum eine „überragende Prägekraft“ zubilligt und im Sinne von Frau Merkel, dann: alle Achtung. Aber wieder werden bei mir Zweifel laut ob dies, genau dies, gemeint ist in der derzeit laufenden Diskussion

    Nun denn: diese Gesellschaft und ihr Wertesystem sind – dies scheint evident – geprägt von einem „Neo-Neoliberalismus“, der nicht einmal die einfachste Zuwendung – ausweislich der Gesundheits- oder der Mindestlohndebatte – zu den „geringsten Brüdern“ (Neues Testament – „Was ihr einem meiner geringsten Brüder getan habt, habt ihr mir getan“, Jesus Christus, der sicherlich hinsichtlich einer Prägekraft anerkannt ist) fertig bringt. Geprägt auch von deutlicher Orientierung an einem seelenlosen Kapitalismus, etwa so ausgedrückt: „Eine Wirtschaftsordnung, welche die Arbeit lediglich als Produktionsmittel behandelt, verletzt die Würde des Menschen. Das spekulative Finanzkapital umkreist den Erdball ohne Beziehung zur Wertschöpfung und realen Gütern, getrieben lediglich von spekulativem Gewinn. Die Gewinnchancen sind offenbar am größten, je mehr Arbeitnehmer entlassen werden. Eine Wirtschaftsordnung, die Entlassungen regelmäßig mit Gewinnsteigerungen prämiert, ist ein Schlag in das Gesicht jeglicher Vernunft, die sich auf Humanität beruft. Sie wird keinen Bestand haben…“ (Norbert Blüm). Dies sei ein Verstoß gegen die „christliche Soziallehre“.

    Vereinbart sich eine christliche Orientierung wirklich mit einer marktradikalen Freiheitsvorstellung, mit Kopfpauschalen, mit zurückgelassenen – weil nicht ausreichend geförderten – Kindern in unseren Schulen, mit dem schrecklichen Satz einiger Liberaler aller Parteien: „Gutmenschen gehören ins Theater, nicht in die Politik“, wobei schon Kant 1761 diese Auffassung als im hohen Maße einer ernsthaften (auch christlichen) Moral entgegenstehend entlarvt hat.

    Also meine Herren von der CDU, liebe Frau Merkel: welches Christentum meinen Sie nun? Was soll der Gekreuzigte in der Öffentlichkeit signalisieren? Dasjenige, das auch schon einmal Waffen gesegnet hat und seine Unterstützung mit dem Schlagwort „Helm ab zu Gebet“ zum Ausdruck gebracht hat und mindestens Auschwitz nicht verhindert hat – auch das war von hoher Prägekraft, wenn natürlich auch in einer anderen Zeit mit anderen Wertegrundlagen, dies sei zugestanden – oder das andere, das von Herrn Blüm und mir, dem gesellschaftlich eher unmaßgeblichen Kirchenvorsteher einer evangelischen Kirchengemeinde in Gießen? Offenbar wenigstens dasjenige, das, da haben die Herren ja Recht, unsere moderne Gesellschaft „überragend geprägt“ hat. Denn wenn die Gesellschaft ist wie sie ist – also in einem sehr merkwürdigen Sinne freiheitlich und wirtschaftsliberal – und Christentum diese Prägekraft hat, was folgt daraus? Hier beginnt die Diskussion, wenn die Antwort kommt. Ich jedenfalls würde die Antwort eher bei Blüm und der klassischen christlichen Soziallehre und im Neuen Testament suchen als bei jenen, die allen Menschen, die auf dieser Basis handeln und reden, das abfällig gemeinte Wort „Gutmenschen“ ironisch und böswillig nachrufen. Mir ist allerdings die Christlich Soziale – oder meinetwegen auch Demokratische – Union viel zu wichtig, um sie jenen neoliberalen „Gutmenschen-Ironisierern“ zu überlassen.

    Liebe Grüße
    Dr. Hans-Ulrich Hauschild

  12. Herr Dr. Hans-Ulrich Hauschild,

    ein ganz großartigen Beitrag, den Sie hier gebracht haben. Allerdings werden einige den Beitrag vielleicht nicht lesen, weil er sehr lang ist. Versuchen Sie doch in Zukunft Ihre Beiträge etwas kürzer zu halten. Inhaltlich habe ich die gleiche Weltschauung wie Sie.
    Da Sie Pfarrer sind und mein Glaube an Gott grenzelos ist, möchte ich folgende Sache kurz berichten.
    ** Ein Politiker gabe mir eine Auskunft zu einem Alibi eines Rechtsanwaltes bzw. zu einer amtlichen Urkunde. Die Richtigkeit der Auskunft hat er immens hoch versichert.
    Mit diesem Garantievertrag bin ich zu einem Pfarrer gegangen. Er sagte: *Der Vertrag ist gültig. Und wenn die Auskunft falsch sein sollte, dann muss einer von euch beiden für verrückt erklärt werden. Damit die immens hohe Summe nicht zur Auszahlung kommen muss.* Und genauso ist es auch gekommen.

  13. @ Erhard

    Sie brauchen anderen Blogusern wirklich keine Anweisungen zu erteilen, wie lang sie ihre Beiträge zu halten haben. Jedenfalls so lange nicht, wie Sie es nicht schaffen, beim Thema zu bleiben.-

  14. @ Bronski,
    hier ist es ganz offenkundig zu einem Irrtum bzw. Missverständnis gekommen.

    Ich habe doch Herrn Dr. Hans-Ulrich Hauschild keine Anweisung erteilt. Ich habe doch nur meine Meinung frei und unzensiert geäussert.

    Meine Meinung kann doch auch falsch sein.
    Irren ist menschlich!

    Und, wenn es bei Herrn Dr. Hauschild oder bei anderen Usern als eine Anweisung rüber gekommen sein sollte, dann bitte ich für dieses Mißverständnis um Entschuldigung.

  15. @12
    Könnte man die bewundernswert ausführliche Stellungnahme auf die Frage reduzieren:Was ist der Unterschied zwischen Arbeitspflicht und Arbeitsdienst?? Folgt der Arbeitspflicht der Dienst nicht automatisch nach?
    Hat das irgendwas mit Sozialdemokratisierung zu tun? Wenn wir schon bei der Bibel sind fällt mir der Spruch ein: An den Taten werdet ihr sie erkennen

  16. Für Hans – Nr 16 und Erhard Jakob – Nr 13

    Genau diese begriffliche Unschärfe und die Assoziationen dazu sind es, die diese Debatte so unerquicklich machen. Aber es ist vielleicht nicht von der Hand zu weisen, dass die Idee des Förderns – übrigens nicht erst seit Hartz IV, sondern schon immer in der Arbeitsmarktpolitik – durch Beschäftigung die Forderung beinhaltet, eine zumutbare Beschäftigung nicht nur anzunehmen, sondern irgend wann einmal anstreben zu können. Denn in unserem Gesellschaftssystem, schlicht in der Arbeitsgesellschaft, definiert sich soziale Teilhabe über Arbeit. Der berechtigte Einwand, dass gerade dieses System durch hohe Defizite an Arbeit, schlicht: wir haben den Typ massiver Unterbeschäftigung, gekennzeichnet ist, kann nur dadurch entkräftet werden, dass man bei gegebener Definition sozialer Teilhabe über Arbeit Menschen mit – verschuldet oder nicht spielt überhaupt keine Rolle, denn diese Differenzierung führt in die Irre – lang anhaltender Arbeitslosigkeit am besten über eine sinnstiftende Arbeit für dieses System, ein anderes ist vorderhand nicht da, und für sich selber am Markt „wettbewerbsfähig“ hält. Dies nennt man aktivierende Arbeitsmarktpolitik. Ich wiederhole mich: ob dies jemand wirklich will, dafür wirklich Zuwendung und Geld „in die Hand nehmen will“, kann bezweifelt werden. Wenn nicht, in der Tat: „an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen“. Mit Sozialdemokratisierung hat meine Stellungnahme nur soviel zu tun als Herr Bronski dieses Thema in der Einführung zum Blog mit der vermeintlichen christlichen Orientierung der CDU verbunden hat, ebenso vermeintlich also wie die Sozialdemokratisierung selber: beides sind Mythen.

    Herzlichst
    Hans-Ulrich Hauschild

  17. zu @17 H. Hauschild,
    im Prinzip stimme ich Ihnen ja zu. Wobei das aber nicht, wie Sie auch selbst gesagt haben, hier das Thema ist. Eine Sozialdemokratisieung
    von Fr Merkel gibt es nicht wirklich.Sie ist bestenfalls vorgespielt wie man an dem was sie tut erkennen kann.

  18. Nein, nein, nein. Wir sollten Roland „Rambo“ Koch von ganzem Herzen
    dankbar sein. Wenn es ihn nicht gäbe, müsste man ihn erfinden. Denn ohne ihn würden die Gutmenschen und Fernethiker in unserer Republik Däumchen drehen und sich in kalten Winternächten langweilige
    Gute-Nacht-Geschichten erzählen. Ohne Feindbild keine Identität. Ohne Identität kein Feindbild.

    Außerdem: „Rambo“ Koch übernimmt die Führung der konservativen
    Haudraufpolitiker, seitdem es in der CSU nur noch weichgespülte
    katholische Kuschelethiker gibt, die in der Praxis nicht den bayerischen Moralvorstellungen entsprechen, aber wenigstens etwas gegen den Bevölkerungsschwund in Deutschland unternehmen.

    Manchmal frage ich mich allerdings, was aus dem Brender-Killer geworden
    wäre, falls es mit der Politik nicht geklappt hätte. Bei seinem Aussehen wäre er wohl Modell geworden. Ok, für die Haute Couture hätte es wohl nicht gereicht. Aber zumindest für den Quelle-Katalog mit einem schicken „Privileg“-Anzug. Eine andere Möglichkeit: Schauspieler, z.B. die Rolle
    des Bösewichts in der türkischen Serie „Tal der Wölfe“.

    Nachdem er schon während des hessischen Landtagswahlkampfes 1999 mit seiner Unterschriftenkampagne zur doppelten Staatsangehörigkeit bei tausenden Migrantenkindern und anderen Ausländern zum Superstar
    avanciert war, schlug er kürzlich wieder zu. Diesmal waren die faulen
    Arbeitslosen dran. „Rambo“ Koch als Anwalt der Leistungsträger und hart
    Arbeitenden (wo blieb da nur die FDP?) Nun verlangt er für das Prekariat der Republik eine Arbeitspflicht und spricht von der „Perversion des Sozialstaats“.

    Doch warum ist eine Arbeitspflicht eigentlich so schlimm und warum
    entfachte der hessische Ministerpräsident einen medialen Sturm in der Republik? Denn man könnte beide Probleme — also das Ausländer- wie das White-Trash-Hartz-IV-Problem — auf einen Schlag lösen.

    Zum einen hauen die gutausgebildeten türkisch-stämmigen Deutschen sowieso in Richtung Istanbul ab. Zum Teil löst sich das Problem also von
    selbst. Nun gut, dies gilt auch für die deutschen Akademiker — nicht in Richtung Istanbul vielleicht –, aber das wollen wir mal kurz übersehen.

    Und zum anderen? Na ja, denjenigen — Ausländern wie Deutschen — die
    Tag für Tag mit der Bierdose und Chipstüte fett auf dem Sofa bzw. vor dem Fernseher sitzen, kürzt der Staat die Leistungen komplett auf Null.

    In einem Pilotprojekt kauft die hessische Landesregierung Land in
    Lateinamerika auf. Das ist billig. In Peru z.B., ein Hektar für 1000
    Euro. Hessische Bürgerinnen und Bürger, die nicht der
    Leistungsbereitschaft von „Rambo“ Koch entspechen, schickt die Regierung in den Amazonas. Dort werden „deutsch-ausländische“ Wehrsportgruppen gebildet und für kommende Sicherheitsaufgaben trainiert: für Afghanistan, den Irak, aber auch für heimische Aufgaben in der hessischen Provinz. Denn wo es keinen Sozialstaat mehr gibt, muss viel be- und überwacht werden.

    Als faule nichtsnutzige Arbeitslose werden sie dorthin (ver)geschickt
    und als nützliche leistungsbereite Teilnehmer unserer Gesellschaft
    kommen sie danach zurück. Und: durch die Aktivierung von internationalen
    Leiharbeitsfirmen kann der hessische Staat noch einen satten Gewinn einfahren. Hessen wird zum Blackwater Deutschlands und „Rambo“ Koch kann die Meriten als Retter der „Deutschen Nation“ einstreichen. Nur über
    einen Mindeslohn für die Leiharbeit sollte man noch nachdenken,
    vielleicht sogar mit Gefahrenzulage für bestimmte Regionen. Der
    Mindestlohn hätte im übrigen den großen Vorteil, Linkspartei und SPD ins Boot zu holen. Kaum der Rede wert, dass dieses wunderbare
    Arbeitsmarktpilotprojekt bei Erfolg selbstverständlich auf die ganze
    Republik übertragen wird.

    Deshalb sage ich: „Rambo“ Koch ist kein sozial- und
    integrationspolitisches Schreckgespenst. Im Gegenteil: er führt die deutsche Nation nach so vielen Jahrzehnten der Irrungen und Wirrungen wieder auf den richtigen Weg. Er versprüht Hoffnung und vermittelt puren Optimismus. Und zu guter Letzt: Er macht aus faulen Deutschen und Ausländern wieder anständige Bürger.

    Geben wir ihm die Chance, seine Tatkraft im Dienste der Nation „auf
    brutalstmögliche Art“ zu beweisen.

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