Irgenwie ist es ja schon aufregend. Wir erleben derzeit Tage und Wochen, über die es schon bald heißen wird, dass sie historisch seien. Kaum 20 Jahre nach seinem vermeintlichen Sieg über den real existierenden Sozialismus bricht derzeit der real existierende Kapitalismus zusammen. In einem Tempo, dass man das Gefühl bekommt, einem Zeitrafferfilm zuzusehen. Dieses Jahr waren es bisher zwei herausragende Tage, die Peaks der Entwicklung: Am 14. September brach die US-Investmentbank Lehmann Brothers zusammen. Dieses Ereignis markiert den wohl wichtigsten von vielen bisherigen Höhepunkten der internationalen Finanzkrise, solange sie „nur“ eine solche war. Nun droht daraus eine Weltrezession zu werden, Wachstumsprognosen werden drastisch nach unten korrigiert. Da trafen am 15. und 16. November, zwei Monate nach der Lehmann-Insolvenz, zum ersten Mal die Oberhäupter der G20 zusammen. Was zu Zeiten der G8 wieder und wieder gefordert worden war, wurde schlagartig Wirklichkeit, weil die Einsicht erwuchs, dass es ohne die Schwellenländer nicht mehr geht. Und ebenso schlagartig ist die Welt eine andere.

Dem Kapitalismus sollen Zügel angelegt werden – das ist die Summa aus der Gipfel-Erklärung, die natürlich, wie könnte es anders sein, erstmal nur eine Absichtserklärung ist. Wenn man sich den Gigantismus dieser Veranstaltung ansieht, bekommt man vermutlich nur eine ungefähre Ahnung davon, was im Hintergrund vor sich geht. Innerhalb weniger Monate, bis April 2009, soll die Weltfinanzordnung umgebaut werden; was seit den 70er Jahren gewachsen war, soll in gerade mal einem halben Jahr … verschwinden? Ganz sicher nicht! Der Kapitalismus ist nur in seiner Turbo-Version tot. Er soll nun umgebaut werden. Regelungen sollen her, die gewährleisten, dass Manager die Ziele ihrer Unternehmen mit mittelfristiger Perspektive verfolgen; an deren Erfolg sollen sich dann die Boni knüpfen. Das bedeutet das Aus für kurzfristige Renditeziele wie die, auf die Bänker bisher Jagd gemacht haben – man erinnere sich: Deutsche Bank 25 Prozent Renditeerwartung! Und es bedeutet das Aus für die Fixierung auf den shareholder value. Es hat nur noch keiner gemerkt, schreibt Robert von Heusinger in seinem Leitartikel.

Was wird sich ändern? Weg von den freien Wechselkursen der Währungen? Mehr Transparenz bei Finanzprodukten? Ein Auge auf die Rating-Agenturen – oder besser mehr als nur eines? All dies und noch viel mehr. Eine lückenlose Überwachung der Finanzmärkte soll her. Hegdefonds sollen überwacht, Steueroasen zur Kooperation verpflichtet werden, der IWF soll stärker ran. Und dem allem, fragt man sich da stirnrunzelnd, sollen die US-Amerikaner zugestimmt haben? Ja, so ist es. George W. Bush konnte ein Bekenntnis zum freien Welthandel im Text der Erklärung verankern, und das war’s dann. Die USA sind derzeit nicht mehr die Weltwirtschaftsmacht Nr. 1. Stattdessen haben sich die Europäer mit ihren Forderungen weitgehend durchgesetzt – auf dem G20-Gipfel von Washington, der die Vorarbeit leistete für einen G20-Gipfel im April. Es wird ein spannendes halbes Jahr.

Dr. Joachim Milz aus La Paz, Bolivien, zur Krisenbewältigung:

„Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, auf Krisen zu reagieren. Die eine wäre nachzudenken, Selbstkritik zu üben, Ursachen zu erkennen, um neue Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln. So könnte die Krise auch als Chance betrachtet werden, im Sinne des Zugewinns an Erkenntnis. Eine andere, möglicherweise bequemere Art zu reagieren ist: Augen zu und durch bis zur nächsten Krise.
Im Falle der OECD sowie der Mehrheit der sog. Wirtschaftsexperten trifft wohl letzteres zu. In Anbetracht der globalen Probleme (Klima, Welternährung, Erschöpfung natürlicher Ressourcen, sozialer Verfall, Bevölkerungswachstum …) erscheint es mir schon fast ungeheuerlich, dass außer Vorschlägen wie „Mehr Investition, mehr Schulden, mehr Konsum“ nichts kommt. Ein Nachdenken darüber, ob etwas grundsätzlich mit unserem Wirtschaftssystem nicht stimmt, das Hinterfragen, wie lange Wirtschaftswachstum überhaupt in der jetzigen Form noch möglich (und verantwortbar) ist, findet anscheinend gar nicht statt.
Wer wird denn den Voraussagen von Wirtschaftsweisen und anderer Experten noch glauben, die im Drei-Monats-Rythmus ihre eigenen Aussagen korrigieren müssen? Je mehr wir uns der jetzigen Krise verweigern desto stärker wird uns die nächste, dann noch schwerere treffen. Wir sollten uns langsam warm anziehen.“

Angela Scherer, Mainz, zur neuen Rolle des IWF:

„Oh Gott, mit dem IWF würde man nun wirklich den Bock zum Gärtner machen! Der hat schon genug Unglück angerichtet mit seiner Erpressung zu Deregulierung, Privatisierung auf Teufel komm raus und dem Hochschaukeln von Luftinvestitionen und Verschuldung.
Einander erst mal zuhören und verstehen versuchen, wer was womit meint, ist sicher ein sinnvoller Beitrag zur interkulturellen (Wirtschafts-) Kommunikation. Gemeinsames Anschauen des Films „Let’s Make Money“ könnte hilfreich sein. Fraglich ist jedoch, ob sich lobbygesteuerte Regierungen der Tatsache stellen wollen, dass sie allzu oft das Geschäft von drogensüchtigen Spekulanten fördern.“

Jost Schneider aus Wuppertal hat ein Rezept gegen die Shareholder-Value-Mentalität:

„Der Verweis auf die Grundzüge der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland, wie sie von Eucken und Erhard entworfen und umgesetzt wurde, lässt sich nicht so ohne weiteres auf die globale Weltwirtschaft übertragen. Schon Karl Marx bezeichnete das Kapital als „scheues Reh“, das sich dem Zugriff staatlicher und supranationaler Aufsichtsversuche entziehen wird. Ansetzen müsste man meiner Meinung nach bei den Aktiengesellschaften, die ohne Rücksicht auf den Verlust von Arbeitsplätzen „shareholder value“ praktizieren. Über Kaufboykotte könnte man versuchen, die Politik der AGs und ihrer Aufsichtsräte in die gewünschte Richtung zu beeinflussen.“

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8 Kommentare zu “Die Geister, die sie riefen …

  1. Schon spannend, wie sich der Vergleich mit dem Zauberlehrling inzwischen überall findet 🙂

    Wer auf meinen Namen klickt, findet den Walt-Disney-Film zum Zauberlehrling in meinem Blogbeitrag vom 9. Oktober 😉

  2. Erst mal weltweit a l l e Steueroasen schließen ! Bei Einsicht und Einigkeit leicht durchzuführen und als Vertrauen bildende Maßnahme ein erster Schritt in die richtige Richtung.
    Bin gespannt auf Argumente, warum das nicht geht.

  3. Erhard und Marks drehen sich zur Zeit im Grabe wir Brummkreisel,allerdings jeder in eine andere Richtung,aber der Wind ist der Gleiche.

    Was würden die beiden uns sagen oder Raten ?????

  4. alterbutt,

    manchmal bist auch du schwer zu verstehen.
    Marx und Erhard in einem Satz ?

    Welcher Wind ist der Gleiche ?

    Schade, so wenig Meinungen zu diesen z.Z. wichtigstem Thema.

  5. der gleiche Wind bezieht sich auf Gewinner und Verlierer die es in beiden Windrichtungen geben wird und immer gab.
    Einen Rat von beiden Seiten würde ich mir gern anhören,allein,weil beide die Erfahrung von Jahrzehnten einfließen lassen könnten.
    🙂

  6. Abschließende Bemerkung.

    Die Führenden müssen die Bedingungen schaffen, unter denen die Geführten gut leben können.

    Wenn sie dies nicht schaffen, dürfen sie nicht länger führen.

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