Unsere Nachbarn, die Schweizer, haben ein schönes Beispiel dafür abgeliefert, warum die direkte Demokratie manchmal mit Vorsicht zu genießen ist. Am 9. Februar waren den Schweizer Bürgerinnen und Bürgern drei Fragen zur Entscheidung vorgelegt worden: eine zur Finanzierung und den Ausbau der Eisenbahn-Infrastruktur (angenommen), eine zur Finanzierung von Abtreibungen bei Mehrlingsschwangerschaften (abgelehnt) und eine zur Begrenzung der Masseneinwanderung, die von den Wahlberechtigten mit knapper Mehrheit angenommen wurde. In drei Jahren muss die Schweizer Regierung nun Regelungen erarbeitet haben, die den Zuzug von Ausländern in die Schweiz neu regeln und begrenzen. Oder anders ausgedrückt: Regelungen, die die Deutschen draußen halten. Denn die Deutschen sind so was wie die Rumänen der Schweiz.

Nach diesem kurzen Seitenhieb auf die angebliche Wanderung armer Südosteuropäer in deutsche Sozialnetze wollen wir die Lage mal ernsthaft analysieren. Die Schweiz hatte im September 2013 8.112.200 Einwohner. Davon waren 1.901.700 keine gebürtigen Schweizer. Das entspricht einem Ausländeranteil von 24 Prozent (alle Angaben: Wikipedia). Daran haben Deutsche einen Anteil von 15,2 Prozent, das sind rund 289.000 Menschen. Nur die Italiener stellen einen höheren Anteil. Diese Ausländer sind in der Regel hochqualifizierte Arbeitskräfte, mit deren Hilfe die Schweizer Wirtschaft auf einem Wachstumskurs gehalten werden konnte, d.h. deren Arbeit die Schweiz einen gewissen Anteil an ihrem Wohlstand zu verdanken hat. Trotzdem gibt es Angst vor Überfremdung und Masseneinwanderung – und zwar am stärksten ausgeprägt in jenen Kantonen der Deutsch-Schweiz, in denen es am wenigsten Ausländer gibt. Diese diffuse Angst hat sich die Initiative „Gegen Masseneinwanderung“, gestützt von der Schweizer Volkspartei SVP, zunutze gemacht.

Nun muss man natürlich zugeben: 24 Prozent Ausländer – das muss erst mal verdaut werden. Wir in Deutschland haben nur 8,4 Prozent Ausländer und meinen doch, jede Menge Ärger mit ihnen zu haben, etwa was Überfremdung durch Muslime betrifft. Was den Anteil an Muslimen an der Bevölkerung betrifft, sind beide Länder jedoch etwa auf dem selben Stand (Schweiz: 4,5 Prozent, Deutschland: 5 Prozent). Aber es geht diesmal nicht um Muslime, jedenfalls nicht explizit. Was die Schweizer als Ausländer bezeichnen, sind mehrheitlich Menschen, die ethnisch, genetisch, kulturell, religiös und vom Habitus her ganz klar Schweizer sein könnten. Was insbesondere die deutschen Ausländer in der Schweiz von den Deutsch-Schweizern unterscheidet, ist die Sprache bzw. der Dialekt und die eine oder andere kulturelle Besonderheit, wie sie sich im Lauf von Jahrhunderten in einem konsensual regierten Land mit so vielen Bergen natürlich herausbildet.

Es geht darum, dass es eng wird in der Alpenrepublik, zumindest gefühlt. 196 Einwohner pro Quadratkilometer hat die Schweiz. Eng? Deutschland hat 226 Einwohner pro Quadratkilometer. Es geht darum, dass die Mieten und Immobilienpreise steigen (das tun sie auch in Deutschland) und dass es eng wird in den öffentlichen Zügen, Straßenbahnen und Bussen (deswegen fahre ich lieber mit dem Rad nach Frankfurt zur Arbeit). Was die Schweiz da erlebt, ist die Rückseite der glänzenden Medaille von der wirtschaftlichen Prosperität – völlig normale Entwicklungen, die überall da zu beobachten sind, wo es wirtschaftlich gut geht. Die Annahme der Initiative zur Begrenzung der „Masseneinwanderung“ ist daher ganz offensichtlich gegen die eigenen wirtschaftlichen Interessen gerichtet. 50,3 Prozent der Schweizer erkannten das nicht oder wollten es nicht erkennen. Die Ausländer nehmen ihnen gefühlt die Arbeitsplätze weg. Daher sind sie für Sprüche empfänglich wie: „Zuerst wir Schweizer!“, wenn es um Arbeitssuche geht. Dagegen hatten alle Regierungsparteien und Wirtschaftsverbände die Werbetrommeln für die Ablehnung der Initiative gerührt, begründet unter anderem damit, dass die Wirtschaft die Fachkräfte, die sie braucht, unter den Schweizern nicht mehr findet: Die Schweiz hat das eigene Reservoir an Arbeitskräften ausgeschöpft. Soll ihre Wirtschaft weiter wachsen, braucht sie Zustrom von ausländischen Arbeitskräften. Nur nebenbei: Die Schweiz hatte im November 2013 eine Arbeitslosenquote von 3,2 Prozent! Eigentlich sollte also so gut wie jeder Schweizer den Arbeitsplatz finden, den er will, trotz der vielen Ausländer.

Die Schweiz hat jetzt ein Problem, und das heißt Brüssel. Der Wohlstand der Schweiz hängt außer an den Banken an der engen wirtschaftlichen Verflechtung mit der Europäischen Union, und diese beruht auf Verträgen, in denen unter anderem das Prinzip der Freizügigkeit festgeschrieben ist, gegen die die Eidgenossen jetzt gestimmt haben. Sie haben also auch gegen die EU gestimmt, der sie doch einiges zu verdanken haben (so wie umgekehrt die EU auch der Schweiz einiges zu verdanken hat, etwa die Transitmöglichkeiten über die Alpen). Die Verträge mit der EU enthalten das „Guillotine-Prinzip“, mit dem sichergestellt werden soll, dass die Schweiz sich nicht nur die Rosinen aus dem gemeinsamen Potenzial herauspickt. Anders ausgedrückt: Fällt die Freizügigkeit, dann fällt auch die Anbindung an den EU-Wirtschaftsraum. Auch ist der Schweizer Franken eng an den Euro gebunden.

Die Entscheidung der Schweizerinnen und Schweizer war ganz offensichtlich einfach dumm. Da wurden bei einem Teil der Wahlberechtigten nicht Argumente gegeneinander abgewogen, sondern Ressentiments, da wurde einem Unbehagen ein Ventil verschafft, das sich sonst an Stammtischen artikuliert. Da hat nicht Vernunft den Ton angegeben, sondern Populismus. Das ist der Grund dafür, warum ich kein Freund von direkter Demokratie bin. Durch meine eigene Biographie habe ich die Macht der Mehrheitsgesellschaft schon sehr unangenehm am eigenen Leib zu spüren bekommen. Und die Populisten haben überall in Europa Aufwind, auch in Deutschland.

Die Schweizer haben ein Beispiel dafür gegeben, dass Menschen verführbar sind. Die Deutschen, da bin ich mir sicher, sind darin kein Stück schlechter.

Prof. Hermann Hofer aus Marburg fasst uns erstmal an die eigene Nase:

„Am Pranger ist noch ein Platz frei. In Deutschland gibt es nur eine Handvoll ausländischer Profs auf Lebenszeit. Solche Stellen sind nämlich Deutschen vorbehalten. In Marburg, wo heute wie schon immer kein einziger Franzose als Lebenszeitprofessor lehrt, gibt es einen kaum messbaren ausländischen Professorenanteil. Die Uni-Präsidentin Marburg verweigert jedes Gespräch darüber, ebenso die Hochschulrektorenkonferenz. Die wenigen ausländischen Hochschullehrer sind einschneidenden Benachteiligungen (Rente/Pension) ausgesetzt. Drei Vorgänger der Uni-Präsidentin Marburg haben sich grundsätzlich gegen Ausländer auf deutschen Lehrstühlen ausgesprochen. Wozu diese Abschottung führt, ist hinlänglich bekannt: In den internationalen Rankings figuriert keine deutsche Uni vor Rang 50. In Deutschland gibt es zwei französische Professoren/-innen für das Fach Französisch. Ausländerbeauftragte kennt Deutschland aus den genannten Gründen nicht. Mangels Ausländern eben! Das Thema ist tabu. In der Schweiz sind 3O bis 50 Prozent aller Ordinarien Ausländer.“

Jürg Walter Meyer aus Leimen meint, dass die Schweiz mit der EU-Ablehnung gut gefahren sei:

„Mehr als die Hälfte (56,5 Prozent) aller stimmberechtigten Schweizerinnen und Schweizer hat am Sonntag an den Abstimmungen teilgenommen. Einmal mehr haben sie an der Urne den Kurs ihres Landes bestimmen können. Die Bestrebungen von Religiösen und Konservativen (O-Ton von „SRF“) den vernünftig geregelten Schwangerschaftsabbruch mit der Forderung zu belasten, er dürfe nicht mehr von den Krankenkassen bezahlt werden, ging eindeutig bachab – 70 Prozent der Abstimmenden sagten „Nein“ zu dieser Initiative. Hingegen ist die „FABI“-(Finanzierung und Ausbau der Bahn-Infrastruktur-)Vorlage, die einen weiteren Ausbau des nationalen Schienennetzes und dessen Finanzierung regelt, von 62 Prozent der Abstimmenden angenommen worden.
Vor allem interessiert sich das Ausland für den Ausgang der Abstimmung über die Initiative der konservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) „Stopp der Masseneinwanderung“. Haarscharf haben die Abstimmenden diese mit 50,3 Prozent „Ja“ angenommen, obschon der Bundesrat und die eidgenössischen Räte die Vorlage zur Ablehnung empfohlen hatten, obschon auch alle übrigen Parteien von links bis rechts, ebenso wie die Arbeitgebervereinigungen und die Gewerkschaften die „Nein“-Parole ausgegeben hatten.
Wir erinnern uns: 1992 – an der Abstimmung über einen Beitritt zum EWR hatten über 78 Prozent der Stimmberechtigten teilgenommen. Auch damals war die in Deutschland als „rechtspopulistisch“ apostrophierte SVP auf sich allein gestellt gewesen. 50,3 Prozent der Abstimmenden hatten die Vorlage abgelehnt, die die Vorstufe zu einem EU-Beitritt hätte sein sollen. Mit diesem Entscheid ist die Schweiz gut gefahren.
Es gibt kein Land in Europa außer der Schweiz, in dem der Ausländeranteil 24 Prozent beträgt (Deutschland, 2012: acht Prozent). Rund die Hälfte sind Menschen aus den EU-Staaten. Vergleicht man den Wandergewinn der Schweiz von 80 000 Menschen pro Jahr mit der Situation in Deutschland, so müssten, um die Proportionen zu wahren in Deutschland jährlich 800 000 Menschen mehr ein- als ausreisen.
Jetzt heißt es abwarten: Der Bundesrat und die eidgenössischen Räte haben nun drei Jahre Zeit, aus dem neuen Verfassungstext ein Gesetz zu gießen. Der Initiativtext lässt einen beträchtlichen Spielraum offen. Er enthält auch ein Notventil. Bis zu einem auch vom Volk akzeptierten Gesetz (Referendum) hat die EU mit der Kündigung der bilateralen Verträge zu warten. Zudem: Verschiedene westeuropäische Regierungsmitglieder haben schon vor der schweizerischen Abstimmung Kritik an der Personenfreizügigkeit innerhalb der EU geübt – etwa der britische Premier David Cameron. Auch in Deutschland haben gewichtige Politiker Vorbehalte angebracht. Neuverhandlungen – „Nachjustierungen“ wie bei der Energie-Wende – sind jetzt eine Option.
Einmal mehr zeigt sich, dass die in Deutschland so beliebten Umfragen absolut unzuverlässig sind: Aus den Umfragen ergab sich ein „Ja“-Anteil von weniger als 40 Prozent. Die Umfragen prognostizierten also eine eindeutige Ablehnung der Vorlage. Umfragen sind Momentaufnahmen, unverbindlich, je nach Thema will man sich auch bedeckt halten.“

Rasmus Ph. Helt aus Hamburg findet:

„Das Brüsseler Säbelrasseln kann nicht überzeugen und zeugt einmal mehr von mangelnder Selbstreflexion. Denn erstens steht die Schweiz mit ihrer Skepsis gegenwärtig in Europa keineswegs alleine dar, da zum Beispiel Lettland bei einer demokratischen Volksabstimmung mit großer Wahrscheinlichkeit die Einführung des Euro in diesem Jahr abgelehnt hätte. Und zweitens gibt es bereits seit längerem das insbesondere von Angela Merkel und ihrem Außenminister ignorierte Problem, dass sich gerade in den kleineren Ländern die Bürger von den großen EU-Staaten in wesentlichen Fragen zur Zukunft des Integrationsprozesses übergangen fühlen. Weswegen das populistische Votum vor allem eine Herausforderung für das politische Berlin bedeutet. Zumal man hier durch seine Passion für den Niedriglohnsektor die Hauptverantwortung für die mittlerweile äußerst vielen deutschen Fachkräfte in der Alpenrepublik trägt!“

Sigurd Schmidt aus Bad Homburg:

„Die Reaktion auf das Ergebnis des Schweizer Referendums sollte in den Nachbarländern der Schweiz eher gemäßigt ausfallen. Auch in Deutschland gibt es eine Grundwelle beträchtlicher Skepsis, vor allem geschürt durch die bayerische CSU. Die Ressentiments in der Schweiz vor „Überfremdung“ und zu viel „Verdichtung“ richten sich allerdings nicht so sehr auf die Zuwanderung in die schweizerischen Sozialsysteme, sondern auch auf qualifizierte Fachkräfte und Akademiker. Die helvetische „Alpenfestung“ hat nun einmal ein gewisses Abschottungsbedürfnis gegenüber fremden „Vögten“.
Viel wichtiger als das Hochlegen der Messlatte für Zuwanderung ist doch die Tatsache, dass das Schweizer Bankgeheimnis inzwischen faktisch obsolet geworden ist. Die Schweiz hat sich insbesondere US-amerikanischem Druck beugen müssen, dass es andere Länder nicht mehr hinnehmen, wenn ihr Steuersubstrat durch die Praktiken der Einwerbung von Schwarzgeld in den Schweizer Finanzplatz verkürzt wird. Die Schweiz muss ihr Rechtsverständnis gegenüber anderen Nationen grundsätzlich überprüfen. Das ist das eigentliche Problem der Schweiz und betrifft besonders ihr Verhältnis zu Europa!“

Marcel Vonesch aus Regensberg (CH)

„Ihr Artikel verschweigt mehr Tatsachen als er mitteilt: Es sind nicht nur „Schweizer“, welche unsere Züge füllen sondern auch ganz viele neue Schweizer. Wir haben eine 23 Prozent Einbürgerungsquote. Wir haben auf sieben Mio. Einwohner 80 000 Zuwanderer pro Jahr. Stellen Sie bitte diese Zahlen in Relation mit Ihren deutschen Verhältnissen, evtl. wäre da auch ein wenig Verständnis angebracht. Kleines Detail: Wir haben am selben Wochenende auch über den Ausbau der Bahninfrastruktur abgestimmt und mit überwältigendem Mehr einen Milliardenkredit bewilligt. Und im Übrigen haben wir lediglich der Regierung den Auftrag erteilt nach Lösungen zu suchen – bestimmt ist noch gar nichts.“

Erwin Chudaska aus Rödermark:

„Warum machen wir hier bei uns nicht auch eine Volksbefragung? Vorweg: Ich war für drei Jahre in arabischen und afrikanischen Ländern, um dort zu arbeiten. Ein Gast geht irgendwann wieder in seine Heimat. Im Großraum Frankfurt/M. etwa sind die Zustände der Zuwanderung mittlerweile unzumutbar. Massenhaft Zuwanderer, die nicht als Verfolgte gelten, machten sich auf in das „gelobte Land Germany“, um hier auch massenhaft die Sozialkassen zu plündern. Nein, ich kann die schon dummen Äußerungen etlicher Kirchenvertreter oder anderer „Gutmenschen“ nicht mehr hören. Für mich als Christ gilt: Ich flüchte nicht einfach vor den Herausforderungen in meinem Herkunftsland. Die überwiegende Zahl der Zuwanderer aus Afrika sollte schnellstens die Heimreise antreten und mit Fleiß und Ideen-Reichtum in ihrem Herkunftsland „anpacken“. Unsere Bundesrepublik wurde von der Generation meiner Eltern aus Kriegstrümmern wieder aufgebaut. Ganz toll – aber nicht als Auffangland für Träumer und Realitätsflüchtlinge. Folteropfern etwa oder verfolgten Christen sollte unser Land nach eingehender Prüfung offenstehen. An die Schweizer mein Glückwunsch! Sie haben es auch der EU gezeigt, deren Bürokraten schon etliche Beschlüsse fassten, die dann eher den EU-Mitgliedsländern schadeten.“

Hans-Henning Flessner aus Würenlos (CH):

„Was mir auffällt ist, das sich viele Leute zu dieser Abstimmung äußern, obwohl sie den Text vermutlich gar nicht gelesen haben. Er ist nicht sehr lang. Warum veröffentlicht man ihn nicht einfach?
Was mir aber wichtiger erscheint als der Text, sind die Hintergründe, die zu dieser Abstimmung geführt haben. In der Schweiz gibt es eine Partei SVP, die finanziert von dem Grossindustriellen Christoph Blocher seit zwanzig Kampagnen gehen die EU und Ausländer fährt. Sie hat damit immer mehr Erfolg. Vor einigen Jahren erhielt sie nur vom „Blick“, der schweizerischen Bildzeitung und der Weltwoche des aus deutschen Talkshows wohlbekannten Herrn Köppel Unterstützung. Inzwischen liest man fast jeden zweiten Tag auch im Zürcher Tagesanzeiger, der eher der FR nahe steht oder stand, welche Probleme doch die Ausländer machen. Die sehr ausgeprägte Konsenskultur sorgt dafür, dass auch Meinungen wie „Schweizer Arbeitsplätze für Schweizer“ als diskutabel gelten.
Während man in Deutschland Parteien am rechten Rand ausgrenzt, findet eine derartige Ausgrenzung in der Schweiz nicht statt. Die Konsenskultur ist nach meiner Meinung historisch begründet, weil man sonst das Land mit seinen unterschiedlichen Kulturen nicht über Jahrhunderte hätte zusammenhalten können.
Die Deutsch-Schweizer haben ein seltsames Verhältnis zu Deutschland. Sie sind extrem auf Deutschland fixiert. Man vergleicht die Schweiz nicht mit Österreich, was ja wegen der Größe und geographischen Lage viel näher liegen würde, sondern immer mit Deutschland. In alle Schweizer Kabelnetze wird deutsches Fernsehen eingespeist (übrigens ohne Gebühren zu zahlen), was dazu führt, dass der Marktanteil des Schweizer Fernsehen bei 30 Prozent stagniert. Viele Deutsch-Schweizer glauben, dass sie Deutschland sehr gut kennen, weil sie viel deutsches Fernsehen sehen und was sie im Deutschen Fernsehen sehen, sind meistens Missstände. Ein Fall von selektiver Wahrnehmung.
Zusätzlich fühlen sich viele Schweizer Deutschen unterlegen und das liegt an der Sprache. Schweizer sprechen eigentlich nie Hochdeutsch. Sie lernen Hochdeutsch als erste Fremdsprache in der Schule. Bis vor kurzem wurde nur der Deutschunterricht in Hochdeutsch gehalten, Mathematik im Dialekt. Während viele Deutsch-Schweizer in einer Diskussion noch im Kopf am Übersetzen vom Dialekt zum Hochdeutschen sind, redet der Deutsche frisch drauf los. Man kann dies oft beobachten, wenn Lokalpolitiker Reden im Dialekt halten, die sie sich vorher in Hochdeutsch aufgeschrieben haben.
Wenn man von der EU spricht, meint man in der Deutsch-Schweiz eher Deutschland. Dieses Minderwertigkeitsgefühl gemischt mit einer jahrelangen Kampagne hat dann zu diesem Ergebnis geführt. In meiner Sicht war es auch eine Abstimmung gegen Deutschland bzw. Deutsche. Es wurden von den Medien auch noch ein paar Begründungen mitgeliefert, wie zum Beispiel der „Dichtestress“, die gerade Schweizer in Ballungsgebieten spüren.
Wenn man sich die Ergebnisse ansieht, dann stellt man fest, dass in den großen Städten wie Zürich, Basel oder Wintertur, wo viele Ausländer wohnen, die Initiative abgelehnt wurde. Etwas was man aus Deutschland auch kennt. Die größten Ausländerfeinde wohnen in Gegenden, wo es kaum Ausländer gibt.
Ich glaube, dass die SVP über das Ergebnis im Geheimen nicht ganz glücklich ist. Eine knappe Niederlage wäre für sie viel besser gewesen. Dann hätte man bereits die nächste Kampagne starten können. Das schlimmste, was der SVP passieren kann, ist das es keine Ausländer mehr gibt. Dann geht ihr wichtigstes Kampagnen-Thema verloren. Wenn man sich den Text ansieht, dann fällt auf, dass er sehr vage gehalten ist. Die SVP hat der Industrie bereits vor der Abstimmung öffentlich zugesagt, dass alle Ausländer, die die Wirtschaft braucht, kommen dürfen. Von daher wird sich an der Einwanderung wahrscheinlich nichts ändern. Geschickter weise hat man die Möglichkeit der Begrenzung des Familienzuzug hinein geschrieben. Wenn ein Ausländer dagegen beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (übrigens kein EU-Gericht) klagt und wahrscheinlich gewinnt, wird das gern von der SVP unter dem Thema „Keine fremden Richter“ für eine Kampagne aufgenommen. Nächstes Jahr wird es noch eine weitere Initiative geben, die die Einwanderung auf 0,2 Prozent fixieren will. Das wären 16000 Personen. Die maximale Zuwanderung in den letzten Jahren betrug 80000 Personen. Ich vermute, dass diese Kampagne von der SVP nicht richtig unterstützt wird. Wenn Zahl nicht fixiert ist, kann man immer gegen die Regierung (der man selbst angehört) polemisieren. Wenn die Zahl aber fixiert ist, ist das Thema erledigt und viele andere Themen hat die SVP nicht. Ich habe immer von der Deutsch-Schweiz geschrieben, weil die Verhältnisse in der französisch-sprachigen Schweiz (Romandie) vollkommen anders liegen. Dort wird die Initiative nicht nur in den Städten, sondern auch auf dem Land abgelehnt. Der Romand ist stolz darauf, die Sprache Molières zu sprechen (der Bundespräsident, ein Romand, hat es gerade wieder betont). Der Deutsch-Schweizer spricht Dialekt und nicht die Sprache Goethes.
Die ersten Spannungen hat es bereits gegeben. Auf Kritik von Romand hat Christoph Blocher den Sinne nach geäußert, dass die Romand noch nie richtige Schweizer waren. Der Präsident der SP (auch ein Romand) hat vorgeschlagen, dass die Kontingente nach Abstimmungsergebnis verteilt werden. Wer gegen Ausländer gestimmt hat, kriegt auch keine.
Ich denke, sich nach einigen Tagen die Aufregung gelegt hat. Es wird wahrscheinlich einige Zeit nichts passieren. Die SVP hat mit Absicht 3 Jahre Frist zur Umsetzung vorgesehen. Weitere 3 Jahre Zeit das Thema zu bearbeiten. Für die Ausländer, die bereits in der Schweiz sind, ändert sich übrigens nichts.
Vielleicht sind meine Einschätzungen auch selektiver Wahrnehmung geschuldet, da ich bereits 18 Jahre in der Schweiz lebe, aber mit dem festen Vorsatz spätestens in zwei Jahren in die EU zurückzukehren.“

Roland Klose aus Bad Fredeburg:

„Den Schweizer Volksentscheid gegen die Massenzuwanderung hat Deutschland und die EU scharf kommentiert und kritisiert. Im Gegenzug fordern namhafte Politiker, darunter Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD), Konsequenzen gegenüber der neutralen Schweiz, die von direkter Demokratie geprägt wird. Ein Volk soll für seinen Volkswillen bestraft und sanktioniert werden und zwar mit: Aussetzung von „Horizon 2020“ und „Erasmus“, Einschränkung des privilegierten Zugangs der Schweizer zum europäischen Binnenmarkt und die Aufhebung der Freizügigkeit der Schweizer Staatsbürger innerhalb der EU.
Fast gleichzeitig erklärt US-Präsident Barack Obama völlig undemokratisch und im Alleingang gegenüber Frankreichs Staatspräsidenten Hollande bei seinem Besuch im Weißen Haus in Washington, dass es kein No-Spy-Abkommen mit Deutschland und der EU geben wird. Hollande dankt daraufhin Obama für sein Vertrauen und erklärt die sogenannte NSA-Affäre wie einst Ex-Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU) für beendet. Und wie reagieren die ranghohen Politiker aus Deutschland und der EU auf diese klare Absage Obamas? Überhaupt nicht. Keine Androhung von Sanktionen, wie z. B. das US-Freihandelsabkommen (TTIP) platzen zu lassen. Warum?
Unsere GroKo (Große Koalition = Großes Kotzen) und die EU haben keinen Arsch in der Hose: Angst vor den mächtigen und großen USA, aber dafür immer auf die Kleinen – die friedliebenden Bürger der Alpenrepublik Schweiz. Das ist die Logik des „alten Europas“, das sich nicht wirklich einheitlich und mehrheitlich gegenüber der Supermacht USA behaupten und durchsetzen kann. Ich schäme mich für unsere feigen Politiker!“

Dr. Dieter Becker aus Frankfurt:

„Die Abwehr der Schweiz gegen die Zuwanderung „qualifizierter Arbeitskräfte“ (andere haben dort wie auch bei uns nichts verloren) weist auf ein Problem hin, das in der Freizügigkeitsdebatte nicht berücksichtigt wird: Die Kehrseite ist nämlich, dass jeder Zugewinn auf der Seite des Einwanderungslandes einen Verlust auf der Seite ist Auswanderunglandes darstellt. Allein in der Schweiz besetzen junge deutsche Ärzte ein Viertel der Krankenhausstellen. Sie haben ihre hervorragende und kostspielige Ausbildung mit Subvention aus Steuermitteln des deutschen Staates erworben. Sollte man da nicht erwarten, dass sie sich dem Heimatland verpflichtet fühlen und es nicht zu dem beklagten Ärztemangel, vor allem auf dem Land, aber auch schon in Kleinstädten, kommen lassen? Nun kann Deutschland es sich leisten, den Verlust durch Anheuern von Ärzten aus ärmeren Ländern auszugleichen. Aber was geschieht dort? Deren Gesundheitssystem bricht zusammen. Das sollten sich die Verantwortlichen, an oberster Stelle die Politiker, verdeutlichen, wenn sie qualifizierte Arbeitskräfte willkommen heißen. Wir machen uns schuldig, indem wir durch eine solche Ein- und Auswanderungspolitik letzten Endes die Ärmsten treffen. Ich habe die Berufsgruppe der Ärzte herausgehoben, weil an sie der höchste ehtische Anspruch gestellt werden muss. Aber auch andere „hochqualifizierte Berufe“ haben Verantwortung ihrem Vaterland und anderen Ländern gegenüber. Wenn sie sich der Entwicklungshilfe – und hierfür gäbe es in Rumänien und Bulgarien genug Gelegenheit – zur Verfügung stellten, wäre das eine gute Sache. Die Schweiz braucht das nicht.
Der persönliche und gesellschaftliche Egoismus muss ein Ende finden. Wenn Europa so weitermacht, verliert es seinen moralischen Anspruch. Wir dürfen Fortschritt nicht mit Wohlstand (den es in Zukunft ohnehin nur für eine Minderheit geben wird) verwechseln. Was uns auszeichnen sollte, ist, den in Europa geborenen humanen Gedanken zu fördern und friedlich weiterzutragen.“

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45 Kommentare zu “Das Problem der Schweizer

  1. Ja, Bronski, die Schweizer haben ein Beispiel dafür gegeben, dass Menschen verführbar sind. Die Deutschen, da sind wir uns einig, sind darin kein Stück schlechter.“
    Da ich weder Bild lese noch „Verdummungssender“ höre und sehe, kann ich nur ahnen, warum sich auf einmal Menschen hier, 1000 km von der Schweiz entfernt, plötzlich so ereifern und lauthals Statements abgeben, über die sich die 50,6 Schweizer freuen würden…Es ist offensichtlich, dass die hiesigen „Verführten“ Nahrung für ihr (angeheiztes) Wunschdenken bekommen: Ausländer raus… Es sind oft Menschen, die einen ( nicht von Konkurrenten bedrohten)Arbeitsplatz haben, an dem sie aber getreten, entmündigt, ausgebeutet werden und meinen, sich nicht wehren zu können. Also wird so ein anonymer Buhmann („der Ausländer“, der uns den Arbeitsplatz wegnehmen will) ein geeigneter Blitzableiter für ihren Frust. Wie würde wohl das Ergebnis einer deutschen Volksbefragung aussehen? Ich mag ’s nur fröstelnd ahnen…
    vor allem nach der Lektüre des Kommentars von Erwin Chudaska aus Rödermark.
    Herr Chudaska, Sie haben, wie Sie schreiben, drei Jahre in arabischen und afrikanischen Ländern gearbeitet.Ich bin erschüttert, mit welcher pauschalen Verachtung Sie über Menschen, in deren Ländern Sie „Gast“ waren, richten. Für Sie sind es „nur“ Folteropfer und verfolgte Christen, die „nach eingehender Prüfung“ „im gelobten Land Germany“ als hier lebenswürdige Menschen zählen. Mir ist ein toleranter, mitmenschlicher Ungläubiger weniger suspekt als ein sogenannter Christ.

  2. hier der wichtige Teil des Abstimmmungstextes:
    1 Die Schweiz steuert die Zuwanderung von Ausländerinnen und Ausländern eigenständig.
    2 Die Zahl der Bewilligungen für den Aufenthalt von Ausländerinnen und Ausländern in der Schweiz wird durch jährliche Höchstzahlen und Kontingente begrenzt. Die Höchstzahlen gelten für sämtliche Bewilligungen des Ausländerrechts unter Einbezug des Asylwesens. Der Anspruch auf dauerhaften Aufenthalt, auf Familiennachzug und auf Sozialleistungen kann beschränkt werden.
    3 Die jährlichen Höchstzahlen und Kontingente für erwerbstätige Ausländerinnen und Ausländer sind auf die gesamtwirtschaftlichen Interessen der Schweiz unter Berücksichtigung eines Vorranges für Schweizerinnen und Schweizer auszurichten; die Grenzgängerinnen und Grenzgänger sind einzubeziehen. Massgebende Kriterien für die Erteilung von Aufenthaltsbewilligungen sind insbesondere das Gesuch eines Arbeitgebers, die Integrationsfähigkeit und eine ausreichende, eigenständige Existenzgrundlage.
    4 Es dürfen keine völkerrechtlichen Verträge abgeschlossen werden, die gegen diesen Artikel verstossen.

  3. Herrn Flessner ist zuzustimmen.
    Die SVP hatte wahrscheinlich gar nicht eine Annahme des Referendums erwartet und dürfte jetzt mit der Umsetzung desselben Probleme bekommen.
    Das reflexartige Getöse diverser EU-Politiker verbunden mit Androhungen aller Art gegen die Schweiz lässt eigentlich nur erkennen, was sie vom Votum eines Souveräns halten. Nämlich, wenn es ihnen nicht in den Kram passt, nichts.
    Viel angemessener wäre es, erst einmal abzuwarten, wie die Schweiz das Referendum umsetzen wird. Es ist doch noch gar nichts konkret entschieden. Da kann auf dem Verhandlungswege noch etliches austariert werden. Siehe auch 2 # Henning Flessner.

    Schließlich sollte nicht übersehen werden, dass die Schweiz ab etwa dem Jahr 2000 einen Bevölkerungsanstieg von etwa einer Million zu verzeichnen hatte. So stieg die Einwohnerzahl von etwa 7 Millionen auf 8 Millionen. Umgerechnet auf Deutschland entspräche das einem Anstieg von etwa 80 Millionen auf 91 Millionen. Es stellt sich die Frage, ob das in Deutschland nicht auch zu ähnlichen Überlegungen wie in der Schweiz geführt hätte.

    Die stärkste Zustimmung zum Referendum mit etwa 70% gab es im Tessin, wo Italiener auf Arbeitssuche sind und den Einheimischen Konkurrenz machen.

    Der hohe Anteil deutscher Ärzte in der Schweiz hat vor allem zwei Gründe.
    Erstens eine wesentlich bessere Bezahlung.
    Zweitens menschenwürdigere Arbeitsbedingungen in den Kliniken.

  4. Das Ziel dieser Abstimmung ist und bleibt, die Freizügigkeit in der CH zu regulieren.
    Über Abschottung oder gar Fremdenfeindlichkeit kann man in der Schweiz gar nicht abstimmen (= ungültige bzw. Völkerrechtlich nicht vertretbare Vorlage – auch dafür gibt es in der CH ein Gesetz) und das ist auch richtig so !!! Das dieses Abstimmungsergebnis auf eine solch grosse Resonanz in der gesamten EU stossen würde, war für mich sehr unterwartet. Rechtsradikale Kräfte wittern dort eine Chance. Ich finde das sehr gefährlich und wünschte, dass die EU und vor allem die verschiedenen Nationalstaaten hier gegensteuern (klug, kompetent, sachlich und einfühlend). Hier in der Schweiz wünsche ich mir, dass wir uns gegenüber unseren Mitbürgern ohne Schweizer Pass solidarisch zeigen. Diese Initiative muss glaubwürdig diskutiert und umgesetzt werden. Die Idee ist, die NEUE Zuwanderung vernünftig zu regulieren. Die Idee ist nicht, dass sich im Umgang mit ausländische Mitbürger, Grenzgänger, Asylanten, Gästen etc. etwas ändert. Ich habe diese Initiative befürwortet, weil ich ein Problem sachlich gelöst haben möchte und wir hier ein anderes Konzept benötigen. Gegen eine tendenz zu rechts radikalem Verhalten oder Untoleranz werde ich mich auf jeden Fall wehren. Liebe Schweizer, wir wollen keine Abschottung sondern eine autonome und humane Regulierung der zusätzlichen Zuwanderung. Dieser Gedanke darf nicht verwässert werden, aus keiner Richtung (weder von links noch rechts – ob vom In- oder Ausland). Wenn Ihr auch so denkt, dann zeigt das bitte auch. Klarheit in den Aussagen und im Verhalten. Seht Ihr das auch so ?

    Mit deutschen Kollegen sollten wir, jetzt, wo der ganze Presselärm langsam leiser wird, das Gespräch suchen. Sie dürfen nicht das Gefühl bekommen, hier nicht willkommen zu sein. Wir nehmen unsere Gefühle und Wahrnemungen ernst und müssen auch die unserer deutschen Mitbewohner ernst nehmen. Interessant finde ich im Übrigen die unterschiedlichen Reaktionen der Deutschen (zweitgrösste Migrationsgruppe) gegenüber den der Italienern (grösste Migrationsgruppe). Während aus Deutschland kontrovers diskutiert wird, hört man aus der italienischen Seite relativ wenig. Hier vermute ich ein erhöhtes Angstpotential, auf das vor allem die deutschschweizer Seite beruhigend und vertrauensbildend entgegengewirkt werden kann (kleinere Sprachbarriere). Macht doch Sinn – oder?

  5. @ Bronski

    „196 Einwohner pro Quadratkilometer hat die Schweiz. Eng? Deutschland hat 226 Einwohner pro Quadratkilometer.“

    Nicht zufällig nennt man die Schweiz Alpenrepublik. Die besiedelbare Fläche ist auf Grund der Topografie des Landes eine andere als in D. Deshalb ist diese Zahl nur bedingt aussagekräftig. So liegt etwa die Hälfte der Fläche der Schweiz über 1000 Meter. Zwei Drittel der Schweizer leben auf etwa einem Drittel der Landesfläche. Dort liegt die Einwohnerdichte bei 426 Personen je Quadratkilometer. Also etwa doppelt so hoch wie in D.

    Deshalb, lieber Bronski, könnte man Ihre Zahl als politisch tendenziöse Aussage werten.

  6. @ 4.

    Lieber Rudi,

    wenn man anstelle der Horizontalen mit „Fläche“ Oberfläche veranschlagt, sieht es shcon besser aus!

    Spaß beiseite, Flächenäquivalente sind natürlich nur dann in der Gegenüberstellung statthaft, wenn die besiedelbare Fläche verglichen wird.

    Und um „Brüssel“ als Lösung für schweizer Probleme anzuführen, benötige es schon sehr sonderbaren Humor. Nur gut das die dort vertretenen Politikerdarsteller keine Züge von Populismus oder Hang zur persönlichen Vorteilsnahme aufweisen?

    Das auch schweizerische Entscheidungen nicht ohne nutzen z.B. für die innere Sicherheit (der Schweiz)sein können zeigt dieses Beispiel:

    in Artikel 12

    http://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20081148/index.html

    Und bisher habe ich in der ganzen, irgendwie künstlich aufgeregten, Disksusion auch nur Sprüche und Behauptungen aber eben noch keinen methodisch sauberen Nachweis für die angebliche Populismusempfindlichkeit, von Definitionen ganz zu schweigen, zu dem Thema gelesen!

    Und wenn schon die Religion bemüht wird, wie hoch ist doch gleich der Anteil muslimischer Straftäter in Schweizer Gefängnissen?
    Wohl um die 74%, wobei das eigentlich nur ein Hinweis auf das Vorhandensein einer besonderen sozialen Schichtung hindeutet. Die Mehrheit der 74% hat schließlich nie versucht die Religionszugehörigkeit als Rechtfertigungstatbestand für eine Straftat anzuführen, von vereinzelten fundamentalistischen Ärgernissen abgesehen.

    KM

  7. Lieber Herr Bronski, mit nachfolgender Äußerung machen Sie es sich etwas zu einfach:
    „Fällt die Freizügigkeit, dann fällt auch die Anbindung an den EU-Wirtschaftsraum. Auch ist der Schweizer Franken eng an den Euro gebunden.“
    Das riecht ein wenig nach Populismus, von der umgekehrten Art. So nach dem Motto: „Und bist Du nicht willig, so brauch ich Gewalt.“ Mit dieser Einstellung missachtet man ein Referendum, das von allen politischen Kräften in der Schweiz – ausgenommen die SVP – auf das Heftigste bekämpft wurde.

    Es sei auf die wichtige Information zu bewohnbaren Fläche von 5 # Rudi hingewiesen. Das ist ein entscheidender Punkt, der keineswegs unterschlagen werden sollte. Die Schweiz besteht vielerorts nur aus engen Tälern.

    Ferner:
    „Die Entscheidung der Schweizerinnen und Schweizer war ganz offensichtlich einfach dumm. Da wurden bei einem Teil der Wahlberechtigten nicht Argumente gegeneinander abgewogen, sondern Ressentiments, da wurde einem Unbehagen ein Ventil verschafft, das sich sonst an Stammtischen artikuliert.“
    Ich glaube, Herr Bronski, Sie machen es sich ein wenig zu einfach, die Schweizer und Schweizerinnen fast reflexartig zu verurteilen. Vielmehr müssten das spürbare Unbehagen und ihre Sorgen ernst genommen werden.
    Hier sei der Hinweis auf den Beitrag 2 # von Herrn Flessner hingewiesen. Zudem ist noch gar nichts konkret entschieden worden, deshalb wirken alle reflexartigen Reaktionen irgendwie künstlich und vorab einstudiert.

    Die Schweiz ermöglicht nicht nur einen Transitverkehr über die Alpen per PKW, LKW und Eisenbahn, sondern stellt auch Stromtrassen zur Verfügung. Für den europäischen Stromverbund. Nicht genug damit, sie verfügt auch über Speicherseen, ohne deren Nutzung die deutsche Energiewende zurzeit nicht realisierbar ist.

    Das von Ihnen angesprochene Problem namens „Brüssel“ beschränkt sich nicht auf die Schweiz. Brüssel (die EU-Kommission) besitzt keine demokratische Legitimation, es wird alles den Europäern vorgeschrieben … von oben herab. Dass sich dann irgendwann ein Unbehagen äußert, sollte eigentlich nicht überrraschen.
    Es entsteht der Eindruck, dass Brüssel mitunter realitätsferne Entscheidungen von erheblicher Tragweite trifft bzw. unterstützt. Gleiches gilt für unsere Regierungen egal ob SPD- oder CDU/CSU-geführte.
    Wenn sich dann Unmut artikuliert, wird die Populismuskeule bemüht, um dem Unmut zu begegnen. Hier wäre eine differenziertere Betrachtungsweise angebracht.

  8. Bronski

    „Dagegen hatten alle Regierungsparteien und Wirtschaftsverbände die Werbetrommeln für die Ablehnung der Initiative gerührt, begründet unter anderem damit, dass die Wirtschaft die Fachkräfte, die sie braucht, unter den Schweizern nicht mehr findet: Die Schweiz hat das eigene Reservoir an Arbeitskräften ausgeschöpft. Soll ihre Wirtschaft weiter wachsen, braucht sie Zustrom von ausländischen Arbeitskräften.“

    Nicht immer laufen die politischen Probleme entlang des Rechts-Links-Schemas. Gegen Einwanderung zu sein, scheint rechts oder sogar reaktionär zu sein. Man könnte auch das Wirtschaftsargument, das Sie anführen, als rechts bis reaktionär einordnen. Die Argumente der schweizer Wirtschaftsverbände gleichen denen der deutschen. Aber: Einwanderung von Fachkräften bedeutet immer Auswanderung von Fachkräften. Die wirtschaftlich schwächer gestellten Staaten, die ihre Fachkräfte mit ihren Ressourcen ausgebildet haben, müssen nach Ihrer und der Wirtschaftsverbände Thesen hinnehmen, dass die wirtschaftlich stärkeren Länder mit einem höheren Lohnniveau diese Kapazitäten abschöpfen. Das ist kein soziales Denken, das ist Denken in marktradikalen Kategorien.

    Die Wirtschaftsverbände werden immer über Fachkräftemangel klagen, um die Konkurrenz der Arbeitnehmer untereinander zu verschärfen. Nur wer das ständige Wachstum als unumstößliches Gesetz des wirtschaftlichen Handelns voraussetzt, kommt auf diese Konsequenz wie Sie und die Wirtschaftsverbände. Dabei weiß jeder, dass unser Wirtschaftsmodell des steten Wachstums übertragen auf den gesamten Planeten das schnelle Ende der „westlichen“ Lebensbedingungen zur Folge hätte.

  9. Auch ich bin ein gut ausgebildeter Anästesiepflegefachmann. Meine Ausbildung habe ich an der Uniklinik Mainz absolviert.
    Ich hätte nichts dagegen, in der Nähe zu arbeiten. Doch ein Jahr in Frankfurter Kliniken haben mich bewogen wieder in die Schweiz zurück zu gehen. Und solange die Arbeitsbedingungen in unseren Kliniken so sind, wie sie sind, habe ich da auch kein schlechtes Gewissen.
    Es fehlt massiv Personal, es kommt immer häufiger zu Patientengefährdungen, Patienten werden massiv vernachlässigt. Nicht weil wir zu faul sind, sondern weil es zu wenig Personal gibt.
    Als ich vor 30 Jahren meine Ausbildung beendet habe, hat es schon vorne und hinten nicht gereicht. Und dank der „segensreichen“ Tätigkeit von Gesundheitsministerin Schmidt (SPD) wurden 80.000 Stellen abgebaut. Und da soll ich mich „patriotisch“ verhalten und unter miserablen Bedingungen für ca. 1600 € arbeiten?
    In der Schweiz verdiene ich ein Mehrfaches, meine Arbeitsleistung wird akzeptiert und honoriert. In Deutschland putze ich nach fünf Ausbildungsjahren Geräte, in der Schweiz führe ich selbständig Narkosen durch.
    Und alle dramatischen Kommentare über den Fachkräfte-Mangel lenken nur von einem ab: Bezahlt uns endlich anständig, gebt uns die Kompentenzen, die unserer Ausbildung entsprechen, dann wird sich vieles regeln. Doch solange unsere Arbeit nur als „Kostenfaktor“ diffamiert wird, solange wird sich nichts ändern.

  10. @ Rudi
    Ei, hast Du jetzt alle Schubladen durch? Ich finde auch, dass Bronski ein Rechtskonservativer bzw. Marktradikaler ist. Deswegen hat er neulich hier auch Gauck eingekocht und schreibt elf Thesen gegen die Militarisierung der deutschen Aupenpolitik. Und Du bist wohl einer von denen, die noch in der Vor-Tonfilm-Ära hängengeblieben sind, als es nur Schwarz und Weiß gab. Entweder man ist für die Wirtschaft oder gegen sie, nicht wahr? Ich bin für die Wirtschaft! Ich arbeite in der Wirtschaft! Oh je, jetzt muss ich wohl fürchten, als marktradikal beschimpft zu werden … Na gut, dann ist es eben so. Und was bist du dann, Rudi? (…) Passage gelöscht, Anm. Bronski

  11. @ 9.

    Rudi liegt so falsch mit der inhaltlichen Kritik nicht, für einen Bronski-Text ziemlich ungewohnt oberflächlich oder bewußt provokativ?

    Karl

  12. Neulich fragte ich einen Bekannten, der sich in seinen Statements und Selbstverständnis als kritischen linksorientierten Menschen sieht, was er machen würde wenn er im Lotto 1 Millionen gewinnen würde. Er sagte mir er würde die Hälfte des Geldes in Aktien anlegen. Auf die Frage in welche Aktien er denn anlegen würde sagte er mir „in die profitabelste natürlich die der Rüstungsindustrie….“
    Das mal so als Einleitung und dem Gefühl das mich oft beschleicht wenn ich Kommentare zu sozialen Fragen der Weltpolitik und der individuellen Sichtweise des Einzelnen dazu lese. Dem Gefühl, dass jeder letztendlich nur an sich denkt. Da schreibt ein Herr Chudaska, er nennt sich Christ,(dessen Beitrag auch in der FR abgedruckt wurde) er hätte in afrikanischen und arabischen Ländern 3 Jahre gearbeitet und ist dann ganz braver Gastarbeiter wieder zurück gegangen zu seinem Ursprungsland. Und das wünscht er sich auch von dem Gastarbeiter in Deutschland. Er (der Gastarbeiter aus Afrika) solle nicht die Sozialkassen hier plündern, sondern „sollte schnellstens die Heimreise antreten und mit Fleiß und Ideen-Reichtum in ihrem Herkunftsland „anpacken““. Da kann ich nur den Kopf schütteln vor soviel Ignoranz, Unwissenheit und Oberflächlichkeit. 3 Jahre in Afrika zu sein und keine Anregung zum Nachdenken bekommen zu haben wie Armut aussieht, vielleicht auch wie sie entsteht und was sie mit einem machen kann….??
    Da braucht man schon Scheuklappen Herr Chudaska (Hört sich im übrigen auch nach einem Einwanderernamen an….). Das der Mensch und somit auch der Schweizer verführbar ist, kann jeder für sich beim Blick auf die Schokolade, den Tabak, das kleine Bierchen, die Macht, etc bejahen. Das die größten Kritiker der Elche früher selber welche waren ist ja bekannt…… Vielleicht sollten wir schon in der Schule Empathievermögen erlernen, dann könnten wir uns in die Chudaskas dieser Welt genauso reinversetzen, wie in die Schweizer Abschottungsbefürworter, aber auch in die zahllosen Auswanderer und Flüchtlinge. Möglicherweise würde es dann auch weniger Besitzer von Kollateralschadensverursacher-Aktien geben.

  13. @ Pascal

    „Und Du bist wohl einer von denen, die noch in der Vor-Tonfilm-Ära hängengeblieben sind, als es nur Schwarz und Weiß gab.“

    Warum diese Polemik? Ich sehe nicht, dass ich jemanden beschimpft hätte. Auch wenn du dich als Anhänger der Unternehmerschaft gerierst, musst du nicht gleich diese Verbalkeule schwingen. Das macht hier im Blog keinen guten Eindruck. Frag nach bei Bronski.

    Aber: In der Tat sehe ich in unserer Wirtschaftsform eine Dualität zwischen jenen, die die Produktionsmittel besitzen und jenen, die ihre Arbeitskraft verkaufen müssen. Deshalb erstaunte mich, dass Bronski, den ich sonst anders kenne, das Gejammere der Produktionsmittelbesitzer übernommen hat. Vielleicht liegt es auch daran, dass Menschen, die mit dem Verfassen und Publizieren von Texten befasst sind, nicht in Gefahr kommen, von Zuwanderern unter Arbeitsplatzdruck gesetzt zu werden. Das gilt vor allem für jene, die an den Hebeln der veröffentlichten Meinung sitzen und sich für den uneingeschränkten Zuzug aussprechen. Sie sind in ihrer Lebenswelt davon nicht konkret betroffen, weil ihre gesellschaftliche Einbindung auf einer anderen Ebene abläuft. Da kann man sich doch schnell sein Gewissen rein machen, auch wenn eventuell in der Schweiz noch ein paar nicht deklarierte Bankkonten für unversteuerte Zinseinnahmen sorgen.

  14. @Rudi
    Ich verstehe ehrlich gesagt ihre Kritik nicht ganz. Wollen Sie sagen, dass in der Schweiz so abgestimmt wurde, weil die Arbeitnehmer Angst vor ausländischer Konkurrenz haben? Falls ja, wie können Sie das belegen?
    Wir haben heute in Europa und zur Zeit auch noch in der Schweiz als Unionsbürger das Recht einen Wohn- und Arbeitsplatz zu suchen, wo wir wollen. Das mag nicht immer volkswirtschaftlich die beste Lösung sein und zu Problemen führen. Aber sollte die Lösung sein, dieses Recht wieder abzuschaffen? Wer soll entscheiden wo ich arbeiten darf? Der Staat? Der Zufall des Geburtsortes oder des Reisepasses meiner Eltern?
    Was jetzt von der SVP gefordert wird, ist die Wiedereinführung des Wanderarbeiters beschönigend „Saisonnier“ genannt. Sie erhalten eine befristete Arbeitsbewilligung, dürfen ihre Frau und Kinder nicht mitbringen, müssen das Land sofort das Land verlassen, wenn sie ihre Arbeit verlieren, erhalten kein Geld aus der Arbeitslosenversicherung. Es wird Sie vielleicht wundern, aber der Unternehmerverband lehnt das ab.

  15. Ganz vorweg denke ich, dass die Abstimmung der Schweiz ein Armutszeugnis ist und die Zukunft sicher zeigen wird, dass ein Schritt in kulturelle und ökonomische Isolation, nicht der richtige war. Dies jedoch auch für Deutschland zu fordern, halte ich doch für grotesk, denn jeder deutsche Staatsbürger sollte heute mitbekommen, wie er von einer multikulturellen Gesellschaft profitieren kann – wenn er nur bereit dazu ist! Ich empfinde es nun als eine Frechheit, wie sich manche Leser über Zuwanderer anderer Kontinente äußern. Die Forderung eines gewissen Herrn, im Herkunftsland selbst „anzupacken“, anstatt zu flüchten, zeigt für mich den Realitätsverlust. Wir sehen doch an aktuellen Beispielen des arabischen Frühlings, wie schwer es ist, eine stabile und friedliche Lage zu etablieren. Solche „Tipps“ von urteilenden Europäer an Zuwanderer sind nicht nur kontraproduktiv, sondern zutiefst beschämend, für die, die sich auf Flucht in ein neues Land befinden. Dann noch mit christlicher Furchtlosigkeit zu argumentieren, während man es sich schön zu Hause in einer Demokratie gut gehen lässt, ist nicht nur religionsfeindlich, sondern auch intolerant. Ich denke, dass Zuwanderer eine Chance auf eine besseres Leben haben sollten und damit meine ich alle. Besonders vor den politischen Flüchtlingen ziehe ich meinen Hut, denn das sind Menschen, die ich wahrhaftig als furchtlos bezeichnen würde.

  16. @ 15,

    gibt es anstelle unbestimmter Spekulationen und einem tiefen Griff in die Kisten inhaltsloser Schlagworte auch irgendeinen Beleg für Ihre Einschätzungen?

    Genauso oberflächlich dumm könnte ich ja behaupten:“..man sieht ja was herauskommt, wenn in Syrien die Leute selbst anpacken“..“, nur warum sollte ich solchen Unfug verbreiten?

    Zudem ist es der Sachverhaltseinschätzung zuträglich sich nicht nur um Definitionen anstelle von Schlagworten, sondern sich auch um Klarheit hinsichtlich der Terminologie von „Flüchtlingen“ oder „Einwanderern“ zu bemühen.

    Es ist an sich nicht verwerflich eine Einwanderung mit Steuerungsmechanismen zu versehen, solange dagegen im Einzelfall rechtliche Mittel möglich sind!

    Religion hat auf dem Feld der Politik nichts verloren, denn es finden sich immer genug Dummköpfe die bereit sind irrationale Vorstellungen als Rechtfertigungsgrund für Gewalt zu bemühen; QED zum „arabischen Frühling“.
    Zudem nicht vergessen, eine „gewisse Religionsfeindlichkeit“ hat u.a. dazugeführt das man es sich „hier in einer Demokratie gut gehen lassen kann“!

    KM

  17. Henning Flessner #14

    „Ich verstehe ehrlich gesagt ihre Kritik nicht ganz. Wollen Sie sagen, dass in der Schweiz so abgestimmt wurde, weil die Arbeitnehmer Angst vor ausländischer Konkurrenz haben? Falls ja, wie können Sie das belegen?“

    Wie soll ich das belegen? Etwa durch eine Umfrage? Was ich habe, ist ein Blick in die soziale Situation der davon Betroffenen. Es ist ein Unterschied, ob ich in Hamburg an der Elbchaussee wohne, wo die soziale Distinguiertheit hinter jedem Vorhang hervorlugt oder in einem sozialen Brennpunkt:

    „In der Dortmunder Nordstadt leben 54.000 Menschen, fast jeder Zweite hat ausländische Wurzeln, beinahe jeder dritte Erwachsene ist arbeitslos. Armut, Kriminalität, Alkohol und Drogen sind die augenscheinlichen Probleme. Mangelnde Bildung, zerrüttete Elternhäuser und fehlende Alltagsstrukturen sind die Defizite, die die Kinder dieses Viertels auf die schiefe Bahn bringen. Die wenigen, die es bis zum Schulabschluss schaffen, bekommen laut Statistik auch eine Lehrstelle, doch die meisten schmeißen wieder hin. Der Stadtteil ist ein sozialer Brennpunkt, wie es ihn in fast jeder Großstadt Deutschlands gibt.“ (Der Spiegel, 2008)

    Man kann die Situation dieser Menschen doch einigermaßen nachvollziehen. Und nun reden Politiker und die Vertreter der sozialen Oberschicht Zuwanderer herbei. Dass insbesondere in der unteren Mittelschicht Ängste vorhanden sind, in eine ähnliche Lage hineingezogen zu werden, dürfte auf der Hand liegen. Die Probleme der sozial Benachteiligten werden nicht ausreichend wahrgenommen. Im Gegenteil, sie verschlimmern sich. Dass deshalb die Neigung, sich von der bürgerlichen Politik abzuwenden, immer größer wird und gleichzeitig rechte Dumpfparolen Anklang finden, lässt sich logisch zusammenfügen. Ein Blick in die Randbezirke der französischen Hauptstadt mit offenen Massengewaltausbrüchen ist, denke ich, auch ein Beleg.

    Albrecht Müller (Nachdsenkseiten, 14.02.2014) hat auf die Schweiz bezogen, den Sachverhalt so beschrieben:

    „Man kann aus unterschiedlichen Motiven gegen einen unkontrollierten Zuzug sein, wie das in dem Volksentscheid der Eidgenossen sichtbar wurde: aus Fremdenfeindlichkeit, aus Sorge um den Zugriff der Zuwandernden auf Sozialleistungen, aus Angst um den eigenen Arbeitsplatz, um die Höhe des Lohnes und der Miete. Ist diese Angst, nämlich um Arbeitsplatz, Lohn und die Verfügbarkeit einer bezahlbaren Wohnung zu haben, nicht legitim? Das betrifft Menschen und Familien, die am unteren Ende der Ausbildungs- und Lohnskala stehen, und oft auch schon, besonders in städtischen Ballungsräumen, solche aus dem so genannten Mittelstand. Deren Perspektive ist meist eine andere als jene von Menschen, die von diesen Alltagssorgen nicht umgetrieben werden.“

  18. @ Rudi,
    ich dachte, dass es in diesem Blog um die Schweiz geht und nicht um die Dortmunder Nordstadt. Sie projizieren deutsche Verhältnisse auf die Schweiz und versuchen dann, das Verhalten der Schweizer damit zu erklären. Damit liegen Sie aber nach meiner Meinung falsch.
    Der angesprochene städtische Mittelstand, der angeblich die Konkurrenz des ausländischen Arbeitnehmers spürt und Angst um seine Wohnung hat, hat aber gerade diese Initiative abgelehnt. Während der Bergbauer, der seit Jahren keinen Ausländer mehr gesehen hat, für die Initiative gestimmt hat. Je kleiner der Ausländeranteil, d.h. je kleiner die eigene Betroffenheit war, desto mehr wurde für die Initiative gestimmt.
    Es gibt eine Zweiteilung der Schweiz in einen weltoffenen städtischen Teil, der täglich mit Ausländern zu tun hat, und einen ländlichen konservativen Teil. Wie Joschka Fischer heute in der NZZ sagte, ist das nichts neues. Man sah diese Teilung schon im letzten Schweizer Bürgerkrieg, dem Sonderbundskrieg.

  19. @ Henning Flessner

    „Je kleiner der Ausländeranteil, d.h. je kleiner die eigene Betroffenheit war, desto mehr wurde für die Initiative gestimmt.“

    Man kann aus Wahlergebnissen Vieles herauslesen. Das kennen wir von den deutschen Wahlen. (Ja, ich weiß, es geht hier um die Schweiz.)

    Deshalb hier das Ergebnis nach Kantonen:

    JA-Kantone: Aargau (AG), Appenzell-Ausserrhoden (AR), Appenzell-Innerrhoden (AI), Baselland (BL), Bern (BE), Glarus (GL), Graubünden (GR), Luzern (LU), Nidwalden (NW), Obwalden (OW), Schaffhausen (SH), Schwyz (SZ), St. Gallen (SG), Solothurn (SO), Tessin (TI), Thurgau (TG), Uri (UR).

    NEIN-Kantone: Basel-Stadt (BS), Freiburg (FR), Genf (GE), Jura (JU), Neuenburg (NE), Waadt (VD), Wallis (VS), Zug (ZG), Zürich (ZH).

    Ich erlaube mir, ohne den wirtschaftsverbandelten Joseph Fischer auszukommen. Deshalb eine eigene Interpretation: Die beiden Kantone Bern (Ja) und Zürich (Nein) mit der größten Schweizer Bevölkerung stimmten indifferent. – Von wegen einsamer Bergbauer, der gegen Ausländer stimme! Dass Genf, eine der teuersten Städte Europas mit Nein gestimmt hat, 39,1% zu 60,9%, stützt meine Betrachtung. Auch das Ergebnis Basel-Stadt mit 39% zu 61% spricht dafür. Um in Basel einigermaßen gut leben zu können, braucht man mehr Geld als anderswo. Beide Städte liegen übrigens direkt an der Grenze. Beide Städte leben vom internationalen Kapital. Und trotzdem – das ist dann wieder das Erstaunliche – haben sich rund 40% für die Initiative ausgesprochen. Das ist doch eine so große Zahl, so dass man hier nicht von „einem weltoffenen städtischen Teil“ sprechen kann. Diese Interpretation stellt das Ergebnis inhaltlich auf den Kopf.

  20. Ich muss meine Einschätzung etwas revidieren. Es gibt zwar den von mir angesprochenen Zusammenhang zwischen Ausländeranteil und Abstimmungsverhalten. Aber der Zusammenhang ist viel geringer als ich erwartet hatte. Auf folgender Internetseite findet man eine genaue Analyse:
    http://www.skeptiker.ch/initiative-gegen-masseneinwanderung-je-geringer-der-auslaender-anteil-desto-mehr-leute-sagten-ja/#more-3885
    Das Gefälle zwischen Stadt und Land sowie das Gefälle zwischen Deutsch-Schweiz und Romandie („Röstigraben“) besteht jedoch. Es ist wie in fast allen Abstimmungen auch diesmal zu beobachten.

  21. @ Hans-Henning Flessner (Vorspann, # 2, 14, 18, 20)

    Danke für Ihre differenzierten Beiträge, die deutlich machen, wie wichtig die Kenntnis der Verhältnisse im Land ist, um sich vor pauschalisierenden Urteilen zu hüten. Bedrückend ist in der Tat, in welchem Maß sich die öffentliche Diskussion die Stichworte vom vergifteten Jubel rechtspopulistischer Strömungen vorgeben lässt, die, im Vorfeld der Europawahlen, im Schweizer Votum Wasser auf ihre Mühlen ihrer Agitation gegen die „EUdSSR“ im allgemeinen und gegen Fremde im Besonderen sehen – so die Chauvinisten vom Front National („Français d’abord!“), der vom Islamhasser zum EU-Hasser mutierte Geert Wilders oder auch die Jünger und Bewunderer der AfD.
    Zuzustimmen ist Bronski sicher bei dem Hinweis, dass solcherart „direkte Demokratie mit Vorsicht zu genießen ist“. Und überzeugend ist auch nicht die Erklärung (oder Entschuldigung?) durch den im Vergleich zu Deutschland erheblich höheren Ausländeranteil, der unhinterfragt die falsche Prämisse akzeptiert, dass die beklagten Struktur- und Verkehrsprobleme ursächlich darauf zurückzuführen seien. Dies beschleunigt nur noch den ausländerfeindlichen Diskurs, der mit der Projektion von Ängsten und Problemen aller Art auf „Fremde“ operiert und diese dichotomisch der „Wir“-Gruppe gegenüberstellt.
    Erhellend kann aber ein Vergleich mit vergleichbaren Ländern sein, etwa Luxemburg. Hier ist der Ausländeranteil mit 44,5 % fast doppelt so hoch wie in der Schweiz, und dennoch sind ähnliche populistische Strömungen derzeit nicht erkennbar. M.E. lässt sich dies im Wesentlichen dadurch erklären, dass für Verhalten und Einstellung der Bevölkerung zu „Ausländern“ weniger die absolute Zahl ihres Anteils als die subjektive Wahrnehmung des Fremden maßgebend ist. Zudem ist schon der Begriff „Ausländer“ eine höchst problematische Abstraktion, der die komplexen sozialen Bedingungen verdeckt: Zum „Ausländer“ wird man nicht per Naturgesetz, sondern durch Bestimmungen des Staatsbürgerschaftsgesetzes, das seinerseits veränderbar ist.
    Zu erklären wäre also, welche historischen, ökonomischen, sozialen u.a. Bedingungen dazu führen, dass ökonomische und soziale Folgen der Globalisierung, die keine Abschottung mehr erlaubt, sich in irrationalem Unbehagen an der Moderne äußern, dass (entsprechend dem Sündenbock-Mechanismus) eine „Erklärung“ in der Projektion auf bestimmte Gruppen und das Heil in der Rückwendung auf vermeintlich idyllische, national geprägte Verhältnisse gesucht wird.

    Dazu im Folgenden einige Erläuterungen zu Luxemburg, wo ich 25 Jahre gelebt habe.
    Als ich Ende der 80er Jahre nach Luxemburg kam, erschien mir die Aversion gegen alles Deutsche noch recht stark. Unverkennbar auch – wie auch von Herrn Flessner in der Schweiz festgestellt – eine weit verbreitete Verunsicherung im Verhältnis zu Fremden, die wohl im wesentlichen auf sprachliche Verunsicherung, resultierend aus der 3-Sprachigkeit, zurückzuführen ist.
    Auch hier hat es Abgrenzungsbestrebungen gegeben. Dazu gehört sicher auch die Einführung von „Letzebuergisch“ als Amtssprache 1984. Besonders kurios: Es gab damals weder eine konsistente luxemburgische Grammatik (häufiger Hinweis: wie im Deutschen) noch eine klar fixierte Schreibung. (In der Grundschule wird meist luxemburgisch gesprochen, deutsch geschrieben.) Naheliegend der Verdacht, dass dies auch der Abschottung diente, so etwa, wenn bei Stellenausschreibungen Luxemburgisch als Voraussetzung festgelegt wird. Wesentlicher erscheint aber der positive Effekt der Identifikationsstiftung.
    Hierzu ein kurzer historischer Exkurs: Luxemburgisch wurde erstmals 1942 als „Sprache“ statt als Dialekt empfunden. Bei der Volkszählung der Nazis, auch im dem Deutschen Reich einverleibten Luxemburg, musste auch die Muttersprache angegeben werden. Ausdrücklicher Hinweis: Ein Dialekt, so „Luxemburgisch“, gilt nicht als Sprache, hier ist Deutsch als Muttersprache anzugeben. Von sehr vielen Luxemburgern wurde dennoch „Letzebuergisch“ als Muttersprache genannt – ein eindeutiges Bekenntnis des Widerstands. (Das kleine Luxemburg war auch das einzige Land, das einen Generalstreik – mit über 80 Hinrichtungen als Folge – gegen die Nazis gewagt hat.)
    Auch wenn das Wiederaufgreifen dieses nationalen Mythos zur Identitätsstiftung nach über 40 Jahren merkwürdig erscheint: Diese Maßnahme hat wohl auch dazu beigetragen, dass Luxemburger (auch auf dem Land) heute weit weniger anfällig sind für Ängste vor „Überfremdung“ als etwa viele Deutschschweizer. Identitätsbildung durch Abgrenzung von „Fremden“ erscheint nicht mehr notwendig.
    Fazit: Nationale Identität und Aufgeschlossenheit gegenüber Fremdem müssen sich keineswegs ausschließen, sie können sich auch ergänzen – aber nur, wenn „einheimisch“ und „fremd“ nicht als Gegensätze begriffen werden.
    Zu dieser größeren Gelassenheit von Luxemburgern hat sicher auch die Geschichte beigetragen: Bevor sich 1839 der deutschsprachige Teil vom größeren, nun Belgien einverleibten französischsprachigen „Luxembourg“ trennte, hatte das Land die unterschiedlichsten Herrschaften erlebt(Habsburger, Burgunder, Spanier, Franzosen, Deutsche). Hieraus resultiert auch ein gelassenerer Umgang mit Fremden. Und andererseits kann, wie es scheint, eine jahrhundertealte nationale Eigenständigkeit wie in der Schweiz auch zum Hindernis bei der Integration von Fremden werden, wenn sie zum vorrangigen oder alleinigen Identifikationsmerkmal erstarrt.
    Ökonomischer Aspekt: Im Vergleich zu den Nachbarregionen galt Luxemburg bis ins 20. Jahrhundert als ökonomisch rückständig. Ein erster Aufschwung erfolgte mit der Industrialisierung zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Er bedingte die erste Einwanderungswelle, vorwiegend Italiener, die heute völlig integriert sind. Der heutige sehr hohe Lebensstandard ist vorrangig auf die Entwicklung des Bankensektors und die Integration in der EU als EWG-Gründungsmitglied zurückzuführen (über 70 % Dienstleistungssektor): Robert Schuman hatte es verstanden, den Disput über die europäische Hauptstadt (Brüssel – Straßburg) dazu zu nutzen, Luxemburg als dritten europäischen Verwaltungssitz zu etablieren und zahlreiche EU-Institutionen (Gerichtshof, Parlamentsausschüsse, Kommission, Rechnungshof, Investitionsbank) nach Luxemburg zu holen. Der enorme Zustrom von Ausländern, vor allem Portugiesen (allein 16,4 % der Gesamtbevölkerung!) steht in diesem Zusammenhang. Obwohl dies auch mit strukturellen Problemen, etwa Verkehrsproblemen und explodierenden Preisen vor allem im Immobiliensektor einherging, hat dies – ganz anders als in der Schweiz – zu keinen erkennbaren Überfremdungsängsten geführt. Und niemand kommt auf die absurde Idee, das allmorgendliche und allabendliche Verkehrschaos an den Ausfallstraßen zu den überall vorhandenen Landesgrenzen durch Wiedererrichtung von Zollschranken beseitigen zu wollen. Zu all dem besteht auch wenig Grund: Schließlich sind es vorwiegend Luxemburger, die von immensen Immobilienpreisen profitieren, und der gegenwärtige Wohlstand wäre ohne EU und Immigranten sowie Grenzgänger nicht denkbar.
    Luxemburger Politiker sind sich dessen wohl bewusst: Wie kaum ein anderes Land fördern sie die Immigration, senken sie die Barrieren zu „Ausländern“ (etwa durch doppelte Staatsangehörigkeit) und werden nicht müde (so etwa Außenminister Asselborn) Personenfreizügigkeit als einen Grundbestandteil der EU zu bezeichnen, der – auch gegenüber der Schweiz – nicht verhandelbar ist.

    Der vorstehende Vergleich macht m.E. deutlich, wie wenig überzeugend die zur Rechtfertigung des Votums herangezogenen Argumente sind. Und geschürte Angst über sinkende Lebensqualität wird auch durch die anhaltende Attraktivität der Schweiz für Fremde als innerschweizerischer Tunnelblick entlarvt.
    Sicherlich erfordern rasche Veränderungen der Infrastruktur und Verkehrsprobleme Aufmerksamkeit. Sie sind aber nur durch spezifische Problemlösungen zu beheben – etwa durch Verbesserung des öffentlichen Verkehrsnetzes zur Einschränkung des Individualverkehrs. Die Verengung des Blickwinkels auf eine nationale Brille und die Projektion von Problemen auf bestimmte Bevölkerungsgruppen tragen nicht dazu bei. Vielmehr wäre – unter anderem – die eigene Wahrnehmung einer Prüfung zu unterziehen. Dies könnte auch zur Erkenntnis führen, dass ein Modell, das eigenen Wohlstand auf fleißig geförderte Einwanderung ausländischen Kapitals aufbaut, sich aber zugleich gegenüber ausländischen Menschen abzuschirmen sucht, nicht auf Dauer Bestand haben kann. Die Vorteile der Globalisierung sind nicht zu haben ohne die Erkenntnis, dass diese auf Dauer keine Wohlstandsinseln duldet. Und geschürte Fremdenangst ist ein ebenso schlechter Berater wie nostalgische Rückkehr zu vermeintlich idyllischen nationalstaatlichen Verhältnissen. – Und das gilt nicht nur für die Schweiz.
    Probleme des Strukturwandels in einer Zeit umfassender Globalsierung sind nicht im Bewusstsein und im Stil eines Don Quijote zu bekämpfen. Man kann sie nur durch differenzierte und spezifische Maßnahmen angehen und sozial abzufedern suchen, um so das Gesetz des Handelns zu behalten. Geduld mit den Schweizern ist dabei angesagt, Rückkehr zu nationaler Engstirnigkeit nicht. – Und vielleicht kann dabei die kleine Schweiz von dem noch kleineren Luxemburg noch etwas lernen.

  22. zu 21 # W. Engelmann

    Es ist Ihnen uneingeschränkt zuzustimmen.
    Kein Staat hat mehr von der EU profitiert als Luxemburg.
    Kein Staat hat mehr äußerst gutbezahlten Bankern und Eurokraten eine neue Heimat geboten.
    Kein Staat hat sich mehr als Luxemburg europäische Institutionen samt deren äußerst attraktiven Arbeitsplätzen einverleibt.

    Wenn man gutbezahlte, sozial abgesicherte Arbeitsplätze zur Verfügung stellt (wer bezahlt diese letztlich? doch die anderen Staaten), erhält man gut ausgebildete integrationwillige Einwanderer. Am besten noch mit einer besonderen europäischen mehrsprachigen Schule für die Kinder, betreut von ebenfalls sehr gut bezahlten europäischen Lehrern.

    Das Luxemburger Bank-Geschäftsmodell beruhte jahrzehntelang auf dem Bankengeheimnis, sprich Steuerhinterziehung. Das sollte nicht vergessen werden.

    Sehr geehrter Herr Engelmann,
    Ist Ihnen bewusst, welche Idylle Sie beschreiben? Ein reines Paradies auf Kosten anderer Staaten. Ein Paradies ohne jede Kriminalität! Die Luxemburger haben in enormen Umfang von der EU profitiert … auch durch die Immobilienpreise. Doch dieses wunderbare Geldvermehrungsmodell lässt sich leider nur sehr begrenzt auf Flächenstaaten übertragen. Dort sieht es völlig anders aus.

    Ihr Diskurs mutet sehr theoretisch an, fern jeder Realität. Bislang habe ich Ihre Beiträge schätzen gelernt, aber dieses Mal muss ich meine Gefolgschaft aufkündigen.
    Tut mir wirklich leid.

  23. @ 22,

    den Beitrag von Herrn Engelmann hatte ich auch als gründliche Persiflage wahrgenommen.

    Das dieser ernst gemeint sein könnte, mag ich nicht recht glauben.

    KM

  24. Zu # 22:

    Hallo, runeB!
    „Ist Ihnen bewusst, welche Idylle Sie beschreiben? Ein reines Paradies auf Kosten anderer Staaten. Ein Paradies ohne jede Kriminalität! (—) Ihr Diskurs mutet sehr theoretisch an, fern jeder Realität.“ –
    Da ist Ihnen wohl die Fantasie durchgegangen, um so viel auf einmal hineinzulesen! Wo, bitteschön, komme ich auf „Kriminalität“ zu sprechen? – Nun habe ich tatsächlich lange Jahre in Luxemburg gelebt, mit zahllosen sehr realen und konkreten Erfahrungen, im Unterschied zu vielen, denen dabei nur „Steuerparadies“ einfällt, deren Beziehung sich darauf beschränkt, hier ihr Geld zu parken oder die – vielleicht mangels Gelegenheit – eben dieses sein lassen, sich aber berufen fühlen, auf dieser Basis ihr Urteil abzugeben. Mir dabei vorwerfen zu lassen, „fern jeder Realität“ zu liegen, kommt mir doch etwas putzig vor. Aber Sie können getrost davon ausgehen, dass mir die – höchst eingeschränkten – Luxemburg-Klischees sattsam bekannt sind.
    Nun ist das nicht das Thema, und ich werde mich auch bemühen, dies zu beachten. Freilich verlangen Ihre reichlich klischeehaften Vorhaltungen bezüglich Luxemburg auch, darauf einzugehen.
    1. „Doch dieses wunderbare Geldvermehrungsmodell lässt sich leider nur sehr begrenzt auf Flächenstaaten übertragen.“
    Welche Vorstellung von Luxemburg haben Sie eigentlich? – Das Land ist fast durchgehend ländlich geprägt, sogar in der „Hauptstadt“ Luxemburg mit 100.000 Einwohnern, davon nicht einmal 60.000 Luxemburger – wie es gerade für Flächenstaaten, im Unterschied zu Stadtstaaten und Industriezentren typisch ist. Auch im Vergleich zur Schweiz fehlen Industriezentren wie etwa Zürich oder Basel völlig. Bezogen auf das Votum des Referendums wäre also, nach der Logik der Befürworter, eine Einstellung zu erwarten, wie sie sich in ländlichen Schweizer Regionen gezeigt hat – also ein klares Votum für Zuzugsbeschränkung. Hierfür aber gibt es keinerlei Hinweise, und bezogen auf Luxemburger Politiker ist das gerade Gegenteil der Fall – genauso wie in den großen Industriezentren der Schweiz. Auf solche Ungereimtheiten und Widersprüche der Befürworter hinzuweisen, war gerade meine Absicht.
    2. „Die Luxemburger haben in enormen Umfang von der EU profitiert … auch durch die Immobilienpreise.“
    Genau das habe ich geschrieben. Allerdings ist dem hinzuzufügen, dass man in der Pauschalität nicht von „den“ Luxemburgern sprechen kann – genauso wenig wie von „den“ Schweizern. Nicht alle Luxemburger sind Immobilienbesitzer, die von den Immobilienpreisen profitieren könnten, welche vor allem die – vorwiegend ausländischen! – Banken in die Höhe treiben. Mit Sicherheit ist die überwiegende Zahl der Profiteure in den Reihen ausländischer Anleger bzw. EU-Beamten und -Mitarbeitern zu suchen, während viele Luxemburger sich die horrenden städtischen Mieten nicht mehr leisten können und aufs Land ziehen. Hierauf beziehen sich auch vor allem existierende Vorbehalte unter Luxemburgern gegenüber den „Europäern“. – Eine mit der Schweiz also durchaus vergleichbare Situation – ohne freilich die im Referendum offenbarten Konsequenzen. Auch dies ein Widerspruch zu den Argumenten der Befürworter.
    3. „Das Luxemburger Bank-Geschäftsmodell beruhte jahrzehntelang auf dem Bankengeheimnis, sprich Steuerhinterziehung.“ –
    Wenn Sie genau gelesen hätten, hätten Sie bemerkt, dass meine folgende Bemerkung nicht nur die Schweiz betrifft, sondern auch Luxemburg mit einbezieht:
    „Dies könnte auch zur Erkenntnis führen, dass ein Modell, das eigenen Wohlstand auf fleißig geförderte Einwanderung ausländischen Kapitals aufbaut, sich aber zugleich gegenüber ausländischen Menschen abzuschirmen sucht, nicht auf Dauer Bestand haben kann.“
    Dabei betrifft – bzw. betraf – die Luxemburger Situation nur der erste Punkt (die Bankenpolitik), nicht die Abschirmung gegenüber ausländischen Menschen. Im Unterschied zum Millionär Blocher und seinen Schweizer Gefolgsleuten, hat die Luxemburger Politik schon lange erkannt, was betr. Bankengeheimnis die Stunde geschlagen hat. Schon vor Jahren war erkennbar, dass Luxemburg in Geldgeschäften nicht nur von Dublin, sondern auch der Londoner Börse der Rang abgelaufen wird (ohne auf die exotischen Inselparadiese und Österreich und eben auch Deutschland einzugehen). Und im Unterschied zur Schweiz (und z.T. auch Österreich) hat sich Luxemburg in Bezug Steuergeheimnis kooperativ gezeigt. Und – was viele offenbar noch nicht zur Kenntnis genommen haben: Ab 2015 gilt betreffend alle, die nicht in Luxemburg wohnen, uneingeschränkte Meldepflicht für Luxemburger Banken.
    4. „…erhält man gut ausgebildete integrationswillige Einwanderer. Am besten noch mit einer besonderen europäischen mehrsprachigen Schule für die Kinder, betreut von ebenfalls sehr gut bezahlten europäischen Lehrern.“ –
    Dieser Unsinn, der alles Mögliche vermengt, lässt sich gar nicht in einem Punkt widerlegen. Daher zunächst nur zur Einwanderer-Problematik:
    Die mit großem Abstand größte Einwanderergruppe, die Portugiesen (allein über 16 %, also doppelt so viel wie die Ausländerquote in Deutschland insgesamt!) sind zwar sehr integrationswillig, aber alles andere als gut ausgebildet. Man könnte ihnen (im Unterschied zu den verschiedenen türkischen Vereinen in Deutschland) gerade den Vorwurf machen, berechtigte eigene Interessen nicht zu vertreten – etwa durch Forderung von Portugiesisch an Schulen. Im Grunde unterteilen sie sich auch in zwei Gruppen: Die eher „etablierten“ Portugiesen decken den handwerklichen Bereich ab (Sie werden kaum noch einen Luxemburger Handwerker finden!), die allabendlich die Busse überfüllenden Putzkolonnen stammen fast ausschließlich von den Kapverdischen Inseln, natürlich ohne jegliche Ausbildung.
    Bezogen auf die Schweizer Abstimmung, etwas polemisch überspitzt: Ebenso wie in der Schweiz und auch in Deutschland würde alles zusammenbrechen, wenn man die Grenzen für diejenigen dicht machen würde, welche die Drecksarbeit erledigen, um allein die „willkommen“ zu heißen, welche die entsprechende Ausbildung bereits mitbringen (auch eine Form der Ausbeutung ihrer Heimatländer).
    5. Teil 2: Europäische Schulen.
    Die haben nun mit Luxemburg so gut wie gar nichts zu tun. Lediglich die Gebäude stellt der Luxemburger Staat zur Verfügung. Die Bezahlung der Lehrkräfte wie auch die Besteuerung liegt völlig außerhalb der Luxemburger Hoheit. Im Prinzip sind es Privatschulen der Europäischen Institutionen, und nur Kinder aus diesem Bereich haben ein Zugangsrecht. Dies haben auch nicht Angestellte der Banken. Lediglich zur Auffüllung der Klassen werden deren Kinder in sehr beschränktem Umfang akzeptiert. Luxemburger wie auch Portugiesen finden sich hier nur in sehr geringer Zahl. Die Vorstellung, dass die europäischen Länder für Luxemburger Schüler bezahlen würden, ist also ausgemachter Blödsinn.
    6. „Eurokraten“, 1. Teil:
    Nun lässt sich gegenüber Vorurteilen, die sich schon in der Wortwahl verraten, schwer sachlich diskutieren. Daher auch hier eine Aufteilung in 2 Punkte.
    Wer über die unbestritten (noch) gute Bezahlung von EU-Beamten und -Angestellten redet, sollte auch das hier überdurchschnittlich vorhandene soziale Engagement zur Kenntnis nehmen. So arbeitet meine Frau schon seit über 20 Jahren in verschiedenen ONG’s dieser schrecklichen „Eurokraten“ (vorwiegend zu 3.Welt-Projekten), und diese werden vom Luxemburger Staat finanziell in einer Weise gefördert, wie ich dies von Deutschland nicht kenne (zuletzt ein Projekt zum Aufbau einer Schule in Tibet). Eine Schwester Caroline z.B., die seit über 20 Jahren immer neue soziale Projekte im Drogenmilieu chilenischer Jugendlicher initiiert und leitet (und selbst einem Diktator Pinochet Zugeständnisse abgerungen hat), besucht regelmäßig die Luxemburger „Eurokraten“, die seit vielen Jahren tatkräftige Hilfe leisten, z.T. auch vor Ort. Und ein Luxemburger „Profiteur“ opfert seine gesamte Freizeit und ein Großteil seines Geldes, um einen Todeskandidaten in einer texanischen Todeszelle zu betreuen. – All das „fern jeder Realität“?
    7. „Eurokraten“, 2. Teil:
    Natürlich stimme ich Ihrer folgenden Einschätzung zu und habe dies auch (deutlich differenzierter) ausgeführt: „Kein Staat hat mehr von der EU profitiert als Luxemburg.“
    Fragt sich nur, mit welcher Berechtigung man Luxemburger verwehren sollte, was Engländer mehr als hemdsärmelig einfordern und Deutsche übrigens auch. Die EU ist schließlich auch ein Gebilde zur Wahrung der jeweiligen ökonomischen, kulturellen u.a. Interessen – aber doch wohl nicht nur! Entscheidend ist, dass man nicht versucht, mit national verengtem Blick sich die Rosinen aus dem Kuchen zu picken (siehe England!) und anderen die harte Kruste überlässt. Konkret: Was man wirklich tut, um diese sehr wohl zu kritisierende EU transparenter, sozialer, demokratischer und effektiver zu machen. Und da wird man (sieht man von dem nun weitgehend erledigten Problem des Bankengeheimnisses ab) der Luxemburger Politik kaum vorwerfen können, auf dem Bremsklotz zu stehen und allein ihre nationalen Interessen im Blick zu haben. Denn sie hat sehr wohl verstanden, dass auch diese nur gewahrt werden können, wenn sie auf europäischer Ebene durchgesetzt werden – was eben auch die Bereitschaft zu Kompromissen beinhaltet.
    Und das unterscheidet sie auch von den Vertretern der SVP. Und ich stimme hier Bronski völlig zu, dass dieses Schweizer Votum auch den eigenen Interessen widerspricht und daher „dumm“ ist.
    Damit nun genug des „theoretischen“ Diskurses und „fern jeder Realität“.
    Freundliche Grüße
    Werner Engelmann

  25. @runeB
    Wenn ich ihre Kritik an Herrn Engelmann richtig verstanden habe, dann meinen Sie, dass man Luxemburg nicht mit der Schweiz vergleichen kann, weil u.a. in Luxemburg die Einwanderer integrationswillige Einwanderer sind, denen man gutbezahlte, sozial abgesicherte Arbeitsplätze zur Verfügung stellt?
    Aber genau das sieht man in der Schweiz. Von den letztes Jahr eingewanderten 61’000 Menschen, sind viele gut ausgebildete Menschen (Ingenieure, Ärzte, Krankenschwestern, etc., etc.). Viele davon kommen aus Deutschland. Es gibt keine nennenswerte Armutseinwanderung.
    Viele Schweizer haben erkannt, dass die Schweiz zu viele Firmen aus dem Ausland anlockt (das machen übrigens z. T. staatliche Stellen, finanziert mit Steuergeldern) und selber zu wenig ausbildet. Die SVP sieht das anders. Sie fordert, dass nicht mehr als 20% der Kinder eines Jahrgangs das Gymnasium besuchen dürfen. Damit stellt sie sicher, dass ihr ihr Wahlkampfthema nicht ausgeht.
    Falls Sie in den Medien gelesen haben, dass 81’000 Personen eingewandert sind und nicht die von mir genannten 61’000:
    diese 19’000 Personen sind neue Ausländer in der Schweiz, aber sie haben nie die Grenze überschritten. Es handelt sich um Kinder von Ausländern, die z. T. selber schon in der Schweiz geboren wurden.

  26. zu Sehr geehrter Herr Engelmann:

    „Der heutige sehr hohe Lebensstandard ist vorrangig auf die Entwicklung des Bankensektors und die Integration in der EU als EWG-Gründungsmitglied zurückzuführen (über 70 % Dienstleistungssektor): Robert Schuman hatte es verstanden, den Disput über die europäische Hauptstadt (Brüssel – Straßburg) dazu zu nutzen, Luxemburg als dritten europäischen Verwaltungssitz zu etablieren und zahlreiche EU-Institutionen (Gerichtshof, Parlamentsausschüsse, Kommission, Rechnungshof, Investitionsbank) nach Luxemburg zu holen. Der enorme Zustrom von Ausländern, vor allem Portugiesen (allein 16,4 % der Gesamtbevölkerung!) steht in diesem Zusammenhang.“
    Wenn ein Staat aufgrund der vorstehend von Ihnen aufgeführten Aussagen einen sehr hohen Lebensstandard bieten kann, dann ist er auch in der Lage soziale Verwerfungen auszugleichen, indem er seinen Immigranten gesicherte Arbeitsplätze bietet.
    In einem Staat mit einer vergleichsweise geringen Bevölkerungszahl ist dies leichter als in einem größeren bevölkerungsreicheren Staat zu realisieren. Sämtliche EU-Beamten und Angestellte genießen außerordentliche Privilegien. Dies gilt für solche in Luxemburg wie auch in den übrigen EU-Staaten.

    Ferner:
    „Schließlich sind es vorwiegend Luxemburger, die von immensen Immobilienpreisen profitieren, und der gegenwärtige Wohlstand wäre ohne EU und Immigranten sowie Grenzgänger nicht denkbar.“
    Wenn ein Staat derartig gut mit der EU und deren im Land angesiedelten Institutionen fährt, dann kann, vielmehr muss er sich als Vorzeigeeuropäer präsentieren. Es sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das nicht zu kritisieren ist, sondern nur eine logische Folge erlangten Wohlstandes ist. Nicht mehr und auch nicht weniger.

    Ferner:
    „Dies könnte auch zur Erkenntnis führen, dass ein Modell, das eigenen Wohlstand auf fleißig geförderte Einwanderung ausländischen Kapitals aufbaut, sich aber zugleich gegenüber ausländischen Menschen abzuschirmen sucht, nicht auf Dauer Bestand haben kann.“
    Sehr geehrter Herr Engelmann, ich habe mir erlaubt, diese recht dezente, mehr als kryptische Formulierung (sie muss man erst verstehen!)in eine einfachere, verständlichere Sprache zu transformieren. Was ist daran so verwerflich, das Bankengeschäftsmodell als jahrzehntelang geübte Beihilfe zur Steuerhinterziehung zu kennzeichnen? Was ist daran – von Ihnen kritisiert – klischeehaft? Ist das nicht letztlich kriminell?
    Ist das nicht zu Lasten anderer Staaten erfolgt? Dass Sie nicht von Kriminalität sprechen, überrascht mich nicht.
    Wie lange hat es gedauert, bis Luxemburg (zähneknirschend) einlenkte und großzügig eine Besserung ab 2015 in Aussicht stellte? Ist das etwa freiwillig geschehen? Jetzt mit dem Finger auf andere Staaten zu zeigen, wie böse die doch sind, mutet ein bisschen hilflos an und überzeugt nicht.

    Sehr geehrter Herr Engelmann,
    Sie heben das soziale Engagement vieler Luxemburger darunter auch von Eurokraten hervor. Nehmen Sie einmal das Spendenaufkommen in Deutschland, wo einfache Bürger von ihrem Nettoeinkommen Spenden für wohltätige Zwecke aufbringen, die ihnen schwerer fallen als gut bezahlten Eurokraten.

    Sehr geehrter Herr Engelmann,
    noch eines:
    „Entscheidend ist, dass man nicht versucht, mit national verengtem Blick sich die Rosinen aus dem Kuchen zu picken (siehe England!) und anderen die harte Kruste überlässt.“
    Mir kommt es leider so vor, dass Luxemburg genau diese Taktik des Rosinenpickens von Anbeginn verfolgt hat und zwar äußerst erfolgreich. Und vor allem durch dauerhafte Ansiedlung europäischer Institutionen sich sehr gut positioniert hat. Deshalb wäre es angebracht, mit derartigen Schuldzuweisungen gegen andere vorsichtig zu sein.

    Aus den vorstehenden Gründen kann ich Ihren Ausführungen leider nicht zustimmen.

    Mit freundlichen Grüßen
    runeB

  27. zu 23 # Karl Müller
    Ich habe die Ausführungen von Herrn Engelmann, dessen Kommentare und Beiträge ich stets geschätzt habe, sehr ernst genommen. Sollte ich mich wirklich geirrt haben?

  28. zu 25 # Henning Flessner
    Darf ich kurz und bündig meine Position skizzieren.
    Die EU sollte sich zurückhalten und erst einmal abwarten, was in der Schweiz nach dem Referendum passiert. Und vor allem auf hysterische Reaktionen verzichten.
    Es gibt noch viel mit der Schweiz zu verhandeln.
    Die SVP dürfte – meiner unmaßgeblichen Meinung nach – mit dem Erfolg des Referendums nicht gerechnet und damit Probleme haben.
    Letztlich sollte man erkunden, weshalb die Schweizer – trotz massiver Gegenwehr der etablierten Parteien (SVP ausgenommen) – so abgestimmt haben. Da schwingt ein großes Unbehagen mit und das sollte man ernst nehmen, und nicht mit Polemik abtun.

  29. Auch das sollte mal eingeflochten werden: Die Deutschen denken im Prinzip nicht anders als die Schweizer. Nach dem Politbarometer des ZDF vom 21.02.2014 haben die hiesigen Bürgerinnen und Bürger folgende Meinung:

    „41 Prozent finden die Personenfreizügigkeit gut, eine Mehrheit von 55 Prozent fände es aber besser, wenn es auch bei uns eine Begrenzung der Zuwanderung von Bürgern der Europäischen Union gäbe (weiß nicht: 4 Prozent). Für eine solche Begrenzung sprechen sich 56 Prozent der CDU/CSU-, 48 Prozent der SPD-, 50 Prozent der Linke-Anhänger und nur 30 Prozent der Grünen-Anhänger, aber mit 83 Prozent eine deutliche Mehrheit der AfD-Anhänger aus.“

    Wichtig wäre natürlich auch, die Gründe zu kennen, weshalb in Deutschland so gedacht wird. Diese wurden offensichtlich nicht abgefragt. Dazu wäre eine eigene Studie notwendig. Zu beachten ist auch: Es wurde nach dem Zuzug von EU-Bürgern gefragt. Welches Ergebnis wäre zutage befördert worden, wenn die Frage ohne diese Begrenzung gestellt worden wäre? Ich vermute, die Mehrheitsposition wäre noch deutlicher ausgefallen.

    Die Beweggründe derer, die sich gegen offene Grenzen aussprechen, sollten wichtig genommen und nicht ausschließlich als Fremdenfeindlichkeit eingeordnet werden.

  30. Die Abstimmung war für viele Schweizer eine Abstimmung gegen Deutsche und die EU, was hier gleichgesetzt wird.
    Wie sollen bei diese Sachlage Deutsche genauso denken? Die Deutschen sind gegen Einwanderung von Schweizern?
    Die Übertragung auf Deutschland macht keinen Sinn.

  31. zu 29 # Rudi
    Leider sind beim Aufbau der EU laufend Fehler gemacht worden, angefangen von der undemokratisch verfügten Einführung des Euros. Bevor eine gemeinsame Währung installiert werden kann, müssen die Teilnehmer sich ein wenig angenähert haben z.B. Steuersystem, Steuererhebung, Sozialsysteme etc. , um Verwerfungen, wie sie nun seit Jahren erkennbar werden, zu vermeiden.
    Es wurden Verträge gebrochen, Staaten schon zu Beginn der Währungsunion aufgenommen, die nicht die erforderlichen Kriterien erfüllten. Die EU-Erweiterung wurde mit unglaublicher Hektik betrieben. Das alles führte zu neuen Problemen. Aber darüber darf nicht geredet werden. Tabuisierung politischer Themen hat in Deutschland eine lange Tradition. Leider.
    Die Europapolitik in Deutschland hat – meiner Meinung nach – viel Vertrauen der Wähler verspielt. Vielleicht spielt das auch eine Rolle bei dem Ergebnis des Politbarometers des ZDF.

    Konkret auf die derzeitige Stimmung in der Schweiz bezogen, sei auf den Inhalt eines Schreibens einer sehr vertrauenswürdigen Person, die seit über zehn Jahren in der Schweiz lebt und arbeitet, verwiesen.

    „Hier werden Serieneinbrüche von Kinderbanden verübt (seit Weihnachten allein 39 Fälle in Rheinfelden)…“ (Wörtliches Zitat)
    Die Kinder muss man wieder laufen lassen und an die Hintermänner kommt man nicht heran. So dieser Brief sinngemäß weiter.
    Der undatierte Brief trägt einen Poststempel vom 17.2.2014, ich erhielt ihn zwei Tage später.

    Das Strickmuster der Kinderbanden ist bekannt, eine weitere Zuordnung ist nicht erforderlich. Dass die Schweizer über derartige Entwicklungen nicht gerade erfreut sein dürften, ist wohl nicht überraschend.
    Die vorstehend geschilderten Ereignisse sind aller Wahrscheinlichkeit nach nur ein Aspekt unter mehreren, dieser sollte aber nicht ausgeblendet werden.

    Den Schweizern wegen des Refendums pauschal Fremdenfeindlichkeit zu unterstellen, wird der heiklen Thematik nicht gerecht. Die Politik – sowohl in der Schweiz wie auch in der EU – hat bestimmte Entwicklungen nicht wahrgenommen bzw. nicht wahrnehmen wollen und reagiert nun reflexartig mit Schuldzuweisungen. Gepaart mit Drohungen in Richtung Schweiz.
    Ob das die richtige Vorgehensweise ist, darf bezweifelt werden.

  32. zu 30 # Henning Flessner
    Die Gemengelage in der Schweiz ist vermutlich komplizierter als gedacht.
    Die stärkste Zustimmung zum Referendum erfolgte – soweit ich informiert bin – im Tessin und richtete sich gegen die Zuwanderung aus Italien.
    In der französisch sprechenden Schweiz überwog die Ablehnung des Referendums. Vielleicht empfinden die deutschsprachigen Schweizer inzwischen die Nähe der Bundsrepublik Deutschland (und die Reaktionen der EU) zunehmend als Bedrohung.

  33. runeB, #28,26
    Mit Ihrer in #28 skizzierten Position, die Verzicht auf „hysterische Reaktionen“ einfordert, stimme ich absolut überein.
    Falls Sie meine Ausführungen als „Schuldzuweisungen“ interpretieren, haben Sie allerdings meine Intention falsch verstanden. Ich beziehe mich in #21 eingangs ausdrücklich nicht auf das Schweizer Votum als solches, sondern auf den Diskurs dazu, wie er von populistischen Strömungen und Parteien vorgegeben wird und der sehr wohl durch eine „nationale Brille“ gekennzeichnet ist. Und dagegen ist auch Polemik angebracht.

    Was das Schweizer Votum angeht, habe ich mich auf die differenzierten Ausführungen von Herrn Flessner bezogen, die ich insgesamt überzeugend finde. Wenn es der SVP allerdings – wie Herr Flessner vermutet und Sie in #26 auch – gar nicht um die Erringung einer Mehrheit ging, sondern nur darum, Stimmung zu machen, dann ist das schlicht Demagogie und dementsprechend auch mit Recht anzuprangern. Das heißt in keiner Weise, die Probleme von Schweizer Bürgern nicht ernst zu nehmen.

    Was Luxemburg angeht, besteht keine Veranlassung, dies hier noch mehr zu thematisieren. (Allerdings haben Luxemburger das gleiche Recht wie Schweizer, differenziert wahrgenommen zu werden und nicht mit dem Generalverdacht als Steuerhinterziehungsgehilfen.)
    In #24 habe ich ausdrücklich betont, dass es mir nur darum ging, Ungereimtheiten in Argumentationen der Verfechter des Ja-Votums aufzuzeigen, indem ich die gegenwärtige Situation in Luxemburg zum Vergleich heranziehe, die angemessener erscheint als der ständige Vergleich mit Deutschland. Wer länger im Ausland gelebt hat, dem fällt eher auf, wie sehr die Diskussion in Deutschland von solcher Nabelschau geprägt ist.
    Und aufzuzeigen, dass man konkreten Probleme nur mit spezifischen Problemlösungen begegnen kann und nicht, indem man diese auf bestimmte Bevölkerungsgruppen projiziert, hat mit Schuldzuweisungen nichts zu tun. Dieser machen sich vielmehr die schuldig, die mit solchen Projektionen arbeiten.

    Rudi, #29, runeB,#31
    „Die Beweggründe derer, die sich gegen offene Grenzen aussprechen, sollten wichtig genommen und nicht ausschließlich als Fremdenfeindlichkeit eingeordnet werden.“
    Dies ist eine unzulässige Verkürzung.
    Ernst zu nehmen sind sicher Beweggründe, die zu Unzufriedenheit mit Regierungen oder Maßnahmen der EU führen (wie etwa in der Schweiz). Das ist eine Sache. Eine andere aber ist, daraus als vermeintliche Abhilfe abzuleiten, Grenzbarrieren gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen zu errichten – d.h. also die Probleme auf diese zu projizieren. Wer dies tut, muss wissen, von welchen Parteien und Gruppierungen diese Forderung stammt, welche Ziele sie damit verfolgen und welches die Konsequenzen wären, so diese denn verwirklicht würden. Und diese populistischen Strömungen sind sehr wohl durch Fremdenfeindlichkeit geprägt und damit auch zu Recht zu entlarven.
    Aus diesem Grund halte ich auch Umfragen wie die des ZDF-Politbarometers für sehr problematisch, weil sie auf die von diesen vorgegebenen Verkürzungen aufspringen und sie damit bestärken. So ist etwa vom ZDF zu erfahren, dass Deutsche – angeblich – noch mehr für Einreisebeschränkungen wären, nicht aber, aufgrund welcher Fragen dies ermittelt wurde. Auch ist nicht bekannt, dass etwa alternative Handlungsmöglichkeiten zur Wahl angeboten worden wären – ebenso wenig wie beim Schweizer Referendum. Daher ist das Wasser auf die Mühlen solcher Populisten.
    Andererseits müssen die den Karren schon total an die Wand gefahren haben – wie etwa ein Jörg Haider in Österreich seine FPÖ –, damit man erfahren kann, was hinter den Kulissen tatsächlich gespielt wird. Oder man muss sich in Regionalnachrichten vertiefen – so wie hier im Departement Haute Marne (wo ich gegenwärtig lebe), um z.B. zu erfahren, warum ein Front National hier von 4 für sie aussichtsreichen Städten nur in einer einen Kandidaten für die Europawahl stellt, weil nämlich hinter den Kulissen dieser selbst ernannten Volkstribunen Hauen und Stechen stattfindet.

  34. @ Werner Engelmann

    „Ernst zu nehmen sind sicher Beweggründe, die zu Unzufriedenheit mit Regierungen oder Maßnahmen der EU führen (wie etwa in der Schweiz). Das ist eine Sache. Eine andere aber ist, daraus als vermeintliche Abhilfe abzuleiten, Grenzbarrieren gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen zu errichten – d.h. also die Probleme auf diese zu projizieren. Wer dies tut, muss wissen, von welchen Parteien und Gruppierungen diese Forderung stammt, welche Ziele sie damit verfolgen und welches die Konsequenzen wären, so diese denn verwirklicht würden.“

    Im Grunde sehe ich das genau so. Meine bisherige Argumentation hatte jedoch immer die unterschiedlichen Bevölkerungsschichten im Blick. Wenn, wie beispielsweise Bronski schreibt, sich auf Wirtschaftsverbände und Regierungsparteien berufen wird, die um Fachkräfte aus dem Ausland nachsuchten und deshalb auf verstärkte Einwanderung pochen, kommen unterschiedliche Interessen ins Spiel. Dass man als Eingeborener Angst um seine Wohnung und seinen Arbeitsplatz bekommen kann, müsste doch nachvollziehbar sein. Aber wen interessiert das? Ihnen, die in problematischen Stadtteilen wohnen, werden weitere Lasten aufgebürdet, wenn etwa in den Schulklassen ihrer Kinder die deutschen Muttersprachler in die Minderheit geraten. Es ist doch nicht überraschend, dass bei der Partei Die Grünen die Wenigsten, aber immerhin 30 Prozent, sich gegen weitere EU-Zuwanderungen aussprechen. Wir wissen, dass das Wählerklientel dieser Partei zum großen Teil im Bildungsbürgertum zu finden ist, das jedoch die Möglichkeit hat, Wohnquartiere und Schulen für ihre Kinder auszusuchen. Mit Montessori-Schulen und Waldorfschulen gibt es schon ein breites Potenzial für die pc-lebende obere Mittelschicht. Sie ist aufgrund der besseren Einkommenslage flexibel und vermag ihre Interessen besser durchzusetzen. Es ist doch witzig, für Arbeitsmigration zu argumentieren, die eigenen Kinder jedoch auf eine als privat geltende christliche Schule zu schicken, um die multikulturelle Last heterogener Klassen zu umgehen.

    Meine Frage an die Vertreter der unbeschränkten Zuwanderung: Warum brauchen wir noch Nationalstaaten?

  35. Wieviel Zuwanderung verträgt die Erde ? Ihre „Zuwanderer“ sind gewiss sehr schlecht ausgebildet…
    Diese Problematik ist zwar bekannt, spielt aber in fast allen Diskussionsrunden keine Rolle.
    Und doch liegt hierin ein erheblicher Teil des Problems. Denn jeder hier auf unserer schönen Erde will doch teilhaben und sich auch ein gutes Stück am großen Wohlstandskuchen abschneiden.
    Aber es kann nicht gelingen – denn es reicht nicht für alle; in der erstrebten Glitzerwelt ist nicht Platz für jeden.

  36. @ Rudi
    „Meine Frage an die Vertreter der unbeschränkten Zuwanderung: Warum brauchen wir noch Nationalstaaten?“
    Es geht nicht um unbeschränkte Zuwanderung. Es geht um Personenfreizügigkeit. Dies bedeutet, dass ich das Recht habe, mir einen Wohn- und Arbeitsplatz zu suchen, wo ich es möchte. In der EU und einigen französisch-sprachigen Kantonen der Schweiz bedeutet es zusätzlich, dass ich auf kommunaler Ebene das Wahlrecht habe.
    Wenn es Nationalstaaten braucht, um mir dieses Recht zu nehmen, dann brauche ich den Nationalstaat nicht.
    Natürlich braucht es staatliche Ordnung. Aber mir fällt keine stichhaltige Begründung ein, warum es gerade ein Nationalstaat sein muss.
    Ich habe jahrelang in einer Abteilung mit 40-50 Leuten gearbeitet, die 17 verschiedene Muttersprachen hatten. Vielleicht liegt es an dieser Erfahrung, dass ich mit der Idee eines Nationalstaates wenig anfangen kann.

  37. zu 33 # Werner Engelmann
    „(Allerdings haben Luxemburger das gleiche Recht wie Schweizer, differenziert wahrgenommen zu werden und nicht mit dem Generalverdacht als Steuerhinterziehungsgehilfen.)“
    Sehr geehrter Herr Engelmann, ich habe nirgendwo die Luxemburger als Steuerhinterziehungsgehilfen unter Generalverdacht gestellt. Vielmehr habe ich das Bankgeheimnis, eine lang eisern verteidigte Domäne Luxemburgs, in Verbindung gebracht mit dem daraus sich ergebenden Bankengeschäftsmodell der Beihilfe zur Steuerhinterziehung. Das hat mit dem einzelnen Luxemburger rein gar nichts zu tun. Dieses effiziente Geschäftsmodell hat zum enormen Bankenwachstum in Luxemburg maßgeblich beigetragen. Geburtshelfer dieses Geschäftsmodells war der Luxemburgische Staat, ohne dessen Hilfe das Bankgeheimnis nicht jahrzehntelang hätte aufrechterhalten werden können. Das ging zu Lasten anderer Staaten, denen Steuern vorenthalten wurden und weiterhin werden. Das ist schlicht und ergreifend kriminell, und nichts anderes.
    Auch aus diesem Grunde betrachte ich Herrn Juncker in seiner Paraderolle als Europäer mit einem gewissen Misstrauen.

    Die Europabeamten, geschickt in zwischenstaatlichen Institutionen versteckt, ausgestattet mit erheblichen Privilegien wie signifikant höheren Gehältern als nationale Beamte bzw. Angestellte, besserer Alterversorgung, geringer steuerlicher Belastung etc. (hierzu zählt auch der Zugang ihrer Kinder zu besonderen Schulen)
    genießen nicht nur in Luxemburg einen besonderen Status, der im Grunde genommen durch nichts gerechtfertigt ist. Schließlich leben und arbeiten sie in einen Staat der europäischen Union und nutzen dessen Infrastruktur und sollten daher wie die übrigen Bürger behandelt werden.
    Das ist auch eine Frage der Gerechtigkeit gegen die Bürger, die nicht privilegiert sind und alle Steuern und Abgaben, und damit auch die Aufwendungen für die zwischenstaatlichen Instutionen zu zahlen haben.
    Dass Luxemburg eine Hochburg von „Eurokraten“ ist, dürfte kaum zu bestreiten sein.

    „Falls Sie meine Ausführungen als „Schuldzuweisungen“ interpretieren, haben Sie allerdings meine Intention falsch verstanden. Ich beziehe mich in #21 eingangs ausdrücklich nicht auf das Schweizer Votum als solches, sondern auf den Diskurs dazu, wie er von populistischen Strömungen und Parteien vorgegeben wird und der sehr wohl durch eine „nationale Brille“ gekennzeichnet ist. Und dagegen ist auch Polemik angebracht.“
    Sehr geehrter Herr Engelmann, ich habe Ihre Ausführungen nicht als Schuldzuweisungen interpretiert. Die Schuldzuweisungen kamen reflexartig nach einem vorher einstudierten Muster aus der Politik ebenso wie die Drohungen.
    Was mich vielmehr bewegt ist die Frage, wie kann die SVP mit „Demagogie“ ein Referendum lostreten und gewinnen? Ist da nicht ein Unbehagen vieler Wähler angesprochen worden, das sich möglicherweise gar nicht ausschließlich auf den demagogischen Einfluss der SVP zurückführen lässt, sondern auch durchaus reale, nachvollziehbare Gründe hat?
    Ich scheue davor zurück, das Referendum als einen rein demagogischen Erfolg der SVP zu werten. Diese Interpretation ist mir zu einfach u.a. weil alle Schweizer, die mit Ja gestimmt haben, pauschal als populistisch Verführbare in eine Schublade gesteckt werden.
    Der Vorteil des Referendums liegt jedoch klar auf der Hand.
    Anders als in Deutschland, wo man vor einem Referendum generell Angst wie der Teufel vor dem Weihwasser hat (dieser Vergleich sei mir gestattet), weiß in Schweiz nun die Politik wie die Stimmung in der Bevölkerung ist und kann sich darauf einstellen.
    Aus diesem Grunde ist statt hektischer Verurteilungen und Drohungen Gelassenheit im Umgang mit der Schweiz sicherlich der bessere Weg.

  38. zu 34 # Rudi
    Eine Episode zum Thema Schulklassen.
    Es wurde beschlossen, eine Begründung wurde nicht gegeben, alle fremdsprachigen Kinder (hier Türken) eines Jahrgangs nicht mehr auf die Grundschulen in den zugehörigen Stadtbezirken (Stadt am Rande des Ruhrgebiets mit ca. 80.000 Einwohnern)zu verteilen, sondern den Jahrgang komplett auf eine einzige Grundschule zu verlegen.

    In dieser Grundschule wurden drei Klassen gebildet.
    Eine Klasse erhielt zwei türkische Schüler, eine weitere deren neun und die dritte keinen türkischen Mitschüler. Als die Eltern der Schüler der Klasse mit 9 Türkenkindern sich beim Rektor erkundigten, wie es zu dieser Aufteilung gekommen sei, stellte dieser sich – weil ein halbes Jahr vor seiner Pensionierung stehend – unwissend, mit der Aussage, davon sei ihm nichts bekannt.
    Die Begründung, die schließlich den Eltern der Schüler in der Klasse mit 9 türkischen Mitschülern gegeben wurde, war wirklich verblüffend. Die erste Klasse mit zwei türkischen Kindern umfasste 22 Schüler, die zweite Klasse nur 20 Schüler und die dritte ohne Ausländer gar 23 Schüler.
    Das Argument: Die Klasse mit nur 20 Schülern sei doch im Vorteil, eben wegen der geringen Schülerzahl. Dass diese Klasse 9 türkische Schüler (Ausländeranteil 45 %) hatte, die obendrein nur sehr geringe Deutschkenntnisse besaßen und demzufolge den Unterricht erschwerten, wurde einfach ignoriert. Auch gab es immer wieder Raufereien (genannt „Kloppereien“) mit den türkischen Kindern, die sich bald zu einer eingeschworenen Gemeinschaft zusammengeschlossen hatten.
    Die dritte wegen ihrer hohen Schülerzahl „benachteiligte“ Klasse war jedoch nicht zufällig gebildet worden.
    Wie sich bei Durchsicht der Familiennamen herausstellte, waren alle Schüler dieser Klasse aus einer Ecke der Stadt, in der bevorzugt Ärzte, Apotheker und Rechtanwälte wohnten. Rücksicht auf die eigenen Landsleute bei Verteilung der türkischen Kinder durch die Schulleitung war Fehlanzeige. Der Gruppenbildung der türkischen Mitschüler wurde zudem Vorschub geleistet.
    Abschließend sei erwähnt, dass diese Stadt seit Jahrzehnten fest in der Hand der SPD war.
    Woher ich das weiß?
    Ganz einfach. Mein Sohn gelangte in die Klasse mit den 9 türkischen Mitschülern und ich hatte selbst mit dem angeblich unwissenden Rektor gesprochen.
    Das sei nur als Beispiel mit dem Umgang bei der Bildung von Klassen erwähnt. Einer weitergehenden Bewertung möchte ich mich enthalten.

  39. zu 36 # Henning Flessner
    „Es geht nicht um unbeschränkte Zuwanderung. Es geht um Personenfreizügigkeit. Dies bedeutet, dass ich das Recht habe, mir einen Wohn- und Arbeitsplatz zu suchen, wo ich es möchte. “
    Sehr geehrter Herr Flessner, wer bestimmt, was Zuwanderung ist, und wer bestimmt was Personenfreizügigkeit ist? Und worin besteht der Unterschied? Diesen Unterschied sollten Sie präzise definieren.
    Als professioneller Schleuser werde ich meinen „Kunden“ sowohl Wohn- wie auch Arbeitsplatz versprechen und dafür mich entlohnen lassen. Versprechen kann ich besserte Sozialleistungen z. B. Kindergeld.
    In Bulgarien und Rumänien gibt es angeblich nur etwa 10,00 € pro Kind, in Deutschland – korrigieren Sie mich bitte, wenn ich falsch liege, 184,00 € je Kind.

    „Natürlich braucht es staatliche Ordnung. Aber mir fällt keine stichhaltige Begründung ein, warum es gerade ein Nationalstaat sein muss.“
    Sehr geehrter Herr Flessner:
    Ich erdreiste mich, Ihnen eine Antwort vorzuschlagen:
    „Mir fällt auch keine andere Begründung ein. Wir haben in Europa keine anderen Staaten.“
    Allerdings sollten wir den „Nationalstaat“ nicht allzu gering einschätzen, er ist in der Regel über Jahrhunderte gewachsen. Das mag in Ihren Augen kein Verdienst sein, kann aber nicht einfach ignoriert werden.
    Dieser „Nationalstaat“ hat nicht nur neuerdings die Verpflichtung, Dritten einen Zugang zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen, sondern auch – das darf nicht beiseite geschoben zu werden – die ernst zu nehmende Aufgabe, sich auch um die eigenen Bürger fürsorglich zu kümmern. Der Staat hat auch eine Fürsorgepflicht, den eigenen Bürger zu schützen. Das scheint in jüngster Zeit unter den Tisch zu fallen.
    Diese Position muss berücksichtigt werden.
    Dafür steht ihm das Gewaltmonopol zu.

    „Ich habe jahrelang in einer Abteilung mit 40-50 Leuten gearbeitet, die 17 verschiedene Muttersprachen hatten. Vielleicht liegt es an dieser Erfahrung, dass ich mit der Idee eines Nationalstaates wenig anfangen kann.“
    Sehr geehrter Herr Flessner, seien Sie mir bitte nicht böse, wenn ich feststelle, dass Ihr Staatsverständnis auf 40 bis 50 Mitarbeitern oder Kollegen mit 17 verschiedenen Muttersprachen beruht. Das verengt möglicherweise den Blick für die Sorgen von „normalen Mitbürgern“, wie ich einer wohl bin.
    Sie haben offenbar in einer sehr exponierten, sehr anspruchsvollen Position gearbeitet. Ihr Arbeitsumfeld dürfte sehr ungewöhnlich gewesen sein oder ist es immer noch.
    Das ist schon etwas abgehoben von den Sorgen kleiner Leute. Diese Anmerkung sei
    mir erlaubt … ohne jede Polemik.

  40. zu 38 runeB
    Ich verstehe nicht, was ihre Schulklasse mit „Das Problem der Schweizer“ zu tun hat.
    zu 39 runeB
    Personenfreizügigkeit ist in den Bilateralen Verträgen I definiert. Diese Verträge sind durch die Abstimmung (darum geht es in diesem Block) gefährdet. Sie werden sicher von Ihnen gehört haben.
    Es gibt keine professionalen Schleuser in die Schweiz. Es gibt aber Schweizer Firmen und Behörden, die Anzeigen im Ausland schalten.
    Wieviel Kindergeld es in Deutschland oder Rumänien gibt, spielt für die Situation in der Schweiz keine Rolle.
    Wenn man selber (ein nicht unbedingt freudig begrüsster) Ausländer ist, führt das Meinung nach, eher zu einem erweitertem Blickwinkel. Man sieht eben beide Seiten der Medaille. Ich kann nur jedem, besonders wenn man sich in diesen Fragen engagieren will, dazu raten mal einige Zeit im Ausland zu leben. Dazu muss man nicht in einer „sehr exponierten, sehr anspruchsvollen“ Position arbeiten. Baustellen mit 17 verschiedenen Muttersprachlern lassen sich in der Schweiz auch finden.

    Seien Sie mir nicht böse, wenn ich auf eine Diskussion, wer normal ist und wer nicht normal ist, verzichten möchte.

  41. Jetzt wird Henning Flessner wieder sagen: Wieso Deutschland oder Kanada, es geht doch um die Schweiz! Ich finde, die Schweiz völlig isoliert zu betrachten, geht nicht. Vergleiche helfen, eine Einordnung vornehmen zu können. In Deutschland gibt es ein ‚Zuwanderungsgesetz‘, das Bürger außerhalb der EU betrifft. Der Begriff klingt weniger verbindlich als ‚Einwanderungsgesetz‘. Denn dieser wird in den Paragraphenwerken nicht verwendet. Das Auswärtige Amt schreibt u.a.:

    „Für Hochqualifizierte ist die Gewährung eines Daueraufenthalts von Anfang an vorgesehen, sie können nach der Einreise sofort eine Niederlassungserlaubnis erhalten. Mit- oder nachziehende Familienangehörige sind zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt.

    Selbständige können eine Aufenthaltserlaubnis erhalten, wenn an dem geplanten Geschäftsvorhaben ein besonderes wirtschaftliches Interesse oder ein besonderes regionales Bedürfnis besteht. Dazu erfolgt eine Einzelfallprüfung des Geschäftsvorhabens, bei der auch zu den die Auswirkungen auf die Wirtschaft sowie die Sicherung der Finanzierung in Betracht gezogen werden.“

    Man könnte einwenden: Vor dem Gesetz sind alle Menschen gleich. Aber weshalb gilt das nicht für die Zuwanderung? Die Kanadier praktizieren eine Regelung, die auf den ersten Blick gerechter scheint. Potenzielle Einwanderer werden mit Punktzahlen bedacht. 67 Punkte von 100 möglichen müssen mindestens erreicht werden:

    Bildung: max. 25 Punkte
    Sprachkenntnisse: max. 24 Punkte
    Berufserfahrung: max. 21 Punkte
    Alter: 10 Punkte zwischen 21 und 49 Jahren, sonst null Punkte
    Anstellung in Kanada: max. 10 Punkte
    Anpassungsfähigkeit: max. 10 Punkte

    Außerdem muss man als Single ein Eigenkapital von 10.000 CAD$ nachweisen, eine Familie mit zwei Kindern 19.000 CAD$. Auf den zweiten Blick merkt man schon, dass die Kanadier bewusst Menschen auswählen, die formal ein gewisses Integrationspotenzial mitbringen.

  42. Also gut: vergleichen wir die Schweiz mit Deutschland (eine Schweizer Lieblingsbeschäftigung).
    Auch die Schweiz reglementiert genau wie Deutschland die Einwanderung aus nicht EU-Ländern.
    Deutschland reglementiert nicht die Zuwanderung aus der EU oder aus der Schweiz. Die Schweiz möchte dies einseitig ändern. Die Schweiz fordert nicht, dass Deutschland die Zuwanderung von Schweizern begrenzt.
    Deutschland erlaubt Zuwanderern ihre Familien mitzubringen und diese dürfen auch eine Arbeitstätigkeit aufnehmen (siehe oben). Die Schweiz möchte den Familienzuzug begrenzen können. Die Arbeitsaufnahme von Familienangehörigen war unter der alten Kontingent-Lösung nicht automatisch möglich. Auf dem ersten Ausländerausweis meiner Frau stand der schöne Satz: „Zweck des Aufenthalts: Verbleib beim Ehemann“.
    Unter die jährlich festzulegenden Kontingente fallen auch die Grenzgänger. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man in Deutschland die Zahl der Elsässer, die ins Badische zu Arbeit fahren (>20’000) begrenzen möchte.
    Ein Hintergedanke der Regelungen ist natürlich, dass in wirtschaftlichen Krisen, die Arbeitslosigkeit einfach exportiert wird. Wer seine Arbeit verliert, hat das Land zu verlassen und kann in seinem Heimatland Arbeitslosengeld beantragen. Etwas Vergleichbares ist in Deutschland nicht möglich.
    Eingeschlossen in die Kontingente sind auch Asylbewerber (Ausländer ist Ausländer). Die Kontingente sollen am Jahresbeginn festgelegt werden. Sind sie irgendwann danach vor Ablauf des Jahres erschöpft, müssen alle Asylbewerber aus verfassungsrechtlichen Gründen zurückgewiesen werden. De facto eine temporäre Abschaffung des Asylrechts. Dazu müsste man in Deutschland auch erst einmal die Verfassung ändern und dafür sehe ich keine Mehrheit. Wenn ich richtig informiert bin, braucht man dafür in Deutschland eine 2/3-Mehrheit im Bundestag. In der Schweiz reicht dafür eine Mehrheit bei einer Volksabstimmung (diesmal etwa 28% der Wahlberechtigten).
    Kanada und die Schweiz fordern eine Anpassungs- bzw. Integrationsfähigkeit.
    Wie will man das messen? Damit ist doch der Willkür Tür und Tor geöffnet. Das erinnert an den alten Witz: „Frauen werden bei gleicher Qualifikation bevorzugt. Leider kann man als Frau nicht gleich qualifiziert sein.“ Eine Steilvorlage für alle Kabarettisten.
    Was mir am kanadischen System nicht gefällt, ist, dass der Mensch auf seine Arbeitskraft reduziert wird.
    Nach dem kanadischem System könnte ich als gut ausgebildeter Vierzigjähriger mit Fremdsprachenkenntnissen und Berufserfahrung einwandern, ohne einen Arbeitsvertrag zu haben. Dann bevorzuge ich unsere jetzige Lösung, bei der man nur einen Arbeitsvertrag braucht.

    Man muss aber natürlich immer wieder betonen,
    -dass nur 28% der Wahlberechtigten dafür gestimmt haben,
    -dass es fast alles Kann-Bestimmungen sind, die mit grösster Wahrscheinlichkeit nicht umgesetzt werden.
    In der Schweiz kann es durchaus vorkommen, dass Verfassungsbestimmungen nicht in Gesetze überführt werden. Das soll es ich Deutschland ja auch geben.

  43. zu 40 # Henning Flessner
    „zu 38 runeB
    Ich verstehe nicht, was ihre Schulklasse mit “Das Problem der Schweizer” zu tun hat.“
    Beitrag 38 bezieht sich auf den Beitrag 34 # Rudi:
    „Aber wen interessiert das? Ihnen, die in problematischen Stadtteilen wohnen, werden weitere Lasten aufgebürdet, wenn etwa in den Schulklassen ihrer Kinder die deutschen Muttersprachler in die Minderheit geraten.“
    Sehr geehrter Herr Flessner,
    das Referendum in der Schweiz hat eine recht lebhafte Resonanz in Deutschland ausgelöst. Teils durch Leserzuschriften in Zeitungen teils durch die Überreaktionen aus der Politik bis hin zu Diskussionen im näherem Umfeld. Mein Eindruck war, dass in Deutschland – obwohl andere Voraussetzungen als in der Schweiz gegeben sind – in der Bevölkerung das Ergebnis des Schweizer Referendums nicht grundsätzlich kritisiert wurde.

    Es ist mir auch bekannt, dass Deutsche in der deutschsprachigen Schweiz nicht gerade gerne gesehen sind und man nicht gerne die deutsche Sprache auf den Straßen hört. Den deutschsprachigen Schweizern ist ein Gräuel hochdeutsch reden zu müssen, besonders im Zusammenhang mit der Behandlung durch einen deutschen Arzt, der kein Schwitzerdütsch beherrscht. Da können sich durchaus Resentiments ergeben.

    Im vergangenen Herbst wurden in unserem Stadtteil reihenweise Tiefgaragen geplündert. Es ging um die frisch montierten Winterreifen samt den zugehörigen Felgen. Allein in der von mit benutzten Tiefgarage, die nicht allgemein frei zugänglich ist, wurden von sechs PKWs Reifen samt Felgen demontiert und die autos auf den Bremsscheiben abgesetzt. Ein ähnliches Bild in den benachbarten Tiefgaragen.
    Wie sich herausstellte, wurden gezielt die Fabrikate Mercedes und Audi beraubt.
    Nicht genug damit. Auf dem Parkplatz hinter unserem Haus wurde ein nagelneuer PKW ebenfalls Opfer des Raubzugs. Der Wagen war gerade drei Tage alt. Er wurde so unsachgemäß abgesetzt, dass die Karosserie beschädigt wurde und der Wagen
    abgeschleppt werden musste. Einen Straßenzug weiter ein analoges Bild. Dort wurden auf einer Durchgangsstraße von einem dort abgestellten PKW Winterreifen samt Felgen entwendet.
    In beiden Fällen handelte es sich um Audis. Einmal A6 und einmal A5.

    Die Nutzer der Tiefgaragen – häufig ältere Personen – wagten sich etliche Tage nicht mehr bei Nacht in die Tiefgarage, aus Furcht dort irgendwelchen Gewalttätern zu begegnen. Die Täter wurden natürlich nicht ermittelt, aber es steht zu erwarten, dass im Frühjahr eine Aktion Sommerreifen bevorstehen könnte. Der unbestätigte Verdacht richtete sich auf Osteuropäer als Täter und Auftraggeber.

    Derartige Vorkommnisse wecken bei den „normalen Bürger“ (ich bitte die Anführungszeichen zu beachten) Sorgen und auch Ängste, nicht mehr in ausreichendem Maße durch den Staat geschützt zu werden.

    „Kanada und die Schweiz fordern eine Anpassungs- bzw. Integrationsfähigkeit.“
    Das ist in deutschland Jahrzehntelang aus rein politischen Gründen bewusst ignoriert worden (Stichwort u.a.: Keine „Zwangsgermanisierung“). Erst jetzt beginnt man sich der Thematik anzunähern und den Einwanderern Sprachkurse anzubieten. Mit den Folgen dieser jahrzehntelangen Versäumnisse muss sich die deutsche Gesellschaft nun auseinandersetzen.

    Zum Thema professionelle Schleuser:
    Bulgarien verkauft seit Jahren bulgarische Staatsbürgerschaften und auf Antrag auch Pässe, mit denen Moldawier sofort Zugang zur gesamten EU erlangen. Nicht in Einzelfällen, sondern in größerem Umfang. Ein Großteil dieser „bulgarischen Neubürger“ will nach Deutschland.
    Betrachtet man die Ereignisse in der Ukraine, so könnte sich für die Nachbarstaaten ein ähnliches Vorgehen als Geschäftsmodell anbieten.
    Die spanischen Enklaven in Afrika werden von tausenden Afrikanern belagert, die den Zugang zur EU (auch gewaltsam) erzwingen wollen.

    Ich vermute, dieser Zuwanderungsdruck wird zu neuen Problemen führen. Auch vor diesem Hintergrund ist die Resonanz auf das schweizer Referendum in Deutschland zu sehen. Ob man das pauschal mit Fremdenfeindlichkeit abstempeln sollte, scheint wohl zu kurz gegriffen zu sein.

    Abschließend möchte ich nochmals betonen, dass die EU gut beraten wäre, nicht mit reflexartigen Reaktionen auf das Referendum zu reagieren, sondern mit Augenmaß und ruhigem Verhandeln nach einer tragfähigen Lösung zu suchen. Das wäre vermutlich auch für die in der Schweiz arbeitenden Deutschen besser als entrüstete Drohungen auszustoßen.
    Europa hat momentan größere Problem als das Ergebnis des Referendums in der Schweiz. Siehe u.a. die Regierungsbildung in Italien, der drohende Zerfall und die sich andeutende Zahlungsunfähigkeit der Ukraine.

  44. @ Rudi, #34, runeB#38

    Rudis Eingangsbemerkungen in #34 machen deutlich, dass sich Missverständnisse durch Eingehen auf die Argumentation anderer durchaus ausräumen und sich so zumindest z.T. gemeinsame Sichtweisen erkennen lassen. Das zeichnet m.E. diesen Blog gegenüber anderen aus, wo im Wesentlichen nur Statements abgegeben werden.
    Ich möchte daher auf die mehrfach genannten Schulbeispiele eingehen – auch wenn diese sich eher am Rand der Thematik ansiedeln – und mit eigenen Erfahrungen vergleichen.
    „Dass man als Eingeborener Angst um seine Wohnung und seinen Arbeitsplatz bekommen kann, müsste doch nachvollziehbar sein. Aber wen interessiert das? Ihnen, die in problematischen Stadtteilen wohnen, werden weitere Lasten aufgebürdet, wenn etwa in den Schulklassen ihrer Kinder die deutschen Muttersprachler in die Minderheit geraten.“
    Zum 1. Teil völlig d’accord. Natürlich ist es legitim nachzufragen, auf wessen Rücken evt. negative Begleiterscheinungen etwa von Arbeitsmarktpolitik ausgetragen wird. Das sich daran anschließende Schulbeispiel belegt dies aber gerade nicht, weil die aufgestellte Relation Ausländeranteil = höhere Belastung (zumindest in der Regel) so nicht stimmt. Es kann auch das Gegenteil der Fall sein.

    Dazu meine eigenen Erfahrungen aus 9 Jahren Deutschunterricht in 2 Gymnasien in Berlin Kreuzberg und 4 Jahren in Luxemburger Klassen, die in etwa deutschen Hauptschulen entsprechen. Der Ausländeranteil in Kreuzberg (vorwiegend Türken, dann Griechen) betrug damals bis 50 %. (An anderen Schulen war er meist wesentlich höher, da das 50%-Quorum nach der damaligen Schulsenatorin an Gymnasien nicht überschritten werden durfte und ggf. durch Umverteilung auf andere Bezirke erreicht wurde.) In den genannten Luxemburger Klassen hielt sich das Verhältnis von Luxemburgern und Portugiesen in etwa die Waage.
    Ergebnis: Eine eindeutige Relation zwischen Nationalität und Leistung ließ sich in keinem der Fälle erkennen. In Kreuzberg war es mehrfach so, dass unter den besten Schülerinnen Türkinnen waren. In Luxemburg war meistens der Leistungsschnitt der portugiesischen Schüler besser als der von Luxemburgern, und das, obwohl die Sprachbarriere für sie erheblich höher ist.
    Erklärung: In beiden Fällen war dafür die bei ausländischen Kindern im Durchschnitt höhere Leistungsbereitschaft maßgebend. Bei deutschen Kreuzberger Kindern (überwiegend Unterschichtkinder) war die Vernachlässigung im Elternhaus oft höher, Deutsch wurde auch von diesen als 1. Fremdsprache empfunden. In Luxemburg war unter Luxemburger
    Kindern oft, bei Portugiesen so gut wie nie festzustellen, was man als „Wohlstandsverwahrlosung“ bezeichnen kann.
    Fazit für das Thema:
    Das oft als „Beleg“ für Leistungsverfall durch „Ausländer“ herangezogene Schulbeispiel ist in den seltensten Fällen stimmig. Es belegt vielmehr die Unsicherheit im Umgang mit Fremdem, die umso größer ist, je weniger konkrete Erfahrungen mit Fremden gemacht werden. Und zwar gilt dies für beide Seiten. Hier kommt das zum Zuge, was ich als typische „Projektion“ bezeichnet habe.
    Der Vergleich Stadt – Land beim Schweizer Referendum (vgl. Henning Flessner #20) belegt dies ebenso und zeigt damit, dass Akzeptanz von Fremden mit deren Zahl nicht abnimmt, sondern eher zunimmt, da die subjektiven Bedrohungsgefühle an Bedeutung verlieren – zumindest wenn sie nicht durch andere Faktoren (etwa Angst vor Kriminalität) überlagert werden.
    Es stellt sich also nicht die Frage der Beschränkung des Ausländeranteils an sich, sondern vielmehr, wie Integration gefördert und Ghettoisierung verhindert werden kann.
    Dazu gehören z.B. vertrauensbildende Maßnahmen. So haben an meinen jährlich stattfindenden Klassenreisen (bis auf einen Fall: 2 türkische Schülerinnen aus islamistisch geprägtem Elternhaus) immer alle teilgenommen. Öfter zu einer Ferienanlagen an der niederländischen Grenze mit Bungalows zu je 6-8 Personen. Eine entscheidende Voraussetzung für die Teilnahme seines Sohns – so erklärte mir einmal ein türkischer Vater im Nachhinein – sei meine Erklärung gewesen, dass ich selbst im Bungalow mit den türkischen Schülern wohnen würde.
    In ähnlicher Weise hat sich schon in den 80er Jahren in Berlin-Kreuzberg eine Art multinationale „Kultur“ mit sehr starker türkischer Prägung herausgebildet, die dazu führte, dass hier auch heute wesentlich weniger soziale Brennpunkte existieren als z.B. in Berlin-Neukölln.

    Zu den Negativ-Beispielen:
    Durch die Presse gingen die Beispiele der Rütli-Hauptschule in Neukölln und der Hoover-Realschule in Wedding. In beiden Fällen war das Hauptproblem das Zusammentreffen sehr unterschiedlicher nationaler Schülergruppen aus sozial benachteiligten Schichten mit sehr niedriger Toleranzschwelle. Dies führte zu Gang-Bildung, die nach außen als sich bekämpfende nationale Gangs in Erscheinung traten. In der Rütli-Schule trat eine Besserung erst nach dem Hilfeschrei der gesamten Lehrerschaft und – dadurch ausgelöst – eine gewisse gemeinsame Identifikation mit der Schule ein. Die Hoover-Realschule (mein Freund unterrichtete dort Sport) versuchte diese Identifikation schon vorher zu erreichen, so durch den von Schüler-, Eltern-, und Lehrervertretung getragenen Beschluss, dass auch auf dem Schulhof Deutsch gesprochen werden soll. Dieser Beschluss wurde aus einer merkwürdigen Koalition aus fundamentalistisch geprägten türkischen Vereinen einerseits, Multikulti-Träumern in der deutschen Presse andererseits hintertrieben, die beide der Schule vorwarfen, den türkischen Schülern ihre „Identität“ rauben zu wollen.

    Die vorstehenden positiven wie negativen Beispiele sollen zeigen, worauf es m.E. ankommt, nämlich nicht auf willkürliche Begrenzung der Zuwanderung, sondern auf umfassende Integrationsbemühung aller Seiten.
    Dabei stellen sich u.a. folgende Fragen:
    – Wie können Berührungsängste abgebaut und kann gegenseitige Toleranz gefördert werden? (Etwa bei gemeinsamen Veranstaltungen wie Schul- oder Stadtteilfesten)
    – Wie kann soziale Benachteiligung abgebaut werden? (Soziale Maßnahmen und Projekte, Verpflichtung z.B. auch der Industrie, sich daran zu beteiligen)
    – Wie kann gemeinsame Identifikation gefördert, Rückfall in nationale Denkformen verhindert werden? (Hier hätte z.B. die EU erheblichen Nachholbedarf)
    – Wie kann Fundamentalisierung und daraus oft folgende Ghettoisierung verhindert werden?
    (Verpflichtung der Respektierung gemeinsamer Grundwerte und Regeln, keine falsche „Toleranz“, z.B. gegenüber Versuchen, Inseln mit eigenen – z.B. islamistischen – „Gesetzen“ und Regeln, z.B. im Sport- oder Biologieunterricht zu schaffen)
    Der letzte Punkt dürfte wohl der schwierigste sein, wie die zunehmende Fundamentalisierung von der ersten bis zur dritten Einwanderergeneration, etwa in vielen deutschen Städten, zeigt.

  45. zu 44 # Werner Engelmann
    Das in 38 beschriebene Schulbeispiel belegt, dass aufgrund interner Manipulationen es zu einer derartigen Verteilung der türkischen Mitschüler gekommen war. Es war doch kein Zufall, dass in einer Klasse sich kein einziger türkischer Schüler befand, während eine andere Klasse die Mehrzahl aller türkischen Kinder (9 von insgesamt 11) aufnehmen musste.
    Hier hatte die „bessere Gesellschaft“, also Deutsche in einem mit sehr aufwendig ausgestatteten Häusern bestückten Neubaugebiet, ihre Interessen hinterrücks durchgesetzt. Leider sind das häufig auch diejenigen, die anderen sehr laut Toleranz predigen.

    Es wäre ein Leichtes gewesen, die türkischen Mitschüler gleichmäßiger auf die drei Parallelklassen zu verteilen. Was am Egoismus bestimmter Eltern, die ihren Einfluss geltend gemacht hatten, von vorneherein zum Scheitern verurteilt war.

    Leider gab es bei der Klassenfahrt erhebliche Widerstände von türkischer Seite. Reibungsarm (von reibungsfrei will ich gar nicht reden) verlief das Miteinander bedauerlicherweise nicht. Es wurden von türkischer Seite immer neue Forderungen erhoben, sodass der Eindruck entstehen konnte, die Klassenfahrt sei nicht gewollt.

    Festzuhalten ist, und da stimme ich Ihnen zu, dass in Deutschland das Thema „aktive Integration“ von gewissen politischen Gruppierungen (man könnte diese auch Multikulti-Träumer bezeichnen) ignoriert wurde. Ich erinnere nur an das eigentümliche Wort: „Zwangsgermanisierung“, mit dem man Andersdenkende in eine rechtsradikale Ecke stellen wollte.

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