Ganz Europa ist in Gefahr

Kann es sein, dass wir gerade eine Art Weltkrieg haben, den nur niemand so nennt? Dass der asymmetrische Krieg, vulgo „war on terror“ genannt, längst die ganze Welt im Griff hat? Kann es sein, dass aus dem, was durch eine Handvoll Mudschaheddin unter einem gewissen Osama bin Laden begonnen wurde, eine den Globus umspannende Angelegenheit geworden ist, die längst auch unser tägliches Leben in Deutschland beeinflusst? Kriegerische Auseinandersetzungen und Selbstmordattentate im Irak, entsetzliche Metzelvideos und Hetze überall sind ja nur die eine Seite dieses sonderbaren Weltkriegs (nennen wir ihn mal so). Die Spähattacken von NSA und befreundeten Geheimdiensten sind die andere, denn die Schlapphüte leiten ihre Berechtigung für ihr widerrechtliches Treiben aus der von ihnen erkannten Notwendigkeit ab, die Terroristen derart umfassend auszuforschen, dass die kaum auf die Toilette gehen können, ohne dass der US-Präsident es erfährt.

Ja, auch in Deutschland ist „war on terror“. Erst kürzlich machten Meldungen die Runde, dass unsere Sicherheitsbehörden zutiefst besorgt sind wegen etwa 300 deutschen Islamisten, die in Syrien und im Irak für die Sache der Isis kämpfen. (Isis: „Islamischer Staat im Irak und in Syrien“.) Deutsche Islamisten? Dabei handelt es sich um Konvertiten, die sich radikalisiert haben. Es wäre hochspannend zu erfahren, was das für Menschen sind und wie sie zu Fundamentalisten wurden. Ich hoffe, dass dies eine der Fragen ist, die auch unsere Sicherheitsdienste umtreibt. Denn das Wort des US-Politikers Richard Perle sollte nicht gelten:

„Wir müssen Terrorismus aus seinen Zusammenhängen lösen. Jeder Versuch, die Wurzeln von Terrorismus zu diskutieren, ist ein Versuch, Terrorismus zu rechtfertigen. Er muss schlicht bekämpft und vernichtet werden.“

Dieses Zitat eines Mannes, der US-amerikanisches Denken und Regierungshandeln mitgeprägt hat, ist an Dummheit nicht zu überbieten. Doch es zeigt natürlich, warum wir diese Probleme mit dem Islamismus überhaupt haben. Es waren die Amerikaner selbst, die Osama bin Laden genährt haben, und die Terroristen der Isis können überhaupt nur deswegen derzeit einen solchen Terror verbreiten, weil die Amerikaner unter George W. Bush dem Irak unbedingt die Demokratie bringen wollten. Selbstverständlich haben die Amerikaner kein Interesse daran, die Wurzeln von Terrorismus zu diskutieren. Sie müssten sich an die eigene Nase fassen.

Es ist hochgefährlich, was da gerade in Syrien und im Irak passiert. Mit einem Politiker wie dem irakischen Präsidenten Maliki wird diese Krise nicht zu lösen sein, denn Maliki ist mit seiner polarisierenden Politik Teil des Problems. Er kann einer irakischen Einheitsregierung, die alle wesentlichen Ethnien bzw. Konfessionen des Irak gemeinsam handeln ließe, nicht glaubhaft vorstehen. Also muss Maliki weg. Doch vermutlich ist es bereits zu spät für solche Versuche von Ausgleich. Im Grunde ist das Kind schon damals in den Brunnen gefallen, als die Amerikaner, Besatzungsmacht im Irak, die irakischen Armee und große Teile des staatlichen Beamtenapparats auflösten und Hunderttausende in die Perspektivlosigkeit schickten. Das taten sie, weil Soldaten wie Beamte vorwiegend Sunniten waren – und Gefolgsleute von Saddam Hussein. Schon damals war diese Entscheidung umstritten, denn jedem, der sehen kann, musste klar sein, dass es Probleme mit diesen Leuten geben würde und dass die neue irakische Regierung mit einer Erblast startete, mit der sie nur klarkommen würde, wenn sie eine Politik der gesellschaftlichen Aussöhnung machte. Aber man diskutiert die Wurzeln von Terrorismus ja nicht! Das ist höchstens etwas für Weicheier und Gutmensch.

Stell Dir vor, es ist Weltkrieg – und niemand nennt ihn so.

PS: Ich habe diesen Gedankengang auf meiner Webseite ybersinn.de noch etwas ausführlicher dargestellt. Bei Interesse: Hier.

Stefan Vollmershausen aus Dreieich:

„Der Irak kommt nicht zur Ruhe, Kriegsschicksale wie in Afghanistan, Milizen wie in Libyen, Landgewinn wie in Mali vor dem Einmarsch der Franzosen. Der Irak kommt wegen seiner Ölvorräte nicht mehr zur Ruhe, auch bei der neuen Offensive der ISIS-Dschihadisten geht es wieder nur ums Öl. Als Europäer fühle ich mich bei diesen Nachrichten erschreckt, fühle mich bedroht durch die Gewalt des Dschihadismus. Ich habe das Gefühl, einer Hydra gegenüberzustehen, deren Köpfe immer wieder nachwachsen.
Ich könnte mir deswegen auch vorstellen, das der Krieg gegen den Terror für den Westen verloren gehen könnte, das würde bei dem radikalen Programm der Dschihadisten sich zu einem Jahrhundertkonflikt ausweiten.
Wer kauft denn das schwarze Gold? Autofahrer wie in Europa, die das Produkt kennen, aber wie beim Fleisch, den Schlachthof nur aus der Zeitung. Der Verbraucher zapft sein Benzin, aber wem der Reichtum gehört, ist weder in Libyen noch im Irak ausgemacht. Reichtum will verteilt werden, auch plötzlicher Reichtum. Das christliche Abendland soll diesen Krieg als Verbraucher finanzieren. wer immer auch die Hand auf die Ölquellen hält. Öl oder Gold kann auch ein Fluch sein!“

Angelika Schmallenbach aus Oberursel:

„Die USA werden nicht nur den Irak – sie werden die ganze Region und die Menschen dort – wie schon in Syrien – ihrem Schicksal überlassen, denn es gibt nichts (mehr) zu verdienen. Das dort dann nur noch Fundamentalismus und eine totale Diktatur bleiben werden, das ist den USA egal, sie werden – soweit möglich – auch mit denen ihre Geschäfte machen und etwas anderes interressiert sie nicht.“

Dietmut Thilenius aus Bad Soden:

„Ganz Europa ist in Gefahr. Die Urheber des Mehrfrontenkrieges in Vorderasien sind die USA mit ihrem Krieg um Öl. Der Begriff „militärische Intervention“ für diesen Krieg – wie er in diesem Artikel steht – verharmlost die Gewalt und die Lüge (angeblich Atomwaffen im Irak), die Menschenverachtung bei diesem Krieg. Die Bundesregierung hat sich zwar nach der Katastrophe der Zerstörung Jugoslaviens 1999 am Irakkrieg militärisch nicht direkt beteiligt, ist aber politisch weiterhin williger Verharmloser von US-Aggression und -Anmaßung.“

Eric Boule aus Amsterdam (NL):

„Jetzt hat die Türkei sich nicht nur die Finger verbrannt, sondern beide Hände. Man hat mit dem Feuer gespielt, weil man zugestimmt hat, dass die Nato von ihrem Grundgebiet aus den syrischen Krieg führen konnte. Jetzt ist die ganze Region angesteckt und werden viele Länder destabilisiert. Die US-Krieger in der Nato haben wieder einmal Mist gebaut, weil die EU-Marionetten-Nato-Minister alles abgenickt haben (man sollte sie dafür sofort entlassen). Die Türkei sieht eine kurdische Nation entstehen, die Nato-US-Krieger verlieren ihren Syrien-Krieg und die ganze Region droht zu explodieren inkl. der Türkei selbst. Erdogan hat gespielt und verloren genau wie die EU nach den vielen US-Kriegsabenteuern nur in Problemen und Krisen versandet.“

Manfred Schönfeld aus Germering:

„Rache für erlittene Gewalt ist eine natürliche Folge. Auf jeden Umsturz folgt ein contra. Die Religion dient nur als Vehikel und verspricht Erlösung. Fanatiker machen die Sache aber nur noch komplizierter. Die säkularen Kräfte FNPI sind dagegen eher positiv einzuschätzen, nur hier bisher leider völlig unbekannt. Ein beachtenswertes Interview! Der Westen könnte sich jetzt endlich raushalten und besser für angerichtetes Unheil Wiedergutmachung leisten. Und vor allem dafür sorgen, dass nicht noch andere wie Türkei und Iran in den Konflikt hineingezogen werden. Und nicht zu vergessen: die Sunniten sind zwar im Irak eine Minderheit, in der islamischen Welt aber weitaus in der Überzahl. Sie einfach zu unterdrücken, wie jetzt im Irak, kann niemals dem Frieden in der Welt dienen. Der Racheengel darf nicht noch mehr Nahrung finden!“

Erwin Chudaska aus Rödermark:

„Der Nahe Osten gerät gewaltig ins Wanken. Und wir Europäer sowie die US-Amerikaner stehen erstmal hilflos da. Ein paar Statements, mehr ist wohl nicht zu erwarten. Biblische Gegenden und Orte im heutigen Irak und Syrien tauchen auf einmal wieder auf mit verheerenden Berichten über grausame Exekutionen und Vertreibungen.
Es gibt ein altes und weises Sprichwort: “ Verhandele nie mit dem Teufel!“ Und genau an diesem Punkt sind wir jetzt im Irak und auch in Syrien angelangt.
Christen im Irak und in Syrien, die früher in Frieden lebten, müssen jetzt verteidigt werden. Und wir Deutschen? Wir müssen verschämt nach unten blicken, denn unsere Aktionen im Nahen Osten zum Schutz für unschuldige Bürger waren bisher äußerst bescheiden.
Wir haben uns schon lange vom christlichen Glauben entfernt und wundern uns, dass es da rund um den Globus zu Hauf Menschen gibt, die getötet, gefoltert und vertrieben werden. Früher, als ich noch selber im Nahen Osten arbeitete, da waren wir Deutschen hoch angesehen. Ich fürchte – auch diese Zeit ist längst vorbei. Und sollten, was ich nicht wünsche, eines Tages Bomben bei uns hochgehen, dann gilt mein Mitleid nicht den deutschen Opfern, sondern in erster Linie den vielen verfolgten Christen weltweit.“

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13 Kommentare zu “Ganz Europa ist in Gefahr

  1. Ich möchte von meiner Seite ein wenig Öl ins Feuer gießen, auch wenn dieses ganz woanders, nämlich bei uns in Europa brennt, siehe dieser Link von den NachDenkSeiten: (Link abgelehnt, Anm. Bronski, siehe Blog-Regel Nr. 8 )
    Butterwegge bringt es auf den Punkt. Und ich kann dazu nur sagen: Diese Debatte um den uns bedrohenden Islamismus ist korrekt und muß geführt werden. Vielmehr und viel relevanter sehe ich aber die Bedrohung durch den inzwischen völlig hemmungslosen, verantwortungslosen und über Leichen gehenden Kapitalismus, siehe Butterwegge. Auch Kapitalismus ist ja eine Art Religion, nur heißt hier der Gott Mammon anstatt Allah, aber die Gläubigkeit und Rücksichtslosigkeit der Jünger ist ähnlich. Dort werden Hände und Köpfe abgehackt, Frauen entrechtet und eingesperrt, und hier Millionen von Menschen ein einigermaßen auskömmliches Leben, mit allen Folgen und Nebenwirkungen, verweigert und verwehrt, aus purer Profitgier. Und unsere Regierungen applaudieren, machen mit oder lassen sich schmieren, ohne zu erkennen, daß beim Tanz auf dem Vulkan irgendwie und irgendwann bei einer Eruption der Krater einbricht und alle am Rande stehenden mit in den Schlund gerissen werden.

    Aber weiter so, wie sagte schon Berthold Brecht: „Es wählen sich die dümmsten Kälber, ihre Metzger immer selber.“

  2. Ich zitiere Herrn Fladung:
    „Vielmehr und viel relevanter sehe ich aber die Bedrohung durch den inzwischen völlig hemmungslosen, verantwortungslosen und über Leichen gehenden Kapitalismus.“
    Sie haben wohl nur ein einziges Thema. Das ist ein wenig ermüdend. Auch scheinen Sie in einem anderen Land zu leben als ich. In dem Land, in dem ich lebe, wird niemandem etwas verweigert oder verwehrt, schon gar nicht ein „einigermaßen auskömmliches Leben“. Man kann sich die Dinge auch schlechtreden. Das Land, in dem ich lebe, bietet unzählige Formen der Lebensgestaltung für alle, die das wollen. Man muss sich natürlich ein bisschen anstrengen und sich bilden. Geschenkt wird niemandem etwas. Und wenn doch, dann heißt das Grundsicherung und ist mit einigen Schikanen verbunden, aber es gestattet ein „einigermaßen auskömmliches Leben“. Damit will ich nicht sagen, dass es keine Probleme gibt. Aber das Land, in dem Sie leben, kenne ich nicht. Ich halte den Islamismus daher für die größere Bedrohung als den Kapitalismus.

  3. Wir haben doch alle eine selektive Wahrnehmung. Wenn es die Massenmedien nicht gäbe, wüssten 99.999% alle Europäer garnicht was Islamismus ist.
    Bedroht fühle ich mich höchstens im Autoverkehr. Es gibt mehr verrückte, unfähige, betrunkene oder halbblinde Autofahrer als gewaltätige Islamisten in Europa.

  4. Ha ha. Das ist natürlich richtig, Herr Flessner. Man soll nicht immer alles so aufbauschen, wie Herr Fladung es tut.

  5. Könnte es nicht sein, daß Kapitalismus und Islamismus zwei Seiten derselben Medaille sind: auf Zerstörung ausgerichtet, nicht auf Aufbau? Aber da bin ich thematisch wohl wieder zu einseitig. Ich, der alte Aufbauscher, der dann mit den Wattebäuschen wirft, weil er das MG nicht mehr findet.

  6. Soll natürlich heißen: Watte-Bäuschchen. Und zu # 2, Hans Herold: Schon einmal über den deutschen Tellerrand geschaut, Richtung Europa, in Länder wie Griechenland mit 60% Jugendarbeitslosigkeit? Aber alles wohl nicht so schlimm, wenn man sich keine eigene Wohnung mehr leisten kann, zieht man halt zu den Eltern. Ach so, ja, man/frau muß sich nur ein wenig anstrengen, und für die richtige Bildung sorgen, dann wird man automatisch zum Rockefeller. Unsere Statistiken sagen aus, daß Armut, auch die relative, eine im Schnitt zu Wohlhabenden um 10 – 12 Jahre verkürzte Lebenserwartung bedeutet – woran das wohl liegt?

  7. Lieber Herr Fladung,
    Sie sprachen davon, dass hier Millionen von Menschen ein einigermaßen auskömmliches Leben verwehrt wird. Jetzt sprechen Sie von Rockefeller. Das habe ich nicht gesagt und auch nicht gemeint, und das wissen Sie auch. Das ist eine völlig andere Karriere. Ich habe nicht den Eindruck, dass Sie wissen, was Sie sagen wollen. Mal so und bei nächster Gelegenheit wieder anders?
    Außerdem wollen Sie anscheinend die ökonomischen Probleme der ganzen Welt lösen. Damit übernehmen Sie sich. Aber nur zu.

  8. Ich möchte darum bitten, zum Thema der Debatte zurückzukehren. Unter Linken ist es beliebt – ich selbst bin nicht frei von dieser Denkweise -, alles aufs Ökonomische zurückzuführen, aber wenn wir das auch bei diesem Thema tun, reden wir daran vorbei. Der Islamismus ist nicht rein ökonomisch zu erklären. Er ist ist eine ideologische, religiöse Bewegung – die Rückkehr des Irrationalen, könnte man sagen. Seine Wurzeln hat er in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg und im Nahost-Konflikt. Zu diskutieren wäre beispielsweise, warum diese Ideologie für so viele junge Männer offenbar so attraktiv ist, dass sie sich bereitwillig radikalisieren lassen. Zu diskutieren wäre beispielsweise auch, ob die Entwicklung in Ägypten, wo hunderte Islamisten zum Tod verurteilt wurden, Anlass zu weiterer Radikalisierung sein wird. Nicht zuletzt wäre zu diskutieren, warum den US-Amerikanern nichts anderes als die militärische Option zur Lösung des Problems einfällt. Selbst unser Bundespräsident ist in dieser Hinsicht bemerkenswert einfallslos. Sein Vorgänger war immerhin noch so klug festzustellen, dass der Islam (nicht der Islamismus) selbstverständlich zu Deutschland gehört. Ein weites Themenfeld also, das nicht auf eine Armutsdebatte reduziert werden sollte.

  9. zunächst zu # 7, Hans Herold: Ich weiß, das Sie nicht „Rockefeller“ gemeint haben. Ich wollte nur ein wenig satirisch zuspitzen. Ich will auch nicht die ökonomischen Probleme der ganzen Welt lösen, bitte mir da nichts unterstellen, sondern es würde mir reichen, wenn es in Europa gerechter zuginge. Wenn Sie das, was Butterwegge geschrieben und kommentiert hat, lesen, wissen Sie auch, was mit „auskömmlichen Leben“ gemeint ist. Mir und hier geht es nicht um Obdachlosigkeit, obwohl auch diese zunimmt, vor allem in den Südländern Europas. Mir geht es um die soziale Verwahrlosung und Verarmung. Wenn Sie von Hartz IV, oder den Sozialhilfen, welche anderswo in Europa gezahlt werden, leben müssen, müssen Sie verzichten, auf soziale Kontakte, auf Kultur, auf Fahrten und Reisen, auf bessere Medikamente und ärztliche Behandlung etc. pp. Aber wenn Ihnen all dies nicht wichtig ist, und Sie der Ansicht sind, es geht auch ohne – bitteschön. § 1 des neoliberalen Glaubensbekenntnisses ist halt: „Jeder ist seines Glückes Schmied“. Der Erbe eines Vermögens schmiedet nur ein wenig anders als der Erbe des Hartz-IV-Empfängers.

    Sorry, Bronski, aber diese Replik mußte sein. Daher zurück zum eigentlichen Thema:

    Soweit ich mich mit dem Islam und seinen Glaubenssätzen beschäftigt habe, scheint hier auch seit einigen Jahrzehnten eine zunehmende Pervertierung statt zu finden, welche sich eben in der Radikalisierung ausdrückt. Zu Zeiten Harun-al-Raschids stand ja der Orient hoch im Kurs in Bezug auf menschlichen Umgang, Streben nach Wissen und dessen Anwendung (wiederum basierend auf historischen Erkenntnissen der Griechen und Ägypter) und finster war eher der Occident, vor alem in seiner blutigen Verbreitung des (nicht mehr allzu) christlichen Glaubens.

    Ich kann auch nur spekulieren, was hier passiert ist. Und da fällt mir zunächst nur das ein, was auch bei uns Jugendliche und junge Erwachsene, die irgendwelchen -ismen anhängen, und sich im Kreise gleichfalls testosterongesteuerter Gleichgesinnter zunehmend radikalisieren, ausmacht: Omnipotenz-Phantasien, erwachsen aus Minderwertigkeitsgefühlen, die noch durch Chancenlosigkeit gefördert werden. Allah ist da nur das Vehikel, mit dem die Radikalität transportiert wird. Im Grunde gibt es keine Unterschiede zwischen NSU und ISIS, außer, das Letztere eine größere Anhängerschaft haben. Aber sind wir gefeit? Wohl kaum, denn eine, für mich nicht unrealistische und vorstellbare nahe Zukunft, in welcher es auch in D. wirtschaftlich bergab geht, dürfte im Ergebnis auch zur (weiteren) Erstarkung von Bewegungen und Parteien wie FRONT NATIONAL, CHRYSI AVGI/Goldene Morgenröte, PVV (Wilders), JOBBIK und anderen führen, und dazu, das noch relativ moderate Rechtskonservative wie die AfD dann von NPD & Co. überholt werden.

    Nicht vorstellbar? Für mich schon. Bombenanschläge in Berlin und anderswo, Straßenkämpfe zwischen islamistischen Rückkehrern, kampferprobt im Irak, in Syrien oder Nigeria und Glatzen – hoffentlich nie, aber nicht auszuschließen.

    Und daher wieder einmal, meine, steile (würden manche sagen) These: Wenn der Kapitalismus in seiner neoliberalen Ausprägung so weiter macht und die Staaten ihm willfährig huldigen, wird er auch die bei uns immer noch recht stabile Mittelschicht weiter ausdünnen, wo bisher vieles von den gestaltenden Citoyens und mitlaufenden Bourgeois noch abgepuffert wurde. Was dann bleibt, ist in der zweiten und dritten Welt heute zu beobachten: Gewalt zwischen oben und unten. UNd Gewalt um die Vorherrschaft um die Ressourcen, wie Gas und vor allem Öl, aber auch Wasser, landwirtschaftliche Nutzfläche usw.

    Wie wird sich China verhalten, wenn es einmal seine Böden und sein Wasser zu, sagen wir, 90% versaut hat? Weiter wie bisher Nutzfläche in anderen Ländern klammheimlich aufkaufen, oder dann militärisch „unterstützen“?

    Gut jetzt. Ich bin eben ein notorischer Schwarzseher.

  10. Zurück zum Titel: Europa in Gefahr?
    Die Antwort ist einfach: in der absehbaren Zukunft nein!
    Ich höre schon den Einwand: „aber in ferner Zukunft“.
    Es scheint ein zu tief menschliches Bedürfnis zu sein, die ferne Zukunft voraussagen zu wollen. Leider oder vielleicht auch glücklicherweise ist der Mensch dazu nicht in der Lage. Was ihn daran hindert, ist zum einen seine eigene Kreativität und Anpassungsfähigkeit.
    Machen sie eine Gedankenexperiment und versetzen sie sich in das Jahr 1900. Hätten sie die Weltkriege, die Weltwirtschaftskrise, die sexuelle Revolution, die Erfindung der Antibaby-Pille, die Entdeckung der Atomspaltung, den öl-induzierten Aufschwung in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts vorhergesehen.
    Obwohl sich fast alle Vorhersagen nicht bewahrheiten, kann der Mensch es einfach nicht lassen.
    Schrecklicherweise sind die Vorhersagen immer pessimistisch und das schon seit Sokrates. (Ich kann es nicht mehr hören.)
    Hören wir doch uns Gedanken zu machen, was in ferner Zukunft ist. Sie wird sicher anders sein, als wir es uns heute vorstellen und der Mensch wird der Grund dafür sein, dass es anders ist.

    Warum der Islamismus anziehend ist?
    Warum war der Faschismus anziehend? Warum ist Esoterik anziehehnd? Warum ist es anziehend, ein Fussball-Hooligan zu sein?
    Vielleicht ist es der Reiz simpler Weltbilder in einer komplexen Welt.

  11. # 10, H. Flessner: Mit Ihrem Schluß-Statement gebe ich Ihnen Recht, weil der menschliche Verstand eher zu simplen Weltbildern neigt. Mensch könnte es auch anders ausdrücken: Wir Affen vom Stamme Homo Sapiens werden blöd geboren, und lernen, die meisten wenigstens, nix dazu. Vielleicht ist auch unser Hirn nicht dazu geschaffen, eine immer komplexere Gegenwart zu begreifen, zu verarbeiten und darauf zu reagieren. Aber auch hier sehe ich immer noch Unterschiede zwischen „Ich Tarzan, Du Jane“.

    Aber zu den Vorhersagen: In Ihrer Aufzählung fehlt mir die Gewichtung, weil das 20. Jahrhundert für mich eines der weltweiten Kriege ist, mit -zig Millionen Toten. Und die Kriege wurden aus allen möglichen Gründen geführt, letztendlich ging es aber um Ressourcen und Macht, oder die Herrschaft über Ressourcen. Die Erfindung der Anti-Baby-Pille würde ich jetzt auch nicht gleichsetzen mit den Weltkriegen, weil die – möglicherweise – Millionen von Verhinderten nicht gleich zu setzen sind mit den Millionen von Geschlachteten. Und die Ausbreitung blieb doch sehr beschränkt, auf wenige liberalisierte Länder. Polemisch könnte ich sagen: Hätte die Anti-Baby-Pille auch in der arabischen Welt die gleiche Verbreitung genossen wie bei uns, wären uns sicherlich viele dieser radikalen Islamisten erspart geblieben. Aber wenn ich an die Tea-Party-Bewegung oder die kath. Fundis damals bei uns denke, muß ich sagen: Dummheit und Borniertheit und religiös-gesteuerte Beschränkung gibt es überall.

    Ich glaube inzwischen nicht mehr, wie damals noch in den 60ern, daran, das sich der Mensch auch zu einem Homo Sapiens Humanicus, oder wie immer dieser auch heißen mag, entwickeln könnte. Auch Homo lupus wäre eine Beleidigung, für die Wölfe. Wir haben halt Freude am Zerstören, und haben noch Orgasmen dabei.

  12. Im neuen SPIEGEL, Ausgabe Nr. 27/30.06.14, finden Interessierte auf Seite 34 den Artikel: „Vom Knast in den Dschihad“. Hier werden für mich recht vernünftig und nachvollziehbar einige Gründe und Motive aufgezählt, warum junge Menschen, zumindest in Europa aufgewachsene, sich radikalisieren Richtung Islamismus-Salafismus und in den „Heiligen Krieg“, nicht nur gegen Ungläubige, sondern auch moderat-gläubige andere Muslime, ziehen.

    Im Übrigen wird im Westjordanland von Hamas und Israelis gerade eine neue Baustelle, allerdings mit der Abrißbirne, eröffnet.

  13. Schon die Briten mit ihrem Schriftsteller und Geheimagenten T. E. Lawrence missbrauchten den Aufstand der Araber gegen das Osmanische Reich für ihre Zwecke, die Araber wurden unter das Joch dem Westen genehmer Autokraten gezwungen. Als US-Präsident George H. W. Bush den Vormarsch seiner Streitkräfte im Jahr 1991 kurz vor Bagdad stoppen ließ, verweigerte er den Kurden und den Schiiten jede Unterstützung gegen Saddam Hussein. Saddam Hussein rächte sich blutig an den Kurden und den Schiiten. Warum sollen die Kurden an Staaten festhalten, die ihre Rechte nicht respektieren? Etwa weil der Westen aus geopolitischen Gründen kein Interesse an einem unabhängigen Kurdenstaat hat?
    Die Isis-Kämpfer werden von einem interessierten Dritten eingesetzt, um das Sykes-Picot-Abkommen (1916) zwischen Frankreich und Großbritannien und die daran anknüpfenden geopolitischen Entscheidungen der Westmächte ungültig zu machen. Deshalb greift Isis-Anführer Abu Bakr al-Baghdadi die Legitimität der vom Westen an der Macht gehaltenen Herrscherfamilien direkt an. Bei dem interessierten Dritten handelt es sich um eine sehr einflussreiche radikale Elite aus Saudi-Arabien und den Golf-Staaten, die das langfristige Ziel verfolgt, die Westmächte aus dem Nahen und Mittleren Osten zu entfernen. Irak und Syrien wird es in Zukunft nicht mehr geben, weil sich die Idee des Nationalstaats aus dem Europa des 19. Jahrhunderts dort nicht aufzwingen lässt.
    Die Obama-Administration erwägt jetzt ernsthaft, den Iran als geopolitische Regionalmacht anzuerkennen. Die USA überdenken deshalb ihre strategische Partnerschaft mit Saudi-Arabien und den Golf-Emiraten. Das Fenster der Möglichkeiten ist für den zaudernden US-Präsidenten Obama jedoch nicht lange offen. Nur der Iran ist bereit, die absolute Feindschaft der Isis-Kämpfer anzunehmen. Die Schiiten im Irak wissen, dass nur der Iran die heiligen Stätten der Schiiten im Irak vor den Isis-Kämpfern schützen wird. Allerdings wird der Iran Saudi-Arabien nicht gegen die Isis beistehen. Selbst gemäßigte iranische Mullahs empfinden gegenüber dem saudischen Königshaus den Wunsch nach Bestrafung.
    Die Westmächte wollen sich nicht dauerhaft so intensiv im Nahen und Mittleren Osten engagieren und einen langen zermürbenden Kleinkrieg führen. Die iranische Führung ist in einer guten Position, sie kann den Westen im Irak und Syrien als Papiertiger vorführen, wenn der Westen nicht auf den Iran zugeht und den Iran als langfristigen geopolitischen Partner des Westens anerkennt. Dafür würde die iranische Führung große Zugeständnisse bei ihrem Atomprogramm machen. Peking ist ein interessierter Zuschauer. Die chinesische Führung will den Westen in Syrien, Irak, Pakistan und Afghanistan scheitern sehen. Erst dann wird Peking dem Westen konstruktive Hilfe anbieten. Nur die chinesische Armee hat genügend kampfbereite Soldaten unter Waffen, um die Isis, die Taliban usw. zu vernichten. Die chinesische Führung liebt keine Diskussionen und ist bereit, gegen absolute Feinde, wie z.B. islamistische Kämpfer, solange vorzugehen bis diese besiegt sind.

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