Ich war Flüchtling aus den Niederlanden
von Paul R. Woods
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Um es direkt klar zu stellen: Ich bin keiner der „Millionen von Deutschen“, denn ich kam aus Amsterdam/Niederlande nach Deutschland, um in Friedland als Flüchtling registriert zu werden. Das klingt etwas seltsam, lässt sich aber schnell erklären.
In erster Ehe war meine Mutter mit einem Briten verheiratet. Nach der Scheidung heiratete sie wieder, und zwar einen Niederländer. Jedoch hatte dieser zweite Ehemann während des Zweiten Weltkrieges auf deutscher Seite in Russland gekämpft. Dies führte zu mehreren Gerichtsverfahren in den Niederlanden, die schließlich mit einem Kompromiss endeten. Gegen Einstellung der Strafverfolgung sollte dieser Mann die Niederlande für immer verlassen, und zwar in Richtung Deutschland. Der schwangeren Ehefrau und den damals drei Kindern stand es frei, in den Niederlanden zu bleiben.
Paul R. Woods (rechts)
mit Mutter und Schwester
in Amsterdam (ca. 1948).
Foto: privat
Am 20. Dezember 1951 räumte die Stadt Amsterdam ohne Vorankündigung unsere Wohnung in Amsterdam-Oost, und wir wurden an die deutsche Grenze bei Kaldenkirchen gebracht. Von dort ging es weiter nach Friedland/Göttingen, wo wir als Flüchtlinge registriert wurden.
Zwei Tage später ging es mit der Bahn nach Kornwestheim bei Stuttgart, wo wir für zwei Wochen in einer leer stehenden Kaserne verblieben. Bei der Ankunft am Bahnhof erlernte ich mein erstes deutsches Wort: „Postamt“ – es war auf der Fassade des gegenüberstehenden Gebäudes. Dann ging es weiter nach Biberach/Riss in ein ehemaliges Fremdarbeiterlager, wieder für zwei Wochen. Dann ging es nach Balingen in ein Lager, dass in meiner Erinnerung viel von einem Gefangenenlager aufwies. Mehrere Familien waren in einem Raum untergebracht, wo mit von den Doppelstockbetten herabhängenden Decken so etwas wie Privatsphäre versuchsweise geschaffen wurde.
In Balingen besuchte ich zum ersten Mal eine deutsche Schule, wo ich kein Wort verstand. Damals war ich gerade sieben Jahre alt. Ich erinnere mich daran, dass mir ein Mädchen deutsche Worte beibrachte, in dem sie auf etwas zeigte, ich auf Niederländisch sagte, was es war, und sie dann das deutsche Äquivalent sagte.
Paul R. Woods (2. v.r.)
mit seinen Brüdern Erik
und Francesco (von links)
und seiner ältesten Schwester
Els im Jahr 1957
in Heidelberg.
Foto: privat
Zwei Monate später wurden wir mit einem Kleinbus nach Schramberg/Schwarzwald verbracht. Die Unterkunft war in einem mehrstöckigen Gebäude und soll das ehemalige Fremdarbeiterwohnheim der Junghanswerke gewesen sein. Mit Holzständerwerk und Leichtbauplatten waren Zimmer geschaffen worden und mit Doppelstockbetten, Tisch und Stühlen und Schränken möbliert. Gekocht wurde in einer Gemeinschaftsküche. In einem Lagerraum im gleichen Gebäude konnten wir unsere Kisten nach mehr als drei Monaten zum ersten Mal wieder sehen; wie sie dorthin gekommen waren, entzog sich unserer Kenntnis. Außer den Betten waren aber keine weiteren Möbel dabei.
Im August 1952 zogen wir um nach Schramberg-Sulgen, wo mehrere Neubauten nur für Flüchtlinge errichtet worden waren.
Als mein Stiefvater 1955 eine Arbeitsstelle bei BBC in Mannheim antrat, hat das Land Baden-Württemberg den Umzug dorthin bezahlt. Um die Stelle zu bekommen, hatte er behauptet, Elektro-Ingenieur zu sein, jedoch würden die Niederlande jede Kommunikation aufgrund seiner Vergangenheit verweigern. Und nach mehr als drei Jahren hatten wir auf einmal keine Flüchtlinge mehr als Nachbarn.
Inzwischen sprachen wir alle fließend Deutsch, jedoch innerhalb der Familie blieb bis zum Tod der Mutter 1992 Niederländisch die Umgangssprache.
Meine britische Staatsangehörigkeit habe ich bis heute beibehalten, sie hatte jedoch keinerlei Einfluss auf meinen Status als Flüchtling, der mir im Dezember 1951 in Friedland zuerkannt worden war und den ich bis zu meinem 21. Geburtstag behielt.
Paul R. Woods, Neumagen-Drohn