Die Niere kommt in Otto Waalkes immer noch niedlicher Performance „Der menschliche Körper“ nicht vor. Bei Frank-Walter Steinmeier allerdings sehr wohl: Er spendete seiner Frau eine Niere und hat maßgeblich dazu beigetragen, dass das Thema Organspende Gegenstand einer fraktionsübergreifenden Gesetzgebungsinitiative in Deutschen Bundestag wurde.
Etwa 12000 Menschen in Deutschland warten derzeit auf ein Spenderorgan. Für jährlich 1000 Patienten dauert das Warten zu lange: Sie sterben, weil nicht rechtzeitig ein geeignetes Organ gefunden werden konnte. In einer Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung aus dem Jahr 2010 bekundeten 76 Prozent der Frauen und 74 Prozent der Männer ihre Bereitschaft zur Organspende. Tatsächlich verfügen aber nur 25 Prozent der Bundesbürger über einen Spenderausweis. Ich zum Beispiel habe keinen. Und Sie? Folge: Die Bereitschaft der Deutschen zur Organspende muss erhöht werden. Also sollen wir alle, so das Gesetz, künftig von unseren Krankenkassen mit dem Thema konfrontiert werden, indem uns Informationsmaterial zur Verfügung gestellt wird.
Voraussetzung jeder Organentnahme ist der Hirntod, also das irreparable Absterben des Hirns. Aber so einfach ist das nicht, denn selbst wenn das Hirn abgestorben ist, reagiert der menschliche Körper noch, ja, er ist sogar noch zeugungsfähig. Dazu hier das für mich erstaunliche Interview mit der Soziologieprofessorin Alexandra Manzei, die, bevor sie studierte, 15 Jahre lang als Krankenschwester hirntote Patienten auf die Organentnahme vorbereitet hat.
Insbesondere auf dieses Interview kamen mehrere Leserbriefe herein. Beginnen möchte ich mit Susanne Grosse aus Heidelberg:
„Als ehemalige Krankenschwester, früher in der Betreuung von hirntoten Organspendern tätig, kann ich die Ausführungen von Frau Manzei voll bestätigen. Ich bin zutiefst dankbar, dass jetzt endlich doch noch dieser spezielle Aspekt der ethischen Dimension „Ersatzteillager Mensch“ in die Diskussion eingeführt wird. Es muss unbedingt hinterfragt werden, warum die ganz offensichtlichen Lebenszeichen, die hirntote Patienten zeigen, bisher niemals in der „Aufklärung“ über Organspenden überhaupt erwähnt wurden.
Sicher ist, dass bei Organtransplantationen riesige Summen an Geld umgesetzt werden – wo Geld ist, ist immer auch ein Markt und eine Industrie. Das Ganze als „Spende“ zu bezeichnen, klingt höchst karitativ, ist aber nichts anderes als der (politisch gewollte) massenhafte kostenlose Zugriff auf begehrte Wertgegenstände (Organe).
Nichts in der Welt wird mich dazu bringen, mich lebendig zerteilen zu lassen, bloß weil mein Gehirn nicht mehr funktioniert. Der Mensch ist in seiner Gesamtheit mehr als nur die Summe seiner Teile!“
Dagegen Simone Gehrke aus Rohrbach:
„Ich bin immer wieder erschüttert, wenn ich diese ablehnende Haltung gegenüber Organspenden höre. Wie muss es Patienten gehen, die jahrelang auf ein Spenderorgan warten und in der Zeit, in der die Politik in unserem Land endlich mal das Thema bewusster für alle Menschen macht, immer wieder auf Menschen stoßen, die an die Öffentlichkeit gehen und sich gegen Organspende aussprechen? Wenn Frau Manzei der Meinung ist, Organspende sei nicht vertretbar, da ein hirntoter Mensch (noch!) kein toter Mensch sei, dann soll sie doch bitte mal an all die Menschen denken, die definitiv nicht sterben müssten, wenn sie ein Organ von einem Menschen bekommen, der – wie sie es selbst nennt – sowieso “ein Sterbender“ ist.
Ich bin ebenfalls der Meinung, die (Stammzellen-)Forschung zu unterstützen, um baldmöglichst andere Verfahren nutzen zu können, um Organe zu ersetzen. Aber so lange die Forschung nicht so weit ist, sollte ich auch nicht dem letzten Freiwilligen seinen Spenderausweis ausreden! Es ist wissenschaftlich belegt, dass die meisten Deutschen diesen Ausweis nicht tragen, weil es ihnen gar nicht bewusst ist oder sie eher faul sind, sich ihn zu holen und auszufüllen. Nicht Angst, wie eher vermutet, ist der Grund. Und „unter moralischem Druck“ wird auch in Zukunft in Deutschland niemand stehen, nur weil der Arzt auf diese Möglichkeit hinweist.“
Sehr interessant ist die unterschiedliche Bewertung von Leben insgesamt.
Ein Mensch, der nur noch aufgrund von Maschinenleistungen am Leben erhalten werden kann, soll ableben und Organe „spenden“.
Ein anderer Mensch, der nur noch aufgrund von Maschinenleistungen am Leben erhalten werden kann, soll überleben und Organe empfangen.
Ein unlösbarer logischer Widerspruch.
Logisch folgerichtig müsste dem „Spender“ dieselbe maschinell-medizinische Hilfe zuteil werden, wie dem Empfänger. Also müsste dem Nierenspender die künstliche Niere, dem Lungenspender die künstliche Lunge, dem Herzspender das künstliche Herz etc… verfügbar gemacht werden. Maschinen, die durch die Spende frei werden, sind dem Spender zur Verfügung zu stellen!
Oder geht es nur um die Kosten? Dann wäre natürlich die Bedingung, daß der Spender nach dem Spenden sterben muß.
Der einzige Unterschied, der hier zum Tragen kommt, ist der Unterschied des funktionsfähigen Gehirnes. Es wird also entschieden, ob das Menschenhirn noch was vom Leben hat. Da dies aus menschlicher Sicht unentscheidbar ist, bleibt nur die logische Alternative, daß ein „Hirntoter“ nur die Organe spenden kann, zu deren Subtitution technische Organe zur Verfügung stehen. Das Lebensrecht steht sowohl dem Spender, wie auch dem Empfänger von Organen zu.
Der Unterschied der folgenden Lebensführung ist zu bedenken. Die Beeinträchtigung des Spenders ist die Summe der Beeinträchtigung der Empfänger. Der Unterstützungsbedarf ist derselbe, er konzentriert sich nur. Mitarbeiter der Pflege habe damit überhaupt kein Problem.
Der Punkt, auf den es ankommt ist der, daß ein Spender nicht die Maschine bekommt, die bei dem Empfänger das fehlende Organ ersetzt hat.
Der spezielle Fall, daß ein Mensch trotz ausgefallener Hirnfunktion lebensfähig bleibt, ist gesondert zu betrachten.
Aus meiner Sicht verbietet sich hier die Spekulation über den Lebenswert und folglich die Diskussion über eine Organspende.
Aus einem lebensfähigen Organismus darf man keine Organe entnehmen, wenn dies zu einer lebensbedrohlichen Situation führen würde.
Es ist sicherlich eine sehr persönliche Entscheidung, ob man zur Organspende bereit ist. Daher muss ich auch die Einstellung von Alexandra Manzei akzeptieren, die das juristische Konzept des „Hirntods“ infrage stellt und deshalb Organspenden ablehnt. Die durch ihre Erfahrung belegte Argumentation ist nachvollziehbar, dass es sich bei den Menschen mit irreparabel geschädigtem Hirn im biologischen Sinne nicht um Tote, sondern um Sterbende handelt, solange sie an Maschinen hängen. Ich ziehe daraus aber andere Konsequenzen als Frau Manzei.
Unabhängig von der Frage der Organspende ist es mein nach sehr reiflicher Überlegung in meiner Patientenverfügung festgelegter Wille, dass am Ende meines Lebens mein Sterbeprozess nicht durch Maschinen aufgehalten werden soll, wenn nach menschlichem Ermessen keine Aussicht auf Besserung besteht oder mir ein Leben in Würde nicht mehr möglich wäre. Das irreversible Erlöschen der Hirnfunktionen ist für mich definitiv eine Schwelle, über die hinaus ich nicht durch Maschinen am Sterben gehindert sein möchte. Lediglich für eine Organspende erlaube ich die dazu notwendige Verlängerung meines Lebens. In diesem Sinne stimme ich auch einer „Lebendspende“ nach dem Erlöschen der Hirnfunktionen zu, selbst dann, wenn durch die Organentnahme mein Tod herbeigeführt werden sollte. Die Entscheidungsfreiheit zur passiven (sowie zur aktiven) Sterbehilfe gehört für mich zu den unveräußerlichen Rechten, die sich aus meiner Menschenwürde ableiten.
Deshalb habe ich schon vor vielen Jahrzen meine Zustimmung zur Organspende in einem Organspenderausweis dokumentiert.
Ich versuche einmal, wie es sonst der Brauch von Philosophen ist, mich dem Thema zwecks besserer Einsichten auf Umwegen zu nähern und bitte entsprechend um Geduld. Wem meine Überlegungen nicht nur umwegig, sondern abwegig erscheinen, der mag sie schlicht ignorieren.
Meine Überlegungen zielen, auch zur Selbstvergewissering, gemäß dem Umweg, auf die Frage: Was hat sich kulturgeschichtlich ereignet, so dass wir da angelangt sind, wo wir uns befinden?
„Gott ist tot“, so lautet der wohl bekannteste Ausspruch des Philosophen Friedrich Nietzsche. Entgegen weitverbreiteter Meinung ist das keineswegs ein Bekenntnis zum Atheismus. Der Atheist sagt: es gibt keinen Gott. „Gott ist tot“ ist dagegen die Kundgabe eines ungeheuren Ereignisses und einer ungeheurlichen Tat: Gott ist tot, und wir sind seine Mörder, und nun irren wir, indem wir die Erde von der Sonne losketteten, durch ein unendliches Nichts, wo nur noch Nacht ist und uns der leere Raum anhaucht. (vgl. Friedrich Nietzsche, Der tolle Mensch!)
Das ist die prägnante Beschreibung des Nihilismus als Folge von Aufklärung und Säkularisation, durch die der Glaube an Gott als verbindliche Richtschnur der menschlichen Orientierung und des menschlichen Handelns verloren gegangen ist. Religiöser Glaube wird zur Privatangelegenheit und von den „Aufgeklärten“ belächelt. Das religiöse Welt- und Menschenbild weicht dem „prometheischen“. Prometheus ist die mythische Gestalt, die sich von den Göttern emanzipiert und die Menschen lehrt, sich ebenfalls von den Göttern zu lösen (vgl. Goethes Gedicht „Prometheus“ hierzu!).
Durch das in der Epoche der Renaissance und der Aufklärung enwickelte naturwissenschaftlich-technische Weltbild und die einsetzende Industrielle Revolution erscheint der dergestalt vom Schöpfergott emanzipierte Mensch als Schöpfer der Welt und schließlich seiner selbst. Seit der „kopernikanischen Wende“, zumal seit Newton und Descartes, wird die Natur auf messbare und berechenbare Größen reduziert. Das Weltbild wird mechanistisch, der Mensch wird entseelt und nach dem Vorbild der Maschine begriffen. Die Leistung des Vesalius, wohl des ersten Mediziners im neuzeitlich-wissenschaftlichen Verständnis, besteht darin, dass er die Anatomie des Menschen nicht vom Gehirn oder den Organen, sondern als mechanischen Gesamtaufbau vom Skelett mit seinen Muskeln her begreift.
Über diesen scheinbaren Umweg kommen wir auf folgende Weise zur Organtransplantation: Der ungeheure Erkenntnisfortschritt der medizinischen Wissenschaft droht zu einer Hybris des Menschen zu führen. Die Menschen dringen immer weiter in den Schöpfungsplan Gottes oder der Natur ein, schon Hegel spricht von einer „Überlistung“ der Natur durch die Wissenschaft. Was dahinter hoffnungslos zurückzubleiben droht, ist im weitesten Sinne ein (ethisches) Bewusstsein von den Grundbedingungen der menschlichen Existenz. Wir fragen uns nicht mehr, ob es auch gut sei, alles, was machbar ist, auch zu machen, sondern das Machbare, der technische Fortschritt, ist per se schon das Gute, gewinnt eine Eigendynamik, wird, ursprünglich bloßes Mittel, zum Zweck und setzt immer neue Zwecke. Der sprachliche Ausdruck für diesen Vorgang heißt „Sachzwang“. Das bedeutet im Klartext: die Menschen sind nicht mehr Subjekt über die Dinge, sondern die Produkte der Menschen, die „Sachen“, erheben sich über diese und „zwingen“ und beherschen sie.
Diese ganze Entwicklung ist aber mittlerweile geradezu gespenstisch. Man kann es nicht hoch genug einschätzen, dass die FR und Bronski die Entwicklung überhaupt noch kritisch zum Thema machen, wo in solch seltener Einhelligkeit von unseren gesamten gewählten Volksvertretern niemand wagt, eine abweichende Stimme zu der sogenannten Beratung abzugeben, obwohl besagte Alexandra Manzei, wie ich höre, an den Anhörungen im Bundestag beratend teilgenommen hat. Niemand scheint sich des Verbrechens schuldig machen zu wollen, für den Tod von Menschen mit verantwortlich zu sein. Diese Einstellung, zum Mainstream stilisiert, geht exemplarisch oben aus dem Kommentar von Simone Gehrke, Rohrbach, hervor.
Auf die Frage: Spenderausweis oder nicht, habe ich auch keine einfache und allgemeingültige Antwort. Aber statt der angezeigten gesellschaftlichen Problemdiskussion sollen die Menschen eindeutig durch das, was beschlossen wurde, nicht aufgeklärt, sondern extrem unter moralischen Druck gesetzt werden. Oder sind wir ein Volk von Demenzkranken ohne Kurzzeitgedächtnis, dass die „Aufklärung“ jährlich wiederholt werden muss?
Ich will hier nicht von dem Fall sprechen, wo jemand Totgesagtes wieder auferstanden ist – ja natürlich, das passiert in England, aber doch nicht bei uns -, eher schon von dem Milliardengeschäft, das hier betrieben und als das eigentliche Movens für die medizinische Forschung und Praxis vernebelt wird durch den scheinheiligen Bezug auf die Betroffenen. Und eher von den Begehrlichkeiten, die bei hoffnungslosen bzw. hoffenden Patienten verständlicherweise geweckt werden und sie, so sie die Mittel dazu haben, nach Osteuropa, Südamerika oder Indien reisen lassen, wo die Organe irgendwelchen Paupers aus dem Leib geschnitten werden. Wohin wir mit unserer Medizin wollen, unterliegt der politischen Entscheidung der Gesellschaft, Menschen, die sich verständlicherweise an einen Strohhalm klammern, sind da ein schlechter Ratgeber und sollten auch nicht für andere Zwecke instrumentalisiert werden.
Ich will statt alledem davon reden, dass der Tod und die Sterblichkeit, dieses existenzielle Skandalon und Wesensmerkmal des Menschen zugleich („Hoi Thnetoi“, die Sterblichen, ist im Griechischen ein Synonym für die Menschen) nicht nur seit langem aus dem gesellschaftlichen Bewusstsein eskamotiert werden, sondern dass wir dabei sind in Wirklichkeit nicht Organe von Toten für die Lebenden zu nehmen, was ja untauglich wäre, sondern um der lebendigen Organe willen flugs eine Umdeutung des Todes vorzunehmen. In alter Zeit hieß es: er hauchte den Odem des Lebens aus. Dann ersetzte das nicht mehr pochende Herz den aussetzenden Atem, und nun soll das nicht mehr das Todesindiz sein, sondern weiterpochen, in der Tendenz, bei guter Führung, bis in alle Ewigkeit. Die Erfüllung des Traums von der individuellen Unsterblichkeit.
Aber wohin dann mit dem ungeheuren menschlichen Materiallager? Merkwürdig, wo es um Rentenzahlungen geht, haben wir ein „demografisches Problem“, hier aber sollen partout alle Wartenden und Hoffenden mit Ersatzteilen versorgt werden. Das ist kafkaesk, dass es auch geradezu „frankensteinesk“ ist, kommt uns schon gar nicht mehr ins technologisch verbrämte Bewusstsein.
Gerade wurde statistisch ermittelt, dass Hartz IV-Empfänger eine um 6 (oder gar 16 ?) Jahre geringere durchschnittliche Lebenserwartung haben als andere. Ein großer, aber leider icht so ertragreicher Acker für die Bewirtschaftung mittels medizinisch-technischer Ressourcen. Von den kleinen Hungerbäuchen – ihr wisst schon – hier zu schweigen.
http://www.transplantation-information.de/hirntod_transplantation/hirntod_hauptseite.html
Lieber Heinrich,
Du machst in Bezug auf Organtransplantationen der (medizinischen) Wissenschaft zum Vorwurf, „immer weiter in den Schöpfungsplan Gottes oder der Natur einzudringen“ und vermisst „im weitesten Sinne ein (ethisches) Bewusstsein von den Grundbedingungen der menschlichen Existenz“. Damit ignorierst Du, dass sich Menschen unterschiedlicher Disziplinen – Juristen, Philosophen, Mediziner, Vertreter unterschiedlicher Religionen – in zahlreichen Ethikkommissionen, in Tagungen und Büchern intensiv mit der Zulässigkeit, Grenzen und Bedingungen der Organtransplantation und damit auch mit „den Grundbedingungen der menschlichen Existenz“ beschäftigt haben und sich weiter damit beschäftigen. Mit dem Ergebnis magst Du nicht zufrieden sein, aber ist es ein Grund, diese Überlegungen undiskutiert vom Tisch zu wischen?
Ich biete Dir daher zur Diskussion meine jüdische Position: Die Problematik, ob ein Eingriff „in den Schöpfungsplan Gottes“ zulässig ist, entsteht nicht erst mit der Organtransplantation. Dieser Eingriff beginnt bereits bei jedem Versuch, eine Krankheit zu heilen oder die Folgen eines Unfalls zu behandeln. Darf überhaupt ein Arzt Gott ins Handwerk pfuschen? Schon im Talmud (der etwa im 3. Jahrhundert schriftlich fixiert wurde) wird die eindeutige Antwort der Rabbinen festgehalten: Es ist nicht nur erlaubt, jemanden vom Tod zu bewahren, sondern es ist sogar geboten, alles dafür zu tun, selbst wenn dadurch andere Gebote der Tora (wie das Halten der Schabbatruhe) verletzt werden. Die Begründung: Der Mensch ist von Gott mit der Fähigkeit ausgestattet worden, das Gute und das Böse zu unterscheiden, und besitzt daher Handlungsfreiheit. Außerdem gilt das Wort der Tora „wähle das Leben“. Damit sind auch die Grenzen des ärztlichen Handelns aufgezeigt: Es muss zum Guten führen, also dem Wohl des Patienten dienen. Wie in allem menschlichen Tun, wirkt aber auch im ärztlichen Handeln der „böse Trieb“ mit, wie es das Streben nach wissenschaftlichem und wirtschaftlichem Erfolg ist. Doch der böse Trieb ist als Antrieb der Entwicklung notwendig, denn ohne ihn gebe es einen gesellschaftlichen Stillstand. Das ethische Handeln verlangt nicht, den bösen Trieb auszuschalten, sondern ihn unter Kontrolle zu halten. Ausgehend von diesem Standpunkt der Tradition akzeptieren die meisten Rabbiner die Lebensrettung durch Organtransplantation. Auch maßgebliche Autoritäten des orthodoxen Judentums haben sich kürzlich dieser Haltung angeschlossen.
Da die Organspende der Lebenserhaltung dient, ist sie ein Gebot. Dieses kollidiert aber mit dem Gebot der Erhaltung des Lebens des Organspenders. Auch hier hilft die jüdische Tradition, die einen unwiderruflich Sterbenden nicht als Lebenden betrachtet. Für diesen müssen keine Rettungsmaßnahmen eingeleitet werden, man darf ihn in Ruhe sterben lassen. Dieses Stadium ist nach der Meinung der meisten jüdischer Experten, die sich mit dieser Frage beschäftigt haben, mit dem Erlöschen der Hirntätigkeit erreicht, weil dann die Funktionen des Körpers nur mit Maschinen aufrecht erhalten werden.
Sicher muss bei Organtransplantationen, wie bei jeder medizinischen Maßnahme, abgewogen werden, dass nicht alles, was machbar ist, für den Patienten auch sinnvoll sein muss. Und sicherlich sind auch strenge Kontrollen nötig, um kommerziellen Handel mit Organen zu verhindern. Ein möglicher Missbrauch ist für mich kein hinreichender Grund, um Organtransplantationen abzulehnen. Deshalb halte ich das beschlossene Transplantationsgesetz im Grundsatz für richtig und wichtig.
@abraham
Spätestens dann, wenn das Gebot, Leben zu retten, mit dem Verbot zu Töten kollidiert, fällt diese Argumentation in sich zusammen. Es geht eben nicht um die Abwägung von höheren gegen niedere Werte, sondern es geht um die Abwägung gleicher Werte.
Die Unterscheidung zwischen einem „lebenden oder toten“ Gehirn ist eine willkürliche, da das Gehirn ja offensichtlich noch lebt, nur keine sichtbare Reaktion mehr zeigt. Wenn es tot wäre, würde es zerfallen.
„Wähle das Leben“ ist demnach eine sehr unzureichende Empfehlung, solange man nicht benennt, wer da wählt. Es ist das Gehirn selbst, das sich als „höheres“ und deshalb zu rettendes Organ begreift und daher die Entscheidung trifft. Diese Entscheidung kann selbstverständlich nur ein Gehirn durchsetzen, das zu Äusserungen fähig ist, ein stilles Gehirn kann dies nicht.
Mit der Frage nach der Spenderbereitschaft, die an uns herangetragen wird, wird Entscheidungsituation des Organs „Hirn“ beeinflusst, bzw. ausgenutzt. Selbstverständlich verlangt ein funktionierendes Gehirn von anderen Körpern, wie auch von dem eigenen, die ständige Verfügbarkeit von Organen. Selbstverständlich ist für ein Hirn, dem die Möglichkeit seines eigenen (erlebbaren!) Todes vorgeführt wird, die Entscheidung „Wähle das Leben“ leicht getroffen.
Wie steht es aber mit der Möglichkeit, daß ein „stilles Hirn“ das Leben wählt, dies aber nicht mehr durchsetzen kann?
Sie führen Ihre bei Bewußtsein getroffene Entscheidung an, Organe spenden zu wollen. Nichts dagegen und es ist tatsächlich eine rein private Entscheidung.
Wie aber, wenn Sie sich im Zustand des „stillen Hirns“ dagegen entschieden?
Wie aber, wenn Sie am Krankenbett, mit lebensbedrohlichem Versagen eines Organs, gefragt würden, ob Sie nicht auf des Weiterleben verzichten mögen, zugunsten anderer?
Der Punkt ist: Das Gehirn entscheidet sich in der Hoffnung, die ganze Sache ginge es im Falle des Falles gar nichts mehr an, aber in der Angst, die ganze Sache dennoch als zeitlose Qual miterleben zu müssen. Es entscheidet rein egoistisch.
Es tut dies deshalb, weil ihm sein eigener Tod und der Zustand des „stillen Hirns“ als Einsamkeit und ewige Folter beschrieben wird, sozusagen als „Hölle auf Erden mangels körperlichen Ablebens“ und eben nicht als Zustand völliger Empfindunglosigkeit und Bewußtlosigkeit. Tatsächlich glaubt es eben nicht an die Möglichkeit, in einem lebendigen Körper tot zu sein, sondern an eine Gefangenschaft im lebenden Körper.
Bezeichnend ist hierbei der Satz „So möchte ich nicht leben!“. Das Hirn stellt sich halt doch vor, wie es ohne Hirn so wäre…
@ # 6 Standort
“Spätestens dann, wenn das Gebot, Leben zu retten, mit dem Verbot zu Töten kollidiert, fällt diese Argumentation in sich zusammen. Es geht eben nicht um die Abwägung von höheren gegen niedere Werte, sondern es geht um die Abwägung gleicher Werte.“
Exakt so sieht es die jüdische ethische Tradition. Eine Organspende eines sich nicht im endgültigen Sterbensprozess befindlichen Menschen, die mit Sicherheit zu seinem Tod führt, wäre somit unzulässig, auch wenn sie freiwillig geschieht. So weit sind wir uns noch einig.
Unterschiedlich sehen wir die Frage, wann das Leben endet und der Tod beginnt, die Sie zu Recht als die zentrale Frage ansprechen. Die jüdische Ethik (soweit ich weiß anders als die christliche Theologie) zieht keine Scharfe Grenze, sondern geht von einem Zwischenzustand aus, dem endgültigen Sterbeprozess. Dieser tritt dann ein, wenn der Mensch unumkehrbar ohne fremde Hilfe sterben wird. Ist dieses Stadium erreicht, kann nicht mehr die Wahl fürs Leben getroffen werden. Dann ist es erlaubt, den Menschen sterben zu lassen. Die Entscheidung, wann das Stadium des endgültigen Sterbeprozesses erreicht ist, darf von den Erwägungen, dass die Organe des Sterbenden ein anderes Leben retten könnten, nicht beeinflusst sein, so die Auslegung der jüdischen Religionsgesetze.
Was Sie im folgendem ansprechen, ist die Frage der Autonomie des Menschen mit seinem Bewusstsein (das ich nicht auf das Gehirn und seine Funktionen beschränken möchte, das aber sicher entscheidend davon abhängt) gegenüber dem Wesen aus Körper und Maschine (denn ohne Maschinen könnte dieses Wesen sein biologisches Leben nicht fortsetzen), das er nach dem Erlöschen der Hirnfunktionen werden könnte. Für die Entscheidung, ob ich diese Autonomie verteidigen möchte, hilft mir letztlich keine Philosophie und keine Ethik. Ich kann meine Entscheidung nur für mich, als der ich bin, treffen, nicht für den, den ich sein könnte.
@ Abraham
„Ein möglicher Missbrauch ist für mich kein hinreichender Grund, um Organtransplantationen abzulehnen. Deshalb halte ich das beschlossene Transplantationsgesetz im Grundsatz für richtig und wichtig.“
Es geht hier doch nicht darum, Organtransplantationen allgemein abzulehnen. Zu einer umfassenden Aufklärung gehört es aber doch, auch die Bedenken klar zu benennen. Besonders dann, wenn gerade eine Regelung beschlossen wurde, die festlegt, dass künftig alle Krankenversicherten ab 16 (!) Jahren im 2-Jahresrhythmus aufgefordert werden sollen, einer Organspende zuzustimmen, was ich alles andere als „richtig und wichtig“ finde, sondern sehr fragwürdig und manipulativ.
Ich finde bei solch persönlichen Entscheidungen sollte so wenig wie möglich staatlicher Druck ausgeübt werden.
@anna
„sondern sehr fragwürdig und manipulativ.“
Eben darauf zielte mein Argument, daß dem Mensch (dem Gehirn) ein Wissen über einen Zustand vorgegaukelt wird, über den man tatsächlich überhaupt nichts weiß.
Ein Druck, sei er moralisch,wirtschaftlich oder sonstwie geartet, muß dabei unterbleiben.
Deshalb habe ich die Idee mit eingebracht, daß dem „Spender“ alle die Maschinen zur Verfügung gestellt werden müssten, die seine entnommenen Organe ersetzen.
Dies würde zumindest das Kostenargument in der Abwägung zwischen Spende und Maschine entkräften.
Dazu kommt, daß die „Spende“ keine solche ist, sondern ein „Handel“, dessen Gewinn für den Gebenenden überhaupt nicht besprochen wird. Tatsächlich verdienen und gewinnen ja eine Menge Leute an diesem Handel, und es ist nachvollziehbar, daß sie diese Leistung nicht ehrenamtlich erbringen können. Warum aber soll dann der Gebende „ehrenamtlich“ versterben? Nur weil man einen anderen Druck vermutet, nämlich den des geplanten Organhandels? Da gäbe es gewiß andere Methoden, dies zu verhindern.
@ Anna
Keineswegs wurde beschlossen, „dass künftig alle Krankenversicherten ab 16 (!) Jahren im 2-Jahresrhythmus aufgefordert werden sollen, einer Organspende zuzustimmen“. Die Versicherten werden aufgefordert, sich eine Meinung zu bilden und ihre positive oder negative Entscheidung in einem Organspenderausweis zu dokumentieren.
@ Abraham
jetzt seien Sie doch nicht so spitzfindig. 😉 Unterm Strich soll doch so erreicht werden, dass sich möglichst viele Spender finden.
@abraham
Da würde mich nun die religiöse Dimension des Selbstmordes aus Ihrer Sicht interessieren.
Wie dargelegt, ist ja die Feststellung des Todes nicht stimmig, sondern nur eine Todesvermutung oder Sterbenswunschvermutung aufgrund fehlender Antwort bzw. Reaktion.
Diese wird zur Entscheidung herangezogen.
Aus meiner Sicht ist diese eine Entscheidung gegen das eigene Leben aufgrund qualitativer Maßstäbe („So will ich nicht leben“) oder eine Entscheidung für das andere Leben, zur Selbstopferung. („Ich will, daß andere (durch mich) leben“).
Ich betone: Diese Entscheidungen kritisiere ich nicht, sie stehen jedem frei, zumindest in der Bedingung, daß sie vorab unter gesunden Umständen getroffen werden. Sie stellen aber in jedem Fall einen geplanten Selbstmord dar.
Wie würde die Einschätzung aus Ihrer religiösen Sicht zu einem solchen „geplanten Selbstmord“ lauten?
Ich will damit nichts unterstellen, es interessiert mich nur.
@ Anna
Mir ist das Thema zu ernst, um mich um Spitzfindigkeiten zu bemühen. Ich finde das Anliegen der Politik richtig und gerechtfertigt, möglichst viele der Menschen, die grundsätzlich zur Organspende bereit sind (wenn ich mich richtig erinnere, sind es laut Umfragen rund 75 %), dazu zu bewegen, ihre Spendenbereitschaft in einem Organspenderausweis zu dokumentieren. Es ist nicht nötig, die Zweifelnden (und schon gar nicht die gegen Organspende entschiedenen, deren Position ich respektiere) zu überreden.
Ich glaube, dass die Entscheidung der spendenbereiten Menschen weiniger von dem juristischen Begriff des „Hirntodes“ beeinflusst ist, auf den sich auch die Diskussion hier konzentriert. Die von der möglichen Organentnahme zunächst völlig unabhängige Grundfrage lautet meiner Meinung nach nämlich, welche Einstellung der Einzelne zu (maschinellen) Maßnahmen zur Lebensverlängerung einnimmt. Hier kehren sich plötzlich die Fronten im Bezug auf den medizinischen Fortschritt um: Nicht alles, was (technisch) machbar ist, dient dem Interesse des Patienten. Und auch den Wunsch, das Leben mit Maschinen beliebig verlängern zu wollen, könnte man als medizinische Hybris und einen Eingriff in den Schöpfungsplan Gottes oder der Natur bezeichnen. Im Übrigen wird mit der Apparatemedizin und Intensivbehandlung vermutlich noch mehr Geld verdient als mit der Organtransplantation, weil sie weit mehr Menschen am Ende des Lebens betrifft.
Es scheint mir ein gesellschaftlicher Konsens zu sein, den auch die meisten Mediziner inzwischen akzeptieren und dem auch die meisten „Ethikexperten“ (wohl mit der Ausnahme der katholischen Kirche) nicht widersprechen: Dem Patienten steht es zu, über die Einleitung oder Fortsetzung von lebenserhaltenden Maßnahmen zu entscheiden, auch vorab in der Form der Patientenverfügung. Die Entscheidung, das Sterben durch Abstellen der medizinischen Maßnahmen herbeizuführen, ist ausdrücklich auch dann erlaubt, wenn die Hirntätigkeit noch nicht erloschen ist.
Für denjenigen, der per Patientenverfügung sterbenabwendende Maßnahmen am Lebensende ausgeschlossen hat, ist die juristische Kategorie des „Hirntods“ somit nicht relevant. Das Sterben nach dem Abschalten der Apparate, das auch bei den „Hirntoten“ unweigerlich (auch wenn manchmal mit einer Verzögerung von einigen Tagen) eintritt, ist das „gewünschte“ Ergebnis.
Die mögliche Organentnahme, die nur bei einem geringen Teil der Sterbenden in Frage kommt, verändert die Situation nur insofern, dass die körperliche Funktionen noch einige Zeit aufrecht erhalten werden. Dieser Verzögerung des Sterbens stimme ich mit der Deklaration als Organspender zu.
Um die Reihenfolge der Entscheidungen klar zu machen, könnte es sinnvoll sein, in den Organspenderausweis auch eine Patientenverfügung zur Einstellung von lebenserhaltenden Maßnahmen im Falle erloschener Hirntätigkeit aufzunehmen.
Ein Aspekt ist bisher noch nicht genannt worden, den ich sehr wichtig finde. Durch die Zustimmung zur Organspende wird den Angehörigen die Möglichkeit genommen, unmittelbar nach Eintritt des Hirntodes Abschied von dem geliebten Menschen zu nehmen, da derjenige sofort operiert werden muss. (Vorausgesetzt natürlich der Patient stirbt im Krankenhaus, was aber wiederum auch die Voraussetzung für eine mögliche Organspende ist, siehe die Asuführungen Abrahams) Ich habe Interviews mit Menschen gesehen, die diese Praxis als sehr traumatisierend empfunden haben, da der Körper des Toten noch warm ist und statt Ruhe und Raum für Trauer und Abschied die Situation von Hektik geprägt ist. Da nützt es nicht viel sich zu sagen, dass der Tote dadurch anderen Menschen das leben retten konnte. Man stirbt nur einmal im Leben, es stirbt der Vater und es stirbt die Mutter nur einmal.
Ich selbst habe persönliche Erfahrungen mit der Organspende gemacht, da einem nahen Angehörigen von mir eine Niere und Bauchspeicheldrüse transplantiert wurden. Ich habe unter diesem Eindruck viele Jahre einen Spenderausweis besessen, meine Meinung aber inzwischen geändert und mich dagegen entschieden, insbesondere aus oben genannten Gründen und weil ich auf keinen fall im Krankenhaus sterben möchte.
@ Standort
Ich empfinde Ihre Frage keineswegs als Unterstellung und möchte sie, soweit ich kann, beantworten:
Wie ich bereits erläutert habe, kennt das jüdische Religionsrecht (die Halacha) die Kategorie des unumkehrbar Sterbenden, der nicht mehr zu den Lebenden (aber noch nicht zu den Toten) gehört. Erreicht ein Mensch diesen Zustand, muss sein Leben nicht mehr gerettet werden, sodass die Übertretung der anderen Gebote nicht mehr erlaubt ist. Wann diese Grenze erreicht ist, darüber gibt es eine Diskussion, die nicht endet, weil sich die Lebensumstände, der Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse und der medizinischen ständig ändern. Die Rabbiner (und Rabbinerinnen) versuchen seit Jahrhunderten in ihren Stellungnahmen (Responsa) „praxisgerechte“ Kriterien zu geben, die eine Grundlage für die Entscheidung in einer konkreten Situation sein sollen, die der dann Handelnde nach „bestem Wissen und Gewissen“ zu treffen hat. Da das praktische Handeln und nicht die Einhaltung irgendwelcher Dogmen im Vordergrund steht, hat die jüdische Tradition kein Problem damit, dass in Grenzsituation die Güterabwägung von einem fehlerbehafteten Menschen mit einem begrenzten Wissen erfolgt. Grundsätzlich ist keine menschliche Handlung nicht gänzlich „stimmig“ und erfolgt aufgrund von Vermutungen, doch im Rahmen seiner Möglichkeiten ist der Mensch zur Unterscheidung von Gut und Böse fähig und zur Entscheidung verpflichtet. Das Abstellen von Maschinen, die einen Menschen am Sterben hindern, ist also trotz der bestehenden Unsicherheit darüber, ob der Sterbeprozess unumkehrbar ist, kein „geplanter Selbstmord“ (und auch kein Mord).
Das menschliche Leben (wie auch die Natur) ist nach jüdischer Tradition eine Schöpfung Gottes und somit auch sein „Eigentum“. Der Mensch „besitzt“ nicht seinen Körper, er hat ihn zur Nutzung überlassen bekommen. Er muss alles unterlassen, was den Körper schädigt. Drogen, zu viel Alkohol, Schönheitsoperationen und Ähnliches sind verboten, über Rauchen sind sich die Rabbiner nicht einig geworden. Der Mensch kann weder über seinen Körper noch über sein Leben (solange es ein Leben, und nicht bereits ein Sterben ist, siehe oben) verfügen. Dies bedeutet ein klares Verbot der Selbsttötung. Nur dann, wenn er sonst zur Leugnung Gottes oder zu anderen schweren Untaten wie Mord oder Unzucht mit nahen Verwandten gezwungen wäre, darf er „zur Heiligung des göttlichen Namens“ den Märtyrertod – auch durch eigene Hand – wählen.
Seinen Tod herbeizuführen, um einem anderen Menschen zu helfen (also Selbstmord zur Organspende), ist vom jüdischen Religionsgesetz eindeutig untersagt. Es ist aber nach der Meinung vieler Rabbiner nicht untersagt, eine Organentnahme zur Rettung eines anderen Lebens vorzunehmen, wenn durch eine Selbsttötung der unumkehrbare Sterbensprozess eintritt.
Auch wenn der Selbstmörder gegen Gottes Gebot verstößt, bleibt seine Tat in der jüdischen Tradition weitgehend ohne Konsequenzen (z.B. im Bezug auf das Erbrecht oder in der Art der Behandlung der Leiche). Auch eine „weltliche“ Bestrafung von erfolglosen Selbstmördern ist nicht vorgesehen. Es ist sozusagen eine Angelegenheit zwischen Mensch und Gott. Da das Judentum keine ausgeprägten Jenseitsvorstellungen hat, gibt es auch keine konkrete Drohung mit Höllenstrafen.
Wenn aber die Selbsttötung eine Angelegenheit zwischen Mensch und Gott ist, kann sie als Ausdruck des von Gott gegebenem freien Willen ein Akt der Auflehnung gegen Gott sein. Es kann die letzte menschliche Antwort auf die unlösbare Frage sein, warum Gott Böses auf der Welt zulässt.
Ich bin mir bewusst, dass meine Antwort nicht frei von Widersprüchen ist und zum Widerspruch herausfordert. Aber auch das ist jüdische Tradition.
@ Abraham, maat
Erstmal finde ich es sehr respektabel, wenn sich jemand wie Sie, Abraham, so uneingeschränkt zur Organspende bekennen kann.
Ich habe – ähnlich wie maat – ganz persönliche Vorbehalte: Der Gedanke, dass ich selbst oder Menschen, die mir nahe stehen nach einem Hirntod wie ein Ersatzteillager betrachtet werden würden, ist mir ein Gräuel.
Und ich möchte nicht alle zwei Jahre, nach dem Motto „steter Tropfen höhlt den Stein“ wieder und wieder dazu gezwungen werden, darüber nachzudenken. Denn ich bin mir sicher, wenn sich meine Einstellung diesbezüglich ändern würde, dann würde ich von ganz alleine die Initiative ergreifen und einen Organspenderausweis beantragen.
@ maat
Ich verstehe Ihren wichtigen Einwand. Liesse sich dies aber durch bessere Betreuung der Angehörigen und durch Abläufe, die mehr Rücksicht auf deren Bedürfnisse nehmen, entschärfen?
Was das Sterben zu Hause betrifft: Bei einem „natürlichen“ Sterbeprozess tritt der Hirntod erst als Folge des Versagens anderer Organe ein, was eine Ogranspende einschließt. Bei Situationen, die zum kompletten Ausfall der Hirnfunktionen führen, wird sich der Patient regelmäßig bereits im Krankenhaus befinden oder bei einem Unfall dorthin gebracht.
An welche Situation denken Sie, die Sie durch Ablehnung der Organspende vermeiden wollen?
Bitte missverstehen Sie mich nicht: Ich will Sie nicht „missionieren“, sondern ihre Position verstehen.
@ Anna
„Der Gedanke, dass ich selbst oder Menschen, die mir nahe stehen nach einem Hirntod wie ein Ersatzteillager betrachtet werden würden, ist mir ein Gräuel.“
Dieser Satz von Ihnen hat mir klargemacht, dass unsere sehr unterschiedlichen Einstellungen mit den verschiedenen kulturellen Traditionen zu tun haben, die Christen und Juden bei dem Umgang mit dem Tod pflegen.
Eine der wichtigsten Einrichtungen einer jüdischen Gemeinde ist die Begräbnisgesellschaft Chewra Kadisch („Heilige Brüderschaft“), die sich ehrenamtlich um die Beerdigung der Toten und die Betreuung der Trauernden kümmert. Die Mitglieder der Chewra Kadischa übernehmen die Sorge – ohne Mitwirkung der Hinterbliebenen – um den Körper des Verstorbenen, begleiten diesen, führen die rituelle Waschung durch und bereiten das Begräbnis vor. Eine Aufbewahrung des Toten ist nicht vorgesehen, es ist auch nicht „schicklich“, den Toten nochmals zu sehen. Gleichzeitig gibt es ein zunächst eine Woche dauerndes Trauer- und Abschiedsritual, das Schiwe-Sitzen. In dieser Zeit verlassen die Trauernden nicht ihr Haus (außer zu der Beerdigung) und werden von Freunden und Bekannten besucht, die auch Essen mitbringen. Der Mensch, um den man trauert, wird damit auch emotional von seinem toten Körper „getrennt“, „der“ Tote und sein Leichnam werden nicht als identisch wahrgenommen.
Dies erklärt vielleicht, warum wir das Geschehen um den Tod so unterschiedlich bewerten und weshalb Ihnen meine Überlegungen wenig hilfreich sind.
@Anna
Ich möchte die Wortwahl (Ersatzteillager) von Dir nicht übernehmen, da ich eben auch die andere Seite kenne, die desjenigen der ein Organ empfängt. Es handelt sich um schwerwiegende Operationen. Auch danach muss der Patient lebenslang starke Medikamente nehmen, welche die Immunabwehr unterdrücken. Mit dem (einfachen) Austauschen von Ersatzteilen hat das nichts zu tun.
@Abraham
Ich denke an die Situationen wie folgende. Jemand hatte einen Unfall und wurde auf der Intensivstation eingeliefert mit der entsprechenden intensivmedizinischen Versorgung. Wenn nun bei einem solchen Patienten damit zu rechnen ist, dass er bald sterben wird und die Angehörigen an seinem Bett wachen und tatsächlich der Hirntod eintritt, müssen –falls er einer Organspende zugestimmt hat-umgehend die Organe entnommen werden. Das heißt die Angehörigen haben keine Zeit bei dem Patienten zu bleiben um den Tod tatsächlich zu begreifen. Ich glaube nicht, dass man diese Praxis hinsichtlich der Abläufe verbessern kann. Da meines Wissens unmittelbar nach dem Eintritt des Hirntodes operiert werden muss. Die Angehörigen könnte man sicher besser betreuen. Ich wurde allerdings noch nie psychologisch betreut bei meinen Kontaken mit Krankenhäusern. Die Abläufe in einem Krankenhaus sind sehr technisch.
@Abraham
Du hast geschrieben: Bei einem “natürlichen” Sterbeprozess tritt der Hirntod erst als Folge des Versagens anderer Organe ein, was eine Organspende einschließt.
Es muss doch heißen: „ausschließt.“
Man kann nur transplantieren, wenn der Hirntod VOR dem Herztod eintritt- das ist sowieso nur bei sehr wenigen Fällen (1Prozent der im Krankenhaus gestorbenen) der Fall. Wenn man aber zu dieser Gruppe gehört, sieht die Situation wahrscheinlich so aus, wie von mir oben beschrieben.
@ maat
Danke für die Korrektur, selbstverständlich muss es „ausschließt“ heißen.
Die Situation im Krankenhaus beschreibst Du sicher realistisch, die Abläufe sind nich auf das Interesse der Patienten, sondern zur Optimierung der technischen Abläufe ausgelegt.
Auch wenn etwas „schnell“ gehen muss, kann man Hektik vermeiden und Raum für die Angehörige schaffen. Auch nach der Organentnahme wäre eine Abschiednehmen möglich; womöglich ist aber auch des Krankenhauspersonal überfordert, mit Tod (über das rein körperliche hinaus) umzugehen. Das trifft, leider, nicht nur auf Organentnahmen zu, sondern genauso auf das „gewöhnliche“ Sterben.
@ maat # 19
Ich verstehe nicht richtig, was du mit deinem Einwand sagen willst.
Meinst du, dass fremde Organe nicht als „menschliche Ersatzteile“ bezeichnet werden sollten, weil sie dem Empfänger Beschwerden bereiten?
Oder willst du nur darüber aufklären, dass Organtranplantationen oftmals gar nicht zu einer wirklichen Steigerung der Lebensqualität führen?
@ Abraham
Soweit ich unsere früheren Diskussionen verstanden habe, mag ich gerne zugestehen, dass Abraham, Broder, Brumlik oder Cohn-Bendit vom Judentum mehr verstehen als ich, aber sie (bzw. Sie) sprechen zunächst nur für sich, ihre eigene Auslegung des Judentums bzw. für diejenige Richtung, der sie sich selbst zugehörig fühlen. Davon unberührt finde ich Ihre Ausführungen ausgesprochen interessant.
@ all
1. Der Begriff des „Ersatzteillagers“ trifft auf Seiten der explantierenden Ärtze voll zu, denn letztendlich kann und wird alles Verwertbare im wahrsten Sinne des Wortes ausgeschlachtet. Nach Angaben der „Initiative Organspende Rheinland-Pfalz (IO-RP)“ (Landeszentrale für Gesundheitsförderung in Rheinland-Pfalz e.V) werden einem Organspender „durchschnittlich drei Organe entnommen“.
Als transplantierbare Organe gelten: Lunge, Herz, Nieren, Leber, Bauchspeicheldrüse und Dünndarm. In Einzelfällen wurden aber auch schon Körperteile wie Gesicht, Hände, Arme, Luftröhre, Kehlkopf, Zunge und Penis entnommen. Zu den transplantierbaren Geweben gehören: Haut, Brustwarzen, Knochen und Knochenteile, Gehörknöchelchen, Herzklappen, Herzbeutel, Augen bzw. Augenhornhaut, Blutgefäße, Knorpelgewebe, Sehnen und Bänder, Teile der Hirnhaut, Eizellen usw..
Aufgrund der möglichen Erlöse führt dies fast zwangsläufig dazu, dass die Explanteure möglichst viel aus dem Körper eines Sterbenden ausschlachten und weiterverkaufen.
Zur Explantierung wird der Körper des Sterbenden von der Kehle bis zum Schambein aufgeschnitten, aufgesägt, aufgemeisselt (der Waidmann spricht von „aufbrechen“). In den dadurch aufgeklappten Körper wird eine Kühllösung gegossen, die Explanteure stehen wegen der Blut- und Wasserüberschwemmung des Fußbodens häufig auf Matten oder Tüchern. Die einzelnen Organe werden herausgeschnitten, wie z.B. die Nieren, die Leber, die Lungenflügel, die Augen und zuletzt das noch schlagende Herz – erst dadurch tritt der eigentliche Tod der ausgewaideten körperlichen Hülle des Patienten ein, während die entnommenen Organe weiter „leben“. Für jedes zu entnehmende Organ kann ein anderes Explantierungsteam zuständig sein, sodass sich diverse Chirurgen das Skalpell weiterreichen.
Der ausgewaidete Leichnam muss danach durch das Pflegepersonal oft erst wieder ausgestopft und – z.B. mit Besenstielen – stabilisiert und zugenäht werden, bevor er an den Bestatter übergeben wird. Herausgenommene Augen werden zugeklebt oder durch Glasaugen ersetzt.
Wie hoch der Anteil der Entnahmen ist, die gar nicht für Transplantationen, sondern für Forschungszwecke verwendet werden, ist nicht bekannt.
2. Maat schneidet einen fast immer übergangenen Aspekt an: die Folgen für die Transplantierten. Für viele von ihnen verbessert sich ihre gesundheitliche Situation zwar, dennoch sind sie nicht „geheilt“, sondern müssen mit gravierenden negativen
a) körperlichen,
b) seelischen und sozialen Folgen rechnen.
a) Körperliche Folgen
OrganempfängerInnen sind häufig chronisch Kranke, deren Leben stark eingeschränkt oder bedroht ist. [1]
Doch auch nach einer erfolgreichen Transplantation werden sie nie mehr ein ganz normales Leben führen können. Die Transplantatabstoßung bleibt eine ständige Bedrohung, denn der Körper erkennt das implantierte Organ als fremd und bekämpft es – die Zellen des Transplantats enthalten je andere Gene, also einen anderen Bauplan als die Zellen des „Spenders“.
Um diese Reaktion auszuschließen, müssen ständig Gewebeproben entnommen und untersucht werden. Lebenslänglich muss diese Abstoßung medikamentös verhindert werden – zumindest jedoch bis zur nächsten Transplantation. Nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation von 1997 müssen 15 von 100 EmpfängerInnen einer Spenderniere innerhalb eines Jahres und weitere 30 bis 40 innerhalb der ersten fünf Jahre nach der Transplantation erneut transplantiert werden. Für andere Organe sind die Aussichten noch schlechter. Untersuchungen belegen zudem, dass Dialyse-PatientInnen länger leben als Nierentransplantierte.
Die – oft hochdosierte – Medikamenteneinnahme führt zur Abwehrschwäche und einer erhöhten Infektionsgefahr durch Bakterien, Viren, Pilze. Transplantierte leiden häufig unter Schwächegefühl, Potenzstörungen, Gliederschmerzen, einem veränderten Aussehen (z.B. durch aufgeschwemmtes Gesicht und Nacken, Stammfettsucht, Akne und Gewichtszunahme), Müdigkeit, Zittern, Kopfschmerzen, Empfindungsstörungen oder unter epileptischen Anfällen. Als Nebenwirkung der Medikamente können auch Krebserkrankungen auftreten. Jeder fünfte Todesfall unter Transplantierten wird durch eine medikamentös bedingte Krebserkrankung hervorgerufen.
Bei Explantieren der erkrankten Organe des Empfängers werden alle dazugehörigen Gefäße und Nerven durchtrennt. Die Transplantation des fremden Organs führt bei der Wiederherstellung dieser Verbindungen häufig zu (innerem) Narbengewebe oder Gefäßabrissen und lebensbedrohlichen Blutungen. Daher sind nicht selten Folgeoperationen und -eingriffe notwendig. Nierenfunktionsstörungen, ein arterieller Bluthochdruck, Magen-Darm-Geschwüre, Stoffwechselstörungen und neurologische Störungen können auftreten.
b) Seelische und soziale Folgen
Transplantierte leiden oft unter den Zwängen einer lebenslang notwendigen Immunsupression, der Einnahme weiterer Medikamente,d en regelmäßig stattfindenden Kontrolluntersuchungen – z.B. dem jährlichen Herzkatheder oder der wöchentlichen Blutabnahme. Damit werden sie immer wieder an ihren Zustand erinnert wird, sie fühlen sich wie mit einer unsichtbaren Kette an ihre Klinik gebunden ud sie wissen, dass sie äußerlich nie wieder ein freier Mensch sein werden.
Nicht selten sind sie gezwungen, rund um die Uhr einen Mundschutz zu tragen, den Körperkontakt sogar zu ihren Angehörigen zu meiden, Haustiere abzuschaffen, das Haus oder die Wohnung umzubauen, um eine eigene Toilette, ein eigenes Waschbecken, ein eigenes Schlafzimmer zu benutzen. Eventuell ergeben sich in Familie und/oder Partnerschaft neue Rollenverteilungen, die vielleicht nicht akzeptiert werden und zum Scheitern einer Partnerschaft führen. Wer z.B. vor der Transplantation durch Familienangehörige versorgt wurde, muss oder will nach der Transplantation die Position des Versorgtwerdens aufgeben.
Bereits vor der Transplantation kann es bei den OrganempfängerInnen zu Schuldgefühlen kommen. Wenn ihnen nämlich bewusst wird, dass sie auf den Tod eines anderen Menschen hoffen – und dass tatsächlich jemand für das eigene Weiterleben starb. Mitunter erwacht das Bewußtsein, daß Organe stets lebend entnommen werden. Manche leben mit dem Gefühl, einem Menschen ein Organ gestohlen oder sie sogar verletzt oder getötet zu haben.
Oft beschäftigen sich die EmpfängerInnen intensiv mit mutmaßlichen SpenderInnen, wobei das Geschlecht, die ethnische Herkunft oder mögliche Vorlieben eine zentrale Rolle spielen. Vorstellungen, mit einem fremden Organ das Geschlecht gewechselt, die ethnische Identität oder persönliche Vorlieben übertragen bekommen zu haben, sind nicht selten. Eine Transplantation kann zu Identitätsstörungen, Persönlichkeitszusammenbruch oder Entfremdungserscheinungen führen. Auch Ängste oder Depressionen können auftreten. Diese psychischen Probleme können zu einem negativen Ausgang der Transplantation (z.B. durch die Organabstoßung) führen.
Im Februar 2010 titelte die Ärzte Zeitung „Leben mit Spenderorgan – eine Narbe, die nie verheilt“. In dem Artikel geht wird der Mangel an Psychotherapeuten in Deutschland beklagt, die sich mit den psychischen Folgen von Organtransplantationen auskennen
Aber auch der Verbleib des eigenen, explantierten Organs wirft Fragen auf: was passiert eigentlich mit meinem herausgeschnittenen Herz? Landet es mit herausoperierten eitrigen Mandeln, abgetriebenen Foeten, Krebsgeschwüren, blutigen Tupfern und sonstigem „Abfall“ im Krankenhausmüll?
siehe auch:
»Herzloser Tod« – Sterben wie auf einer Schlachtbank
http://www.das-weisse-pferd.com/00_01/organtransplantation.html
[1] Auf diesen Aspekt möchte in einem folgenden Beitrag eingehen.
3. Obwohl die Kriterien zur Aufnahme in die Warteliste und zur Verteilung der Organe rein medizinisch begründet sein sollen, spielen dabei tatsächlich nicht allein medizinische Kriterien eine Rolle. TransplanteurInnen können auch den „seelischen Gesamtzustand“, die „individuelle Gesamtsituation“ und die „längerfristigen Erfolgsaussichten“ der PatientInnen bei ihrer Entscheidung berücksichtigen.
Damit finden jedoch auch ganz persönliche Einschätzungen und Interessen der Transplanteure Eingang in die Beurteilung. PatientInnen mit bestimmten Risikofaktoren können nach den Richtlinien der BÄK völlig von der Transplantation ausgeschlossen werden. Hierzu zählen beispielsweise HIV-Infizierte oder AIDS-Kranke und andere PatientInnen mit schwerwiegenden Erkrankungen, die den Transplantationserfolg in Frage stellen. Aber auch Verhaltensauffälligkeiten wie schwerer Missbrauch von Nikotin, Alkohol und sonstigen Drogen versperren den Weg zur Warteliste. Ebenso können PatientInnen ausgeschlossen werden, die als zu eigensinnig gelten und vermutlich den ärztlichen Vorgaben nicht ausreichend folgen (in der Fachsprache: „mangelnde Compliance“).
„Wirklich dramatisch ist, dass das im Zusammenhang mit Organspende hoch gehaltene Selbstbestimmungsrecht mittlerweile geradezu ad absurdum geführt wird. Denn […] die Frage nach der Organspendebereitschaft stellt per se eine Nötigung zur Organspende dar. Wer sich dagegen entscheidet, fällt quasi aus der „Leben schenkenden“ Sozialgemeinschaft.
Dass diese außerdem nicht bereit ist zu reflektieren, weshalb der Organbedarf immer größer wird, passt in den funktionalen Denkhorizont des gesamten Transplantationssystems.
Organversagen in Folge von Übergewicht, Drogen- und Medikamentenmissbrauch [1] nehmen ebenso zu wie die Retransplantationsrate, wenn das Organ erneut versagt. Ärzte klagen vermehrt über die mangelnde Disziplin transplantierter Patienten. Das heißt nicht, dass die Betroffenen in Schuldhaft für ihre Krankheit oder ihr Verhalten genommen werden sollen. Aber umgekehrt dürfen dann alle übrigen auch nicht zu potentiellen Organschuldnern gemacht werden.“ [2]
[1] „Die typischen Zivilisationskrankheiten Diabetes oder Bluthochdruck führen vermehrt zu Nierenschäden. Die Zahl der Dialysepatienten nimmt zu.
Neben übermäßigem Alkoholkonsum und dem Rauchen bringen zunehmend die Volkskrankheiten Bluthochdruck und Diabetes die Nieren in Gefahr. 40 Prozent aller Patienten mit Diabetes entwickeln im Laufe ihres Lebens Nierenschäden, 20 Prozent aller Hochdruckpatienten sterben an Nierenerkrankungen.“
Organversagen – Üppiges Leben geht an die Nieren, 15.09.2007
http://www.focus.de/gesundheit/gesundleben/vorsorge/news/organversagen_aid_132884.html
[2] Entnahme am lebenden Menschen, 13.03.2011
http://www.freitag.de/politik/1110-entnahme-am-lebenden-menschen
@Anna
Ich wollte damit zum Ausdruck bringen, dass ich die Wortwahl als zynisch empfinde, da der Begriff aus der Technik stammt und einen einfachen Austausch von Ersatzteilen zum Ausdruck bringt, der bei einer Organtransplantation nicht gegeben ist. Es sagt sich so leicht und man liest es immer wieder in Zeitungen. Wer eine Organtransplantation erlebt hat, wird einen solchen begriff nicht verwenden. Auch wenn man gegen die Organtransplantation eingestellt ist, sollte man sich das Leid beider Seiten vergegenwärtigen, was für mich diese Wortwahl ausschließt, da sie in meinen Augen alles andere als einfühlsam ist.
Nachsatz:
Ich bin darüber hinaus der Ansicht, dass die Diskussion über Lebensqualität (und Sterbensqualität) tatsächlich eine zentrale Rolle spielen wird in den ethischen Diskussionen der nahen Zukunft. Da sehr viel technisch möglich ist, geraten immer mehr Menschen in die Lage für sich selbst eine Grenze definieren zu müssen, die ihnen der Staat (über Gesetze) nicht abnehmen kann. Dass die Fülle an medizinischen Möglichkeiten auch eine Last sein kann, ist daher offensichtlich. Es ist nicht einfach zu sagen: Diese Therapie lasse ich mit mir machen, jene jedoch nicht. Unsere heutige Medizin setzt einen mündigen Patienten voraus. Das betrifft nicht nur die Organspende, es betrifft auch die Therapie unheilbarer Krankheiten, die Reproduktionsmedizin und die Intensivmedizin (per Patientenverfügung).
@ maat # 23
Die Bezeichnung „Ersatzteillager Mensch“ ist dem obigen Beitrag Susanne Grosses entlehnt, einer ehemaligen Krankenschwester, die früher in der Betreuung von hirntoten Organspendern tätig war. Ihr wirst du wohl schwerlich mangelnde Einfühlsamkeit vorhalten wollen. Ich finde es überhaupt wenig einfühlsam, anderen mangelnde Einfühlsamkeit vorzuhalten.
Der Begriff „Ersatzteillager“ scheint sich bei Kritikern der Organtransplantation etabliert zu haben, welche die Verhältnisse als zynisch und deshalb den zynischen Ausdruck als adäquat empfinden. Die Analogie zur Maschinentechnik ist ja, entgegen deinem Protest so abwegig nicht, wie meinen Ausführungen zu entnehmen ist. Die einfühlsamste Wortwahl ist immer noch die, die Dinge bei ihrem Namen zu nennen.
Vielleicht ist es ja auch kein Zufall, sondern aus den Erfahrungen der Pflegerin mit den Ärzten erwachsen, dass sie hervorhebt: „Der Mensch ist in seiner Gesamtheit mehr als nur die Summe seiner Teile!”
@Heinrich
Bitte, du kannst die Begriffe verwenden, die du möchtest. Ich halte den Ausdruck für unangemessen auf Grund meiner Erfahrung. Ich empfinde den Ausdruck als ausgesprochen verletzend.
@ maat
„Bitte, du kannst die Begriffe verwenden, die du möchtest.“
-Danke, das ist nett.
„Ich halte den Ausdruck für unangemessen auf Grund meiner Erfahrung.“
– Bitte, du kannst die Begriffe verwenden, die du möchtest.
@ Abraham # 18
Danke für Ihre interessante Erläuterung, die vielleicht tatsächlich ein Stück weit erklären mag, weshalb Sie grundsätzlich viel weniger Bedenken bezüglich Organtransplantationen haben.
Allerdings bleibt für mich nach wie vor die geplante Mobilisierung von unentschlossenen, potentiellen Spendern fragwürdig – und zwar nicht nur weil mir eine so großangelegte Aktion völlig überdimensioniert und am tatsächlichen Bedarf vorbeigehend erscheint.
Ich hielte es für weitaus sinnvoller, mehr Geld und Forschungsaufwand in die Prävention von organschädigenden Krankheiten zu stecken anstatt sich so sehr auf Organtransplantationen zu konzentrieren.
@ maat
Obwohl Heinrich dankenswerter meine Antwort an dich schon vorweg genommen hat, doch noch ein paar Worte von mir:
Wer es bei solch sensiblen Themen wagt, „to call a spade a spade“ gerät leicht in den Verdacht, „nicht einfühlsam“, kalt usw. zu sein. Und ich will auch gar nicht bestreiten, dass diejenigen, die einen Organspenderausweis besitzen, rein ideell motiviert sind und aus purer Nächstenliebe und Hilfsbereitschaft dazu bereit sind. Das möchte ich auch keinem nehmen. Nur finde ich es dann überhaupt nicht in Ordnung, wenn das als Maß aller Dinge erklärt wird und nüchternere Beurteilungen verpönt werden. Denn so geraten viele moralisch unter Zugzwang, was der geplanten Aktion natürlich sehr zu Gute kommt.
@Anna
Nun, ich habe überhaupt kein Problem mit nüchternen Beurteilungen, sofern sie gegenüber den betroffenen Menschen respektvoll sind. Ich finde es ja gerade so wichtig, dass es genügend Aufklärung gibt und sich jeder genau überlegt, was ihn selbst oder die Angehörigen erwarten wird im Falle einer Zustimmung. Eine Krankenschwester auf der Intensivstation, die hirntote Menschen betreut hat sicher eine andere Perspektive als ein Arzt der sich um transplantierte Menschen kümmert. Und ich habe eben auch eine persönliche Perspektive. In meiner Kindheit/Jugend musste ich über Jahrzehnte miterleben wie ein Familienmitglied schwer krank war und schließlich transplantiert werden konnte. Wir haben das damals als ausgesprochen segensreich empfunden und ich bin dem Spender noch heute dankbar. Wie ich schon schrieb, habe ich mich inzwischen gegen einen Spenderausweis entschieden-ziemlich nüchtern sogar. Ich sehe mich da keineswegs unter Zugzwang oder Druck. Von mir aus kann mich meine Krankenkasse einmal im Jahr fragen- ich habe damit kein Problem. Die Bereitschaft zur Organspende ist vollkommen persönlich und ich respektiere da jede Entscheidung. Ich finde es aber wichtig, dass man nicht vergisst, dass hinter jedem Fall auf beiden Seiten ein Mensch steht und eben keine Maschine udn eine Familie, die Trauert oder bangt und hofft.
Nachtrag:
Die Tatsache, dass jedes Jahr die Bereitschaft abgefragt werden soll, mag als Druckmittel erscheinen. Ich finde es auch etws übertrieben. Es hat aber auch Vorteile. Die Angehörigen und Ärzte können sicher sein, dass es sich um eine aktuelle Willensbekundung des Patienten handelt. Schwierig wäre zum Beispiel, wenn die Person X mit 30 der Organspende zustimmen würde, die Sache dann aber irgendwie vergisst und dann mit 50 die Meinung ändert und nicht mehr dran denkt, die Daten bei der Kasse zu ändern. So gesehen, kann es auch ein Schutz sein.
Aus pflegerischer Sicht kann ich diese Diskussion um „Ersatzteillager“ nicht nachvollziehen.
Für mich gilt, daß jeder Patient das bekommt, was er braucht, unabhängig von Überlegungen, was er ist und was aus ihm wird. Man geht in das Zimmer, konzentriert sich auf den Patienten, führt die Pflegehandlungen aus, geht aus dem Zimmer und vergißt. Man muß in dem Beruf lernen, daß man weder die Welt, noch die Menschen ändern kann.
Der eben gerettete Infarktpatient begegnet einem am nächsten Tag mit einem Stück Torte auf dem Balkon, der therapierte Arbeitssüchtige tippt Termine in’s Kalenderchen, der Burn-Out-Patient telefoniert mit der Arbeitsstelle, dem Allergiker bringt einer Blumen mit und der Lungenkranke raucht zwischen zwei Sauerstoffanwendungen schnell mal eine Filterlose, der verwahrloste Einzelgänger verwahrlost nach Bad und Dusche wieder und der schwerverletzte Raser wird wieder ein Raser.
Selbst der Empfänger einer gespendete Lunge kann einem später rauchend über den Weg laufen, dem Tod von der Schippe gesprungen und schon wieder vor dessen Besen herhüpfend, als wär das Leben ein Spaß mit Reset.
Was soll man da tun? Die Menschen mit Schimpf und Schande empfangen, mit einem Tritt entlassen und das nächste Mal wegen mangelnder Einsicht versterben lassen?
Nein,man geht rein in’s Zimmer, tut was getan werden muß, freundlich, konzentriert, geht aus dem Zimmer und vergisst.
Aus meiner Sicht kann ein Mensch kein Ersatzteillager sein, ich denke nicht an andere und vergleiche nicht, wenn ich pflege. Der Mensch wird ja nicht so lange am Leben erhalten, bis die Nachfrage stimmt, sondern die Organe werden entnommen, wenn der Tod trotz bester Behandlung eintritt. Oder täusche ich mich da?
Woher mag nun der Eindruck des mangelnden Einfühlens kommen? Vielleicht daher, daß es dem Pflegepersonal nicht soviel Mühe macht, sich einzufühlen? Man lernt es, man tut es täglich und man kann es viel schneller als Ungelernte, man muß es nicht erst im akuten Fall erlernen, wie es die Angehörigen müssen. Diese scheinbare „Mühelosigkeit“ (in Wirklichkeit ist es sehr mühevoll), die durch Angehörige und Betroffene nicht einschätzbar ist, führt oft zu dem Verdacht der mangelnden Einfühlsamkeit oder Teilnahmslosigkeit. Sehr oft sind die Angehörigen aber auch dankbar um den professionellen Umgang des Pflegepersonals, oftmals werden diese ja auch mitbetreut, ganz ohne Auftrag, nur aus dem Mitfühlen heraus (das wird sehr oft vergessen!).
Aber ein Maurer lernt auch nicht bei jeder Mauer neu, ein Bestatter ist nicht überrascht vom Tod und ein Pilot wundert sich nicht, daß das Flugzeug fliegt.
Krankenpflege, Bestatten, Fliegen kann man lernen und es ist unangemessen, dieselbe Betroffenheit, die ein Laie empfindet, von dem professionellen Personal zu verlangen. Man lernt es, damit man es besser als andere kann. Dazu gehört, daß man sich weniger aufregt…
Aber manchmal würde man schon um einen weinen, wenn nicht schon ein anderer klingelte…
Danke, Standort, für Ihre perönliche Darstellung. Ich stimme Ihnen zu.
maat
@ Anna
„Allerdings bleibt für mich nach wie vor die geplante Mobilisierung von unentschlossenen, potentiellen Spendern fragwürdig – und zwar nicht nur weil mir eine so großangelegte Aktion völlig überdimensioniert und am tatsächlichen Bedarf vorbeigehend erscheint.“
Erstens ist eine Tatsache, dass die Zahl der Organspenden in Deutschland deutlich unter dem der auf Organtransplantation wartenden Patienten liegt. Zweitens reicht es – rein organisatorisch – nicht aus, wenn die Zahl der zu Organspende bereiten Menschen etwa der Zahl der Organempfänger entspricht. Der Grund liegt daran, dass bei den etwa 400.000 Menschen, die jährlich im Krankenhaus sterben, nur bei etwa 1 % der Hirntod vor dem Herztod eintritt. Nur diese ca. 4.000 Personen kommen also für Organentnahme in Frage. Wenn jährlich 2.000 Organspenden benötigt werden, bedarf es statistisch einer 50 % Zustimmung zur Organspende.
„Ich hielte es für weitaus sinnvoller, mehr Geld und Forschungsaufwand in die Prävention von organschädigenden Krankheiten zu stecken anstatt sich so sehr auf Organtransplantationen zu konzentrieren.“
Grundsätzlich stimme ich Ihnen zu, aber sind das wirklich Alternativen? Zunächst hilft den Menschen, die heute unter Organversagen leiden, eine solche Forschung nicht. Zum zweiten reduziert eine Prävention die Zahl der nötigen Organtransplantationen, hilft aber nicht bei angeborenen Schäden (die die Ursache für fast alle Herztransplantationen sind) oder wenig beeinflussbaren Krankheiten (die bei Menschen, die „gesund“ gelebt haben, zur Nieren- oder Leberschädigung führt). Die Notwendigkeit, die Organspendenbereitschaft zu „organisieren“, kann die – sicherlich nötige – Prävention nicht ersetzen. Im Übrigen habe ich nicht den Eindruck, dass sich unsere Gesellschaft „so sehr“ auf Organtransplantationen konzentriert, nur weil der Bundestag eine Regelung eines rechtlich schwierigen Themas in Angriff genommen hat. Aber die Wahrnehmung ist sicher stark davon beeinflusst, wie man zur Organspende steht.
Ich möchte die Ausführungen von Abraham, die ich sehr gut finde, noch ergänzen:
Eine erhöhte Spenderbereitschaft würde logischerweise dem illegalen Organhandel (wenn Leute Geld dafür zahlen, bzw. wenn Menschen gegen ihren Willen Organe entnommen werden) die Grundlage entzogen werden. Legale Organtransplantation in Deutschland bedeutet, dass der Patient, der ein Organ benötigt, auf eine Warteliste kommt. Die Position darauf richtet sich nach Dringlichkeit (Leben unmittelbar bedroht), dem allgemeinen Gesundheitszustand/ Lebensführung (Wird der Patient die OP wahrscheinlich überleben? Alkoholiker werden z.B. nicht transplantiert; Wird der Patient die Medikamente einnehmen etc.) und nicht zuletzt danach ob ein passendes (!) Spenderorgan verfügbar ist. Man kann also nicht jedem irgendein Organ einsetzen, sondern mehrere medizinische Aspekte müssen übereinstimmen, um die Abstoßungsreaktion des Körpers möglichst gering zu halten.
Es ist in Deutschland strengstens verboten von Patientenseite Geld dafür zu bezahlen, um einen besseren Platz auf der Liste zu erhalten. Das wäre eine Straftat.
Liebe maat,
es war ganz offenkundig verlorene Liebesmüh, dass ich hier zu dem Thema überhaupt das Wort ergriffen habe, was ich deshalb im Nachhinein bedauere. Hinterher ist man halt schlauer. Die eklektischen und verzerrenden Reaktionen auf meinen kulturgeschichtlichen Essay habe ich schon nur mit Kopfschütteln zur Kenntnis genommen, und was unseren kleinen Disput betrifft, so zeugt der ebenso wenig von der wechselseitigen Verständigung und Verständigungsbereitschaft, wie ich sie von unserem langjährigen produktiven Austausch in Erinnerung hatte.
Um meine Sicht auf diesen eigentlich marginalen Meta-Aspekt der Problemdiskussion noch einmal etwas elaborierter darzulegen als in kurzen und provokanten Sätzen: Ja natürlich sind Menschen keine Maschinen, da rennst du bei mir wahrlich offene Türen ein, was man als kritischen Subtext auch meinem Essay hätte entnehmen können, wie ich dachte. Insofern ist deine Kritik an der Sprachwahl natürlich mehr als berechtigt, das dachte ich eben nicht ausdrücklich bestätigen zu müssen.
Was mich gleichwohl hierzu auf den Plan gerufen hat, war dein moralisierender Impetus. Einen sprachlich für misslich oder inadäquat geachteten Ausdruck zu kritisieren ist die eine Sache, eine andere Sache ist es, denjenigen, der entsprechende Ausdrücke benützt, mit moralischen Verdikten, wie „wenig einfühlsam“ zu belegen. Inakzeptable Ausdrucksweisen, die sind ja nun, ganz unbescheiden ausgedrückt, wirklich meine Domäne, sofern es um solche geht, hinter denen man rassistische, antisemitische oder sexistische Haltungen dingfest machen kann. Welche Haltung offenbart dergestalt das „Ersatzteil“?
Ich hatte in # 25 dazu argumentiert, dass und inwiefern für die Kritiker der Organtransplantation der Ausdruck „Ersatzteillager“ einen, wenn auch überspitzten, Sinn ergeben könnte. Das hat an der Stelle mit meiner persönlichen Präferenz überhaupt nichts zu tun. Insofern ist deine entsprechende Antwort in # 26 völlig fehl am Platz. Was aber, vorsichtig ausgedrückt, mein ausgesprochenes Missfallen erregt, ist das Verdikt „verletzend“ im Zusammenhang mit meiner Person.
Ich durfte jüngst hier erleben, dass jemand hier in eine Streitdiskussion hereinbrach und, ohne in der Sache überhaupt beteiligt gewesen zu sein, dem Publikum Heinrichs „verletzende Art“ servierte und darin vom Blogmaster noch flankiert wurde, einfach so als meine Charaktereigenschaft, ohne dass beide es auch nur für nötig befanden, das konkret zu belegen. Gegen so etwas kann man sich nicht verteidigen und sollte ich mich wohl auch nicht verteidigen können. Oder eben auch entschuldigen, womit ich bekanntermaßen keine Probleme habe, sondern was ich im gegebenen Fall für meine Pflicht halte. Wenn jemand gegen meine Kritik nicht ankommt, wird mir ganz schnell mangelnder Respekt oder sogar mangelnde Toleranz vorgeworfen, eine Respektlosigkeit und Intoleranz gegenüber meiner Person, wie ich es empfinde.
Soweit mein Kommentar dazu aus persönlicher Betroffenheit.
Neben dem moralischen und kommunikativen Aspekt verstehe ich deine Vorbehalte von der Logik her nicht. Deine persönlichen Erfahrungen in allen Ehren, und sie erheischen als solche natürlich Respekt, aber solche habe ich auch und denke nicht daran, sie zur allgemeinen Richtschnur erklären zu wollen. Ich äußere mich deshalb auch bewusst nicht zu der Frage: habe ich einen Spenderausweis oder bin ich bereit dazu? Wem soll das eine Entscheidungshilfe sein, wenn ich nicht zugleich vom höherstehenden Standpunkt einer jüdischen Moral aus zu argumentieren weiß?
Um auf den Punkt zu kommen: Was du meinst mit „… dass hinter jedem Fall auf beiden Seiten ein Mensch steht und eben keine Maschine“ ist mir insoweit klar in Negation zur Maschine. Aber inwiefern steht bei einer Transpantation auf beiden Seiten ein Mensch? Das widerspricht doch allem, was von den Befürwortern und Praktikern betont bzw. vorausgesetzt wird. Auf der Empfängerseite steht demnach ein Mensch, auf der Spenderseite jedoch erklärtermaßen eine Hirnleiche (!). Eine Leiche ist kein Mensch. Es gibt mittlerweile Leute, die Tieren Menschenwürde und Menschenrechte zusprechen wollen. Dass Leichen Menschenwürde haben sollen, habe ich noch nicht gehört. Wieso sollte man diesen also Respekt zollen?
freundschaftliche Grüße
Heinrich
Das Wort „Ersatzteillager“ ist solange verfehlt, weil sprachlich nicht zutreffend, wie Organe zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit im lebendigen Körper des Spenders gehalten werden müssen, man also nicht in der Lage ist, eine tote Infrastruktur (Lager) für Organe zu schaffen, die dann als unabhängig vom Körper (als Teile) darauf warten, aus dem Lager in einen Körper montiert zu werden, um dort die Funktion eines defekten Organs zu übernehmen (Ersatz).
Wenn man solche Lager geschaffen hat, kann man ja Lagerverwalter mit der Aufgabe betrauen.
Solange man dazu noch die (für tot erklärten) Menschen und Pflegepersonal braucht, bleiben die „Hirnleichen“ Menschen.
.
@ Heinrich
Lieber Heinrich,
ohne mich anzusprechen, rügst Du mich: „Wem soll das eine Entscheidungshilfe sein, wenn ich nicht zugleich vom höherstehenden Standpunkt einer jüdischen Moral aus zu argumentieren weiß?“
Wie Du nachlesen kannst, habe ich auf Deine Behauptung reagiert, die Menschen dringen „immer weiter in den Schöpfungsplan Gottes oder der Natur ein“, wobei dabei „im weitesten Sinne ein (ethisches) Bewusstsein von den Grundbedingungen der menschlichen Existenz“ zurückzubleiben droht.
Dieser Meinung bin ich nicht ganz. Daher habe ich die für mich relevanten (jüdischen) ethischen Vorstellungen erläutert. Dass dies ein „höherstehender Standpunkt“ sein sollte, ist meine Ausführungen nicht zu entnehmen und auch nicht meine Position. Ich habe auch nicht die Absicht, jemanden außer mir Entscheidungshilfe zu geben.
Herzliche Grüße
Abraham
@Heinrich
Lieber Heinrich,
ich bin einigermaßen verwirrt darüber, was ich mit meiner Antwort auf Annas Kommentar losgetreten hatte. Ich habe mich zu dem Ausdruck „Ersatzteillager Mensch“ deshalb geäußert, weil Anna mich in ihrem Kommentar wegen einiger Übereinstimmungen unserer Ansichten erwähnt hatte (Anna:„Ich habe – ähnlich wie maat – ganz persönliche Vorbehalte: Der Gedanke, dass ich selbst oder Menschen, die mir nahe stehen nach einem Hirntod wie ein Ersatzteillager betrachtet werden würden, ist mir ein Gräuel.“) Es war mir deshalb ein Anliegen mich von der betreffenden Wortwahl „Ersatzteillager“ zu distanzieren. Dies gelang mir jedoch offenbar nur unzureichend, sodass Anna noch einmal um Erläuterung bat.
Darin schieb ich „was für mich diese Wortwahl ausschließt, da sie in meinen Augen alles andere als einfühlsam ist.“
Ich sehe darin keinen moralischen Impetus, auch liegt es mir fern, Anna oder dich als „wenig einfühlsam“ zu bezeichnen. Es ging mir um den Begriff. Und es ist nun mal so, dass mich diese Bezeichnung im zarten Alter von 16 Jahren zutiefst betroffen gemacht hatte, als ich einen Kommentar in der Zeit las, indem ziemlich boshaft und flott gegen die Organspende polemisiert wurde und dabei das Wort „Ersatzteillager Mensch“ fiel. Ich kann mir niemanden vorstellen, der begeistert darüber ist, wenn Menschen ihre toten Angehörigen mit einem Ersatzteillager vergleichen beziehungsweise ihre lebenden Angehörigen als Träger von Ersatzteilen. Da wollte ich Dich mal sehen. In dem Zusammenhang: Dass man einen toten Menschen mit Respekt behandelt, ist wohl kulturell überlieferter Konsens. Das schließt für mich nicht die Organentnahme aus für einen guten Zweck.
Ich sehe schon, dass Du den Anspruch hast, eine philosophische Debatte über das Thema zu führen. Ich respektiere es, wenn sich Menschen darüber Gedanken machen, ob man in den Plan Gottes eingreifen darf oder nicht. Diese Frage stellt sich für mich jedoch nicht, da ich nicht religiös bin. (Ich lese aber immer gerne, was Abraham dazu zu sagen hat).Es gibt in meinen Augen bei dem Thema keine „allgemeine Richtschnur“, an der man sich orientieren kann. Es gibt zu viele Weggabelungen, an denen man sich jeweils überlegen muss, was für einen selbst richtig ist. Der äußere (juristische) Rahmen, also, dass Organspenden überhaupt erlaubt sind wegen des Hirntodkonzeptes, halte ich für ethisch vertretbar. Wer daran natürlich Zweifel hat, muss eine Grundsatzdebatte führen.
Beste Grüße
maat
@Nachtrag.
Sag mal Heinrich, irgendwie kommt mir Dein erster Kommentar bei nochmaligem Lesen ein bisschen pessimistisch vor. (Um weiteren Meta-Debatten vorzubeugen: Nein, ich halte Dich nicht für einen Griesgram).
Aber im Ernst: habe schon den Eindruck, dass man als Patient wachsam sein muss damit man nicht in ein medizinisches Hamsterrad gerät. Ich habe aber was Deutschland betrifft den Eindruck, dass unglaublich viel über ethische Grenzen gestritten wird- wenn ich nur an die ganze PID-Debatte denke oder die Diskussionen zur Sterbehilfe. Auch jetzt zur Organspende wird viel diskutiert. Der medizinische Fortschritt wird nach meiner Meinung in Deutschland sehr kritisch begleitet.
Ps: War schön wieder mit Euch zu bloggen, aber ab morgen geht die Arbeit wieder los…da kann ich leider nicht mehr mitwirken
@ maat
Du hast meine Bemerkung, „ich habe – ähnlich wie maat – ganz persönliche Vorbehalte“ missverstanden. Du hast eben – wie ich auch – persönliche Vorbehalte, wenn auch ganz andere. Mich beunruhigt der Gedanke kein bisschen, dass ich im Krankenhaus sterben könnte, während dich dieser Gedanke scheinbar dazu bewogen hat, deine Bereitschaft zur Organspende zurückzuziehen.
Mir dagegen verursacht der Gedanke, nach einem Hirntod „ausgeräumt“ zu werden, eine Gänsehaut. – Sorry, dass ich mich so missverständlich ausgedrückt habe.
Ich wollte damit eigentlich nur ausdrücken, dass es eben ein sehr persönliche Angelegenheit ist, sich für oder gegen einen Organspenderausweis zu entscheiden und ich deshalb finde, dass einem da keiner hineinzureden hat oder gar die verschiedenen Gründe moralisch niedriger oder höher zu bewerten sind.
@ Abraham
Meine Antwort # 28 an Sie war etwas schludrig – pardon. Natürlich kann nicht jeder Organschaden durch präventive Maßnahmen verhindert werden.
Ich hätte deshalb korrekterweise schreiben müssen:
„Ich hielte es für weitaus sinnvoller, mehr Geld in die Prävention und Erforschung geeigneter Behandlungen zu stecken anstatt sich so sehr auf Organtransplantationen zu konzentrieren.“
Ich befürchte nämlich, dass Organtransplantationen mit steigender Spendenbereitschaft zur bevorzugten „Therapie“ werden könnte, nicht zuletzt deshalb, weil damit jede Menge Geld verdient werden kann.
Die Medizin ist mittlerweile nun mal auch zu einem riesen großer Wirtschaftszweig geworden. Daran ist wohl kaum zu rütteln – und deshalb muss meiner Meinung nach auch dieser Aspekt bei solchen Entscheidungen mitberücksichtigt werden.
maat # 39
„Der medizinische Fortschritt wird nach meiner Meinung in Deutschland sehr kritisch begleitet.“
Ja, aber maat, das Gesetz ist durch. Ich frage mich, wo die kritische Begleitung dazu stattfand.
Außerdem ist es auch nicht gerade förderlich, wenn fundierte, ernsthafte Kritik als „pessimistisch“ abgetan wird, statt diese mit ebenso fundierten Argumenten zu widerlegen. – Könnte es sein, dass du durch deine persönliche Erfahrung dazu etwas zu voreingenommen bist?
@Anna
ich tue doch nicht ernsthafte Kritik als pessimistisch ab, es war ein kleiner Scherz an Heinrich- ich hoffe er nimmt ihn mir nicht übel.
Ich weiß nicht, Anna, aber die Organtransplantation ist wirklich eine so schwerwiegende Operation mit solchen Risiken (zumindest nach meinem Stand vor 20 Jahren). Die Gefahr ist dabei auch groß, dass man sie nicht überlebt, so dass ich mir nicht vorstellen kann, dass irgendeiner sich leichtfertig ein Organ verpflanzen lässt. Ich habe den Eindruck, Du stellst sie ddir das Ganze wie eine Blinddarmoperation vor. Die Leute, die organtransplantiert werden, haben davor meistens so einen langen Leidensweg, dass sie sich gut überlegen, ob sie diesen Schritt wagen oder nicht. Außerdem wird ja nicht einfach so operiert. Du hast als Patient immer die Möglichkeit der Entscheidung- Wirtschaftszweig hin oder her.
Übrigens habe ich den Eindruck, dass heute vielmehr vorgesorgt wird. Bei Krankheiten wie Diabetes gibt es ja sogar schon Programme für Leute die gar nicht krank sind, aber durch die genetische Anlage in der Familie gefährdet sind. Die Krankenkassen haben ein sehr großes Interesse daran, die Volkskrankheiten möglichst nicht entstehen zu lassen.
Bei allem Respekt, ich verstehe nicht, worauf Du hinaus möchtest. Wenn Du Deine Organe nicht spenden möchtest, kreuz halt einfach NEIN auf dem Bogen an und die Sache ist erledigt.
Ich kann nicht erkennen, wem das Gesetz schaden soll. Niemand wird zur Organspende gezwungen
maat
@ Heinrich
Du scheinst zu diesem Thema wiedermal besser informiert zu sein, als alle anderen, die sich bisher hier zu Wort gemeldet haben, weshalb sich die Diskussion weitgehend auf der persönlichen Ebene bewegt hat.
Ich habe einen sehr informativen Essay, „Organspende und Selbstbestimmung – Organspende – tödliches Dilemma oder ethische Pflicht?“ gefunden, der der Diskussion möglicherweise auf eine andere Ebene verhelfen kann.
http://www.bundestag.de/dasparlament/2011/20-21/Beilage/002.html
@Anna
hast Du eigentlich meinen Kommentar Nr.34 gelesen?
@ maat
Ja, habe ich. Warum?
@anna #43
Ich finde, daß die Argumente und Darstellungen in heinrichs Beitrag #4 ziemlich überholt sind und es ist darin nichts enthalten, was nicht schon gesagt war. Noch dazu widerspricht er sich in grundlegender Weise, wenn er zunächst behauptet
„sondern dass wir dabei sind in Wirklichkeit nicht Organe von Toten für die Lebenden zu nehmen, was ja untauglich wäre, sondern um der lebendigen Organe willen flugs eine Umdeutung des Todes vorzunehmen.“
und später
„Auf der Empfängerseite steht demnach ein Mensch, auf der Spenderseite jedoch erklärtermaßen eine Hirnleiche (!). Eine Leiche ist kein Mensch.“ sagt.
@Anna
Ich habe Deinen verlinkten Text gelesen. Die Argumente darin sind nicht neu. Ich verfolge diese Diskussion seit Jahrzehnten. Ich bin der Ansicht, dass man über den Punkt der Hirntoddiagnostik stundenlang diskutieren kann, ohne zu einem klaren „Richtig“ oder „Falsch“ zu gelangen. Es wird immer ein Zweifel bleiben.Das liegt in der Natur der Sache. Keiner von den Lebenden war schon mal tot und weiß wie es war. In dem Punkt stehen wir alle auf der gleichen Ebene.
Die Frage ist: Willst Du eine Grundsatzdebatte führen im Sinne von: Ist Organspende überhaupt ethisch zulässig? oder Geht es hier um das neue Gesetz und mögliche Gründe dafür oder dagegen? Ich fand es persönlich gerade interessant zu erfahren, aus welchen Beweggründen z.B. Abraham oder Du sich für oder dagegen entschieden habt oder wie jemand als Krankenpfleger die Sache sieht. Das erweitert meinen Horizont. Eine wissenschaftliche Debatte über Hirntodiagnostik kann ich auch in der Zeitung lesen.
Diese ganze „Todesfeststellungsethik“ ist eine verdeckende Umschreibung dafür, daß andere Menschen zu entscheiden versuchen, ob der Sterbende mit seinen Organen noch was anfangen kann. „Hirnleichen“ ist mit Abstand das gefühlloseste, was ich zum Thema je gehört habe.
Im Sprachgebrauch heinrichs wären Menschen mit versagender Niere dann Nierenleichen, rsp. Lungenleichen, Leberleichen usw?
Damit die Patienten Menschen bleiben, muß man von ihnen und über sie auch als Menschen und als Mensch reden.
@ Standort
Ja sorry, stimmt Sie hatten auch schon ein paar wichtige Aspekte genannt. Sie sind also auch ein wohlinformierter Diskutant! 😉
Worin allerdings ein Widerspruch bei den beiden Zitaten liegen soll, ist mir nicht klar.
Ich will mich jetzt aber bitte nicht in einen Hick-Hack mit Ihnen verfangen, ja?
@anna
„Sie sind also auch ein wohlinformierter Diskutant!“
Was zu erwähnen war…:-;
Der Unterschied in beiden Zitaten liegt darin, daß heinrich zunächst scheinbar kritisiert, daß ein Mensch zur Leiche erklärt wird, obwohl nur ein Organ versagt, sich aber nachher damit einverstanden erklärt, einen Menschen als Leiche zu betrachten, wenn nur ein Organ versagt.
Mag sein, er hat nur ein paar Anführungszeichen vergessen. Es geht hier auch nicht um heinrich, sondern um die Argumente. Insofern erwarte ich kein Hick-Hack…
@ maat
„Ich bin der Ansicht, dass man über den Punkt der Hirntoddiagnostik stundenlang diskutieren kann, ohne zu einem klaren „Richtig“ oder „Falsch“ zu gelangen.“
Ja klar, da stimme ich dir vollkommen zu.
Aber man muss eben auch sicherstellen, dass jeder, der sich entscheiden soll, z. B. auch darüber informiert wird, dass er unter Umständen noch Schmerzen bei der Organentnahme empfinden könnte.
Wie ich jedoch schon öfter gelesen habe, sind sich sehr viele Menschen darüber keineswegs im Klaren.
Interessant war für mich auch der Hinweis, dass der Todeseintritt immer wieder neu definiert wird, damit auch ja immer genug Spenderorgane zur Verfügung stehen. Und deshalb halte ich die beiden Schlusssätze für besonders bedenkenswert:
„Unsere ethischen Normen im Umgang mit Sterbenden und Toten, die Prämissen der medizinischen Ethik und schließlich das Tötungsverbot werden durch das Prozedere der Organgewinnung über Bord geworfen. Eine ethische Verpflichtung zur Organspende kann es daher nicht geben.“
„Willst Du eine Grundsatzdebatte führen im Sinne von: Ist Organspende überhaupt ethisch zulässig?“
Nein darum geht es mir nicht. Das soll jeder für sich entscheiden dürfen.
Wie ich in meinen vorigen Kommentaren schon mehrfach ausgeführt habe, finde ich es aber fragwürdig, wenn man immer wieder auf eine Entscheidung gedrängt wird. („Steter Tropfen höhlt den Stein“)
„Ich fand es persönlich gerade interessant zu erfahren, aus welchen Beweggründen z.B. Abraham oder Du sich für oder dagegen entschieden habt oder wie jemand als Krankenpfleger die Sache sieht.“
Ja, fand ich auch interessant – und auch deinen Standpunkt dazu natürlich auch.
Nur dass du meine Position, moralisch so stark in Frage gestellt hast, störte mich natürlich. Und zwar gerade weil ich finde, dass in dieser Frage kein ethischer Anspruch entstehen darf.
@ Standort
# 46
„Ich finde, daß die Argumente und Darstellungen in heinrichs Beitrag #4 ziemlich überholt sind und es ist darin nichts enthalten, was nicht schon gesagt war.“
– Keine Frage, wo ich z.B. Nietzsche zitiere, hatte Nietzsche das schon gesagt. Ob dies und die anderen vorher schon von anderen gesagten Äußerungen und Darstellungen „überholt“ sind, darüber geht unser Urteil ja womöglich auseinander.
# 48
“Hirnleichen” ist mit Abstand das gefühlloseste, was ich zum Thema je gehört habe.“
– Denken Sie doch einfach mit! „Leichen“ ist ein Synonym für „Tote“. Hirnleichen sind also Hirntote. Merken Sie was? N.b. das Ausrufezeichen in Klammern hat eine Bedeutung.
„Damit die Patienten Menschen bleiben, muß man von ihnen und über sie auch als Menschen und als Mensch reden.“
– Ich wüsste nicht, wie ich anders denn als Mensch reden können sollte. Solange Patienten Menschen bleiben, rede ich selbstverständlich als Menschen über sie. Wenn sie aufgehört haben Mensch zu sein, eben nicht mehr. Einfache Logik.
# 51
„Der Unterschied in beiden Zitaten liegt darin, daß heinrich zunächst scheinbar (?) kritisiert, daß ein Mensch zur Leiche erklärt wird, obwohl nur ein Organ versagt, sich aber nachher damit einverstanden erklärt, einen Menschen als Leiche zu betrachten, wenn nur ein Organ versagt.“
– Beachten Sie bitte die Perspektive! Ich erkläre mich mit gar nichts einverstanden, sondern decke den Widerspruch auf, den andere situieren.
„Mag sein, er hat nur ein paar Anführungszeichen vergessen“
– Das Zauberwort, das die Anführungszeichen in meinem Text ersetzt, heißt „erklärtermaßen“. („Auf der Empfängerseite steht demnach ein Mensch, auf der Spenderseite jedoch erklärtermaßen eine Hirnleiche (!)“)
Liebe maat,
danke für die ausführliche Erläuterung in # 38, nach der ich nun klarer sehe! Folgende Anmerkungen gleichwohl dazu:
„Ich respektiere es, wenn sich Menschen darüber Gedanken machen, ob man in den Plan Gottes eingreifen darf oder nicht. Diese Frage stellt sich für mich jedoch nicht, da ich nicht religiös bin.“
– Die Frage stellt sich für mich auch nicht. Ich weiß, dass du nicht religiös bist. Weißt du, dass ich es auch nicht bin? Ich hatte aber vom Plan Gottes oder der Natur gesprochen. Für Spinoza, Goethe und Lessing ist das dasselbe. Dass Abraham und du meinen Text als moralisierend begreifen, hat mit dem Text und mir nichts zu tun. Ich spreche keine Gebote oder Vorwürfe aus, sondern beschreibe einen geistesgeschichtlichen Tatbestand und frage, ob, was machbar ist, auch unbedingt gut sei. „Gut“ nicht im moralischen Verständnis als Gegebegriff zu „böse“, sondern als Gegenbegriff zu „schlecht“ (für die Menschen).
(Da mir der Pessimismus, den du aus dem Text herausliest, zu denken gibt, werde ich ihn nochmal lesen und ggf. darauf eingehen- zum Lesen wirst du ja vielleicht noch kommen).
„Der äußere (juristische) Rahmen, also, dass Organspenden überhaupt erlaubt sind wegen des Hirntodkonzeptes, halte ich für ethisch vertretbar. Wer daran natürlich Zweifel hat, muss eine Grundsatzdebatte führen.“
– Ich muss zu allem Grundsatzdebatten führen, denn ich habe zunächst einmal und immer wieder an allem Zweifel und lebe nicht im Haus der fertigen Gewissheiten. Der universale Zweifel ist für mich das Grundprinzip der Erkenntnis. In der Hinsicht bin ich ganz Cartesianer.
Oder Dialektiker. Hier mein Lieblingsgedicht dazu:
Bertolt Brecht: Der Zweifler
Immer wenn uns
Die Antwort auf eine Frage gefunden schien
Löste einer von uns an der Wand die Schnur der alten
Aufgerollten chinesischen Leinwand, so daß sie herabfiel und
sichtbar wurde der Mann auf der Bank, der
So sehr zweifelte.
Ich, sagte er uns
Bin der Zweifler, ich zweifle, ob
Die Arbeit gelungen ist, die eure Tage verschlungen hat.
Ob, was ihr gesagt, auch schlechter gesagt, noch für einige Wert hätte.
Ob ihr es aber gut gesagt und euch nicht etwa
Auf die Wahrheit verlassen habt dessen, was ihr gesagt habt.
Ob es nicht vieldeutig ist, für jeden möglichen Irrtum
Tragt ihr die Schuld. Es kann auch eindeutig sein
Und den Widerspruch aus den Dingen entfernen; ist es zu eindeutig?
Dann ist es unbrauchbar, was ihr sagt. Euer Ding ist dann leblos.
Seid ihr wirklich im Fluss des Geschehens? Einverstanden mit
Allem, was wird? Werdet ihr noch? Wer seid ihr? Zu wem
Sprecht ihr? Wem nützt es, was ihr da sagt? Und nebenbei:
Läßt es Euch nüchtern? Ist es am Morgen zu lesen?
Ist es auch angeknüpft an Vorhandenes? Sind die Sätze, die
Vor euch gesagt sind, benutzt, wenigstens widerlegt? Ist alles belegbar?
Durch Erfahrung? Durch welche? Aber vor allem
Immer wieder vor allem anderen: Wie handelt man
Wenn man euch glaubt, was ihr sagt? Vor allem: Wie handelt man?
Nachdenklich betrachteten wir mit Neugier den zweifelnden
Blauen Mann auf der Leinwand, sahen uns an und
Begannen von vorne.
@ Anna
„Du scheinst zu diesem Thema wiedermal besser informiert zu sein, als alle anderen, die sich bisher hier zu Wort gemeldet haben“
– Nein, da überschätzt du mich.
@ maat # 47
in unserem Interesse an der Art der Debatte unterscheiden wir uns offenbar grundsätzlich. Ich brauche für meine Urteils- und Entscheidungsfindung Argumente, keine Vorbilder, die ja, wie du richtig vermerkst, immer subjektiv individuell sind.
Wenn die Argumente in Annas Link nicht neu sind, vielleicht bietet aber dies ja noch etwas für dich oder andere: Rede und Gegenrede. (Muss man auf die Überschrift klicken)
http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/imgespraech/1772234/
Grüße
Heinrich
@Anna/Heinrich
Danke für Eure Antworten. Ich werde bei Gelegenheit den Link vin Dir Heinrich anschauen
zu Anna
Bitte hoffentlich abschließend zur Klarstellung: Ich habe Deine Position nie moralisch (!) in Frage gestellt. Ich habe mich ausschließlich von dem Begriff (und dem Bild) des „Ersatzteillager Mensch“ distanziert. Das ist ein gravierender Unterschied.
maat # 42
„Die Gefahr ist dabei auch groß, dass man sie nicht überlebt, so dass ich mir nicht vorstellen kann, dass irgendeiner sich leichtfertig ein Organ verpflanzen lässt. Ich habe den Eindruck, Du stellst sie ddir das Ganze wie eine Blinddarmoperation vor. Die Leute, die organtransplantiert werden, haben davor meistens so einen langen Leidensweg, dass sie sich gut überlegen, ob sie diesen Schritt wagen oder nicht. Außerdem wird ja nicht einfach so operiert. Du hast als Patient immer die Möglichkeit der Entscheidung- Wirtschaftszweig hin oder her.“
Ich weiß nicht wie du darauf kommst, dass ich meine, jemand ließe sich „leichtfertig“ ein Organ verpflanzen und dass ich „mir das Ganze wie eine Blinddarmoperation“ vorstelle.
Das Einzige was ich wirklich weiß, ist, dass wenn es einem gesundheitsmäßig sehr schlecht geht, man alles zu tun bereit ist, wozu einem Ärzte raten, weil man darauf vertraut, dass sie schon wissen, was das Beste für einen ist.
Mit solcher Art „Gottvertrauen“ fällt man aber leicht auf die Nase, denn die Ärzte wissen eben nicht immer, was das Beste für einen ist, weil deren Wissen auch begrenzt ist und es zudem außer der Gesundheit der Patienten auch noch andere Interessen gibt.
Und als medizinischer Laie fühle ich mich immer wieder überfordert zu beurteilen, welche Therapieempfehlung am erfolgversprechendsten ist. Oft muss auch schnell entschieden werden, so dass keine Zeit vorhanden ist, sich umfassend zu informieren.
„Bei allem Respekt, ich verstehe nicht, worauf Du hinaus möchtest. Wenn Du Deine Organe nicht spenden möchtest, kreuz halt einfach NEIN auf dem Bogen an und die Sache ist erledigt.“
So einfach ist es eben nicht. Ich neige zwar intuitiv dazu, einer Organentnahme nicht zuzustimmen, bin mir aber bisher nicht 100 % im Klaren darüber gewesen, ob das auch wirklich die richtige Entscheidung ist.
Und ich denke so geht es sehr vielen, denn sonst hätten mehr Menschen einen Spenderausweis.
Mir geht es darum, dass wirklich umfassend aufgeklärt und nicht versucht würde, die kritischen Aspekte, die mit Hirntod und dem ganzen Prozedere der Organentnahme verbunden sind, unter den Teppich zu kehren oder zu bagatellisieren.
„Ich kann nicht erkennen, wem das Gesetz schaden soll. Niemand wird zur Organspende gezwungen.“
Nein, wirklich gezwungen wird keiner. Aber es wird eben schon so getan, als wäre die Bereitschaft zur Organspende ein dringend angezeigter Akt von Nächstenliebe – wenn nicht gar eine Pflicht gegenüber den Kranken. – Und das neue Gesetz hat eben schon einen sehr starken Appellcharakter in die Richtung: Am besten sollte jeder einen Organspenderausweis haben.
Ich bin mir aber alles andere als sicher, ob es wirklich so wünschenswert ist, wenn Organtransplantationen verstärkt zur Therapie der Wahl werden würden.
@ Anna
Sie schreiben: „Interessant war für mich auch der Hinweis, dass der Todeseintritt immer wieder neu definiert wird, damit auch ja immer genug Spenderorgane zur Verfügung stehen.“ Dazu verweisen Sie auch auf das Zitat: „Unsere ethischen Normen im Umgang mit Sterbenden und Toten, die Prämissen der medizinischen Ethik und schließlich das Tötungsverbot werden durch das Prozedere der Organgewinnung über Bord geworfen.“
Um Ihnen zu antworten, will auch ich den Umweg wählen, auf dem sich Heinrich dem Thema genähert hat, weil er die Sicht erweitert. „Die Menschen dringen immer weiter in den Schöpfungsplan Gottes oder der Natur ein“, diagnostiziert Heinrich und verweist auf die dringende Frage, „ob es auch gut sei, alles, was machbar ist“.
Was machbar ist, lässt sich aber nicht mehr aus der Welt schaffen. Dazu gehört, dass das Sterben des Menschen mit der modernen Apparatemedizin grundlegend aus dem „Schöpfungsplan“ herausgerissen wurde. Ein „natürliches“ Ende des Lebens ist dort aufgehoben, wo mit Hilfe von Maschinen die biologischen Lebensfunktionen aufrechterhalten werden können. Diese gewonnene Freiheit von der Natur (oder Gott?) hat den Preis des Zwangs zur Entscheidung: Ist die Fortsetzung des Lebens für mich oder meinen Angehörigen, für den ich die Verantwortung trage, gut oder schlecht? Eine Entscheidung, die uns oft überfordert, bei der wir uns dem medizinischen „Sachverstand“ ausgeliefert fühlen, der wir aber sehr wahrscheinlich nicht entgehen werden.
Die überkommenen ethischen Normen müssen wir tatsächlich „über Bord“ werfen, weil wir vor neue Fragen gestellt werden: Einerseits kann das Abstellen der Maschinen tatsächlich das Tötungsverbot tangieren, anderseits kann ein rein maschinelles Leben zur Hybris werden, an der nichts mehr „gut“ ist. Gilt aber dann im Sinne von Nietzsche, dass Gott tot ist und der Mensch einsam durch die Welt irrt? Ich glaube nicht ganz, denn wir sind in Gemeinschaften eingebunden und so in Kommunikation untereinander in der Lage trotzdem nach neuen ethischen Normen – egal ob religiös oder nicht – zu suchen. Eine Suche, die uns immer vor neue Herausforderungen stellt, weil sich die medizinischen Möglichkeiten und Erkenntnisse weiter entwickeln und dadurch tatsächlich der Todeseintritt immer wieder neu definiert wird. Ich meine dies nicht als juristische Kategorie, die eine Organentnahme ermöglicht. Mir geht es um den Punkt, an dem eine Entscheidung über Sterbenlassen oder Weiterleben mit Apparaten notwendig wird. Eine Entscheidung, die fast jeder von uns irgendwann für sich oder seine Angehörige wird treffen müssen oder schon getroffen hat.
Wie ich schon geschrieben habe: Sobald ich die Entscheidung bereit bin zu treffen, durch Abstellen der Apparate das Sterben zuzulassen, ist die Entscheidung zur Organspende eher sekundär (womit ich nicht etwa maats Bedenken relativieren möchte). Sie bedeutet „nur“ eine Verzögerung in dem akzeptierten Sterbensprozess.
Aus meiner Sicht setzt die Bereitschaft zur Organspende voraus, dass ich auch eine Patientenverfügung getroffen habe. Wer Zweifel daran hat, im Voraus per Patientenverfügung über die Grenze zu entscheiden, an der die Maschinen abgestellt werden sollen, die ihm am Sterben hindern, hat jeden Grund (und selbstverständlich auch das moralische Recht), im Organspenderausweis ein nein anzukreuzen.
@abraham
„Aus meiner Sicht setzt die Bereitschaft zur Organspende voraus, dass ich auch eine Patientenverfügung getroffen habe. Wer Zweifel daran hat, im Voraus per Patientenverfügung über die Grenze zu entscheiden, an der die Maschinen abgestellt werden sollen, die ihm am Sterben hindern, hat jeden Grund (und selbstverständlich auch das moralische Recht), im Organspenderausweis ein nein anzukreuzen.“
Genau. Es ist nötig, sich selbst über die Grenze des Lebens klarzuwerden und sich nicht nur auf die Grenzdefinitionen anderer zu verlassen.
@ Abraham, Standort
„Wer Zweifel daran hat, im Voraus per Patientenverfügung über die Grenze zu entscheiden, an der die Maschinen abgestellt werden sollen, die ihm am Sterben hindern, hat jeden Grund (und selbstverständlich auch das moralische Recht), im Organspenderausweis ein nein anzukreuzen.“
Mein Problem liegt tatsächlich noch etwas anders. Ich möchte definitiv nicht einmal durch Apparate am Sterben gehindert werden, also ist eine Patientenverfügung in diesem Sinne eine Selbstverständlichkeit für mich. Ich hege sogar gewisse Sympathien gegenüber der aktiven Sterbehilfe und finde deshalb, dass das nicht grundsätzlich verboten, sondern dringend geregelt werden sollte.
Trotz allem hätte ich aber ein dickes Problem damit, wenn ich nach einem Hirntod vom Brust- bis Schambein aufgeschnitten werden würde und meine Organe entnommen werden würden. Ich finde das ein zutiefst ekelerregender und pietätloser Vorgang – von drastischeren Worten sehe ich angesichts maats Äußerungen und aus Rücksichtnahme gegenüber Andersempfindenden bewusst ab.
Ich bedanke mich für die Diskussion, die mir ganz unverhofft zu einer glasklaren Entscheidung verholfen hat.
@anna
Das schließt nicht gegenseitig aus. Man kann definieren, ab wann man nicht mehr medizinisch betreut werden möchte und man kann auch verfügen, was nach dem Tod mit dem Körper geschehen soll.
@ # 60 Anna
Das ist ein nachvollziehbares Ergebnis. Es ergibt sich allerdings nicht aus den von Ihren geäußerten Zweifeln an dem juristischen Konstrukt des „Hirntods“ und auch nicht aus der von Ihnen genannten (von mir in Bezug auf den zweiten Halbsatz nicht geteilten) Vermutung, dass „der Todeseintritt immer wieder neu definiert wird, damit auch ja immer genug Spenderorgane zur Verfügung stehen.“
@Anna
„Das Einzige was ich wirklich weiß, ist, dass wenn es einem gesundheitsmäßig sehr schlecht geht, man alles zu tun bereit ist, wozu einem Ärzte raten, weil man darauf vertraut, dass sie schon wissen, was das Beste für einen ist.“
Nun in dem Punkt kann ich Dir eben nicht wirklich zustimmen. Es mag diese Fälle geben. Ich habe sehr viele andere Erfahrungen gemacht. Schwerstkranke haben oft eine gesunde Skepsis gegenüber Ärzten entwickelt und reflektieren vorgeschlagene Therapien sehr kritisch. Sie kontrollieren z.B. auch die Tabletten, die ihnen im Krankenhaus gereicht werden, (weil sie häufig leider nicht stimmen). Ich habe das Bild vom Menschen als selbstbestimmtes Wesen, selbst dann wenn er sehr krank ist, der selbst darüber entscheidet, welche Therapien er möchte oder nicht. Das Bild des passiven von Ärzten und Politikern manipulierten Patienten ist mir einfach sehr fremd.
Jedenfalls freut es mich, dass Du durch die Diskussion hier eine Entscheidung gefunden hast.
@Heinrich/alle
Ich habe mal eine halbe Stunde in den Radiobeitrag, der von Dir verlinkt wurde, reingehört. Es ist wirklich sehr empfehlenswert. Ein Aspekt, den ich auch schon ansprechen wollte, wurde dort auch genannt. Durch das neue Gesetz werden die Angehörigen entlastet, da der Patient selbst eine Entscheidung getroffen hat und nicht die Angehörigen-völlig überfordert und trauernd, darüber nachdenken müssen, wie der Verwandte sich wohl entschieden hätte. Dieser Punkt ist nicht zu unterschätzen,
Aus der Seele gesprochen hat mir natürlich der Arzt, indem er sich gegen den Begriff des „Ausschlachtens“ im Zusammenhang mit der Organspende ausspricht. Seine Worte hierzu und zum Aspekt der „Maschine“ sind wirklich sehr hörenswert. Sehr treffende Worte werden auch dafür gefunden, dass der Hirntod sehr unanschaulich wirkt. Als junges Mädchen habe ich sehr viele Beiträge zu diesem Thema auch im Fernsehen gesehen, da mich die Frage sehr beschäftigt hat, wer die Menschen sind, die Organe spenden und wie ihre Angehörigen damit umgehen. Und mir ist eben auch ein Interview einer Frau im Kopf, die nicht darüber hinwegkam, sich nicht richtig von ihrer Tochter verabschiedet zu haben. Da – das hatte ich zwischenzeitlich verdrängt- ja eine längere Zeitspanne zwischen dem ersten und letzten Feststellen des Hirntodes stattfindet, könnte man sich sagen, dass dies genug Zeit ist, um Abschied zu nehmen. Aber was macht man dann? Geht man nach Hause? Bleibt man im Krankenhaus? Wie soll man Abschied nehmen, wenn der Kranke noch warm ist? Und obwohl ich vom Verstand her den Begriff des Hirntodes nachvollziehen kann, weiß ich dass ich mit dem Bild nicht leben könnte, in einer Intensivstation zu sitzen am Bett eines geliebten Menschen, zu wissen, dass er zwar tot ist, aber dennoch für mich alle wahrnehmbaren Merkmale eines Lebenden aufweist.
In dem Sinne zweifle ich den Hirntod nicht an was seine „Richtigkeit“ oder „Messbarkeit“ anbelangt, aber ich kann ihn mir nicht vorstellen. Und ich möchte mich nicht auf etwas einlassen für das ich kein Bild in meinem Kopf finden kann. Und deshalb wäre es mir ehrlich gesagt noch wichtiger, dass meine Familienmitglieder auf den Organspendeausweis verzichten als ich selbst.
maat
@ Abraham
Mein Ergebnis wurde schon auch davon beeinflusst, dass die Organentnahme sozusagen am „lebendigen Leib“ vollzogen wird. Das macht ja den Vorgang noch gruseliger.
Aber nicht nur das. Ich finde es schon ein starkes Stück, dass so getan wird, als ob ein Mensch nach einem Hirntod wirklich tot sei. Dabei müssen Narkosemittel verabreicht werden, um sicherzustellen, dass der Sterbende nichts davon spürt, wie ihm die Organe herausgeschnitten werden. Das ist ja kaum zu glauben.
Der einzigen Organtransplantation, der ich persönlich zustimmen würde, wäre eine Nierenverpflanzung, weil dafür keiner sterben muss. Und dafür braucht man auch keinen Organspenderweis. Deshalb verstehe ich nicht, inwiefern Steinmeiers Fall etwas mit dem neuen Gesetz zu tun haben soll. Das ist doch etwas völlig anderes.
Übrigens wurde scheinbar sogar schon NLP eingesetzt, um Angehörige zur Organspende zu bewegen.
http://www.taz.de/!86599/
@ maat
„Und deshalb wäre es mir ehrlich gesagt noch wichtiger, dass meine Familienmitglieder auf den Organspendeausweis verzichten als ich selbst.“
Dieser Aussage schließe ich mich vorbehaltslos an, auch wenn ich der Einfachheit halber nur von mir selbst geschrieben habe.
@heinrich #58
Eine Bemerkung dazu:
“Damit die Patienten Menschen bleiben, muß man von ihnen und über sie auch als Menschen und als Mensch reden.”
„- Ich wüsste nicht, wie ich anders denn als Mensch reden können sollte. Solange Patienten Menschen bleiben, rede ich selbstverständlich als Menschen über sie. Wenn sie aufgehört haben Mensch zu sein, eben nicht mehr. Einfache Logik.“
Ihre analytische Distanz in Ehren, aber wann und wie lange einer in Ihren Augen ein Mensch bleibt, müssen Sie schon selbst entscheiden und dann aus der analytischen Distanz hervortreten und sagen, wie Sie entschieden haben. Dann werden Sie sich allerdings bald in der Situation wiederfinden, daß eine Menge Menschen darauf warten, ihre emotionale Überlastung loszuwerden und einen Menschen, der ihnen eine unerträgliche Mühe macht, zu einem Etwas oder einem Nichts zu erklären.
An dem Punkt kommt es auf den an, der als nächster (Nächster?) spricht. Ich finde, Sie haben zu unvorsichtig gesprochen. Ich meine das nicht persönlich, sondern auf das bißchen Sprache bezogen, das hier möglich ist.
Mag sein, daß ich in diesem Punkt zu hellhörig bin, aber Sie würden nicht glauben, welche unerheblichen Einschränkungen eines Menschen andere dazu treiben, das Wort zu ergreifen und zu behaupten:“Das ist doch kein Mensch mehr!“
Letztlich stellt sich die Frage aber an jemand anderen, nämlich an mich: „Wie lange kann ich einen anderen als Menschen wahrnehmen?“
Ich sehe es als (Heraus-) Forderung an, diese Fähigkeit zu erweitern.
sorry, der Beitrag bezieht sich auf heinrich #53, nicht auf abraham #58
@ BvG Standort # 67
„das bißchen Sprache …, das hier möglich ist“, ist bei den einzelnen Teilnehmern ganz offenkundig unterschiedlich. Es sieht nicht so aus, als ob Sie meine verstünden, sicher ist jedoch: Ihre verstehe ich auf keinen Fall. Lassen Sie es also gut sein!
Abschließend kann man sagen, daß die theoretischen Versuche, einen Todeszeitpunkt zu bestimmen, kein größeres Gewicht haben dürfen, als die Empfindungen der Angehörigen oder des Betroffenen.
Wenn jemand sagt, daß sie die Vorstellung, was nach dem Leben mit dem Körper ggf. passiert, abstößt, so ist das eine solche Empfindung, die schwerer wiegt als die Definitionen.
@heinrich #69 #55
„Beachten Sie bitte die Perspektive! Ich erkläre mich mit gar nichts einverstanden, sondern decke den Widerspruch auf, den andere situieren.“
Nun, das ist für mich eine nicht akzeptable Haltung.
Sie präsentieren sich als der „neutrale Weise“ und glauben, solcherlei zutiefst menschliche und emotionale Entscheidungssituationen „aus dem Off“ kommentieren zu können (oder zu dürfen). Im Zuge dessen unterlaufen Ihnen horrende Fehler, die Sie, wenn jemand sie Ihnen vorhält, flugs in der Unverbindlichkeit Ihrer Texte verschwinden lassen.
Da baut sich in mir ein Wut auf, die nicht Sie persönlich betrifft, da ich den Unterschied zwischen Diskretion und Naseweiserei noch kenne, sie betrifft aber jene, die den menschlichen Part des Problems längst abgegeben haben und nur den technischen, den künstlerischen und den lukrativen Aspekt der Sache sehen, aber mit “ Blut, Schweiß und Tränen“ nicht mehr zu tun haben wollen.
Theoretisch ist die Sache längst geklärt.
@ Standort
Ich bitte darum, die Wut wieder abzubauen und auf Tiefschläge zu verzichten.
@bronski
Ich bitte, die als „Tiefschlag“ empfundenen Teile des Kommentars zu entfernen.
Worauf es mir ankommt ist, daß den theoretischen Überlegungen mehr Gewicht zugesprochen wird, als den Empfindungen der Beteiligten.
Worauf es noch mehr ankommt ist, daß den Beteiligten ein unbewiesenes medizinisches Faktum(Hirntod) vorgegaukelt wird, das jeder Erfahrung widerspricht und im gleichen Zuge die menschliche Empfindung der Pflegenden und Angehörigen als unglaubhaft oder unrealistisch dargestellt wird.
@ Standort
Ihre letzten Postings fordern mich zum Widerspruch auf. Es steht niemanden zu, anderen hier im Blog vorschreiben zu wollen, auf welcher „Ebene“ sie zu diskutieren haben. Deshalb finde ich Ihre Attacken auf Heinrich unangemessen. Ob jemand „theoretisch“ und „neutral“ argumentiert oder seine emotionale Betroffenheit bekundet, muss er selber entscheiden. Niemand ist verpflichtet, zu seine sachlichen Argumenten auch noch seine Empfindungen offen zu legen. Es ist ungehörig, dem, der seine Empfindungen für seine private Angelegenheit hält, Empfindungslosigkeit vorzuwerfen.
@abraham
Ok.
Ich habe mehrfach darauf hingewiesen, daß ich nicht heinrich selbst „attackiere“, sondern die Haltungen, die in seinen Texten enthalten sind. Diese lösen Assoziationen aus, die aus meinem(!) Erfahrungsumfeld stammen. Weder kenne ich heinrich, noch weiß ich etwas von seinem Umfeld.
Mir ist nicht klar, wie man dies hier deutlich machen soll.
Wenn man jemanden direkt anspricht, so hat man die Möglichkeit „@xy“ # zu schreiben, wenn man lediglich Sätze oder Passagen zitiert und kritisiert, so fühlt sich der Autor selbsverständlich gemeint oder angegriffen, das geht mir auch so.
Vielleicht sollte man eine Form verabreden, die etwas deutlicher macht, daß man nur die Inhalte angreift.
Sprachlich gelingt das nicht immer, und das geht nicht nur mir so.
@ Standort # 73
„Worauf es mir ankommt ist, daß den theoretischen Überlegungen mehr Gewicht zugesprochen wird, als den Empfindungen der Beteiligten.“
Das stimmt doch so gar nicht.
Es ist eben so, dass es wohl ebenso so viele persönliche Empfindungen gibt wie es Menschen auf der Welt gibt. Und keine Empfindung ist richtiger oder falscher als eine andere. Aus diesem Grunde bleiben Diskussionen, die auf dieser Ebene geführt werden, meist ergebnislos, oft entwickelt sich daraus sogar ein unproduktiver Streit.
Von daher sind Auseinandersetzungen, die auf „neutralen“, d.h. hier ethischen Prinzipien basieren, einfach produktiver. Wobei es natürlich immer interessant ist, wenn sachlich- theoretische Argumente durch persönliche Erfahrungen untermauert werden können.
@anna
Grundsätzlich stimme ich, wenn es auch nicht immer ausreicht, „neutral“ zu bleiben.
Ich meinte es aber etwas anders (#73). Ich wollte sagen, daß das Urteilsvermögen der Angehörigen oder Betreuenden ernster genommen werden soll.
Sicher kann man von medizinisch-messbaren Verfahren ausgehen und irgendwelche Todesdefinitionen treffen, wenn aber jemand das deutliche Gefühl hat, daß dieser Mensch noch lebt, ist das höher zu bewerten als die technischen Verfahren.
Natürlich kommt man dann sofort in eine Diskussion über das Urteilsvermögen der Angehörigen und Betreuten und dieses wird dann regelmäßig als „stressgetrübt“ beschrieben.
Hier setzt meine Kritik an, da ich die Systematik der Definitionen und die Durchführenden für ebenso „stressgetrübt“ halte, da auch diese in Zwängen handeln, die nur scheinbar sachlich daherkommen. Auf das Thema bezogen: Die Öffentlichkeit wird in einen „Spenderstress“ versetzt, in dem der moralische Druck erhöht wird, in dem eine interessengeleitete Informationspolitik betrieben wird etc. und das Urteilsvermögen wird bewußt „getrübt“
Da werden dann so griffige Begriffe wie „hirntot“ eingeführt und werden plötzlich als völlig normal empfunden. (Stellen Sie sich beispielsweise den Begriff „teiltot“ vor.) Hier werden Grenzen ausgeweitet oder überschritten und dagegen argumentiere ich.
@ Standort
„Die Öffentlichkeit wird in einen ‚Spenderstress‘ versetzt, in dem der moralische Druck erhöht wird, in dem eine interessengeleitete Informationspolitik betrieben wird etc. und das Urteilsvermögen wird bewußt ‚getrübt‘.“
Ja, dieser Aussage stimme ich voll und ganz zu. (Ich dachte eigentlich, dass ich das oben schon entprechend ausgeführt hatte.)
Das Konstrukt „Hirntod“ besteht ja aber gerade, damit Organe zu Transplantationen zur Verfügung stehen und die Ärzte keine rechtlichen Probleme bekommen.
Ob das ethisch zu vertreten ist, muss jeder selber entscheiden. Und dazu müsste eben, statt nur mit der Moralkeule Nächstenliebe für den Organspenerausweis zu werben, unverblümt aufgeklärt werden. Und zwar nicht nur über die Unwägbarkeiten im Zusammenhang mit dem Hirntod, sondern auch über das Prozedere der Organentnahme, das mir ja so große Probleme bereitet.
Außerdem fände ich darüber hinaus noch interessant zu erfahren, wie erfolgreich Transplantationen sind und wie gut die Empfänger danach leben.
Aber all das hat ja wenig mit der Kritik, die Sie an „xy“ (=Heinrichs Einwänden) geübt haben. Ich hatte auch nicht den Eindruck, dass er eine solche Diskussion für unwichtig hielte. – Vielleicht müssten Sie künftig einfach nachfragen, statt anzugreifen?
„Sicher kann man von medizinisch-messbaren Verfahren ausgehen und irgendwelche Todesdefinitionen treffen, wenn aber jemand das deutliche Gefühl hat, daß dieser Mensch noch lebt, ist das höher zu bewerten als die technischen Verfahren.“
Ja schon, aber wie sollte das durchgesetzt werden? Ich denke, dass halt schlicht und ergreifend nur die Diagnose der Ärzte gilt. Und der Spenderausweis legitimiert nun mal eine Organentnahme, wenn der Hirntod festgestellt wurde. Daran gibt es dann nichts weiter zu deuteln.
@anna
„(Ich dachte eigentlich, dass ich das oben schon entprechend ausgeführt hatte.)“
Ich glaube, wir haben das Thema ausreichend kommentiert, so daß man sich nur noch wiederholen kann.
„sondern auch über das Prozedere der Organentnahme, das mir ja so große Probleme bereitet.“
Darüber könnte man auch noch einiges sagen, vielleicht ein andermal.
@ Standort/Anna
„Sicher kann man von medizinisch-messbaren Verfahren ausgehen und irgendwelche Todesdefinitionen treffen, wenn aber jemand das deutliche Gefühl hat, daß dieser Mensch noch lebt, ist das höher zu bewerten als die technischen Verfahren.“
Es geht doch nicht um „Todesdeffinitionen“, sondern um die Frage, am welchen Punkt des Sterbens, das nur noch mit Maschinen verhindert wird, die Fortsetzung von „Therapiemaßnahmen“ für den Patienten vertretbar ist. Dafür kann doch das Gefühl der Angehörigen, die womöglich ihre Angst von dem Tod eines geliebten Menschen über dessen ureigenes Recht auf würdevolles Sterben stellen, nicht das entscheidende Kriterium sein.
@ Anna
„Ich denke, dass halt schlicht und ergreifend nur die Diagnose der Ärzte gilt. Und der Spenderausweis legitimiert nun mal eine Organentnahme, wenn der Hirntod festgestellt wurde. Daran gibt es dann nichts weiter zu deuteln.“
Welche Diagnose der Ärzte meinen Sie? Auch bei einem Patienten mit einem Organspenderausweis wird der behandelnde Arzt zunächst die Entscheidung treffen, ob aus medizinischen Gründen die Einstellung der Therapiemaßnahmen geboten ist – und das sicher nicht gegen den erklärten Willen der Angehörigen und unabhängig von einer möglichen Organentnahme. Erst danach werden – von zwei Ärzten/Ärztinnen voneinander unabhängig – die Untersuchungen durchgeführt, auf deren Grundlage die juristische Feststellung des Todes des Patienten erfolgt, die eine Organentnahme ermöglicht.
@abraham
Die Vertretbarkeit von lebenserhaltenden Maßnahmen,(ich würde diese begrifflich von Therapiemaßnahmen trennen) ist ja durch die Patientenverfügung durch den Betroffenen festgelegt worden. Ob von diesen Festlegungen abgewichen werden kann und darf, ist ein langwieriger Kommunikationsprozeß, der leider zwischen den Angehörigen nicht immer stattfindet. Hier kommt besonders die Forderung Annas nach mehr und ehrlicheren Informationen zum Tragen und ggf. auch eine Begleitung der Patientenverfügungen und Kommunikation durch Fachpersonal.
In der Regel sollte der Wunsch des Betroffenen respektiert werden, aber man kann ja nicht alle Eventualitäten vorhersehen. Es ist deshalb wichtig, eine Vertrauensperson zu benennen, der man entsprechende Entscheidungen auch im Ernstfall zutraut.
Selbstverständlich will ich den Wunsch nach dem würdevollen Sterben nicht in Frage stellen, aber auf der anderen Seite gibt es auch das Bedürfnis und den Wunsch nach würdevollem Sterbenlassen, bzw, Abschiednehmen. Auch das muß bedacht werden.
Eine provokante Frage muß ich aber doch noch stellen:
Warum haben viele Menschen so große Angst vor dem Leben mit einem funktionslosen Gehirn?
Wenn man der Definition vom Hirntod wirklich glaubt, dann bemerkt man in der Situation vom Leben sowenig wie vom Tod. Wäre es also nicht barmherzig, den Angehörigen die nötige Zeit zum Abschied zu geben?
Sehen Sie, lieber Abraham, hier kommt dann doch die Frage des „geplanten Selbstmords“ nochmal auf und auch die Frage, ob Bronskis Thematitel noch anders verstanden werden kann: Organe sind Wertgegenstände.
Man weiß sie gern in guten Händen.
Im Nachgang zu meinen Beiträgen #23 und #24 möchte ich weitere Überlegungen einbringen.
4. Zu geringes Angebot oder zu große Nachfrage?
Das Gesundheitsamt Frankfurt schreibt: „Bei stagnierender Zahl der Organspenden geht die Schere zwischen den möglichen Krankheitsbehandlungen durch Organ-Transplantation und der wachsenden Zahl transplantationsbedürftig erkrankter Mitmenschen weiter auseinander.“ [1]
Ich vermisse in der öffentlichen Debatte Erklärungen dazu, warum der Transplantationsbedarf steigt. (Hinweis hatte ich oben schon gegeben.) Und ich erwarte Lösungsansätze, wie man den „Bedarf“, also den Verbrauch an Fremdorganen, senken kann (= „ressourcenschonendes“ Verfahren).
5. Niemand stirbt an einem fehlenden Organ!
Das Gesundheitsamt schreibt: „Etwa 1000 Menschen sterben jedes Jahr, weil für sie kein passendes Organ gefunden wurde.“ Dies ist zurückhaltender formuliert, als es in der öffentlichen Debatte normalerweise ausgedrückt wird. Der Tenor ist ja meistens „Tausende sterben jährlich, weil es nicht genügend Spenderorgane gibt“.
a) Selbst wenn es „genügend“ Spenderorgane gäbe, wäre damit ja nicht zwangsläufig gewährleistet, dass dafür tatsächlich ein geeigneter(passender) Empfänger existiert. Wieviele Organe werden eigentlich explantiert, ohne jemals transplantiert zu werden?
b) Man kann es nicht oft und deutlich genug sagen: die Menschen sterben nicht an „fehlenden“ Spenderorganen, sondern an ihrer Grunderkrankung. Wer trotzdem – also wider besseres Wissen – eine solche Kausalität herstellt, gibt damit zu erkennen, dass er das Spenden eines Organs implizit erwartet. Ja, dass es geradezu normal sein müsse, Organe zu spenden. So wird der Tod eines Menschen auf der Warteliste nicht mehr als Folge einer schweren, schlimmstenfalls eben tödlichen Erkrankung gedeutet, sondern nur noch als Folge einer zu niedrigen Spendebereitschaft. Letztere wird häufig zudem noch in die Ecke moralischer Verwerflichkeit gerückt.
Als nach der Einfuhr der Lkw-Maut auf Autobahnen die ersten Lkw auf Landstraßen auswichen, kam der – völlig blödsinnige, aber zielstrebig diffamierende – Begriff Mautpreller auf. Man kann sich jetzt schon auf Begriffe wie Organverweigerer o.ä. einstellen.
6. Was denn nun: Spende oder Bedarf?!
Wer von einer mangelnden Spendebereitschaft spricht, verkennt das Wesen einer Spende: es ist ein Geschenk. Der Widerspruch ist doch offensichtlich: wenn die Rede von einem Bedarf an Organen ist – haben Sie schon einmal von einem Bedarf an Geschenken gehört? Wer aus der Besonderheit einer Spende den Regelfall machen will, will irgendwann die Bürgerpflicht zur Organentnahme. Eines Tages wird es dann eine entsprechende Untersuchung im Babyalter geben und später („bei Bedarf“) eine staatlich verordnete Lebendspende.
7. Bio-Leber aus Australien
Ein beträchtlicher Anteil der in Bioläden verkauften Lebensmittel kommt aus dem Ausland, oft von sehr weit her. Was spricht dagegen, dass Deutschland ein Organ-Importland ist? Gibt es medizinische Gründe? Passt eine Asiatenleber nicht in einen Europäerleib? Gibt es irgendwelche ideologischen, gar rassistischen Vorbehalte – „schwarzes“ Herz in „weissem“ Körper?
[1] http://www.frankfurt.de/sixcms/detail.php?id=3002&_ffmpar%5B_id_inhalt%5D=6231354
Siehe auch:
Offener Brief an den Bundesgesundheitsminister zum Thema Organspende vom 30.11.2011
http://www.diagnose-hirntod.de/?page_id=201
bzw.
Unser Brief an die Krankenkassen und Parteien zur Organtransplantationslüge
http://www.dpatgw.de/index.php?action=view_site&name=bdcccd26ba1d02f92e811cc8cc5c17ff&olink=e131223a13681566038ec379aab72597
Eine religionsgeschichtliche Einschätzung wäre auch noch von Interesse.
Jesus sagt im Sterben: „In Deine Hände befehle ich meinen Geist.“
Kann und sollte man das so verstehen, daß nur der Geist Gottes Eigentum ist, oder ob nur der Geist, aus eigenem Entschluß, in die Hände Gottes befohlen wird, der Körper aber nicht? Dies würde der Bemerkung abrahams, daß die Organspende auch ein Aufbegehren des Menschen gegen den Gott darstellt, Nahrung geben.
Viele Jenseitskonzepte gehen davon aus, daß ein Sein im Jenseits nur mit einem intakten Körper gewährleistet ist. Daher rührt vielleicht die Abscheu gegen die Vorstellung, „verstümmelt“ in das Jenseits einzugehen. Auch dies wäre kulturgeschichtlich zu durchdenken.
(Selbstredend spreche ich hier nicht von Behinderungen, sondern von der nachträglichen Verstümmelung, die durch die Organentnahme stattfindet.)
Falls heinrich über unsere unerheblichen Differenzen hinwegsehen kann, würde ich seine Ausführungen dazu gern lesen.
@ # 82/84 Standort
In Bezug auf Patientenverfügung und Absprache mit Familienangehörigen stimme ich Ihnen zu. Dies sollte unbedingt der Entscheidung vorausgehen, ob man sich zur Organspende bereit erklärt.
Ansonsten muss ich erneut widersprechen: Wie ich ausführlich dargelegt habe, ist die Entscheidung, bei einem unumkehrbar Sterbenden die Maschinen abzustellen (deren Umsetzung bei einer Organentnahme herausgezögert wird), keine Tötung und folglich auch keine Selbsttötung. Die Organspende widerspricht in meinem Verständnis nicht dem jüdischen Religionsgesetz, sie erfüllt sogar das Gebot Leben zu retten.
Vom „Aufbegehren gegen Gott“ habe ich im Zusammenhang mit passiver oder aktiver Sterbehilfe geschrieben, keineswegs in Bezug auf Organspende.
Zu Ihren „theologischen“ Fragen:
Nach rabbinischer Auffassung ist sowohl der menschliche Körper als auch die Seele Gottes Eigentum. Im Morgengebet heißt es: „Mein Gott, die Seele, die du mir gegeben hast, ist rein. Du hast sie mir eingehaucht, du behütest sie in mir und du wirst sie mir eines Tages nehmen und in ein ewiges Licht verwandeln.“ Das Gebet gab es höchstwahrscheinlich in der Zeit Jesu noch nicht, die Grundeinstellung aber unter den Pharisäern vermutlich schon. Dass Jesus viele Einstellungen der Pharisäer teilte, aus denen sich das rabbinische Judentum entwickelte, ist bekannt.
Es ist, vor allem in der Orthodoxie, eine jüdische Auffassung, dass der tote Körper vollständig beerdigt werden soll. Die Unversehrtheit der Leiche ist aber keine „Voraussetzung“ für die leibliche Wiederauferstehung (eine Vorstellung, die im liberalen Judentum, dem ich angehöre, ohnehin keine wesentliche Rolle spielt).
@ Standort/Abraham
Zur Frage, wie Organspende und die damit einhergehende Verstümmelung des Spenderkörpers christlicher und jüdischer Sicht beurteilt wird, ist bei Wikipedia folgendes zu lesen:
„Von Seite christlicher Kirchen wurde bis in die 1950er Jahre mit Blick auf das Verstümmelungsverbot von Leichnamen die Organspende abgelehnt. Heute wird heute von den meisten großen christlichen Kirchen die Ansicht vertreten, dass die altruistische, der Nächstenliebe entspringende Entscheidung zur Organspende Vorrang habe vor der körperlichen Integrität des Leichnams. Hingewiesen wird lediglich auf die Notwendigkeit eines angemessenen und würdevollen Umgangs mit dem toten Spender sowie außerdem auf die Autonomie des Spenders und die Freiwilligkeit seiner Spende. Unter anderem aus diesem Grund wird auch das Modell einer Widerspruchsregelung kritisch betrachtet.
In jüdischen Ethiken spricht das strikte Verbot, einen Leichnam zu verstümmeln, gegen eine Organspende. Andererseits steht die Pflicht, das Leben eines Menschen zu retten, im Judentum über nahezu allen anderen Geboten. Deshalb wird Organtransplantation im progressiven und, sofern ein konkreter Empfänger das Organ braucht, auch im orthodoxen Judentum befürwortet. (Die Religionszugehörigkeit von Spender und Empfänger gilt dabei nicht als relevant.)“
Der Unterschied zwischen der christlichen und jüdischen Position scheint also darin zu liegen, dass von der jüdischen Seite aus eine praktisch vorbehaltslose Pflicht besteht, ein Menschenleben zu retten, wo immer das irgend möglich erscheint.
Somit empfinde ich in diesem Punkt die christliche Haltung weitaus liberaler (und ist mir persönlich auch sympathischer), weil sie ausdrücklich sowohl einen „angemessenen und würdevollen Umgang“ mit dem Spender, der für mich gerade nicht gegeben erscheint, als auch die individuelle Entscheidungsfreiheit betont.
Wer wirklich aus tiefer Überzeugung mit seinen Organen andere Menschenleben retten will, und sei es nur für ein paar Jahre, hat meine uneingeschränkte Hochachtung.
Andererseits fände ich es aber fatal, wenn dem Aufruf zur Organspende blindlings gefolgt werden würde, ohne sich vorher mit den problematischen Aspekten auseinandergesetzt zu haben. Und ein Quasi-Zwang zur Organspende darf m. E. schon gar nicht entstehen.
@anna,abraham
Vielen Dank für die Antworten. Für mich war diese Diskussion sehr informativ und spannend.
Ich denke, es ist nun alles gesagt. Bis zum nächsten Mal…
Nein, es ist noch nicht alles gesagt. Die Organentnahme ist so ziemlich das Intimste – neben Sex und Religion – mit dem sich ein Mensch beschäftigen kann. Da hat der Staat nicht hineinzuregieren.
Es steht staatlichen Stellen, Verbänden, Stiftungen usw. frei, für eine Organentnahme zu werben – was ja in den letzten Jahren mit Hilfe der Medien auch massivst erfolgt ist. Und jeder, der es möchte, hatte bisher schon die einfache Möglichkeit, sich einen Organspenderausweis zuzulegen.
In einer freiheitlichen Gesellschaft kann es nur eine Lösung geben: die bedingungslose Zustimmungslösung. Das beinhaltet auch, dass keine Kaffeesatzleserei bei Angehörigen nach dem „mutmaßlichen Willen“ des potentiellen „Spenders“ betrieben wird – spenden kann nur der Spender selber.
8. Was erlauben Staat?!
Der Staat mischt sich nun nicht nur in das Privatleben der BürgerInnen ein, sondern auch noch in die Selbstverwaltung der Krankenkassen, indem er ihnen auferlegt, die Mitglieder turnusmäßig mit der Frage über Organentnahme zu belästigen. Die Zwangsversicherten – also der größte Teil der BundesbürgerInnen – sollen von Staats wegen verpflichtet werden, sich mit dieser Frage zu beschäftigen. Ein Organspendeausweis liegt gleich bei.
Als nächstes wird der Staat wegen sog. „Parteiverdrossenheit“ und „Wahlmüdigkeit“ die Parteien gesetzlich dazu verdonnern, alle BundesbürgerInnen turnusmäßig über Vorteile und Notwendigkeit von a) einer Parteimitgliedschaft und b) der Teilnahme an Wahlen „aufzuklären“. So soll die Legitimität von Parteien und politischen Entscheidungen erhöht werden. Aufnahmeanträge beigefügt. (Die Demokratie stirbt, weil der „Bedarf an Wählerstimmen“ nicht ausreichend gedeckt wird.)
Danach wird der wohlmeinende Staat wegen des „Machtgefälles zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern“, also der Schwäche der Gewerkschaften, letzteren per Gesetz aufgeben, alle ArbeitnehmerInnen turnusmäßig über Vorteile und Notwendigkeit einer Gewerkschaftsmitgliedschaft „aufzuklären“. Aufnahmeanträge beigefügt.
Anschließend wird der Staat die großen Sportverbände gesetzlich dazu zwingen, alle BundesbürgerInnen turnusmäßig über Vorteile und Notwendigkeit sportlicher Betätigung „aufzuklären“ – ganz im Sinne der Volksgesundheit. Mitgliedsanträge beigefügt.
Und schließlich wird der Staat wegen des „beklagenswerten Werteverfalls in der Gesellschaft“ die großen Religionsgemeinschaften gesetzlich dazu zwingen, alle BundesbürgerInnen turnusmäßig über Vorteile und Notwendigkeit religiöser Betätigung „aufzuklären“ – ganz im Sinne der „Wertevermittlung“.
Enden wird das Ganze dann eines Tages mit einer strafbewehrten Wahlpflicht [1] und einer gesetzlichen Zwangsmitgliedschaft in diversen Verbänden, wie es heute schon (bzw. immer noch) bei den Handelskammern/IHKs der Fall ist.
Nochmal: was erlauben Staat?!
[1] „Demokratie ohne Demokraten funktioniert nicht“. Mit diesem Argument begründete der SPD-Bundestagsabgeordnete Jörn Thießen seinen Vorstoß für eine Wahlpflicht in Deutschland.“ und weiter … kontert der studierte Theologe und verweist dabei auf Belgien, das seinen Bürgern den Gang an die Wahlurne vorschreibt. Bei Nichterfüllung werden 50 Euro Geldstrafe fällig. Eine ähnliche Sanktionierung schwebt Thießen auch für Deutschland vor.
http://www.bundestag.de/btg_wahl/wahlinfos/wahlpflicht/index.jsp
@ Anna
Eine „vorbehaltlose Pflicht“ zur Organspende lässt sich aus der jüdischen Position nicht herauslesen und ein „angemessener und würdervoller Umgang“ mit jedem Toten gehört zu den wichtigsten Pflichten des Judentums (siehe meine Ausführungen zur Chewra Kadischa).
Ansonsten stimmt es, dass sich das Judentum mehr um das konkrete Handeln Gedanken macht. Habe nichts dagegen, wenn Sie das als weniger „liberal“ empfinden.
Ich will nach einigem Zaudern doch noch auf einige der hier vorgetragenen Positionen und Argumente eingehen. Beginnen will ich mit einer Erwiderung auf maat # 65
Nagel spricht dir aus der Seele, liebe maat, indem er in dem Ausdruck „ausschlachten“ eine „Skandalisierungstendenz“ sieht und betont: „ganz deutlich muss man sagen: es geht nicht um den Austausch eines Apparates, sondern ein Organ ist Teil eines Gesamtsystemes, eines biologischen Wunderwerkes“. Dabei übersiehst du geflissentlich, dass er damit selbst sich im Rahmen technisch-rationaler Begrifflichkeit bewegt, indem er von einem „biologischen System“ spricht statt vom menschlichen Leib. Denn das hat der Apparat als „System“ mit dem biologischen Organismus unter diesem Begriffs-Aspekt gemeinsam, dass darin jeweils einzelne „Elemente“ im Rahmen eines Funktionsmechanismus zusammenwirken. Die Rede vom „biologischen Wunderwerk“ ist dagegen ein mystifizierender Euphemismus, der sich kontradiktorisch zum medizinisch-naturwissenschaftlichen Verständnis verhält, denn Wunder zeichnen sich gemeinhin gerade dadurch aus, dass sie die Naturgesetzlichkeiten überschreiten und ihnen zuwiderlaufen.
Hier soll also durch einen Mediziner gegen seine Kontrahenten der Humanitätsaspekt auf den Schild gehoben werden, was ihm aufgrund seiner naturwissenschaftlich geeichten Sprache jedoch eher misslingt. Zudem muss er über seine Disziplin einräumen, dass die Medizin „den Körper nicht selten als Materie sieht, als eine Art Maschinenraum, da kommt natürlich eine solche Wahrnehmung oder eine solche Skandalisierungstendenz mit zum Tragen“.
Wobei der Körper natürlich in der Tat nichts anderes ist als Materie, folgerichtig auch in der Zweck-Mittel-Relation als „Material“ gesehen und behandelt wird. Man sollte die Sprache, wie schon gesagt, nicht kritisieren, wo sie ihren Gegenstand adäquat beschreibt. Wo die Sprache als anstößig erscheint, ist es in Wirklichkeit ggf. der benannte und beschriebene Sachverhalt.
Bewegte sich Nagel auf der Höhe philosophischer Begrifflichkeit, könnte er das Verhältnis von (körperlicher) Materie und menschlichem Leben prägnanter erfassen. Erhellend ist in dieser Hinsicht die Philosophin und Theologin Edith Stein, die ebenso wie ihr akademischer Lehrer Edmund Husserl dem Judentum entstammt und deren Verständnis mir vielleicht deshalb ähnlich dem von Abraham gezeichneten erscheint. Sie ordnet den Begriff des „Körpers“ der Physik zu, ein „Körper“ ist seit Descartes per Definition ein Gegenstand mit dreidimensionaler Ausdehnung, wogegen die Menschen keinen Körper haben, sondern einen lebendigen Leib, der als solcher immer schon beseelt ist, genauer gesagt haben sie keinen Leib, sondern sind einer, und „lebendig“ und beseelt bedeutet, streng beim Wort genommen, dasselbe. Worauf ich zurückkommen werde.
Bezeichnend und erstaunlich zugleich finde ich, liebe maat, dass du für dich persönlich die O.T. ablehnst, aber die Argumente, die Alexandra Manzei vorbringt, trotz ihrer Gewichtigkeit völlig außer Acht lässt. Dabei lägest du nach meinem Verständnis viel näher bei ihr als bei den Verfechtern des Hirntod-Konzepts. wenn du die kopernikanische Wende vollzögest. Will sagen, deine Aussage:
„obwohl ich vom Verstand her den Begriff des Hirntodes nachvollziehen kann, weiß ich dass ich mit dem Bild nicht leben könnte, in einer Intensivstation zu sitzen am Bett eines geliebten Menschen, zu wissen, dass er zwar tot ist, aber dennoch für mich alle wahrnehmbaren Merkmale eines Lebenden aufweist.“
erscheint viel sinnfälliger, wenn du davon ausgehst, dass die Person eben nicht tot ist. Die „Bilder“, die du in deinem Kopf brauchst, um etwas nicht nur mit dem Verstand zu begreifen, zeugen von einem sensualistischen Erkenntnisstreben. Damit hat man es in der verwissenschaftlichen Moderne überhaupt schwer. Das künstlerisch-ästhetische Wissen kann wissenschaftliche Erkenntnis nicht substituieren, sondern kann als „episteme“, als Wissen sui generis, diesem allenfalls eine zusätzliche Dimension hinzufügen, oder?
Gegen ganz persönliche Entscheidungen lässt sich, wie gesagt, nichts sagen, sie sind inkommensurabel. Dass du aber bei der Spenderausweis-Frage dermaßen dich und dein Interesse in den Vordergrund stellst und dahinter sowohl die Interessen potenzieller Organempfänger als auch sogar die von vielleicht spendenwilligen Angehörigen zurückstellst, das gibt mir dennoch zu denken. Oder habe ich dich da missverstanden?
Grüße
Heinrich
@heinrich Korrektur:
„Die Rede vom “biologischen Wunderwerk” ist dagegen ein mystifizierender Euphemismus, der sich kontradiktorisch zum medizinisch-naturwissenschaftlichen Verständnis verhält, denn Wunder zeichnen sich gemeinhin gerade dadurch aus, dass sie die Naturgesetzlichkeiten überschreiten und ihnen zuwiderlaufen. “
Hier bezieht sich der Begriff „Wunderwerk“ auf noch unbegriffende Naturgesetzlichkeiten, also nicht auf religiös begründete Unnatürlichkeiten, sondern auf die Bewunderung des noch nicht erforschten Natürlichen und auf das Staunen gegenüber dem Erstaunlichen. Dies stellt keine Mystifizierung dar. Sie mißverstehen die Sprache. Es geht um ein „wunderliches“ oder „bewunderungswürdiges“ Werk der Natur, nicht um „Wunder“im religiösen Sinn, wie ja schon der Zusatz „biologisches..“ deutlich macht.
Das Thema des Threads lautet ja nicht „Sind Sie für oder gegen eine Organspende und wenn ja: warum?“, sondern „Organe sind begehrte Wertgegenstände“.
Schauen wir uns dazu doch einmal ein paar Zahlen an.
1. Die Zahl der Spender je 1 Mio. Einwohner beträgt in D, einem Land mit Zustimmungslösung, rund 15. In Ländern mit Widerspruchslösung [1] beträgt die Rate zwischen 11 (Polen) und 34 (Spanien), im Schnitt rd. 25 – die Rate konnte gegenüber D also nicht einmal verdoppelt werden. [2]
2. Nach Angaben zu „Organspende und Transplantation 2007 bis 2011 in Deutschland“ [3] gab es laut Eurotransplant mit Stand vom 31.12.2011 in D rund 1.100 Nierenspender. Mit einer ordentlichen Verdoppelung nach Punkt 1. könnten daraus 2200 werden. Eine solche Verdoppelung halte ich in Bezug auf die BRD allerdings für unrealistisch.
3. Ausweislich der unter [3] genannten Eurotransplant-Quelle stehen rund 7.500 Menschen auf der Warteliste für eine Nierentransplantation. Die Spenderzahl müsste also versiebenfacht (!) werden, um den „Bedarf“ an Spendernieren decken zu können.
4. Die Sterberate in D beträgt rund 11 Todesfälle/1000 Einwohner, da ergibt rund 900.000 Todesfälle pro Jahr. Die Anzahl der Hirntoten an den gesamten Todesfällen beträgt ca. 0,5%, also rund 4.500.
5. Aus medizinischer Sicht sind etwa 10% der Nieren nicht transplantabel, es stünden also maximal 8.100 Nieren zur Verfügung – bei einer dafür notwendigen Zustimmungsquote zur Organentnahme von 100% (!). Wäre eine Zustimmungsquote von 90% erreichbar, ließe sich der Bedarf an Nieren zwar numerisch decken, über die tatsächliche Transplantierbarkeit (Gewebeverträglichkeit usw.) ist damit natürlich noch nichts gesagt, sie dürfte allerdings unter der Zahl der tatsächlich vorhandenen Organe liegen.
(Es wäre in diesem Zusammenhang auch interessant, zu erfahren, wieviele Hirntote, die einer Organentnahme nicht zugestimmt haben, als geeignete Spender überhaupt in Frage gekommen wären.)
So makaber es klingt: man müsste neben der Erhöhung der Spenderzahl auch die Zahl der Hirntoten drastisch erhöhen, um eine ausreichende Anzahl passender Transplantate gewinnen zu können. (Oder ein Screening – ähnlich der Knochenmarkspende – durchführen und massenhaft Lebendspenden durchführen).
[1] Widerspruchslösung heisst: jeder der nicht ausdrücklich einer Organentnahme widerspricht, ist automatisch „Spender“.
[2] http://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/transplantationen-zahl-der-organspenden-in-deutschland-sinkt-a-808649.html
[3] http://www.organspende-info.de/information/studien-und-gesetz/statistiken/
@ Standort
Ihr Einwand ergibt keinen Sinn für mich.
Können Sie bitte konkretisieren, was Nagel uns Ihrer Ansicht nach mit seiner Äußerung, “ganz deutlich muss man sagen: es geht nicht um den Austausch eines Apparates, sondern ein Organ ist Teil eines Gesamtsystems, eines biologischen Wunderwerkes” sagen will?
@ Anna
Nein, bitte nicht!
@anna
Ich denke, ich komme Heinrichs Bitte nach 🙂
@ Heinrich
„Erhellend ist in dieser Hinsicht die Philosophin und Theologin Edith Stein, die ebenso wie ihr akademischer Lehrer Edmund Husserl dem Judentum entstammt und deren Verständnis mir vielleicht deshalb ähnlich dem von Abraham gezeichneten erscheint.“
In der Schöpfungsgeschichte der Bibel wird der Mensch tatsächlich als „beseeltes Tier“ bezeichnet. Als beseelt (was gleichbedeutend mit „lebendig“ ist, worauf Du hingewiesen hast) sind aber auch die vor dem Menschen erschaffenen Tiere. Lebendig wird der Mensch, indem ihm Gott „nischmat chaim“, den Lebensodem, einhaucht. Das hebräische Wort „neschama“, das üblicherweise als Seele übersetzt wird, bedeutet auch Atem. Die Seele wird in der jüdischen Tradition nicht als ein Gegenpol zum Körper verstanden (was auch die zeitweise im Christentum verbreitete Körperfeindlichkeit verhindert), sondern ist ein Teil seiner lebendigen Beschaffenheit. Der Ausdruck, dass sich die Seele vom Körper trennt, beschreibt keinen metaphysischen Vorgang, sondern besagt, dass das Leben aus dem Körper entweicht.
In dem Übergang vom Leben zum Tod gibt es aber keine „natürliche“, klare Grenze, wann bereits das Leben aufhört und der Tod begonnen hat. Über diese Grenze wird im Talmud und der nachtalmudischen rabbinischen Literatur heftig gestritten. Es geht darum, was zu tun ist, wenn ein Haus am Schabbat einstürzt und einen Menschen unter sich begräbt. Lebt dieser Mensch, so muss man die Trümmer wegräumen, um ihn zu retten, weil die Rettung des Lebens Vorrang vor dem Gebot der Schabbatruhe hat. Ist das Sterben unumkehrbar, muss man mit der Bergung der Leiche bis nach Schabbat warten, auch wenn der Körper noch warm ist.
Diese Entscheidungssituation ist für uns irrelevant, aber nicht der Entscheidungsprozess, der durch die Möglichkeiten der Apparatemedizin noch komplizierter geworden ist. Ich will maats Empfindungen keineswegs gering schätzen und ihre persönliche Entscheidung in Frage stellen. Können wir uns aber nur von Gefühlen leiten lassen? Ist ein Körper, dessen Funktionen nur durch Apparate aufrechterhalten werden, wirklich noch ein lebendiger Mensch, ein „beseelter“ Leib? Schaffen wir damit vielleicht gar die Horrorvariante des „ewigen Lebens“?
Ich meine, dass wir auch in dieser Situation die menschliche Fähigkeit, Gutes und Schlechtes unterscheiden zu können, die uns das rationelle Denken bietet, nicht ausschalten sollten. Dazu dürfen (oder müssen) wir uns auch technisch-medizinischer Mittel und Erkenntnisse bedienen, die uns helfen zu entscheiden, ob die Apparate noch helfen, ein Leben zu erhalten, oder ob sie nur noch das Sterben verhindern. Das Hirntod-Konzept markiert für mich nachvollziehbar eine der möglichen Grenzen, nicht nur im medizinisch-naturwissenschaftlichen, sondern auch im ethischen Sinn.
@ Abraham
Mit deinem Kommentar schaffst du eine Diskussionsbasis mit mir, auf der wir uns näher kommen könnten. Das kann maqn leider von deiner Antwort # 5 nicht behaupten, die nach dem Muster aufgebaut ist: ich simplifiziere erst einmal die Gedanken meines Kontrahenten, versehe sie ggf. noch mit moralischen Verdikten, dann kann ich sie leichter widerlegen. Darauf bin ich sehr bewusst, und keinesfalls mangels Argumenten, nicht eingegangen, denn so kann man mit mir nicht diskutieren. Darauf könnte ich bei Bedarf nachträglich eingehen, auch wenn der Diskussionsleiter befindet, hier sei schon alles gesagt.
Was mir ebenfalls zu denken gibt, ist der Subtext den ich einigen deiner Darlegungen entnehme, nämlich dass du vom Standpunkt einer überlegenen jüdischen Ethik aus zu argumentieren scheinst, der im einzelnen interessant sein kann, aber verdeckt, dass er in der Regel so weit gar nicht von der christlichen bzw. einer säkularen Ethik entfernt ist. Denn dass Menschenleben zu retten und zu erhalten im Prinzip auch dort geboten ist, scheint mir evident. Die von dir ins Spiel gebrachten Konflikte sind dort aber ggf. nicht virulent, denn das Verbote der Sonntagsarbeit ist nicht einmal für einen orthodoxen Katholiken so eng gefasst, dass er ggf. beim Kirchenensturz in Konflikt damit geriete, wenn er einen Verschütteten retten wollte bzw. sollte.
Das gilt jedenfalls für die immerhin einigen Jahrzehnte meines bewussten Lebens. Theologisch gibt es gewisse Unterschiede zwischen Katholiken und Protestanten, was die Priorität von Glauben oder guten Werken angeht, aber die scheinen mir für die Frage: Menschenleben retten, durchaus peripher.
Den Wind aus den Segeln nimmst du mir allerdings mit deinen Reflexionen über Leib und Leben. Solches Herangehen habe ich schmerzlich bei deinen Äußerungen zum „jüdischen Volk“ vermisst, auf die kritisch einzugehen ich leider zu spät gekommen bin. Es ist völlig verfehlt, textliche Aussagen von vor tausend oder gar zweitausend Jahren nur lexikalisch zu übersetzen und dann zu meinen, man hätte es mit Aussagen von Zeitgenossen zu tun. Das gilt für den Volksbegriff ebenso wie für solche Begriffe, wie „Geist“ oder „Seele“.
Das Verfahren, das von Theologen und Philosophen des 19. und 20 Jh. (u.a. Schleiermacher, Dilthey, Gadamer) für eine adäquate Textauslegung entwickelt worden ist, heißt, wie gesagt, Hermeneutik. Für unseren Zusammenhang bedeutet das, kurz gesagt: Man versucht sich anhand des kulturellen und sprachlichen Vorwissens in den Sinn überlieferter Texte hineinzudenken, erfasst dabei die damalige kulturelle Geisteshaltung genauer und deutet weitere Texte von diesem erweiterten Verständnis her. Diese Denkspirale wird „hermeneutischer Zirkel“ genannt.
Eklektische Ableitungen aus Sätzen, wie „Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist“ , ohne Berücksichtigung des hermeneutischen Zirkels, sind reine Spekulation und zielen am Sinn der Aussagen der Evangelien vorbei, was ggf. gezeigt werden könnte..
Du exemplifizierst das dagegen sehr sinnfällig anhand der Begriffe Körper und Seele und des scheinbar mehrdeutigen Wortes „neschama“. Interessanterweise stimmt das weitgehend überein mit der ursprünglichen Sicht der Christen, wie ich noch zeigen will. An anderer Stelle schreibst du:
„Dass Jesus viele Einstellungen der Pharisäer teilte, aus denen sich das rabbinische Judentum entwickelte, ist bekannt.“
Wobei zu vermerken ist, dass der eigentliche Begründer des Christentums Paulus ist, dessen überlieferte Missionsbriefe älter sind als die Evangelien. Von Jesus sind nur einige wenige Sätze authentisch überliefert. Paulus aber war tatsächlich ein pharisäischer Rabbiner, Schüler des berühmten jüdischen Gelehrten Gamaliel I..
Seine Auffassungen zur Auferstehung der Toten dürften sich zunächst nur wenig unterscheiden von denen der damaligen Pharisäer bzw. des rabbinischen Judentums. Die Vorstellungen davon sind im Judentum aber wohl nicht einhellig, soweit ich sehe, hat sich die Ablehnung einer leiblichen Auferstehung und der Glaube an eine unsterbliche Seele, erst in neuerer Zeit im liberalen Judentum verfestigt. Da lasse ich mich gerne von dir belehren.
Die Vorstellungen von einer unsterblichen Seele gehen m.E. auf Platon zurück und gelangen über den „Hellenismus“ in das jüdisch-christliche Denken. In der christlichen Glaubenslehre verfestigt sich jedoch von vornherein der Glaube an eine Auferstehung von Leib und Seele, ausgehend von den frühen Zeugnissen von Gläubigen, denen Jesus nach seiner Auferstehung „leibhaftig“ erschienen ist.
Was aber vielleicht eigentlich wichtiger ist und jedenfalls vom handfesten Thema weniger abhebt, sind Darlegungen wie diese, die ein Gegengewicht zum Mainstream hier darstellt und, von jemandem verfasst, der sich an anderer Stelle, nämlich in seinem äußerst lesenswerten Buch „Der Gottesbegriff nach Auschwitz“ ausdrücklich als „jüdische Stimme“ bezeichnet, an einer einhelligen „jüdischen Ethik“ im Hinblick auf Organspenden zweifeln lässt:
http://www.transplantation-information.de/hirntod_transplantation/hirntod_hans_jonas_1968.html
@heinrich
„auch wenn der Diskussionsleiter befindet, hier sei schon alles gesagt. “
Sehen, das ist das Verletzende, das Sie nicht lassen können, und solche Seitenhiebe oder „Tiefschläge“ bauen Sie ständig in Ihre Texte ein, und dies rechtfertig nachträglich meinen Hinweis, den ich mir bislang verkniffen habe, daß Sie(!) regelmäßig diese Konflikte provozieren.
Und, bezogen auf Ihre sehr selbstbewußte Behauptung, sie beherrschten die Sprache in der Sie schreiben, ist wohl klar, daß Sie mit Absicht so handeln.
@abraham
„Ist das Sterben unumkehrbar, muss man mit der Bergung der Leiche bis nach Schabbat warten, auch wenn der Körper noch warm ist.“
Im Bezug auf den Hirntod stimmt diese Behauptung der Unumkehrbarkeit nicht, weil ein hirntoter Mensch nicht immer stirbt und manchmal sogar erwacht.
Auch ist das Sterben durch Maschinen umkehrbar, da ein Mensch mit Hilfe dieser Maschinen eben nicht stirbt. Weil Sie persönlich ein solches maschinengestütztes Leben nicht als erstrebenswert ansehen, sehen Sie es nicht als Umkehr des Sterbens. Dies betrifft ihre persönliche Entscheidung und Patientenverfügung, kann aber nicht allgemeingültig sein.
@ Standort
… ach so ein kleines Spässchen am Rande ist doch kein „Tiefschlag“.
Erscheint Dir etwas unerhört,
bist Du tiefsten Herzens empört,
bäume nicht auf, versuch’s nicht mit Streit,
berühr‘ es nicht, überlaß es der Zeit.
Am ersten Tag wirst Du feige Dich schelten,
am zweiten läßt Du Dein Schweigen schon gelten,
am dritten hast Du’s überwunden;
alles ist wichtig nur auf Stunden,
Ärger ist Zehrer und Lebensvergifter,
Zeit ist Balsam und Friedensstifter.
Theodor Fontane
@abraham
Was noch zu bemerken wäre ist, daß ich schon eine paar Menschen betreut habe und habe großwerden sehen, denen ein unumkehrbares Sterben vorhergesagt war.
Man kann sich halt nicht immer auf die Glaskugeln der Kenntnisreichen verlassen.
@anna
… ach so ein kleines Spässchen am Rande ist doch kein “Tiefschlag”.
Kommt darauf an, welche Höhe es erreicht. Damit gut.
Experten wie Klaus-Dieter Zastrow von der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH) gehen davon aus, dass sich pro Jahr etwa 900.000 Menschen mit sog. „Krankenhauskeimen“ infizieren. An diesen Infektionen sterben nach Angaben der DGKH, der Gesellschaft für Hygiene, Umweltmedizin und Präventivmedizin (GHUP) und dem Bundesverband der Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD) jährlich ca. 30.000 Menschen. [1]
An einer stinknormalen Grippe sterben jedes Jahr in der BRD bis zu 15.000 Menschen. Jedes Jahr werden also Städte wie Alsdorf (bei Aachen) oder Kaufbeuren oder die Verbandsgemeinden Diez, Katzenelnbogen und Hahnstätten (mit jeweils ca. 45000 Einwohnern) entvölkert.
Bei allem Mitgefühl für all diejenigen, die während der Wartezeit auf ein Spenderorgan sterben, darf man dennoch die Frage stellen: was macht diese 1000 Menschen so besonders, dass dafür ein derartiger medizinischer, finanzieller und propagandistischer Aufwand getrieben wird?
[1] Quelle:
http://www.heilpraxisnet.de/naturheilpraxis/jaehrlich-30000-tote-durch-krankenhausinfektionen-2902.php
oder
http://www.welt.de/print/welt_kompakt/print_wissen/article13362399/Mehr-Hygiene-Tote-als-angenommen.html
@ Standort alias BvG # 97
Ach du je, kommen Sie mal runter! Wenn Sie so etwas verletzt, entschuldige ich mich dafür und korrigiere meine Aussage: „Darauf könnte ich noch eingehen, auch wenn hier jemand, der gar nicht der Diskussionsleiter ist, denkt, es sei nun alles gesagt.“
Was das Provozieren von Konflikten angeht, so verwechseln Sie mal nicht Ursache und Wirkung! Ich erinnere mich nicht, mit Ihnen im Gespräch gewesen zu sein, aber Sie fahren mir mit groben Missdeutungen meiner Aussagen und unangemessenen moralischen Vorhaltungen in die Parade. Mir ist es lästig, das jeweils geradezurücken, wie ich es in # 55 versucht habe, wenn Sie weder das verstehen oder akzeptieren noch Bronskis und Abrahams Hinweise.
Meine angebliche Behauptung, ich beherrschte die Sprache, in der ich schreibe, woher haben Sie das denn? Was ich aber gewiss gesagt habe: Es sieht nicht so aus, als ob Sie meine Sprache verstünden, sicher ist jedoch: Ich verstehe Ihre kein bisschen.
Nochmal: Lassen Sie es also gut sein! Wenn Sie mich in Frieden lassen, tue ich das Ihnen gegenüber erst recht.
@ Heinrich
Ich stimme Standort # 98 so weit zu, dass auch ich die Formulierung vom Diskussionsleiter als herabsetzend empfinde. Auch wenn er in # 87 gesagt hat, dass nun alles gesagt sei, und sich dann über sein eigenes Wort hinweggesetzt hat.
Für mich ist offensichtlich, dass Sie aneinander vorbei reden, weil Sie verschiedene Sprachen sprechen. Und wenn der eine sich nicht ums Verstehen bemühen will und der andere ebenfalls nicht, dann ist keine Verständigung möglich, und man rutscht aufs Glatteis der Unterstellungen. Der eine fühlt sich missachtet und dadurch in seiner Würde provoziert, dem anderen ist es lästig, dass ihm mit „unangemessenen moralischen Vorhaltungen in die Parade“ gefahren wird. Welche „Parade“ Du auch immer meinst, Heinrich: Ich schalte das Blog jetzt auf Moderation. Ihr wisst schon alle, was das bedeutet.
Es ist Wochenende. Ich werde alle paar Stunden nachschauen, ob neue Kommentare freigeschaltet werden können. Mit problematischen Kommentaren – das sind hier solche Kommentare, die die Diskussionsleiter-Diskussion fortzusetzen wünschen – werde ich mich frühestens am Montag befassen.
Ein schönes Wochenende Ihnen allen
gez.
Bronski (Diskussionsleiter)
@ # 96 Heinrich
Lieber Heinrich,
tatsächlich wäre ich daran interessiert, wenn Du mir Denen Vorwurf erklären könntest, wonach meine Antwort # 5 „nach dem Muster aufgebaut ist: ich simplifiziere erst einmal die Gedanken meines Kontrahenten, versehe sie ggf. noch mit moralischen Verdikten, dann kann ich sie leichter widerlegen“. Ich hatte einige Teilaspekte Deiner Ausführungen # 4 aufgenommen und dazu zur Diskussion meine jüdische Position angeboten (so schieb ich es ausdrücklich). Dabei mag ich dich missverstanden oder gar Deine Ausführungen simplifiziert haben, aber worin habe ich einen „moralischen Verdikt“ erhoben? Unangebracht finde ich Dein Verdikt, ich würde „vom Standpunkt einer überlegenen jüdischen Ethik aus“ argumentieren. Ich argumentiere auf der Grundlage der jüdischen Tradition von meinem Standpunkt aus, den ich in keiner Weise anderen Standpunkten überlegen empfinde und die in vielen Punkten zu ähnlichen Positionen führen. Deshalb bin ich z.B. von der universellen Geltung der Menschenrechte überzeugt. Dies müsste Dir eigentlich aus unseren zahlreichen Diskussionen bekannt sein.
Näher kommen wir uns, wenn Du schreibst: „Es ist völlig verfehlt, textliche Aussagen von vor tausend oder gar zweitausend Jahren nur lexikalisch zu übersetzen und dann zu meinen, man hätte es mit Aussagen von Zeitgenossen zu tun.“ Dieser Eindruck mag entstehen, wenn man jüdische Diskussionen verfolgt, die sich auf Zitate aus der Tora und Talmud oder auf Meinungen von Autoritäten vergangener Zeiten berufen. Der Kontext ist aber, dass diese Diskussionen nicht in der Vergangenheit, sondern in der Gegenwart geführt werden (und in diesem Kontext sehe ich auch meine früheren Äußerungen zum „jüdischen Volk“). Die Fülle der möglichen Interpretationen erlaubt es, diese auf Relevanz für die heutige Zeit zu prüfen. In der rabbinischen Formulierung heißt es: „Jede Generation ist verpflichtet, die Tora in der Sprache ihrer Zeit zu lesen.“ Gehen aber Philosophen gänzlich anders mit ihren „Autoritäten“ um? Sucht Ihr Euch bei Plato, Aristoteles, Kant usw. nicht ebenso die Gedanken und Denkkonzepte, die Euch relevant erscheinen, ohne immer auch den historischen Kontext mit zu diskutieren?
Trotzdem ist Dein Hinweis auf die historisch-kritische Bibelforschung bzw. die Hermeneutik berechtigt. Sie ist ein Instrument, das das liberale Judentum mit verwendet (Leao Back war Schüler von Dilthey) und vermutlich auch von manchem modernen orthodoxen Denker stillschweigend berücksichtigt wird. Für die Gegenwart genauso wichtig (vielleicht sogar wichtiger) ist aber die lebendige Kette der Überlieferung, die das vor Jahrhunderten Geschriebene umgeformt hat.
Danke auch für die Ergänzung zum Ursprung des Begriffs der unsterblichen Seele in der hellenistischen Philosophie. Dies ist eines der Beispiele dafür, dass das Judentum schon immer philosophische und religiöse Einflüsse von „außen“ aufgenommen hat. In „Glaubensfragen“ gibt es im Judentum allerdings eine große Bandbreite und ein gewisses „Laissez-faire“ (Moses Maimonindes, die Autorität des 11. Jahrhunderts, schreibt z.B. in seinen „Gesetzeswerken“ den Glauben an die leibliche Auferstehung fest, äußert aber in seinen philosophischen Schriften seine Zweifel daran). Das liberale Judentum neigt dazu, „metaphysische“ Konzepte wie Auferstehung, Messias, aber auch unsterbliche Seele eher symbolisch zu verstehen. Dem religiösen Gefühl vieler liberaler Juden kommt die (eher abstrakte) Vorstellung einer unsterblichen Seele näher als die leibliche Widerauferstehung.
Noch mehr muss ich für den Hinweis auf Hans Jonas danken. Er korrigiert den Eindruck, der vielleicht aus meinen Ausführungen entstehen konnte, dass die Akzeptanz des Hirntot-Konzepts sich sozusagen zwingend aus der jüdischen Ethik ergibt. Dies wollte ich nicht behaupten – und Jonas‘ Position ist ein gewichtiges Gegenbeispiel.
Können wir uns darauf einigen, dass wir unseren unterschiedlichen Standpunkten zum Hirntod-Konzept eine ethische Begründbarkeit nicht absprechen? In Bezug auf den Respekt für die individuelle Entscheidung pro oder kontra Organspende sind wir uns ohnehin einig.
@ # 99 Standort
„Dies betrifft ihre persönliche Entscheidung und Patientenverfügung, kann aber nicht allgemeingültig sein.“
Allgemeingültigkeit habe ich nicht in Anspruch genommen, aber auch Sie vertreten „nur“ Ihre persönliche Meinung.
@ Bronski, Standort
Du liebe Güte! Ja, es sollte natürlich eine scherzhafte Bemerkung sein, wie Anna richtig bemerkt und vermerkt hat. Hätte ich die Wirkung vorausgesehen, hätte ich mir und Standort und den anderen das erspart. Ich bitte dich, Standort, um Verzeihung dafür, dass dich das verletzt hat, auch wenn ich das nicht wirklich verstehe.
Und ja, lieber Bronski, du bist hier der unangefochtene Chef, darauf brauchst du mir gegenüber nicht laufend zu beharren. Ich habe weder die Möglichkeit noch das Interesse, dir das streitig zu machen noch irgendeine weitere Diskussion über den Diskussionsleiterposten zu führen. Entspann‘ dich, meinetwegen musst du nicht moderieren! Für mich war die Sache erkennbar beendet. Ich heiße nicht UT (…).
Ich pflege hier von mir aus auch keine Feindschaften. Wenn Standort mich anders anspricht als mit „Tiefschlägen“ (Bronski) oder „Attacken“ (Abraham), gehe ich auch auf ihn ein, vorausgesetzt, ich verstehe ihn überhaupt, und, je nach Lage der Dinge, nicht unbedingt zustimmend. Das hatte und habe ich im Folgenden auch mit einer detaillierten Antwort auf diese Anfrage vor:
„Falls heinrich über unsere unerheblichen Differenzen hinwegsehen kann, würde ich seine Ausführungen dazu gern lesen.“
Wobei ich auch hier denke, es ist nicht bei dem, der Attacken reitet und Tiefschläge versetzt, die „Differenzen“ für erheblich oder unerheblich zu erklären.
Freundschaft!
Heinrich (einfacher Diskussionsteilnehmer aus dem Fußvolk)
(…)
Passage gelöscht, Anm. Bronski
Hier also noch meine Erörterung zu: “In Deine Hände befehle ich meinen Geist”, die ich ja mit meinem Hinweis auf die Hermeneutik bereits eingeleitet habe. Mit einer solchen isolierten Textstelle etwas über die Frage der Trennung oder des Zusammenhangs von Körper und Geist im religiösen Verständnis herauslesen zu wollen, zielt mit Sicherheit daneben. Hier gilt es einerseits, in einer hermeneutischen und etymologischen Untersuchung die ursprüngliche Bedeutung solcher Begriffe, wie Geist und Seele, herauszuschälen, andererseits sind diese nicht in Stein gemeißelt, sondern tragen sozusagen die Last einer zweitausendjährigen Tradition mit sich. Da kommt auch die andere Seite des hermeneutischen Verstehensprozesses zum Tragen: den Sinn der alten Texte dem jetzigen Zeitverständnis zu eröffnen. Ein beständiges Zirkulieren also sozusagen zwischen Geschichte und Gegenwart ist hier gefordert.
Ich bin hier nicht wirklich Fachmann, habe nur zwei Semester Theologie studiert und bin dann zu den Philosophen gewechselt. Unter dieser Einschränkung folgendes zum Textverständnis:
Der Satz steht im Lukas-Evangelium, 23,46. In der ökumenischen, aber katholisch dominierten „Einheitsübersetzung“ der Bibel ist der Wortlaut:
„und Jesus rief laut: Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist. Nach diesen Worten hauchte er den Geist aus.“
In der Lutherbibel heißt es:
„Und Jesus rief laut: Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände! Und als er das gesagt hatte, verschied er.“
Dazwischen sind bereits minimale Differenzen in Bezug auf den „Geist“ erkennbar.
In dem neuesten ökumenischen Bibelprojekt, der „Gute-Nachricht-Bibel“, lautet die Textstelle:
„und Jesus rief laut: »Vater, ich gebe mein Leben in deine Hände!« Mit diesen Worten starb er.“
Da ist guter Rat teuer, wenn man nicht, wie hier zuletzt offenbar geschehen, auf die ursprüngliche Bedeutung rekurriert.
Die Evangelien sind in der uns überlieferten Fassung in Griechisch verfasst (und greifen offenbar auf frühere, verloren gegangene hebräisch-aramäische Texte zurück.)
Dort lautet der Satz in der lateinischen Umschrift:
„Pater eis cheiras sou paratithemai to pneuma mou …“
Der entscheidende Begriff ist „pneuma“, einmal mit „Geist“, einmal mit „Leben“ übersetzt.
Das Wörterbuch nennt eine Reihe von Bedeutungen: Hauch, Luftstrom, Atem. Leben, Seele, Geist.
In der lateinischen Bibelfassung (Vulgata) ist „pneuma“ mit „spiritus“ übersetzt, mit entsprechenden Bedeutungen.
Die lassen sich aber nicht willkürlich austauschen, sondern weisen einen Zusammenhang untereinander auf. Um den in seinem Ursprung zu erfassen, empfiehlt sich ein Blick in die antike griechische Philosophie und Medizin. Da wurde Pneuma als die Atemluft begriffen, die zusammen mit dem Blut durch die Adern fließt und die Lebenskraft bewirkt und den Lebensgeist ausmacht. „Leben“ oder „Lebenskraft“ ist also die adäquate Übersetzung, auf welche die Gute-Nachricht-Bibel zurückgreift, denn der Begriff „Geist“ ist sozusagen durch die Tradition dualistisch verseucht. Nur die philosophischen Materialisten sehen darin noch an eine (materielle) Funktion des Körpers, die „Idealisten“ verlagern ihn in eine vom Leiblichen losgelöste „intelligible“ Welt.
In sehr emgem Zusammenhang mit dem Pneuma steht der Begriff ψυχή, psychḗ. Gemeinhin mit „Seele“ übersetzt, bedeutet er ebenfalls ursprünglich „Atem, Hauch“ und wird in der griechischen Antike verstanden als „das, was das Lebendige lebendig macht“. Der Philosoph Platon ist derjenige, der einen Beweisgang führt für die Unsterblichkeit der Seele. er nimmt ein von der empirischen Wirklichkeit losgelöstes Reich der „Ideen“ an, was soviel heißt wie „Bilder“, vollkommene Abbilder der unvollkommenen und vergänglichen Gegenstände. Von da stammt die Seele, geht in bei der Geburt in den Körper und macht ihn lebendig, hat eine lebenslange Sehnsucht nach dem Ideenreich, wo die höchste Idee die Idee des Guten ist, und geht beim Absterben des Körpers dorthin zurück. Als lebensspendendes Prinzip kan sie selber nicht in ihr Gegenteil, den Tod, übergehen.
Viel Text und Theorie, Sorry! Man soll sich hier ja eigentlich in einem lockeren Meinungsaustausch unterhalten. Mit bloßen Meinungen kann und möchte ich zu solchen Fragen aber nicht dienen.
P.S. Sehe ich das richtig, lieber Abraham, dass das hier rekonstruierte Verständnis dem jüdischen sehr viel ähnlicher ist als man gemeinhin denken sollte?
@ Abraham # 106
Unsere Beiträge haben sich überschnitten. Ich gehe später ggf. auf deinen ein, wenn Zeit dafür ist und wenn es sich nicht sowieso erübrigt hat.
Heinrich # 108
Fein, freut mich. Nur eine Anmerkung noch: Auch scherzhafte Bemerkungen können zu Verletzungen führen oder missverstanden werden, wenn das Klima schon aufgeheizt ist. Da greife ich nach gewissen Erfahrungen der Vergangenheit heute lieber zu früh als zu spät ein.
Und noch eine Bitte: Wenn jemand unverständlich schreibt oder als unverständlich wahrgenommen wird, hilft manchmal die einfache Feststellung: Ich verstehe Sie nicht. Verbunden mit der Frage: Wie haben Sie das gemeint? Das wird den Betreffenden wahrscheinlich zu einem neuen Anlauf motivieren. Es sei denn, es besteht grundsätzlich kein Interesse an Verständigung mit dem oder der Teilnehmer/-in. Dann erübrigt es sich, überhaupt auf ihn/sie einzugehen.
Ich hebe die Moderation daher jetzt auf, die auch für mich sehr lästig ist, und fordere alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf, sich nicht weiter auf diesen Teil des Threads zu beziehen.
Lieber Abraham,
Wir müssen das nicht totreiten, ich wollte allerdings schon vermerkt haben, dass und wieso ich nach deinem Beitrag zunächst nicht mehr an der Diskussion teilgenommen habe.
In der gebotenen Knappheit also folgendes zu deinen Fragen und Einwänden:
Du beginnst deinen Kommentar # 5 mit dem Satz:
„Du machst in Bezug auf Organtransplantationen der (medizinischen) Wissenschaft zum Vorwurf, „immer weiter in den Schöpfungsplan Gottes oder der Natur einzudringen“.
Damit nimmst du eine moralisierende Haltung ein, im gegensatz zu der mir unterstellten. Ich beschreibe aus meiner Sicht einen Sachverhalt, erhebe aber keine Vorwürfe. Solche begrifflichen Moralisierungen stellen aus meiner Sicht eine Simplifizierung des von mir Ausgesagten dar. Das gilt ebenfalls für die Formulierungen: „Damit ignorierst du …“ oder, wenn auch in Frageform: „diese Überlegungen undiskutiert vom Tisch zu wischen“.
Mein Beitrag ist, gemessen am Inhalt, knapp und prägnant und geht nicht auf alle möglichen Einzelheiten ein. Damit ignoriere ich weder etwas noch wische ich es vom Tisch. Die Einzelaspekte in der Diskussion anzufügen, stand dir ja frei. Der allgemeine Hinweis, dass sich Menschen unterschiedlicher Disziplinen (…) in zahlreichen Ethikkommissionen, in Tagungen und Büchern intensiv mit der Zulässigkeit, Grenzen und Bedingungen der Organtransplantation und damit auch mit „den Grundbedingungen der menschlichen Existenz“ beschäftigt haben“, sagt doch überhaupt noch nichts über das Ergebnis aus, sofern man davon überhaupt als ein Einheitliches sprechen kann.
Ich habe mich vor einigen Jahren einigermaßen gründlich mit dem Thema „Bioethik“ befasst, darin sogar Kollegstudierende unterrichtet. Das niederschmetternde Ergebnis, zu dem ich da gekommen bin, war genau das: Es wird gemacht, was technisch machbar ist, eben nicht das, was bestimmte Philosophen und Theologen, aber auch ganzheitlich denkende Mediziner ggf. unter ethischem Aspekt einzuwenden haben. Ein wirkliches Streitthema war vor zehn Jahren die Embryonen-Stammzellenforschung. Die wurde von maßgeblicher medizinischer Seite mit dem Argument des wirtschaftlichen „Standort-Nachteils“ geführt für den Fall des Verbots, das dann aber wohl doch erfolgt ist. Solche Eingrenzungsversuche sind in aller Regel Rückzugsgefechte. Wäre die Embryonen-Stammzellenforschung nicht medizinisch-technisch überholt worden, wäre das Verbot über kurz oder lang gekippt worden, da bin ich mir sicher. Was ich dazu schreibe, sind allgemeine kritische Überlegungen. Dagegen ist jedoch der Einwand „Mit dem Ergebnis magst Du nicht zufrieden sein“ ebenfalls eine Simplifizierung. Es geht doch dabei nicht um meine persönliche Zufriedenheit.
Ebenso die Reduzierung meiner Aussage auf die Frage: „Darf überhaupt ein Arzt Gott ins Handwerk pfuschen“? Ich bin doch kein Esoteriker oder Sektierer, der grundsätzlich oder bestimmte ärztliche Behandlung ablehnt. Was denkst du von mir, wenn du so etwas schreibst, habe ich mich gefragt. Die Betonung meiner Aussage lag in dem „IMMER WEITER in den Schöpfungsplan Gottes oder der Natur eindringen“ und dabei die „Grundbedingungen der menschlichen Existenz“ aus den Augen zu verlieren drohen. Dabei gehe ich vollkommen mit dir überein, dass es den Menschen gegeben, oder, religiös ausgedrückt, aufgetragen ist, ihre Potenzen auszunutzen, auch im Bereich medizinischer Forschung und Praxis. Das ist überhaupt nicht mein Punkt, und da wie anderswo brauche ich nicht das „Angebot“ jüdischer Ethik. Das „überlegene“ war wohl etwas missverständlich ausgedrückt, sorry, das sollte nicht den „Vorwurf“ der Überheblichkeit ausdrücken, sondern dass meine Übereinstimmung mit dir in diesen Fragen tatsächlich auf der gemeinsamen Überzeugung der Universalität, also im einzelnen auch Kultur- und Religions-Unabhängigkeit der Menschenrechte und der Menschenwürde beruht.
Diese Prinzipien hat allerdings immer noch maßgeblich Immanuel Kant formuliert, auch wenn er von Organtransplantation noch keinen Schimmer haben konnte. Die Menschenwürde beruht demnach im wesentlichen darauf, dass die Menschen grundsätzlich selbstzweckhaft sind und niemand als Mittel für fremde Zwecke benützt werden darf.
Ob solches verdient, „vom Tisch gewischt zu werden“, ist für mich eben auch die Frage.
Zu den anderen Aspekten ggf. später noch.
Grüße
Heinrich
@ Heinrich
# 109
Tatsächlich sind die Ähnlichkeiten sehr groß, weil es eine gemeinsame Grundlage gibt. Jesus hat vermutlich das Wort „neschama“ (bzw. den entsprechenden aramäischen Ausdruck) verwendet, das die gleiche Doppelbedeutung wie „pneuma“ im Griechischen zu haben scheint.
# 112
Nun verstehe ich, was Dich an meiner Wortwahl verstimmt hat, obwohl es sicher nicht meine Absicht war, Deinen Beitrag „moralisierend“ zu bewerten. Eine gewisse polemische Zuspitzung muss ich zugeben; ich hatte meinerseits den Eindruck, dass Du mir mangelnde ethische Durchdringung der Problematik unterstellst bzw. meinen vorangegangenen Kommentar einer Würdigung nicht für Wert erachtest. Das wäre wohl nun ausgeräumt.
Die Frage “Darf überhaupt ein Arzt Gott ins Handwerk pfuschen”, habe ich nicht deshalb gestellt, um Dir irgendetwas zu unterstellen. Sie ist aber der Ausgangspunkt der jüdischen Diskussion in diesem Gebiet, die zunächst gar nichts Sektiererisches hat, sondern deren Klärung als erster Schritt notwendig erscheint. Und selbstverständlich ist der nächste Schritt, wie weit weitere Eingriffe in den Schöpfungsplan „gut“ sind. Und nochmals: Die jüdische Sicht ist für mich wichtig; Du und andere Leser können diesen Gedanken folgen oder sie als irrelevant unbeachtet lassen.
Den Satz von Kant „Die Menschenwürde beruht demnach im wesentlichen darauf, dass die Menschen grundsätzlich selbstzweckhaft sind und niemand als Mittel für fremde Zwecke benützt werden darf“ kann ich unterschreiben und möchte die Debatte sicher nicht „unter den Tisch wischen“. In meiner Sicht ist die zunächst zu treffende Entscheidung, ob ein Mensch den Zustand des unumkehrbar Sterbenden erreicht hat (so sehr die Erkenntnis darüber schwierig und irrtumbehaftet bleibt) grundsätzlich „selbstzweckhaft“. Das macht mir die Organspende möglich.
Herzliche Grüße
Abraham
@bronski, heinrich, all
Vielen Dank für die Klarstellungen.
Lieber Abraham,
(…)
„… ich hatte meinerseits den Eindruck, dass Du mir mangelnde ethische Durchdringung der Problematik unterstellst bzw. meinen vorangegangenen Kommentar einer Würdigung nicht für Wert erachtest. Das wäre wohl nun ausgeräumt.“
Damit es endgültig ausgeräumt ist, bedarf es wohl eigentlich noch folgenden ergänzenden Hinweises: Über einem Kommentar wie diesem sitze ich mehrere Stunden. Währenddessen verfolge ich die laufende Debatte aber nicht, sondern klappe mein Notebook erst einmal zu. Mit anderen Worten: deinen zwischenzeitlich geschriebenen Kommentar von 15:59 hatte ich bis 17:40 gar nicht wahrgenommen, infolgedessen gab es auch mangels Kenntnis keine Würdigung von mir.
Ich halte deine jüdische Sicht nicht für irrelevant, sondern hielt ihre Mitteilung für überflüssig, da ich in der Sache teile und für selbstverstämdlich erachtetete.
Gute Nacht erst einmal!
Heinrich
P.S. Ergänzung zu „neschama“: Das griechische „psychḗ“ heißt im Lateinischen „anima“, was ja derselben Wortstamm ist wie „animal“, das Lebewesen, wie „pneuma“ auch in der Grundbedeutung des Wehens, Atmens. Im großen „Wörterbuch der deutschen Sprache“ der Brüder Grimm wird in diesem Zusammenhang das hebrräische Wort „rûach“ angeführt. Sehr spannende und aufschlussreiche Zusammenhänge, wie ich finde. Könnte ich glatt nochmal studierend vertiefen.
Den schon mehrfach von dir ins Spiel gebrachte Leo Baeck will ich mir aber auf jeden Fall nochmal zu Gemüte führen.
(…): Passage gelöscht, Anm. Bronski
@abraham,heinrich
Ihr betont ständig die Wahlfreiheit des Menschen, seinem Gott zu gehorchen oder nicht und sich selbst zwischen Gut und Böse zu entscheiden.
Eine solche Wahlfreiheit oder Entscheidung ist jedoch für gutwillige Menschen nicht gegeben, wenn Gut und Böse bereits definiert sind, noch weniger, wenn Gut und Böse nicht erforschlich sind.
(Über „böswillige“ Menschen braucht man hier nicht zu reden, da diesen nur das egoistische Interesse als Maßstab dient.)
Eine Entscheidung zum „Guten“ würde daher bedeuten, den Schriften wortgetreu zu folgen oder aber Gottes Wille herauszufinden, was mangels göttlicher Antworten nur durch das Experiment möglich ist.
Die Alternative, den Schriften wortgetreu zu folgen, scheidet wegen der Unzahl an Interpretationen aus, weil zwar am Anfang das Wort, danach aber die Debatte (Babel!) ist.
Die zweite Alternative, per Experiment Gottes Willen zu erforschen, erfordert entweder, eine Menge an Experimenten durchzuführen, deren guten Ausgang erst die Erfahrung erweisen kann, oder aber eine Entscheidung des Menschen darüber, was er für gut hält, was wiederum nur das Experiment und die Erfahrung beweisen können.
Ermöglicht wird diese Wahl durch die Notwendigkeit, ein Experiment unter kontrollierten Bedingungen durchzuführen, verhindert wird diese Wahl dadurch, daß die erstrebte Erkenntnis nur unter unkontrollierten Bedingungen zu erlangen ist. Beides ist im Extrem unmenschlich.
Es bleibt nur die dritte Alternative, ggf auf Erkenntnisse zu verzichten oder sie als vorläufig zu bewerten und sich nicht zwischen Gut oder Böse zu entscheiden.
Eine schöne Alternative, wie ich finde, weil ja das Böse vielleicht darin besteht, daß der Mensch der Versuchung unterliegt, er müsse immer und überall entscheiden.
@ Standord
„Eine solche Wahlfreiheit oder Entscheidung ist jedoch für gutwillige Menschen nicht gegeben, wenn Gut und Böse bereits definiert sind, noch weniger, wenn Gut und Böse nicht erforschlich sind.“
Ganz vereinfacht auf eine komplizierte Frage zu antworten: Die „Schriften“ geben nur den Rahmen vor, der interpretierbar ist und erst ins tägliche Handeln „übersetzt“ werden muss. Gut und Böse sind weder für alle Situationen vordefiniert, noch sind sie der Erkenntnis entzogen. Ein wesentlicher Faktor sind Erfahrungen, sowohl die der vorangegangenen Generationen (was man Tradition nennen kann) als auch die eigenen. Das mögen sie „Experimente“ nennen.
Wie ich als denkender und fühlender Mensch auf Entscheidungen verzichten soll, ist mir nicht ganz verständlich. Auch eine Nichtentscheidung ist eine Weichenstellung und kann zum Bösen führen. Insofern kann ich Ihre Gedanken nicht nachvollziehen.
Lieber Heinrich,
„Ich halte deine jüdische Sicht nicht für irrelevant, sondern hielt ihre Mitteilung für überflüssig, da ich in der Sache teile und für selbstverstämdlich erachtetete.“
Ich bin mir der Übereinstimmungen bewußt. Da wir aber öffentlich diskutieren, halte ich eine explizite Erwähnung bestimmter Sachverhalte, die Dir sicher bekannt sind, für sinnvoll. Auch Du pflegst dies so (z.B. mit Deinen Hinweisen auf die Hermeneutik).
Nun haben wir aber alle Mißverständnisse zwischen uns restlos ausgeräumt, hoffe ich. Damit können wir uns wieder künftig, wenn es darauf ankommt, in der Sache streiten. In diesem Thread haben wir dazu aber keinen Anlass.
Herzlich
Abraham
Dank des Hinweises auf die Bioethik (#112), bin ich auf eine Stellungnahme zum Hirntod-Konzept eines Basler Bioethikers gestoßen. Dieser plädiert ganz radikal dafür, nur noch Lebendspenden zuzulassen und „Leichenspenden“ gänzlich zu verbieten.
Seine Antwort auf die Frage, „und wie erklären Sie das Leuten, die dringend auf ein Organ angewiesen sind, finde ich besonders bedenkenswert:
„Es gibt so etwas wie Schicksal. Jeder von uns stirbt. Und es gibt Situationen, in denen ist ein Leben nicht mehr zu retten. Das ist für die Betroffenen und Angehörigen eine Tragödie. Gerade in einer Kultur der Machbarkeit – und der Käuflichkeit – fällt es uns besonders schwer, dies zu akzeptieren. Wir sind daran gewöhnt, dass wir uns alles beschaffen können, was wir brauchen. So fragt auch keiner nach, unter welchen Bedingungen die Niere aus Indien gewonnen wurde, weil die ganze Beschaffung in der Logik einer Kultur der Käuflichkeit liegt.“
http://www.aargauerzeitung.ch/unterhaltung/philosoph-fordert-die-leichenspende-sollte-verboten-werden-111635677
@ # 119 Anna
Auf die Gefahr, dass ich mir einen Rüffel von Heinrich einhandle: Angesichts der Tatsache, dass die überwiegende Mehrheit derer, die auf einer Organempfängerwarteliste stehen, keinerlei finanziellen Einfluss darauf haben, ob ihnen geholfen wird, empfinde ich die Position des von Ihnen zitierten Basler Bioethikers als zynisch. Sollen wir, um uns dem Verdacht der Kultur der Machbarkeit und Käuflichkeit nicht aussetzen, auf jegliche ärztliche Behandlung oder auf medizinischen Fortschritt, der immer auch Geld kostet, verzichten?
Wir wollen hier doch keine Zitatenschlacht eröffnen. Ich bestreite keineswegs die Ernsthaftigkeit der Argumente derer, die das Hirntod-Konzept ablehnen. Sind Sie nicht bereit, dies gleiche auch für Gegenargumente zu tun? Oder wollen Sie allen Bioethikern, die in Bezug auf den Hirntod und Organspende zum anderen Ergebnis kommen, die moralische Integrität absprechen?
@ Anna #119
Brenner führt das aus, was in den von mir oben unter #83 angeführten 12 Thesen der Deutschen Patientengewerkschaft (im „Offenen Brief an den Bundesgesundheitsminister zum Thema Organspende“) drastisch so formuliert wurde:
„5. Organentnahme aus Sterbenskranken ist Mord! Denn erst durch die Organentnahme sterben die Menschen auf dem OP-Tisch (5. Gebot: Du sollst nicht töten!)“
Es verwundert nicht, dass gerade in den USA nun der Begriff des „justified killings“ geprägt wurde. Das ist Wild-West-Manier vom Feinsten.
Da sitzt der Sheriff, also der Vertreter von Recht und Gesetz, samt Hilfssheriff in seinem Büro, hinter sich ein verurteilter Pferdedieb im Gefängnis, der am nächsten Tag in die nächste Stadt gebracht werden soll, um gehenkt zu werden. Draussen auf der Straße wütet der Mob, der den Pferdedieb lynchen will.
Dem Sheriff stellt sich die Frage: da der Pferdedieb eh sterben wird, warum händige ich ihn also nicht dem Mob aus? Er entscheidet sich, das Gebäude zu verrammeln und dem Mob nicht nachzugeben. (Durch den Einsatz der zufällig eintreffenden Kavallerie oder die besänftigenden Worte einer Dame aus dem Saloon verzieht sich der Mob schließlich.)
Heute wäre die Lösung vielleicht, dass sich der Sheriff sagt: der Pferdedieb muss eh sterben, der Mob stürmt eventuell das Gefängnis oder brennt es nieder und ich selbst und der Hilfssheriff werden dabei vielleicht getötet – also übergebe ich den Pferdedieb dem Mob und alles ist gut. Justified killing: der Todeskandidat stirbt ja eh, aber ich rette zwei Leben.
In Deutschland würde dies aufgrund einer anderen Kultur vermutlich so nicht funktionieren. Da muss ordentlich Tränendrüsendrücken her: um den mitfühlenden Deutschen kriegsreif zu machen, werden brutale Irakis erlogen, die angeblich Babys in Inkubatoren auf den Boden schmeissen. Da wird ein weinendes kinderloses Paar gezeigt, um für die Kostenübernahme für Retortenbabys zu agitieren. Da wird das Bild eines kleinen Mädchens an der Dialyse mit dem Satz verknüpft „wenn sich nicht schnell ein Spender findet, wird sie bald sterben müssen…“. Und winzige Frühchen, die ohne Schläuche und Apparate nicht lebensfähig wären, werden medial propagandistisch benutzt.
Ich verstehe immer noch nicht, warum wegen einer so verschwindend kleinen Gruppe ein solches System in Gang gesetzt wird, in welchem alle Bundesbürger von 16-75 Jahren turnusmäßig über das Thema Organ“spende“ „informiert“ werden sollen. Da steckt doch etwas anderes dahinter. Hirntod und Organspende mögen ja philosophisch und ethisch hochinteressante Themen sein, aber wie wäre es, wenn man stattdessen mit demselben Engagement und in demselben Umfang über die Verschlechterung des Gesundheitswesens für die Normalversicherten diskutieren würde?
@ Abraham
„Sollen wir, um uns dem Verdacht der Kultur der Machbarkeit und Käuflichkeit nicht aussetzen, auf jegliche ärztliche Behandlung oder auf medizinischen Fortschritt, der immer auch Geld kostet, verzichten?“
Woraus leiten Sie denn diese steile These ab? – Ich habe fast den Eindruck, dass Sie den Artikel gar nicht vollständig gelesen haben …?
Der Punkt ist doch, dass in den reichen Ländern die Nachfrage an Organen ständig steigt und deshalb in armen Entwicklungsländern ein regelrechter Organhandel in Gang gekommen ist.
„Sind Sie nicht bereit, dies gleiche auch für Gegenargumente zu tun? Oder wollen Sie allen Bioethikern, die in Bezug auf den Hirntod und Organspende zum anderen Ergebnis kommen, die moralische Integrität absprechen?“
Oh jemine, der ist ja auch gut. 😉
Natürlich spreche ich keinem Bioethiker der die Gegenposition vertritt, die moralische Integrität ab. Wie kommen Sie denn auf so eine Idee?
Aber warum sollte ich unkritische Argumente zitieren, wenn es mir darauf ankommt,über die Bedenken im Zusammenhang mit dem Hirntod hinzuweisen?
Das überlasse getrost denen, die dem Hirntodkonzept und der Organspende positiv bis unkritisch gegenüberstehen.
@ Schnippsel
„Ich verstehe immer noch nicht, warum wegen einer so verschwindend kleinen Gruppe ein solches System in Gang gesetzt wird, in welchem alle Bundesbürger von 16-75 Jahren turnusmäßig über das Thema Organ”spende” “informiert” werden sollen.“
Eine Antwort darauf, finden Sie in Heinrichs Kommentar # 4:
(…) „eher schon von dem Milliardengeschäft, das hier betrieben und als das eigentliche Movens für die medizinische Forschung und Praxis vernebelt wird durch den scheinheiligen Bezug auf die Betroffenen.“
Abraham, ich gebe mir hier alle Mühe, moralisierende Untertöne aus der Diskussion zu bekommen, und nun bin ich derjenige, der hier Rüffel verteilt. Na prima!
Wieso gibst du da nicht noch eins drauf und betonst, dass ich es hier sowieso nicht lassen kann, andere zu verletzen, ständig Seitenhiebe und Tiefschläge verteile und regelmäßig Konflikte provoziere? (s. #98!)
Sowas kommt hier gut und wird, selbst wenn ein alberner Scherz zum Vorwand dafür genommen wird, vom Blogmaster mit Zustimmung bedacht. Heinrich zu verletzen ist dagegen das letzte, was hier zu vermeiden ist.
Ich hab‘ die Faxen dicke. Ihr könnt mich alle mal!
@ Anna #122
Naja, ganz so unbedarft bin ich ja nun doch nicht… 🙂 Einen kleinen Hinweis mag u.a. Link liefern.
Die problematische Rolle der Deutschen Stiftung Organspende (DSO) beschreibt ein Artikel in der „Tagespost – Katholische Zeitung für Politik, Gesellschaft und Kultur“ [1]
„Es sei nicht nur „fragwürdig“, die Koordination von Organspenden einer privaten Stiftung zu übertragen. Unerwähnt bleiben dürfe auch nicht, dass „die DSO für jedes transplantierte Organ eine Organisationspauschale“ erhalte und so jedes Jahr „zweistellige Millionenumsätze“ tätige. Wie es in dem Schreiben der GGB an den Bundespräsidenten weiter heißt, könne dies „Motivation genug sein für eine erfolgreiche Überzeugungsarbeit“, Angehörige zu bewegen, in eine Organentnahme einzuwilligen.“
Die DSO erhält eine sog. „Organisationspauschale“ für die Bereitstellung eines postmortal gespendeten Organs von derzeit 8.043 Euro je transplantiertem Organ. Für das Jahr 2012 ergibt die eine Summe von 32.976.300 Euro. Dazu kommt noch eine sog. „Aufwandserstattung Spenderkrankenhäuser“ zzgl. „Kalkulationskosten“ von zusammen 5.007.810 Euro – summa summarum also rund 38 Millionen.
[1] http://www.die-tagespost.de/8-043-Euro-pro-transplantiertes-Organ;art456,134988
In einem konkret-Artikel [1] wird darauf hingewiesen, wie sich der Akzent vom Selbstbestimmungsrecht in Richtung einer Pflicht zur Selbstbestimmung verschiebt – gekoppelt mit einer klar formulierten Erwartung, wie die selbstbestimmte Entscheidung inhaltlich auszusehen hat.
„Bedenklich an der gegenwärtigen Debatte ist vielmehr, wie stromlinienförmig sie verläuft und wie massiv hier eine gesellschaftliche Erwartung formuliert wird, deren Konsequenzen in erheblichem Maße einen eigentlich besonders geschützten privaten Bereich, den Sterbeprozeß, beeinflussen.
Auch wenn die engagierten Verfechter von Erklärungs- und Einwilligungslösung betonen, daß es ihnen nur um die Entscheidung an sich gehe und der Organspendeausweis ja auch die Möglichkeit vorsehe, zu erklären, daß man nicht spenden wolle, ist doch die Stoßrichtung der Kampagne eindeutig – und im Entwurf von Frau Reimann sogar als Präambel dem Gesetzestext vorangestellt: »Das Transplantationsgesetz hat zum Ziel, eine Steigerung der Zahl der Organspenden zu erreichen. «
Zu befürchten ist daher, daß – ist einmal per Gesetz festgestellt, daß die Gesellschaft eine Bereitschaft zur Organspende verlangen kann – auch weitergehende Begehrlichkeiten entwickelt werden und sich durchsetzen können, zumal in einem Bereich, der zwar in absoluten Zahlen für das Gesundheitswesen insgesamt keine sehr große Bedeutung hat, der aber doch durch hohe Kosten des jeweiligen medizinischen Eingriffs auffällt und damit auch ökonomisch von Interesse sein kann. Immerhin kosten Organe toter Spender zunächst so gut wie nichts, die Kosten einer Transplantation aber liegen – je nach Organ und Gewebe – bei etwa 50.000 bis über 200.000 Euro.“
Auch zu einem von mir weiter oben angeschnittenen Sachverhalt findet sich eine Anmerkung in dem Artikel. Diese bezieht sich auf Zahlen der Deutschen Stiftung Organspende (DSO) aus 2010. Danach gab es 1.876 potentielle Organspender, bei 1.296 wurden Organe entnommen. Lediglich bei knapp 600 Patienten lag also weder ein Organspendeausweis noch die Zustimmung der Angehörigen zur Organentnahme vor.
Selbst wenn es gelungen wäre, die Zustimmung zur Explantierung dieser 600 Hirntoten zu erhalten – bei 12.000 Patienten auf der Warteliste wäre dies ein 5%-Tropfen.
Nocheinmal gefragt: woher will man denn die zusätzlichen (nach diesen Zahlen: 11.400!) Hirntoten bekommen, die zur Deckung des „Bedarfs“ nötig wären? [2]
[1] Geschäftsmodell Hirntod, 30.05.2012
http://www.konkret-magazin.de/aktuelles/aus-aktuellem-anlass/aus-aktuellem-anlass-beitrag/items/geschaeftsmodell-hirntod.html
[2] unterstellt, man erkennt die Hirntod-Definition an
@abraham #117
bezogen auf Standort #116
„Wie ich als denkender und fühlender Mensch auf Entscheidungen verzichten soll, ist mir nicht ganz verständlich. Auch eine Nichtentscheidung ist eine Weichenstellung und kann zum Bösen führen. Insofern kann ich Ihre Gedanken nicht nachvollziehen.“
Zugegeben, dieses Konzept der „Nichtentscheidung“ ist sehr kompliziert und ich habe es auch selbst noch nicht konsequent durchdacht. Logisch ergibt sich jedoch, daß aufgrund begrenzter Erkenntnis keine unbegrenzte Entscheidung möglich ist. Insofern ist jede Entscheidung eine Weichenstellung, ob sie aber zum Guten oder zum Bösen führen wird, ist nicht entscheidbar. Es bleibt daher nur die Möglichkeit, persönlich zu entscheiden, was man selbst für gut hält. Deshalb ist sowohl die Entscheidung für und gegen die Organspende zu respektieren.
Daraus ergibt sich, wie von Anna schon mehrfach betont, daß es keinerlei moralischen Druck in der Frage geben darf. Ein moralischer Druck wird aber dadurch aufgebaut, daß man behauptet oder zu definieren versucht, ab wann ein Mensch seiner Organe nicht mehr bedarf und er sie deshalb einem besseren Zweck (Verweis auf Kant) zuführen soll.
Tatsächlich wird aber dabei die Diskussion um den „Lebenswert“ auf die individuelle Ebene verlagert, aber, und das ist entscheidend, mit den alten Prämissen unterlegt.
Es wird also nicht nur die Frage gestellt, ob man „so“ leben möchte, dieses „so leben“ wird auch (ab)wertend beschrieben, obwohl man davon überhaupt keine Vorstellung haben kann. Man könnte sich einen Hirntoten ja auch als glücklichen Menschen vorstellen.
Nur ein paar unausgegorene Gedanken…
@ Heinrich
Auch ich habe mir mit der Diskussion hier viel Mühe gemacht, habe Deine Argumente, die mich zum Nachdenken gebracht haben, abgewogen, Dir dann in manchem Recht gegeben, in anderem widersprochen, Missverständnisse aufzuklären versucht. Und nur, weil ich von Dir eine ähnliche Reaktion erwartet habe, wie sie von Dir auf ein Posting von maat erfolgte, und dies vorauseilend als „Rüffel“ gewertet habe, fühlst Du Dich von mir beleidigt?
Im Gegensatz zu Bronski bin ich überzeugt, dass die Diskussion hier auch eine Prise Polemik verträgt. Auch das gehört zur Streitkultur und ist ein Beitrag gegen Langweile. Genauso verhält es sich auch mit Ironie: Warum soll eine „Entgleisung“ drohen, wenn ein Diskussionsteilnehmer, der ein „Ende der Diskussion“ verkündet und mehrfach andere Beiträge bewertet hat, den Seitenhieb „Diskussionsleiter“ ertragen muss?
Lieber Heinrich, Deine Kommentierung des damaligen Beitrags von maat fand ich polemisch und gleichzeitig produktiv, weil sie zur Klärung der Standorte beigetragen hat. Auch Deine Rüffel möchte ich in unserer Diskussion nicht vermissen, die ich mit Dir gerne fortführen würde.
Beste Grüße
Abraham
So entstehen Mißverständnisse.
Ich hatte den Satz
„Vielen Dank für die Antworten. Für mich war diese Diskussion sehr informativ und spannend. Ich denke, es ist nun alles gesagt. Bis zum nächsten Mal…“
eigentlich für einen positiven Ausstieg aus der Diskussion gehalten. Naja, ich bin sprachlich anscheinend nicht sehr „kompatibel“.
Übrigens: Ein kleines 🙂 nach dem „Diskussionsleiter“ hätte mir den Seitenhieb erträglich gemacht.
Verabschiede mich, bis irgendwann mal.
@ Abraham, Bronski, Standort
Naja, ich hätte an Heinrichs Stelle auch die Nase voll.
Denn es werden ja nicht nur die spaßhaften Seitenhiebe missverstanden, sondern zunehmend werden auch seine wohlüberlegten Texte in grober Weise simplifiziert und fehlinterpretiert. Nur wenige scheinen überhaupt zu verstehen, dass Heinrich mit seinen Beiträgen zum eigenständigen Denken anregen möchte und es ihm überhaupt nicht darum geht, eine bestimmte Meinung durchsetzen zu wollen – dafür ist er doch viel zu tolerant.
Und dann wird er obendrein auch noch alle naselang wie „Heinrich der Schreckliche“ hingestellt.
@ Anna
Weitgehend d‘ accord. Bleibt dennoch die Frage, was ein „spaßhafter Seitenhieb“ ist, ob er auch dann spaßhaft bleibt, wenn er vom derart Geschlagenen nicht so empfunden wird, und ob dessen Wahrnehmung in diesem Fall tatsächlich ein Missverständnis ist. Ich denke, bei der Beurteilung spielt die Wahrnehmung dessen, der vom „spaßhaften Seitenhieb“ betroffen war, durchaus eine Rolle. Ebenso wie vorher im Verlauf der Diskussion die Tatsache eine Rolle spielte, dass Bemerkungen des später vom „spaßhaften Seitenhieb“ Betroffenen von anderen Teilnehmern als unangebrachte Attacken eingestuft wurden.
Das ist etwas völlig anderes als die von Abraham unterstützten Polemiken. Gegen die kann niemand etwas haben, denn sie werden ja nicht eingesetzt, um jemanden zurückzusetzen wie im Fall des „Diskussionsleiters“. Auch in diesem Thread gab es Polemiken, die nicht auf die Personen zielten. Hab ich nicht das Geringste dagegen, zumal dann nicht, wenn die Gesprächspartner sich darüber einig sind, dass sie dieses Mittel einsetzen wollen. Gleichwohl hat auch dieser Thread gezeigt, dass Polemiken in der rein schriftlichen Kommunikation ihre Fallstricke haben. Immerhin mussten Heinrich und Abraham sich hinterher wortreich versichen, dass sie es nicht persönlich gemeint hatten.
Ich möchte daher noch einmal dazu auffordern, im FR-Blog respektvoll miteinander umzugehen – und zwar alle miteinander.
Da jetzt kein Interesse mehr daran zu bestehen scheint, dass Organspende-Thema fortzusetzen, neige ich dazu, die Diskussion an dieser Stelle zu beenden.
@bronski
Ein letztes Wort sei mir gestattet, da Anna mich angesprochen hat.
Ich selbst, wie auch alle anderen, versuche hier möglichst sachlich zu bleiben. Das ist nicht einfach, da die Schriftform sehr mißverständlich ist. Letztlich weiß man aber doch seit Jahren voneinander, daß eine erhitze Diskussion auch zu Verletzungen führt, man weiß aber auch seit Jahren, daß diese Verletzungen keine realen sind.
Ich genieße die gemeinsamen Anstrengungen, ein Thema auf den Punkt zu bringen und kann (nach der Abkühlung) auch wieder zum Thema kommen.
Es ist mir schon fast zur Normalität geworden, daß man sich erst heiß redet und nachher entschuldigt, es ist ja niemand wirklich persönlich gemeint.
In diesem Sinne: Der FR-Blog ist interessant und inhaltlich sehr tiefgehend. Ich entschuldige mich deshalb für alles, was ich „schräg“ formuliert habe und hoffe auf den nächsten aufregenden Thread und die bin gespannt nächsten Mißverständnisse.
@ Bronski
Ich erlaube mir noch ein paar Bemerkungen zu Ihrer Antwort zu machen – in der Hoffnung, dass sie förderlich für einen „gegenseitig respektvollen Umgang“ sind.
„, ob er (der spaßhafte Seitenhieb) auch dann spaßhaft bleibt, wenn er vom derart Geschlagenen nicht so empfunden wird (…)“
Das ist wohl das Entscheidende – und da ist es oft auch leider nicht immer damit getan, einfach nur einen Smiley anzuhängen – wie Standort vorgeschlagen hat. Ein bisschen hilft es aber schon.
Ganz wichtig erscheint mir aber auch, dass man nicht gleich jede flapsige oder zugespitzte Bemerkung als persönlichen Angriff wertet und dann in Form „unangebrachter Attacken“ völlig überreagiert.
Und in der Beziehung wird Heinrich mittlerweile eben schon viel zugemutet. Eine kleine neckende Bemerkung oder auch eine scharfsinnige sachbezogene Erwiderung reicht mitunter schon, um ihn als „verletzend“ oder als „Konflikte provozierend“ zu bezeichnen. Auch mit solchen Vorwürfen ist Zurückhaltung geboten. Die machen ja jede sachliche Auseinandersetzung zunichte.
Sehr häufig sind es auch die Themen selbst, die einzelne Diskutanten „verletzlich“ machen – besonders wenn ein sehr persönlicher Bezug besteht. Da wird dann auf „Autopilot“ geschaltet. Und das muss eben jeder für sich erkennen und auch kontrollieren, finde ich.
Und deshalb drängt ja Heinrich immer so darauf, Themen auf einer sachlichen Ebene zu diskutieren statt sich bloß gegenseitig seine persönlichen Meinungen um die Ohren zu hauen. Da „siegt“ dann nämlich im Zweifelsfall nur die Mehrheitsmeinung, aber nicht die Argumente.
@ # 119 Anna
Der von Ihnen verlinkte Beitrag zeigt die Grundproblematik der Debatte um den Hirntod, nämlich die angesichts der Apparatemedizin nicht objektiv zu lösende Entscheidung, wo die Grenze zwischen Leben und Tod verläuft. Diese Entscheidung kann doch letztlich nur jeder für sich persönlich Treffen, mit einer Patientenverfügung und einem Organspenderausweis. Das Hirntod-Kriterium und auch die – auch für mich problematische – US-Debatte über „gerechtfertigtes Töten“ sind der Versuch, dafür ein juristisches Konzept zu finden. Die bioethischen Debatten sind dem vorgelagert, wie ich mehrmals zu argumentieren versucht habe, ohne dass darauf jemand bisher eingegangen ist.
An den Ausführungen von Andreas Brenner stört mich nicht seine Ablehnung des Hirntod-Konzepts und die daraus folgende Ablehnung der „Leichenspende“, sondern seine sehr verkürzte Argumentation, mit der er andere Meinungen ins moralische Unrecht setzt. Dazu gehört auch, die Befürworter der Organspende unter den Verdacht der „Ökonomisierung“ zu stellen. Selbstverständlich gibt es bei der Organspende auch wirtschaftliche Interessen, nur die gibt es im gesamten Gesundheitswesen. Ich halte daher meine Frage für gerechtfertigt, ob sich aus Brenners Kritik auch die Ablehnung anderer medizinischen Maßnahmen ableitet. Auch einem Krebskranken könnte man sagen, dass seine Krankheit zwar eine Tragödie sei, aber letztlich jeder sterben müsse. Sein Begehren nach teueren Medikamenten und Behandlung mit noch teuereren Apparaten entspringe der „Kultur der Machbarkeit und der Käuflichkeit“.
Ich erwarte von Ihnen natürlich nicht, dass Sie gegen Ihre Überzeugung Argumente oder Zitate pro Organspende bringen. Zum Dialog gehört aber, auch gelegentlich auf Gegenargumente einzugehen. Auch mir, wie Heinrich, geht es darum, zum Nachdenken anzuregen, und nicht darum, andere von ihrer Überzeugung abzubringen.
Aus Annas Link in 119:
„Das ist ein extrem reduktionistisches Menschenbild: Der Mensch wird auf mentale, neuronale Kapazitäten reduziert, und wenn diese nicht mehr leistungsfähig sind, erklärt man ihn für tot.“
Das ist kein extrem reduktionistisches Menschenbild, es ist in meinen Augen das einzig vernünftige Menschenbild. Der Mensch hat die Fähigkeit einer höheren Hirnfunktion herausgebildet, die des Ich-Bewußtseins, und diese Fähigkeit macht das Menschsein aus. Die Hirnareale, die dieses Ich-Bewußtsein implementieren, können temporär deaktiviert werden… z.B. im Schlaf, durch Narkose, Komasaufen usw. Der Mensch bleibt Mensch, denn die Fähigkeit zum Ich-Bewußtsein bleibt erhalten… spätestens am nächsten Morgen wacht der Mensch auf („Aufwachen“ = Reaktivieren der Gehirnareale, die das Ich-Bewußtsein implementieren) Die Hirnareale, die das Ich-Bewußtsein implementieren, können aber auch dauerhaft so beschädigt werden, daß nicht nur das Ich-Bewußtsein temporär abhanden kommt, sondern es niemals jemals wieder da sein wird… der menschliche Körper mag weiterleben, aber er lebt als Pflanze weiter… Selbst wenn es weitere Hirnaktivität gäbe, wären das nur Träume, aber ganz andere Träume als die, die wir kennen. Wir kennen Träume, weil wir sie entweder „live“ erleben (luzide Träume), oder weil wir nach Aufwachen uns an sie erinnern. Ein Mensch ohne die Fähigkeit zum Ichbewußtsein kann aber keine luziden Träume erleben, denn ein „Erleben“ setzt die Fähigkeit zum Bewußtsein („Erleben“ = Bewußtwerden von Geschehnissen) voraus, und ein „Erinnern nach dem Aufwachen“ wird es auch nicht geben, denn es gibt auch nie mehr ein Aufwachen (= Reaktivieren des Ich-Bewußtseins).
Die (gottseidank) verbreitete Ansicht vom besonderen Wert des Menschenlebens, wie sie Gesetze, Religionen usw. widerspiegeln, entstammt letztendlich, davon bin ich fest überzeugt, dem Wissen, daß das eigne Leben für den einzelnen Menschen selber einen unendlichen Wert hat. Und weil für jeden von uns das eigne Leben von unermesslichem Wert ist, und weil wir wissen, daß jeder Mitmensch das für sich selber genauso sieht (Depressionen halten wir für Abweichungen von der Norm, die prinzipiell HEILBAR sind), respektieren wir das Leben des anderen in hohem Maße als unantastbar… wir respektieren den unendlichen Wert, den es für den anderen hat.
Es macht keinen Sinn mehr, zu sagen, daß das Leben für den Einzelnen einen unendlich hohen Wert hat, wenn der Einzelne nicht mehr existiert. Der Mensch hört auf zu existieren, wenn sein Ich-Bewußtsein dauerhaft verschwunden ist… es gibt den Menschen nicht mehr. Der Wert des menschlichen Lebens muss nach Dauerschaden der Gehirnareale, die die Fähigkeit zum Ich-Bewußtsein implemnentieren, dann also anders definiert werden als über den Wert, den es für das Individuum hat, daß es trägt… weil das nämlich verschwunden ist und nicht mehr existiert.
Hier gibt es genügend Platz für unbedingt erforderliche Einwände der Art: Ist das a) vollständige, b) irreversible, d.h. dauerhafte Verschwinden des Ich-Bewußtseins überhaupt medizinisch diagnostizierbar, bewegt man sich hier im Bereich der Sicherheiten oder bloß der Wahrscheinlichkeiten usw… Einwände dieser Art könnte ich verstehen, ich teile sie ja selber… sie sind hier ja auch schon ausführlich vorgebracht worden.
Nun scheint Brenner aber mit dem obigen Satz die Idee zu vertreten, daß der besondere Wert des Menschenlebens völlig unabhängig von seinen Gehirnfunktionen besteht. Hier taucht bei mir die Frage auf, aus welcher Position heraus er das macht: Ist er Esoteriker, der an ein außerhalb des Hirns befindliches Bewußtsein oder fühlendes Wesen glaubt, an eine in der Brust oder anderswo befindliche empfindende „Seele“? Oder ist er nur in einem unter anderen Bedingungen hochwichtigen und hochsinnvollen Verhalten so gefangen, daß er es auch dann weiterpraktiziert, wenn es seinen Sinn völlig verloren hat… als völlig sinnentleertes Ritual sozusagen?
Weil aus dem Interview leider nicht hervorgeht, was die tieferen Gründe seiner Ansichten ist, muß ich leider erstmal Irrationalität oder Aberglauben unterstellen. Vielleicht kann aber jemand, der die Ansichten Brenners teilt, über die Hintergründe aus seiner Sicht aufklären.
Von bloßen Anklagen, ich verträte ein biologistisch-mechanistisches Menschenbild, bitte ich abzusehen, das weiß ich selber, daß ich das tue… es scheint mir das einzig Sinnvolle zu sein.
Schade, dass das geänderte Transplantationsgesetz selbst keine weitere Diskussion beflügelt hat. Dabei gibt es doch eine Menge problematischer Punkte. Auf die Schnelle seien sieben genannt:
1. Der Widerspruch zwischen Zielsetzung des Gesetzes („Erhöhung der Spendenbereitschaft“) und der Ergebnisoffenheit der Information. Dabei ist ungeklärt, wer die notwendige Information in welchem Umfang und in welcher Weise mit welchem Inhalt bereitstellen soll/wird.
2. Der mögliche Widerspruch zwischen einer Zustimmung zur Organentnahme und einer Patientenverfügung, in der die intensivmedizinischen Verfahren abgelehnt werden, welche jedoch Voraussetzung für eine Organentnahme wären.
3. Die Problematik des Datenschutzes durch die sog. „Forschungsklausel“. Danach dürfen Ärzte Daten von Spendern und Empfängern zu Forschungszwecken freigeben – sogar an Pharmafirmen. Für die Weitergabe derart hochsensibler Daten ist eine Zustimmung der Betroffenen nicht einmal zwingend erforderlich!
4. Die Problematik des Datenschutzes durch die Elektronische Versichertenkarte (EV). Angaben zur Organspende sollen auch auf der EV gespeichert werden – und zwar über weitreichende Befugnisse der Krankenkassen. Manipulationsgefahr?
5. Aus 4. ergibt sich ggf. ein neuer Widerspruch: zwischen den Angaben eines Organspendeausweises in der Geldbörse und den auf der Versichertenkarte eingetragenen Daten. Verschwindet der Organspendeausweis neueren Datums, wenn im Gegensatz zur EV eine Organentnahme abgelehnt oder eingeschränkt wird?
6. Eine weitere Grauzone besteht darin, dass trotz „Entscheidungslösung“ weiterhin die Angehörigen zu einer Organentnahme befragt werden. Da niemand gezwungen werden kann (wie lange noch? Einstieg in die Widerspruchslösung?), sich für oder gegen eine Organentnahme zu entscheiden, bleibt eine große Anzahl von Unentschiedenen. Durch die turnusmäßige Information muss davon ausgegangen werden, dass es sich dabei um eine bewusste, ebenso respektable und unbedingt zu repsktierende Nicht-Entscheidung handelt. [2]
Dann ist allerdings nicht zulässig, diese Entscheidung durch die Befragung, wohl eher: Bedrängung, der Angehörigen zugunsten einer Organentnahme beeinflussen zu wollen. Stellen Sie sich einmal vor, nach einer Landtagswahl würde der „mutmaßlich Wille der Nichtwähler“ interpretiert und ihre Stimmen einer Partei zugeschlagen!
Man könnte genauso die Angehörigen eines ausgewiesenen Nicht-Spenders in die Mangel nehmen: „Meinen Sie nicht, dass Ihr Vater im Laufe der Jahre seine Meinung geändert haben könnte? Vielleicht hätte er doch spenden wollen, aber es leider versäumt, dies zu dokumentieren.“
7. Die Rolle der quasi unkontrollierten „Deutschen Stiftung Organspende (DSO)“.
Fazit: die Änderung des Transplantationsgesetzes in der jetzigen Form ist völlig überflüssig. Noch nie war es so leicht, wenn man es denn tatsächlich wollte, sich einen Organspenderausweis zuzulegen. Per Ausdruck aus dem Internet, in der Apotheke, beim Arzt, bei der Krankenkasse, an Werbeständen in der Fußgängerzone. Es wird schon einen guten Grund geben, warum so viele Menschen es eben nicht tun.
Die unter [1] und [2] angegebenen weiterführende Links folgen in einem separaten Eintrag, damit dieser Beitrag nicht wieder auf unbestimmte Zeit in der Moderation landet.
Hier die angekündigten Links:
[1] Siehe dazu auch:
http://faz-community.faz.net/blogs/biopolitik/archive/2012/03/12/der-gesetzentwurf-ist-da-glaeserne-schwerstkranke-datenschutz-und-organentnahme.aspx
[2] Ausführlicher dargelegt unter:
http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/organspendereform-entscheidungsrecht-11763934.html
bzw.:
http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/organspendereform-systemwechsel-mit-gebrochener-logik-11769390.html
@ Abraham # 133
Sie schreiben:
„An den Ausführungen von Andreas Brenner stört mich nicht seine Ablehnung des Hirntod-Konzepts und die daraus folgende Ablehnung der „Leichenspende“, sondern seine sehr verkürzte Argumentation, mit der er andere Meinungen ins moralische Unrecht setzt. Dazu gehört auch, die Befürworter der Organspende unter den Verdacht der „Ökonomisierung“ zu stellen.“
Ich kann beim besten Willen nicht nachvollziehen, wie Sie darauf kommen, dass Brenner “andere“ ins Unrecht setzt und „Befürworter der Organspende unter den Verdacht der Ökonomisierung“ stellt. Pardon, aber da haben Sie Brenner meiner Meinung nach in abenteuerlicher Weise simplifiziert und fehlinterpretiert.
Brenner hält schlicht und ergreifend das Hirntodkonzept für ethisch nicht haltbar und lehnt es ab, dass Sterbende vorzeitig für tot erklärt werden, nur um an deren Organe zu kommen. Konsequenterweise fordert er deshalb die „Leichenspende“ zu verbieten.
Er stellt auch nicht die Befürworter der Organspende unter den Verdacht der Ökonomisierung, sondern kritisiert die implizit zu Grunde liegende Auffassung, dass es „keinen Wert“ hätte einen Hirntoten am Weiterleben zu halten, und zwar schon gar nicht, wenn ein oder mehrere andere Leben, die für „wertvoller“ gehalten werden, dadurch gerettet werden können. Darin sieht Brenner einen Siegeszug der kapitalistischen Ökonomie.
Und weiter schreiben Sie:
„Selbstverständlich gibt es bei der Organspende auch wirtschaftliche Interessen, nur die gibt es im gesamten Gesundheitswesen.“
Ich stimme Ihnen voll und ganz zu, dass es im gesamten Gesundheitswesen wirtschaftliche Interessen gibt – zuhauf sogar. Natürlich rege ich mich auch darüber auf, wenn beispielsweise für unnötige Impfungen geworben wird, zu leichtfertig zu einer Operation geraten wird und Krebsvorsorgeuntersuchungen zur Pflicht gemacht werden sollen (nur damit teure Apparatekapazitäten voll genutzt werden können), etc. pp.
Der große Unterschied besteht aber darin, dass für all diese Behandlungen keine Entscheidung notwendig ist, einen Menschen, der noch gar nicht gestorben ist, für tot zu erklären.
Von daher habe ich persönlich große Sympathien für Brenners Forderung, die ich aber für nicht realisierbar halte. Nichtsdestotrotz sollte sich aber jeder über Brenners Position Gedanken machen, bevor er sich zur Organspende bereit erklärt, finde ich jedenfalls.
@ Max Wedell
„Von bloßen Anklagen, ich verträte ein biologistisch-mechanistisches Menschenbild, bitte ich abzusehen, das weiß ich selber, daß ich das tue… es scheint mir das einzig Sinnvolle zu sein.“
„Sinnvoll“ ist eben nicht gleichbedeutend mit ethisch vertretbar. – Das ist doch gerade Brenners Anliegen. Lesen Sie einfach nochmal nach – vielleicht klappt’s ja beim zweiten Mal lesen mit dem Textverständnis. 😉
@ Anna,
Vielleicht ist das Wort „sinnvoll“ von mir falsch gewählt, weil zu weit auslegbar. Ich meinte es im Sinne von „vernunftgeleitet“. Was „ethisch vertretbar“ ist, kann Brenner nicht ex kathedra verordnen, sondern er schildert da seine Sicht der Dinge. Diese Sicht kommt mir recht irrational vor (eben nicht vernunftgeleitet). Wenn man vom Wert des Lebens eines menschlichen Körpers den Wert abzieht, den es für den „Innenstehenden“ hat, weil der „Innenstehende“ aufgehört hat zu existieren, bleibt nur noch der Wert übrig, den der menschliche Körper für die „Außenstehenden“ hat, denn etwas Nichtexistentes kann überhaupt keiner denkbaren Tatsache einen Wert beimessen.
Wie ich schon sagte, ist es dabei natürlich äußerst wichtig, die vollständige und irreversible Auflösung des Individuums zweifelsfrei zu diagnostizieren. Mit dieser Frage, inwieweit das in Einzelfällen möglich ist, beschäftigt sich aber Brenner nicht… er hält stattdessen an einer 2000 Jahre alten Idee fest, was „Tod“ zu bedeuten habe, nämlich das Verlöschen des letzten Lebenszeichens auch des letzten Körperteils… und eine rationale und vernunftbasierte Neubewertung scheint ihn nicht zu interessieren. Denn darum geht es, wie Heinrich ja erstmal richtig feststellte: um eine Neudefinition des Todes… Zu ignorieren, daß die durch ein stark erweitertes Wissen über Substanz, Ort, Träger, bzw. überhaupt die Natur des Ichs, des Individuums, des „Geistwesens Mensch“, notwendig geworden sein könnte, und stattdessen zu behaupten, sie käme überhaupt nur „wegen der Organe“ auf die Agenda, die man dann erbeuten kann, oder gar noch einen Schritt weiterzugehen, die finanzielle Verwertbarkeit der Organe als alleiniges Motiv der Forderung nach einer Neudefinition des Todes zu unterstellen, ist falsch bzw. ohne weitere Beweise eine Boshaftigkeit… ich teile Abrahams Kritik daran.
Die Grenze zur Irrationalität erreicht allerdings in besonderem Maße die von Brenner unternommene Gleichsetzung einer Infragestellung des Wertes von leeren menschenförmigen organischen Hüllen ohne enthaltenes Individuum mit der Infragestellung des Wertes von Individuen, die tatsächlich noch existieren, wie sie in totalitären Regimes praktiziert wurde… man tut einfach so, als ob es keine Unterschiede gäbe, oder als ob die Unterschiede nicht relevant seihen. Die Frage, ob das betreffende Individuum noch existiert oder nicht für irrelevant zu halten, überschreitet in meinen Augen allerdings schon sehr die Grenze zum Mystizismus… die beiden anderen möglichen Erklärungen will ich mal im Fall Brenner ausklammern: Man hat nicht ganz verstanden, um was es geht… oder es geht einem bei einem solchen Vergleich erstmal bloß um die Wirkmächtigkeit eines keulenartigen Arguments… unabhängig davon, wie passend das ist.
Ach Max, nicht nur das Wort „sinnvoll“ ist „falsch gewählt“. Für einen bekennenden homo oeconomicus sind ethische Überlegungen wie sie Brenner anstellt, wohl ganz einfach ein Buch mit sieben Siegeln. – Never mind!
@ Anna,
und sie haben meinen Beitrag überhaupt nicht begriffen, aber da kann man wohl auch nichts machen.
@ # 137 Anna
Nachdem Sie mir charmant bescheinigen, ich hätte Brenner „in abenteuerlicher Weise simplifiziert und fehlinterpretiert“, noch ein Versuch, meine Kritik zu verdeutlichen.
Wie Sie schreiben, stelle Brenner „nicht die Befürworter der Organspende unter den Verdacht der Ökonomisierung, sondern kritisiert die implizit zu Grunde liegende Auffassung, dass es ‚keinen Wert‘ hätte einen Hirntoten am Weiterleben zu halten, und zwar schon gar nicht, wenn ein oder mehrere andere Leben, die für ‚wertvoller‘ gehalten werden, dadurch gerettet werden können. Darin sieht Brenner einen Siegeszug der kapitalistischen Ökonomie.“
Wenn aber Brenner behauptet, dem Hirntodkonzept liegt die Auffassung implizit zu Grunde, dass das Weiterleben eines Hirntoten „keinen Wert“ habe, vor allem wenn es um Rettung „wertvollerer“ Leben geht, und darin einen „Siegeszug der kapitalistischen Ökonomie“ sieht, dann macht er genau das, was ich kritisiert habe: Er simplifiziert und fehlinterpretiert die Position der überwiegenden Mehrheit der Befürworter der Organspenden, um sie dann unter den Verdacht der Ökonomisierung zu stellen. Es ist das klassische Mittel einer unfairen Diskussion: Gehe nicht auf die differenzierten Argumente der Gegenseite ein, sondern biege einen Teilaspekt so lange hin, bis man auf diesen Popanz gut draufhauen kann.
Noch weniger akzeptabler halte ich es, dass Brenner seine ethische Position zur absoluten Wahrheit erklärt, wie Sie es selber schreiben: „Brenner hält schlicht und ergreifend das Hirntodkonzept für ethisch nicht haltbar und lehnt es ab, dass Sterbende vorzeitig für tot erklärt werden, nur um an deren Organe zu kommen.“ Damit Sie mich nicht missverstehen: Brenner (und Sie) haben jedes Recht, für sich das Hirntodkonzept abzulehnen. Sind aber damit alle anderen Positionen wirklich „ethisch nicht haltbar“, die nach Abwägung zum anderen Ergebnis kommen, muss ich nochmals fragen. Gibt es in der Frage, wo Leben aufhört und der Tod endet, wirklich nur eine Antwort, die Brenner (und Ihnen) oder dem gar dem Staat das Recht gibt, mir (und anderen Befürwortern) die Organspende verbieten zu lassen?
@ Anna, Max Wedell
Statt gegenseitig zu behaupten, der/die andere habe nicht begriffen, schlage ich vor, dass die Diskussionspartner die Punkte benennen, die sie als unbegriffen wahrnehmen.
@142 Abraham
Lieber Abraham,
ich stimme Deinen Ausführungen vollkommen zu. Besser hätte man das nicht auf den Punkt bringen können.
@Bronski,
im von mir hier Geschriebenen das Weltbild eines „homo oeconomicus“ zu erkennen, bedeutet in meinen Augen, mich nicht verstanden zu haben. An keiner Stelle habe ich über Transplantationen oder Gerätemedizin eine Aussage gemacht, wo ökonomische Aspekte ins Spiel kommen, über diese praktischen Aspekte weiß ich viel zuwenig, als daß ich mich dazu äußern möchte… wie komplex die abzuwägenden Sachverhalte sind, lassen ja die umfangreichen und bemerkenswerten Beiträge von schnippsel erahnen, die das Thema, jedenfalls von der Warte eines Transplantationsgegners aus, umfassend ausleuchten.
Mir ging es eher ums Prinzipielle, um die Frage: Wann endet das Leben des Menschen?… und der Lohn, sich prinzipiell an dem auszurichten, was tatsächlich der Fall ist, wird nicht in Euro ausgezahlt, sondern er besteht im Gefühl, das Vernünftige zu tun… mir reicht das jedenfalls.
Abraham hat aber jetzt im Grunde ein jedenfalls in Teilen ähnliches Resumee zu Brenner wie ich gezogen, im letzten Absatz von #149 jedenfalls einen Hauptkritikpunkt viel prägnanter formulieren können (obwohl es vermutlich „wo Leben aufhört und der Tod beginnt“ heißen müsste), und es reicht mir ja dann auch, die Antworten darauf zu lesen. Ich will Anna wirklich nicht eine Diskussion aufdrängen, die sie ganz offensichtlich nicht oder nur halbherzig führen will.
@ Abraham
Bin gerade unterwegs und antworte deshalb nur Ihnen ganz kurz.
Erstmal: Sorry, wegen der Charmeattacke 😉
Ich finde Brenners Position wie gesagt „sympathisch“ und sehr bedenkenswert, weil er so deutlich ausspricht, dass das Hirntodkonzept die Schleusentore dafür öffnet, ein Leben als mehr oder weniger „wert“ zu erklären als ein anderes.
In diesem Zusammenhang stellt sich mir z.B. auch die Frage, ob und wie denn sichergestellt werden kann, dass in armen Ländern der Hirntod nach denselben hohen Standards festgestellt wird wie z.B. in Westeuropa. – Der illegale und kriminelle Organhandel in solchen Ländern deutet eher nicht darauf hin. (1)
Des weiteren finde ich es sehr bedenklich, dass der Bedarf an Organen ständig steigt – u.a. offenbar auch deshalb, weil bei Organempfängern durch die Medikamenteneinnahmen mit der Zeit auch die einst noch gesunden Organe versagen. Gleichzeitig sinken aber die tödlichen Unfälle, die Hauptursache für den „Hirntod“ sind. Daraus folgt doch unweigerlich: Woher nehmen wenn nicht stehlen?
Angesichts dieser sehr gravierenden Problematik halte ich Brenners radikale Forderung für legitim. Er verurteilt ja nicht einzelne Befürworter zur Organspende, die ja durchaus hochmoralisch motiviert sein mögen, sondern eher die Dynamiken, die sich durch „Leichenspenden“ ergeben.
Realität wird ein solches Verbot aber nie werden. Im Gegenteil. In vielen Ländern gibt es ja nur ein Widerspruchsrecht – und in manchen noch nicht mal das.
Und in Israel werden scheinbar bei Organtransplantationen ganz offiziell diejenigen bevorzugt, die seit mindestens drei Jahren im Besitz eines Organspenderausweises sind. (Stimmt das denn wirklich??)
(1)„Unbestätigten Berichten zufolge sollen auch schon Menschen, etwa Straßenkinder, ermordet worden sein, um ihnen Organe entnehmen zu können. Dies wird z. B. aus Mosambik[11] berichtet. (…)“
http://de.wikipedia.org/wiki/Organhandel
1. Was vielen vielleicht gar nicht bekannt ist: in ca. 95% der Fälle erfolgt die Zustimmung zur Organentnahme nicht aufgrund einer Festlegung des „Spenders“, sondern durch die Angehörigen, Diese handeln also i.S. einer „Geschäftsführung ohne Auftrag“, indem sie den vermutlichen Willen des „Spenders“ zu vollstrecken glauben, dabei aber häufig nur durch ihre eigene Vorstellung sowie den Druck der Ärzte geleitet sind.
Wenn die Angehörigen wüssten, was auf sie zukommt, sähe das Ergebnis einer Infratest-Umfrage aus 2009 (auf statista.com veröffentlicht) vielleicht anders aus. Auf die Frage „Wenn Sie im Krankenhaus gefragt würden, würden Sie Ihre Zustimmung zur Organentnahme bei einem verstorbenen Angehörigen geben?“ antworteten 46% mit „Ja“, 31% mit „Nein“ und 23% mit „Weiss nicht“.
In einer Sendung des SWR-Fernsehens vom Donnerstag, 9.2.2012 22.00 Uhr („Zustimmung – ja oder nein? Das Angehörigengespräch, Dilemma Organspende“) erfuhr der Zuschauer z.B., wie Angehörige in einer extremen Belastungssituation manipuliert werden, indem in ausgefeilten Kommunikationstechniken (NLP) trainierte Ärzte das Angehörigengespräch führen.
„Das Neurolinguistische Programmieren ist eine Methode, die für Kommunikationstrainings aber auch in Verkaufsschulungen eingesetzt wird. Der Verkäufer – in diesem Fall derjenige, der um die Organspende bittet – lernt, die Wünsche seines Gegenübers mit seinem eigenen Ziel zu verbinden und ihn dann zur gewünschten Entscheidung zu führen. Das funktioniert über spezielle Techniken, mit denen Körperhaltung und Sprache des Gegenübers übernommen werden. So entsteht der Eindruck, der Gesprächspartner sei einfühlsam.
In einem zweiten Schritt lässt sich die Führung im Gespräch übernehmen und auf eigene Ziele, in diesem Fall auf die Zustimmung zur Organspende lenken. Die Technik ist sehr subtil und wird vom Gegenüber nicht bemerkt. Das könnte erklären, warum manche Angehörige erst hinterher plötzlich den Eindruck haben, das so eigentlich alles nicht gewollt zu haben.“
Die meisten Angehörigen wünschen sich z.B. den behandelnden Arzt oder gar den Hausarzt als Gesprächspartner, aber nicht einen an einer Organentnahme interessierten Transplantationsarzt.
„Trotzdem möchte die Deutsche Stiftung Organspende durchsetzen, dass ausschließlich ihre Koordinatoren die Gespräche leiten. Nach eigenen Angaben führt dies zu 26 Prozent mehr Organspenden.“
2. Nach der Entscheidungslösung braucht es für die eindeutigen Fälle (Organentnahme genehmigt oder abgelehnt) kein Angehörigengespräch mehr. Ich bin mir aber fast sicher, dass dennoch gedrängt werden wird, z.B. so: „Ihr Angehöriger war ja sogar bereit, sein Herz zu spenden. Meinen Sie nicht, er wäre doch auch bereit gewesen, etwas Knochensubstanz oder Gewebe zu spenden?“
Die Problematik eines Angehörigengesprächs in den Fällen, in denen sich ein Mensch nicht ausdrücklich zum Thema Organentnahme geäußert hat, sondern die dritte Option der Entscheidungslösung gewählt hat („Ich entscheide mich nicht!“), habe ich oben bereits Hinweise gegeben.
3. Nehmen wir doch einfach einmal an, die Entscheidungslösung führt nicht zu einer größeren Spendebereitschaft, sondern im Gegenteil zu einer geringeren. Weil sich z.B. die Menschen gegängelt und bevormundet fühlen, wenn sie auf der Führerscheinstelle mit einer Pro-Organspende-Propaganda-Schrift ausgestattet werden. Oder weil sie in einem differenzierten Flyer gute Argumente gegen eine Organentnahme finden.
Dann verschärft sich das von mir bereits mehrfach (und nun auch von Anna) benannte Problem noch weiter: Wo sollen denn all die Hirntoten herkommen, die zur „Bedarfsdeckung benötigt“ werden?
@Anna/Schnipsel
Menschen, die auf ein Organ warten, wissen, dass viele Faktoren zusammenkommen müssen, damit sie tatsächlich ein passendes Organ erhalten. Es wird immer so sein, dass nicht alle transplantiert werden können und einige Schwerkranke sterben werden. Ich bin der Ansicht, dass sich die Betroffenen darüber keine Illusionen machen. Ein Schwerstkranker und dessen Familie muss sich mit dem Tod auseinander setzen. In der Regel wird einem vor schweren Behandlungsschritten genau erläutert welche Überlebenswahrscheinlichkeit man hat und wie die Chancen einer Genesung stehen.
Es hat hier niemand behauptet, dass sich der Bedarf durch das neue Gesetz zu 100 Prozent decken lässt. Es wird immer Fälle geben, denen nicht geholfen werden kann. Das ist traurig, aber nicht zu ändern. Die Spenderbereitschaft wird voraussichtlich etwas ansteigen, sodass sich für einige Menschen die Chancen auf ein Organ verbessern. Der Vorteil des neuen Gesetzes ist: Es gibt Klarheit. Nicht die Verwandten müssen die Entscheidung fällen. Jeder muss sich mit der Frage auseinandersetzen. Es gibt die Sicherheit, dass der jenige, der nach seinem Tod spendet, das auch wirklich wollte und sich zumindest ausreichend informieren konnte. Dies zu wissen ist auch wichtig für diejenigen, die auf ein Organ warten. Und das wohlgemerkt könnte jedem von uns passieren. Keiner von uns wollte wohl, dass jemand zur Organentnahme gezwungen wurde, oder?
In dem Zusammenhang finde ich es ausgesprochen unverschämt, den Betroffenen und den Ärzten zu unterstellen, sie würden in Ermangelung eines legalen Spenderorgans auf illegale Organspenden zurückgreifen. Zur Erinnerung: Der illegale Organhandel ist eine schwerwiegende Straftat. Dass es auf dieser Welt leider schlimme Verbrechen gibt, streite ich nicht ab. Aber es ist unseriös, Transplantationsmediziner, die z.B. an deutschen Krankenhäusern gewissenhaft ihre Arbeit machen, eines Verbrechens zu verdächtigen, ohne dass es dafür irgendeinen Beweis gibt. Das nenne ich wilde Spekulationen.
@ maat
„Keiner von uns wollte wohl, dass jemand zur Organentnahme gezwungen wurde, oder?“
Also ich ganz bestimmt nicht. Aber mit dem neuen Gesetz soll eben nicht nur „Klarheit“ erzielt werden, sondern dafür geworben – bzw. Druck ausgeübt – werden die Spenderrate zu erhöhen.
Die beschlossene „Erklärungslösung“ ist übrigens auch nur eine Kompromisslösung. Die Gesundheitsminister von Bayern, Hessen, Sachsen-Anhalt und dem Saarland wollten die Widerspruchslösung einführen. Die deutsche Ärzteschaft hatte die ErklärungsPFLICHT gefordert, was sich allerdings als verfassungswidrig herausgestellt hatte.
Und wie ich schon in # 146 schrieb, gibt es schon heute in anderen Ländern einen mehr oder weniger großen Zwang zur Organspende: z. B. in Bulgarien, wo es noch nicht einmal ein Widerspruchsrecht gibt.
Ich bin schon sehr gespannt darauf, wie die „ausreichende Informationen“ zu der Befragung der Krankenkassen aussehen.
Über Bedenken im Zusammenhang mit dem Horntod-Konzept soll dem Vernehmen nach, schon mal nicht explizit aufgeklärt werden, was ich absolut „unseriös“ finde.
„Ausgesprochen unverschämt“ finde ich, liebe maat, wie du so einfach zusammenphantasierst, dass hier irgendjemand „den Betroffenen und den Ärzten {unterstellen würde], sie würden in Ermangelung eines legalen Spenderorgans auf illegale Organspenden zurückgreifen.“
Ich schrieb ganz im Gegenteil in # 146:
Er (Brenner) verurteilt ja nicht einzelne Befürworter der Organspende, die ja durchaus hochmoralisch motiviert sein mögen, sondern eher die Dynamiken, die sich durch „Leichenspenden“ ergeben.
Mir ist schleierhaft, auf welche Aussagen sich dein Vorwurf bezieht??
Ansonsten habe ich das Gefühl, dass nicht nur Brenner sondern auch ich irgendwie in einer fremden Sprache schreiben, denn anders kann ich mir die Missdeutungen langsam nicht mehr erklären.
1. Wie bereits dargelegt, steigt der „Bedarf“ an Spenderorganen. Und zwar ganz wesentlich durch
a) sog. „Zivilisationskrankheiten“, die hauptsächlich durch eigenes Fehlverhalten verursacht werden: ungesunde Ernährung, Bewegungsmangel, vermeidbarer Stress, Alkohol- und Drogenmissbrauch, Rauchen usw.. und
b) ein steigendes Anspruchsniveau, weil immer mehr Menschen glauben, andere Menschen oder „die“ Gesellschaft schuldeten ihnen etwas (ein Ersatzorgan, ein Retortenkind, eine Abtreibung, eine lebenslange Medikamentenlieferung, eine Schuldenübernahme, ein bequemes und aufregendes Leben, etc.)
2. Immer noch werden die zwei Sachverhalte „Spendenbereitschaft“ und reales verfügbares Organangebot verwechselt. Nehmen wir zur Verdeutlichung folgendes Szenario an:
a) 50 Millionen Deutsche erklärten sich schriftlich, per Organspendeausweis, zur Organentnahme bereit.
b) Der „Bedarf“ sei inzwischen auf 50.000 Empfänger angewachsen.
Danach ergäbe sich rein rechnerisch und hypothetisch eine „Überversorgung“ um den Faktor 1000. Das Gegenteil ist aber richtig: die Versorgungslage hätte sich dramatisch verschlechtert. Bei heute (zur Vereinfachung gerundet) 10.000 Organempfängern und 5.000 Spendern ergibt sich eine Unterdeckung um den Faktor 2, bei 50.000 Empfängern und (gleichbleibend) 5.000 Spendern um den Faktor 10.
3. Die Zahl der Spendewilligen sagt nichts über die Zahl der zum Zeitpunkt der Transplantation erforderlichen tatsächlichen und zudem geeigneten Spender aus.
Wenn nach den von mir hier bereits angeführten Zahlen von 4.500 Hirntoten 3.900 Spender übrigbleiben (in 600 Fällen haben Angehörige die „Spende“ abgelehnt), sich daraus 1.300 Explantationen ergeben – dann ergibt das einen „Wirkungsgrad“ von weniger als einem Drittel. Oder anders gesagt: man braucht jeweils mindestens dreimal soviel Spender wie Empfänger.
4. Die Zahl der tatsächlichen „Spender“ lässt sich nicht beliebig vermehren. Es sei denn, man könnte Hirntote irgendwie produzieren. (Wo sollten im Szenario des Punkt 2. eigentlich die 150.000 benötigten Hirntoten herkommen?)
Die DSO versucht dies z.B. (über das jetzt geänderte Transplantationsgesetz), indem sie passenden Krankenhäusern und Kliniken Transplantationskoordinatoren verpasst, die für ein größeres Aufkommen an Hirntoten sorgen sollen. In der Vergangenheit hatte die DSO ja bereits lautstark Klage darüber geführt, dass die Krankenhäuser potentielle Spender nicht erkennen, nicht melden oder nicht sachgerecht auf eine Organentnahme vorbereiten. Die Frage, ob die beteiligten Ärzte und das sonstige medizinische Personal das aus gutem Grund nicht getan haben, stellt die DSO natürlich nicht.
Fast drei Viertel aller Organspender sind nicht Unfallopfer, sondern sterben aufgrund von Gefäßerkrankungen des Gehirns, z.B. einem Schlaganfall oder einer spontanen Blutung. Nun kann man ja nicht von Amts wegen Leute totfahren, um zusätzliche Hirntote zu generieren, zumal man dabei ja auf die Unversehrtheit der Organe keinen definierten Einfluss hat. Auch die Verschlechterung der medizinischen Versorgung von Schlaganfallpatienten scheint mir kein gangbarer Weg zu sein, um mehr Hirntote zu generieren, wenngleich er in Einzelfällen vorkommen mag. Oder indem man Nahrungs- und Nahrungsergänzungsmittel, die als (bekannte?) Nebenwirkung das Auftreten von Schlaganfällen haben, nicht vom Markt nimmt.
Ich sehe z.Zt. also nur drei Möglichkeiten, um zusätzliche Explantate zu gewinnen:
a) die Zustimmung zur Explantierung jener 600 Hirntoten zu gewinnen, die versagt wurde – also noch stärkerer Druck auf die Angehörigen bzw. die Hoffnung, dass künftig genau diese 600 per Spenderausweis einer Entnahme zustimmen würden.
b) die potentiellen Explantanten müssten solange intensivmedizinisch betreut werden, bis eine Entnahme durchgeführt werden kann. Die Dauer müsste gesetzlich geregelt werden, auch wenn die Angehörigen dann ggf. zwei Jahre auf eine Bestattung des/der Verstorbenen warten müssten. Der erwartete Kostenvorteil (z.B. Transplantation vs. Dialyse) wäre vermutlich futsch.
c) die „prophylaktische“ Explantierung der bisher 2.600 nicht geeigneten Spender und die Konservierung der Explantate solange, bis ein geeigneter Empfänger gefunden ist, also die Anlage einer Art „Organbank“ (wie „Blutbanken“ oder „Samenbanken“). Dies könnte z.B. erfolgen durch
– cryomedizinische Verfahren (Einlagerung in Stickstoff o.ä.), sofern machbar
– die Aufarbeitung der Explantate (Verarbeitung der Knochen als Granulat [1], Aufbewahrung von Gewebe in Nährlösung usw.)
– die Entwicklung von Maschinen und Verfahren, die eine Aufbewahrung von Organen ausserhalb des menschlichen Körpers ermöglichen (eine Art extrakorporaler Herz-Lungen-Maschine).
Ich vermute, dass man auch noch kräftig an der Definition dessen arbeiten wird, was unter „Tod“ medizinisch zu verstehen ist.
@ Anna
Bzgl. Brenner:
In einem Interview gegebene Antworten sind doch immer zwangsläufig verkürzt. Ich traue Andreas Brenner jedenfalls durchaus zu, seine Position weitaus fundierter und differenzierter darlegen zu können. Dass darüber hinaus die aktuelle Diskussion ja nicht darum geht, irgendjemand das Spenden seiner Organe zu verbieten, sondern genau andersherum massivst für mehr Organentnahmen geworben wird, sei nur am Rande noch einmal bemerkt. Auf einen derart groben Pro-Klotz setzt Brenner, wenn man es denn partout so sehen will, einen entsprechenden Kontra-Keil.
Bzgl. Information:
Die „Landeszentrale für Gesundheitsförderung in Rheinland-Pfalz e.V. (LZG)“, die die Website „Initiative Organspende Rheinland-Pfalz“ betreibt, erweckt den Eindruck, eine vertrauenswürdige, objektive staatliche Stelle zu sein. (Der Name erinnert – vermutlich nicht ohne Hintersinn – irgendwie an die „Landeszentrale für politische Bildung“.) Es ist aber nur ein simpler eingetragener Verein, genauer: ein Lobbyverein. Um sich einmal die „neutrale Information“ dieses Vereins zu verdeutlichen, drei Fragen und Antworten aus den FAQ:
1. Frage: Werden die Angehörigen trotz Organspendeausweis gefragt?
Antwort: Eine Zustimmung der Angehörigen ist in diesem Fall rein rechtlich nicht notwendig, da der Wille des Verstorbenen bekannt ist. Selbstverständlich wird, wie übrigens auch in Ländern mit Widerspruchslösung, mit den Angehörigen ein ausführliches Gespräch geführt und die Situation erklärt und besprochen.
Anders gesagt: auch wenn der Hirntote gegen eine Organentnahme war – man kann’s ja trotzdem mal bei den Angehörigen probieren.
2. Frage: Ist die Organspende möglich, wenn gleichzeitig eine Patientenverfügung vorliegt?
Antwort: Ja. Eine Entscheidung zur Organspende steht nicht im Widerspruch zur Patientenverfügung.
Falsch! Sogar sehr häufig und in zunehmenden Maß stehen Patientenverfügungen im Widerspruch zur Organspende. Insbesondere dann, wenn in der PV z.B. lebenserhaltende oder lebensverlängernde intensivmedizinische Behandlungen abgelehnt werden. Diese sind nämlich Voraussetzung für die Erhaltung der Organe bis zur Entnahme.
3. Frage: Gibt es religiöse oder ethische Bedenken gegen die Organspende?
Antwort: Nein, alle größeren religiösen Gemeinschaften in Deutschland haben sich für die Organspende ausgesprochen.
Lies: mach dir keine Gedanken, deine religiösen Führer haben bereits für dich entschieden! Die Frage ethischer Bedenken ist anscheinend nur im Rahmen von Religion denkbar, nicht religiös gebundenen Menschen traut man offenbar keine Ethik zu. Es gibt aber, wie die Debatte insgesamt zeigt, sehr wohl eine Menge ernsthafter ethischer Bedenken.
[1] Ein wenig Off-Topic: zum Ausgleich fehlender Knochensubstanz z.B. bei Zahnimplantaten wird u.a. „Geistlich Bio-Oss“ verwendet – es besteht aus dem mineralischen Anteil von Rinderknochen australischer Herkunft. Als Schutzmembran für die Knochenregeneration wird dazu ggf. „Geistlich Bio-Gide“ verwendet – eine aus australischem Schweine-Kollagen aufgebaute Membran. So etwas könnte man doch auch von menschlichen Spendern gewinnen – die müssten dazu nicht einmal „hirn“tot sein, sondern könnten einfach nur tot sein.
@Anna
Es freut mich, dass es sich anscheinend um ein Missverständnis gehandelt hat.
Ich habe Deinen Satz („Daraus folgt doch unweigerlich: Woher nehmen wenn nicht stehlen?“) so verstanden, dass Du davon ausgehst („unweigerlich“ ), dass Menschen, die hier legal kein Organ erhalten können, zwangsläufig auf den illegalen Organhandel („Stehlen“) ausweichen werden. Anscheinend hast Du das aber nicht so gemeint, was ich Dir gerne glaube,liebe Anna. (Mir ist aber nicht klar, was Du dann damit tatsächlich zum Ausdruck bringen wolltest?!)
Beste Grüße
maat
@ maat
Ich wollte mit der zugegebenermaßen etwas plakativen Floskel zum Ausdruck bringen, dass der stetig steigende Bedarf an Spenderorganen das freiwillige Angebot bei weitem übersteigt. Damit sich mehr Spendenwillige finden, müssen folglich immer wieder neue Regelungen gefunden werden – wie z.B. das kürzlich beschlossene Gesetz in Deutschland. Die Erklärungsregelung ist zwar im Vergleich zur Widerspruchslösung relativ „liberal“, aber trotzdem wird damit zumindest moralischer Druck ausgeübt.
In diesem Sinne wird auch in Betracht gezogen, das Hirntodkonzept zum „justified killing“ umzufunktionieren und zwar damit der Eintritt des Todeszeitpunktes problemlos immer wieder neu definiert werden kann.
Und obwohl schon in sehr vielen Ländern die Widerspruchslösung gilt, in Bulgarien, wie schon erwähnt, sogar die sogenannte, „Notstandslösung“, die keinerlei Widerspruch gegen eine Organentnahme zulässt, sobald der Hirntod festgestellt wurde, gibt es zu wenig Spenderorgane. Dieser notorische Mangel leistet natürlich dem illegalen Organhandel in armen und weniger regulierten Ländern Vorschub.
Ich hoffe, ich konnte mich nun einigermaßen verständlich machen.
@Anna
ja, liebe Anna, jetzt habe ich verstanden, was Du meinst.
@ # 146 Anna
Ich glaube nicht, dass wir „unterschiedliche Sprachen“ sprechen, sondern dass wir je nach Standpunkt unterschiedliche Subtexte lesen. Unsere Diskussion hilft, diese offenzulegen.
Auch deshalb möchte ich Ihrem Argument, „dass das Hirntodkonzept die Schleusentore dafür öffnet, ein Leben als mehr oder weniger ‚Wert‘ zu erklären als ein anderes“, nochmals widersprechen. Die vom Hirntodkonzept zunächst völlig unabhängige, „die Schleusentore öffnende“ Entscheidung ist die, ob ein nur von Apparaten aufrechterhaltenes Leben noch einen „Wert“ hat. Dazu haben Standort und Max Wedell zwei gegensätzliche Positionen bezogen und sie, jeder für sich, nachvollziehbar begründet. Ich kann keiner der Positionen die ethische Grundlage absprechen (wie Sie es gegenüber Max Wedell – absolut uncharmant – getan haben). Oder wollen Sie mit Berufung auf Brenner und den möglichen Missbrauch Patientenverfügungen verbieten? Meiner Meinung ergibt sich das Recht, sein eigenes Leben zu beenden, aus der menschlichen Autonomie, die der Artikel 1 des Grundgesetzes („Die Würde des Menschen ist unantastbar.“) schützt. Und auf den gleichen Grundsatz wird sich wohl auch Standort berufen.
Nochmals führen Sie gegen das Hirntodkonzept das Argument an, der „notorische Mangel“ an Spenderorganen „leistet natürlich dem illegalen Organhandel in armen und weniger regulierten Ländern Vorschub“. Durch das von Brenner verlangte und Ihnen „sympathische“ Verbot der „Leichenspende“ würden sich doch nichts daran ändern, dass Kriminelle diese Möglichkeit anbieten und verzweifelte Menschen sie illegal nutzen. Selbst wenn sie die Organtransplantation (als auch die Lebendspende) gänzlich verbieten, verschwindet der Missbrauch nicht.
Dabei sind wir uns im Grundsätzlichen näher als es scheint: Auch ich bin der Meinung, dass man wegen Organspende keinen Menschen töten darf. Unsere Sicht unterscheidet sich darin, woran der Hirntote stirbt. Sie meinen, er wird durch die Organentnahme getötet, weil er sonst mithilfe der medizinischen Apparate weiter leben würde. Ich meine hingegen, dass er aufgrund seines eigenen Entschlusses oder des Entschlusses seiner Angehörige stirbt, indem die Apparate abgeschaltet werden. Dieser endgültige biologische Tod des Körpers, der für mich nicht mehr der lebendige Mensch ist, wird durch die Organentnahme nur verzögert.
Mein ethisches Empfinden der Grenze zwischen Leben und Sterben würde sich nichts daran ändern, wenn durch medizinischen Fortschritt eine Methode gefunden werden könnte, die einzelne Organe direkt an Maschinen anschließen und so „konservieren“ zu können, sodass man vor Organentnahme den biologischen Tod des restlichen Körpers abwarten und auf das juristische Hirntodkonzept verzichten könnte. Auch die Idee von Standort, dem Organspender zum Weiterleben des Körpers für die entnommenen Organe Ersatzmaschinen zur Verfügung zu stellen, führt für mich zu keinem anderen Ergebnis, auch wenn dann der Tod im juristischen Sinne sicher nicht durch die Organentnahme, sondern durch das – meinem Willen nach ohnehin folgende – Abstellen der Maschinen erfolgen würde.
Sicher wird es so bleiben, dass nicht jeder, der auf der Empfängerliste steht, durch Organspende gerettet werden kann. Aber ist dies ein Grund, auf eine bessere Organisation des „Spenderwesens“ zu verzichten? Sicher ist die Aufklärung verbesserungsbedürftig, doch findet jeder, der es will, im Internet genügend kritische Informationen. Sicherlich darf kein moralischer Druck auf potenzielle Spender geübt werden. Nur halte ich die Menschen in Deutschland für mündig genug, sich alle zwei Jahre mit einer Befragung durch die Krankenkassen auseinandersetzen zu können und, wenn sie sich nicht entscheiden wollen oder können, den Brief in die Papiertonne zu schmeißen.
Damit verabschiede ich mich aus der Diskussion, weil ich mir bis Anfang Juli einen Urlaub gönne.
# 150 schnippsel
Unter http://www.organspende-info.de gefunden:
„Gibt es religiöse oder spirituelle Bedenken gegen die Organ- und Gewebespende?
Keine der größeren religiösen Gemeinschaften in Deutschland hat sich gegen die Organspende ausgesprochen. Wenn Sie Zweifel oder Bedenken haben, wenden Sie sich am besten direkt an einen Vertreter Ihrer Religion.“
Hier werden also Zweifel und Bedenken nicht unter den Tisch gewischt, die ausführlichen Stellungnahmen der Religionsgemeinschaften sind dort auch abrufbar.