Das hessische Kultusministerium will bis Ende 2017 in den Staatlichen Schulämtern 40 Stellen abbauen. Davon seien auch Stellen für Schulpsychologen betroffen, berichtete FR-online.de am 9. Februar. Im Print war’s einen Tag später. Kultusminister Alexander Lorz (CDU) hatte betont, von den Kürzungen seien lediglich Lehrerstellen und die Unterrichtsversorgung an den Schulen ausgenommen. „Selbstverständlich wissen wir um den hohen Stellenwert der Schulpsychologie in Hessen“, ließ Lorz den Berufsverband der Hessischen Schulpsychologinnen und Schulpsychologen (BHS) in einem Anfang Februar verfassten Schreiben wissen. Gleichzeitig verweist er auf die „Einsparerfordernisse“ in der gesamten Bildungsverwaltung. Formaljuristisch gehören die Schulpsychologen zur Verwaltung.
Tags darauf kam das Dementi: Von den hessenweit 92 Stellen könnten 15 wegfallen – diese Zahl sei „völlig aus der Luft gegriffen“, sagte dagegen ein Sprecher von Kultusminister Alexander Lorz (CDU) der dpa. Richtig sei, dass bis 2017 in der Schulverwaltung 40 Stellen wegfallen. Über die Kürzungen sollten die 15 staatlichen Schulämter in eigenem Ermessen entscheiden. Das könne auch Schulpsychologen treffen, sei aber mit Sicherheit nicht der erste Bereich, der dabei in den Blick komme, sagte der Sprecher. „Wir wissen selbstverständlich um den hohen Stellenwert der Schulpsychologen.“ Nach dem Amoklauf von Winnenden (2009) hatte das Land Hessen mehr Schulpsychologen eingestellt.
Es sind diese Kleinigkeiten aus der Provinz, die immer wieder die Frage aufwerfen, ob die Politik die Leitplanken der gesellschaftlichen Entwicklung wirklich noch im Auge hat. Es gibt einerseits Sparzwänge überall in der Politik, und es gibt vermutlich keinen Bereich öffentlichen Lebens, dessen Protagonisten freiwillig rufen würden: Hier, bei uns kannst Du streichen, lieber Herr Minister. Es gibt meines Erachtens jedoch gesellschaftliche Bereiche, die definitiv sakrosankt sein sollten, wenn es ums Streichen geht, und die sogar eher ausgebaut werden müssten – und dazu gehören in Zeiten von salafistischer Infiltration ganz klar die schulpsychologischen Dienste Deutschlands. 92 Stellen für ein großes Bundesland wie Hessen sind viel zu wenig.
Renée Arons aus Langen:
„Diese Meldung in der FR vom 10. Februar auf Seite R1 ist wirklich zum Haareraufen: In Gesprächsforen und Diskussionsrunden, von Experten und Sachverständigen wird zurzeit (erfreulicherweise) immer wieder betont, wie wichtig Prävention bei dem Problem der Radikalisierung von Jugendlichen ist – und dann will das hessische Kultusministerium in nächster Zeit u.a. Stellen für Schulpsychologen abbauen. Lebt das Kultusministerium in einer anderen Welt? Sind Schulen nicht ein prägendes Umfeld für Jugendliche? Wenn Hilfe für Jugendliche etwas bewirken kann, dann doch sicher dort! Es ist absolut verantwortungslos, Stellen im Schulsozialbereich zu streichen und es ist ein Skandal, dass auf dem Rücken derer, um die man sich sorgen muss, der Sparkurs exerziert wird.“
Regina Neumann aus Marburg:
„Die Streichung von Stellen für Schulpsychologen zeigt die Kurzsichtigkeit der Sparpolitik: Spart ein Schulpsychologe im Jahr nur bei zwei Klienten die Heimunterbringung, hat er sein Gehalt „verdient“. Leider sparen dabei „nur“ die Kommunen, nicht das Land, sonst würde die Regierung – vielleicht – sich ihr Sparprogramm noch einmal überlegen.“
Jochen Strauß aus Frankfurt:
„Zunächst bleibt das Land mit dem Rückbau der Schulpsychologischen Dienste ja lediglich im Trend: In Frankfurt etwa war der Schulpsychologische Dienst viele Jahre unterbesetzt, und die zugesagten Aufstockungen nach Winnenden hatten (auch in anderen Bundesländern wie Baden-Württemberg) rein deklamatorischen Charakter. Logisch, dass die wenigen dann tatsächlich geschaffenen Stellen sofort zur Disposition stehen, wenn die Erinnerung an die Amokläufe wieder verblasst.
Was hier aber in den Hintergrund gerät ist doch die Vielfältigkeit der Aufgaben der Kolleginnen und Kollegen im „Lebens- und Entwicklungsfeld Schule“. Letztlich werden in allen Bereichen der Erziehung Eltern, Kinder und Jugendliche auf privatwirtschaftliche, teilweise privat zu finanzierende Angebote und Hilfen verwiesen – was natürlich den Abstand zwischen den Kindern derer, „die sich das leisten können“ (die Finanzierung der Unterstützung für ihre Kinder nämlich“) und den anderen zu vergrößern hilft – im Sinne des „Klassenerhalts“ Ersterer. Und die „grüne“ Position dazu? Aber wahrscheinlich sind die Kinder „grüner Spitzenpolitiker“ längst Klassenkameradinnen der Kinder der CDU/FDP-Größen, und ihr Bildungserfolg ist daher weitgehend abgesichert.“
Sehr interessant, werden doch viele Hochbegabte erst durch die Konsultation von Schulpsychologen erkannt und angemessen gefördert und in die richtigen Laufbahnen gesetzt.
Mit der Reduktion der Schulpsychologen schüttet man nicht nur das Kind mit dem Bade aus, nein, man schüttet die hochbegabten Handwerker, Künstler und Akademiker gleich mit aus, gleichzeitig betreibt man mit vielen Millionen randständige Begabtenförderung a la R.Koch, die weder Hand noch Fuß hat.
Da hat man wohl ganz aus dem Auge verloren, daß Schulpsychologen nicht bloss Notfall-Therapeuten sind, sondern auch Talentsucher und Talentförderer.
In manchem „Drop-Out“ steckt ein unerkanntes Potential, und mancher ist wohl nur mit Hilfe von Schulpsychologen im richtigen Beruf (etwa im Kultusministerium?) angekommen.
Aber scheinbar wirkt die jahrzehntelange Sparsamkeit:
In der Politik macht sich Durchschnittlichkeit breit und die Durchschnittlichen machen sich zum Standard.
Vermutlich sind die Durchschnittlichen nun beleidigt, obwohl ihnen das gesamte Schulsystem entgegenkommt.
Den Überdurchschnittlichen kommt das Schulsystem aber nicht entgegen, sie müssen kämpfen, viel mehr als andere und meistens kämpfen sie allein, wenn sie nicht das Glück haben, einem fähigen Schulpsychologen zu begegnen.
Die Einsparung hat einen sehr unangenehmen Geruch: Offenbar will man den Notleidenden nicht helfen und will auch die Begabten nicht finden.
Den Kommentaren ist voll und ganz zuzustimmen. Eine ähnliche Politik verfolgt das Kultusministerium auch in Sachen Schulsozialarbeit. Das Ministerium entscheidet nicht selbst, sondern die Verteilung des Mangels wird auf eine untere Ebene verlagert. Die Schulen, die ein wichtiger Lebensraum für Kinder und Jugendliche sind, bedürfen sowohl der schulpsychologischen als auch der sozialpädagogischen Unterstützung, wie es die Petition „Weiterförderung von Schulsozialarbeit in Hessen“ bereits fordert, und die bislang mehr als 7000 Unterstützer gefunden hat.
Prof. Dr. Wilma Aden-Grossmann, Kronberg
Fallbeispiel:
Ein hochbegabter Schüler wurde von seiner Grundschullehrerin verkannt.
Eine Empfehlung für die Sonderschule wurde ausgesprochen.
Die Intervention der Eltern, die Hilfe des Schulpsychologen und eines Fördervereines führten zu einer veränderten Perspektive.
Der Schüler ist heute in einem weltweit agierenden Unternehmen der Technologiebranche tätig, erbringt Spitzenleistungen und zahlt ein Vielfaches der Steuern, als sie eine Grundschullehrerin zahlt.
Noch Fragen?
In meiner Grundschule, damals noch Volksschule genannt, gab es in der ersten Klasse noch recht wenige Fächer. Trotzdem kann ich mich nicht mehr erinnern, in welcher Schulstunde ich gelangweilt zum Bleistift griff und mir einen Schnurrbart malte. Der Lehrer war ent-, die Klasse war begeistert. Verkehrte Zeit: Was aus mir hätte werden können!
@petersmark
Sie wissen offensichtlich nicht, wovon die Rede ist. Solche zynischen und herablassenden Kommentare kenne ich zur Genüge. Eine entgeisterte Klasse, oder auch nur ein konsequenter Lehrer hätte sie ins Abseits, in die Sonderschule oder sonstwohin gebracht.
@petersmark
Etwas sachlicher:
Jeder Mensch hat das Recht, in seiner Individualität erkannt, ernstgenommen und gefördert zu werden. Mindestens hat er das Recht, freigelassen zu sein. Vergleiche, Konkurrenz und Neid haben hierin nichts zu suchen. Jeder Mensch kann verlangen, Toleranz zu erfahren. Eine tradierte Unterstellung ist, daß Hochbegabte sich selbst über andere erhöben. Das ist nicht der Fall.
@ BvG
Wenn ich nicht wüßte, wovon die Rede ist, hätte ich Ihrem Fallbeispiel nicht das meinige zur Seite gestellt.
Wie ich mich jetzt genau erinnere, war es in der Deutschstunde. Die anderen Schüler lernten noch mühsam die lateinische Schrift in Druckbuchstaben, wo ich schon Fraktur und die Sütterlinschrift meiner Oma kannte.
Ich arbeitete an einem Sonett oder an einer Bibelexegese und malte mir dabei den Schnurrbart. Dieses Tun wurde durch die barsche Aufforderung des Lehrers, mir sofort den Schnurrbart abzuwischen, und den begeisterten Tumult meiner Mitschüler abrupt beendet.
Hätte damals ein Schulpsychologe meine Hochbegabung erkannt und wäre ich später nicht aus der katholischen Kirche ausgetreten, so könnte ich heute Papst oder wenigstens Bischof von Limburg sein.
Ich habe Zweifel, ob der Begriff „Hochbegabung“ ein guter ist. Aus meiner Sicht müsste Schule immer so gestaltet sein, dass Lehrer Zeit und Raum haben, jedem Kind mit seinen individuellen Schwächen und Stärken gerecht zu werden. Eine uralte Forderung nach kleinen Klassen wurde m.E. nie umgesetzt. Immerhin bekommen „Problemkinder“ heute eine besondere Beschulung, ohne damit stigmatisiert zu werden. Aber die Regel ist doch eine Überforderung der Lehrer, wenn sie in großen Klassen auf kleine Störenfriede nicht mit Empathie eingehen können.
Ein aus meiner Sicht sehr lebhaftes, intelligentes Nachbarkind, wurde regelmäßig zur Sozialpädagogin abgeschoben, wenn es im Unterricht störte oder sich in den Pausen aggressiv verhielt. Nachdem das Kind, damals acht Jahre alt, bei einem Ausflug äußerte, es wolle sich gleich vor die fahrende S-Bahn werfen, wurde dieser lästige Störenfried von der Lehrerin von der Schule weg in ein Übergangsheim und später in die Kinderpsychatrie eingewiesen. Sein Verhalten in der Übergangseinrichtung war etwas renitent. Er wollte sich nicht ausziehen. Das wurde von den dortigen Psychologen so gedeutet, dass ein sexueller Missbrauch vorlag. Und dass akute Selbstmordgefahr vorlag. Die Kinderpsychatrie übernahm fast wortgleich die Beurteilung der Notaufnahme und obwohl dort strenge Regeln herrschten, wer das Kind besuchen darf, waren wir mehrmals dort. Die Aufsicht führten liebe junge Menschen der Ersatzdienstleistenden. Sie hielten uns für Oma und Opa. Sie ließen uns sogar in einen Toberaum mit dem Kind allein, obwohl auch sexueller Missbrauch im Verdacht stand und eigentlich die Regel besagte, dass auch bei Besuch der Eltern immer eine Aufsichtsperson im Raum sein müsse. Diesem wachen Kind war immer klar, es kommt in naher Zukunft in ein Heim nach Husum, weit weg von den Eltern. Und bei allen Fehleinschätzungen der Psychologen glaube ich heute, dieses clevere Kind wollte tatsächlich mal weit weg was ausprobieren außerhalb des engen elterlichen Horizonts.
Jetzt ist das Kind wieder bei seinen Eltern. Das Heim kam mit ihm nicht klar. Nun wohnt er wieder bei seinen Eltern in einer engen kleinen Wohnung, die ihm aber ein eigenes Zimmer in einer 40m² kleinen Wohnung abgeteilt haben.
Manchmal besucht er uns. Ich bin immer wieder erstaunt über seine schnelle Beobachtungsgabe und über seine Selbstreflexion. Er bezeichnetet sich selbst als Legastheniker, ist aber eigentlich ein Schnelleser all der Papiere, die bei um rum liegen. Hochbegabt? Weiß ich nicht, aber auf jeden Fall begabt. Und die begutachtenden Psychologen sind für mich sehr anzuzweifeln.
Der langen Rede kurzer Sinn: ich habe kein besonderes Vertrauen in die Vorgehensweise der Schulpsychologen, damit will ich aber nicht der Sparpolitik das Wort reden.
@petersmark#7
Ok, dann habe ich Ihr Fallbeispiel falsch aufgefaßt.
Sorry.
Hallo BvG,
darf ich Ihnen einen Witz erzählen:
Die Mutter frühmorgens am Bett des Sohnes: „Sohnemann, aufwachen, du mußt zur Schule!“ Der Sohn: „Ich will nicht zur Schule!“ „Warum nicht?“ „Die Schüler ärgern mich immer, und die Lehrer nehmen mich nicht ernst.“ Darauf die Mutter: „Du mußt aber zur Schule; denn schließlich bist du der Schulleiter.“
Hier könnte die Pädagogische Psychologie einem Fall nachgehen, wo die Schulpsychologie allein versagt: In welchem Ausmaß werden Schüler in ihrer Entwicklung und Leistungsbereitschaft durch die gestörte Persönlichkeit einer Lehrkraft beeinträchtigt?
Ein weiteres Fallbeispiel:
Im Alter von zwölf war ich bekennender Atheist, mußte aber am katholischen Religionsunterricht, einem Pflichtfach, teilnehmen. Unser Religionslehrer war ein gütiger Mensch, so gütig, wie ich sonst keinen Katholiken mehr kennengelernt habe: Im Zeugnis erhielt ich deshalb eine „Gnadenvier“! Bei unserem neuen Religionslehrer nach der Pensionierung des alten erhielt ich eine „Sechs“; und da der neue Religionslehrer auch unser neuer Französischlehrer war, rutschte ich hier von einer „Zwei“ auf eine „Vier“. Französisch als Wahlfach habe ich dann abgewählt; den Religionsunterricht mußte ich weiterhin ertragen.
Noch ein – garantiert das letzte – Fallbeispiel:
Unser Klassenlehrer bekam erst im letzten Schuljahr spitz, daß wir ihn – seit langem – Bimbo nannten. Er nahm das zum Anlaß, uns mit theatralisch gebrochener Stimme zu erklären, es stehe eine unüberwindliche Mauer zwischen ihm und der Klasse. Drum ist er auf dem letzten Klassenfoto nicht mit drauf.
Wenn ein siebzehnjähriger Schüler in Winnenden 15 Menschen umnietet, ist das kein Normalfall. Deshalb oder warum eigentlich wurden danach jede Menge Schulpsychologen eingestellt. Mich erinnert das Ganze an die hiesige Reaktion auf Fukushima. Hinterher fragt man sich… Wenn Sie mal drüber nachdenken, klingt’s vielleicht weniger zynisch.
Schulpsychologen werden keine Genies entdecken und keine Attentäter verhindern. Wenn ein Schüler auffällig wird, dann doch wohl deshalb, weil er die Lehrkraft nervt. Auf diese sollte das psychologische Augenmerk zuerst gerichtet werden!
Ich könnte ein weiteres Kapitel aufmachen; aber die konfessionsgebundenen Lehrinstitute und die „Odenwaldschule“ lasse ich jetzt mal außen vor.
Beste Grüße
Manfred Petersmark
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
mit Ihrer/Eurer Hilfe haben in den letzten Wochen mehr als 9.000 die Petition unterstützt, wofür ich sehr danke! Unterschrieben haben – soweit man das sehen konnte – viele Lehrerinnen und Lehrer, Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen, Eltern und auch etliche Schüler. Die schätzungsweise 800 Kommentare begründen mit unterschiedlichen Argumenten, warum Schulsozialarbeit unverzichtbar ist. Kurz und knapp formulierte das einer: „Den Flughafen Kassel-Calden braucht niemend – Schulsozialarbeit schon.“ Auf Anregung von Jasmin Berg, Leiterin der Schulsozialarbeit an der Ernst Reuter-Schule II, habe ich die Zeichnungsfrist bis zum 5. April verlängert. Bitte werbt weiterhin für die Unterzeichnung der Petition.
Mit besten Grüßen
Wilma Aden-Grossmann
https://www.openpetition.de/petition/online/weiterfoerderung-von-schulsozialarbeit-in-hessen#sticky