In einem FR-Gastbeitrag hat Heinrich Alt, Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit, für „eine Kultur der Wertschätzung“ plädiert. Er scheint damit einen Nerv getroffen zu haben, denn es gab viele Leserbriefe zu diesem Thema. Heinrich Alt bezieht es hauptsächlich auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der BA und die enormen quantitativen und emotionalen Belastungen, denen sie ausgesetzt sind — unter anderem wegen fast ausschließlich negativer Berichterstattung über Hartz IV und den damit einhergehenden Folgen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Kann man einen Job gern machen, der ein solches Negativimage hat? „Ich möchte Kollegen, die stolz sind auf das, was sie tagtäglich leisten“, schreibt Alt. „Destruktive Kritik demotiviert ebenso wie Misserfolg.“
Da hat er natürlich Recht — destruktive Kritik kann ganz schön demotivierend sein. Vor allem, wenn sie wahrscheinlich zutrifft. Die Zahl der Klagen und Prozesse über und wegen Hartz IV ist Legion. Schon kurz nach dem Start dieser „wohl bedeutendsten Sozialreform in der Nachkriegsgeschichte“ wurde klar, dass es ein schlecht gemachtes Gesetz ist. Dafür können natürlich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundesagentur für Arbeit nichts; die haben das Gesetz schließlich nicht geschrieben. Aber sie müssen es ausbaden.
Heinrich Alt möchte, dass wir die Menschen, welche die Fälle ihrer Klienten bei der BA bearbeiten, als das sehen, was sie sind: als Menschen. Das ist ein ehrenwertes Ansinnen. Man sollte es erweitern. Tatsächlich sollten wir eine Kultur der Wertschätzung pflegen — aber nicht nur den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der BA gegenüber. In Zeiten, in denen Menschen vorwiegend als Kostenfaktoren gesehen werden und nicht als Humankapital, wäre es dringend erforderlich, dass wir uns auf Werte der Humanität besinnen und nicht nur die Arbeit wertschätzen, die Menschen leisten, sondern auch die Menschen selbst. Sonst leben wir bald in einer völlig entmenschlichten Welt. Insofern pflichte ich Heinrich Alt bei: Schöne Worte, Herr Alt. Viele ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden das gern lesen. Aber Sie sind ein Rufer in der Wüste.
Edmund Dörrhöfer aus Flörsheim meint:
„Das ist schon ganz schön feist, was Heinrich Alt da schreibt. Es geht in seinem Beitrag um die enorme quantitative und emotionale Belastungen der Mitarbeiter, die hohe Personalfluktuation, die fehlende Anerkennung und Wertschätzung der Mitarbeiter sowie die öffentlich Erregung aufgrund fehlender Kenntnisse der Hintergründe. Aber sind dies nicht alles Punkte, für die der oberste Chef – nämlich Herr Alt selbst – zumindest eine Mitverantwortung trägt?
Hat ein Vorgesetzter nicht die Verpflichtung, seine Mitarbeiter vor zu hoher quantitativer und emotionaler Belastung zu schützen? Was tut Herr Alt dagegen? Was sind die Gründe der hohen Personalfluktuation? Da sollte Herr Alt mal drüber Auskunft geben.
Wie steht es um die Anerkennung und Wertschätzung der Jobcenter-Mitarbeiter von Seiten des Arbeitgebers? Wie anerkennt und wertschätzt Herr Alt die Leistung der Mitarbeiter an der Basis?
Herr Alt kritisiert die öffentliche Erregung aufgrund fehlender Kenntnisse der Hintergründe. Dann klären Sie doch die Öffentlichkeit über die Hintergründe auf, Herr Alt. Bringen Sie mal etwas Transparenz in Ihren (bzw. unser aller) Laden! Schließlich wird dieser – einschließlich ihres Gehalts – von den sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten bezahlt.
Fazit: Herr Alt macht in seinem Gastbeitrag andere für sein Missmanagement verantwortlich. Er hätte seinen Gastbeitrag auch stark verkürzen können: Ich bin den Ansprüchen des Jobs nicht halbwegs gerecht geworden. Ich mache und machte Fehler über Fehler. Ich möchte mich bei allen Mitarbeitern der Jobcenter und den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten entschuldigen, trete unverzüglich von meinem Amt zurück und verzichte auf alle Pensionsansprüche aus dieser Beschäftigungszeit.
Christl Schäfer aus Rodgau:
„Das Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit Heinrich Alt schreibt in seinem Gastbeitrag sehr viel Wahres. So mahnt er eine Kultur der Wertschätzung und des Vertrauens gegenüber den Kolleginnen und Kollegen der Jobcenter an. Er vermisst allgemein die notwendige Akzeptanz und ein Marketing des Systems der Grundsicherung.
Ich bin seit Januar 2005, d.h. von Beginn an, Mitarbeiterin eines Jobcenters. Davor war ich bereits seit fast 30 Jahren Beamtin der BA, die meiste Zeit als Arbeitsberaterin in einer Arbeitsagentur. Was ich beim Übergang von der Arbeitsagentur in das Jobcenter (damals eine ARGE von BA und Kommune) vermisst habe, war nicht die Akzeptanz der Öffentlichkeit oder die Wertschätzung der mir anvertrauten „Kunden“, sondern eine positive Haltung der Mitarbeiter und Führungskräfte meines Arbeitgebers , der Agentur für Arbeit, gegenüber dem neuen System und ihren Mitarbeitern, also auch mir gegenüber.
Von Beginn an habe ich erlebt, dass die Jobcenter in der BA als Anhängsel, Fremdkörper oder auch Konkurrent betrachtet wurden. Es fielen sogar aus meiner damaligen Arbeitsagentur Begriffe wie „Feindesland“. So wurden die Kolleginnen und Kollegen die, zum Teil unfreiwillig, in die Jobcenter überwechselten eher bedauert, denn in ihrer neuen Aufgabe bestärkt und unterstützt.
Die verbliebenen Mitarbeiter der Arbeitsagenturen kümmerten sich nunmehr verstärkt um Menschen, die eine Unterstützung bei der Arbeitssuche eigentlich gar nicht benötigen – siehe „Job to Job-Vermittlung“.
Die berufliche Eingliederung schwervermittelbarer Personen sahen sie lange Zeit als lästige Aufgabe an, da in diesem Bereich Erfolge nicht kurzfristig eintreten und anhand von Zahlen festzustellen sind. Diese schwierige Vermittlungsaufgabe, die vielfach ohne Anerkennung in der Öffentlichkeit geleistet werden muss, haben die Mitarbeiter der BA gerne den Kollegen der Jobcenter überlassen. Erst in letzter Zeit findet in den Arbeitsagenturen hierzu ein Umdenken statt.
Vieles hätte sich vielleicht nicht in die von Herrn Alt beschriebene falsche Richtung entwickelt, wenn die BA sich von Beginn um den Erfolg und die Imagepflege der Jobcenter bemüht hätte. Dazu gehören eben nicht nur das Sammeln von Zahlen und ein von Statistikern erdachtes Controllingsystem.
Hätte man von Seiten der BA von Anfang an den Mitarbeitern und ihrer Arbeit im System die Wertschätzung entgegengebracht, dann müsste diese nicht 10 Jahre nach dessen Einführung angemahnt werden.“
Michael Bellwinkel aus Dortmund:
„Heinrich Alt ist uneingeschränkt zuzustimmen bei seinem Appell für einen wertschätzenden Umgang mit den Mitarbeiter/innen in den Jobcentern. Die mir bekannten leisten hoch engagiert ihre Arbeit. Und warum sollten auch in Jobcentern weniger engagierte Mitarbeiter/innen tätig sein als anderswo? Allerdings arbeiten sie im Vergleich zu anderen Erwerbstätigen unter überdurchschnittlichen psychischen Belastungen. Einige Ursachen wurden in dem Beitrag benannt, wesentliche hingegen nicht. Denn unstrittig ist, dass die Mitarbeiter/innen der Jobcenter auch als Prellbock für eine vielfach verfehlte Arbeitsmarktpolitik herhalten müssen.
Dazu zählt sicherlich das neoliberale Mantra des „Förderns und Forderns“, das per se unterstellt: Der Arbeitslose an sich ist arbeitsunwillig und nur unter Druck bereit, eine Arbeit aufzunehmen, was auf die Mehrzahl der Arbeitslosen wie eine persönliche Beleidigung wirken muss. Mit diesem Menschenbild verbunden wird das Etikett der Hilfsbedürftigkeit, das ALG II-Beziehern angeheftet wird. Man stelle sich vor, auch andere Sicherungssysteme – wie die Kranken- und Rentenversicherung – würden ihr Klientel so kategorisieren, weil es krank ist oder das Rentenalter erreicht hat. Wer als hilfsbedürftig eingeordnet und dann auch so behandelt wird, bei dem darf man sich nicht wundern, dass diesem der Glauben an sich verloren geht.
Will man Langzeitarbeitslosen Teilhabe am Erwerbsleben ermöglichen, kommt man angesichts eines stabilen Sockels von rd. 1 Mio. Langzeitarbeitslosen an einem öffentlich finanzierten Arbeitsmarkt nicht mehr vorbei. Die Versuche der Jobcenter, ihr Klientel in den 1. Arbeitsmarkt zu vermitteln, greifen immer weniger. Deshalb sollte Arbeitslosen, die nach 12 Monaten Arbeitslosigkeit auf dem 1. Arbeitsmarkt keine Stelle gefunden haben, eine öffentlich finanzierte, zur Person passende Stelle angeboten werden. Eine solche Neuausrichtung der Arbeitsvermittlung nimmt Frust und damit Stress auf allen Seiten – bei den Jobcenter-Mitarbeiter/innen wie bei den Arbeitslosen – und vermeidet die hinlänglich bekannten Begleiterscheinungen bei Langzeitarbeitslosigkeit von sozialer Deprivation bis hin zum Verlust der Gesundheit. Auch volkswirtschaftlich ist dieser Weg allemal sinnvoller, als Menschen in erzwungener Untätigkeit zu alimentieren.“
Ernst Niemeier aus Wentorf:
„Heinrich Alt beklagt, dass die Mitarbeiter der Job-Center nicht ausreichend wertgeschätzt würden, und er wünscht, dass Job-Center als „Synonym für sozialstaatlich gut organisierte Nächstenliebe“ wahrgenommen werden. Zu einer solchen Kritik und zu solchen Wünschen kann er nur kommen, wenn er die Agenda 2010 und insbsondere Hartz IV blind als positive Reform versteht. Er behauptet ja auch, dass es sich dabei um die „wohl bedeutendste Sozialreform in der Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik“ gehandelt habe, obwohl sie erstens auf einer falschen neoliberalen Ursachendiagnose der Arbeitslosigkeit beruhte und obwohl sie zweitens nicht wirklich eine Reform, sondern ein Mittel des Sozialstaatsabbaus war. Eine Abbaumaßnahme, in der die Regelsatzbemessung vom Bundesverfassungsgericht 2010 als verfassungswidrig beurteilt und in der sie als die Menschenwürde verletzend festgestellt wurde. Dass die 2011 in Kraft getretene Neuregelung verfassungskonform ist, wird von namhaften Sozialrichtern nach wie vor bezweifelt. Diese Politik stellt, wie der Vorsitzende Richter des Landessozialgerichts Hessen, Jürgen Borchert, feststellt, statt eines Krieges gegen die Arbeitslosigkeit einen Krieg gegen die Arbeitslosen dar. Das ist der wahre Grund für die mangelnde Wertschätzung der Mitarbeiter der Job-Center. Geändert werden kann das nur durch eine Aufhebung der unseligen Agenda-Maßnahmen. Das ist auch deshalb gerechtfertigt, weil die Agenda-Politik den Rückgang der Arbeitslosigkeit (die mit fast drei Millionen immer noch viel zu hoch ist) nicht wirklich bewirken konnte und auch nicht bewirkt hat. Ihr liegt erstens schon ein merkwürdiges Menschenbild zugrunde, das davon ausgeht, dass Millionen von Arbeitslosen arbeitsunwillig seien, die deshalb durch Kürzung von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe sowie durch Verschärfung der Zumutbarkeitsbedingungen für die Arbeitsaufnahme und bei Verletzung dieser Anforderungen durch Sanktionen „bewegt“ werden müssten, Arbeit anzunehmen. Zweitens ließ das Verhältnis der Zahl der Arbeitslosen zur Zahl der offenen Stellen erkennen, dass die wahre Ursache die fehlenden Arbeitsplätze waren. Denn die Zahl der Arbeitslosen war zum Zeitpunkt der Agenda-Konzeption etwa zwanzigfach höher als die Zahl der offenen Stellen. Es fehlte also nicht an der Arbeitswilligkeit, sondern an den offenen Stellen, die nicht vorhanden waren, weil die gesamtwirtschaftliche Nachfrage (die Binnennachfrage) durch eine falsche Lohnpolitik (die eine Steigerung unterhalb der Produktivitätsentwicklung forderte) und durch eine systematisch proxzylische Finanzpolitik gravierend geschwächt wurde. Der relative Aufschwung am Arbeitsmarkt wurde vielmehr – wie das Sachverständigenrats-Mitglied Peter Bofinger es schon 2007 aufzeigte – durch die weltwirtschaftliche Nachfragedynamik und die Verminderung der Arbeitsangebotsentwicklung bewirkt. Um die wünschenswerte Wertschätzung seiner Job-Center-Mitarbeiter zu erreichen, sollte Heinrich Alt die Ursache der mangelnden Wertschätzzung angehen und die Bundesregierung zu einer Korrektur der unseligen Agenda-Maßnahmen bewegen.
Verkehrte Welt.
Es ist die Pflicht des Staates und der Wirtschaft, jeden Bürger in Lohn und Brot zu bringen. Sowas heißt soziale Marktwirtschaft. Arbeitslosigkeit ist ein Versagen des Staates und der Wirtschaft, nicht der Arbeitnehmer. Wenn die sogenannten Eliten sich herausnehmen, Lenker der wirtschaftlichen Geschicke zu sein, obliegt ihnen auch die Pflicht, Vollbeschäftigung zu gewährleisten. Wenn sie dies nicht schaffen, haben sie versagt, nicht die abhängig Beschäftigten.
Man darf und soll von höherbezahlten Eliten verlangen, eine Volkswirtschaft hervorzubringen, die jedem Bürger ein Auskommen gewährleistet.
ich denke die Sache ist eigentlich ganz einfach. Die Politiker der CDU und SPD usw erwarten das die Arbeitslosen die linke wählen. Deshalb haben sie keine Lobby in diesen Parteien.
Ernst Niemeier bringts auf den Punkt , Hartz 4 selber verhindert die Schaffung vernünftiger Arbeitsplätze , über die Schwächung der Binnennachfrage , die eine direkte Folge der Reform selber ist.
Gewollt , kein Zufall , der Exportanteil soll – im Namen der Anleger – überhitzt werden , das geht am besten über eine Niedriglohnpolitik , die eben nicht den Vergleich mit China sucht , wohl aber den mit vergleichbaren Staaten wie Frankreich usw.
Das wird auf Dauer nicht gutgehn , Deutschland lebt auf Kosten der Substanz seiner Arbeitnehmer , es ist abzusehen , daß Deutschland doch noch zu dem werden wird , was ihm in den 90ern zu Unrecht vorgeworfen wurde , nämlich der „kranke Mann Europas “ zu sein.
Dann wird es Deutschland sein , das auf europäische Hilfe angewiesen sein wird , mal schauen , wie sich dann das heutige Großkotz-Verhalten auswirken wird.
Psychologie ist mein Hobby:
Diejenigen, die sich um die Unglücklichen der Gesellschaft kümmern, werden nicht nur schlecht bezahlt, sie werden auch noch schlecht angesehen und letztlich von beiden Seiten zu Schuldigen gemacht.
Geschickt und durchdacht wird eine „Behörde“ zwischen die Konfliktpartner oder -gegner geschaltet, damit diese sich nicht miteinander auseinandersetzen müssen, und zerrieben werden die Vermittler, und wen sie sich nicht zerreiben lassen wollen, werden sie intern ausgrenzt.
Dieses Phänomen ist überall zu beobachten, wo Menschen im sozialen Bereich arbeiten.