Meine Mutter meinte, die Frau stehle Sirup
von Frederike Frei
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1945 bin ich geboren in Brandenburg an der Havel, mit einem Monat wurde ich nach Rotenburg an die Wümmei ‚geflüchtet‘. Meine Mutter zog in das Haus ihrer Mutter, da ihr Vater dort schon vor dem Krieg gestorben war. Mein Vater kam dorthn ‚aus dem Krieg zurück‘. Als ich aufwuchs, lebte eine Frau Gräper in unserem Hause mit, es waren auch Männer dabei oder Jungs, glaube ich. Doch vor allem Frau Gräper ist mir in Erinnerung. Ob sie Polin war? (Meine Geschwister und Eltern kann ich nicht mehr fragen.) Ich erlebte diese Frau eigentlich immer nur in der Küche. Meine Mutter meinte, sie stehle Sirup, oder war es Zucker? Doch das durften wir ihr nicht sagen. Ich hab sie mir deshalb immer heimlich betrachtet. SIe hatte dunkle Haare mit grauen Strähnen im Gegensatz zu uns und hinten einen Knoten mit einem Netz drum. Meine Mutter mochte sie nicht, aber das war weiter kein Thema. Jedenfalls war es für mich völlig selbstverständlich bis zu meinem 6. Lebensjahr, wo wir nach Bonn zogen, dass Gräpers bei uns zuhause mitwohnten. Ich wunderte mich noch, dass Gräpers nicht mit nach Bonn kamen. Erst später hab ich gehört, dass das staatlicherseits verordnet worden sein soll. Aber das wurde nie thematisiert, jedenfalls nicht in meinen Ohren.
Frederike Frei ist Autorin und lebt in Berlin. Hier ist der Link zu ihrer Webseite.