Beste Zeiten, schlechteste Zeiten

Ich muss momentan oft an Charles Dickens denken, den berühmten englischen Autor. Dessen „Geschichte zweier Städte“ beginnt mit Worten, die umfassender nicht sein könnten: „Es war die beste aller Zeiten, es war die schlechteste aller Zeiten“. Solche Sprüche gelten wohl zu allen Zeiten. Ganz ähnlich mein Großvater im Jahr 1984: Mit den Worten „Besser wird’s nicht mehr!“ rüffelte er meinen Vater für den Kauf einer überdimensionierten Familienkutsche. Man könnte seinen Satz vervollständigen: Schlechter geht immer.

Alle Zeiten? Donnerlittchen! Wie kann ein Mensch so etwas behaupten? Aber es scheint ein Allgemeinplatz zu sein: Alle Welt glaubt offenbar (in den Worten von Hildegard Knef): Von nun an geht’s bergab. Wohin du guckst, ob im Netz oder im Zug, egal: überall lange Gesichter. Man könnte meinen, morgen ist Weltuntergang.

War es nicht schon immer so? Die Menschen übertreiben. Veränderung scheint so etwas wie eine Schlange zu sein, auf die man starrt wie ein gelähmtes Kaninchen. Was wird da von uns erwartet? Wir wollen doch nur in Ruhe leben.

In Ruhe leben – das hat es eigentlich nie gegeben. Das ist Wunschdenken wie die berühmten „guten alten Zeiten“, die ebenfalls nie existiert haben, zu keinen Zeiten. Die Realität sieht anders aus. In der Realität müssen wir uns einsetzen – zum Beispiel für unsere Demokratie, die derzeit angegriffen wird. Und innerhalb dieser Demokratie muss unser Einsatz dem Gedanken gelten, dass wir eine Form des Zusammenlebens gestalten, die möglichst viele von uns mitnimmt. Dabei dürfen wir uns nicht lähmen lassen von den Gefahren, wie sie durch den Klimawandel drohen, im Gegenteil: Die damit verbundenen Probleme gilt es anzupacken. Und dabei gilt es überdies, Gefahren zu managen, die aus überholtem Denken und schlechten alten Zeiten entstehen, zum Beispiel Kriegsgefahren à la russischer Imperialismus.

Das ist eine Menge Holz, eine Menge Arbeit. Um bei Dickens zu bleiben: Es sind die besten aller Zeiten – denn wir sind in der Tat in der Lage, diese Situation zu meistern. Zugleich sind es die schlechtesten aller Zeiten, denn die Menschen sind vielfach überfordert. Die langen Gesichter allüberall kommen nicht von ungefähr. Sie haben damit zu tun, dass viele Menschen glauben, den Fährnissen allein ausgeliefert zu sein. Doch wir sind eine Gemeinschaft.

In diesem Sinne mache ich nicht mit beim allgemeinen Kopfhängenlassen. Ich mache erst mal Urlaub. In einer Woche geht’s los. Bis dahin können Sie hier noch Ihren Kommentar zu allen Zeiten platzieren, doch ab 25.8. gegen 14 Uhr wird dieses Blog für gut vier Wochen ruhen. Und dann sehen wir mal, wie wir weitermachen.

Wir lesen uns. Ihr Bronski

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Ein Kommentar zu “Beste Zeiten, schlechteste Zeiten

  1. „In Ruhe leben – das hat es eigentlich nie gegeben.“ Stimmt, allerdings hatte meine Generation in jungen Jahren die nicht unberechtigte Hoffnung, dass in Zukunft vieles besser sein wird. Diese Hoffnung ist dahin, inzwischen ist man schon froh, wenn es nicht schlechter wird. Paradox: Die Urheber der politischen Entscheidungen, die zum jetzigen Zustand geführt haben, wollen uns nun weismachen, dass sie über die aktuelle Situation entsetzt sind. Ich kaufe ihnen das nicht ab. Wer die soziale Spaltung der Gesellschaft bewusst verschärft hat, dürfte sich über die Folgen im Klaren gewesen sein. Konkret: Wer etwa seit Jahrzehnten nichts für bezahlbaren Wohnraum getan hat, obgleich es Alternativen gab (z.B. die Vorschläge von Hans-Jochen Vogel), braucht sich über die politischen Auswirkungen auf die Demokratie wirklich nicht zu wundern. Die Regierenden ernten bloß das, was sie gesät haben.

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