In Deutschland leben wir ja ein bisschen wie auf einer Insel der Seligen, nicht wahr? Rings umgeben von Staaten, die – wie Polen oder Italien – mit George W. Bushs „Koalition der Willigen“ im Irak einmarschierten oder die – wie Frankreich – unilateral Truppen nach Mali schicken, um den unaufhaltsam scheinenden Vormarsch von Islamisten zurückzuschlagen. Auch Großbritannien ist nicht zimperlich mit Militäreinsätzen. Für alle diese Staaten sind Militäreinsätze ein ganz normales Mittel der Außenpolitik, wie es scheint. Mal nutzen sie dieses Mittel, um lieb Kind beim Großen Bruder zu machen, mal um von innenpolitischen Problemen abzulenken, mal weil sie im eigenen Politikverständnis immer noch Weltmacht sind und glauben, dass sie das dürfen oder müssen. Nur Deutschland nahm bisher für sich eine Sonderrolle in Anspruch, und zwar aus historischen Gründen, und versuchte, sich weitestmöglich rauszuhalten. Sehr zum Verdruss unserer Partner.
Die Militarisierung der deutschen Außenpolitik
Elf Thesen von Bronski
Nun aber verkünden Minister der neuen Bundesregierung, die von einer großen Koalition gestellt wird, dass Deutschland seiner gewachsenen Rolle in der Welt gerecht werden müsse. Der Bundespräsident bläst ins selbe Horn und schließt auf der Münchner Sicherheitskonferenz auch Militäreinsätze nicht aus. Ähnlich hatten sich zuvor schon die Verteidigungsministerin und der Außenminister geäußert. Zugleich befindet sich die Bundeswehr im Wandel. Die Wehrpflicht wurde ausgesetzt, die Bundeswehr soll zur Berufsarmee umgebaut werden. Die Sache scheint von langer Hand vorbereitet zu sein. Deutsche Soldaten starben bereits am Hindukusch für unsere Sicherheit, um mal diesen Glaubenssatz von Peter Struck, dem verstorbenen Verteidigungsminister, unhinterfragt zu übernehmen. Fühlen wir uns deswegen sicherer? Werden wir uns sicherer fühlen, wenn mehr deutsche Soldaten und Soldatinnen im Ausland sterben?
Es steht meines Erachtens außer Frage, dass Militäreinsätze sinnvoll sein können. Der Nato-Einsatz gegen Serbien etwa war sinnvoll, obwohl völkerrechtswidrig; er verhinderte weiteres Blutvergießen, indem er das Rest-Yugoslawien des Slobodan Milosevic in die Knie zwang, und durchbrach die Gewaltspirale mit Hilfe einer gewaltigen Machtdemonstration, aber er wurde ohne UN-Mandat geführt. Das militärische Engagement der Franzosen in Mali ist zweifellos nicht minder sinnvoll. Es dient nicht nur dem Schutz der Zivilbevölkerung, sondern hat in Timbuktu gerettet, was dort vom unersetzlichen Weltkulturerbe noch zu retten war, und hat die weitere Destabilisierung der Region durch das Vorrücken der Islamisten zumindest aufgehalten. Das alles ist zwar Politik mit Schnappatmung, aber ich halte fest:
These 1: Militäreinsätze können in bestimmten Fällen ein Mittel von Politik sein.
Besser wär’s allerdings, man könnte drauf verzichten. Wer zuhaut, gesteht damit ja unter anderem ein, dass ihm die Argumente ausgegangen sind. So machtvoll und „chirurgisch“ eine Militäraktion daher auch durchgeführt werden mag – sie bleibt doch das Eingeständnis von Schwäche. Nun, unter Umständen hat man eben keine Wahl. Doch welche Umstände könnten das sein? Leisten wir uns doch einmal eine kleine Bestandsaufnahme in Sachen Weltpolitik aus deutscher und europäischer Perspektive und fragen uns, unter welchem Umständen wir uns auf Militäreinsätze einlassen könnten oder vielleicht sogar sollten.
Fest steht: Deutschland ist in Sachen Bevölkerung, BIP und Export der mächtigste Staat der EU. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wurde ja schon – nicht zu Unrecht – vorgeworfen, diesen Status machtpolitisch auszuspielen (Euro-Rettung, siehe Griechenland), ohne ihn zugleich einzugestehen. Sprechen wir es doch einfach mal aus: Deutschland ist EU-Hegemonialmacht. Natürlich darf man das so deutlich nicht sagen, weil die Polen darauf nicht minder allergisch reagieren wie die Briten und die Franzosen – aber gerade die letzteren drängen Deutschland ja wieder und wieder, endlich den Platz in der Weltpolitik einzunehmen, der Deutschland angeblich gebührt. Zudem nutzt die Kanzlerin die deutsche Macht bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Also nennen wir die Dinge doch beim Namen:
These 2: Deutschland ist die führende Macht der EU, aber es führte bisher nicht.
Nur da, wo es ans Eingemachte ging, wo also die wirtschaftliche Macht Deutschlands in Gefahr war (Euro), da, wo Banken- und Konzerninteressen tangiert waren, nur da hat Merkel diese Macht ausgespielt, außerdem hier und da wie etwa bei strengeren EU-Abgasnormen für Pkw, die der armen deutschen Autoindustrie ein bisschen wehgetan hätten. Als es im UN-Sicherheitsrat jedoch um die Libyen-Resolution ging, hat Deutschland sich weggeduckt – und zwar völlig zu Recht. Die UN-Resolution 1973 war auf die Durchsetzung eines Flugverbots in libyschem Luftraum und auf den Schutz der Zivilbevölkerung beschränkt, doch dass die Nato-Kräfte die Rebellen als Zivilbevölkerung und nicht als Kriegspartei definieren würden, konnte eigentlich jedem schon vorher klar sein. Bis hin zur Bombardierung von Gaddafis Palast in Tripolis war die Nato Kriegspartei in diesem Bürgerkrieg. Das Resultat sehen wir derzeit vor uns: Chaos. Libyen kommt nicht zur Ruhe.
Es sind Militäreinsätze dieser Art, die Militäreinsätze generell diskreditieren. Und das nicht zu Unrecht, denn die Liste solcher kurzsichtigen Militärengagements ist endlos lang, während die jener Einsätze, die zu humanitären Erfolgen wurden, ziemlich überschaubar ist; da gibt es außer Mali nur Kongo und Osttimor. Ach ja, Südsudan hätte ich fast vergessen. Hier war es der Druck der Afrikanischen Union in Verbindung mit den UN-Blauhelmen, die zur – vorläufigen? – Beilegung des Konflikts geführt haben. Dagegen steht Irak – ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg, angeführt von den USA unter George W. Bush. Dagegen steht auch Afghanistan, ein Land, das „der Westen“ in Kürze wieder dem freien Spiel der extremistischen Kräfte überlassen wird, denn nach ihrer flotten Invasion ab Oktober 2001, kaum einen Monat nach den Anschlägen auf das World Trade Center, haben die Amerikaner unter dem Nachfolge-Präsidenten Obama irgendwie die Lust verloren, am Hindukusch noch länger für unsere Sicherheit zu sorgen. Ihr Abzug wird allerdings wohl kaum vollständig sein. Nirgends, wo die Amerikaner einmal hingekommen sind, sind sie wieder vollständig gegangen. Zumindest Bagram Air Base am Flughafen von Kabul werden sie zu behalten versuchen. Dagegen stehen auch die unzähligen verdeckten Miltäroperationen von Briten und Amerikanern mit ihren JSOC-Truppen in Jemen und Somalia, von denen der US-Journalist Jeremy Scahill in seinem Buch „Schmutzige Kriege“ berichtet.
Scahill beschreibt in diesem Buch unter anderem detailliert das Versagen der amerikanischen Politik in Somalia, das direkt zur Stärkung der islamistischen el-Shabaab-Milizen führte. Die Ausgangslage: Nach dem Rückzug der äthiopischen Invasoren ist Somalia ein „failed state“, ein gescheiterter Staat. Das stinkt den Somaliern, und sie richten ein Netzwerk von Gerichten ein, die auf der Basis der Scharia für Recht und Ordnung im Land sorgen. Das funktioniert ein halbes Jahr lang ganz gut, bis die Amerikaner, welche die Scharia-Gerichte für islamistisches Teufelszeug halten, ein Bündnis mit den somalischen Warlords gegen die Gerichte schließen. Es gibt Bürgerkrieg, den die Amerikaner und die Warlords letztlich verlieren. In das entstehende Machtvakuum stoßen die Islamisten der el-Schabaab vor. Ironie der Geschichte: Die Scharia-Gerichte, die zuvor gewirkt hatten, waren zwar islamistisch, aber nicht radikal. Die Schabaab aber sind islamistisch und radikal. Die Gerichte sorgten für Ordnung in einem chaotischen Land, doch das war offenbar nicht im amerikanischen Interesse. Auch die Scharia ist eine Sache der Auslegung. Scharia ist nicht gleich Scharia.
These 3: Den „war on terror“ überlassen wir ganz einfach den Amerikanern.
Das können die sowieso besser. Was die sich einbrocken, sollen sie auch selbst wieder auslöffeln. Nie ist ein effizienteres Terroristen-Nachzucht-Programm gestartet worden wie der Irak-Krieg. Hatte George W. Bush nicht händeringend nach Beweisen dafür gesucht, dass es zwischen Saddam Hussein und al-Qaida Verbindungen gab? Tatsache ist: Der Irak unter Hussein war al-Qaida-frei. Jetzt bildet das Land zusammen mit Syrien die größte al-Qaida-Aufmarschzone, die die Welt je gesehen hat. Die Abgehängten dieser Welt drängen zurzeit in die Ausbildungslager der Terroristen, die Perspektivlosen, die sich bereitwillig radikalisieren lassen, weil sie nicht lesen und schreiben können oder eine Sprache sprechen, in die der Koran nicht hat übersetzt werden dürfen – er soll ja ohnehin nur im arabischen Original gelesen werden, wenn es nach den Imamen geht, die gern die Deutungshoheit über den Koran für sich beanspruchen – oft genug, um im Namen des Islam fürchterliche Verbrechen zu begehen.
Der „war on terror“, das behaupten die Amerikaner gern, sei die Antwort des Westens auf den islamistischen Terrorismus und die Anschläge vom 11. September 2001. Dabei wird meistens übersehen, dass diese Anschläge eine Reaktion auf die vorangegangene US-Außenpolitik waren. Im Geheimdienst-Jargon nennt man so etwas „Blowback“: Die eigenen Aktionen fallen in irgendeiner Weise auf die Initiatoren zurück. Die Amerikaner hatten den afghanischen Mudschaheddin in jeder Hinsicht geholfen, um die Sowjets zu provozieren. Sie haben auch Geschäfte mit Osama bin Laden gemacht. Mit alldem haben sie vermutlich tatsächlich entscheidend dazu beigetragen, die Kräfte des sowjetischen Imperiums zu überdehnen, so dass es letztlich kollabierte, doch die Schlange, die sie an ihrer Brust genährt hatten, verschwand nicht mit den Sowjets. Nine eleven war daher kein Anschlag auf die Werte des Westens, wie es uns so gern verkauft wird, um uns weiszumachen, dass wir in diesem Krieg gegen den Islamismus eine Rolle einzunehmen hätten. Nine eleven war eine direkte Reaktion auf US-Politik. Daher ist auch der „war on terror“ eine Angelegenheit der Amerikaner und ihrer engsten Verbündeten, den Briten. Schröders „uneingeschränkte Solidarität“ war ohnehin nur Wortgeklingel.
Seitdem haben die Amerikaner alles unternommen, um die Sache schlimmer und noch immer schlimmer zu machen. Ohne die weitgehend kopflose US-Anti-Terror-Politik der letzten 13 Jahren hätten wir manches Problem nicht, das wir heute haben. Diese Politik scheint dem Credo Richard Perles zu verdanken zu sein, einem der Neocon-Ideologen, die George W. Bush den Weg bereitet haben. Perle hat einmal gesagt:
„Wir müssen Terrorismus aus seinen Zusammenhängen lösen. Jeder Versuch, die Wurzeln von Terrorismus zu diskutieren, ist ein Versuch, Terrorismus zu rechtfertigen. Terrorismus muss schlicht bekämpft und vernichtet werden.“
Wer so an das Problem herangeht, ist zum Scheitern verurteilt. Eine kluge Außenpolitik fragt selbstverständlich nach Ursache und Wirkung, auch wenn sie dann vielleicht von Parteigängern der Tea Party als sozialistisch bezeichnet würde. So komme ich relativ umstandslos zur nächsten These, die geradezu eine Bedingung für mehr deutsches Engagement in der militärischer werdenden Außenpolitik ist:
These 4: Großbritannien muss raus aus der EU.
Vielleicht tun die Briten uns diesen Gefallen von allein. Wollte der britische Premierminister David Cameron die Briten nicht zum Referendum über den Verbleib des Königreichs in der EU laden? Irgendwie im Jahr 2017 soll es vielleicht so weit sein, habe ich gelesen – vielleicht aber auch nicht, denn es gibt Kräfte in Großbritannien, die vor den Folgen eines Austritts warnen. Seid bloß still, ihr! Fakt ist: Großbritannien hat die europäische Entwicklung mehr als einmal behindert. Maggie Thatcher galt als Ronald Reagans verlängerter Arm, mit dem der US-Präsident in die EU hineinregierte. Nicht viel anders war es mit Tony Blair, der dem hemmungslosen Militarismus des US-Präsidenten Bush jr. wie verfallen war. Und auch der gegenwärtige Premierminister David Cameron hat schon versucht, Sand ins Getriebe der EU zu streuen. Großbritannien, halten wir das einmal fest, ist das U-Boot der USA in der EU. Die anglo-amerikanische Freundschaft ist viel dicker als alle Beziehungen zwischen der Insel und dem europäischen Kontinent. Die Briten sind Parteigänger der US-Politik. Daher haben sie in der EU nichts zu suchen.
Wenn Deutschland eine aktivere Rolle in der Weltpolitik einnehmen soll, dann nur innerhalb von Strukturen der EU ohne die Briten. Dass die Amerikaner außenpolitisch völlig unfähig sind, haben sie hinlänglich bewiesen. Sie hätten der Radikalisierung vieler Muslime beizeiten schon das Wasser abgraben können, indem sie Israel zu einer Friedenslösung mit den Palästinensern zu drängen versucht hätten. Stattdessen sprachen sie Israel eine Art bedingungsloser Bestandsgarantie aus. Perfekt. So bringt man die Dinge ins Laufen.
Aktuell gibt es allerdings Lichtblicke. So scheint etwa eine Einigung mit dem Iran im Atomstreit in Reichweite gerückt zu sein. Doch sollten die Amerikaner glauben, damit dem Terrorismus an die Substanz zu gehen, werden sie ein übles Erwachen erleben: Der gegenwärtige islamistische Terrorismus ist sunnitisch, nicht schiitisch. Das Ansehen, das der Iran in der islamischen Welt genießt, hat ausschließlich damit zu tun, dass der Iran den Amerikanern so lange die Stirn geboten hat, trotz aller Sanktionen. Wenn der Iran und die USA – gegen den Willen und die Warnungen Israels – Frieden schließen, werden weit überwiegende Teile der islamischen Welt im schiitischen Islam wieder nichts anderes sehen als das, was sie über Jahrhunderte hinweg in ihm gesehen haben: Ketzerei.
Aus alledem folgt zwingend:
These 5: Die EU muss ihr Verhältnis zum Islam klären.
Daraus wiederum folgt zwingend:
These 6: Die EU – ohne UK! – muss ihr Verhältnis zu den USA klären.
Und zwar nicht nur mal einfach so anhand von SWIFT- oder ACTA-Abkommen oder was auch immer gerade zur Verhandlung ansteht, sondern grundsätzlich. Wenn die USA weiterhin der Kalter-Krieg-Logik folgen – bis 1989 gegen die Sowjets, danach gegen den Islam -, dann ist dies ein archaisches Politik-Konzept, das der modernen Welt nicht gerecht wird, das die USA der Welt in sinnfälligem Dualismus mit dem islamistischen Terror zwar aufgezwungen haben, dem wir aber nicht folgen müssen. Es geht also darum, Richtlinien einer eigenständigen Politik zu formulieren, unabhängig von den Amerikanern und damit auch unabhängig von der Nato. Und hier wird es natürlich richtig schwierig. Die Nato wird von den Amerikanern dominiert, wie die EU von Deutschland dominiert wird.
Lasst es mich mal ein bisschen pointiert formulieren: In der Nato ist Deutschland das, was Griechenland in der EU ist. Alle wollen, dass wir uns mehr anstrengen. Dann können sich die Amerikaner nämlich – das ist mein Verdacht – hier und da zurückziehen und uns die Scherbenhaufen überlassen. Denn so militärisch machtvoll die USA weltweit auftreten: Wir sollten nicht vergessen, dass dies vor dem Hintergrund eines enormen Staatsdefizits stattfindet. Wie zuvor die Sowjetunion, sind jetzt die USA drauf und dran, ihre imperialen Kräfte zu überdehnen. Innenpolitisch wird über Obamacare gestritten, die „sozialistische“ Gesundheitsreform des Präsidenten, die natürlich ein paar Dollar kostet. Was den US-Haushalt jedoch wirklich belastet, obwohl es kaum jemals thematisiert wird, ist der exorbitante „Verteidigungs“-Haushalt. Dazu zähle ich auch die Milliarden, die mehr oder weniger transparent in die vielen US-Geheimdienste fließen. Irgendwann in nicht allzu ferner Zukunft werden massive Einsparungen nötig werden. Wer soll die Rolle des Weltpolizisten dann noch ausfüllen? Antwort: Niemand.
These 7: Wir brauchen keinen Weltpolizisten, sondern wir brauchen eine UNO-Reform.
Die UNO in ihrer jetzigen Form mit dem Weltsicherheitsrat und seinen Veto-Mächten ist vom Kalten Krieg geprägt. Über eine Reform wird schon seit langem geredet. Unter anderem wird gefordert, dass es künftig keine Vetos mehr geben dürfe, um echte Mehrheitsentscheidungen zu ermöglichen. Die Veto-Mächte werden sich auf einen solchen Machtschwund gewiss nicht einlassen. Wenn Deutschland mehr außenpolitische Verantwortung übernehmen soll, dann keinesfalls ohne im Zuge einer UNO-Reform einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat zu bekommen, der mit Veto-Macht ausgestattet sein muss. Dasselbe Recht sollte Brasilien und Indien zugestanden werden, deren internationale Bedeutung ebenfalls gewachsen ist. Grundsätzlich muss gelten: Deutsche Soldaten/-innen geben ihr Leben nur, wenn es durch ein UN-Mandat gerechtfertigt ist.
Machen wir uns nichts vor: Eine solche UNO-Reform wird es nicht geben. Ein Ziel neuer deutscher Außenpolitik kann es daher auch sein, der „Schwatzbude am Hudson“ (Richard Perle) neue Perspektiven aufzuzeigen, aber das geht nur im Einklang mit der EU. Daher hilft all das Gerede über die USA und die Weltpolitik nicht:
These 8: Wir müssen erst unsere eigenen Hausaufgaben machen.
Am Anfang einer neu zu definierenden Rolle Deutschlands in der Weltpolitik hat nicht die Frage zu stehen, ob wir ausreichend Hubschrauber, Kampfjets, Panzer, Spezialeinsatzkräfte und Kitas für die Kleinen haben, die zu Hause bleiben, wenn Mami und Papi unsere Sicherheit verteidigen müssen. Nein, am Anfang hat die Frage zu stehen, was wir mit wem gemeinsam erreichen wollen. Da drängen sich die USA ohnehin gar nicht mehr unbedingt auf, denn deren geostrategischer Fokus verschiebt sich zurzeit Richtung Südostasien und China, wo es handfeste US-Interessen zu verteidigen gibt. Unsere Partner in dieser neu zu definierenden Außenpolitik sind also zweifellos Frankreich und die EU – ohne Großbritannien und ohne die US-dominierte Nato. Soll heißen: Die EU muss endlich eine stringente Außen- und Sicherheitspolitik formulieren. Kanzlerin Merkel hat schon oft gezeigt, dass sie nötigenfalls Dampf machen kann – sei es nun in der Euro-Rettung oder bei den Abgasgrenzwerten. Wie auch immer man zu den Ergebnissen dieser Einlassungen steht: Wenn Merkel es wollte, könnte sie der lahmen EU-Ente zweifellos richtig Feuer unterm Hintern machen. Die Frage ist: Will sie?
Wie steht Merkel heute zu den Amerikanern? Es ist ja bekannt, dass sie damals, als Schröders „Nein“ zur deutschen Beteiligung am Irak-Krieg die Grundfesten der deutsch-amerikanischen Partnerschaft erschütterte, zu Bush geflogen ist. Es gibt reichlich unappetitliche Karikaturen von dem, was sie da gemacht hat. Ich würde mich nicht wundern, wenn sie heute nicht mehr ganz so bedingungslos zur Gefolgschaft an der Seite der USA steht. Immerhin wurde zwischendurch ihr Handy abgehört. Anders ausgedrückt: Die Amerikaner haben ihr gezeigt, wie sie Partnerschaft definieren. Das hat sie gewiss nicht amüsiert. Der Zeitpunkt ist also günstig für mehr Unabhängigkeit.
These 9: Wir brauchen europäische Streitkräfte und eine Sicherheitsdoktrin, die diesen Namen verdient.
Und damit sind wir an dem Punkt, an dem linke Weicheier wie ich immer ankommen, wenn sie Sicherheitspolitik zu formulieren versuchen: an dem Punkt, an dem es gilt, die Ursachen für die Sicherheitsmängel zu analysieren. ‚Tschuldigung, Mr. Perle – ich kann nicht anders. Ich könnte es natürlich auch so machen wie der gegenwärtige US-Präsident und Friedensnobelpreisträger, der vor Drohnen-Attacken nicht zurückschreckt, um mutmaßliche Terroristen auszuschalten, und der sich damit gegenüber den Zielen dieser Angriffe zum Ankläger, Richter und Henker in einer Person macht. Der US-Journalist Jeremy Scahill hat diese Politik in seinem 2013 erschienenen Buch „Schmutzige Kriege“ unwiderlegbar dokumentiert. Aber ich bin ehrlich: Solche Brüche des Völkerrechts behagen mir nicht. Konsequenterweise plädiere ich sogar dafür, Obama beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag wegen dieser Verbrechen anzuzeigen. George W. Bush natürlich auch. Oder sollte das schon geschehen sein?
Oben habe ich schon dafür plädiert, den „war on terror“ den Amerikanern zu überlassen. Bleibt die Frage, wo europäische Sicherheit außerdem zurzeit bedroht ist. Am Hindukusch jedenfalls nicht. Im Golf von Aden? Immerhin bedrohen dort somalische Piraten immer noch einen für die Welt- und damit auch die EU-Wirtschaft existenziellen Seeweg. Umfasst unser Sicherheitsinteresse auch die Produktionssicherheit unserer Wirtschaft? Gesetzt den Fall, dies würde in eine neu zu definierende EU-Sicherheitsdoktrin aufgenommen werden, wogegen ich nichts hätte, dann läge es im Sicherheitsinteresse Deutschlands und der EU, in Somalia Verhältnisse zu schaffen, die geeignet sind, die Piraten wieder zu den friedlichen und hoffentlich auch zufriedenen Fischern zu transformieren, die sie einmal waren.
Viel wichtiger für die EU sind jedoch die Flüchtlingsströme, die aus der Türkei und über das Mittelmeer nach Europa fließen. Es gibt derzeit drei Hauptquellen dieser Flüchtlingsströme: Syrien, Somalia/Äthiopien und, etwas diffuser, das Sub-Sahel-Afrika. Der Strom aus Syrien besteht aus Kriegsflüchtlingen, denen in der EU Aufenthalt oder sogar Asyl zu gewähren ist, so wie damals den Afghanen, die vor der Invasion der Sowjets geflohen waren, oder den Bosniern und Kosovaren vor dem Kosovokrieg. Dass die EU den Syrern nicht angemessen hilft, ist ein Armutszeugnis – aber es ist eben auch der Tatsache anzulasten, dass es bisher kein umfassendes Sicherheitskonzept gibt, weil die EU-Institutionen versagt haben. Die Ströme aus dem Inneren Afrikas sind dagegen überwiegend Armuts- und Hungerströme. Dagegen fiel der EU armseligerweise bisher nichts anderes ein als höhere Zäune und Frontex.
These 10: Begreifen wir Handelspolitik als Außenpolitik mit anderen Mitteln!
Bisher machen wir es so wie die USA: Wir schließen mit der halben Welt Freihandelsabkommen und verkaufen dann unsere hochsubventionierten, tiefgefrorenen Hühnchen nach Afrika, wo sie – wenn die Kühlkette nicht unterbrochen wird – zu Preisen verkauft werden, mit denen regionale Produzenten nicht mithalten können. Die Folge: Die regionale Wirtschaft bricht ein. Erst der Geflügelproduzent, dann der Futtermittelproduzent, der den Geflügelproduzenten beliefert hat, und so weiter. Diese Politik ist gerade nicht dazu angetan, der Wirtschaft in den betroffenen Ländern auf die Sprünge zu helfen. Sie vernichtet dort Arbeitsplätze, statt dazu beizutragen, das welche entstehen, sie fördert die Entstehung von Armut – und damit letztlich die Entstehung von Flüchtlingsströmen. Wenn wir wollen, dass die Menschen dort bleiben, wo sie immer gelebt haben, müssen wir also unsere Handelspolitik überdenken – und damit sind wir wieder bei der Sicherheitspolitik.
Ein umfassendes Sicherheits- und Außenpolitikkonzept muss die Interessen der Bevölkerungen außereuropäischer Länder (das sind nicht zwangsläufig die Interessen von deren Machthabern) mit einbeziehen. Unserer Sicherheit ist am besten gedient, wenn es gelingt, in anderen Ländern Verhältnisse herzustellen und zu fördern, unter denen die Menschen dort in Frieden leben können und leben wollen. Das bezieht die arabische Welt ein. Ein relativer Wohlstand, so einfach er auch sein möge, gräbt allen Radikalen dann das Wasser ab, wenn die Menschen dort halbwegs zufrieden sind.
Wenn wir die neue deutsche Stärke in der Außenpolitik dergestalt nutzen, dann, Herr Gauck, Frau Merkel, Frau von der Leyen und Herr Steinmeier, könnte folgende These gelten, die ich Ihnen zum Schluss meiner Überlegungen ans Herz lege:
These 11: Wir brauchen keine Auslandseinsätze der Bundeswehr.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Nur ein paar kleine Anmerkungen:
Ich sehe einen Widerspruch zwischen These 1 und These 11, der begründet werden müsste.
Die These 3 unterschätzt die Aggressivität von al-Qaida und verwandten Gruppierungen: Der Einschätzung des Irakkrieges ist nicht zu widersprechen, aber wenn al-Qaida nur reagiert, woher kam dann der Angriff auf Mali?
Ich halte es auch für schwierig, diesem “war on terror” völlig zu entsagen, weil es heutzutage kleine Gruppen schaffen können, Angriffe in militärischen Dimensionen zu starten. 9/11 war eine äußerst effiziente Demonstration in dieser Sache. Wenn die Organisatoren sich dann in Ländern verschanzen, die sie unterstützen (Afghanistan) oder einfach nur ihr Territorium nicht beherrschen (Somalia, Malaysia, Indionesien – ich packe der Einfachheit halber mal die Piraterie mit dazu), kommt man um eine militärische Bekämpfung kaum darum herum, und da halte ich auch den Einsatz von Drohen gerechtfertigt – das ist eine Form von Krieg und kann unter diesen Umständen die normalen rechtsstaatlichen Ansprüche nicht wie die innerstaatliche Verbrechensbekämpfung erfüllen.
Bei Ihrer Ansicht zu den Piraten liegt ein etwas zu romantisches Bild zugrunde: Über den Ursprung der somalischen Piraterie mit zerstörten Fischgründen sind wir uns einig. Nur sind das nicht mehr die Piraten, die da heute noch sind. Das sind schon lange kriminelle Banden, deren Organisation fließend in die der Clans übergeht, und denen es heute völlig egal ist, wieviel Fisch da an der Küste zu fangen ist (ich meine sogar, gelesen zu haben, dass die Bestände sich durch die Piraterie schon weitgehend erholt haben.). Die Piraterie in Malaysia / Indonesien hat überhaupt keine derartigen Wurzeln – hier schaffen es die Staaten auch mit dem Militär einfach nicht, ihr Territorium polizeilich zu beherrschen.
Ich würde eher These 5 und These 6 zusammenfassen: Wir müssen unser Verhältnis zu fundamentalistischen Religionen klären, die auch bei unserem Bündnispartner USA einen gewaltigen Einfluss haben und sowohl selbst politische Dynamik entfalten als auch benutzt werden. (Siehe Bush beim Thema Irak)
Dazu gehört aber auch eine ehrliche Befassung mit dem normalen Islam in Europa: Nach einer EU-Umfrage sind ca 50% der Muslime innerhalb der EU stringent fundamentalistisch (der Anteil fundamentalistischer Tendenzen ist erheblich höher) gegenüber ca 5% stringent fundamentalistischer Christen. Fundamentalistische Religionen sind nicht wirklich demokratiekompatibel.
Nachsatz zu These 7:
Eine solche Reform wird es nicht nur nicht geben, eine solche Reform kann es nicht geben: Die Struktur der UN mit ihren Vetomächten ist nicht nur durch den kalten Krieg bedingt, sondern auch durch die Tatsache, dass die UN keine wirklich demokratische Veranstaltung ist / sein kann, sondern in dieser Form einfach nur eine Versammlung von Regierungsvertretern der jeweiligen Staaten.
Schon allein diese Tatsache bedingt ein Vetorecht der Großmächte, weil sie eben jeweils für sehr ein sehr großes Land stehen, das sich auch durch 100 Luxemburgs nicht unter Druck setzen lassen kann. Insofern ist auch die Forderung nach Mehrheitsbeschlüssen illusorisch, weil ich auch als Deutscher nur dafür wäre, wenn mindestens die Stimmen nach Einwohnerzahl gewichtet würden.
Aber auch das kann eigentlich nicht reichen. Man erinnere sich allein an den in der UN-Menschenrechtskommission erfolgreichen Versuch der islamischen Staaten, Gotteslästerung weltweit zum Verbrechen zu erklären – jede Konstruktion, die es erlauben würde, hinter die (ich weiß: von Europäern definierten) allgemeinen Menschenrechte zurückzufallen, ist nicht annehmbar. Diese Vorgänge zeigen, dass auch Mehrheitsabstimmungen nicht unbedingt vorteilhaft sein müssen, nicht einmal bei so basalen Angelegenheiten wie den Menschenrechten, bei denen die OIC (Organisation für Islamische Zusammenarbeit ) sowieso ihre eigene Suppe kocht, indem sie die Menschenrechte über Koran und die Scharia definiert, so dass auch Staaten wie Saudi Arabien oder Pakistan, in denen Apostaten auch heute noch mit dem Tode bestrafte werden können, keinen Anlass zur Klage geben. (Das ist auch ein nettes Beispiel für die grundsätzliche Untauglichkeit fundamentalistischer Systeme, in der ein Gotteswort die Wahrheit verkündet.)
Insofern ist eine effektivere UN nur illusorisch und wir sollten uns einfach über die Entscheidungen freuen, die überhaupt funktionieren.
Danke für Ihre Thesen, Bronski. Waren die auch in der Printausgabe zu lesen? Falls nicht, schade. Hat mich ein bisschen an Anton-Andreas Guha erinnert, der in den Achtzigern in der FR vehement gegen die Nato-Nachrüstung wetterte. Ach, das waren noch Zeiten… Jedenfalls würde so ein Artikel der FR wieder mehr Profil verleihen. Ich frage mich, ob in Mali oder der Zentralafrikanischen Republik ein vitales Interesse Deutschlands berührt ist. Meines Erachtens nicht. Humanitäre Einsätze? Wird oft als Ausrede missbraucht. Außerdem gibt es derzeit weltweit mehr als 30 bewaffnete Konflikte. Wollen wir dort überall intervenieren? Und wenn nicht, sind syrische Opfer weniger wert als die in Mali? Bronski ist zuzustimmen, es geht letztlich darum, die Konfliktursachen auszuschalten. Und da kann die Bundesrepublik aufgrund ihres ökonomischen Gewichts großen Einfluss ausüben.
@Frank Wohlgemuth
Sehen Sie, genau das ist unser Problem: Sie halten z.B. den Einsatz von Drohnen für gerechtfertigt, obgleich er nach der Ansicht der meisten Juristen völkerrechtswidrig ist. Die USA sind weder mit Pakistan noch mit dem Jemen im Kriegszustand, und durch die Drohnen werden lediglich TerrorVERDÄCHTIGE eliminiert. Anklage, fairer Prozess? Pustekuchen! Zivilisten fallen den Angriffen natürlich auch zum Opfer. Kollateralschäden eben. Das sind außergerichtliche Tötungen. Obama maßt sich an, zugleich Ankläger, Richter und Henker zu spielen. Der Grundwiderspruch ist doch: Nach außen hält man Werte wie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit hoch. Faktisch tritt man sie mit Füßen – jedenfalls dort, wo es opportun erscheint. Ohne Einhaltung unserer Werte werden wir das Terrorproblem aber niemals lösen.
These 1 könnte man auch erweitern und sagen:
„These 1.a: Wirtschaftseinsätze können in bestimmten Fällen ein Mittel von Politik sein.“
@ Michael Schöfer #3
„Sehen Sie, genau das ist unser Problem: Sie halten z.B. den Einsatz von Drohnen für gerechtfertigt, obgleich er nach der Ansicht der meisten Juristen völkerrechtswidrig ist.“ (Michael Schöfer)
Ich habe die Randbedingungen genannt, unter denen ich den Einsatz von Drohnen für gerechtfertigt halte: Der Verdächtige (es handelt sich ja hier normalerweise um Führungspersonen, die sich regelmäßig selbst bezichtigen, außerdem sind für „Normalterroristen“ die Drohnen zu teuer) wird von seinem Gast- oder Heimatland nicht ausgeliefert und damit eine normale Verfolgung und Anklage verhindert, und es handelt sich um Verbrechen in militärischer Größenordnung, also um einen asymmetrischen Krieg. Das Völkerrecht sieht Derartiges überhaupt nicht vor, und insofern ist es nicht weiter verwunderlich, dass eine wirksame Abwehr Verstöße gegen das Völkerrecht enthält.
Das kann aber nicht der einzige Maßstab sein, so sehr ich mir das auch wünschte:
„Der Nato-Einsatz gegen Serbien etwa war sinnvoll, obwohl völkerrechtswidrig; er verhinderte weiteres Blutvergießen, indem er das Rest-Yugoslawien des Slobodan Milosevic in die Knie zwang, und durchbrach die Gewaltspirale mit Hilfe einer gewaltigen Machtdemonstration, aber er wurde ohne UN-Mandat geführt.“ (Bronski)
Es gibt Gefahren, die so groß sind, dass man sie abstellen muss – auch wenn damit Recht verletzt wird. Ich fände es gut, wenn das Völkerrecht dieses Problem sähe und dafür auch etwas entsprechendes zum Notwehrrecht einschließlich Vorgaben zur Rechtsgüterabwägung auch bei asymmetrischen Kriegen zur Verfügung stellte. Das würde so einen Fall sachgerechter überprüfbar machen – nur auf die Buchstaben eines unpassenden Rechtes zu sehen, hilft da nicht viel weiter.
@Frank Wohlgemuth #5
Woher wollen Sie denn wissen, ob der durch die Drohne getötete das alles wirklich getan hat? Gilt nicht mehr, wie in einem Rechtsstaat üblich, die Unschuldsvermutung? Aufgrund welcher Beweise wird denn getötet? Das kann niemand überprüfen. Normalerweise sind dafür die Gerichte zuständig, die auf der Grundlage von Gesetzen urteilen.
Nach Schätzungen des Bureau of Investigative Journalism sind in Pakistan zwischen 2004 und 2014 bei 381 Drohnen-Angriffen 2537 – 3646 Menschen getötet worden, darunter 416 – 951 Zivilisten und 168 – 200 Kinder. Die Zahlen für den Jemen sind nicht ganz so hoch, weisen aber eine ähnliche Verteilung auf. Von „Führungspersonen“, wie Sie es bezeichnen, kann also gar keine Rede sein. Außerdem bleibt, wie oben erwähnt, die Frage der Beweise und des fairen Verfahrens. M.E. darf niemand nach Gutdünken töten.
Ich bin zwar kein Jurist, aber nach allem, was ich darüber gelesen habe, sind solche Angriffe rechtswidrig. Man darf zwar in einem Krieg Kombattanten angreifen (und hat dabei die Zivilbevölkerung nach Möglichkeit zu schonen), aber die USA befinden sich weder mit Pakistan noch mit dem Jemen im Krieg. Erwähnt werden sollte noch, dass die USA diesen Menschen den Status eines Kombattanten absprechen, sie aber auch nicht als Kriminelle behandeln. Der Begriff, den die USA verwenden, um diesen Menschen ihre Rechte vorzuenthalten („ungesetzlicher Kombattant“), wird von Juristen heftig kritisiert. Ich darf beiläufig daran erinnern, dass zum Beispiel in Guantanamo immer noch Menschen inhaftiert sind, die bislang weder angeklagt noch verurteilt wurden. Und das zum Teil seit 2001. In meinen Augen ist das himmelschreiendes Unrecht. Meiner Auffassung nach haben sich nämlich alle Staaten ans Recht zu halten. Und selbst die USA dürfen hierbei keine Ausnahme sein.
Das Problem mit der US-Drohnen-„Politik“ ist, dass sie absolut unilateral ausgerichtet ist. Obama setzt damit die Bush-Politik fort, die auf internationale Absprachen wenig gab, sondern Alleingänge favorisierte. Etwas zugespitzt könnte man sagen: Die USA nehmen sich derzeit das Recht heraus, auf diesem Planeten zu töten, wen, wann und wo sie wollen. Der Betreffende muss sich nur verdächtig machen, ein führender Terrorist zu sein. Diese Vorgehensweise ist mit der in der Nato abgestimmten Vorgehensweise, die zum Kosovokrieg führte, nicht vergleichbar, auch wenn die Vorwürfe der Völkerrechtswidrigkeit natürlich schwerwiegend sind. Mit dem Völkerrecht ist das eben so eine Sache. Es handelt sich ja nicht um einen von Parlamenten oder von der UNO-Vollversammlung beschlossenen Rechtskatalog, sondern um ein Recht „in Entwicklung“, d.h. es werden dauernd Fakten geschaffen, die in ihrer Gesamtheit einmal „das“ Völkerrecht bilden sollen. Solche Fakten werden zurzeit vor allem vom Internationalen Strafgerichtshof geschaffen, der die Entwicklung des Völkerrechts maßgeblich vorantreibt.
Vor dem Kosovokrieg gab es übrigens auch Stimmen, die das Eingreifen – oder das Angreifen – nicht als völkerrechtswidrig einstuften. Eine Frage dabei ist zum Beispiel, ob mit dem Angriff der 2+4-Vertrag gebrochen wurde. Der entsprechende Passus in diesem Vertrag lautet nach Wikipedia:
„Nach der Verfassung des vereinten Deutschlands sind Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, verfassungswidrig und strafbar.“
Ich glaube, man braucht nicht darüber zu streiten, ob das friedliche Zusammenleben der Völker nicht vielleicht schon gestört war.
Die Verhinderung eines Genozids auf europäischem Boden ist jedenfalls etwas völlig anderes als Drohnenattacken auf mutmaßliche Terroristenführer. Vor allem auch deswegen, weil die Drohnen-Taktik nicht in der Lage ist, etwas an den Zuständen zu ändern. Der nächste Terroristenführer steht immer schon bereit. Zudem ist diese Taktik gerade wegen der vielen toten Zivilisten gut dazu geeignet, immer neue Muslime zu radikalisieren. Über Nachwuchs braucht sich al-Qaida im Moment jedenfalls offenbar keine Sorgen zu machen.
Dieser von Huntington herbeigeschriebene und von Bush herbeigeführte „clash of civilizations“ ist mit Waffengewalt nicht zu gewinnen.
@ Bronski #7
Das war bis jetzt eine Diskussion über eine mögliche deutsche Politik und keine über die der USA. Wenn Sie den Maßstab möchten: Guantanamo ist für mich nicht nachvollziehbar und bei der Drohnen-”Politik” möchte ich mich weder an den Steinigungsaufrufen beteiligen, noch sie verteidigen, weil mir die nötige Information fehlt, um eine Rechtsgüterabwägung zu machen und eine persönliche Wertung vorzunehmen, welche der Angriffe ich für gerechtfertigt halte und welche nicht – es wird wahrscheinlich beides geben.
Meine Argumentation war nicht fallbezogen, sondern theoretisch. Und da weigere ich mich, ein Recht anzuwenden, das den Fall, um den es da geht, überhaupt nicht vorsieht: Nach geltendem Recht ist Terrorismus in dieser Form nur zu verfolgen, wenn ich den Terroristen in akuter Notwehr festnehme oder töte, weil er sich der normalen juristischen Verfolgung in Länder entzieht, in denen er sich, wenn nicht der Regierung selbst, so doch hinreichend mächtiger Gruppen bedient, um sich jeder legalen Verfolgung zu entziehen. Gleichzeitig sieht er sich selbst als im Krieg befindlich und besteht aber darauf, als Zivilist behandelt zu werden, solange er aktuell gerade nicht bombt und schießt – die rechtsstaatliche Argumentation stimmt nur für den Friedensfall. Auch dieser Zustand ist für mich unhaltbar, komischerweise sieht hier niemand Handlungsbedarf, sondern alle stellen im Fall einer effektiven Verfolgung nur fest, dass sie rechtswidrig war. Welch intellektuelle Glanzleistung!
Und solange dieser Zustand so ist, ist die Aussage „rechtswidrig“ allein beim Thema Bekämpfung des internationalen Terrorismus für mich nur Ausdruck einer allgemeinen Problematik, die sowohl das Handeln als auch das Recht betrifft und für den Einzelfall nicht aussagekräftig.
@ Frank Wohlgemuth
„Das war bis jetzt eine Diskussion über eine mögliche deutsche Politik und keine über die der USA. “
Nein, das war und ist eine Diskussion über eine Positionsbestimmung der deutschen Außenpolitik. Von Deutschland wird jetzt erwartet, dass es sich womöglich an militärischen Abenteuern beteiligt. Ich plädiere dafür, selbstbewusst und möglichst eigenständig in diese neue Außenpolitik zu starten. Ich glaube, das geht aus meinem langen Essay hervor. Dazu gehört, dass wir uns mit dem Status quo der Weltpolitik befassen – und daher muss zwingend eine Auseinandersetzung mit der Politik der Amerikaner erfolgen. Das eine ist ohne das andere nicht zu denken!
Aber in einem Punkt haben Sie Recht: Es hat wenig Sinn, über einzelne konkrete Rechtsfälle zu sprechen, zumal das Völkerrecht a) eine einzige Baustelle ist und b) von den USA nicht als bindend anerkannt wird. Es gibt in den USA ja sogar ein Gesetz, dass es amerikanischen Streitkräften ermöglicht, Amerikaner aus den Fängen des Internationalen Strafgerichtshof zu befreien, d.h. nach amerikanischem Recht wäre eine Invasion der Niederlande rechtmäßig. Über solche konkreten Rechtsfälle brauchen wir nicht zu sprechen, aber über die dahinterstehende Rechtskultur müssen wir durchaus sprechen. Michael Schöfer hat die Rechtspraxis der „ungesetzlichen Kombattanten“ oben schon angesprochen. Mit diesem Rechtskonstrukt hat sich die Bush-Regierung die Möglichkeit an die Hand gegeben, Häftlinge nicht nur in Guantánamo, sondern auch auf Diego Garcia, in der Bagram Air Base und in den Black Sites der CIA ohne Haftbefehl, ohne Anklage und ohne Außenkontakte beliebig lange festzuhalten und sie „erweiterten Verhörmethoden“ zu unterziehen, zu denen auch das Waterboarding zählt. Ich nehme an, dass Sie das alles wissen. Damit haben die USA eine Rechtspraxis geschaffen, die Sie wohl begrüßen müssten, wenn Sie die sonstigen Möglichkeiten des Rechts als nicht ausreichend erachten. Ja, in der Tat, auch nach deutschem Recht darf man einen Täter erst bestrafen, wenn er a) gefasst wurde, b) einen Prozess bekommen hat und c) rechtskräftig verurteilt wurde. Dabei hat sogar das Rechtsprinzip „Im Zweifel für den Angeklagten“ zu gelten, wenn die Beweise nicht ausreichen. Wer etwas anderes wünscht, Herr Wohlgemuth, sollte nicht über intellektuelle Glanzleistungen anderer spotten, sondern in sich gehen und überlegen, inwiefern er sich noch innerhalb unseres geltenden Rechtsrahmens bewegt, wenn er Ausnahmen wie die Todesstrafe ohne vorangegangenen Prozess gutheißt, oder ob er vielleicht schon das Glatteis totalitären Denkens betreten hat. Das kann ich mir bei Ihnen beim besten Willen nicht vorstellen; trotzdem verstehe ich nicht, wie Sie so argumentieren können.
Ich halte unsese Rechtspraxis allen anderen Justizsystemen gegenüber moralisch und ethisch für überlegen, insbesondere wenn diese die Todesstrafe beinhalten, egal ob durch Steinigung oder durch eine Giftspritze. Die Feststellung, dass ein Präsident, der einen Tötungsbefehl erteilt, ohne die Zielperson wenigstens angehört, also vernommen zu haben, rechtswidrig handelt, ist deswegen so traurig, weil sie die gesamte US-Außenpolitik unglaubwürdig macht. Die sogenannten „westlichen Werte“ – was ist das denn noch, wenn der Führer der westlichen Welt jede Rechtsstaatlichkeit derart mit Füßen tritt? Und wenn der Präsident bei seiner Tötungspraxis Fehlurteile fällt und Unschuldige töten lässt – also abgesehen von den ohnehin unschuldigen, aber mitgetöteten Zivilisten? Die Todesstrafe steht weltweit unter anderem auch deswegen in der Kritik, weil es zahllose Fälle von Justizversagen gegeben hat. Auch die US-Justiz hat schon Unschuldige hingerichtet. Dafür gibt es keine Wiedergutmachung. Ich kann kaum glauben, dass Sie diese Form von Lynchjustiz, die realer Bestandteil der US-Außenpolitik ist, tatsächlich verteidigen. Ich hoffe, ich habe Sie nur missverstanden. Nach meinem Dafürhalten muss allles unternommen werden, um diesen Teufelskreis der Gewalt zu unterbrechen.
Ja, wir haben ein riesiges Problem mit dem Islamismus. Daran sind wir Deutschen kaum schuld, auch wenn unsere Politiker mit arabischen Potentaten geturtelt haben, während diese islamistische Bewegungen in ihren Ländern unterdrückten. Dieser Islamismus ist auch nicht einfach ein Resultat des Kolonialismus, obwohl die ehemaligen Kolonialmächte für die Islamisten viel mehr im Fokus stehen als wir Deutschen. Die Materie ist schwierig. Ich neige mit Boualem Sansal (Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels) zu der Auffassung, dass es deswegen keinen aufgeklärten Islam gibt, weil es in arabischen bzw. islamischen Staaten stets nur eine dünne, meist feudal regierende Oberschicht und daneben das einfache Volk gab, aber keine wie auch immer geartete „bürgerliche“ Mittelschicht, wie es sie während der Aufklärung in Europa gab. Es gab im Islam schlicht keine Strukturen, die zwischen dem einfachen Volks-Islam und jenem Islam, der von den Machthabern als politisches Instrument ge- bzw. missbraucht wurde, hätte vermitteln können. Entsprechend archaisch wirkt dieser Islam heute auf uns. Es wird eine riesige Aufgabe sein, diesen radikalisierten Leuten klarzumachen, dass wir nicht ihre Gegner sind – aber wenn wir Bomben auf sie werfen, können wir es gleich sein lassen.
Dass wir uns mit dem Islam befassen müssen, steht für mich außer Frage. Wir haben an anderer Stelle schon einmal darüber theoretisiert, inwiefern es gelingen könnte, einen Euro-Islam zu etablieren, der auch an unseren Universitäten gelehrt werden würde. Die Franzosen haben damit schon anfängliche Erfahrungen, mehr jedenfalls als wir. Ich wusste zum Beispiel nicht, dass es an der Pariser Sorbonne einen Professor für islamisches Denken gab, Mohammed Arkoun, einen algerischen Philosophen, der ein als epochal eingestuftes philosophisches Werk namens „Kritik der islamischen Vernunft“ verfasst hat. In meinen Augen sind das vielversprechende Anfänge eines Diskurses, der nicht den Extremisten überlassen werden darf und der nicht von ungefähr in einer freiheitlichen, liberalen Sphäre wie Europa beginnt.
Das höchste Gut in der Politik ist die Glaubwürdigkeit. Die verdient man sich unter anderem, indem man seine Gesprächspartner respektiert. Grundsätzen wie diesen sollte die neue deutsche Außenpolitik verpflichtet sein. Darüber hinaus kann sie gleich einmal beginnen, ganz konkret gute Beziehungen nach Tunesien aufzubauen, denn die Tunesier haben sich eine vorbildliche Verfassung mit hoher Strahlkraft gegeben. Dazu brauchen wir keine Panzer und Raketen, sondern wir brauchen wirtschaftliche Kooperation, die den Menschen in Tunesien halbwegs zu Wohlstand verhilft. Dann wird der Islamismus in Tunesien an Boden verlieren, und so kann es dann weitergehen.
Militäreinsätze sollten in der Tat Fall für Fall geprüft werden , weder ein neuer und vielleicht gar heroischer Kult um solche Einsätze noch ein pauschaler Pazifismus helfen uns da weiter.
These 4 allerdings wirkt befremdlich , wer nicht genug in die Gemeinschaft paßt , fliegt ,da sollten wir verflucht aufpassen , das ist eine gleichmacherische Überreaktion .
Bei aller sehr berechtigten Kritik an der anglo-amerikanischen Politik und der Geringschätzung Deutschlands durch die NATO , substanzstarke Gemeinschaften müssen das aushalten und notfalls eben heftig streiten , eine Spaltung jedoch wird nur lachenden Dritten nutzen , die den Westen lieber heute als morgen an die Wand drücken wollen.
Auch neigen wir insgesamt dazu , gerade das amerikanische und auch ein Stück weit das engliche Volk gleichzusetzen mit ihren „Eliten“ und übersehen , daß deren „Anführer“ nicht minder verkommen sind als die unserigen.
Daß die derzeit herrschenden „Eliten“-Vertreter keine brauchbare Außenpolitik auf die Reihe kriegen , wird immer offensichtlicher und ist auch nicht weiter verwunderlich , wenn man sich diese Schwachmaten mal genauer ansieht.
These 10 wiederum ist hervorragend und legt den Finger in die entscheidenede Wunde , wir können und den Wolf bomben , wenn wir nicht endlich begreifen , wie sehr der Westen diskreditiert wird durch die nicht unter einen Hut zu kriegende Diskrepanz zwischen dem Vertreten westlicher Werte und dem häufig verbrecherischen Auftreten in der Wirtschaftspolitik.
Zuerst wäre wohl die Peinlichkeit zu beseitigen, daß Deutschland als militärisch nur marginal beteiligtes Land mehr am Krieg verdient, als es für ihn (in ihm,gegen ihn) ausgibt.
Daß da die anderen Staaten nach mehr „Verantwortung“ rufen, ist verständlich. Deutschland ist, auch wenn es so tut, kein friedliches Land, es führt, wenn man es böse formuliert, Wirtschaftskrieg, Waffenhandelskrieg, Ideologiekrieg, Ökologiekrieg. Da könnte man an die lebhafte „Clausewitz-Diskussion“ anknüpfen, die hier im Blog stattgefunden hat.
Zunächst, um die Thesen nur annähernd erfüllen zu können, müsste Deutschland beweisen, daß die neue Aussenpolitik nicht bloss ein Fortführung des Krieges mit anderen Mitteln ist. Das ist die große Angst der Partner und Gegner und möglicherweise das Dilemma, in das Deutschland hineinsteuert: Man hätte schon lieber ein militärisch/wirtschaftlich ausgeglichen belastetes Deutschland, als ein Deutschland, das von der Krieg-und Verteidigungsführung anderer profitiert und sich als Friedensengel mit dickem Portemonnaie zur Weltmacht aufschwingt. Man will aber kein Deutschland, das im Fall der Fälle auch die eigene Situation „militärisch hinterfragt“.
…
Zuerst, um das allerletzte zu verhüten, wäre zu klären, wie Deutschland die Nationalisten, Imperialisten und Kapitalisten und sonstigen Ideologiekrieger im Zaum hält, damit die Welt nicht schon wieder am deutschen Wesen verwesen muß.
„trotzdem verstehe ich nicht, wie Sie so argumentieren können. „ (Bronski)
Ich habe so auch nicht argumentiert und bitte Sie einfach, meinen Beitrag noch einmal unaufgeregter und genauer zu lesen.
Mir ist einfach Folgendes zu dünn:
„Dabei wird meistens übersehen, dass diese Anschläge eine Reaktion auf die vorangegangene US-Außenpolitik waren. „ (Bronski)
Ich werde Ihnen aber deshalb nicht unterstellen, sie würden mit dem Terror sympathisieren. Mein Verständnis für die amerikanischen Reaktionen ist dabei auch nicht besonders ausgeprägt: Z.B. die amerikanische Reaktion, der Angriff auf den Irak war ein Verbrechen, nur der Verbrecher leider zu mächtig, als dass er belangt werden könnte. Außerdem finde ich es bezeichnend, dass Bush hier nach eigenem Bekunden göttlich inspiriert war.
Ich schätze unseren Rechtsstaat wahrscheinlich genauso wie Sie, nur funktioniert der auch bei uns nicht im Krieg, für den gibt es ein Kriegsrecht, bei uns heißt das Ausnahmezustand und ist bisher für deutsche Soldaten im Ausland nicht so richtig geregelt: Der gilt nämlich nur, wenn sich Deutschland im Verteidigungsfall befindet. Das bedeutet in der Überspitzung z.B. heute für den deutschen Soldaten im Ausland, dass er zurückschießen darf, solange er beschossen wird. Sobald der Feind aber ohne Waffe in die nächste Deckung rennt, darf der Soldat strenggenommen nicht mehr schießen, auch wenn er davon ausgehen kann, dass der Feind da wieder Waffen hat und von da weiter schießen wird. Völlig egal, ob es da um die Verhinderung eines Völkermordes ginge: Als Soldat würde ich mich im Moment einfach krank melden, anstatt meine Haut unter derartigen rechtlichen Bedingungen zu Markte zu tragen. (Diese Ebene, nämlich dass da jemand die mehr oder weniger edlen politischen Beschlüsse unter erheblichem persönlichen sowohl existenziellen als auch juristischem Risiko in die Tat umzusetzen hat, findet in der Diskussion bisher gar nicht statt.)
Im Ausnahmezustand ist es auch bei uns möglich, einen einmal erkannten Feind bis zu seiner Unschädlichmachung zu verfolgen – und dabei kann es passieren, dass er ohne Gerichtsverhandlung während der Frühstückspause stirbt, wenn sein Unterschlupf während dieser Pause angegriffen wird. Und sein Pizzaservice, oder wer immer ihm gerade sein Essen serviert, stirbt dann mit ihm. Aber auch dieser Zustand ist nicht rechtlos, hier greift das Kriegsvölkerrecht, innerhalb dessen aber Abwägungen möglich sind, die es in Friedenszeiten nicht sind.
Das Kriegsvölkerrecht greift aber wiederum nur, wenn sich zwei Staaten offiziell im Krieg befinden. Und da kommen wir in das Dilemma, über das ich oben geschrieben habe:
Es existiert eine nichtstaatliche Organisation, die den Krieg erklärt oder unerklärt eröffnet und dabei militärische Maßstäbe erreicht (z.B. 3000 Tote mit einem Angriff). Diese Organisation ist territorial schwer zu fassen, sie agiert international, mit befreundeten Staaten, die selbst keinen Krieg erklären, oder sie agiert in Staaten, die indifferent sind, entweder, weil sie nicht wirklich existieren, wie Somalia zur Zeit, oder legale oder illegale Substrukturen besitzen, die ein nicht weiter beherrschtes Eigenleben innerhalb des Staates führen. Das ist die Situation in Teilen Pakistans, in denen islamistische Kreise herrschen, aber auch in anderen Teilen der arabischen Welt. So kann man auch die Situation der Piraten in Malaysia / Indonesien beschreiben.
Da die Organisation, die da kämpft, kein Staat ist, steht formal das Kriegsvölkerrecht, das diese Situation einfach nicht kennt, weil es nur von kämpfenden Staaten ausgeht, nicht zur Verfügung. Auf der anderen Seite ist an eine normale polizeiliche Verfolgung innerhalb des normalen Völkerrechtes überhaupt nicht zu denken, sie ist in der Praxis unmöglich, weil die staatlichen Ansprechpartner auf der anderen Seite aus unterschiedlichen Gründen nicht mitspielen und weil, wenn sie mitspielten und einen eigenen Zugriff erlaubten, die bewaffnete Auseinandersetzung schon wieder militärische Ausmaße hätte.
Hier einfach auf dem normalen Recht zu bestehen, und das tun Sie, wenn Sie mit Rechtsstaatlichkeit und Prozess argumentieren, bedeutet praktisch, auf die Verfolgung zu verzichten, weil die unter diesen Bedingungen nicht möglich ist. Diesen Luxus kann ich mir aber nur leisten, solange ich nicht unter den Angegriffenen bin. Als Angegriffener muss ich mir überlegen, wie ich diesem Feind zu Leibe rücke. Um das nicht alles nur auf die Amerikaner zu beziehen: Israel hat genau das selbe Problem. Es ist auch für Israel unmöglich, aktuelle Raketenangriffe polizeilich, d.h. rechtsstaatlich zu bekämpfen. (Das sollte man, wenn man diesem Staat ein Existenzrecht zugesteht, unabhängig von der Betrachtung der Fehler, mit denen er auf der politischen Ebene z.T. genau den Terrorismus befördert, den er dann militärisch bekämpfen muss, erörtern.)
Wenn wir einen derartigen Terrorismus bekämpfbar machen wollen, bekämpfbar heißt aktuell und kurzfristig, das ist unabhängig von politischen Maßnahmen oder Dummheiten, die sich längerfristig auswirken, dann kommen wir nicht umhin, das Kriegsrecht teilweise auszuweiten, national und international. Und solange wir das nicht tun, müssen wir uns nicht wundern, wenn die Staaten, die in einem derartigen Krieg stehen, sich weigern, die derzeitige Rechtslage anzuerkennen. Die ungeregelte Selbstjustiz, die hier auf der amerikanischen Seite vorliegt, kann man guten Gewissens erst dann verdammen, wenn die rechtlichen Möglichkeiten einer effektiven Terrorbekämpfung geschaffen wurden. Erst dann liegt auch ein rechtlicher Maßstab vor, den man sinnvoll auf die Maßnahmen gegen den Terror anwenden kann.
Ich gehe auch davon aus, dass eine derartige Änderung der Rechtslage das Geschäft des Terrors direkt verändern würde, weil es das Risiko für die „unbeteiligt“ Beteiligten zwangsläufig auch offiziell erhöhen würde und deren Mitmachschwelle damit stiege. Aus militärischer Sicht ist der, der Terroreinheiten Unterschlupf gewährt, einfach das, was er aus Sicht der Terroreinheiten auch ist: Eine logistische Einheit. Militärisch ist er damit ein direktes Angriffsziel.
Diese grundsätzlichen Überlegungen bedeuten nicht, dass ich das militärische oder gesetzgeberische Handeln der USA für richtig halte, sondern erst einmal nur, dass ich rechtsstaatliche Maßstäbe, die für ein friedliches Miteinander und zur Bekämpfung einzelner Krimineller geschaffen wurden, in dieser Situation nicht nur für unangemessen, sondern für kontraproduktiv halte: In der Praxis sind diese unreflektierten Forderungen nach der in Friedenszeiten üblichen Rechtsstaatlichkeit in dieser Sache einfach eine Verstärkung der publizistischen Seite des Terrors, ob man das will oder nicht. Dass das auf der anderen Seite inzwischen auch erkannt wurde, ist bekannt, seit man entsprechende Strategiepapiere von al-Qaida gefunden hat.
These 11 stimme ich voll zu, ansonsten meine ich, dass alles übel, insbeondere al kaida, aus den ungerechten wirtschaftsbeziehungen erwächst, die zu unserem vorteil afrika und arabien ausbeuten, siehe z.B. agragsubventionen und industrielle landwirtschaft, siehe unetrstützung des despotischen hauses saud, was übrigens israel am ende des tages sehr teeuer zustehehn kommen könnte, wieso rüsten wir die letzte absolute monarchie auf, die überdies frauenfeindlich und homophob ist und die Heimat osama bin ladens.
@ Frank Wohlgemuth
Ich habe Ihre Ausführungen sorgsam gelesen, kann sie nachvollziehen und halte Ihren Ansatz trotzdem für falsch. Vor allem sind meine Forderungen nach rechtsstaatlichem Vorgehen nicht unreflektiert, da an ihnen die Glaubwürdigkeit unseres Handelns in der Welt hängt. Wir können keine moralische Überlegenheit und damit auch keine Position als außenpolitische Führungsmacht für uns beanspruchen, wenn wir uns zugleich auf das Niveau der Terroristen begeben. Eine Drohnen-Attacke auf ein Begräbnis, bei dem ein mutmaßlicher (= nicht verurteilter) Terrorist zu Grabe getragen wird, und dem mutmaßliche (= nicht verurteilte) weitere Terroristen beiwohnen, die dabei zusammen mit vier Dutzend Zivilisten getötet werden, ist von ihrer Qualität her ein terroristischer Akt. Niemals dürfen deutsche Streitkräfte derart gegen wie auch immer geartete Feinde vorgehen!
Mit Gewalt werden wir das Terroristen-Problem nicht lösen können. Dazu fließen der al-Qaida zu viele junge Leute zu, die sich für Selbstmord-Attentate missbrauchen lassen. Dieses Problem muss an der Wurzel angepackt werden, und in dieser Hinsicht liefern Sie leider überhaupt keine Lösungsansätze. Immerhin engen Sie Ihre „Lösungsvorschläge“ auf zeitliche Dimensionen („aktuell und kurzfristig“) ein. Mich würde mal interessieren, was Sie denn mittelfristig für einen gangbaren Weg halten. Wobei Sie allerdings erst einmal eingestehen müssten, dass der kurzfristige Weg, also die Gewalt, den mittelfristigen verbaut, da Gewalt nur wieder Gewalt erzeugt. Aber sei es drum – was haben Sie denn für Perspektiven zu bieten? Damit kämen wir dann zurück zum eigentlichen Thema dieses Threads.
Ach ja, nebenbei noch: Ich bin Ihnen natürlich sehr dankbar, dass Sie mir nicht unterstellen wollen, ich würde mit dem Terrorismus sympathisieren. Sie tun es implizit natürlich trotzdem und übersehen dabei, dass mein ganzes Gedankengebäude auf Friedensicherung ausgerichtet ist. Dass Terrorismus und Gewalt in meiner Zukunftsvision keinen Platz haben, ergibt sich aus dem Geist meiner Gedanken, die Sie hoffentlich nicht noch einmal als unreflektiert bezeichnen werden. Selbstverständlich sind die Führer der al-Qaida und ihrer diversen Unterorganisationen Kriegsverbrecher, Straftäter und darüber hinaus auch noch Unmenschen. Und gute Strategen. Sie haben ein ums andere Mal korrekt vorhergesehen, wie die Amerikaner sich verhalten würden, und wurden in diesen Prognosen nie enttäuscht. Ihre Taktik ist darauf abgestellt, den ganzen vorderen Orient, aber auch Nordafrika zu destabilisieren. Das wäre ihnen beinahe bis hinein nach Mali und Zentralafrika gelungen. Dort haben sie vorerst Rückschläge hinnehmen müssen. Dafür machen sie es sich derzeit auf dem Sinai und in Libyen bequem.
Allein die Tatsache, dass al-Qaida zu einer derartigen furchterregenden Expansion trotz der von Ihnen, Herr Wohlgemuth, so gepriesenen US-Außenpolitik in der Lage war, müsste Ihnen doch klar zu erkennen geben, dass diese gewalttätige Außenpolitik schon zum jetzigen Zeitpunkt gescheitert ist.
In vielen Beiträgen klingt an, daß Frieden nur durch gerechte Wohlstandsverteilung erreichbar ist.
Dazu sind, zuallererst, freie Handelswege zu gewährleisten, und zwar nicht, wie es die einfachen Denker gleich wieder einwenden werden, interessengebundene Durchschleusungswege für größten Profit, sondern Zwischenhandelswege, die der ortsansässigen Bevölkerung durch Transport, Lagerung, Veredelung und Wegzoll einen angemessenen Profit gewähren. Die dabei notwendig anfallende Verteuerung der Waren oder der Verzicht auf diese ist der Preis, der für den Frieden zu zahlen ist.
Das Suezproblem und die Piratenproblematik sind gute Beispiele dazu.
Eine richtig verstandene militärische Unterstützung solchen Handels wäre die interessenlose Sicherung der Handelswege und ihrer Zwischenstationen, ergo eine Gewährleistung von (Handels-) Sicherheit gegen Raubrittertum und gegen die Ausgrenzung regionaler Zwischenhändler.
Der Schutz wirtschaftlicher Interessen wäre also als friedensstiftend zu begreifen, solange er nicht die Akkumulation von Vermögen im kapitalistischen Sinne befördert, sondern unparteiisch bleibt oder, im Falle des Falles, ausbeuterische Umstände politisch oder militärisch unterbindet.
Außer Frage— was steht schon außer Frage? Dass Militäreinsätze sinnvoll sein können jedenfalls nicht. Es kann wohl genügen, wenn ich an die nachhalrig negativen Folgen erinnere, die jeder Militäreinsatz mit sich bringt, gerade, wenn er erfolgreich scheint. Dann denkt der Mensch, siehste; Gewalt lohnt sich, Rechtsbruch lohnt sich, prima. Der Krieg gegen Jugoslawien ist außerdem noch nicht zuende und hat seine Früchte noch nicht gezeigt, wenn die NATO dort heute abzöge, wäre dort morgen schon wieder Bürgerkrieg. Schlimm finde ich auch, dass seitdem die GRÜNEN keine Friedenspartei mehr sind… dass die ganze Chose auf den ultimativen Rüstungsabbau zusteuert, ist durch diesen erfolgreichen Krieg nicht unwahrscheinlicher geworden. Verantwortungsethik ist nicht besser als die Gesinnungsethik, wenn es ums Überleben geht, weil sie zu kurz greift. Kant wird nicht von Fischer außer Kraft gesetzt, und wenn der zehnmal Ehrendoktor ist und adlig und Auschwitz verhindert hat…
Die 11 Thesen von Bronski finde ich gut, ich werde sie mir ausdrucken.
Vielleicht ließen sich einige zusammenfassen, dann wären es nur noch sieben oder acht.
Wie sich gezeigt hat, sind die Themen so vielschichtig, als dass sie sich alle in einem Thread aufarbeiten ließen.
Dabei ist besonders die Gefahr zu groß, sich an Einzelthemen (z.B.Drohenen) festzubeißen.
Ich würde zuerst mal die These 8 an die Spitze stellen und diese im Zusammenhang mit These 5 und 6 zu klären versuchen.
Gut gefallen hat mir der Leserbrief in der FR von Prof. Andreas Buro am 10.2.14 „Wer Frieden will, muss friedliche Mittel einsetzen“.
Er nennt dort 10 Pukte, die anzustreben sind. Sie sind ausgezeichnet. Dafür sollte das Geld ausgegeben werden, das immer noch in Militär und Aufrüstung fließt. Ich hoffe, Frau van der Leyen hat den Leserbrief gelesen. Vielleicht können Sie ihn ihr zukommen lassen.
Mit freundlichen Grüßen
Renate Brenning-Heinemann
Sie werden also nicht diskutiert, die 11 Thesen von Bronski…
Sicher auch für ihn noch eine weitere Erfahrung.
Wo sind sie geblieben, all die Experten, die sonst zu jedem Thema ihre Meinung großzügig feilbieten ?
Ich finde es schade.