Vier Strohsäcke und eine Handvoll Nägel

Vier Strohsäcke und eine Handvoll Nägel

von Gerhard Krause

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Ich bin in Danzig geboren worden, wir lebten im Ostseebad Zoppot. Mein Vater war alter Kämpfer in der SA, er brachte es bis zum Ortsgruppenleiter. Als ich zehn Jahre alt war, sollte ich zur Oberschule der Hitlerjugend. Meine Eltern mussten einen Stammbaum anfertigen, damit sichergestellt war, dass ich Arier bin, der Amtsarzt hat meinen Kopf vermessen. Ich wurde aufgenommen. Der Schulalltag begann immer mit Antreten auf dem Schulhof, die Hände mussten sauber sein und auch die Ohren, wenn der Lehrer etwas Unsauberes fand, gab es was mit dem Rohrstock. Dann ging es in die Aula, dort mussten wir das Deutschlandlied singen und anschließend „Die Fahne Hoch“.

Im Januar 1945 wurde Danzig zur Festung erklärt. Wir sollten evakuiert werden. Da mein Vater ein alter Kämpfer war, hatten wir natürlich Fahrkarten für die Wilhelm Gustloff. Um 5 Uhr morgens standen wir abholbereit im Flur. Meine Mutter sagte auf einmal: Ich glaube, da passiert etwas, wir bleiben hier. Da hat sie mir das erste Mal das Leben gerettet. Die Nazigrößen hatten alle ihre Familien auf der Gustloff.

Am nächsten Tag wurde ein Bus bereitgestellt, um nach Kolberg zu den Überlebenden zu fahren. Da noch Plätze frei waren, fuhren meine Mutter und ich mit meinen beiden Schwestern mit. In Kolberg wurden wir in einer Turnhalle untergebracht und mussten auf Strohsäcken schlafen. Dort waren auch die Überlebenden der Gustloff untergebracht. Meine Mutter tröstete eine Frau, die drei Kinder verloren hatte. Die Frau berichtete uns, dass vor dem Untergang der Gustloff der Führer eine Rede zum Tag der Machtergreifung gehalten hatte. Alle die noch an ihn glaubten, haben sich die Rede angehört, sie wurde nämlich auf dem Oberdeck übertragen, und wer oben war, hatte die größte Chance gerettet zu werden.

Am nächsten Tag fuhr der Bus weiter bis Neuruppin, dort wurden wir in ein kleines unbewohntes Haus einquartiert. Meine Mutter wurde krank und kam ins Krankenhaus. Wir Kinder kamen zu Pflegeeltern. Mein Pflegevater nahm mich immer mit zur Arbeit. Sein Arbeitsplatz war von Stacheldraht umzäunt, es gab dort viel grüne Barracken und die Insassen hatten gestreifte Kleidung an. Die Sträflinge sahen sehr verhungert aus, und weil ich mich frei bewegen konnte, bin ich in die Küche gegangen und habe etwas Essbares besorgt und es im Gelände abgelegt, was den Sträflingen nicht entging. Nach ein paar Tagen schenkte mir ein Sträfling ein sehr schönes Flugzeug. Mein Pflegevater war nicht begeistert und hat mich nicht mehr mitgenommen. Der Arbeitsplatz hieß Sachsenhausen.

Wir hatten auch mehrmals Fliegeralarm am Tag, aber niemand ging in den Keller, weil die Flieger weiter nach Berlin geflogen sind, bis eines Tages auch bei uns Bomben abgeladen wurden. Nach der Entwarnung gingen wir nach draußen und sahen die furchtbare Zerstörung. Ich fand einen Schuh mit Fleisch drin und einen Arm, die Menschen waren ja noch in ihren Wohnungen und nicht im Luftschutzkeller. Eines Nachts haben Bomber den Flughafen platt gemacht, fünf Stunden wurde ununterbrochen bombardiert, die Erde bebte. Ohne Hilfe kann man das nicht verarbeiten. Das war schon etwas anderes als Videospiele.

Dann kam der Einmarsch der Russen, es sind keine Schüsse gefallen der Krieg war damals schon verloren. Aber jetzt lernten wir, wie Hunger schmeckt. Auf unserem Marktplatz waren russische Lastwagen, ich half einem Russen den LKW zu putzen, dafür bekam ich von ihm zu essen.

Durch das Rote Kreuz haben wir erfahren, dass mein Vater in amerikanischer Gefangenschaft ist, also auf nach Westen. Im Viehwagen fuhren wir nach Salzwedel und wollten in die englische Zone. Als wir zur Grenze kamen, standen dort russische Soldaten, schossen in die Luft und riefen „Dawai“, zurück. Etwa so wie heute in Ungarn.

Wo sollten wir nun hin? Ein lieber Bauer nahm uns in sein Haus auf und hat uns versorgt. Der zweite Anlauf war wieder vergebens, aber beim dritten Mal ließ uns ein russischer Soldat durch, und wir kamen in ein englisches Auffanglager nach Warendorf in die Reithallen. Von dort wurden wir nach Bevern in Niedersachsen weitergeschickt. Wir bekamen in einem Lehrerhaus ein Zimmer zugewiesen, ohne Möbel, es wurde ein Herd auf den Fußboden gemauert, vier Strohsäcke und eine Handvoll Nägel. Die Nägel sollten wir in die Wand schlagen, das waren dann unsere Möbel. Ich habe noch vergessen wir bekamen auch einen Tisch und 4 Stühle.

Als die Einheimischen sahen wie wir hausen mussten, nannten sie uns nur noch Pollacken. Ein großer Bauer im Ort sollte auch Flüchtlinge aufnehmen, er weigerte sich und schickte die Leute in den Schweinestall. Das hat der englische Kommandant erfahren. Der Kommandant gab dem Bauern eine halbe Stunde Zeit, und dann wurde der Bauer für drei Wochen in ein Flüchtlingslager gesperrt. Als er wieder zu Hause war, öffnete er sein Haus für die Flüchtlinge und tat alles, was er nur konnte für die traumatisierten Menschen.

krause-kleinSehr zu empfehlen für die Pegida-Anhänger: Durch Erfahrung wird man klug.

Gerhard Krause. Geboren 1934 in Danzig,
Ostseebad Zoppot (heute Sopot).
Ankunftsort Bevern bei Holzminden.
Heute wohnhaft in Schwalbach am Taunus.
Wäre beinahe an Bord
der Wilhelm Gustloff gegangen.
Foto: privat

 

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