Tiefe Kränkung des sich selbst feiernden Bildungsbürgertums

Kürzlich wurde der bisherige Frankfurter Kulturdezernent Felix Semmelroth (CDU) verabschiedet, mitten in einer Debatte über Kulturpolitik, die im Jahr 2013 durch ein Thesenpapier des Frankfurter Oberbürgermeisters Peter Feldmann (SPD) angestoßen worden war. Feldmann hatte darin provozierend formuliert:

„Deshalb ist Kulturpolitik um so erfolgreicher, je mehr sie sich als Bildungsaufgabe und Schmiermittel sozialer Infrastruktur, Wirtschaftsförderer und Integrationsmotor, Stadtentwicklungsprogramm und Präventionsstelle versteht.“

Kulturpolitik als Gesellschaftspolitik — das ist ein ur-sozialdemokratischer Ansatz, der Kultur nicht auf Kunst allein verengt. Dem gegenüber steht der Ansatz der früheren Oberbürgermeisterin Petra Roth (CDU) von den „Leuchttürmen“ der Kultur, als welche sie die kulturellen Institutionen Frankfurts sah: Oper, Schauspiel, Städel, Schirn, um nur einige zu nennen, sind zweifellos Institutionen, die weit über Frankfurt ausstrahlen. Ex-Kulturdezernent Semmelroth hingegen erwartet von der Kultur, „Sand im Getriebe“ zu sein, Widerstand gegen Vereinnahmung zu leisten. Passt das zusammen mit der „Leuchtturm“-Politik? Die ist ja zugleich auch eine Hochglanz-Politik ist, welche OB Roth oftmals die große Bühne bot, auf der sie sich gern zeigte. Sand ins Getriebe dieser Politik streute wohl eher … ja, OB Feldmann, der sich auffällig selten bei den „Leuchtturm“-Events zeigt. Peter Feldmann steht in dem Ruf, die Mieterversammlung der Opernpremiere vorzuziehen. Ein OB, der sich als Kümmerer gibt und auf Abstand zur Elite der Stadt geht — könnte es sein, dass diese Elite gekränkt ist? Das meint jedenfalls FR-Leser Hans-Georg Weigel aus Neu-Anspach in einem Leserbrief. Hierin sieht er den tieferen Grund für die scharfen Reaktionen auf Feldmanns Thesenpapier. Aber reden wir wirklich über Gegensätze und nicht aneinander vorbei?

Hier kommt der Leserbrief in voller Länge:

Tiefe Kränkung des sich selbst feiernden Bildungsbürgertums

von Hans-Georg Weigel

.

Irgendwann muss es auch mal gut sein. Seitdem Peter Feldmann Ende 2013 seine „Thesen zur Kulturpolitik in Frankfurt am Main“ vorgelegt hat, wird den Lesern bei jeder Gelegenheit vorgeführt, wie sehr der Oberbürgermeister in seinen kulturpolitischen Betrachtungen daneben liegt. Auch wir, die nicht zu der „das Kulturleben tragenden bürgerlichen Mitte“ gehören, haben verstanden – pures Banausentum.

Jetzt hat die FR deutlich übertrieben, in drei nacheinander folgenden Ausgaben (1., 2. und 3.7.) bringt sie die alte Leier und lässt keine Gelegenheit aus, Oberbürgermeister Feldman wegen seines mittlerweile zweieinhalb Jahre alten Kulturpapiers anzugehen – das ist Zeitung von gestern und reines OB-Bashing.

Peter FeldmannKlar, die Metapher „Schmiermittel“ ist irritierend und nicht geeignet, die komplexen Zusammenhänge zwischen Kunst, Kultur und anderen gesellschaftlichen Bereichen abzubilden. Aber dennoch, diese 4. These, in der jener Schmiermittel-Begriff verwendet wird, ist überschrieben mit „Kultur ist nicht Kunst“. Und damit markiert Feldmann eine wesentliche Leitdifferenz, die insbesondere Herrn Göpfert in seinen Angriffen entgeht.

Frankfurts OB Peter Feldmann (SPD) wird das Wort von der
Kulturpolitik als „Schmiermittel“ nicht los.
Foto: Michael Schick

Jüngstes Beispiel ist sein Artikel unter dem Titel „Autonomie der Kunst“ (FR vom 1.7). Er zitiert Ex-OB Roth mit „Die Autonomie der Kunst ist ein erkämpfter Baustein unserer postmodernen Gesellschaft“. Diese Formulierung positioniert er umgehend gegen die „Bestrebungen aus dem OB-Büro (…), die Kultur in Frankfurt in den Dienst einer Ideologie zu stellen“. Nicht nur, dass Göpfert genau diese Leitdifferenz von Kunst und Kultur außer Acht lässt, suggeriert er die Postmoderne, zentrale Wegbereiterin des Neoliberalismus, als ideologiefrei. Das kann doch nicht sein.

Sicherlich hat Kunst einen „ästhetischen Eigensinn“ und die Freiheit der Kunst ist in der Bundesrepublik grundgesetzlich geschützt. Kommt aber Kunst mit dem Bereich der Kultur oder besser dem Kulturbetrieb zusammen, entstehen Verbindungen und Kopplungen, die diese Autonomie einschränken oder auflösen. Eine dieser wesentlichen Kopplungen (Luhmann nennt es Kommunikationen) ist Geld oder besser Steuergeld. Damit sind wir im Bereich der (Kultur-)Politik, unterschiedliche Interessen treten zutage, und hier kann man doch mal streiten, welche Verknüpfungen zwischen Sozial- und Kulturpolitik denkbar sind.

Von Bebenburg geht einen Schritt weiter, bezieht er sich in seiner Berichterstattung über den Beitrag von Schauspiel-Intendant Oliver Reese beim hessischen Sozialforum ausschließlich auf dessen kritische Äußerungen zu Feldmanns Kulturbegriff („Zu reich für arme Kinder“, FR vom 4.7.). Von Bebenburg greift fünf Sätze aus einem 45-minütigen Beitrag, in dem Reese in einem spannenden, kulturell-sozialen „Cross-Over“ die sozialen und kulturellen Disparitäten und Paradoxien in der Stadt Frankfurt aufzeigt. Kein Wort davon in von Bebenburgs Artikel, stattdessen wieder OB-Bashing. Das ist keine Berichterstattung, sondern Meinungsmache.

Fast scheint es, als könnten die selbsternannten kulturellen Eliten der Frankfurter Stadtgesellschaft nicht ertragen, dass einer, ausgerechnet der OB, sich bewusst exkludiert und deutlich macht, in dieser Stadt gibt es auch noch anderes zu tun. Wie tief muss diese Kränkung im sich selbst feiernden Bildungsbürgertum sitzen, wenn man immer wieder auf die gleiche Stelle prügelt. Oder plagt das Versäumnis, dass Schwarz-Grün weder den freien Eintritt für Kinder und Jugendliche in die Frankfurter „Leuchttürme“ der Kultur noch ein Kinder- und Jugendtheater oder gar eine angemessene Ausstattung der freien Kulturszene angestrebt, geschweige denn umgesetzt haben? Da hätte ich bei so viel bildungsbürgerlicher Intellektualität mehr Souveränität erwartet.

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8 Kommentare zu “Tiefe Kränkung des sich selbst feiernden Bildungsbürgertums

  1. Selbstgefälligkeit trifft den Nagel auf den Kopf. Irgendwo war zu lesen, der Vorsitzende des Freundeskreises der Schirn wolle der neuen Kulturdezernentin „eine Chance“ geben. Zu gütig. Mit einer Kampagne wollen alle Frankfurter Tageszeitungen jede sachliche Erörterung der zukünftigen Positionierung der Frankfurter Schirn vom Tisch wischen. Sie folgen dabei willfährig den, auf Konzentration und Kontrolle abzielenden Machtinteressen der selbsternannten „Eliten“.

    Niemand hat die Bildende Kunst stärker als Schmiermittel für private und politische Interessen missbraucht als die dem Grosskapital (zuge-) hörigen neoliberalen Kreise der Petra Roth. Die Idee des Museums sowie des bürgerlichen Kunstbegriffes sind nachhaltig ruiniert, ein Gesamtkonzept für eine vernünftige Struktur des Ausstellungswesens insgesamt nicht ersichtlich. Kreative Potentiale werden unterdrückt, der kulturpolitische Diskurs findet seit Jahren in Geheimverhandlungen im Hinterzimmer statt.

    Zu Recht wird das Frankfurter Kulturangebot international eher als provinziell angesehen.

    Und seit zehn Jahren wird unwidersprochen propagiert, das Städtische Theater zähle jährlich 300 000 Besucher und sei somit für die Breite angelegt. Es sind wohl viel eher 30 000 Besucher mit je 10 Besuchen.

    Dabei darf und muss Kultur im Kern elitär sein, so lange jedem die Teilnahme möglich gemacht wird.
    Bitte aber nicht im Semmel- (rothschen) Sinne von „Brot und Spiele“

  2. Schmirgel und Öl gehören dazu.

    Solange Teile nicht zusammenpassen, werden sie abgeschmirgelt, damit sie glatt laufen und sich nicht gegenseitig abnutzen, werden sie geschmiert.

    Wer „Sand im Getriebe“ fordert, der hat das Prinzip und den Unterschied zwischen Kunst und Kultur nicht verstanden.

  3. „Das ist keine Berichterstattung, sondern Meinungsmache.“
    Der Vorwurf geht ins Leere, da sich Journalisten nicht als Berichterstatter verstehen, sondern als Meinungsbildner. Der Journalist ist nicht unparteiisch und will es auch nicht sein, er ist Partei und will es auch sein.

  4. @ Henning Flessner

    Natürlich verstehen sich Journalisten als Berichterstatter – mit Haltung. Das hat nichts mit Parteilichkeit zu tun, sondern mit Überzeugungen, und ist alles andere als neu. Ich habe es Ihnen schon einmal zu erklären versucht. Es gab einmal bei der FR die Trennung von Nachrichten- und Politikredaktion wie bei vielen Zeitungen. Wobei niemand glauben soll, dass jenes Nachrichtenressort „neutral“ berichtet hat. Es gibt keine neutrale Berichterstattung. Schon die Auswahl der Nachrichten beinhaltete eine Tendenz bei der Entscheidung. Aber die Artikel enthielten keine Meinung, das ist richtig. Solche Nachrichten finden Sie nach den Geburtswehen der digitalen Revolution überall im Netz. Die FR will nicht das Programm der Tagesschau vom Vorabend abgeben, sondern mit ihrem eigenen Blick auf die Themen sehen, so wie sie das früher auch im Politik-Ressort gemacht hat. Dazu gehörte die Seite 3, die Standpunkte-Seite, die Kommentare. Das ist im Kern das Programm, dass wir heute noch machen mit Themenschwerpunkten und großen Reportagen. Das hat nichts mit Parteilichkeit zu tun, sondern mit Profilbildung. Genau dadurch hat die FR wieder an pulizistischer Kontur gewonnen. Die Leserinnen und Leser wissen, dass sie Journalismus mit Haltung bekommen, wenn sie die FR aufschlagen.
    Es ist Unsinn zu behaupten, wir verstünden uns als Meinungsbildner. Es ist nicht möglich, Menschen zu überzeugen (= ihre Meinung zu bilden), die nicht überzeugt werden wollen. Die allermeisten Erwachsenen bringen bereits eine eigene Haltung aus ihrer Erziehung und Sozialisation mit, und daran orientiert sich auch die Wahl der Medien, die sie goutieren.
    Auch Claus-Jürgen Göpfert hat eine Haltung, hier in Sachen Frankfurter Kulturpolitik, aber diese Haltung muss selbstverständlich niemand hinnehmen. Jede/-r, der sich dazu berufen fühlt, kann einen Leserbrief schreiben, der, wie Sie sehen, auch veröffentlicht wird. Ich behaupte, dass Meinungsbildung viel eher über solche Debatten geschieht, wie wir sie hier führen, als über Zeitungs-Berichterstattung. Leserbriefe werden als meinungsbildende Beiträge vielfach unterschätzt.

  5. @Bronski
    „Solche Nachrichten finden Sie nach den Geburtswehen der digitalen Revolution überall im Netz.“
    Finde ich leider nicht.
    „Die FR will nicht das Programm der Tagesschau vom Vorabend abgeben,…“
    Dieser Vergleich passt allein schon von Umfang m. E. nicht.
    „Es ist Unsinn zu behaupten, wir verstünden uns als Meinungsbildner.“ Der Ausdruck stammt nicht von mir. Ein Mitglied der FR-Chefredaktion hat ihn in einem Presseclub der ARD benutzt.
    Es ist ja nicht so, dass es in der FR keine Artikel gäbe, die sich auf Berichterstattung beschränken. Heute z.B. auf der Seite D8 „Autokameras sind verboten“ von Pit von Bebenburg (Auswahl des Artikels rein zufällig). Es hängt also wohl vom Thema ab und inwieweit der Schreiber in der Thematik engagiert ist.
    Aber wenn Sie meinen, dass die Mehrheit der Leser es so wünscht, dann müssen Herr Weigel und ich damit leben.

  6. @ Henning Flessner

    „Finde ich leider nicht.“
    Nachrichten werden überall angeboten, nicht nur auf den Webseiten der Zeitungen oder der Nachrichtensender, sondern auch von Mailportalen und Providern. Wenn Sie sie bisher nicht gefunden haben, lassen Sie sich einfach mal per Google News eine Liste erstellen. Dafür braucht man heutzutage keine gedruckte Tageszeitung mehr. Sie können sich z.B. die FR-App holen und sind dann den ganzen Tag über immer auf dem Laufenden über alles, was aktuell passiert.

    „Dieser Vergleich [mit der Tagesschau] passt allein schon von Umfang m. E. nicht.“
    Ich wollte damit natürlich auf den klassischen Nachteil von Tageszeitungen gegenüber TV und eben auch Internet hinaus: Wozu brauchen Sie eine Zeitung, die Sie am folgenden Morgen nachrichtlich über all das informiert, was Sie am Abend vorher schon in der Tagesschau erfahren haben? Das wäre doch Verschwendung. Wir wollen etwas liefern, was auch am nächsten Tag noch interessant ist. Und das sind Nachrichten von gestern dann eben nicht mehr.

    „Ein Mitglied der FR-Chefredaktion hat ihn in einem Presseclub der ARD benutzt.“
    Er/sie meinte damit aber gewiss nicht Manipulation — in diesem Sinne verstehen Sie den Begriff „Meinungsbildner“ ja offenbar –, sondern den Auftrag, den Leserinnen und Lesern die Argumente zu liefern, mit denen sie z.B. in der Debatte um die AfD bestehen können. Stichwort „politische Bildung“. Das erreicht man, indem man Standpunkte aufzeigt, also mit Haltung. Dass der Vorwurf der versuchten Manipulation Unsinn ist, sehen Sie beispielsweise daran, dass Herr Weigel einen Leserbrief geschrieben hat, in dem er sich mit Göpferts Positionen auseinandersetzt, dass ich diesen Leserbrief in der gedruckten Zeitung gebracht und ihn hier zur Diskussion gestellt habe. Wenn es darum ginge, jemanden zu manipulieren — ganz abgesehen von der Frage, was wir davon hätten –, hätten wir diese Diskussion doch sicher unterschlagen, nicht wahr?

    „Aber wenn Sie meinen, dass die Mehrheit der Leser es so wünscht …“
    Dieses Konzept ist nicht meine Idee, sondern der Versuch der Zeitungsmacher — nicht nur der FR –, eine Antwort auf die veränderten Umstände zu geben. Tageszeitung wird heute nicht mehr als Vollversorger gebraucht. Zudem müsssen wir auch sehen, wie wir unsere bescheidenen Kräfte so einsetzen, dass wir eine Zeitung machen, die sich von den anderen so unterscheidet, dass die Leute sie gern lesen — Stichwort Profilbildung. Das ist schlicht ein Erfordernis der Zeit, eine Frage des Überlebens.

    Und um vielleicht nicht Ihnen, aber Herrn Weigel und seiner Kritik an Göpferts Kritik des Feldmannschen Thesenpapiers gerecht zu werden, sollten wir jetzt zum Thema zurückkehren. Es wäre zu schade, wenn dieses spannende Thema, die Frankfurter Kulturpolitik, einfach so in einer medienkritischen Diskussion unterginge, die wir schon mehrfach geführt haben. Also bitte zurück zum Thema.

  7. Als Frankfurts Oberbürgermeister Peter Feldmann Ende 2013 seine „Thesen zur Kulturpolitik in Frankfurt am Main“ veröffentlichte, lieferte er den Gegnern einer emanzipativen Kulturpolitik die besten Argumente für das Festhalten an der bisherigen Kultur für wenige.

    Insbesondere das Schlagwort von der Kultur als Schmiermittel in der Sozialpolitik scheint die geistige Situation der Sozialdemokratie zu entlarven. Kultur wird allem Anschien lediglich als Dienerin der Politik akzeptiert. Das bestätigt Herbert Marcuses Beobachtung von der Feindseligkeit der unteren Schichten gegenüber der kritischen Intelligenz. Solche erkennbar unreflektierte Auffassung macht es jenen, die sich als (elitäre) Stadtgesellschaft definieren, allzu einfach, auf die angeblich übergeordnete Rolle der Kultur zu verweisen und ihr lediglich eine Position jenseits aller Ideologien zuzugestehen. Doch gerade das ist Kultur eben nicht.

    Der Gießener Politikdidaktiker Wolfgang Hilligen (1916-2003), zwischen 1957 und 1985 Hunderttausenden Schülern (zumindest indirekt) bekannt geworden als Herausgeber und Mitverfasser der Schulbuchs „Sehen – Beurteilen – Handeln“, schrieb für das lange Zeit in der Bildungsarbeit vielgenutzte Lexikon „Gesellschaft und Staat“ (Signal Verlag, Baden-Baden 1976) zu diesem Thema:

    „Die Summe aller Lebensäußerungen und Gestaltungen des Daseins machen die Kultur einer Epoche oder eines Volkes aus. […] Im engeren Sinn versteht man in den Hochkulturen als Kultur diejenigen Lebensäußerungen, die den Zweck des bloßen Überlebens überschreiten: Werke der Sprache, der Bildenden Künste. […] Eine Gesellschaft, die die Gleichheit als unverzichtbares Kennzeichen der Menschenwürde verwirklichen will, muss die Voraussetzungen dafür schaffen, dass möglichst alle an der Kultur ihrer Epoche teilhaben können. Dieser Aufgabe dient die Kulturpolitik: Sie soll die Voraussetzungen schaffen für die schöpferische Tätigkeit von Einzelnen und Gruppen, für die Anteilnahme des Volkes, für die Erhaltung und Pflege kultureller Werke und Werte.“

    Genau darum sollte es Sozialdemokraten (und allen, die das normale Volk zu vertreten vorgeben) gehen: Nämlich die schöpferischen Tätigkeiten der Menschen zu unterstützen und allen die Teilnahme an diesen Prozessen der persönlichen und gesellschaftlichen Reflexion zu ermöglichen. Dies würde zudem einstmals hoch im Kurs stehende Traditionen der Arbeiterbewegung aufgreifen. Denn in der klassenbewussten Linken galt Jahrzehnte lang die Erkenntnis: Wer seine Situation nicht reflektiert, wird sie nicht verändern können. Die gegenwärtige Krise der Sozialdemokratie ist sicherlich auch auf dieses gestörte Verhältnis zur Kultur zurückzuführen.

    Wenn dem Oberbürgermeister die Leistungen des langjährigen Städel-Chefs Max Hollein und des bisherigen Kulturdezernenten Felix Semmelroth als zweifelhaft erschienen sind, warum hat er bei deren Verabschiedung nicht deutlich nachgefragt, wie vielen Normalbürgern sie im Sinne einer „Kultur für alle“ den Weg in die Museen, die Oper und das Schauspiel ermöglicht haben?
    Diese Frage hätte Mut erfordert und sie hätte mutmaßlich das breite Entsetzen der mehrheitlich indifferenten Kultur- Claqueure ausgelöst. Aber anders kann Kultur nicht neu begründet und nachhaltig ermöglicht werden.
    Leuchttürme, die lediglich Kulturdefizite überstrahlen, sind nichts anderes als beleuchtete Grabsteine eines Bewusstseins, das man zur Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Dummheit auf ewig tot halten möchte.

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