Liebe Leserinnen und Leser des FR-Blogs,
ich habe in den vergangenen Tagen und Wochen viele Mails von Ihnen bekommen, in denen gefragt wurde, was mit mir los sei. Das FR-Blog – wie abgestorben. Besorgte Mails erreichten mich auch von Leserinnen und Lesern, mit denen ich noch nie Kontakt hatte und die auch nie hier im Blog aufgetreten sind, die aber offenbar dennoch mitgelesen haben. Ein Leser schrieb:
„Wann machen Sie weiter? Ich habe Ihr Blog zu schätzen gelernt und es irgendwann als etwas Selbstverständliches hingenommen. Was es wert ist und dass es mir fehlt, merkte ich erst, als ohne jede Ankündigung plötzlich Schweigen einzog. Sind Sie überhaupt noch da?“
Ja, ich bin noch da. Aber wie lange noch? Das kann ich Ihnen leider nicht sagen. Es kann sein, dass am nächsten Freitag Schluss ist.
Dies ist kein offizielles Statement der Frankfurter Rundschau oder ihrer Belegschaft, sondern nur mein persönliches Wort an Sie – Sie alle, die hier seit dem 5. September 2005 diskutiert und mitgelesen haben. So lange gibt es dieses Blog. Am 28. Februar endet mein Vertrag mit der FR.
Ich gebe zu, dass ich in diesen bald sieben Jahren mehrfach an meine Grenzen gestoßen bin, und mehrfach habe ich mit dem Gedanken gespielt, dem Vorbild des Kollegen Stephan Hebel zu folgen und das FR-Blog einzustellen. Diskussionen in vergiftetem Gesprächsklima, die nicht mehr in den Griff zu bekommen waren, hatten dazu geführt, dass ich scharf moderieren musste. Das entspricht überhaupt nicht meinem Naturell. Ich bin kein guter Moderator, wenn ich dabei nicht die beteiligten Menschen persönlich vor mir habe. Über weite Strecken war das FR-Blog ein Ort, an dem entspannt, sachlich, am Thema orientiert diskutiert wurde. Den Menschen, die sich hier trafen, war erkennbar am Austausch von Standpunkten gelegen, nicht in erster Linie am Durchsetzen ihres eigenen Standpunkts. Aber in dem Maß, wie sich das gesellschaftliche Klima in Deutschland abkühlte, wurden auch die Debatten im FR-Blog schärfer und kühler, bis hin zu Ereignissen im Dezember 2012, die für mich das Fass zum Überlaufen brachten.
Das hängt natürlich zusammen mit der Insolvenz der FR. Ich hatte dazu im November gebloggt: „Solidarität mit der FR“. Haben Sie sich eigentlich gewundert, warum der Text nur drei Kommentare bekommen hat? Ich kann Ihnen sagen: Es gab Hunderte weiterer Kommentare. Kleines Beispiel:
„Mit mehr als klammheimlicher Freude verfolge ich den Untergang Ihres Massenpamphletes und wünsche allen ihren Mitarbeitern ( vor allen Dingen ihren Redakteuren) einen dauerhaften Absturz unter Harz 4 Niveau. Jeder bekommt doch letztendlich das was er verdient. Selbst eine Grußformel sind sie nicht Wert!“
Auch Blog-User, die sich vorher mehr oder weniger konstruktiv an Debatten im FR-Blog beteiligt hatten, befleißigten sich nun plötzlich eines Verhaltens, das sie Muslimen nicht hätten durchgehen lassen: Sie traten kräftig ein auf die am Boden liegende FR. Andere meinten auch, mich persönlich angreifen zu müssen. Das alles war mehr, als ich aushalten konnte. Ich wurde krank. Das schreibe ich hier so lapidar, obwohl ich weiß, dass es da draußen Leute gibt, die diese Nachricht bejubeln werden. Aber wisst Ihr was: Es interessiert mich nicht. Ich bin wieder gesund, und all den Islamhassern, denen die FR und dieses Blog ein Feindbild war, sei gesagt: Wer Wind sät, wird Sturm ernten.
Und dann auch noch der plötzliche Tod meines geschätzten Kollegen Felix Helbig! Mit 32 Jahren!
Zur Situation der FR und ihrer Mitarbeiter kann ich Ihnen nicht mehr sagen, als Sie aus den Medien vermutlich bereits wissen. Wir hier in der Redaktion sind nun nur noch eine Handvoll und erfahren genauso viel wie Sie. Die Entscheidung darüber, was aus der FR und auch aus diesem Blog wird, liegt nicht in meinen Händen oder den Händen der Redaktion oder ihres Chefredakteurs. Seit dem 13. November 2012, dem Tag der Insolvenz-Anmeldung, befinden wir uns in diesem Schwebezustand der Ungewissheit. Ich habe in dieser Zeit trotz meiner Erkrankung versucht, weiterhin eine interessante Leserbriefseite zu machen, aber Bloggen ging nicht. Erst kürzlich habe ich meine Aktivitäten im FR-Blog wieder aufgenommen in der Hoffnung, dass die FR auch im März noch erscheint und dass sie mich braucht. Aber sicher ist das keineswegs.
Ich möchte Ihnen allen meinen Dank sagen – Dank für gute, engagierte Diskussionen, Dank für angenehme Kontakte, Dank für Kritik und Austausch in respektvoller Atmosphäre.
Sollten Sie daran interessiert sein, was ich persönlich für meine Zukunft plane – gegebenenfalls auch ohne FR -, schicken Sie mir eine Mail an Bronski. Sie wissen ja, die Adresse steht jeden Tag in der Zeitung. Und wird hoffentlich auch noch lange weiter darin stehen.
In diesem Sinne … wie sagt der Hesse: Lebbe geht weida.
Ihr/Euer Bronski
Hallo Bronski,
ich nutze bewußt dieses Medium, und schicke Dir keine Mail an Deine mir bekannte Mail-Adresse. Weil ich hoffe, daß auch andere Blogger (und LeserInnen) reagieren. Wieviel Selbstkritik in Dir und Deinen KollegInnen drinsteckt, und was davon sich möglicherweise beist mit der Meinung der alten Eigner, kann ich nur vermuten – und ist eigentlich auch nicht so wichtig. Es geht um das Grundsätzliche:
1. Die Ausrichtung: Die, also „meine“ alte FR, war einmal eine linksliberale bis linkskritische Zeitung. Dann kamen diverse Eigner-Wechsel, und Wechsel der Chef-Redakteure – ich hatte darüber schon mehrfach gebloggt. Und jedesmal hatte ich den Eindruck: Ab geht es Richtung Beliebigkeit, Richtung Mainstream, was die SPD-Parteirichtung und -doktrin vorgab, und somit Richtung Austauschbarkeit hinsichtlich der Präsentation. Beispiele gibt es zuhauf, das für mich zuvörderste ist das Ypsilanti-Bashing.
2. Ihr habt Euch in punkto Tabloid-Format zu weit vorgewagt, wolltet modern sein, und habt verloren. Der normale Mensch erwartet: halbes Format, doppelter Inhalt. Ihr aber habt daraus gemacht: halbes Format, halber Inhalt. Und dafür sollten die LeserInnen zahlen, genauso viel oder mehr als vorher?
3. Es gab Beiträge, die diskussionswürdig waren. Nun ist Debatte immer wichtig und richtig. Aber das, was seitens Mely Kiyak präsentiert wurde, erschien nicht nur mir, sondern auch anderen, oftmals als eine „right, but so what“-Debatte.
4. Ihr habt, vielleicht auch aus ökonomischen Gründen, den Zeitgeist verpennt. Den hat, sehr geschickt und gekonnt, FAZ-Herausgeber Schirrmacher aufgegriffen, und damit Wegmarken gesetzt. Und spätestens da hattet Ihr verloren, weil Ihr nicht begriffen habt, daß das alte Links-Rechts und Oben-Unten-Schema nicht mehr paßte und nicht mehr beim aufgeklärten FR-Leser zündete. Diesen Schulterschluß zwischen wertkonservativ, ordo-liberal und undogmatisch-links habt Ihr einfach verpennt, und hättet so viel daraus machen können.
Nun ja, sei’s drum. Schade um die FR, und schade um die Financial Times Deutschland, und um andere, die folgen werden. Am Ende macht jeder sein Spiel, und wir alle werden verlieren.
Es grüßt
Wolfgang
Lieber Wolfgang,
Du willst noch einmal – zum wie vielten Mal eigentlich? – eine Debatte von gestern führen. Das ist so sinnlos angesichts der Möglichkeit, dass es die FR in wenigen Tagen vielleicht ganz einfach nicht mehr gibt. Und dann noch einmal diese wieder und wieder aufgewärmte Legende vom Ypsilanti-Bashing.
*gähn*
Pass auf, das war so: Der Chefredakteur der FR hatte im Leitartikel die Position vertreten, dass Ypsilanti den Versuch der Regierungsbildung bzw. Bildung einer Minderheitsregierung nicht unternehmen solle. Das war sein Recht, er hatte seine Argumente – denen man natürlich nicht folgen musste. Inwiefern das Bashing gewesen sein soll, entzieht sich meinem Verständnis. Stephan Hebel hingegen, meines Erachtens der bedeutendere Publizist, hatte wenige Tage nach dem erstgenannten Leitartikel in einem weiteren Leitartikel die Gegenposition vertreten: Ypsilanti solle es versuchen! Zwei gegensätzliche Meinungen in ein- und derselben Zeitung – schwer auszuhalten, diese Liberalität. Das macht sonst ja nur die „Zeit“. Wie wird daraus ein „Bashing“? Ich sag’s Dir: Indem die Nachdenkseiten den Chefredakteurs-Leitartikel hochhängen und zerpflücken und den Hebel-Leitartikel nicht zur Kenntnis nehmen. Das pflanzt sich dann durchs Netz fort, und fertig ist die Legende.
Ich bin gerade dabei, innerlich meinen Abschied von der FR zu vollziehen. Ich werde hier keine Debatten mehr über die Fehler der Vergangenheit führen. Das wäre auch deswegen sinnlos, weil es etwas von Nachtreten hat und weil die Entscheider der Vergangenheit Geschichte sind, was die FR betrifft, und weil die Entscheider der Zukunft völlig andere sein werden – wenn es denn eine Zukunft für die FR gibt, ob mit oder ohne Bronski. Und auch das ist wiederum kein offizielles Statement der FR, ihrer Redaktion oder ihrer Chefredaktion, sondern ein ganz persönliches, alleiniges Statement von mir im Angesicht der Menschen, denen ich im FR-Blog begegnet bin.
Bei aller Kritik an der FR – sie ist bis heute eine Zeitung, die erkennbar für die Schwachen und Schwächsten in unserer Gesellschaft eintritt – das war z.B. gerade wieder erkennbar angesichts der Positionierung in der Frage der Adoptionsrechte gleichgeschlechtlicher Paare. Für den ökologischen Wandel, für eine menschenwürdige Gesellschaft, gegen Landgrabbing, gegen Extremismus. Der Skandal um die hessischen Steuerfahnder wäre ohne die FR nicht bekannt geworden. Der Skandal um die NSU-Aktenschredderei ebenfalls nicht. Und noch so manche andere Skandale nicht. Ich will, dass es diese Zeitung weiterhin gibt. Du, Wolfgang, musst das nicht ebenfalls wollen. Das ist dein Recht. Ich akzeptiere Deine Meinung. Auch wenn es schwer ist.
Wenn die FR scheitert liegt das nicht an ihrem Inhalt sondern daran das sie ihr Produkt verschenkt hat. Ich rufe die FR Seiten im Internet schon gar nicht mehr auf, weil ich mich am nächsten Tag wenn ich Geld für die Printausgabe bezahlt habe, ärgere das ich einige Artikel ein Tag vorher!!! umsonst auch im Internet hätte lesen können. Das kann doch so nicht sein, aber das habe ich vor einigen Wochen hier schon einmal geschrieben. Die Situation im Moment ist so das es auf eine Entscheidung zuläuft, das da die Ansagen des Insolvenzverwalters heftiger werden ist, glaube ich, normal. Auch dieser Mensch will seine Mitarbeiter möglichst mit guten Nachrichten vorher bei Laune und bei der Arbeit halten. Das kann man aber auch verstehen sonst gibt es eh keine Chance. Deshalb bleibt im Moment der Belegschaft nur zu hoffen das ein Teil weiter machen kann und der andere Teil zu einem hohen Prozentsatz über die Beschäftigungsgesellschaft einen Neustart hinbekommt. Das wünsche ich dieser Belegschaft auch. Das da einige Leute nachtreten und meinen die Zeit wäre gekommen um möglicherweise alte offene Rechnungen zu begleichen ist den Betroffenen gegenüber schäbig aber wohl nicht zu ändern. Da sich bei dem einen oder anderen Hass aufgebaut der über das Ende hinaus geht. Sorry den letzten Satz musste ich jetzt einfach los werden, da es wohl so auch ist nach dem was Bronski geschrieben hat.
Hallo Bronski,
also die FR geht mir regelmäßig ziemlich auf die Nerven, vertritt seltsame Positionen und Marschrichtungen und verwendet gelegentlich unpräzise Begriffe.
Macht weiter so, wenn man euch läßt!
So ziemlich das Letzte was ich in der FR lesen möchte, wäre eine ungeteilte Zustimmung zu meiner Sicht der Dinge.
Persönlich wünsche ich Gute Besserung und ein stabiles Beschäftigungsverhältnis, denn solche Unsicherheiten sind durchaus verzichtbar!
Beste Grüße KM
Lieber Hans, # 3,
da werden Sie nicht der Einzige gewesen sein, der sich darüber geärgert hat. Das war nun mal eine Weile die Richtung, in die sich der ganze Medientross bewegt hat: Alle Zeitungshäuser, auch die FR, haben natürlich versucht, mit ihren Online-Auftritten Reichweite zu gewinnen, also viele Leserinnen und Leser anzusprechen, um auf diese Weise Werbekunden zu gewinnen. Kaum einer hat sich getraut, für die Nutzung dieses Auftritts von den Usern etwas zu verlangen. Inzwischen ist in diese Frage Bewegung gekommen. Aber vielleicht ein kleines bisschen Trost: Es ist beileibe nicht die ganze Zeitung, die online kostenlos zu haben war, während sie im Print gekostet hat, sondern inzwischen nur noch wenige Texte. Die allerdings müssen sein, weil im Netz ja bekanntlich die Idee herumschwirrt, die Zeitungen würden voneinander abschreiben, überall ist dasselbe zu lesen, zum Teil auch noch wortgleich – was natürlich daran liegt, dass die Online-Redaktionen vielfach auf Agenturmaterial, also dpa usw. zurückgreifen. Und mit dem unterscheidet man sich eben nicht von den anderen Online-Portalen.
Lieber Karl Müller, # 4,
vielen Dank. Auch ich will keine Zeitung, die mir nach dem Mund redet.
Ich gehöre ja zu den wenigen, die ab und an die Themen Bronskis aus einer rechten und den vorgefassten Mainstreamideen kritisch gegenüberstehenden Position heraus kommentierte, dennoch muß ich sagen… Wer ähnlich kritische Positionen haben mag, aber jetzt zum drohenden Untergang der FR Haß-Mails schreibt, wie Bronski sie schildert, der ist ganz einfach schäbig und primitiv.
Was die FR angeht: Märkte regeln sehr vieles, ich bin ein unbedingter Marktbefürworter. Die Bedürfnisse des Endverbrauchers werden dabei aber am besten befriedigt, wenn die Zahl der konkurrierenden Produzenten am Markt möglichst groß ist. Jenseits aller Inhalte bedaure ich allein aus diesem Grund schon ein Verschwinden der FR vom Zeitungsmarkt, vor allem, wenn es einen Trend einläuten sollte, an dessen Ende nur noch einige wenige übrigblieben… die dann eine Mainstreammeinung vorgeben können, die alle Bürger eifrig nachplappern dürfen bzw. viele leider auch nachplappern wollen.
Eine linke Zeitung zu machen, die Linke gern kaufen, ist einfach. Man kolportiert linke Klischees, sieht die Welt mit einer linken Brille, lässt nicht die leiseste Kritik an der linken Weltsicht aufkommen, ist sozusagen der korrekt und immer schön links eingenordete Kommentator der Weltereignisse, und dabei Dauerfeind „des Systems“, egal welches. Die FR hat sich aber bemüht, mehr zu sein und das scheint mir zu ihrem Problem geworden zu sein. Der Post von W. Fladung zeigt es ja deutlich, daß es von Linken oft nicht gouttiert wird, zu bestimmten Themen den linken Standpunkt hinterfragt zu sehen, wie moderat auch immer. Bronski wird das ja kennen, Leserbriefe a la „Jetzt habe ich gestern den Kommentar von Götz Aly (oder wem auch immer) gelesen, jetzt ist das Maß voll, ich bestelle ab“ hat er ja sicher zur Genüge bekommen. 90% links und 10% links hinterfragt, das halten viele „engagierte“ Linke eben nun mal nicht aus, es muß 100% links sein. Zu diesem besonderen Toleranzdefizit Linker hat Jan Fleischhauer schon viel und treffend geschrieben, in seinem Buch und beim Spiegel, ich will das jetzt nicht wiederholen. Wer nicht mag, darüber ein wenig nachzudenken, kann das Gesagte aber auch gern mal wieder als das typische Wedellsche Linkengebashe abtun, kein Problem! Und bei den Nachdenkseiten, die überhaupt keine Kommentarmöglichkeiten zulassen (und die wissen schon, warum) sich so richtig unbeeinträchtigt von anderen Standpunkten wohlfühlen.
Was das FR-Blog angeht: So viel ich auch an einzelnen Formulierungen Bronskis in seinen Anmoderationen auszusetzen hatte, seine Art und Weise, dieses Blog zu betreiben, war in meinen Augen einwandfrei und kann von mir nicht im Geringsten kritisiert werden, sondern verdient im Gegenteil großes Lob. Vielen Dank, Bronski, für Ihr langjähriges Engagement… Ich hoffe ja, das ist am Ende nur ein Dankeschön so zwischendurch mal, aber wenn nicht: Alles Gute für Ihre Zukunft, beruflich wie privat!
Lieber Max Wedell,
auch Ihnen vielen Dank für Ihre Worte. Bei allem Dissens habe ich mich über Ihre vielen engagierten Kommentare all die Jahre hinweg gefreut. Ja, die waren immer vom Glauben an die Wirkungsmacht „der Märkte“ erfüllt. In diesem grundlegenden Punkt werden wir uns sicher niemals einig, denn ich glaube nicht an „die Märkte“. Wohin ich blicke, sehe ich lediglich deformierte Märkte, die nicht imstande sind, sich zu regulieren.
Das gilt übrigens meines Erachtens auch für den Zeitungsmarkt. Nach klassischem Marktverständnis behaupten sich Wettbewerber, indem sie Leistung erbringen, die nachgefragt wird; wird sie nicht nachgefragt, wird der Wettbewerber im schlimmsten Fall vom Markt verschwinden. Dieses Schicksal könnte jetzt der FR drohen. Nach der reinen Lehre wäre die FR damit überflüssig, weil sie nicht genug Nachfrage nach ihrem Angebot erzielt.
Aber so einfach ist es nicht. Die FR musste in einem deformierten Marktumfeld funktionieren, in dem sie teilweise dazu gezwungen war, sich selbst Konkurrenz zu machen. Hans hat es oben angesprochen, ich habe zu dieser Problematik in #5 bereits etwas gesagt. Da ist also einerseits die Gratis-Kultur des Netzes, die das Marktumfeld verzerrt. Hinzu kommt, dass Tageszeitungen – und zwar alle – im Regelfall eine Abonnentenstruktur haben, in der Menschen ab 50 Jahren Lebensalter überdurchschnittlich häufig sind. Diese Menschen sind für die Werbetreibenden weniger interessant als die sogenannte werberelevante Zielgruppe der Menschen zwischen 14 und 49. Das bewirkt insofern eine Wettbewerbsverzerrung, als die Zeitungen trotz teilweise großer Reichweiten – Reichweite gleich Zahl der tatsächlichen Leser, also auch Familienmitglieder, Lese-Gemeinschaften, nicht nur Zahl der reinen Abonnenten – weniger Anzeigen akquirieren, da die Werbetreibenden sich auf ihre relevanten Gruppen konzentrieren. Werbung in Form von Anzeigen steuerte zum Betriebsergebnis von Tageszeitungen aber geschätzte 50 Prozent bei. Das bedeutet: Der Erfolg einer Zeitung bemisst sich nicht ausschließlich an der Qualität ihres Informationsangebots, also ihres Kerngeschäfts, sondern am Alter derer, die sich Zeit nehmen, dieses Informationsangebot zu goutieren und daher eine Zeitung abonniert haben oder täglich kaufen.
Das sind immer weniger Menschen, überall, bei allen Tageszeitungen. Daher ist die Entwicklung, die Sie skizzieren, Herr Wedell, durchaus realistisch: Am Ende dieser „Marktbereinigung“ werden zwei Zeitungen übrigbleiben, nämlich die Süddeutsche und die FAZ. Diese Einschätzung teile ich. Und dann? Wie bildet sich unter solchen Umständen eine öffentliche Meinung? Gut, wir haben noch das gebührenfinanzierte und damit weitgehend unabhängige öffentliche Fernsehen bzw. Rundfunk. Darüber hinaus ein umfassendes Online-Angebot, das allerdings künftig wohl teilweise kostenpflichtig werden wird. Online-User goutieren Informationen jedoch anders als Zeitungleser: Sie suchen gezielt nach den Informationen, die sie interessieren. Wenn ich dagegen eine Zeitung durchblättere, stoße ich zwangsläufig auch auf viele andere Themen, die meine Meinung mitprägen. Vielleicht sind wir uns in diesem Punkt also einig, Herr Wedell: Das Zeitungsterben gefährdet die Demokratie.
Noch einen dritten Punkt will ich anführen, um zu zeigen, dass das Marktumfeld für Tageszeitungen deformiert ist: Faktor Zeit. Die FR ist – dabei bleibe ich – bis heute eine Zeitung, die sich für die Belange der Unterprivilegierten einsetzt. Gerade diese Menschen aber haben gar keine Zeit und/oder kein Geld, sich ein Zeitungsabo zu leisten. Im Hartz IV-Regelsatz sind jedenfalls keine 37,55 Euro monatlich für ein FR-Abo enthalten. „Bildung und Teilhabe“ für Hartz IV-Empfänger und deren Kinder – großes Streitthema der letzten Jahre. Aber auch Familien, in denen Mutter und Vater im Niedriglohnbereich für Einkommen sorgen, haben kein Geld dafür, sich darüber zu informieren, wieso sie eigentlich in solchen Zuständen leben. Steigende Strompreise und steigende Lebenshaltungskosten fressen ihnen die Polster weg, die es ihnen vielleicht erlauben würden, sich ein Zeitungs-Abo zu leisten. Das heißt: Die Rahmenbedingungen des Marktes sind so reguliert, dass viele Menschen in Bedingungen leben, die es ihnen zumindest erheblich erschweren, am Prozess der öffentlichen Meinungsbildung teilzunehmen.
Die Märkte funktionieren also nicht. Und auch in einem weiteren Punkt widerspreche ich Ihnen: Es ist keineswegs einfach, eine linke Zeitung zu machen, denn Menschen, die links eingestellt sind, sind in der Regel progressiv eingestellt und wollen, von Ausnahmen abgesehen, durchaus gekitzelt werden in dem, was sie schon wissen oder zu wissen glauben. Natürlich gibt es auch die, die alles ganz genau wissen und die in diesem Wissen auch nicht durch die besten Argumente zu beirren sind – aber die sind dann den Konservativen wiederum recht ähnlich: Sie sind eben damit zufrieden, immer wieder bestätigt zu bekommen, was sie sowieso schon zu wissen glauben. So schleppen wir alle unsere „Wahrheiten“ mit uns herum, nicht wahr?
Das gesellschaftliche Klima ist nicht nur abgekühlt, lieber Bronski, sondern mittlerweile eisig, vergiftet, und von bürgerlichen Rohheit geprägt. Zu diesem erschreckenden Ergebnis, und damit hat er leider recht, kommt Wilhelm Heitmeyer in seiner Langzeitstudie (Deutsche Zustände). Umso höher ist es einzuschätzen (ich vermeide bewusst von Respekt zu sprechen, weil dieser Begriff nicht nur inflationär sondern überwiegend auch missbräuchlich verwendet wird), dass Sie, lieber Bronski, ähnlich wie anlässlich Ihrer dreimonatigen Aus-Zeit, Ihre Gefühle erneut offen und öffentlich zum Ausdruck bringen. Das ist keine Schwäche sondern eine große Stärke. Natürlich wird es, so ist der Mensch offenbar, immer Zeitgenossen_innen geben, die mit Hohn, Spott und Häme nachtreten, ganz besonders dann, wenn der „Gegner“ bereits am Boden liegt. Im Zeitalter der „Gott-Märkte“ bzw. der Seuche Neoliberalismus, gehört das schließlich mit zur „Religion“. Der Mensch als Ware, wobei das Maß aller Dinge seine ökonomische Verwertbarkeit ist. Wert, weniger wert, gar nix wert, und dann ist es nur noch ein kleiner Schritt zum unwerten Leben. Wer nur noch kostet und nix mehr nutzt, wie z.B. chronisch Kranke, Alte, Pflegebedürftige, Obdachlose und natürlich Hartz-IV-er, wird von der marktgläubigen Gemeinde zunehmend verachtet. Fast täglich gibt es dafür, von der Politik bzw. deren Darsteller „angeregt“, neue Beispiele, bei denen ich nur noch von Menschenverachtung sprechen kann. Viele dieser Themen hat die FR aufgegriffen und klar (Gegen)Position bezogen. Wer dagegen, obwohl selbst so genannter Leistungsträger, für alle Menschen Solidarität einfordert, wie Sie z.B. lieber Bronski, sich der Humanität und Aufklärung verpflichtet fühlt, für den Toleranz, Hilfsbereitschaft, Verlässlichkeit usw. selbstverständlich sind, wird von den Marktgäubigen, im besten Fall, als Gutmensch verhöhnt und verspottet. Vermutlich ist Ihnen, hinsichtlich der erwähnten (nicht veröffentlichen) zahlreichen Kommentare, die Insolvenz der FR betreffend, häufig übel geworden.
Doch Schluss jetzt, bevor mir wieder die „Gäule“ durchgehen, wenn ich z.B. an die marktkonforme Kanzlerin, den Sarrazin-Bewunderer und Deutschfahnenküsser im Präsidentenamt, überhaupt an den teilweise erbärmlichen Zustand der so genannten politischen Klasse denke. Besonders gefreut hat mich, lieber Bronski, dass Sie wieder gesund sind. Wer weiß, wer weiß, wie es um Ihren Gesundheitszustand bestellt wäre, wenn Sie sich nicht die Aus-Zeit genommen hätten. In diesem Zusammenhang, um nicht alles zu wiederholen, möchte ich auf meine Zuschrift unter http://www.frblog.de/aus-zeit/#comment-37845 verweisen. Was ich Ihnen zum damaligen Zeit geschrieben habe, halte ich auch weiterhin, Wort für Wort, aufrecht. Alles, alles Gute, ganz egal an welchem Ort und in welcher Funktion.
Herzliche Grüße
Jutta Rydzewski
Liebe Jutta Rydzewski,
auch Ihnen vielen Dank für Ihre Wortmeldung, Ihren Zuspruch, Ihre Unterstützung. Ich möchte aber etwas einwenden, nämlich gegen den Begriff „bürgerliche Roheit“. Es ist eigentlich ein Kennzeichen des Bürgertums, jedenfalls in seiner historisch gewachsenen Rolle, sich seiner Verantwortung für die gesellschaftlichen Zustände bewusst zu sein und auch entsprechend zu handeln, sich also beispielsweise wohltätig zu engagieren. Die heute überall spürbare Roheit laste ich persönlich, mag ich damit vielleicht auch Wilhelm Heitmeyer widersprechen, nicht dem Bürgertum an. Das Bürgertum ist teilweise selbst Opfer. Die Bourgeoisie ist drauf und dran, nach unten durchgereicht zu werden.
Ich selbst würde mich durchaus als diesem Bürgertum zugehörig einstufen, wenn dafür gilt: Haus-, Garten-, Autoeigentümer. Ich verdiene – noch – halbwegs anständig. Hinsichtlich meines Freundeskreises bin ich vielleicht ein wenig untypisch: Der reicht von Hartz IV-Empfängern bis hin zu Leuten, die im Jahr siebenstellig verdienen, und wenn ich eine Party gebe, kann es durchaus passieren, dass sich alle gesellschaftlichen Schichten bei mir treffen. Dabei zeigt sich dann auch immer wieder, dass man sich trotzdem unterhalten kann. Vielleicht ist es das, was heutzutage fehlt: die persönliche Begegnung. Dagegen ist die Tendenz zur Abschottung ziemlich groß …
Noch ein Wort zu meiner Aus-Zeit. Ich habe lange überlegt, ob ich das hier schreiben soll, aber ich tue es jetzt. Über die Jahre hatte ich bis Mitte 2012 500 Überstunden angehäuft. Das mal auch an jene Blog-Userinnen und -User, die meinen, ich sei hier manchmal nicht präsent genug gewesen. Mein Job umfasste die Produktion der Leserbriefseite, die Beschickung und Kontrolle des FR-Blogs und die Leserkommunikation – also Mailverkehr mit Leserinnen und Lesern, die was zur FR wissen wollten, Kritik loswerden wollten, aber auch beispielsweise Hilfe im Umgang mit Behörden brauchten. Ich gebe hiermit zu, dass ich im FR-Blog zeitweise relativ wenig präsent war – aber wie hätte ich es anders machen sollen? Dafür war ich oft bis spät in die Nacht im FR-Blog online.
Diese 500 Überstunden habe ich in meiner dreimonatigen Aus-Zeit von August bis November 2012 auf einen Schlag abgebaut. Und wollen Sie wissen, was am letzten Tag meiner Aus-Zeit geschah? Die Verkündung, dass die FR Insolvenz angemeldet hatte. Meine 500 Überstunden wären heute Teil der Insolvenzmasse, wenn ich nicht … Nennen Sie mich Orakel Bronski. Wie auch immer – aber das war schräg.
Hallo Bronski,
es ist nicht nur bedauerlich, sondern regelrecht ein Ärgernis, daß die Rettung der FR so kläglich scheitert. Wahrscheinlich werden wir als Leserinnen und Kundinnen nie erfahren, aus welchen Gründen dies geschah, aber sonderlich überzeugend sind die bisherigen offiziellen Verlautbarungen dazu nicht. Fast habe ich den Eindruck, als habe seitens des Insolvenzverwalters und des Eignerverlages niemand wirklich Interesse an einer Rettung der FR und deren Ende sei bereits beschlossene Sache – lieber machen wir sie kaputt, als daß sie in anderer Leute Händen fällt. Adieu und RIP, FR!
Tatsächlich ist es auch so, wie ich es bereits im November schrieb (http://www.frblog.de/insolvenz/#comment-37990), daß viele aktive wie potenzille Leserinnen der FR zu einer Gruppe gehören, die das Netz und seine interaktiven Möglichkeiten nutzt. Zeitung und Meinungsbildung ex cathedra kommt da nicht mehr so gut an, die Kommunikation mit den Leserinnen ist in den Vordergrund gerückt. Leider hat die FR seit dem Herbst nicht einen Ansatz in diese Richtung gemacht, sei es aus Lähmung durch die Insolvenz oder aus althergebrachter Überzeugung.
Daß es bei interaktiver Kommunikation reichlich Schattenseiten gibt, von denen Sie auch berichten, ist mir wohl bewußt. Elektronisch und vermeintlich anonym geht das Sudeln leichter als früher per Schreibmaschine und Brief. Das heißt aber nicht, daß es diese Auswüchse früher nicht gab, nur sind sie heute sichtbar. Der Stammtisch ist global geworden und wir können nicht mehr verdrängen, daß es gibt, was früher schön unter der Decke blieb und keinen Ausdruck fand. Dies auch als Antwort auf die Eingangsworte von Jutta Rydzewski in #8. Wir sollten uns davon nicht irritieren lassen. Leben wir damit, notgedrungen und manchmal auch zähneknirschend, denn wenn es etwas wie Schwarmintelligenz gibt, ist sie bestenfalls niederfrequent.
Bronski, ich wünsche Ihnen alles Gute sowie für die Zukunft ein etwas dickeres Fell. Ich hoffe, daß wir in den Weiten des Web wieder begegnen.
Grüße – EvaK
Beste Wünsche und gute Energie lieber Bronski,
sollten die aufgelaufenen Verluste (Verlustvortrag) der fr im Wesentlichen durch „erwirtschaftete“ Zinsen der Kapitaleigner entstanden sein, wäre eine Existenz der fr mit Hilfe von abo-Lesern und Gönnern möglich, auch ohne Werbeeinnahmen. Denkbar wäre Kapital, das durch Genossen und einen Investor gegeben werden könnte, wobei die Genossen auf Verzinsung verzichten. Evtl. könnte die Erlösbasis durch Soli-Abos, z.B. für Haftanstalten, verstärkt werden.
Eine Alternastive wäre die Bildung eines Genossen-Pools ausschließlich zur Finanzierung unabhängiger Journalisten.
Der Erhalt von Pressevielfalt sollte uns das wert sein. Wer hätte, außer einem länger zurückliegenden ein-maligen Spiegelartikel und dem kürzlich ein-maligen taz-Artikel, nachhaltig über das hessische Steuerfahnder-Drama informiert! Das Warten auf werte-und sozialorientierte online-Geschäftsmodelle führt in der Zwischenzeit zu einem Ausbluten von niveauvollem Journalismus. Ich persönlich mag das Haptische einer Zeitung aus Papier.
Mit einer auf Regionales reduzierten Ausgabe der fr bin ich nicht zufrieden.
Grüße aus Marburg,
Ingeborg Vey
Bitte um Nachsicht, dass ich erst jetzt auf die beiden letzten Kommentare reagiere. Das waren wieder zwei pralle Arbeitstage.
@ Eva K.
Ich habe aus der Gemeinde der Leserinnen und Leser häufiger die Kritik gehört, warum wir denn über uns selbst so wenig berichten würden. Der Grund ist der, dass wir selbst, die Redaktion, nichts erfahren. Alle Entscheidungen laufen zwischen Insolvenzverwaltung und Investoren, meist hinter verschlossenen Türen. Sie können mir glauben, da wäre ich gerne Mäuschen!
Dass es einen Mangel an Kommunikation gibt, ist mir natürlich klar. Das Bedürfnis nach Kommunikation bestand auch meinerseits. Deswegen habe ich diesen Thread ja auch eröffnet. Ich warte derzeit darauf, dass irgendwo in den Medien eine Nachricht darüber auftaucht, wie das Kartellamt entschieden hat.
Danke – auch für die Wünsche nach einem dickeren Fell. Eigentlich bin ich ganz froh darüber, dass mein Fell trotz jahrelanger Bloggerei immer noch relativ dünn ist. So kann ich mich menschlich verhalten.
@ Ingeborg Vey
Der Vorschlag, eine Genossenschaft nach dem taz-Vorbild zu gründen und so die FR weiterzuführen, ist von einer ganzen Reihe von Leserinnen und Lesern an mich herangetragen worden. Es gibt dabei leider so viele Probleme, dass bisher alle die Finger davon gelassen haben. Angefangen bei dem Problem, dass allein für den Kauf der FR wohl ein Millionenbetrag aufgebracht werden müsste, um in den Bieterwettstreit mit den anderen Interessenten eintreten zu können – denn der Name und die Abonnentendaten sind natürlich was wert. Damit wäre noch kein einziger Euro in den Weiterbetrieb gesteckt, der völlig neu zu organisieren wäre. Aber damit ist der Gedanke keineswegs vom Tisch. Erster Schritt zur Gründung einer Genossenschaft wäre, dass sich ein Verein gründet, der sich eine entsprechende Satzung gibt und dann anfängt, Gelder auf einem Anderkonto zu sammeln.
Und noch eine kurze Ansage: Selbst wenn hier auf dem FR-Blog bald Schluss sein sollte – wovon ich nicht ausgehe! -, können Sie mich weiterlesen, und zwar auf ybersinn.de, einem noch recht neuen Autoren- und Satire-Blog. Ich habe mich überreden lassen, dort eine wöchentliche Kolumne zu schreiben. Hat aber nicht viel Überredungskunst gebraucht. 😉
Ein erster Text ist dort bereits online: Wenn ich Norbert Geis wär‘ …
Auch mir wird die FR nach 4 Jahrzehnten sehr fehlen. Mir gefiel gerade das Gegen-den-Strich-gebürstete in der Bearbeitung mancher Themen, das oft nicht dem Mainstream – was immer das sein mag – entsprach. Themen wie die Steuerfahnder-Affäre und manch anderer Skandal der Hessen-CDU und sonst im Land wären ohne die FR unter dem Teppich politisch genehmer Meinungsmache geblieben. Ich fürchte, die FR hat sich damit Finanz-Mächtige Feinde geschaffen, denen an kritischer und offener Information der Bürger wenig liegen kann, die aber Anzeigen und Druckaufträge stornieren können. Das sind leider traurige Aussichten für die Menschen, wenn kritische Berichterstattung kaum noch Chancen hat. Das sagt viel über den Zustand der Demokratie im Land.
Ihnen, Bronski, wünsche ich alles Gute für Ihre Gesundheit und für Ihre Zukunft. Ihr neuer Link bekommt gleich ein Lesezeichen.
Herzliche Grüße
Ursula Samman
Schlimm, dass hinter verschlossenen Türen verhandelt wird und nicht einmal die unmittelbar Betroffenen informiert werden. Schlimm auch, dass ein modernes Druckhaus einfach platt gemacht werden kann. Dass dies in unserer Demokratie mit Gewerkschaft und Mitbestimmung überhaupt möglich ist, zeigt uns doch, wie benebelt wir sind. Wie wir uns beruhigen und einlullen lassen. Immer wieder. Lohnverzicht, Urlaubsverzicht, Extraschichten. Und dann: adios Amigos. Immer wieder das gleiche Muster und immer zu Lasten der Mitarbeiter. Mir geht dieser entfesselte Kapitalismus gehörig auf die Nerven und die Arroganz der Macht sowieso. Diese Unterordnung aller Lebensbereiche unter das Diktat der Wirtschaft. Leider haben die öffentlichen Diskurse über andere menschlichere Gesellschaftsformen in den letzten zwanzig Jahren nachgelassen oder sind bei mir nicht angekommen, weil eine Krise die andere ablöst und damit das kritische Denken blockiert.
Bei der Gründung einer FR-Genossenschaft wäre ich auf jeden Fall mit einem kleinen Beitrag dabei. Viel hab ich nicht, aber viele kleine Beiträge bringen auch was.
Sehr geehrter Bronski,
auch ich will Ihnen auf Ihren Beitrag „In eigener Sache“ antworten, weil ich glaube, dass Sie sich über das sich wandelnde Verhältnis zwischen schreibendem Journalist und Leser bei der FR nicht ganz im Klaren sind. Dass Sie unter dem „vergifteten Gesprächsklima“ persönlich und anscheinend sogar körperlich gelitten haben, ist sehr bedauerlich. Sie wünschten sich eher einen Austausch von Argumenten „entspannt, sachlich, am Thema orientiert“. Und einen Beitrag wie den von Ihnen zitierten („Untergang Ihres Massenpamphletes“) geht zweifellos zu weit, vor allem Ihnen gegenüber. Aber versuchen Sie den folgenden einfachen Gedankengang nachzuvollziehen: Die FR hat sich von der SPD und dann von Dumont kaufen lassen. Von letzterem kamen, vor allem über Berlin, eine Menge neuer Schreiber ins Blatt. Und paktisch keiner von denen ist zu eigenständigen kritischen Gedanken in der Lage. Sie kamen alle mit Schere im Kopf zur FR, sind neoliberal gleichgeschaltet, so wie in der deutlichen Mehrheit der bundesdeutschen Presseorgane seit Schröders Kanzlerschaft. Täglich erscheinen jetzt Artikel in der FR, von denen sich Leute, die diese Zeitung aus älteren („linksliberalen“) Zeiten kennen oder die in ihrem Alltag mit den Auswirkungen der Hartz-IV-Reformen, den zynischen Bankenrettungen (Haben Sie gestern die Sendung mit H.Schumann auf ARTE gesehen – so was hätte man sich häufiger in der Rundschau gedruckt gewünscht!) usw. konfrontiert sehen, verhöhnt vorkommen müssen. Das erklärt die überschießenden Reaktionen aus der Leserschaft. So was kann man in der Welt oder Bild schreiben, aber hier fühlt man sich verhöhnt, ver… (verzeihen Sie) …arscht. Ein paar Beispiele:
1. Warum treten Sie jetzt ständig wieder auf Gysi ein (M. Decker)? Kümmern Sie sich doch lieber um „IM Erika“ oder die DDR-Vergangenheit unseres BP!
2. Warum diese Hofberichterstattung in Bezug auf die SPD-Größen incl. den Kanzlerkandidaten (K. Doemens et al.)? Diese Leute, das wissen die Leser, sind Täter. Wir wollen nicht von denen in der nächsten Legislaturperiode weiter enteignet werden!
3. Ganz aktuell: Warum schaffen es die beiden mit der Italien-Wahl befassten Damen (R. Kerner, K. Doerfler) nicht, sich der neoliberalen Gleichschaltung zu entziehen und sich mal in die Gedankenwelt des italienischen Wählers hineinzuversetzen? Warum diese offen undemokratische – die von Merkel installierte Bankenmarionette Monti ist gut, der anarchische anscheinend von Berlin aus unkontrollierbare Grillo ist verächtlich zu machen – Parteinahme für die Dikatur der Märkte? Hier und parallel bei SZ, FAZ etc. brach ein Zornsturm von insgesamt Hunderten Stimmen gegen diese unbegreifliche zur Schau getragene Ahnungslosigkeit (dort waren ähnliche Kommentare wie in der FR zu lesen) gegenüber der wahren Stimmung in der Bevölkerung los.
Was Journalisten „arbeiten“, „fabrizieren“, sehen viele tausend Menschen spätetens am nächsten Tag: sie können es lesen. Wenn das Produkt ihrer Tätigkeiten so offenscichtlich die Interessen ihres Arbeitgebers (hier: SPD, Dumont) widerspiegelt, ist das nicht nur peinlich (ich würde mich knallrot schämen für viele Artikel), sondern facht in der sich zuspitzenden Krise die Wut der Menschen an. Ihr macht euch (wohlgemerkt: jetzt nicht Politiker, sondern Journalisten) das Volk zum Feind!
Schlussbemerkung: Wir haben vereinzelt solche Artikel online kritisiert. Mir persönlich hat z.B. nicht gefallen, wie J. Gerlach (20.10.2011, „Ein Grund zu Feiern“) auf Gaddafis Ermordung zu Party aufgerufen hat – so was ist nicht nur verroht, sondern himmelweit von den analytischen Fähigkeiten eines Scholl-Latour entfernt; auch das beiläufig-flapsige den-Tod-wünschen gegenüber dem schwerkranken Hugo Chavez (Formulierung von D. Haufler am 4.01.2013: „… bald das Zeitliche segnen wird“) mit dieser Rotfront-verrecke-Attitüde ist doch widerlich. Aber so was wird redaktionsintern nicht zensiert, anders als meine Entgegnungen darauf. Und das, obwohl wir seit über einem Vierteljahrhundert ein FR-Abo haben! Und da wundern Sie sich noch über den Niedergang?
Also wünsche ich Ihnen persönlich alles Gute, wie auch den Übriggebliebenen der alten FR, auch wenn ich diese bei mir persönlich in die Fraktion der Eiertänzer (Hebel, Widmann, Heusinger, etc.) einordne – vermutlich war Eiertanzen die einzige Möglichkeit, in den vergangenen Jahren in der von oben kontrollierten Rundschau einen Abstorz zu vermeiden!
Ich wollte mich eigentlich nicht mehr zu Fragen der Vergangenheit äußern, aber der vorangehende Kommentar von Dr. Josten lässt mir nichts übrig.
Herr Josten, es wundert mich überhaupt nicht, wenn Ihre Kommentare gelöscht werden, denn Sie scheinen nicht in der Lage zu sein, sachliche Kritik vorzubringen, ohne sie mit persönlichen Angriffen und Beleidigungen zu verknüpfen. „Praktisch keiner von denen (also meinen Berliner Kollegen, Anm. Bronski) ist zu eigenständigen kritischen Gedanken in der Lage. Sie kamen alle mit Schere im Kopf zur FR, sind neoliberal gleichgeschaltet …“ Und quasi alle anderen FR-Leute, die aus Ihrer Sicht nicht „neoliberal gleichgeschaltet“ sind, sind Eiertänzer. Merken Sie denn nicht, wie sehr Sie sich im Ton und in der Anmaßung versteigen? Kennen Sie meine Berliner Kollegen, ihr Studium, ihre Ausbildung wirklich so gut, dass Sie ein solches Urteil über deren Denkfähigkeiten fällen könnten? Keiner von denen ist zu eigenständigen Gedanken fähig? Allein dieser Satz, Herr Josten, ist eine Unverschämtheit. Wenn Sie argumentieren wollen, dann tun Sie das – aber mit Beleidigungen dieser Art erreichen Sie ganz gewiss nicht, dass Ihnen jemand zuhört. Vermutlich wollten Sie das aber auch gar nicht, vermutlich ist es eher einfach so, dass jeder, der nicht Ihrer Meinung ist, nur „neoliberal gleichgeschaltet“ sein kann. Das wäre dann die bequeme Minderheitenposition der „Nachdenkseiten“, die keine Debatte über ihre Thesen zulassen. Wie die funktionieren, habe ich oben schon einmal gezeigt.
Und dann dieses Nazi-Vokabular. Gleichgeschaltet? Wollen Sie, Herr Josten, als jemand, der hier mit linker Revoluzzer-Attitüde auftritt, sich wirklich die Verharmlosung von Nazi-Taten vorwerfen lassen?
Ich meine, mich erinnern zu können, Leserbriefe von Ihnen bekommen zu haben – korrigieren Sie mich, wenn ich mich irre. Veröffentlicht habe ich keinen, da es immer Leserinnen und Leser gab, die ähnlich lautende Thesen wesentlich sachlicher vorbrachten. Die habe ich gern veröffentlicht. Die Leserbriefseite, Herr Josten, ist immer ein Ort in der FR gewesen, wo der veröffentlichten Meinung laut widersprochen werden konnte. Das hat seinen Niederschlag auch hier im FR-Blog gefunden. Gerade aktuell habe ich einen Leserbrief zu Gysis Problemen mit den Stasi-Vorwürfen veröffentlicht, in dem gefordert wird, doch mal die aktiv systemstützende Rolle der Angela Merkel in der DDR zu hinterfragen. Sie können daran sehen, dass es durchaus möglich ist, mit kritischen Zuschriften sogar bis in die Print-FR vorzustoßen. Aber: Der Ton macht die Musik.
Mein Schlusswort zu Ihrem Kommentar zielt auf Ihren Eingangssatz: „Die FR hat sich von der SPD und dann von Dumont kaufen lassen.“ Das sollte man sich auf der Zunge zergehen lassen. Kaufen lassen. Was waren wir damals froh, dass es Gesellschafter gab, die bei der FR einzusteigen bereit waren! Sonst gäbe es die FR schon länger nicht mehr, vermute ich. „Kaufen lassen“ impliziert, eine Wahl gehabt zu haben. Auch das ist so ein Punkt in Ihrem Theoriegebäude, zu dem ich nur sagen kann: Erst geschossen, dann nachgedacht. Letzteres steht jedenfalls zu hoffen. Vielleicht konnte ich mit diesem Beitrag dazu anregen.
Ich sage noch einmal: Eine Debatte über die Vergangenheit werde ich an dieser Stelle nicht führen. Angesichts der Situation, in der wir uns derzeit befinden, habe ich keinen Kopf für eine rückwärtsgewandte Diskussion. Ich muss und will jetzt an die Zukunft denken an diesem vorletzten Tag im Februar 2013.
Hinter all den, von Herrn Dr. Josten als „gleichgeschaltet“ benannten Texten verschwindet Stephan Hebel wieder fein, still und leise, aber verdammt richtig, in der Versenkung. Was lesen manche nur?
Info für alle: Die FR kann weiter erscheinen. Das Bundeskartellamt hat keine Bedenken gegen die geplante Sanierungsfusion. Jetzt muss die FAZ noch unterschreiben.
http://kress.de/tagesdienst/detail/beitrag/120251-bundeskartellamt-gibt-den-erwerb-durch-die-faz-frei-frankfurter-rundschau-erscheint-weiter.html
@ Ursula Samann
Ja, was lesen manche nur? Ich empfehle Stephan Hebel und sein Merkel-Buch „Mutter Blamage“.
http://www.fr-online.de/politik/bundeskanzlerin-merkel-die-zwei-gesichter-der-angela-m-,1472596,21927736.html
Hallo Bronski,
mit dem dicken Fell meinte ich durchaus nicht abstumpfen. Nur haben mich 20 Jahre im Netz gelehrt, die täglichen Pöbeleien nicht mehr zu nahe an mich ranzulassen. Damals hieß es schon, daß der Ton im Netz rauh sei, aber es gab doch noch so etwas wie Netiquette und den Versuch, sich daran zu halten. Inzwischen ist der Ton regelrecht rüde geworden, und auch vordergründig zivilisierte Zeitgenossen nutzen die vermeintliche Anonymität gerne, um die Sau rauszulassen. Zudem ist eine Generation nachgewachsen, von der ich den Eindruck habe, daß sie nicht einmal ansatzweise über emotionale Selbstkontrolle verfügt, sondern bei jeder Gelegenheit zu toben anfängt, wenn etwas nicht ihren Vorstellungen entspricht oder nach ihrem Wunsch läuft. Früher haben die beim Aldi an der Kasse gebrüllt und sich auf den Boden geworfen, heute brüllen sie im Netz und veranstalten Shitstorms. Dagegen ist ein dickes Fell wahrlich nützlich.
Was die FR betrifft, sehe ich allerdings im wahrsten Sinne des Wortes schwarz. Die erzkonservative Juristen-Schwafelpostille FAZ wollte ich noch nie, ebensowenig den Ableger FNP mit seinen relativ einfach gestrickten Informationen und Wahrheiten. Und eine gleichgeschaltete FR will ich nicht. Adieu FR, adieu Tageszeitung!
@ Eva K.
Nicht so schnell. Bitte! Ich plädiere entschieden dafür, erst einmal abzuwarten, was die FAZ vorhat. Es wird dazu sicher bald Informationen geben. Nach allem, was ich auf kress.de, meedia.de und anderswo lese, ist die Planung wohl so, dass die FR als eigenständiger Zeitungstitel fortgeführt werden soll. Aber einen Schritt nach dem anderen: Jetzt muss der Kaufvertrag erst einmal unterschrieben werden. In der Online-Berichterstattung der FR heißt es dazu:
„Details aus dem FAZ-Angebot sollen erst nach einer erfolgreichen Übergabe an diesem Donnerstag veröffentlicht werden. Unklar bleiben solange auch die Auswirkungen auf den Berliner Verlag. Seit 2011 wird in der Hauptstadt der FR-Mantel von einer Redaktionsgemeinschaft produziert, zusammen mit den überregionalen Seiten der Berliner Zeitung.“
Sehr geehrter Bronski,
schwenken Sie nicht die Nazi-Keule (ich suchte ein passendes Wort), wie wäre es mit: Angeregte, erzwungene bzw. selbst erworbene Kohärenz mit den Gedanken des Verlegers im Presseorgan FR? Oder: Embedded journalism? Warten Sie noch ein paar Jährchen, vielleicht werden Sie den Begriff der Gleichschaltung gar nicht mehr so abwegig finden angesichts all dessen, was uns Parteien wie CDU und SPD noch zumuten werden.
Ich will auch keinen Ihrer Berliner Kollegen hier verunglimpfen und vor allem nicht pauschal, nein. Das Dumme ist nur: ich kenne nicht deren eigenständige Gedanken – denn in ihren Artikeln findet man nicht so furchtbar viele davon (nur daran, natürlich, seien sie gemessen). Also ganz sachlich: Mit den DuMont-Reportern sank das Niveau der FR deutlich. Wenn sie in der Welt, im Spiegel, oder in der Berliner Zeitung ihren Jubelgesang auf den unaufhaltsamen Siegeszug der neoliberalen Weltordnung anstimmen – bitte schön! Das tun fast alle anderen, die sich an diesen Medienorten äußern (dürfen) ja auch. Nur: die Rundschau hatte mal einen etwas ambitionierteren Anspruch, den sie seit 10 Jahren nach und nach aufgibt.
Sie machen einfach nicht den Eindruck von geistig unabhängigen Journalisten mit der Fähigkeit zur (Selbst-)Reflexion. Da gibt es einen inneren intellektuellen Horizont, über den sie nicht hinaus können. (Ich glaube, dass die „Eiertänzer“ das schon können – Frankfurter Schule!) Wenn man die darauf hinweist, werden die gar nicht wissen, wovon man spricht. Diese Art des angelernten, eingeübten Mainstream-Journalismus kommt beim Leser so an: auch die (nicht nur die Politiker) sind gegen uns. Muss man sich das jetzt auch noch in der FR bieten lassen? Wenn man immer wieder auch in dieser Zeitung über die Segnungen Schröderschen Sozialabbaus lesen muss – ist es dann verwunderlich, wenn mancher Leser dem Naseweis-Reporter dieses zur Abwechslung auch an den Hals wünscht? Aus Gründen dieser Verarmung des Printjournalismus sind Blogs wie z.B. die Nachdenkseiten entstanden. Finden Sie nicht auch, dass die flächendeckende geistige Korrumpierung der bundesdeutschen Medienlandschaft ein wichtiges Thema wäre? Nicht für solche, die Teil des Problems sind, für die das Thema der blinde Fleck ist, den man nicht sehen kann, nicht für Eingebettete, nicht für euch.
Und dass ich den etwas weiter links stehenden Rest der FR als Eiertänzer bezeichne, ist wirklich nicht böse gemeint. Ihr schreibt, und es wirkt, jeder kann es sehen. Man sieht es den Artikeln an, wenn sie sich irgendwie mit dem neuen Zeitgeist arrangieren müssen. Es gibt kein richtiges Schreiben in der falschen Redaktionsstube – das Ergebnis ist dieser Eiertanz. So ist das nun mal. (Und nebenbei, natürlich gibt es auch gute Artikel von ihnen, wenn es nicht zu politisch wird. Lobenswert z.B. neulich Widmanns Nachruf auf Metro-Beisheim – habe ich im Mozartcafe genossen!)
Zu Ihrem vorletzten Abschnitt: „Kaufen lassen“ ist eine missverständliche Formulierung. Ja, Sie hatten womöglich keine Wahl: aber bitte schön, man hat eben schnell gemerkt, dass Sie gekauft wurden. Und dann dürfen Sie sich über das Ergebnis nicht wundern, in Ihrem Redaktionsraumschiff, aus dem heraus Sie die Welt betrachten. Darf ich aus einem relativ aktuellen Artikel von Wolfgang Kessler über Ihre Zeitung zitieren: „Unter dem eingeflogenen Chefredakteur Uwe Vorkötter wurde das linksliberale Profil geschliffen (nach dem Motto: »Weg mit dem linken Kram!«), der Lokaljournalismus abgespeckt und die Zeitung stärker boulevardisiert. Statt jüngere Leser zu begeistern, erlebte der Verlag sein Waterloo: Die Jüngeren abonnierten weiterhin nicht und die Älteren fanden ihr Profil und ihre Lokalberichterstattung nicht mehr wieder und kündigten in Massen.“ (Publik-Forum, 30.01.2013)
Und zu Hebels Buch: Dürfen wir uns auf ein Nachfolgewerk über den SPD-Kandidaten freuen? Etwa: Vater Catastrophe, oder: Papa Oberclown, oder: Des Kanzlerkandidaten neue Kleider? Wetten, dass nicht? Denn das ist sie ja, die unausgesprochene Redaktionsdirektive: die SPD, diesen intellektuell abgewirtschafteten Haufen, unbedingt unterstützen. Das ist nicht satisfaktionsfähig und führt nun an ein verdientes Ende.
Noch mal alles Gute, bester Smalltown Boy, bleiben Sie brav (in Ihrer Antwort sind Sie auch etwas polemisch geworden), keine „linke Revoluzzer-Attitüde“ – das erhöht die Job-Chancen. Einigen wir uns zum Schluss, angesichts unseres Vierteljahrhundertabos doch einfach auf folgenden versöhnlichen Vergleich: Sie haben uns zensiert, wir haben Sie (ein bisschen) finanziert. Okay?
@Bronski: Ich sehe das nicht so hoffnungsvoll. Ein eigenständiger Zeitungstitel mit 28 Redakteuren – es ist nur eine Frage der Zeit, bis Redaktion und Inhalte auf Linie gebracht sind. Allein schon diesen Prozeß will ich nicht mit einem Abo unterstützen. Die bisherige FR ist damit am Ende, ob sie nun eingestellt oder aufgefressen wird.
@ Christoph Josten
Man kann es eben nicht jedem recht machen. Wir haben Steinbrück dermaßen kritisiert, dass mich schon Leseranfragen erreichten, was wir denn schon wieder für eine Anti-SPD-Kampagne fahren würden – siehe Ypsilanti, Kommentar ganz oben. Es fällt mir schwer zu glauben, dass Sie das nicht gesehen haben wollen, obwohl wir Steinbrück und seine Fettnäpfchen wochenlang teilweise sogar auf der Titelseite hatten. Unbedingte Unterstützung des Kanzlerkandidaten sieht m.E. anders aus. Man nimmt eben immer das wahr, was einem gerade am besten in den Kram passt.
Immerhin bemerkenswert, dass Sie sich diesmal im Ton gemäßigt haben. Das ist doch schon mal ein Schrittchen. Dann darf ich vielleicht auch meinen Job behalten – denn das würde ich in der Tat gern – und Ihnen um 22:30 Uhr auf meine Art antworten: Ich habe Sie nicht „zensiert“. Aber dass Sie andernorts von Mitarbeitern unseres Hauses „zensiert“ wurden, weil Sie die einfachsten Umgangsformen nicht beherrschten, wird wohl trotzdem seine Richtigkeit gehabt haben.
Ich sagte, ich fahre keine rückwärtsgewandte Debatte mehr. Mein Angebot an Sie ist jetzt: Schauen wir uns die FR künftig gut an, üben sachliche Kritik und schreiben streitbare Leserbriefe. Führen wir also Debatten – aber im Tonfall und in der Grundhaltung des Respekts auch vor dem Andersdenkenden und mit der Überzeugung, dass unsere eigene Freiheit da endet, wo die des Andersdenkenden beginnt.
Für alle, die den Artikel von Wolfgang Kessler im Publik-Forum nachlesen wollen: http://www.publik-forum.de/Wissen-Ethik/frankfurter-rundschau-verleger-als-versager
@ Eva K.
Nein, ist sie nicht.
Unabhängige Redaktionsgesellschaft: Die „Frankfurter Rundschau“ bleibt erhalten
FR soll vom 1. März an in der unabhängigen Verlags- und Redaktionsgesellschaft „Frankfurter Rundschau GmbH“ unter dem Dach der Frankfurter Societät GmbH, der Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH und der Karl Gerold Stiftung erscheinen +++ Konzentration auf die Regionalberichterstattung +++ Chefredakteur Arnd Festerling führt Redaktion mit 28 Redakteuren +++ Berliner Redaktionsgemeinschaft liefert fü eine Übergangszeit den Mantelteil zu +++ Aufbau „einer eigenständigen, überregionalen Redaktion“ geplant +++ F.A.Z.-Verlag und Anzeigengesellschaft Rhein Main Media übernehmen Verlagsaufgaben, die Frankfurter Societäts-Druckerei den Druck der FR +++ Zeitung soll weiterhin auch überregional vertrieben werden
Siehe: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/unabhaengige-redaktionsgesellschaft-die-frankfurter-rundschau-bleibt-erhalten-12096695.html
@Bronski: Der Artikel im Publikforum ist sicher nicht schmeichelhaft für die FR, aber leider zutreffend, insbesondere für den Lokal- und Regionalteil. Der war der Hauptgrund für mein FR-Abo. Aber spätestens nach dem – zeitlich ja nicht zufälligen – Weggang von Matthias Arning als Ressortchef ging dem Lokalteil merklich die Luft aus. Gab es vorher kaum einen Tag, an dem nicht Zuschriften im Lokalteil veröffentlicht wurden, wurden nachher Zuschriften zu Lokal- und Regionalthemen gar nicht mehr gebracht oder Wochen später, wenn jeder aktuelle Bezug fehlte. Statt dessen wurde dieses feuilletonistische „Mittendrin“ eingeschoben, das ich bis heute meist als reine Füllmasse empfunden habe.
Und um es noch einmal zu wiederholen: Gefuchst hat mich auch die Ignoranz und Sturheit der FR-Internetredaktion, die es nicht nötig hatte, den Login für die Kommentarfunktion auch über einen bestehenden Abo-Account zu ermöglichen. Nein, es mußte ja Fratzenbuch (sic!) sein, oder ich mußte zwecks Kommentar-Account noch eine Datenbank mit meinen kompletten Daten füttern. Programmiertechnisch wäre es kein Aufwand gewesen, aber wenn es nicht gewollt wird… nun ja.
Das war der Grund, weshalb ich dann darauf verzichtet habe, Kommentare zu Artikeln zu schreiben. Auch Briefe habe ich nur noch ganz selten geschrieben, weil die ja eh nur noch für die Ablage waren. Das war es, was ich mit mangelnder Interaktivität seitens der FR meinte.
Aber Zeitung ex cathedra funktioniert nicht mehr, in Zukunft wird das noch schärfer werden. Die Menschen haben die Möglichkeiten entdeckt, sich selbst einbringen zu können, das werden sie sich nicht mehr nehmen lassen. Und wenn dann das seit Jahrzehnten eingeführte Profil einer Zeitung wie der FR im Sauseschritt auf größtenteils harmlos und lauwarm nivelliert wird, dann geht es bergab. Im letzten Jahr hatte ich den Eindruck, daß gerade mal die veröffentlichten Zuschriften das alte Profil widerspiegelten und regelrecht radikal gegen den sonstigen Inhalt der FR wirkten. Es war, als ob die Leserinnen das ausdrückten, was sich die Redaktion selbst nicht mehr traute zu schreiben.
Ich habe lange durchgehalten und den Abstieg der FR hingenommen, aber den gestern verkündeten Verkauf der FR an die FAZ empfand ich als endgültige Enthausung. Das habe ich gestern Abend dann von meiner Seite aus auch vollzogen. Nur verliere ich lediglich eine Zeitung, gut 420 Menschen verlieren hingegen ihren Arbeitsplatz. Das ist allemal schlimmer.
Lieber Bronski, auch ich, ein ganz einfacher, unbedarfter Leser, sog.“als Mann von der Straße“ möchte mein Bedauern darüber aussprechen, wenn es hier mit der FR und besonders mit diesem Blog nicht in gewohnter Weise weitergehen sollte.
Die Gründe, warum es soweit kommen konnte oder musste, kann ich nicht kommentieren, da mit der schwierigen Materie nicht vertraut.
Ich hatte zwar auch nach einigen Wochen gemerkt, dass hier in der Regel nur „Leute vom Fach“ sich auf hohem Niveau beharken. Dachte mir aber, sei’s drum, ich melde mich auch ab und zu und sage meine Meinung. Es hat mich auch amüsiert, wie manchmal „akademisch ausgerastet“ wurde…
Lieber Bronki, egal wie es weitergeht, ich wünsche Ihnen persönlich viel Erfolg, wie und wo sie auch in Zukunft Wirkung zeigen.
Den Bezug der Zeitung gebe ich vorerst nicht auf.
Freundlichen Gruß
Ihr „maderholz“.
Im Moment sieht es so aus, als ob ich meine Arbeit mit Lesermeinung und FR-Blog weitermachen kann. Trotzdem bin ich sehr traurig, weil bei mir fast minütlich Abschiedsmails von den zahlreichen Kolleginnen und Kollegen eintreffen, die nicht länger für die FR arbeiten werden. Leute, ich habe gern mit Euch zusammengearbeitet! Viel Glück!
Ich möchte den Beitrag von Ratzfaz korrigieren: In der Reihenfolge, in der er die Kernpunkte der FAZ-Erklärung bringt, könnte man streckenweise glauben, dass die FR zur Regionalzeitung werden soll. „Konzentration auf die Regionalberichterstattung +++ Chefredakteur Arnd Festerling führt Redaktion mit 28 Redakteuren +++“ Gemeint ist, dass diese 28 Leute – also nicht die ganze Zeitung -, die hier in Frankfurt ansässig sind, sich zunächst auf die Regionalberichterstattung konzentrieren werden. Das heißt, dass sich überhaupt nichts ändert, denn der überregionale Teil der FR wird seit August 2011 gemeinsam mit der Berliner Zeitung in Berlin produziert, und so soll das für den Übergang auch weitergehen, und zwar bis zum Aufbau einer eigenen überregionalen Redaktion.
Ich gebe Ihnen hier einmal die komplette Pressemitteilung von heute, 28. Februar:
FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG UND FRANKFURTER SOCIETÄT FÜHREN DIE FRANKFURTER RUNDSCHAU FORT
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH (F.A.Z.) und die Frankfurter Societät GmbH werden die Frankfurter Rundschau (FR) vom 1. März 2013 an in einer unabhängigen Verlags- und Redaktionsgesellschaft weiterführen. Sie beabsichtigen, die Karl-Gerold-Stiftung an der Gesellschaft zu beteiligen. Mit diesem Schritt leisten die Verlage einen Beitrag zum Erhalt der Meinungsvielfalt im Rhein-Main-Gebiet und zur Sicherung eines Teils der redaktionellen Arbeitsplätze.
Die Schwesterunternehmen Frankfurter Societät GmbH und Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH haben beschlossen, die Frankfurter Rundschau fortzuführen. Die Vertragsverhandlungen mit dem Insolvenzverwalter wurden am Donnerstag, den 28. Februar 2013, mit der Unterzeichnung des Kaufvertrages abgeschlossen. Das Kartellamt hat dem Erwerb gestern zugestimmt.
Zur Sicherung der redaktionellen Unabhängigkeit der Traditionszeitung haben die Verlage die Frankfurter Rundschau GmbH gegründet. Vorbehaltlich einer formellen Genehmigung durch die Stiftungsaufsicht wird sich die ursprüngliche Eigentümerin der Frankfurter Rundschau, die Karl-Gerold-Stiftung, an dieser Gesellschaft beteiligen. Die Frankfurter Societät GmbH wird dann 55% der Anteile an der Gesellschaft halten. Sie führt das neue Unternehmen und zeichnet für den operativen Betrieb verantwortlich. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH wird 35% und die Karl-Gerold-Stiftung 10% der Anteile halten. Letztere garantiert mit ihrer Stiftungsverfassung auch die Ausrichtung der Frankfurter Rundschau als unabhängige, linksliberale Tageszeitung.
Als Inhaberin der Titelrechte verantwortet die Frankfurter Rundschau GmbH mit einer eigenständigen, unabhängigen Redaktion die Herausgabe der gedruckten sowie der digitalen Ausgabe. Die Stammredaktion besteht zunächst aus 28 Redakteuren. Diese werden ihre Arbeit schwerpunktmäßig auf die Regionalberichterstattung ausrichten. Unterstützt werden sie dabei durch den ortsansässigen Redaktionsdienstleister Pressedienst Frankfurt (PDF), mit dem die Frankfurter Rundschau bereits seit längerem erfolgreich zusammenarbeitet. Die Mantelseiten werden bis zum Aufbau einer eigenständigen überregionalen Redaktion weiter durch die DuMont Redaktionsgemeinschaft in Berlin zugeliefert. Der bisherige Chefredakteur der FR, Arnd Festerling, führt die Redaktion auch in der neuen Gesellschaft weiter.
Die Verlagsaufgaben werden in großen Teilen in die bestehenden Strukturen der Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH und der RheinMainMedia GmbH integriert. Den Druck der Zeitung wird die Frankfurter Societäts-Druckerei GmbH ab 1. Mai 2013 übernehmen. Die Koordination der verschiedenen Bereiche erfolgt durch die neue Frankfurter Rundschau GmbH.
„Wir glauben an die Zukunft der Marke Frankfurter Rundschau. Aus dieser Überzeugung heraus packen wir die neue Herausforderung an. Wir sehen uns in der Lage, die Frankfurter Rundschau wirtschaftlich erfolgreich zu führen und ihr dadurch regional wie überregional eine Perspektive zu geben“, benennt Hans Homrighausen, Geschäftsführer der Frankfurter Societät GmbH, das Ziel der beiden Schwesterunternehmen.
Tobias Trevisan, Geschäftsführer der Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH erläutert: „Auch wenn die Umstände um die Insolvenz der Frankfurter Rundschau und der Verlust vieler Arbeitsplätze sehr bedauerlich sind, freuen wir uns, dass wir durch die Gründung einer unabhängigen Gesellschaft sowie durch die Integration der Verlagsaufgaben in die Strukturen der F.A.Z. einen wichtigen Beitrag zur Fortführung der Traditionszeitung leisten können. Als unabhängige Stimme soll die Frankfurter Rundschau auch in Zukunft wesentlich zur Meinungsvielfalt beitragen.“
Auch ich möchte mich nochmals zu Wort melden. Und dies ohne groß auf Deine Kommentierung zu meiner ersten Mail einzugehen. Zugegeben, ich hatte die FR nur zeitweise im Abo, und dann eben nur gelegentlich, meistens am Wochenende, gekauft. Und als Kaufmann habe ich immer Aufwand und Ertrag abgewogen, natürlich auch verglichen, mit der taz z.B., mit der Süddeutschen, auch mit der FAZ, auch, wenn der Vergleich auch hinkt, mit dem mächtigen SPIEGEL Dieser hat für sich noch nie den NImbus in Anspruch genommen, links-liberal geschweige denn links zu sein, aber dann in seiner Berichterstattung und vor allem Kommentierung dann ein breites Spektrum zwischen Fleischhauer, Augstein, Diez und Münchau aufgemacht und angeboten. Du, lieber Bronski, kannst natürlich auch Vergleichbares (hinkt???) für die FR anführen, aber zu einer Zeitung mit selbstvergebenem oder von Lesern verliehenen „links-liberalen“ Prädikat passen für mich natürlich von Heusinger (Steuerfahnder!) und Hebel – aber Götz Aly nicht. Das wäre dann eher Beliebigkeit. Diese Beliebigkeit kam dann – subjektiv gesehen – vor allem nach dem Wechsel von Wolfgang Storz zu Uwe Vorkötter. Man folgte eben spiegelbildlich der Außendarstellung der SPD: von Clement über Steinbrück zu Gabriel und weiter zu Schreiner (und früher Ypsilanti). Und zu wie die Linke innerhalb der SPD marginalisiert wurde, wurde auch die linkere Ausrichtung der FR marginalisiert. Für mich sind Steinbrück und Merkel zwei Seiter e i n e r Medaille. Und wenn der Peer gerne Clowns sieht, dann sieht er jeden Morgen einen im Spiegel.
Natürlich wirst Du, Bronski, eine andere Meinung dazu haben, und sicherlich auch andere Fakten gesammelt haben. Es ist halt wie bei Eltern, die ein, sagen wir, nicht allzu ansehnliches Kind haben. (ich rede nicht von einer Behinderung!) Jeder, der höflich sein will, sagt: recht ordentlich, aber keiner sagt: häßlich wie die Nacht.
Ich habe gewisse Hoffnungen, daß die kritischere Haltung von FAZ-Herausgeber Schirrmacher sich auch auf die künftigen Inhalte der FR niederschlägt. Und ich hoffe, daß alle KollegInnen, welche nicht übernommen werden, bald einen neuen, einigermaßen sicheren und leidlich bezahlten Arbeitsplatz erhalten. Und wenn Du, lieber Bronski, übernommen wirst, dann wünsche ich Dir ein gutes Auskommen trotz vielleicht hin und wieder kritischer Grundhaltung gegenüber Deinem neuen Brötchengeber.
Liebe Redaktion, jetzt, wo die Zukunft der FR erst mal geklärt ist, ist es mir ein dringendes Bedürfnis, Ihnen allen für Ihre bisherige Arbeit zu danken. Die FR war bisher treue Begleiterin meines Alltags – nicht nur als Lektüre auf dem Frühstückstisch, sondern auch in Gesprächen und beim Nachdenken über Politik und Gesellschaft. Es schmerzt mich sehr, dass so viele Menschen aus der FR-Mannschaft jetzt vor einer höchst unklaren Zukunft stehen. Ich wünsche allen, die anderswo Arbeit suchen müssen, viel Glück dabei. Ich fürchte, unter neuer Herausgeberschaft wird sich das Blatt wohl deutlich ändern. So vermisse ich schon heute, was voraussichtlich verschwinden wird: Hoch geschätzte Berichte und Reportagen, bissige und amüsante Kommentierungen, und und und. So vieles war eine Bereicherung meines Lebens, auch wenn ich mitunter über das eine oder andere auch geärgert habe. Ich fürchte, die „neue“ FR wird sich ändern – so, dass ich dann vielleicht keine Lust mehr auf das Blatt habe. Doch was soll ich dann lesen? Es gab in der FR immer wieder Themen, die nirgendwo sonst aufgegriffen wurden. Wo kommen sie dann noch vor? In irgendwelchen spätnachts ausgestrahlten Fernsehmagazinen? Wer weiß? Ich bin skeptisch. Also: Ihnen allen noch einmal ein ganz dickes Dankeschön!!!! Ich drücke die Daumen für Ihre persönliche Zukunft! Und beim künftigen Blatt gucke ich ganz genau hin. Versprochen.
Hallo Wolfgang,
nein, ich sehe das grundsätzlich ganz ähnlich wie Du. Tatsächlich habe ich mir oft eine schärfere, kritischere Positionierung der FR gewünscht. Weißt Du, auch mir gefällt nicht alles an der FR. Ich verteidige sie gegen Kritik, die ich als ungerechtfertigt erkenne, wie in großen Teilen die Kritik von Dr. Josten, aber ich lese die Zeitung deswegen keineswegs unkritisch, und auch Wolfgang Kesslers Text kann ich teilweise zustimmen. Heute morgen stöhnte ich z.B.: Schon wieder der Papst vorne drauf! Fällt denn den Berliner Kollegen nichts anderes ein? Natürlich kann man das Bild vom nachrichtlichen Standpunkt rechtfertigen; es war nun mal Ratzingers letzter Tag in diesem Amt, es war nun mal ein historischer Tag. Aber warum muss die FR derart prominent einen Papst ehren, der größtenteils für Rückständigkeit steht und dem sie kritisch gegenüber steht? Dafür hätte auch ein Artikel mit Bild gereicht.
Dann bekam ich eine Mail von einem Leser, der sinngemäß meinte: Chance verpasst. Da hättet ihr mal zeigen können, dass ihr immer noch ein linksliberales Blatt seid. Warum nehmt ihr nicht Stéphane Hessel auf den Titel? Diesen bedeutenden linken Denker, der gestern gestorben ist? Das wär’s gewesen, ganz genau, gerade an diesem Tag. Tja, Chance verpasst. Da hat der Leser vollkommen recht.
Was Steinbrück betrifft, widerspreche ich Dir dann allerdings doch. Gerade hat Stephan Hebel sein Buch namens „Mutter Blamage“ herausgebracht und Angela Merkel die Hosen runtergezogen. Es gab dazu viele Leserbriefe, auch im FR-Blog wird es dazu noch etwas geben. Nach der Lektüre des Hebel-Textes in der FR – „Die zwei Gesichter der Angela M.“ – scheint mir offensichtlich, dass eine weitere Legislaturperiode dieser Kanzlerin geradezu gefährlich für dieses Land wäre. Also muss sie abgewählt werden. Das geht nur, indem die Wählerinnen und Wähler Rot-Grün zur Macht verhelfen. Und Rot-Grün ist mehr als Steinbrück. Für mich ist daher schon jetzt klar, was ich wählen werde – teils in Ermangelung einer Alternative, denn Die Linke, die nun selbstverschuldet wieder zur Regionalpartei wird, halte ich persönlich für nicht wählbar. Änderungen in diesem Land gibt es also nur mit Steinbrück. Dazu sage ich: Gebt ihm die Chance und messt ihn dann an seinen Taten. Man kann ihn ja auch wieder abwählen.
Zum Punkt Schirrmacher: Ich finde es ja schon beinahe witzig, wie dieser gewendete Konservative, nur weil er Sätze wie die geschrieben hat, dass die Linke vielleicht doch Recht gehabt haben könnte, plötzlich zur Ikone vieler Linker wird. Sogar so weit, dass jetzt plötzlich etwas hoffähig wird, was u.a. Kessler in seinem Beitrag im Publik Forum gebasht hat: dass Verleger sich ins Redaktionsgeschäft einmischen. Dazu will ich sagen: Die FAZ ist eine konservative Zeitung – und bei den Konservativen werden bekanntlich traditionelle Werte hochgehalten. Das ist aus Sicht progressiver Menschen normalerweise eher schlecht. Hier ist es aber gut, denn einer dieser Werte ist die strikte Trennung von kaufmännischem und redaktionellem Teil des Unternehmens. Das heißt: Es wird in der neuen Frankfurter Rundschau GmbH, die die FR künftig herausbringt, ganz klar keine Einmischungen „von oben“ geben. Verlag und Redaktion sind bei der FAZ traditionell strikt getrennt. Es wird daher auch keinen inhaltlichen Austausch der Zeitungen untereinander geben, etwa dergestalt, dass die FR Texte der FAZ oder der FNP übernähme. Es gab dazu heute eine Pressekonferenz, das Wesentliche ist auf horizont.net nachzulesen.
@ Mechthild Kock
Vielen Dank für Ihren Zuspruch! Ihre Grundhaltung gefällt mir: Sie werden sich die „neue“ FR erst einmal in Ruhe ansehen. Seien Sie dabei gern kritisch und schicken Sie mir auch gern Leserbriefe, wenn Sie etwas anzumerken haben.
Lieber Bronski, danke für die schnelle Replik. Wenn Deine kritische Grundhaltung allenthalben funktioniert, müßtest Du doch eigentlich auch Müller’s NachDenkSeiten gutfinden. Oder mischt sich da so etwas wie Eifersucht ein, nach dem Motto: „Ältere gut Pensions- und Altersrente-versorgte Herren nehmen den kritischen Medien die Butter vom Brot“? Leider gibt es für mich viel zu wenige Medien – und das Internet ist ja inzwischen wohl Medium No. 1 geworden, vor den Print-Medien, und vor den öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und TV-Anstalten – dann sehe ich die NDS eher als Ergänzung, auch in ihrem Verweis auf die Meldungen von Print-Medien etc., denn als Konkurrenz. Siehe hierzu den heutigen Nachruf von Albrecht Müller auf Stephane Hessel, siehe hier: (Link abgelehnt, Anm. Bronski, siehe Blog-Regel Nr. 8 ).
In seinem Kommentar erwähnt Müller übrigens auch einen vor 10 Jahren in der FR erschienenen und von ihm dokumentierten Beitrag, siehe hier: (Link abgelehnt, Anm. Bronski, siehe Blog-Regel Nr. 8 ).
Und ich als frischgebackenes – seit 1.1.13 – Linken-Mitglied, der ich mich als Mitgründer der WASG und mit den alten Stasi-Genossen Fremdelnder jetzt doch zum Eintritt entschlossen habe, frei nach dem Motto: Viele Wege führen nach Rom (wenn keiner dabei eine 180-Grad-Kehre macht), lege nicht allzu viel Hoffnungen in eine – gerne kolportierte – Rot-Grün-Wende. Weil auch dafür eine Stimmen-Mehrheit notwendig wäre, und die Demoskopen hier Rot-Grün eher im unteren Bereich knapp über 40% ansiedeln. Und Rot-Grün scheut ja ein Zusammengehen mit den echten Linken wie der Teufel das Weihwasser. Unser aller Mutti Merkel hat ja bei 2/3 der Bevölkerung einen oder mehrere Steine im Brett, welche diese Dame für eine Mischung zwischen Göttin und Retterin des Abendlandes halten.
Also, wir können eine Wette abschließen, wir werden wieder eine große Koalition erhalten. Dann werden wir auch – wieder – sehen, daß die Differenzen zwischen Rot, oder eher schwach-rosa, und schwarz, oder eher inzwischen anthrazit, nicht so groß sind. War doch auch prima, damals, wie CDU/CSU/FDP und das Kapital, mit Hilfe aller rechter Genossen, wie Clement und Co., damals den widerstrebenden Rest der SPD-Linken dazu bekehrt hatten, die Agenda 2010 abzunicken. Wäre die Sache von rechts gekommen, hätte es mehr Schwierigkeiten gegeben. Klasse, wie damals die Instrumente gespielt wurden, und die Hits von 2003 swingen bei den meisten ja immer noch.
@ Wolfgang
Du meinst, ein kritischer Geist müsse automatisch die Nachdenkseiten mögen? Nachdem ich Dir zuvor aufgezeigt habe, wie die Nachdenkseiten kritische Geister – oder solche,die sich dafür halten – manipulieren?
Der Ansatz der Nachdenkseiten ist mir im Kern sympathisch, aber ich frage mich immer wieder, warum sie, die so meinungsstark sind, es nicht zulassen, dass ihre Thesen direkt auf den Nachdenkseiten diskutiert werden. Jede Tageszeitung gibt ihre Leitartikel zur Diskussion frei. Egal, wohin im Netz Du kommst, von Welt bis taz – Du kannst frei kommentieren. Manchmal musst Du Dich vorher registrieren, was z.B. bei FR-online eine Maßnahme ist, um anonyme Pöbler und Hetzer draußen zu halten. Aber seriöse Online-Auftritte behandeln Deine Daten mit der nötigen Sensibilität. Also: kein Problem. Die Nachdenkseiten bieten diese Möglichkeit kritischer Teilnahme nicht. Warum nicht? Und warum wird die manipulative Arbeit der Nachdenkseiten von so vielen vermeintlich kritischen Geistern, z.B. Wolfang Fladung, trotzdem uneingeschränkt positiv gewürdigt? Verzeih mir, Wolfgang, denn wir haben seit vielen Jahren guten Kontakt miteinander, aber diese Leichtgläubigkeit geht mir auf den Keks.
Aber die Idee einer Wette auf die nächste Bundestagswahl gefällt mir. Wollen wir wetten, dass Angela Merkel nach der Wahl nicht mehr Kanzlerin ist?
Lieber Bronski,
unter den NDS findest Du sehr wohl eine Rubrik „Leserbriefe“, siehe hier: (Link abgelehnt, Anm. Bronski, siehe Blog-Regel Nr. 8 ) aber diese meinst Du wohl nicht, weil Du sicherlich eher eine Vorstellung einer Art Blog hast, wie auch die von Dir als FR-Blog moderierten.
Was wäre denn Dein Wetteinsatz für die Herbst-Wahl und was macht Dich so sicher, daß es Frau Merkel nicht wieder schafft? Wir WählerInnen (ich nehme mich da nicht aus) wählen doch alle nicht so rational und vor allem informiert, wie es wünschenswert wäre.
Es grüßt
Wolfgang
Etwas zu den Nachdenkseiten habe ich noch nach zu tragen: Es gibt neuerdings den Video-Podcast, siehe hier: (Link abgelehnt, Anm. Bronski, siehe Blog-Regel Nr. 8 ), eine Aktion, die wohl über Leserbriefe hinaus geht und sicherlich rein technisch nicht jedem zur Verfügung steht.
Als FR- und FAS-Abonnent freue ich mich, dass es nun doch mit der FR weitergeht, und aufgrund meiner „anachronistischen Emotionen“ werde ich auch weiterhin der FR treu bleiben. Ich bin mal gespannt, wie unabhängig die neue/alte FR-Redaktion unter den neuen Anteilseignern agieren kann/darf. Nach drei Firmenfusionen bzw. Übernahmen, weiß ich, wie schwer es ist, sich in seiner Eigenständigkeit gegen das „neue Oben“ zu behaupten. Wenn der kritische Geist der „alten“ FR erhalten bleibt und die bessere journalistische Qualität der FAZ/FAS hinzukommt, kann aus der „neuen“ FR eine richtig gute Zeitung werden.
Lieber Bronski, als Mitarbeiter der NachDenkSeiten kann ich die Frage, warum wir keine Kommentarfunktion auf unserer Seite haben, gerne beantworten. Wir sind ein ziemlich kleines Team, das (inklusive unserer beiden Herausgeber) aus einer nicht einmal Handvoll Mitarbeitern besteht. Gleichzeitig haben die NachDenkSeiten jedoch auch sehr viele, sehr aktive Leser. Würden wir eine Art Forum oder einen Kommentarbereich einrichten, müssten wir daher auch mit einem gewaltigen Kommentarvolumen rechnen. Da stellt sich nun aber die Frage, ob solche Kommentarfunktionen ein Selbstzweck sind (so was braucht man in Zeiten von Web 2.0 halt) oder ob sie den Lesern einen echten Mehrwert bringen sollen. Wir sind der Meinung, das letzteres der Maßstab sein sollte. Und um dies zu gewährleisten wäre, das wissen Sie als Blogger ja selbst, eine strenge Moderation nötig, die – wenn möglich – 24/7 zur Verfügung steht. Wir stoßen allerdings bereits jetzt mit unserem Engagement an zeitliche Grenzen. Mit unserem jetzigen Stab können wir kein sinnvolles Forum betreuen. Wir hätten also, wenn wir eine Kommentarfunktion einrichten wollten, zwei Alternativen:
a) Wir stellen mindestens zwei Moderatoren ein, die eine gute Betreuung gewährleisten. Das kann aber auch nicht jeder, es geht ja auch um inhaltliche Fragen. Wir sind nun aber fast komplett spendenfinanziert und können es uns schlicht nicht leisten, zwei neue Leute einzustellen. Und wenn wir die finanziellen Mittel hätten, gäbe es sicher bessere Möglichkeiten, sie einzusetzen – z.B: für einen weiteren Mitarbeiter in der Redaktion. Aber die Diskussion stellt sich momentan ohnehin nicht, da wir die Mittel dafür nicht haben.
b) Wir lassen den Kommentarbereich nebenbei laufen, so wie viele Online-Ableger von Printmedien es machen. Nehmen hier mal die SZ, die WELT und SPON als Beispiele. Es ist ja schön, dass man dort kommentieren darf. Aber welchen Mehrwert und welchen geistigen Nährwert haben die Kommentare dort? Ich kann bei bestem Willen nicht erkennen, welchen Vorteil so etwas für uns und vor allem für unsere Leser hätte.
Es ist auch nicht ganz richtig, dass wir gar keine Kommentierungsmöglichkeit anbieten. Leser können beispielsweise über Facebook und Google+ jeden Artikel kommentieren und diese Möglichkeit wird auch genutzt. Diese Kommentare sind oft kontrovers und nicht immer inhaltlich wertvoll, daher sind wir auch nicht so fürchterlich böse darüber, dass sie auf andere Plattformen ausgelagert sind.
Lieber Jens Berger,
schön, dass Sie sich hier einklinken und Stellung nehmen. Ich kann Ihre Argumentation nachvollziehen, denn ich weiß aus eigener Erfahrung, wie aufwändig es sein kann, engagierte Diskussionen zu moderieren. Stimmt, das kann nicht jeder. Gleichwohl ist es notwendig, gerade wenn man wie die Nachdenkseiten für einen Teil des politischen Spektrums die Meinungsführerschaft beanspruchen darf. Dass gerade ein so meinungsstarkes Forum wie die NDS sich nicht der direkten Diskussion stellt, das geht in meinen Augen nicht.
Gestern hatte FR-online.de Serverprobleme. Eine ganze Reihe von Online-Leserinnen und -Lesern konnte sich nicht zum Kommentieren einloggen. Ich weiß ja auch nicht, warum die Menschen dann immer gleich ausrasten und uns beschimpfen und „Zensur“ schreien – jedenfalls gab es viele Beschwerden. Daraus lese ich aber etwas Positives: Diese Menschen erachten es mittlerweile als völlig selbstverständlich, die Texte auf FR-online.de zu kommentieren. Sie betrachten es als ihr Recht. Eine Leserin formulierte es so, dass es ihr vorkomme, als sei ihr vorübergehend das Recht auf demokratische Teilhabe entzogen worden, als sie sich nicht einloggen konnte. Man mag nun darüber diskutieren, ob „demokratische Teilhabe“ nicht zu hochgegriffen ist, ob die Leserin sich nicht vielleicht sogar etwas vormacht, aber ausschlaggebend ist eben dieses subjektive Empfinden. Dabei ist es allerdings richtig, dass auch wir nicht alle Texte frei kommentieren lassen können. Texte, in deren Kommentierung Hetze zu erwarten ist, oder Texte in eigener Sache lassen wir nicht kommentieren – dafür gibt es dann dieses Blog, das FR-Blog. Der Mehrwert dabei ist unzweifelhaft, dass die Userinnen und User sich austauschen können, dass sie ihre Meinung loswerden. Natürlich sind diese Kommentare oft kontrovers, davon leben solche Diskussionen ja gerade. Wenn sich alle einig sind, wie es so oft auf dem Spiegelfechter der Fall ist, wird’s entweder komisch oder langweilig. Und der inhaltliche Wert ist meines Erachtens auch für die FR unstrittig: Sie kriegt ihre Packung Kritik. Damit stellt sie sich den Debatten. Die NDS dagegen halten sich vornehm raus.
Die Belastung wäre zu groß, es wäre ein hohes Kommentarvolumen zu erwarten, Sie können sich keine Moderatoren leisten. Ich weiß nicht, ob Sie es wissen, Herr Berger: Ich mache das FR-Blog ganz allein. Ich betreue außerdem die Leserbriefseite der FR und eine umfangreiche Leserkommunikation. Außerdem habe ich noch ein privates Blog und schreibe Bücher, genau wie Sie. Ich denke, man kann das FR-Blog als meinungsstark bezeichnen. Gut, das Kommentarvolumen reicht gewiss nicht an das erwartbare der NDS heran, aber zu bestimmten Zeiten, etwa der Formatumstellung der FR vor sechs Jahren, aber auch zwischendurch immer wieder, ging es hier durchaus stürmisch zu. Trotzdem ist es möglich, dass im FR-Blog rund um die Uhr kommentiert werden kann. Lange Zeit ging das sogar unmoderiert. Das mache ich alles allein, dafür werde ich allerdings auch bezahlt. Trotzdem denke ich: Was ich kann, sollten Sie schon lange können.
Lieber Bronski, das Überleben der FR freut mich, insoweit das F das einzig Gemeinsame mit der neuen Stiefmutter bleibt, und der Spannbogen Links und Liberal nicht einen Chr.Josten bzw. G.Ali einschließt, für die andersortig ausreichend Medienraum zur Verfügung stehen dürfte. Auch mir, einem uralten (aber wie folgt flexiblen) Fr.-Abonneten-Hansel, ist, wie Jutta Rydzewski, die Haptik des praktischen Tabloid-Formates an die Finger gewachsen. Sporadische Käufe lassen mich deshalb auch eher zum Spiegel als zur Zeit greifen. Da ich leider nicht zu den unterrepräsentierten jüngeren Abonneten zähle, werde ich mich (Tabloid-Hebel-Kiyak-Herl-B r o n s k i-etc.causa) bemühen noch uralter zu werden und der FR hoffentlich noch viele Jahre treu bleiben können. Ihr Rainer Weingärtner