Vor zwei Stunden hat der Weltsicherheitsrat der Vereinten Nationen beschlossen, eine Flugverbotszone über Libyen einzurichten. Zehn Stimmen dafür, fünf Enthaltungen, darunter neben den Veto-Mächten China und Russland auch Deutschland. Die Entscheidung ist eine Reaktion auf das Vorrücken der Gaddafi-Truppen gegen die militärisch schlecht gerüsteten Aufständischen im Osten Libyens und eine vorbeugende Maßnahme gegen einen Massenmord, der dann droht, wenn Gaddafi nach einem Sieg Rache an den Aufständischen zu nehmen beliebt. Sie wurde vor allem betrieben von Frankreich, aber auch von Großbritannien und den USA. Insbesondere Frankreich und die USA, deren Flugzeugträger Eisenhower im MIttelmeer ist, können das Flugverbot vermutlich durchsetzen. Dafür werden Angriffe auf libysche Flugabwehrstellungen nötig sein. Das UN-Mandat ist anscheinend so weit gefasst, dass es auch Luftangriffe auf libysche Bodentruppen ermöglicht; es umfasst allerdings nicht den Einsatz von Bodentruppen. Kritische Stimmen sagen, dass die UN-Entscheidung zu spät komme. Gaddafi hatte zuvor mit einem Blutbad unter den Aufständischen gedroht.
Im Prinzip steckt hinter der deutschen Enthaltung das alte Verdikt, dass von deutschem Boden nie wieder ein Krieg ausgehen soll. In der Praxis begibt sich Deutschland damit in eine Zone der Undeutlichkeit. Deutschland unterstützt indirekt die Aufständischen, indem es nicht gegen das Flugverbot stimmt, aber im Rahmen einer Mandatierung durch die UN, die völkerrechtlich bedeutsam ist, bezieht es andererseits auch keine klare Position pro Demokratie. Auch wenn unklar ist, ob das Ziel der Aufständischen tatsächlich die Demokratie ist. Das erste Ziel der Aufständischen dürfte die Freiheit von ihrem Despoten sein; alles andere erscheint besser. In der Summe dürfte die deutsche Haltung, die wegen ihrer Unschärfe von Gaddafi bereits gelobt wurde, vor allem davon bestimmt sein, dass Außenminister Guido Westerwelle die Bundeswehr in keinen weiteren Krieg – außer dem in Afghanistan – hineingezogen sehen will.
Ich werde Links in einem Update später hinzufügen und mache diese Diskussion schon jetzt auf, weil mir der Anlass Gelegenheit gibt, Leserbriefe zu veröffentlichen, die wegen der Fukushima-Katastrophe leider unter den Tisch fielen. So meint Eckart Seifert aus Glashütten:
„Als Hitler in Deutschland herrschte, wurden Menschen jüdischer Abstammung als Ungeziefer bezeichnet, das man ausmerzen müsse. Jetzt bezeichnet Gadafi Menschen, die um ihre Bürgerrechte kämpfen, als Ratten. Und er droht sie zu vernichten. In den von seinen Söldnern zurückeroberten Gebieten wird schon entsprechend gehandelt. Ein Lob Deutschlands, das Gadafi einer Zeitungsmeldung nach ausgesprochen hat, ist für mich deshalb eine Entwertung unseres Landes. Zumal wir in wenig erfreulicher Nachbarschaft genannt wurden, nämlich mit China und Russland. Ich schäme mich, dass Deutschland die Libyer, die um das kämpfen, was der Politik der FDP so wichtig ist: um ihre Bürgerrechte, eher Gadafis Willkür überlassen will, als ihnen mit der Durchsetzung eines Flugverbots beizustehen. Wenn wenigstens der Versuch gemacht würde, den befeindeten Parteien Deutschlands gute Dienste zur Vermittlung anzubieten. Leider nicht einmal das.“
Klaus Werner aus Villeneuve le Roi (F):
„Was in Lybien geschieht, scheint in Deutschland kaum Jemanden zu interessieren. Führer, Caudillos, Duces oder andere Guides dürften also wohl immer ohne europäischen Widerstand ihrer Völker unterdrücken und gar ausmerzen.“
Hendrik Krause aus Weimar: „Prima! Nun hat unsere Regierung die Einrichtung einer Flugverbotszone über Libyen lange genug blockiert, um ihrem großartigen Geschäftspartner und Menschenrechtsexperten Gaddafi zu ermöglichen, die libysche Demokratiebewegung in die Steinzeit zurückzubomben! Schande über dieses geldgierige Pack in politischen Schlüsselpositionen! Ich bin entsetzt.“
Hartwig Hömke aus Hüttenberg:
„Jetzt hat sich unser Außenguido endgültig als lächerlicher Pausenclown geoutet und passt nun gut zu seinem Freund Gaddafi, in dessen Zelt er wohl bald kostenlosen Campingurlaub machen kann, während sich unsere Jungs in der afghanisschen Wüste weiter sinnlos in die Luft jagen lassen müssen. In Bengasi könnten sie wenigstens Menschen schützen, die das auch wollen und die unsere Werte vertreten (oder ist es vielleicht doch Gaddafi , der das tut ?)“
Herbert A. Eberth aus Welschneudorf:
„Was glaubt Westerwelle eigentlich? Dass Gaddafi nach einer gewaltsamen Niederschlagung der Opposition zur Tagesordnung übergeht und seine Gegner unbehelligt lässt? Westerwelles „Strafgericht-Androhung“ ist ebenso lächerlich wie seine Begründung für die „Zurückhaltung“ heuchlerisch ist. Blickt man auf die FDP-Halltung in Sachen Afghanistan, frage ich mich, wer diesem Außenminister überhaupt noch glauben kann. Bleiben die Vereinten Nationen bei ihrem Eiertanz und kann sich Westerwelle durchsetzen, tragen sie ein gerüttelt Maß an Verantwortung für die noch folgenden Taten des Mörders Gaddafi.“
Dr. Jorge Ponseti aus Schwedeneck:
„Von der CDU bis zur Linken findet sich in Deutschland eine ungewohnte Einigkeit hinsichtlich der Ablehnung militärischer Interventionen zugunsten der libyschen Oppositionsbewegung. Dieser wolle man zwar humanitär und auch mittels wirtschaftlicher Sanktionen gegen das Gaddafi-Regimes helfen, sich andererseits aber nicht erneut in einen Krieg in der islamischen Welt hineinziehen lassen. Das könne im Nachhinein falsch ausgelegt werden, im Übrigen sterben bei militärischen Interventionen immer auch unschuldige Menschen und schließlich läge auch noch keine ein-eindeutige Aufforderung aus der Region vor.
So zögert das friedliebende Deutschland in Allianz mit Russland und China im UNO-Sicherheitsrat eine Flugverbotszone zugunsten der libyschen Oppositionsbewegung hinaus und Oberst Gaddafi lobt Deutschland für diese besonnene Haltung und stellt bereits neue Geschäfte in Aussicht.
Während trotz der Sanktionen weiterhin Millionen von Petro-Euros an die libysche Staatsbank fließen und die libyschen Regierungstruppen, auch mit deutschen Waffen, den libyschen Traum von einem demokratischen Land im Blut ertränken, spekulieren hierzulande schon die ersten Militärexperten, dass eine Flugverbotszone, ob der absehbaren Niederlage der Aufständischen, gar keinen Sinn mehr macht.
Der libysche Volksaufstand ist Teil eines demokratisch motivierten Volksaufstandes in den arabischen Ländern, dessen historische Bedeutung möglicherweise über die kolonialen Befreiungskämpfe des vergangenen Jahrhunderts in Afrika hinaus geht und seine Entsprechung vielleicht in den demokratischen Aufständen von 1848 in Europa findet. Es zeichnet sich hier die historisch vermutlich nicht leicht wiederholbare Chance einer Entwicklung demokratischer Zivilgesellschaften im nördlichen Afrika und auf der arabischen Halbinsel ab. Der arabisch-demokratische Aufbruch birgt ein großes Potential an verbesserten Lebensbedingungen für diese durch habgierige Diktatoren um ihren Ölreichtum betrogenen und entrechteten Volksmassen und nicht zuletzt auch für die arabischen Frauen.
Nach der jahrzehntelangen militärischen und wirtschaftlichen Symbiose westlicher Demokratien und arabischer Diktaturen reibt sich Deutschland ungläubig die Augen angesichts des Freiheitskampfes der arabischen Völker und scheint nicht zu wissen, wo es hingehört. Der Verweis auf die unglücklichen Missionen im Irak und Afghanistan, welche hunderttausenden unschuldigen Menschen das Leben gekostet hat und an denen sich Deutschland glücklicherweise eher zurückhaltend beteiligt hat, greift hier nicht. Das Lügengebäude einiger westlicher Staaten, mit denen diese Kriege begründetet wurden, flog (absehbar) nach den Kriegen auf: Es gab keine Massenvernichtungsmittel im Irak und der Anschlag vom 11. September wurde von Hamburg und nicht von Afghanistan aus organisiert. Niemand hat damals den Westen um Hilfe gebeten, im Gegenteil, Amerika kaufte sich die diplomatische Unterstützung für diese Kriege aktiv ein. Gegenteilig ist die Lage jetzt im arabischen Frühling, in dem das libysche Volk verzweifelt um militärische Hilfe bittet. Die brutale und menschenverachtende Antwort des Gaddafi-Regimes hat bereits jetzt die bisher so frappierend furtlosen Massen in den anderen arabischen Ländern ins Stocken gebracht. Sollte Westerwelle und Merkel weiterhin im UNO-Sicherheitsrat bremsen, wird das die Demokratisierungsbewegung nicht nur in Libyen, sondern im ganzen arabischen Raum auf tragische Weise behindern.
Im spanischen Bürgerkrieg floh mein Großvater 1938 vor den spanischen Faschisten in die USA, nachdem er als Sanitätsoffizier auf Seite der Republikaner gedient hatte. Spanien wurde von den Faschisten überrollt, weil es die westlichen Demokratien England und Frankreich vorzogen, sich nicht einzumischen, die Internationalen Brigaden abgezogen wurden und die europäischen Faschisten Franco weiterhin unterstützen. Diese Tragik beginnt sich nun in Libyen zu wiederholen. Und so scheint es, dass sich die Libysche Oppositionsbewegung wegen der zu ihrem Schutz aufgestellten UNO-Sanktionen nicht einmal mit den für ihre Verteidigung nötigen Waffen versorgen kann. Der Nicht-Einmischung in Spanien folgten 36 Jahre Franco-Diktatur. Im Gegensatz zu Gaddafi hinterließ er keine Söhne, die er hätte beerben können.“
Update 20.3., 3 Uhr: Der Angriff auf Gaddafis Truppen hat begonnen. Am Nachmittag und frühen Abend beschossen franzöische Flugzeuge libysche Panzer. In der Nacht eröffneten die US-Amerikaner mit gut hundert Tomahawk-Marschflugkörper das Feuer auf libysche Flugabwehrstellungen und auf Tripolis. Auch die Kaserne Bab el Asisija im Süden von Tripolis wurde überflogen; dort hat Gaddafi sein Hauptquartier. Offenbar können sich die alliierten Luftstreitkräfte bereits recht frei im libyschen Luftraum bewegen.
Leider ist es ein Offenbarungseid, den sowohl die UN als auch insbesondere die deutsche Regierung bei dem flehentlichen Ruf nach Hilfe einer bekanntermaßen seit Jahrzehnten geknechteten und terrorisierten Bevölkerung in Libyen abliefert. Am Hindukusch verteidigen wir mit Hingabe unsere demokratischen Werte, aber vor der eigenen Haustür, wo Menschenrechte mit Füßen von einen brutalen Diktator getreten werden, verbietet sich wegen angeblicher Kriegsgefahr ein Eingreifen (wobei das dort auf Grund der geringen Bevölkerungszahl kaum zu erwarten wäre). Gaddafi hat sich bei unserer Regierung besonders bedankt. Das spricht Bände, welche Interessen wohl dahinter stecken. Mal sehen, wann Westerwelle zum Bruderkuss reist!!!
Es ist schon sehr bedenklich, wenn eine so irrlichternde Regierungskoalition solch einen Rückhalt in der Bevölkerung geniesst. Nun ja, wie dumm von mir, war doch der Gaddafi-Clan immer so ein verlässlicher Partner mit seinen Rohstofflieferungen und insbesondere der Abwehr von tausenden Sozialschmarotzern und Terroristen, die unseren mit viel Liebe erarbeiteten Wohlstand bösartig uns wegnehmen wollen. Da betrachtet man doch Gaddafis heroischen Dienst in einem ganz neuem „erkenntnisreichen Licht!
Sehr geehrter Herr Westerwelle,
der Versuch, sich mit der Lybien-Stimmenthaltung als Friedensbringer zu profilieren (womöglich aus wahltaktischen Gründen?), ging ja nun wirklich voll daneben. Was Gerhard Schröder und Joschka Fischer mit ihrer Irak-Entscheidung noch gut gelang, konnte jetzt nicht funktionieren, da:
1. in Lybien das Volk gegen seinen despotischen Alleinherrscher aufbegehrt – und ein großer Teil der deutschen Öffentlichkeit dies auch so wahrnehmen und befürworten dürfte.
2. Selbst die arabische Liga ein UN-Eingreifen unterstützt. Und
3. eine Zustimmung zum UN-Flugverbot ja noch keine zwingende Beteiligung deutscher Truppen bedeutet. Und selbst wenn, hätte sich dies einfach gehört für ein demokratisches und freiheitsliebendes Land, das seine moralische Integrität und Hilfsbereitschaft für bedrängte Völker nicht nur bei Bedarf vor sich herträgt, sondern auch grundsätzlich ernst nimmt!
Jetzt liegt jedoch der Verdacht nahe, dass uns Deutschen emanzipatorische Bewegungen in arabischen Ländern (oder wo auch immer) herzlich egal sind und wir uns lieber an brutale Diktatoren klammern – vielleicht, um auch zukünftig weitere Öllieferungen sicherzustellen? Meine Meinung vertritt die Bundesregierung mit dieser Haltung aber mitnichten!
18. März 2011
Flugverbot für Libyen
Endlich ist es so weit! Die Stimmenthaltung Deutschlands aber ist feig,
ängstlich, auf den eigenen Vorteil bedacht, Ausdruck eines kläglichen
politischen Versagens. An Bonhoeffer denkend sage ich: Wenn ein
Wahnsinniger die Macht missbraucht, sich selbst und seinen Clan
bereichert und mit bezahlten Anhängern sein ihn angeblich liebendes
Volk hinschlachtet, können deutsche Politiker – wenn sie aus der Nazi-
Vergangenheit etwas gelernt haben – nicht nur sanktionieren, „resolutionieren“,
diskutieren oder sich neutral verhalten, sondern müssen „dazwischenspringen“,
sich auf einen ihrer wahrsten Deutschen besinnen: „Nein, eine Grenze hat
Tyrannenmacht!“ (Friedrich Schiller „Wilhelm Tell“)
Mit freundlichen Grüßen
Peter Kadiuz
Warum starten die Journalisten weltweit nicht endlich einen eigenen Überwachungs-Satelliten?
Dann wüssten wir endlich, was WIRKLICH in Bengasi, Libyen und Fukushimna passiert — und zwar in REAL-TIME.
Aber vermutlich sind die Journalisten weltweit einfach zu blöd dafür, einen eigenen unabhängigen Satelliten bauen und starten zu können (da kann ja sogar der Iran noch mehr…).
@guidolein
Geil — jetzt geht es endlich los!!!!!!!
Eurofighter gegen Gaddafi — das ist ja noch besser als 3.0!!
Endlich werden richtige moderne Waffen der Bauart 4.0 eingesetzt!!
Gaddafi wird erledigt — und die Deutschen verdienen dabei!!!!!!!!
Das ist eine der ganz wenigen Fragen bei der mir die Regierung ein bisschen leid tut. Auf der einen Seite bin ich damit einverstanden das Gewalt nicht ein Mittel der Politik sein soll.( Was ist dann mit Afganistan) Auf der anderen Seite habe ich auch Probleme bei solchem Völkermord zuzusehen. Deshalb, und dadurch das die jetzige Haltung durch Afganistan völlig unglaubwürdig ist wäre ich für eine Zustimmung bei der Flugverbotszone gewesen. Außerdem möchte ich mir nicht vorstellen was in den anderen nordafrikanischen Staaten passiert wenn der Diktator mit seiner Politik durch kommt.
@ Hans,
eine dt. Unterstützung dieser Intervention hätte ich mir auch gewünscht.
Aber vielleicht hängen Teile unseres Regierungsapparates doch zu sehr am Hort des Bösen?
Hat, obwohl offiziell geächtet, nicht die „lybische Staatsfirma“ Telemit mit Sitz in München jahrzehntelang mit hochwertiger Militärelektronik gehandelt?
Hielt die lybische Seite hierzu nicht die notwendigen Freigaben für den Umgang mit Geheimsachen?
Hab ich mir wahrscheinlich nur eingebildet…..
MfG Karl Müller
Ich fürchte , hinter der Entscheidung steht auch die reine Wahltaktik.
Die Regierung glaubt , die Bevölkerung sei automatisch gegen weitere Auslandseinsätze und will damit möglichst wenig zu tun haben.
Der Plan könnte fehlgehen , weil das Volk nicht unbedingt gegen diesen Einsatz zu sein scheint ,aber noch viel mehr , weil die Wähler den Opportunismus dahinter wittern.
Eine deftige strategische Fehlleistung, gerade in Bezug auf Stammwähler der Union.
Dort gibt es durchaus einen Teil , der solchen ( noch dazu ineffektiven ) Populismus nicht zu schätzen weiß.
Ich finde es beschämend und furchterregend zugleich, wenn hier niemand sein moralisches Dilemma äußert (ausser ansatzweise hans #6), dass schon wieder der Irrweg beschritten werden soll, mit Waffengewalt Frieden zu schaffen.
* Wo sind eigentlich die Stimmen derer, die sonst immer so laut rufen, den Medien sei nicht zu trauen? Warum sollten sich die Medien ausgerechnet jetzt an die Wahrheit halten? Werden uns wieder gefälschte Bilder untergejubelt? Wozu diente denn der Jet, der mal als „Rebellenflieger“, mal als Gaddafis Bomber durch die Meldungen geisterte (Laufbandsender N24: „Die Lage hier ist völlig unübersichtlich!“)? Jedenfalls war da irgendein Flieger, der gegen das Flugverbot verstieß und damit die Angriffe legitimierte.
* Heiligt schon wieder der – propagandistisch gut vorbereitete – Zweck die Mittel? Wo bleibt der Aufschrei aus dem erst kürzlich so heftig beschworenen christlichen Abendland, dass die Bergpredigt mit Füßen getreten wird?
* Es ist doch pervers, wie das Beste im Menschen (z.B. seine Empathiefähigkeit) hier wieder auf die Kriegsmühle umgeleitet wird. Der 2007 erschienene Artikel von Eugen Drewermann „Muss man nicht Krieg führen gegen solche Ungeheuer? Am Gängelband unserer Gefühle betreibt man Politik“ [1] hat nichts, aber auch gar nichts von seiner Aktualität und seiner bedrückenden Wahrheit verloren. Auch wenn die Bedingungen andere sind als im Kosovo, im Irak,in Afghanistan oder im Sudan.
„Man muss bei allem, was man hört – fast wie im Kabinett der Paranoia – das Gegenteil von dem denken, was gesagt wird. Wie in den Tagen Orwells: »Wir wollen keinen Krieg« bedeutet: »Wir bereiten ihn ganz sicher vor!«.»Wir setzen auf die Mittel der Politik« heißt:»Wir schicken gerade Schiffe in den Golf (um dem Iran schon mal zu zeigen, wie es weitergehen könnte)«. »Wir wollen keine Atomwaffen« heißt »Wir stellen gerade robuste nukleare Erdpenetrationswaffen her«“ [1]
„Wir müssen der libyschen Bevölkerung zuhilfe kommen“ soll heissen: „Die Libyer sind uns sowas von egal, wir wollen a) direkt ans Öl, b) einen strategischen Keil zwischen die Länder westlich und östlich Libyens treiben, c) unsere Macht demonstrieren, damit nachfolgende Regierungen gleich wissen, wo der Hammer hängt und d) den Libyern klarmachen, dass sie bleiben sollen, wo sie sind und ja nicht nach Europa auswandern“.
„Alle Kriege laufen darauf hinaus, den Schrecken, den man für das Eigene befürchtet, auf das Andere zu übertragen. Die besten Werte werden umformiert zur Lüge und zur Farce. Deswegen ist es ein Stück der Selbstbehauptung, der Ehrlichkeit, der Würde vor sich selber, Nein zu sagen dem Krieg gegenüber, keine Entschuldigung mehr gelten zu lassen, unter keiner Farbe mehr sich etwas vorschmieren zu lassen. Die einzige Art, auf den Krieg zu reagieren, besteht darin, ihn zu verweigern!“ [1]
* Wer nach den Golfkriegen und Afghanistan immer noch glaubt, man könne saubere Angriffe fliegen (von einigen wenigen Kollateralschäden natürlich abgesehen), hat den Blick für die Realität vermutlich längst verloren. Wer meint, mit der Bombardierung der Radar- und Luftabwehrstellungen würde Frieden in Libyen einziehen, belügt sich und die Welt. Selbstverständlich müssten dann, gemäß Mandat, ggf. auch die Stellungen der Rebellen beschossen werden, zumal dann, wenn sie z.B. auf Tripolis vorrücken. Die Bevorzugung einer der Bürgerkriegsparteien ist durch das UN-Mandat ja nicht abgedeckt.
* Wie verlogen Frankreich, Großbrittanien und die USA auch diesmal wieder vorgehen, zeigt die Meldung (Laufbandsender N24), es hielten sich bereits (manche sagen: seit Wochen) britische „Spezialkräfte“ in Libyen auf? Also sind bereits ausländische Kampftruppen auf fremdem Boden und es wird daher voraussichtlich nicht bei der Flugverbotszone bleiben, sondern zu Bodenkämpfen verschiedenster bewaffneter Gruppen kommen – libysche Armee, Aufständische, ausländische Truppen. Sind wir „normale Bürger“ wirklich schon wieder bereit, uns in einen Krieg hineinziehen zu lassen? Und zwar von Leuten, die uns schon einmal mit dicksten Lügen in Kriege reingequatscht haben!
* Kann man bei Aber- und Abermillionen Hungernder auf der Welt dieses plötzliche „humanitäre“ Aufwallen gegenüber „libyschen Rebellen“ und der Zivilbevölkerung eigentlich noch ernst nehmen? Wer einem Großteil der Menschen dieser Welt ein kleines bisschen Wohlstand durch aberwitzige Rüstungsausgaben vorenthält, sollte sich genau überlegen, ob er sich jetzt als Moralapostel hinstellen kann.
* Wer Abu Ghraib, Bagram und Guantanamo zu verantworten hat und weiterhin duldet, soll das Maul nicht so voll nehmen. Wenn der kleine Herr Sarkozy – aus durchsichtigsten innenpolitischen Motiven – wieder von der großen „Geschichte“ faselt, läuft mir ein Schauder den Rücken herunter.
* „Mit eines fremden Mannes Arsch ist gut durch Feuer fahren“, sagte man im Mittelalter. Im Bosnienkrieg, den uns ein Herr Fischer eingeredet hat, hätten die deutschen Friedensbewegten mit Bussen nach Bosnien fahren können und sich zwischen die verfeindeten Parteien stellen können. Da hat man aber doch lieber das Militär vorgeschickt. In der jetzigen Situation ist es aufgrund der Entfernung (und wegen des Wassers dazwischen) natürlich bequemer, daheim am Fernseher zu sitzen, sich fasziniert tolle Grafiken und Schemata des Militäreinsatzes reinzuziehen und hier im Blog wohlfeile Meinungen abzusondern.
* Warum sind die bisherigen Nutznießer der Diktatoren (als SUV-Fahrer, als Touristen, als gewerbliche Profiteure) nun auf einmal so ganz anderer Meinung? Jahrzehntelang hatten sie Gelegenheit, sich für Freiheit und Selbstbestimmung einzusetzen. Jetzt fällt ihnen nichts anderes ein, als mit Bomben und Raketen draufzuhalten?!
Wer sich bereitwillig auf den moralischen Leim begibt, aus humanitären Beweggründen das libysche Volk gegen einen unmenschlichen Diktator in Schutz nehmen zu müssen, will die bittere Wahrheit nicht sehen: er tut es, um sein eigenes schlechtes Gewissen zu beruhigen. Und er wird sich auch in Zukunft moralischen Erpressungen nicht entziehen, um den nächsten Krieg anzuzetteln.
[1] http://www.freitag.de/pdf-archiv/Freitag-2007-31.pdf, Seite 3
Irrweg ? Mit Waffen Frieden schaffen ? Wenn man eines doch gelernt hat aus der Geschichte, dann doch wohl, dass Appeasement nur dem Dikator nutzt, ob das Hitler, Noriega, Hussein oder eben Gadhafi ist. Diese pseudopazifistische Einstellung, die eher mit Feigheit zu bezeichnen ist, nutzt nur dem, der zu feige ist etwas zu tun. Wir verteidigen unsere Freiheit am Hindukusch, aber wieder einmal ist es uns egal, was mit unseren Nächsten passiert.
Hatte ich mit dem Ende des Balkanmassakers geglaubt, so einen Mist nie wieder hören zu müssen, ist es wohl schon wieder zu lange her, dass wir Bilder von Greueltaten quasi vor unserer Haustür ansehen mussten.
betr. #9
Diesen Ausführungen, werter Schnippsel, ist nichts hinzuzufügen (auch wenn ich in manchem Detail anderer Meinung sein mag).
Außer vielleicht meinem Erstaunen, daß selbst die FR in die Kriegstreiberei mit einstimmt.
Der wirkliche Grund
Die Dämonisierung Gaddafi in der westlichen Pressehurerei nach dem Motto: “Ein bisschen Wahrheit vermischt mit einer Menge Lügen” lässt nur zu deutlich darauf schließen, wer hinter der “Libyschen Revolution” steckt. Nachdem die Russen die westliche Presse wieder einmal wegen der angeblichen Bombardierung der Bevölkerung durch Gaddafis Luftwaffe der Lügen strafen konnten, ist es keineswegs mehr von der Hand zu weisen, dass die “Libysche Revolution” in Gänze auf Befehl der einschlägigen Weltbrandstifter in London angezettelt wurde.
Die “eingefrorenen” Milliarden im Ausland, die angeblich im Privatbesitz Gaddafis waren, dürften eher Gelder sein, die dem libyschen Staat gehören. Und an die wollen die Globalisten heran. Wo werden wohl Mubaraks abgebliche 70 Milliarden Auslandsguthaben landen? Und in Zukunft die saudischen , bahrainischen und kuwaitischen Auslandsvermögen? Gewiss nicht bei der Bevölkerung dieser Staaten. Noch lukrativer sind natürlich die Erdölbestände dieser Länder, die bald unter direkter Kontrolle der Londoner City stehen werden.
Gaddafi ist ( oder war) die vielleicht wichtigste Figur in Nordafrika, denn es hat sein Land an die Spitze des afrikanischen Kontinent gebracht und die Erdöleinnahmen Libyens nicht in Paläste, Yachten und Fuhrparks gesteckt, sondern in sein Land investiert. Darauf wurde in diesem Artikel schon eingegangen. Aber das ist noch nicht alles:
Der “wahnsinnige” Gaddafi hat 1980 ein riesiges Projekt zur Wasserversorgung für Libyen, Ägypten, Sudan und den Tschad begonnen und beinahe fertiggestellt. Es ist gefährlich, ohne einen Cent der Weltbank und des IWF ein Projekte durchzuziehen, welches das Potential hat, ganz Nordafrika in einen blühenden Garten zu verwandeln. Das steht dem Ziel der Destabilisierung der Region entgegen, welche die Londoner City anstrebt, um die Weltdikatur der Konzerne durchzusetzen. Am 01. September 2010 konnte der erste Großabschnitt des Projektes nach dreißigjähriger Planung und Bauzeit in Betrieb genommen werden. Das sind 5 Monate vor Beginn der Unruhen, also bevor das Projekt im wahrsten Sinne des Wortes Früchte tragen konnte.
Im Süden Libyens gibt es vier große Wasserreservoirs (Kufra basin, Sirt basin, Morzuk basin und Hamada basin), in denen 35.000 Kubikkilometer(!) Wasser lagern. Um sich von der Größe der Reservoirs ein Bild zu machen: Nehmen Sie die Fläche der Kolonie Deutschland und stellen sie sich einen ebenso großen See mit 100 Metern Wassertiefe vor! Diese quasi unerschöpflichen Wasserreserven sind für die Globalisten, die das Weltwassergeschäft monopolisieren wollen, viel wichtiger, das das libysche Öl! Ein Kubikmeter unbelastetes, extrem reines Wasser kann mit einem Kostenaufwand von unschlagbaren 35 Cent gefördert werden.
Unterstellt man einen Abgabepreis von nur 2 Euro/Kubikmeter (den Globalisten werden sicherlich lukrativere Geschäftsmodelle einfallen), so beziffert sich der Wert dieser Wasserreservoirs höchster Güte auf 58 Billionen (58.000.000.000.000.-) Euro!
Mit diesem Projekt hätte Libyen eine wahrlich “grüne Revolution” in Gang gesetzt und die Versorgung Afrikas mit Lebensmitteln übernehmen können. Vor allem hätte es Libyen und Nordafrika aus den Klauen des IWF befreit und unabhängig gemacht. Selbstversorgung? Ein Reizwort für das Bankster- und Konzernkartell, das auch schon den Jonglei-Kanal vom weißen Nil in den Süden Sudans blockierte, in dem die CIA die Sezessionskriege im Südsudan anheizte. Die Globalisten setzten lieber auf teure Entsalzungsanlagen, selbstverständlich über die Weltbank finanziert und von ihren Konzernen erbaut.
Lake Gabron, one of the Germa Lakes, Fezzan, Libya. Photo: Martin Spencer Greening the desert projects Like at Jardinah and Sulug near the coast south of Benghazi, there are a few highly irrigated and extremely larger farms in the desert which are irrigated using water from the “Great Man Made River project”. This project taps into huge underground aquifers under the desert. The two largest farms are near Kufra in the central eastern desert and at Makunsah which is 50 kilometres south of the middle of the Germa lake complex. These farms have a micro-climate greatly different from the surrounding desert.
Am 20.03.2009 konnte man in den Maghreb-Nachrichten lesen:
Libysche Offiziere präsentierten zum ersten Mal auf dem 5. Weltwasserforum in Istambul ein Projekt zur Wasserförderung, das auf 33 Milliarden Dollars geschätzt wurde. Das Projekt wurde als die 8. Weltwunder bezeichnet und sieht die Errichtung eines künstlichen Flusses vor, damit die Bevölkerung im Norden Libyens mit trinkbarem Wasser versorgt werden können. Die Projektarbeiten wurden seit 1980 auf Aufrag des libyschen Führers, Muammar Gaddafi, eingeführt. 2/3 des Projekts wurde bereits fertig gestellt. Es handelt sich um eine 4 000 Km lang Wasserleitung, die im Grunde liegendes gepumptes Wüstenwasser durch die libysche Sahara in den Norden fliessen lässt. „Die Studien zeigten, dass das Projekt kostensparender als die anderen Altrnativen war.“ meldete der für das Grundwassermanagement zuständige Fawzi al Sharief Saeid.
Der Wasservorrat reicht nach Berechnungen bis zu 4.860 Jahren, wenn die davon profitierenden Staaten Libyen, Sudan, Tschad und Ägypten ihn wie es vorgesehen verwenden.
Haben Sie davon schon gehört, oder lesen Sie etwa die Maghreb-Nachrichten nicht? Warum erfährt man davon im Westen so wenig? Bei der Einweihungsfeier sagte Gaddafi , dass dieses Projekt “die größte Antwort auf Amerika ist, das uns anklagt, den Terrorismus zu befördern.” Auch Mubarak war ein großer Anhänger des Projekts.
Quelle:
http://www.politaia.org/kriege/die-libysche-revolution-und-die-gigantischen-libyschen-wasserreserven-politaia-org
http://www.water-technology.net/projects/gmr/
http://de.wikipedia.org/wiki/Jonglei-Kanal
http://poorrichards-blog.blogspot.com/2011/03/virtually-unknown-in-west-libyas-water.html#comments
http://american_almanac.tripod.com/libya.htm
http://www.africanbirdclub.org/countries/Libya/geography.html
http://www.goumbook.com/tag/libya/
@ Argus #10
Unter Appeasement verstehe ich, einer gängigen Definition folgend, eine Politik der Beschwichtigung, der Zurückhaltung, der Zugeständnisse und sogar des Entgegenkommens gegenüber diktatorischen Regimen oder Bewegungen.
„Man“ hat aus der Geschichte keineswegs gelernt, dass Appeasement nur den Diktatoren nutzt. Ganz im Gegenteil: jahre-, ja jahrzehntelang haben auch die westlichen Regierungen (und Geschäftemacher ebenso wie Privatpersonen) im einfachsten Fall nur das Maul gehalten, im schlimmsten Fall sich bei den Diktatoren eingeschleimt (und sie tun es heute „natürlich“ immer noch, überall auf der Welt). Wer sich so verhalten hat und verhält, soll bitte jetzt nicht einen auf dicke Hose machen!
Wenn Sie von Feigheit sprechen, kann ich das gerne an Sie zurückgeben; Sie sitzen doch auch nur im Warmen und lassen andere die Rübe hinhalten: „Hannemann, geh du voran – du hast die großen Wasserstiefel an!“. Ich kann Ihnen gerne das o.g. Beispiel des spanischen Bürgerkriegs nennen. Damals haben Menschen tatsächlich das persönliche Risiko übernommen und in den Internationalen Brigaden gegen das Franco-Regime gekämpft. Also schnüren Sie Ihr Ränzlein und ab nach Libyen, Gaddafi auf die Fresse hauen! [1]
Drewermann zitiert in seinem Text Wolfgang Borchert mit der Frage »Was soll ich denn tun und wo soll ich hin, wenn alles, was ich mache, auf einen Mord hinausläuft?« Das moralische Dilemma lautet doch auch heute noch: „Wenn ich nicht eingreife, sterben Menschen durch meine Unterlassung. Greife ich ein, sterben Menschen durch mein Handeln!“
Ich verstehe ja den psychischen Mechanismus, dass jemand sagt „Da muss man doch etwas tun!“, diesem simplen Mechanismus folgt, sich dann besser fühlt und die durch sein Handeln Getöteten (als Kollateralschaden) verdrängt. Ich verstehe den Mechanismus, dass man glaubt (eher: darauf spekuliert), durch den Tod Weniger würde man das Leben Vieler retten. Warum nur wird als Maßstab für den Erfolg solcher Missionen immer angegeben, wieviel Zerstörung man angerichtet hat und wieviele Gegner man getötet hat? Sieht so der Fortschritt auf dem Weg zu einer menschenwürdigeren Welt aus?
Wenn Sie persönlich nach reiflicher Überlegung meinen, so handeln zu müssen, respektiere ich das. Allerdings gestehe ich Ihnen nicht zu, diejenigen die den Gewissenskonflikt dahingehend lösen, dass sie ein militärisches Eingreifen ablehnen, als Feiglinge hinzustellen, ihre Haltung als Mist zu bezeichnen und sie als unmoralisch zu brandmarken. Keine Bombardierung = Unterlassung = Feigheit = Schuld am Tod von Menschen = moralisch verwerflich.
Ich muss mir nun gerade von denjenigen, die selber Tag für Tag das Sterben von Tausenden von Menschen durch Unterlassung hinnehmen, keine Vorwürfe machen lassen: nach Angaben der Welthungerhilfe sterben jährlich etwa 2,2 Mio. Kinder weltweit an den Folgen von Mangel- und Unterernährung – das sind 6.027 Kinder täglich! Da hätten Sie ausreichend Gelegenheit, sich zu engagieren. Es ist sicher einfacher, sich sein Verhalten von einem medial und propagandistisch hochgepushten Thema vorgeben zu lassen und Teil des Mainstreams zu sein, als sich den Mühen eines alltäglich verantwortungsvollen Handelns zu unterziehen.
(Dass nun gerade Srebrenica kein Ruhmesblatt für die von Ihnen befürworteten militärischen Interventionen ist, sei nur am Rande erwähnt. Und immer noch stehen rund 10.000 Soldaten, seit 12 Jahren !, zum Friedenschaffen mit Waffen auf dem Balkan.)
[1] EPa sind inzwischen etwas schwieriger zu organisieren, die „BW Einzelkämpfer Notration Verpflegung“ kriegen Sie aber z.B. für 1,99 EUR hier:
http://www.troph-e-shop.com/de/bw-einzelkampfer-notration-verpflegung.html
Oder sie nehmen die „US Einsatzverpflegung M.R.E.“ für 8,99 EUR:
http://www.troph-e-shop.com/de/us-einsatzverpflegung-m-r-e.html
Schnippsel, ihr zur Schau getragenes Gutmenschentum nervt. Wer sagt ihnen denn, dass ich mich nicht engagiere ? Und, mit Verlaub, beim Balkan reden sie Müll. Ich hatte Verwandte dort, zur Zeit des Krieges, und wir Europäer, nicht nur wir Deutschen, haben zugesehen, wie Lager errichtet wurden, Frauen systematisch vergewaltigt, und ethnische Säuberungen ganze 10 Autostunden von uns durchgeführt wurden. Menschen ihres Schlages haben hier und in Frieden wohlfeile Reden gehalten, während dort gestorben wurde.
Menschenrechtsverletzungen, Folter, Massaker ? Scheiss drauf, unsere Pazifisten ergötzen sich in klugen Reden (das einzige, was sie seit den frühen Siebzigern hinbekommen haben: Reden), mit realer Welt hat dies nichts zu tun.
Appeasement, mein Bester, hat uns das größte Sterben auf Erden vor 70 Jahren gebracht. Wenn sie mal ihren linkspazifistischen Tabernakel verlassen, und in Nürnberg im Reichsparteitagsmuseum sich die Mühe machen, erste englische Publikationen über den ersten Reichsparteitag anschauen, so werden sie feststellen, dass (so wie sie die Journalisten wohl nennen würden) „Kriegstreiber“ bereits nach dem ersten RPT gefordert hatten, SOFORT nach Deutschland einzumarschieren, um das zu verhindern, was Appeasement erst möglich gemacht hatte.
Es tut mir leid für sie, dass sich die Frankfurter Rundschau zu einer Presseerzeugnis gemausert hat, dass nicht nur Altkommunisten wie ihnen eine Heimat bietet, und sie in ihrer alleinseligmachenden Meinung auch noch andere zu ertragen haben.
Ein Tipp: Schauen sie sich mal Mostar an. Dort hat man zugeschaut, wie 2 Kräfte ein kleines, schwaches Volk hinmetzeln. Das, was sie als erstes von Mostar sehen, das freie Feld, welches jetzt als Flugfeld genutzt wird, ist das Gelände des damaligen KZ, wo man Menschen in unterirdischen Bunkern ohne Wasser bei 45 Grad untergebracht hatte, damit UN Inspektoren keine KZ finden.
Um Menschenleben zu schützen, ist auch ein Waffengang gerechtfertigt. Hätten die Engländer diesen Mut gehabt, hätten wir heute in den Geschichtsbüchern keinen 2.Weltkrieg zu beklagen, denn Bündnisse mit Rußland und Italien waren zu diesem Zeitpunkt noch keine geschlossen.
Ein Lektüre des Buches „Das Buch Hitler“ hilft bei der Erkenntnis. Darin trägt der russische Geheimdienst ein Dossier über Hitler zusammen, befragt Diener und engste Vertraute. Das Bild, dass sich einem darin ergibt, lässt den gleichen Schluß zu.
Und mit „Feiglinge“ hab ich nicht die Menschen gemeint, die Krieg kathegorisch ablehnen, sondern die politische Führung, die hemmungslos einen Diktator hofiert, solange sie goustieren können, aber dann lieber die anderen „indirekt“ unterstützt, wenn die was tun.
Meiner Meinung nach gehört für solche Fälle eine UN-Streitmacht ins Leben gerufen, deren einziger Sinn und Zweck wäre, auf solche Menschenrechtsverletzungen zu reagieren. Egal wo. Die Botschaft wäre klar, und kein Diktator könnte sich mehr sicher fühlen.
Denn hier, so vermute ich, werden wir uns einig sein: Libyen unterscheidet sich von anderen Ländern, in denen Menschenrechte verletzt werden, in erster Linie durch sein Öl. Nur deswegen engagieren sich die US-Amerikaner, die Engländer und die Franzosen. Nur deswegen.
Für was habe ich denn eine so moderne Armee mit Eurofightern, meine liebe Carla??
@ FRettchen #11
Ich würde nicht so weit gehen wie Sie, und die FR in den Chor der „Kriegstreiber“ einreihen. Aber das, was man ehemals als kritischen Journalismus bezeichnet hat, finde ich in der FR immer weniger. Immerhin hat die FR (als Feigenblatt?) einen Leitartikel – Karl Grohe: Notwendige Enthaltung – veröffentlicht, aus dem ich einige Zeilen zitieren möchte:
„Ein Flugverbot zu verhängen, daran kann es keinen Zweifel geben, bedeutet Krieg. Das zeigen die irakischen Erfahrungen. Lange vor der Invasion gegen das Regime Saddam Husseins bombardierten die verbietenden Mächte Militäranlagen; das erklärte Ziel, unterdrückten Minderheiten zu Sicherheit vor Aggression zu verhelfen, wurde im Fall der Schiiten gar nicht und in dem der Kurden nur teilweise erreicht. Gegen Gaddafis Armee und seine Söldner könnte ein Flugverbot ebenfalls nicht viel helfen; das Gemetzel findet am Boden statt, es zu beenden erheischt Bodenkämpfe. Also wiederum Krieg. … Da schwingt die Einsicht mit, was der nun zehnjährige Krieg in Afghanistan bewirkt hat; die verheißenen demokratischen Freiheiten und den friedlichen Aufbau jedenfalls ebenso wenig wie die Ausschaltung der Taliban. Krieg zu führen widerspricht zudem den Grundsätzen, auf denen unsere Rechtsordnung steht.“ [1]
Wie Menschen für eine Zustimmung zum Krieg psychologisch reifgeschossen werden, kann man hingegen bei Bernard-Henry Lévy (BHL)besonders klar sehen. In der meistgehörten Frühsendung des französischen Rundfunks, dem Morgenmagazin von France Inter: „sprach er mit machtvollem Pathos: „Wenn heute die Aufständischen in Benghasi massakriert werden, so spritzt ihr Blut auf die Fahne Frankreichs. Denn am Hauptquartier der Übergangsregierung, an der Corniche, haben sie die Trikolore aufgehängt. Wenn sie von den Söldnern Gaddafis ermordet werden, so sterben sie direkt unter dieser, unserer Fahne!“ „. [2]
Da feiert das alte Blut-und-Fahnen-Motiv fröhliche Urständ. Da stehen „Aufständische“ oder Freiheitskämpfer irgendwelchen massakrierenden „Söldnern“ gegenüber. Da wird der Tod in einem Bürgerkrieg zu einer „Ermordung“. Da wird von einer „Übergangsregierung“ (mit einem „Hauptquartier“) gefaselt, von der niemand so recht weiss, woher sie kommt und wen sie eigentlich repräsentiert. Wie sehr mit dem Ruf nach Hilfe von aussen Schindluder getrieben wurde und wird, konnte man in den letzten Jahrzehnten zur Genüge beobachten.
Ausgerechnet Sarkozy war es, der 2007 Gaddafi in Paris mit allem Pomp zu einem 5-tägigen Staatsbesuch empfangen hatte und Geschäfte mit Libyen im Wert von mehr als 10 Milliarden Euro verabredete. Nach jahrelangen Sanktionen hatte die libysche Armee großen Nachholbedarf – und Frankreich war nur allzu gern bereit, den hoffähig gewordenen Diktator zu beliefern: unter anderem mit Airbusse, Atomkraftwerken und natürlich Waffen. Protestierenden Menschenrechtlern begegnete Sarkozy damals mit dem Argument, französische Arbeitsplätze müssten gesichert werden. Diese unheilige Allianz zwischen BHL und Sarkozy liegt natürlich auch daran, dass Sarkozy innenpolitisch stark unter Druck ist. Wie so oft in der Geschichte bietet sich das – am besten kriegerische – Ausweichen aufs Ausland an.
(Stellen Sie sich übrigens einfach mal vor, das Bundesland Bayern würde die Unabhängigkeit anstreben und dies in praktischen Schritten einleiten. Es braucht nicht einmal einen Diktator (in Berlin), um vorauszusehen, dass die Bundeswehr zum Einsatz käme. Da wird es mit dem stets behaupteten Selbstbestimmungsrecht der Völker ziemlich schnell Essig, vermute ich.)
[1] http://www.fr-online.de/politik/meinung/notwendige-enthaltung/-/1472602/8243822/-/index.html
[2] http://www.faz.net/s/Rub87AD10DD0AE246EF840F23C9CBCBED2C/Doc~E181CFE8CA5D649EBB4AC28365C58E18C~ATpl~Ecommon~Scontent.html
@ „Sarko“,
der ging daneben; Frankreich hat keine EFA´s. Die haben schon 1995 das Programm verlassen, meine mich zu erinnern das der offizielle Grund Mangel an einer Flugzeugträgerversion war.
MfG Karl Müller
@ Argus #14
Ich hatte geschrieben, dass ich Ihre Haltung respektiere. Anders herum klappt das offenbar nicht. Die Problematik der „alleinseligmachenden Meinung“ scheint mir also eher auf Ihrer Seite zu liegen. Dabei hatte ich Ihnen allerdings wohlwollend unterstellt, dass Sie eine Gewissensentscheidung – im Sinne des von mir skizzierten moralischen Dilemmas – getroffen haben und nicht einfach einem Reflex des steinzeitlichen limbischen Systems gefolgt sind. Die Schärfe, mit der Sie andere Meinungen und Gewissensentscheidungen (insbesondere also meine) herabsetzen, weckt in mir jedoch erhebliche Zweifel.
Erfreulich finde ich, dass Sie sich durch meinen Beitrag genervt fühlen. Das zeigt mir, dass Sie sich Ihres demonstrativ zur Schau gestellten Säbelrasselns vielleicht doch nicht so sicher sind. Schließlich drücken Sie sich ja um klare Worte, wo es ums Töten geht: „Um Menschenleben zu schützen, ist auch ein Waffengang gerechtfertigt.“. Ein Waffengang?! Warum sagen Sie nicht gerade heraus: „Um Menschenleben zu schützen, ist das Töten anderer Menschen gerechtfertigt“?
Vielleicht würde ja schon helfen, einfach nur einmal hinzuschauen. Hatten sich in Kairo auf dem Tahir(Tahrir?)-Platz friedliche, unbewaffnete DemonstrantInnen versammelt, habe ich bisher in den Berichten über Libyen so gut wie durchgängig von „Aufständischen“ oder „Rebellen“ gehört und gelesen. Die Bilder zeigen bewaffnete Gruppen – und dies mitnichten nur mit leichten Handfeuerwaffen. Wer in diesem Zusammenhang also vereinfachend (und dabei bewusst verfälschend?) von „der Zivilbevölkerung“ redet, verfolgt damit nicht unbedingt lautere Ziele.
Besondere Belustigung riefen bei mir übrigens Ihre abkanzelnden Begriffe wie „linkspazifistischer Tabernakel“ oder „Altkommunisten wie ihnen“ hervor. Das werde ich künftig denjenigen BlogteilnehmerInnen gegenüber zitieren, die mich so gerne in die rechtsextreme, rassistische, ausländerfeindliche usw. Ecke stellen möchten.
Fraglich bleibt dabei natürlich, ob derlei Schubladen, wie auch Sie sie nun wieder aufgemacht haben, irgend etwas zum Thema beitragen? Ich persönlich glaube das nicht. Aber wenn Sie zur Stärkung Ihres Selbstwertgefühls darauf angewiesen sind, Andere herabzusetzen – bitte sehr.
„“Warum sagen Sie nicht gerade heraus: “Um Menschenleben zu schützen, ist das Töten anderer Menschen gerechtfertigt”?““
So ist es. Kein Mensch würde die Attentäter um Stauffenberg als Mörder bezeichnen wollen. Wer Menschenrechte mit Füßen tritt, foltert und mordet, darf sich nicht seines Lebens sicher sein.
Und was das „Andere herabzusetzen“ angeht: Schauen sie in den Spiegel, wiederholen Sie Ihre Worte.
Die Geschichte mit Libyen ist eine hochemotionale in ihrer Wirkung, weil sie wieder einmal die alte Aussage „Geschichte wiederholt sich“ (oder eben nicht) reflektiert.
Ich denke, daß hier wieder vieles instrumentalisiert wird. Die „armen“ Aufständischen, schlecht oder unzureichend bewaffnet, gegen den „Schlächter“ Gaddafi (der so nebenbei seit Jahrzehnten sein Waffenarsenal vom Westen aufgestockt erhielt und damit kräftig zu den, u.A. auch deutschen, „Exporterfolgen“ beitrug).
Ich frage mich: welche Interessen stecken wirklich dahinter, oder auch „qui bonum“ wie die Lateiner sagen. Wer den Krieg befürwortet, hat Gaddafi als Helfer gegen die „schwarze Flut“ abgeschrieben und hofft, daß sich mit den „Aufständischen“ (wer immer sich dahinter verbirgt) auch gute Geschäfte machen lassen. Wer sich neutral verhält, ist unsicher, ob am Ende nicht Gaddafi die Oberhand behält, und will sich es mit ihm nicht verscheißen.
Wenn wirklich altruistische humane Gründe eine Rolle spielen würden, dann müßten sich die jetzt kriegsführenden Nationen schon seit Jahrzehnten anders verhalten haben, also
– Entwicklungshilfe in der Höhe ähnlich wie die Höhe der Militärausgaben oder, noch besser
– vice versa, also Entwicklungshilfe x 1000, und die Militärausgaben : 1000, denn dies ist das weltweite Verhältnis und
– nicht immer nur die Kofi-Anann-Doktrin zitieren, und auf Ruanda, Sudan, Bosnien, Kosovo, Irak und Afghanistan verweisen, sondern auch
– mal schauen, wie es mit den Menschenrechten und dem Selbstbestimmungsrecht der Völker in Tibet, Ossetien, Nordkorea und Simbawbe aussieht – dort sterben auch unterdrückte Menschen, nur eben leiser, unauffälliger.
Stellen wir uns einen Aufstand in Lhasa vor, mit dem Ziel eines freien, unabhängigen Tibet. Natürlich würden die Chinesen mit starken Truppen einmarschieren, und vermutlich wären die Opferzahlen höher als jetzt in Libyen – würde die UNO einer Flugverbotszone zustimmen, oder die NATO sich eine Einmischung überlegen? Bezüglich UNO wohl obsolet, weil China ja Mitglied im Sicherheitsrat ist. Was wäre, wenn die muslimische Bevölkerung in Indien auf die Idee käme, einen eigenen Staat auszurufen oder den Anschluß an Pakistan anzustreben?
Wenn eine Eigenschaft derzeit wieder reüssiert, dann ist dies die Heuchelei.
Amnesty International Deutschland (AI, vertreten durch die Leiterin der deutschen Sektion, Monika Lüke), das in der Vergangenheit oft genug auf Menschenrechtsverstöße durch Gaddafis Regime aufmerksam gemacht hat, lehnt ein militärisches Vorgehen gegen Gaddafi ab. „Nach den Erfahrungen im Irak und in Afghanistan überrascht mich, wie viele Stimmen jetzt ein militärisches Eingreifen fordern“
Lüke erinnert daran, dass Zehntausende in die Nachbarländer geflohen sind und ohne Nahrung, Unterkunft und medizinische Versorgung auskommen müssen. „Dort herrscht ein humanitärer Notstand, Was man jetzt braucht, ist ein großer humanitärer Einsatz, ein Korridor für Hilfslieferungen, um die Grundbedürfnisse dieser Menschen zu befriedigen.“
Hier könnte sich das humanitäre Gewissen der Staatengemeinschaft aufs Trefflichste beweisen, statt sich in Militäraktionen auszutoben.
Dass Sanktionen gegen Gaddafi nicht sofort und umfassend ergriffen wurden, ist möglicherweise ein weiteres Indiz dafür, dass bewusst auf eine militärische Option gesetzt und hingearbeitet wurde. Einen Hinweis auf eine entsprechende, seit Jahren verfolgte Strategie findet man unter dem Stichwort „Greater Middle East Project (GMP), siehe [Links].
Wer in den letzten Wochen dem Einfluss von Facebook auf die DemonstrantInnen mit Stirnrunzeln begegnet ist, findet im Begriff der „Umsturz GmbH“ (Süddeutsche Zeitung) ebenfalls eine mögliche Erklärung.
[Links] (Ohne Urteil über die Qualität der Quellen):
[1] The Greater Middle East Project
http://en.emep.org/index.php?option=com_content&view=article&id=53:-the-greater-middle-east-project&catid=36:articles&Itemid=64
„What is the Greater Middle East Project that has caused so much controversy? What does the US aim by the introduction of this project? What kind of a whirlwind does the US want to drag the people of the world into? Finally, what kind of role is allocated to Turkey within this US project?“
[2] Umgruppierung in Mittelost
http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/Nahost/holz.html
Hatte Holz 2005 noch resümiert „Das GMP der USA ist zerbrochen. Die Erwartung, den islamischen Raum US-amerikanischer Hegemonie unterwerfen zu können, hat nicht mit dem Selbstbewußtsein der Völker in ihrer islamischen Identität gerechnet. Die Strategie des »Teile und herrsche« ist nicht aufgegangen. Die ungeschickten Versuche von Condoleezza Rice können daran nichts ändern.“, so sieht das im Jahr 2011 möglicherweise anders aus.
[3] Strategie der „bunten“ (Konter-)Revolutionen – Fortsetzung des Kalten Krieges
http://www.friedensforum.gbmev.de/doc/Nr.30%20Bunte%20Revolutionen.pdf
„In den Medien erscheinen immer wieder Meldungen über diverse Aktionen oppositioneller Kräfte in verschiedenen Ländern Osteuropas, Zentralasiens oder in Nah-/Mittelost, die als „Revolutionen“ ausgegeben werden. […] Das Vorgehen der Akteure ist in vielen Ländern fast deckungsgleich, so dass die Regie von außen unverkennbar ist. Staatlich gelenkte und finanzierte angebliche „Nichtregierungs“-Organisationen und ihre Außenstellen in den betreffenden Ländern steuern diese Aktivitäten über die Bereitstellung von Finanzen, technischen Ausrüstungen und taktischen Anleitungen.“
[4] Cui bono? Bürgerkrieg in Libyen nach dem Muster „bunter Revolutionen“
http://www.berlin-athen.eu/index.php?id=205&tx_ttnews%5Btt_news%5D=1949&tx_ttnews%5BbackPid%5D=215&cHash=3b9098f8d9c0f81b88df35ac33346956
„Wenig bekannt, und dies aus naheliegenden Gründen, scheint in der westlichen (Medien-) Welt bis heute die Tatsache zu sein, daß die sogenannten Revolutionen in den nordafrikanischen Staaten, die die gesamte Region des Nahen und Mittleren Ostens in Aufruhr zu versetzen imstande sind, nicht (allein) durch die Unzufriedenheit der jeweiligen Bevölkerungen mit den jeweiligen Regierungen bzw. Despoten zu erklären sind. Sie tragen eine gemeinsame Handschrift und stehen in dem Ruch, durch eine ausländische Organisation initiiert und befördert worden zu sein. Die Süddeutsche Zeitung informierte ihre Leser zeitgleich zum Beginn der Unruhen in Libyen in einem bemerkenswerten Artikel über die „Umsturz GmbH“…“
[5] Insurrection and Military Intervention: The US-NATO Attempted Coup d’Etat in Libya?
http://www.globalresearch.ca/index.php?context=va&aid=23548
„The US and NATO are supporting an armed insurrection in Eastern Libya, with a view to justifying a „humanitarian intervention“.
This is not a non-violent protest movement as in Egypt and Tunisia. Conditions in Libya are fundamentally different. The armed insurgency in Eastern Libya is directly supported by foreign powers. The insurrection in Benghazi immediately hoisted the red, black and green banner with the crescent and star: the flag of the monarchy of King Idris, which symbolized the rule of the former colonial powers. (See Manlio Dinucci, Libya-When historical memory is erased, Global Research, Febraury 28, 2011)
US and NATO military advisers and special forces are already on the ground. The operation was planned to coincide with the protest movement in neighbouring Arab countries. Public opinion was led to believe that the protest movement had spread spontaneously from Tunisia and Egypt to Libya.“
[6] „Operation Libya“ and the Battle for Oil: Redrawing the Map of Africa
http://globalresearch.ca/index.php?context=va&aid=23605
„“Operation Libya“ is part of the broader military agenda in the Middle East and Central Asia which consists in gaining control and corporate ownership over more than sixty percent of the world’s reserves of oil and natural gas, including oil and gas pipeline routes.
„Muslim countries including Saudi Arabia, Iraq, Iran, Kuwait, the United Arab Emirates, Qatar, Yemen, Libya, Egypt, Nigeria, Algeria, Kazakhstan, Azerbaijan, Malaysia, Indonesia, Brunei, possess between 66.2 and 75.9 percent of total oil reserves, depending on the source and methodology of the estimate.“ (See Michel Chossudovsky, The „Demonization“ of Muslims and the Battle for Oil, Global Research, January 4, 2007) .“
@ Schnippsel – Argus
Von einer Reise zurück, schaue ich mal wieder in den Blog hier rein, bin erstaunt über das vergleichsweise geringe Interesse dieses Threads. Und ich meine auch, dass wir beim Schlagaustausch zwischen Schnippsel und Argus vorgeführt bekommen, wie eine Diskussion gerade nicht laufen sollte.
“Wenn ich nicht eingreife, sterben Menschen durch meine Unterlassung. Greife ich ein, sterben Menschen durch mein Handeln!”
Dieses von Schnippsel in # 13 in Anschluss auf Drewermann aufgezeigte moralische Dilemma ist zunächst ernst zu nehmen, und dem, wie Argus, mit Schubladen zu begegnen, ist so ziemlich das Falscheste, was man tun kann.
Allerdings wird Schnippsel und auch Eugen Drewermann es sich gefallen lassen müssen, dass ihre Argumentation auch nach unausgesprochenen Implikationen hinterfragt wird.
Ernst zu nehmen an dem im Drewermann-Zitat aufgezeigten Dilemma ist die Erkenntnis, dass in bestimmten Entscheidungssituationen kein dritter Weg offensteht, dass „Unterlassen“ auch „Handeln“ bedeutet und beides mörderische Konsequenzen haben kann.
Zu kritisieren ist aber bereits hier die Wendung ins Abstrakt-Allgemeine und das, was dabei ausgeblendet wird: Es stehen sich – bezogen auf ein Eingreifen zugunsten der lybischen Bevölkerung – eben nicht nur menschliche Opfer hier und dort gegenüber, sondern auch völlig verschiedene Zukunftsperspektiven: Ein Weiterleben unter den Bedingungen einer brutalen Diktatur, die skrupellos Menschen als Schutzschilder für eigene Machtinteressen missbraucht, auf der einen Seite, Hoffnungen auf menschenwürdigeres Leben auf der anderen. Die Erwartung, dass alle bereits erbrachten Opfer sinnlos waren, auch künftig zwangsläufig immer wieder ähnliche Situationen eintreten werden und zahllose neue Opfer erbracht werden müssen, auf der einen Seite, die Hoffnung, dass das Blutvergießen bald ein Ende haben dürfte und nicht ganz sinnlos war, auf der anderen.
Wer nicht, wie Schnippsel und auch Drewermann, die wohl entscheidende Frage des „Wofür?“ ausklammert, für den ist Opfer eben nicht gleich Opfer. Und – wenn man sich nicht dem Selbstbetrug hingeben will, angesichts einer vom eigenen Staatschef bombardierten Bevölkerung durch Stimmenthaltung seine Hände selbst in Unschuld waschen zu können – darf man neben dem Dilemma, dass sowohl das „Unterlassen“ wie das auch „Handeln“ Menschenleben aufs Spiel stellt, die Frage der Menschenwürde nicht ausklammern.
Zusätzlich zu dieser Schwäche eines verallgemeinernd-abstrakten Umgangs mit dem Problem zeigen sich in der Argumentation von Schnippsel weitere Schwächen (die mir auch typisch scheinen für einen Teil der deutschen Friedensbewegung):
„Heiligt schon wieder der – propagandistisch gut vorbereitete – Zweck die Mittel?“ – „Es ist doch pervers, wie das Beste im Menschen (z.B. seine Empathiefähigkeit) hier wieder auf die Kriegsmühle umgeleitet wird.“ (# 9)
War zunächst noch von einem „Dilemma“ die Rede, welche die letztliche Entscheidung offen hält, wird hier durch emotionale Zuspitzung versucht, die eine Seite moralisch zu diskreditieren
und eine – offenbar a priori getroffene – Entscheidung für die andere Seite zu legitimieren. Von da ist es dann nur noch ein Schritt, wilden Spekulationen über die bösen „Kriegstreiber“ im eigenen Lager freien Lauf zu lassen:
“Wir müssen der libyschen Bevölkerung zuhilfe kommen” soll heissen: “Die Libyer sind uns sowas von egal, wir wollen a) direkt ans Öl, b) einen strategischen Keil zwischen die Länder westlich und östlich Libyens treiben, c) unsere Macht demonstrieren, damit nachfolgende Regierungen gleich wissen, wo der Hammer hängt und d) den Libyern klarmachen, dass sie bleiben sollen, wo sie sind und ja nicht nach Europa auswandern”.
Kaum anders folgende Spekulation über einen, angesichts des oben angesprochenen moralischen Dilemmas verständlicherweise sehr schwierigen, Abstimmungsprozess im UN-Sicherheitsrat : „Dass Sanktionen gegen Gaddafi nicht sofort und umfassend ergriffen wurden, ist möglicherweise ein weiteres Indiz dafür, dass bewusst auf eine militärische Option gesetzt und hingearbeitet wurde.“
Auf einer solchen Ebene, meine ich, ist einer seriösen Diskussion der Boden entzogen.
So berechtigt die Kritik an einer unglaubwürdigen Politik ist, die sich auch nach Lockerbie einen Teufel um moralische Prinzipien und die Herrschaftsformen eines Oberst Gaddafi scherte und ihm erst erlaubte, den Schlächter hinter dem Mäntelchen des Seriösen zu verstecken: Diese Kritik darf nicht dazu führen, die Frage nach den Urhebern von Gewaltaktionen auszuklammern – so etwa, wenn Schnippsel von libyschen “Aufständischen” oder “Rebellen” spricht, aber die Ursache dieser Entwicklung, das Bombardement friedlicher Demonstranten aus der Luft ignoriert. (# 18)
Wer seine Aufmerksamkeit und Kritik so selektiv verteilt, wer „Bomben und Raketen“ ausschließlich auf der Seite ortet, die eben deren tödliche Wirkungen verhindern will, der braucht sich nicht zu wundern, dass eine Bemerkung wie folgende, gelinde gesagt, nur Kopfschütteln hervorruft: „Jahrzehntelang hatten sie Gelegenheit, sich für Freiheit und Selbstbestimmung einzusetzen. Jetzt fällt ihnen nichts anderes ein, als mit Bomben und Raketen draufzuhalten?!“
Der radikalpazifistische Reflex auf ein durch deutschen Sonderweg verursachtes Trauma, zusammengefasst im Slogan, dass von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgehen dürfe, ist verständlich und wirkt, als moralische Grundposition, auch sympathisch. Als konkrete Handlungsanweisung in zahlreichen neuen Situationen unterschiedlichster Art taugt er so lange nicht, als er ebenso reflexhaft sich notwendigen Einsichten verweigert, zu selektiver Wahrnehmung führt und eben das herbeiführt, was es gerade vermeiden gilt: einen neuen deutschen Sonderweg.
So ist der von Westerwelle und Merkel propagierte „Ohne-Michel-Standpunkt“ in kaum einem unserer Partnerländer vermittelbar, schon gar nicht in einem Land wie den USA, angesichts des hohen Blutzolls, den diese, vom deutschen Faschismus selbst nicht bedroht, dafür zahlten, um dieses Land vom Faschismus zu befreien.
Dasselbe gilt für Frankreich.
Und wer sich auf erlittene Traumata als Rechtfertigung für seine Position beruft, sollte gefälligst auch die Traumata in Rechnung stellen, unter denen andere leiden: So etwa die Franzosen unter dem Trauma von Vichy, der Mitschuld an Nazi-Verbrechen durch Unterwerfung, über das offen zu sprechen sie auch einige Jahrzehnte benötigten.
So berechtigt ein Misstrauen gegen einen Egomanen wie Herrn Sarkozy ist (bestätigt z.B. durch seine Spaltungsbemühungen in der Nato, um selbst die Führungsrolle zu übernehmen), in der Libyen-Frage steht die überwältigende Mehrheit in Frankreich hinter ihm, und das hat wohl mit eben diesem Trauma zu tun, nach dem Nichteingreifen eben gerade zu Mitschuld führt.
Die von Schnippsel angesprochene „Gelegenheit, sich für Freiheit und Selbstbestimmung einzusetzen“, ergibt sich unter Beachtung des Prinzips der Nichteinmischung eben erst jetzt, nach ausdrücklichem Verlangen nicht nur aus Libyen, sondern der gesamten arabischen Welt. – Und warum sollte dies nicht auch eine Gelegenheit sein, vergangene Fehler zu korrigieren?
Sieht man von einer zeitbedingten Terminologie wie etwa „Kampf“ und „Feind“ ab, ist wohl Bert Brecht zuzustimmen, wenn er warnt:
„Wer zu Hause bleibt, wenn der Kampf beginnt,
der sehe sich vor.“
Und er bringt es in diesem Gedicht auf den Punkt:
„Nicht einmal Kampf vermeidet,
wer Kampf vermeiden will. (…)
Und es wird kämpfen für die Sache des Feindes,
wer für die eigene Sache nicht wollte kämpfen.“
Und trotzdem erlaube ich mir, nochmals nachzufragen, auch wenn dies als „rein rhetorisch“ abgetan wird. Wie würden wir uns – und all die, welche den vom UN-Mandat gestützten Einsatz befürworten – verhalten, wenn es zu einem Volksaufstand in Tibet käme. Was ist, wenn die arabische Revolutionsbewegung in Syrien eskaliert und auf Saudi-Arabien übergreift? Ich vermute mal, daß dann keine Einstimmigkeit (incl. Enthaltungen) in der UN zu Stande käme. In Punkto Libyen fühle ich mich jedenfalls total hilflos, neige dazu, den Aufständischen zu helfen, in dem ich ihnen zunächst einmal gute Absichten unterstelle, und weiß, das diese Hilfe wieder neues Leid hervorruft.
Und was passiert, wenn Gaddafi nicht kapituliert? Doch Bodentruppen schicken? Der ganze Einsatz ist für mich nicht zu Ende gedacht, aber ich habe sicherlich auch keine strategischen Interessen, auf welche ich dann meine Taktik ausrichten würde.
@ Werner Engelmann #22
„nach ausdrücklichem Verlangen nicht nur aus Libyen, sondern der gesamten arabischen Welt.“
1. Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass ich das „ausdrückliche Verlangen aus Libyen“ für ausgesprochen problematisch halte, weil – zumindest mir – überhaupt nicht klar ist, von wem dieses Verlangen eigentlich ausgeht und welche Interessen diejenigen tatsächlich verfolgen. Handelt es sich in Libyen wirklich um den stets genannten „Volksaufstand“ gegen einen Diktator oder um aufständische Stämme, die die Chance wittern, sich aus dem libyschen Kuchen ein entsprechendes Stück herauszuschneiden. Schauen Sie sich einfach mal die Karte „Libyens Ethnien und Rohstoffe“ [1] an. Fällt Ihnen dabei nichts auf?
2. Ebenso wie ich stellt sich auch Salman Rushdie (in Bezug auf Ägypten) in seinem gestrigen FR-Interview „Welchen Wert hat ein Leben?“ die Frage „Dieser gewaltige Protest war ja sehr gut organisiert. Irgendjemand muss da die Strippen in der Hand gehabt haben. Man ruft nicht eben mal einen Generalstreik aus, das passiert nicht einfach so.“
Ich habe weiter oben darauf hingewiesen, dass die „bunten Revolutionen“ möglicherweise Teil einer umfassenderen und langfristigeren Strategie sind. Da es in Libyen weniger ausländische Organisationen (und „Touristen“, „Berater“ usw.) gab, war das Zünden der Revoltenbombe evtl. etwas schwieriger und langsamer.
3. Im heutigen FR-Leitartikel, Martin Gehlens „Libyens Freiheit“, lese ich, was vom „ausdrücklichen Verlangen […] der gesamten arabischen Welt“ zu halten ist.
„Bisher allerdings ist die Beteiligung der arabischen Staaten absolut unzureichend. Nach dem Rückzieher der Vereinigten Arabischen Emirate sind nur noch vier Jets aus Katar mit am Start. Ägypten schweigt, Gaddafis Erzfeind Saudi-Arabien ebenfalls. Und alle schickten schon weniger als 24 Stunden nach Beginn der Bombardierungen ihren gemeinsamen Generalsekretär Amre Mussa vor, sich von dem Liga-Beschluss vor einer Woche wieder zu distanzieren. Der Arabische Staatenbund schlingert, er will sich diplomatische Hintertüren aufhalten, falls demnächst Raketen fehlgehen. Die Post-Revolutionäre in Tunis und Kairo haben zudem alle Hände voll zu tun, den Weg ihrer Nationen in die ersehnte Demokratie zu organisieren. Und die noch im Sattel sitzenden Langzeit-Potentaten sorgen sich um ihre eigene Zukunft.“
Auch Karl Grobe (ich hatte ihn weiter oben fälschlicherweise „Grohe“ geschrieben) äußert sich zur Arabischen Liga so:
„Den Liga-Fürsten ging es allerdings nicht um Demokratie, Menschenrechte und Freiheit; daheim gilt solcherlei ja als subversiv. Sie haben Rechnungen mit dem libyschen Despoten offen – Rechnungen unter Despoten. Es geht um Machtpositionen und das Unbehagen darüber, dass Gaddafi sich vier Jahrzehnte lang als Schirmherr, Asylgeber, Waffenlieferant und Finanzierer aller möglichen und unmöglichen Revolutionäre geriert hat. Die Motive dieser Feudalherren sind so ehrenwert wie sie selbst. Mit ihnen im Boot zu bleiben, gebieten Realpolitik und Ölwirtschaft. Die saudische Intervention im kleinen Inselstaat Bahrain ist in Anbetracht des großen Ganzen leichter zu ignorieren.“
4. In den letzten Jahren habe ich gelernt, immer dann besonders skeptisch zu sein, wenn mir jemand sein Verhalten durch den Bezug auf einen Dritten zu erklären oder zu legitimieren versucht. Weil Gaddafi so ein Despot ist, weil die Libyer um Hilfe gerufen haben, weil Migranten so doll diskriminiert werden, weil am Hindukusch unsere Freiheit bedroht ist, weil die Pharmaindustrie so fies ist, weil die Banker, weil die Kinder, weil die Autofahrer, weil, weil, weil immer die anderen…
„La liberté ne se donne pas, elle se prend!“ (Freiheit wird nicht gegeben, sondern genommen!) Als Lehre aus der Geschichte ließe sich z.B. auch der Schluss ziehen, dass es keine Abkürzung gibt. Meinen Kindern konnte (und durfte) ich schmerzhafte Erfahrungen nicht ersparen. Indien und China werden den Irrweg hemmungslosen Wachstums irgendwann zugunsten eines nachhaltigen Wirtschaftens verlassen (müssen). Und dass die Befreiung von Despoten, die auf ihre Bürger schießen, nicht immer so reibungslos erfolgt wie durch die Leipziger Montagsdemonstrationen.
Darf man daran erinnern, dass der Westen die Berliner Bauarbeiter am 17.Juni 1953 im Stich gelassen hat, die Ungarn während ihres Aufstand 1956 und die Tschechen im Prager Frühling 1968 ebenso? Ist der Einmarsch saudischer Truppen und Polizisten in Bahrein deswegen richtig, weil die Saudis „dem ausdrücklichen Verlangen aus Bahrein“ nachgekommen sind? Wann werden fast verhungerte Nordkoreaner ihre Schilder mit „Help us!“ in eine westliche Kamera halten und dadurch eine Bombardierung Nordkoreas hervorrufen?
Die Devise „Wer nicht für mich ist, der ist gegen mich!“ akzeptiere ich schon lange nicht mehr. Sie ist so ungefähr das Übelste, was uns die Bibel hinterlassen hat.
@ Wolfgang Fladung
Vorab stellt sich doch schon die Frage a) Was ist ein „Volksaufstand“ (siehe auch oben) und b) Ab wann ist er wichtig genug, damit man sich einmischt?
Man könnte sich auch, ganz nah vor der Haustür, schon mal anschauen, wie Frankreich auf die korsische Unabhängigkeitsbewegung reagiert. Was wäre erst los, wenn es einen korsischen Volksaufstand gäbe? Oder entlässt Spanien die baskischen und katalanischen Provinzen in die Unabhängigkeit – nach einem Referendum, ganz ohne Volksaufstand?
Wenn es über einen Monat gedauert hat, bis Mubarraks Konten gesperrt wurden, frage ich mich, wie das bei Gaddafi gelaufen ist. Die stets behauptete „ultima ratio“ setzt doch voraus, dass alles, aber auch wirklich alles getan wurde, um Druck auszuüben. Kontensperrung, Flugverkehr einstellen oder regulieren, Embargo, Öl- und Gaspipelines absperren, Fachleute zurückrufen, Flüchtlinge evakuieren, militärische Funkfrequenzen stören, was weiss ich noch alles.
[1] http://www.tagesschau.de/ausland/libyenkarte104.html
[2] http://www.fr-online.de/panorama/-welchen-wert-hat-ein-leben–/-/1472782/8079876/-/index.html
Danke, # 24, Schnippsel, für die Replik.
Ich fühle mich derzeit völlig hilflos, desinformiert, weiß nicht, wem ich glauben soll. Ich unterstelle allen zunächst einmal ehrenwerte Argumente, und zweifle dann letzlich doch – nicht an der Ehrenwertigkeit – an dem, wohin es führt.
Wir erleben ja inzwischen diverse Kausalitätsketten, die führen über Srebrenica, Ruanda, Sudan, Nordirak, und jetzt Libyen direkt zu einem angeblichen Zwang, mit Gewalt einzugreifen. Bengasi wird genannt, eine Art Genozid der dortigen Bevölkerung als Begründung genannt. Und immer wieder wird das Wegducken und Wegschauen dabei weggelassen bezüglich Nordkorea, Tibet, den Kaukasus-Regionen, und natürlich auch Sudan (aus einer anderen Ecke), Somalia, immer noch dem Kosovo, der Pamir-Region, und anderen Erdregionen, deren Namen mir gerade nicht einfällt. Einer hat immer Begründungen parat, warum in der einen Regionen eingegriffen werden muß, in der anderen aber nicht, weil dort
– das Völkerrecht greift (oder anders ausgelegt wird)
– Rohstoff-Ressourcen auf Abnehmer harren
– und, frei nach Kiesinger und später Rumsfeld, dort ein „gutes“ Asshole herrscht, eben „unseres“
– es einfach uninteressant ist, und „man“ ja nicht überall den Polizisten spielen will/muß
Wirklich, es ist zum Verzweifeln und Haare raufen. Oder auch zum Abschalten, sich auf die Terasse oder den Balkon setzen, einen guten Rieslung aufmachen, und einfach den lieben, oder auch bösen Gott, einen guten Mann sein lassen.
@ Schnippsel, Wolfgang Fladung, # 23-25
Zunächst einmal: Ich halte es für sehr ehrenwert, lieber Wolfgang Fladung, Ihre Hilflosigkeit einzugestehen (und es geht sicher nicht nur Ihnen so). Wenn das bei Politikern Schule machen würde, wären wir schon ein gutes Stück weiter.
Ich habe gestern Abend bei Illner Dirk Niebel und Oskar Lafontaine genau zugehört (merkwürdige Koalition!) – natürlich haben beide immer alles schon gewusst. Und dann Allgemeinplätze – man müsse auch die Folgen bedenken, „Krieg“ als „ultima ratio“ u.s.w. –, eine Tour du Monde aller möglichen Probleme, aber keine Antwort auf die Frage, was denn in Bengali passiert wäre ohne das Eingreifen der „Koalition der Willigen“ (und jetzt wohl der Nato),keine Antwort darauf, wie denn (wenn überhaupt) ein bestenfalls sehr langfristig wirkendes Waffenembargo ein unmittelbar bevorstehendes Massaker verhindern könnte, für dessen Durchführung der ach so menschenfreundliche und dialogbereite Oberst schon längst genügend Waffen gehortet hat!
Genau das meine ich mit der von mir konstatierten „Schwäche eines verallgemeinernd-abstrakten Umgangs mit dem Problem“ und einer „a priori getroffenen“ also aus einer bestimmten ideologischen Voreinstellung heraus vorgenommen Entscheidung für alle möglichen, höchst unterschiedlichen Konfliktfälle: Was mit Allgemeinplätzen gepredigt wird, wird im vorliegenden Konfliktfall gerade unterlassen, nämlich eine reflektierende Abwägung, so weit es die Situation und der vorliegende Informationsstand es erlauben.
Dies könnte ja zur Folge haben, dass auch die eigene Position in Frage gestellt würde, Wahlstrategien durcheinander gerieten (siehe Merkel, Mappus u.s.w.!) und man am Ende sogar Fehler eingestehen müsste – welche Katastrophe!
Glauben Sie nicht, lieber Schnippsel, dass hier nicht mindestens ebenso viel Misstrauen angebracht ist, auf das Sie zu Recht verweisen?
Sich auf eine solche Ebene einzulassen, mag vielleicht als Beruhigungspille für Gesinnungsethiker dienen, im konkreten Konflikt hilft es überhaupt nicht weiter, verstärkt bestenfalls die eigene Hilflosigkeit – wenn man ehrlich genug ist, sich diese einzugestehen. Sie ahnen es wohl: Ich schlage mich eindeutig auf die Seite der Verantwortungsethiker, weil nur diese etwas bewirken können (das Problem wurde ja schon von Schiller im „Wallenstein“ ausführlich diskutiert).
Um im Bild zu sprechen: Wenn tausend Menschen in einer persönlichen Konfliktsituation von der Brücke gesprungen sind, bleibt es bei mir als tausendunderstem immer noch alleine meine eigene Entscheidung, ob ich es bei eigenen Konflikten ihnen gleichtue oder – was ich besser finde – nach anderen Lösungen suche. Jeder Konfliktfall ist individuell gelagert, verlangt seine eigenen Nachforschungen und Strategien und ist nicht mit – noch so gut gemeinten – Glaubensbekenntnissen wie „Gewaltfreiheit um jeden Preis“ zu lösen.
Konkret: Keiner der von Ihnen aufgeführten Fälle einer (wohl als richtig verstandenen) „Nichteinmischung“, von 1953 über Prag bis Tibet (dazu später) ist auch nur annähernd mit dem Fall Libyen vergleichbar. Um sich die Folgen eines Eingreifens hier vor Augen zu führen, muss man nicht unbedingt wie ich (der ich während des kalten Krieges 20 Jahre in Berlin gelebt habe) die nur Meter voneinander entfernten sowjetischen und amerikanischen Panzer am Checkpoint Charly gesehen haben. – Warum aber vergessen Sie ausgerechnet Darfour und das Massaker zwischen Tutzis und Hutus, wo es das Nichteingreifen der UNO war, das Millionen von Menschenleben gekostet hat? Ist nicht nach solchen Erfahrungen die moralische Grundlage einer pazifistischen Haltung der Nichteinmischung um jeden Preis längst am Boden zerstört, als pure Illusion entlarvt?
Nun aber zu dem, wie ich meine, durchaus bedenkenswerten Hinweis unter 1. (# 24), der Einschätzung der Aufständischen in Libyen. Ich vermute, dass Sie hier genauso wenig eine befriedigende Antwort haben wie ich. Das ist gerade das Problem der Verantwortungsethik: Dass Handeln auf der Grundlage meist unzureichender Erkenntnisse notwendig ist und dieses – ebenso wie Nichthandeln (!), siehe Beispiele oben –, bereits neue Fakten schafft. Und man kann wohl davon ausgehen, dass auch der zu Schnellschüssen neigende Nicolas Sarkozy keine Antwort darauf hat, wie denn die völkerrechtliche Anerkennung der Aufständischen zu begründen wäre.
Umso verantwortungsloser ist dann aber eine Frau Merkel, wenn sie sich durch Selbstisolierung jeden Einfluss raubt und einem solchen Hasardeur das Feld überlässt. Denn zweifellos ist – als Lehre nicht nur aus Afghanistan – zu fragen, welche Sicherungen eingebaut sind, damit eine als notwendig erachtete militärische Intervention sich nicht zum dauerhaften Krieg auswächst (was wohl der Hauptgrund für das lange Zögern Obamas gewesen sein dürfte). – Welche Erkenntnisse außer allgemeinem (opportunistischem) Gerede und Mutmaßungen hat der Ohne-Michel-Standpunkt eines Westerwelle hier zu bieten? Wie will eine Frau Merkel nach dem angerichteten Vertrauensverlust ihre Bedenken bei den Partnern überhaupt noch zur Geltung bringen, wie will eine künftige Bundesregierung mit Lobhudeleien von Gaddafi im Rücken den Schaden vor allem in der arabischen Welt wieder kitten?
Als sicher kann m.E. gelten (und daher auch die unterschiedliche Reaktion), dass in der Person und im despotischen System eines Gaddafi der entscheidende Unterschied zu Ägypten liegt: Diese Menschen hatten nicht einmal im Ansatz eine Chance, sich zu einer Opposition mit klaren politischen Zielen zu formieren, und ihnen steht keine militärische Ordnungsmacht gegenüber, sondern ein skrupelloses Söldnerheer, das sie bombardiert und abknallt wie die Hasen. – Und wollen Sie die unglaubliche Skrupellosigkeit eines Oberst Gaddafi ausgerechnet seinen Opfern vorwerfen? Das wäre mehr als zynisch.
Und noch eine Frage zu den konkreten Folgen, die es zu bedenken gilt – und um die sich niemand drücken kann und darf: Welches Signal setzt ein Gewährenlassen des Schlächters Gaddafi in der arabischen Welt? Was bedeutet dies anderes als einen Freibrief für alle anderen Despoten und einen K.o.-Schlag für diejenigen, die gegen sie aufzubegehren beginnen? Kann man sich dann immer noch vorlügen, mit der Fiktion von „Neutralität“ seine Hände in „Unschuld“ zu waschen?
Noch ein Wort zu Amnesty und zu Tibet. (Ich habe selbst 6 Jahre lang eine AI-Schulgruppe geleitet und meine Frau arbeitet seit ca. 20 Jahren in verschiedenen Menschenrechtsgruppen mit AI zusammen, darunter „les amis du Tibet“.)
Wenn Frau Lüke, die unter anderem AUCH für AI Deutschland spricht, sich zu Libyen äußert (# 21), dann ist das mit Sicherheit kein offiziöses Statement von AI, sondern ihre Privatmeinung, zu der sie wie jeder andere berechtigt ist. Eine autorisierte AI-Stellungnahme kann es schon deshalb nicht geben, weil dies die Grundlagen der eigenen Arbeit zerstören würde. Ziel von AI-Aktionen ist der jeweils konkrete Einsatz für Gefangene und Opfer von Menschenrechtsverletzungen in allen Staaten der Welt, unabhängig vom jeweiligen Regime. Dies geschieht vor allem in Form von längerfristiger Adoption eines Gefangenen durch eine AI-Gruppe (und eigenverantwortliche Arbeit für ihn) sowie durch Verbreitung von „Urgent actions“ und Kampagnen in konkreten, meist dringenden Fällen (z.B. bevorstehende Hinrichtung). Eine solche Arbeit ist in Ländern, wo sie gerade am nötigsten ist, also in Ländern mit autoritären und korrupten Regimen und den meist schlimmsten Menschenrechtsverletzungen, überhaupt nur möglich, wenn die völlige Unabhängigkeit von staatlichen Institutionen glaubhaft dokumentiert wird (daher auch die Zurückweisung jeglicher staatlicher finanzieller Hilfen). Allein Erklärungen überstaatlicher Institutionen, vor allem die Menschenrechtscharta der UN, können als moralische Grundlage herangezogen werden – so im Fall Chinas, das Menschenrechtsverletzungen als „innere Angelegenheit“ darzustellen versucht.
Gemeinsamkeiten mit staatlichen Interventionen wie etwa im Fall Libyen ergeben sich lediglich im Bezug auf die Menschenrechtscharta der UN, der in beiden Fällen „Einmischung in andere Staaten“ in solchen Fragen nicht nur legitimiert, sondern ggf. auch gebietet (im Unterschied zum Irak-Krieg). Staatliche Maßnahmen und die Arbeit von NGOs sind aber komplementär und keinesfalls können sie sich gegenseitig ersetzen. Vor allem darf humanitäre Arbeit von NGOs nicht zum Feigenblatt werden für politische Versäumnisse. Und sie bedarf auch der politischen Unterstützung, vor allem derart, die Voraussetzungen dafür zu schaffen. Und das heißt im konkreten Fall, dass ggf. auch die „ultima ratio“ greifen muss, um Menschenrechtsverächtern und Schlächtern das Handwerk zu legen.
Wenn gewisse Politiker (so etwa der Linken) ehrenamtliche humanitäre Arbeit von NGOs für ihre eigene Ideologie bzw. Position instrumentalisieren, dann ist dies nicht nur eine bodenlose Frechheit, es offenbart auch Unkenntnis von deren Arbeit (und verschleiert wohl auch, dass diese ihnen in Wahrheit ziemlich schnurzegal ist).
Zum Abschluss zur Verdeutlichung noch einige Beispiele für solche Arbeit:
(1) Der Fall Tibet steht schon deshalb nicht zur Debatte, weil sich der Dalai Lama und die Exilregierung ausdrücklich von jeglicher Gewaltanwendung distanziert haben. Es geht hier ausschließlich um die Wahrung einer kulturellen Identität unter den Bedingungen eines nun schon 60jährigen Exils. Das gilt auch für Arbeit etwa von „Les amis de Tibet“, und Bekannte meiner Frau sind in dieser Absicht erst neulich von einer zweiten Tibet-Reise zurückgekehrt.
Es liegt auf der Hand, das solche Arbeit von staatlichen Stellen überhaupt nicht übernommen werden könnte. Wer von einem Aufstand in Tibet phantasiert, ist wohl auf chinesische Propaganda hereingefallen, die diese Arbeit zu diskreditieren versucht.
(2) Eine andere uns bekannte Familie hat auf eigene Kosten mehrere USA-Reisen unternommen, um dort während vieler Wochen einen Todeskandidaten in Texas bis zu seiner Hinrichtung moralisch zu betreuen. – Welche staatliche Stelle hätte dies getan?
(3) Die gleiche Familie hat einen Besuch einer Delegation südamerikanischer Indios hier in Luxemburg organisiert, die auch bei einer meiner Theateraufführungen mit Schülern der Europaschule anwesend war. Ich hatte dazu die im Unterricht besprochene Novelle „Das Gold von Caxamalca“ von Jakob Wassermann über die Eroberung des Inkareichs durch Pizarro dialogisiert. Und ich sehe heute noch die Tränen der Rührung in den Augen der Indios, dass hier, im fernen Europa, junge Menschen sich mit ihrer Geschichte befassen, sie ernst nehmen und auf diese Weise darstellen.
(4) Eine meine Schülerinnen hat ihre bei mir erworbenen Kenntnisse, wie man sich im darstellenden Spiel auch von eigenen Aggressionen befreien kann, mit palästinensischen Kindern in Ramallah angewendet. Auch dies gehört zu den bereits vorhandenen zahlreichen nichtmilitärischen Aktionen.
Diese Beispiele mögen das ungeheuer breite Spektrum dieser Arbeit verdeutlichen, und jede dieser konkreten Aktionen bedarf ihrer eigenen gründlichen Überlegungen und ist nicht aus einem allgemeinen Glaubensbekenntnis von „Gewaltfreiheit ableitbar. Und es bedarf dazu keines Ratschlags von selbst ernannten „Friedensfreunden“ wie Dirk Niebel (der sein eigenes Entwicklungshilfeministerium noch vor kurzem für faktisch überflüssig erklärt hat) oder eines Oskar Lafontaine (der auch noch nicht durch besonderes humanitäres Engagement aufgefallen ist).
Vielleicht ist auch etwas verständlich geworden, dass, wer in der konkreten humanitären Arbeit steht, sehr allergisch reagieren kann, wenn seine Arbeit ausgerechnet von solchen Typen für sich selbst reklamiert und als „Argument“ für eigenes NIchtstun missbraucht wird.
@ Werner Engelmann
Da ich mich aus diesem Thread und dem Blog insgesamt verabschiede, möchte ich kurz einige Dinge ansprechen. Meinetwegen brauchen Sie darauf nicht zu antworten, da ich darauf ja nicht mehr eingehen werde.
1. Wer sich für die Unterscheidung von Gesinnungs- contra Verantwortungsethik interessiert, findet unter dem Titel „Wer hat wofür Verantwortung? – Kritische Überlegungen zur Unterscheidung von Gesinnungsethik und Verantwortungsethik“ eine ausführliche und verständliche Darlegung von Prof. Dr. Robert Spaemann. [1]
Ich vermute, dass die Beschäftigung mit dieser Thematik 90% der bundesrepublikanischen Bevölkerung und 90% der Politiker an der Sitzfläche vorbeigeht.
2. Es war nie meine Absicht, irgend jemand moralisch zu diskreditieren. Das meinte ich mit dem Satz „Wenn Sie persönlich nach reiflicher Überlegung meinen, so handeln zu müssen, respektiere ich das.“ Ob man mir einen ebensolchen Respekt entgegenbringt, kann ich in einem offenen Medium wie einem Blog natürlich nicht erwarten.
3. Militärisches Einschreiten verhindert keine Massaker, wie man an Srebrenica sehen konnte. Die niederländischen UN-Soldaten haben tatenlos zugesehen, wie serbische Mörder Tausende Menschen umbrachten. Ohne Luftunterstützung wollten sie nicht eingreifen. (Wenn ich mich recht erinnere, war es damals übrigens ein französischer General, der wg. einiger französischer Geiseln die Luftunterstützung – und damit die Rettung Tausender – verweigerte.)
4. Warum ein Versagen von gestern (Ruanda-Beispiel) ein Einschreiten von heute begründen sollte, ist mir nicht einsichtig.
5. Ebenso wie in der Frage von Krieg und Frieden oder militärischer Intervention kann auch beim Thema Organentnahme niemand gezwungen werden, sich darüber überhaupt Gedanken zu machen geschweige denn eine begründete Haltung dazu einnehmen. (Der Staat will sich allerdings anmaßen, durch die Einführung einer sog. Widerspruchslösung die Menschen zu einer Entscheidung über die Organentnahme zu zwingen.)
Beispielsweise lehne ich es ab, Organe und Gewebe usw. zu „spenden“. Ich habe aber in meiner Patientenverfügung auch einen Passus, in welchem ich ausdrücklich eine Transplantation ablehne. Ich nehme nix und gebe nix. Anders sieht es z.B. bei Blutspenden aus. Da habe ich jahrelang ausgiebigst Blut gespendet, insofern habe ich mir auch ein „Recht auf Blutkonserven“ erworben. Dass ich diese Haltung mit meinem Gewissen vereinbaren kann, davon dürfen Sie ausgehen.
6. Niemand kann dazu gezwungen werden, sich der Folgen seines Handelns stets bewusst zu sein. Wer aber wider besseres Wissen, d.h. also billigend, den Tod anderer Verkehrsteilnehmer in Kauf nimmt, indem er während der Fahrt am Navi rumfummelt, telefoniert oder nach einer Zigarette sucht – da haben wir über die allgemeine Thematik des Autoverkehrs hinaus ein weites Feld ethischer Diskussionsmöglichkeiten. Und sind da nicht auch diejenigen, die den Bau von Windkraftanlagen verhindern wollen, weil sie sie „hässlich“ finden?
7. Ich nehme mich selbst nicht so wichtig, denn ich bin im Grunde wie alle anderen Lebewesen ja auch nicht mehr als eine weiterentwickelte Amöbe. Wenn es nach mir ginge, könnte man z.B. alle Flughafenkontrollen abschaffen, da ich vor einem Attentat nicht mehr oder weniger Angst habe als vor einem technischen Versagen. Aber ich kann derlei natürlich nicht von anderen verlangen. Dass immer diejenigen, die doch an ein Leben nach dem Tod glauben, so sehr am Leben kleben…ts, ts.
Tja, was will man von einer Bevölkerung erwarten, die Kondolenzbücher für verstorbene Zootiere vollschreibt?
[1] http://www.kath-info.de/verantwortungsethik.html
Ich hätte mir ja nie träumen lassen, dass ich eines Tages eine solche Quelle angeben würde. „Das katholische Informationsportal kath-info dient der theologischen Aufklärung und bietet Ihnen Beiträge zu Themen der katholischen Welt.“
@ Schnippsel , # 24, 27, Wolfgang Fladung, # 26
Hallo, Schnippsel, hallo, Herr Fladung!
Auch wenn Sie nicht mehr antworten sollten, hier dennoch ein paar Überlegungen, die mir schon vorher gekommen waren und die Sie vielleicht dennoch lesen.
Zunächst danke, Schnippsel, für den interessanten Aufsatz von Dr. Spaemann über Gesinnungs- und Verantwortungsethik, der erst einmal verdaut werden muss. Er bestätigt eher meine Aversion gegen „Heilige“, wie die katholische Kirche sie versteht. Aber dazu habe ich mich im Gastbeitrag „In welche Richtung bewegt sie sich?“ ja schon ausführlich geäußert. Allerdings frage ich mich, ob es zu verantwortlichem Handeln wirklich erst solch tiefgehender philosophischer Überlegungen bedarf. – Dann sähe es sehr schlecht aus. Und umgekehrt bietet die theoretische Einsicht noch keine Gewähr für entsprechendes praktisches Handeln – wofür es im 3. Reich genügend Beispiele für totales Versagen von Intellektuellen gibt. Andererseits war der erste Hitler-Attentäter Georg Elser, ein sehr schlichter, „naiver“ Mensch. Sein simples Gefühl von Verantwortung hat offenbar mehr geleistet als tiefschürfende Überlegungen vieler (nicht aller) Intellektueller.
Nun zu einer Äußerung, die mich sehr beschäftigt hat:
„Die Devise “Wer nicht für mich ist, der ist gegen mich!” akzeptiere ich schon lange nicht mehr. Sie ist so ungefähr das Übelste, was uns die Bibel hinterlassen hat.“
Mir ist nicht klar, worauf Sie sich hier beziehen. Sie nennen hier die Bibel, und in diesem Kontext verstehe ich es auch als Absolutheitsanspruch im Sinne: „Du sollst keine fremden Götter neben mir haben!“ In diesem Zusammenhang gebe ich Ihnen vollkommen Recht.
Sollten Sie dies aber auf mein Zitat von Brecht bezogen haben, hätten Sie ihn wohl gründlich missverstanden.
Ich habe ja darauf verwiesen, dass die jeweilige Ausdrucksweise zeitbedingt ist, für eine aktuelle Interpretation also ggf. in eine andere Ausdrucksweise übersetzt werden muss.
Im Grunde hat Brecht nichts anderes gesagt als Drewermann in dem von Ihnen gewählten Zitat, nämlich dass in Entscheidungssituationen keine dritte Option existiert, dass „Nichthandeln“ auch „Handeln“ bedeutet, aber unter Verzicht auf die Möglichkeit der Einflussnahme auf das Ergebnis des Handelns. Und deshalb – hier unterscheidet er sich von Drewermann – plädiert Brecht für das bewusste Handeln.
Im gleichen Gedicht heißt es weiter:
„Wer den Kampf nicht geteilt,
wird teilen die Niederlage.“
(Man möge mir Ungenauigkeiten verzeihen, ich zitiere aus dem Gedächtnis, da der Text für mich z.Zt. nicht greifbar ist.)
Übersetzt heißt das:
Wer auf ein Engagement für seine (moralische) Überzeugungen und eine klare Entscheidung verzichtet, also das Handeln anderen überlässt, kommt dennoch nicht darum herum, die Konsequenzen des von ihm nicht beeinflussten Handelns mitzutragen. Und zugleich erhöht er durch seine Abstinenz die Wahrscheinlichkeit, dass die Gegenseite, hier also Menschenrechtsverletzer vom Stil eines Gaddafi, die Oberhand behalten.
So gesehen, hat das mit Freund-Feind-Denken und dem Absolutheitsanspruch der Bibel gar nichts tun (und über letzteres mögen sich die Theologen streiten).
Noch einmal zu Wolfgang Fladung:
Vielleicht erlaubt diese Präzisierung, den Ursachen für die „Hilflosigjkeit“ nachzugehen, zu der Sie sich so offen bekennen (was ich, wie bereits erwähnt, voll respektiere):
Den Einsatz von Waffen prinzipiell abzulehnen, beruht auf einer INDIVIDUELLEN Gewissensentscheidung und ist als individuelles Grundrecht der Wehrdienstverweigerung allgemein akzeptiert. Diese Haltung intendiert nicht (es sei denn, es handelt sich um Fundamentalisten), dass alle dieser Maxime folgen.
Was Westerwelle und Merkel uns als „moralische“ und „weitsichtige“ politische Haltung verkaufen wollen, bedeutet aber genau dies:
Wie heuchlerisch dies ist, zeigt Torsten Knuf in seinem Kommentar „Europas Selbstverzwergung“ (FR,26./27.3.,S.13) auf, und er spricht hier, m.E. völlig zu Recht, von „politischer Schizophrenie“, wenn sie sich einerseits aus allem heraushalten, um sich innenpolitisch die weiße Weste der „Friedensfreunde“ anzuziehen, andererseits die im Regen stehen gelassenen Bündnispartner auf dem EU-Gipfel für ihr Eingreifen loben und Glück wünschen. Es ist die gleiche Schizophrenie wie im Fall Guttenberg und bei der AKW-Kehrtwende.
Da kann man sich – da gebe ich Ihnen völlig Recht – in der Tat die Haare raufen. Und wer noch an das glaubt, was er sagt, muss sich völlig verkohlt – man muss jetzt wohl sagen: vermerkelt – vorkommen. Und ich muss daran denken, welche unzähligen Mühen es kosten wird, die Scherben wieder zu kitten, die das von Merkel und Westerwelle angerichtete größte anzunehmende Desaster hinterlassen hat.
Ein Hinweis mag dies in seiner historischen Dimension noch etwas vertiefen:
Von Argus (# 19) wurde, ich meine zu Recht, auf die sich ändernde historische Bewertung der Hitler-Attentäter verwiesen. Dies kann – ergänzend zu meinen Ausführungen in # 26 – die Problematik eines auf Verantwortungsethik beruhenden Handelns verdeutlichen.
Geht man von gesinnungsethischen Devise aus, dass kein Handeln, das Menschenleben kosten könnte, gerechtfertigt ist, müssten das Handeln alle Widerständler und Hitlerattentäter, von Georg Elser über die Edelweißpiraten, die Studenten der „weißen Rose“, den Bonhoeffer- und Kreisauer Kreis bis zu Stauffenberg auch heute noch als verwerflich gelten: Deren Aktionen haben, zum Unglück, allesamt Menschenleben gekostet und keine gerettet.
Und dennoch werden sie zu Recht geehrt.
Denn weder ist die moralische Berechtigung von Handlungen ausschließlich daran zu messen, ob es Menschenleben kosten könnte, noch ist eine zutreffende Beurteilung ohne ausreichende historische Distanz möglich.
Es geht – ich habe unter # 22 bereits darauf verwiesen – eben auch um das Wofür?, also die Frage der Menschenwürde: Dass wir nicht auf ewig vor Scham in Grund und Boden versinken müssen, dass wir mit Recht auf die Werte und die Konsequenz dieses „anderen Deutschland“ verweisen können, das haben wir diesen tapferen Menschen zu verdanken.
In anderen Worten:
Das heutige Deutschland verdankt ihnen in hohem Maße die wiedererlangte Würde: eine Würde (ich vermeide bewusst den missverständlichen Begriff „Ehre“), dem besonders im islamisch geprägten Raum ein hoher Stellenwert zukommt.
Indem Merkel und Westerwelle international den Eindruck erwecken, dass dies, wie auch Partnerschaft und Verlässlichkeit, im heutigen Deutschland keine Rolle mehr spielt, fügen sie nicht nur dem Ansehen Deutschlands im Ausland schweren Schaden zu. Sie erschüttern auch einen Grundkonsens im Innern, der unterschiedliche individuelle Entscheidungen in Konfliktsituationen zulässt und erträgt, nicht jedoch eine Desavouierung ehrlicher Grundüberzeugungen – ob man die im UN-Sicherheitsrat getroffenen Entscheidungen zum Schutz der libyschen Zivilbevölkerung vor der Vernichtungswut eines Despoten nun für richtig hält oder nicht.
Freundliche Grüße und noch schönen Sonntag.
Werner Engelmann
Wer sich die friedlichen revolutionäre in Tunesien und Ägypten angeschaut hat, muss sich wundern, dass jetzt die Bürgerkriegsgegner Gaddafis mit Waffen gegen diesen Despoten vorgehen. Sich dann an die UN wenden, ist ja noch legitim. Dass dann aber die Nato Bomben wirft, ist nicht von der UN-Resulotion gedeckt. Zur allgemeinen Kriegstreiberei hebt sich der Beitrag Stephan Hebels heute im Feuilleton der FR als kriegskritische Stimme sehr wohl hervor. Halten wir uns doch einfach an Mahatma Gandhi. Frieden schaffen OHNE Waffen!
Ich neige mehr der Ansicht von W. Thiele-Schlesier zu, Herr Engelmann. Seit Jahrzehnten kotzt mich die Doppelmoral der auf Erden dominierenden Nationen, vor allem, – aber nicht nur – des Westens an, zu definieren, wer Gut & Böse ist und daraus abzuleiten, wer Freund und Feind ist. Daraus leiten diese Länder dann auch ihre Hilfs-, Unstützungs- und Subventions-Zahlungen ab; dann werden über Nacht Schweinepriester gute Kumpels und gute Kumpels, siehe Saddam Hussein oder !!! Bin Laden, wieder Schweinepriester. Hiermit verbunden wird dann auch definiert, ob es sich um „Spannungsgebiete“ handelt, in die und an die keine Waffen geliefert werden dürfen, oder andere kriegstaugliche Materialien. Hermes-Bürgschaften zählen auch dazu.
Ja, es gibt UNO-Resolutionen. Aber auch die werden ausgelegt, was wir derzeit gerade wieder in Libyen erfahren. Oder sie werden, siehe Irak, einfach übergangen – und dies damit begründet, daß ja Länder im Sicherheitsrat mit- bzw. dagegen gestimmt haben, welche Diktaruren oder nur Pseudo-Demokratien, wie Rußland, seien. Wenn ich mir allerdings so den Leuchtturm der Demokratie USA anschaue, und einen strengen Maßstab bezüglich Menschenrechte anlege, bekomme ich erhebliche Zweifel an den „Vorbild“-Demokraten, genauso bei den Interessen der Vertreter von Liberte, Egalite, Fraternite.
Ich muß nochmals auf meine Beispiele zurückkommen. Würde es zu einem ernsthaften Volksaufstand in Bahrein kommen, und Saudi-Arabien, wie vor wenigen Tagen, wieder Truppen senden, um den Aufstand niederzuschlagen – wie würden sich Westen und NATO verhalten, und auf welchen Sicherheitsratsbeschluß könnten sie sich ggf. berufen?
Für mich wäre ein, nennen wir es „Ohne-Michel-Prinzip“, natürlich nur denkbar bei dauerhaft durchgehaltener Konsequenz, d. h. dann auch Arbeitsplätze weg und Kurzarbeit bei Heckler # Koch, Krauss-Maffei und anderen. Und viel, viel mehr Geld vor Ort in Spannungs- und Elends-Ländern investiert, um Demokratie „von unten“ zu fördern, durch Schulen, Krankenhäuser, Grundversorgung an Wasser, Energie und Materialien zur Selbsthilfe und dagegen auf der anderen Seite
– gerechter Handel, ohne „politische“ Subventionen
– Stopp aller Waffenexporte
– Ächtung von Diktatoren, auch wenn diese doch sich die ach so wertvollen Rohstoffe angeeignet haben
– kein Handel und kein Kauf von Ressourcen und Rohstoffen, an denen Blut klebt (Uran, Öl, Diamanten, Coltan, seltene Erden etc.)
Gelänge uns dies, würde dies langfristig unsere Welt ein gutes Stück humaner machen, und das Leben von Millionen Menschen retten und/oder vor allem wieder lebenswerter machen.
Daß es in Libyen derzeit vor allem um den Schutz der Zivilbevölkerung geht, bezweifle ich. Oder wer glaubt, daß sich, bei einem Sieg der Aufständischen, diese nicht bitter an allen Gaddafi-Getreuen oder denen, die sie dafür halten, rächen würden? Nehmen wir an, der Vater oder ein Sohn einer libyschen Familie arbeitet für Gaddafi und die Familie lebt von dem Gaddafi-Geld. Wie will man diese Familie, vielleicht Unterstützer, vielleicht auch nur Mitläufer oder Wegducker und Wegkucker, jetzt vor Sippenhaft schützen?
Auf der anderen Seite: Ist jemand bereits Zivilist, der keine Uniform anhat und keine geladene Waffe hält? Absurd, genauso wie die Behauptung, jemand wäre kein Autofahrer, nur weil das Auto in der Garage steht und der Führerschein in der Schreibtisch-Schublade liegt. Wenn eine Armme- oder Polizeistation der Gaddafi-Leute bombardiert wird, und im Keller halten sich – wohl unfreiwillig – Gefangene und Gefolterte auf – sind diese dann, sofern getötet oder verwundet, Kollateral-Schäden?
Ich bin froh, dass es hier einige Zweifler und Kritiker am Einsatz in Libyen gibt. Ein Land, das wirklich Frieden und Freiheit für die unterdrückten Völker der Welt wünscht, das beliefert Despoten nicht mit Waffen. Das hoffiert und umarmt sie auch nicht. Ich wünschte mir eine Friedensbewegung, die mindestens so stark ist wie die Bewegung gegen die Atomkraft.
@ # 29, Werner Thiele-Schlesier
„Wer sich die friedlichen revolutionäre in Tunesien und Ägypten angeschaut hat, muss sich wundern, dass jetzt die Bürgerkriegsgegner Gaddafis mit Waffen gegen diesen Despoten vorgehen.“
Lieber Herr Thiele-Schlesinger,
wo waren Sie eigentlich, als die Bilder davon um die Welt gingen, was passiert war, BEVOR die „Bürgerkriegsgegner Gaddafis“ die Waffen ergriffen und in denen auch zu sehen war, WER auf WEN Bomben abwarf? – Sie reden von Ghandi, tragen sein Motto „Frieden schaffen ohne Waffen“ (wie ich seit 40 Jahren schon) vor sich her und merken nicht einmal, welcher Widerspruch es ist, gleichzeitig mit WORTEN aufzurüsten! Ihr Gerede von „allgemeiner Kriegstreiberei“ ist so ziemlich das Letzte, was zu Ghandis Überzeugungen passt.
Zu Stephan Hebels Kommentar weiter unten.
@ # 30, Wolfgang Fladung
Lieber Wolfgang Fladung, Ihre Antwort enttäuscht mich wirklich, denn ich hatte den Eindruck, dass wir schon weiter waren.
Wir brauchen, glaube ich, nicht über eine durchaus von Heuchelei bestimmte Politik der meisten westlichen Staaten zu diskutieren. Aber die Einteilung in „Gut und Böse“, in „anständige“ und „Schurkenstaaten“ ist nun wirklich eine aus dem Begriffsarsenal eines George Bush, und ich nehme doch nicht an, dass Sie ernsthaft der Meinung sind, man könne in dieser Weise alle über einen Kamm scheren. Und wenn wir uns sicher darauf einigen können, dass es nicht nur moralisch mehr als bedenklich war, einen Despoten aufzurüsten, der (wie man längst wissen konnte), zu allem fähig ist: Welche Logik aber soll das sein, es als „friedliebend“ zu erklären, ihn auch dann noch ruhig gewähren zu lassen, wenn er vor aller Welt seine eigenen Landsleute bombardiert?
Kein vernünftiger Mensch wird etwas gegen Ihre Vorschläge haben, wie man langfristig, in einem sehr langen internationalen Abstimmungsprozess so etwas wie eine ethische Grundlage auch für internationale Beziehungen schaffen könnte, die über die bisherigen Standards hinausgeht – wozu wohl in erster Linie ein Stopp von Waffenlieferungen an Diktatoren gehört. Langfristige Strategien sind eine Sache, kurzfristig notwendiges Eingreifern zur Verhinderung eines Massakers eine andere, und das eine kann das andere nicht ersetzen, sondern nur ergänzen.
International lächerlich gemacht hat sich ein Herr Westerwelle doch erst dadurch, dass er allen Ernstes ein Verbot neuer Waffenlieferungen als „Lösung“ in einem Moment anpries, in dem die von Gaddafi längst gehorteten Bomben bereits auf die Zivilbevölkerung fielen. Und mit Sicherheit trägt es nicht zu einer friedlichen Konfliktlösung bei, wenn unsere Verbündeten, die sich nicht mit westerwelleschen Phrasen abspeisen lassen, pauschal als „Kriegstreiber“ denunziert werden (siehe oben).
Zum Kommentar von Stephan Hebel: „Frieden machen mit dem Krieg“, (FR,28.3.,S.23/24)
Ich erinnere vorneweg an den Ausgangspunkt unserer Diskussion, das von Schnippsel angeführte Zitat Drewermanns: „Wenn ich nicht eingreife, sterben Menschen durch meine Unterlassung. Greife ich ein, sterben Menschen durch mein Handeln!” (# 13)
Dies macht doch deutlich, dass in Entscheidungssituationen, die nicht von uns abhängen, sondern uns von außen aufgedrängt werden, (moralische) Grundüberzeugungen, die sehr nah beieinander liegen, durchaus zu entgegengesetzten Entscheidungen führen können. Und wer diesen faktischen Dissens nicht auch noch durch einen ideologischen vertiefen will, der unterscheide gefälligst in der Diskussion zwischen Person und Sache! Wo aber die Integrität der Person in Zweifel gezogen wird (und dazu gehören auch scharfmacherische Begriffe wie „Kriegstreiber“) ist diese Grenze klar überschritten – und das gilt wohl für beide Seiten.
Ich meine, dass wir gezeigt haben, dass eine solche Auseinandersetzung im gegenseitigen Respekt sehr wohl möglich ist. An diesem Anspruch wird sich auch ein Stephan Hebel messen lassen müssen, von dem ich schon viele interessante Kommentare gelesen habe, die ich schätzte. Der hier genannte gehört m.E. nicht dazu.
http://www.fr-online.de/kultur/debatte/frieden-machen-mit-dem-krieg/-/1473340/8272194/-/index.html
Zunächst zu den Punkten, die ich voll unterschreiben kann.
So fordert er (1) als „redliche Alternative“, „sich der Erkenntnis zu stellen, dass es keine Lösung ohne Opfer gibt – ob militärische Intervention oder nicht“.
Und er weist (2) auf „die Gefahr einer Eskalation“ hin, „die noch mehr Opfer bringen könnte als der Verzicht auf militärische Intervention“.
Auf beide Punkte habe ich in meinem Beitrag # 26 völlig unmissverständlich hingewiesen – schon vor Herrn Hebel:
„Dass Handeln auf der Grundlage meist unzureichender Erkenntnisse notwendig ist und dieses – ebenso wie Nichthandeln –, bereits neue Fakten schafft.“ „Denn zweifellos ist – als Lehre nicht nur aus Afghanistan – zu fragen, welche Sicherungen eingebaut sind, damit eine als notwendig erachtete militärische Intervention sich nicht zum dauerhaften Krieg auswächst.“
Herr Hebel aber unterstellt pauschal, dass alle „Intellektuellen“, die seine Schlussfolgerungen nicht teilen, diese Fragen unterdrücken würden, um „das Gewissen des Intellektuellen“, „den Zweifel“ zu übertönen – und bleibt uns selbst jegliche Antwort auf diese Fragen schuldig. Er fordert von anderen eben das, was er selbst nicht einlöst. – Ist das „redlich“, Herr Hebel?
Wer aber sorgsam weiterliest, der wundert sich nicht mehr, warum er vergeblich nach Argumenten für dessen Standpunkt sucht: Herrn Hebel geht es ja offensichtlich gar nicht um die Menschen in Libyen: Sie sind ihm lediglich Mittel zum Zweck, in einem Rundschlag all die „angekommenen Alt-68er und ihre Epigonen“ zu desavouieren. Und das finde ich schlimm.
Er bezichtigt sie pauschal, „die „wichtigsten ‚linken‘ Tugend überhaupt: das radikal-kritische Denken“ aufgegeben zu haben, um sich mit „den Verhältnissen“ zu arrangieren, „die sie einst bekämpft hatten“. – Dann ist es also eine „Tugend“, über 40 Jahre lang die immer gleichen Parolen vor sich her zu tragen, sich davor zu hüten, sie an der Wirklichkeit zu überprüfen? Ist das Ihr Verständnis von „kritischem Denken“?
Herr Hebel wirft diesen Intellektuellen pauschal einen „Furor“ vor, unterstellt ihnen eine „Weigerung, Zweifel zu wägen“: „Die wichtigsten Köpfe der ehemaligen Linken opfern ihre Fähigkeit und ihre Pflicht zum kritischen Denken auf dem Altar eines falschen Friedens, besiegelt ausgerechnet durch einen Krieg.“ – Wie sieht der Weg zu Ihrem Altar des „richtigen“ Friedens aus? Und wo, bitteschön, haben Sie Ihre „Zweifel“ gewogen?
– Alles Verräter an ihrer Sache, und Herr Hebel als einziger verbliebener „kritischer Intellektueller“?
Mag sein, dass der eine oder andere sich in seinem Vokabular vergriffen hat (was an den aus dem Zusammenhang gerissenen Zitaten so nicht überprüfbar ist). – Doch sind es nur die anderen, die „Feindseligkeit gegenüber Andersdenkenden schüren“? Und woher kommt Ihre Angst, wenn z.B. ein Daniel Cohn-Bendit auf die beliebte deutsche „Tugend“ der eigenen Nabelschau verzichtet, statt dessen in seiner Eigenschaft als Europa-Parlamentarier mit Menschen aus anderen Ländern, anderen Denkweisen in Kontakt bleibt und folglich zu anderen Ergebnissen kommt als Sie?
Man möge mir verzeihen, wenn mir da (wenn auch mit anderem Vorzeichen) die Erinnerung an Götz Aly hochkommt und die „Bewältigung“ seiner eigenen 68er Vergangenheit auf Kosten seiner ehemaligen Mitstreiter, denen er pauschal „Faschismusnähe“ unterstellt.
Und was diese Form der gegenseitigen verbalen Aufrüstung mit „radikalem kritischen Denken“ und den Prinzipien der Gewaltfreiheit eines Ghandi zu tun haben soll, das müsste man mir doch erst erklären.
Vielleicht also statt „Frieden machen mit dem Krieg“ lieber „Krieg machen mit dem Frieden“?
Mit freundlichen Grüßen
Werner Engelmann
Tja, # 32, Werner Engelmann, so ist das nun mal mit einer Ent-Täuschung: manche Menschen mögen einfach nicht in der Ecke stehen, in die man sie stellt. Ich jedenfalls achte die Argumente und die Einstellung sowohl der Befürworter eines Eingreifens als auch die der Gegner. Schließlich führen beide Seiten gute Argumente ins Feld, pro und contra, und wieder re. Ich füge hier einen Link ein zu einem Artikel des österreichischen STANDARD: http://derstandard.at/1297821681247/Kopf-des-Tages-Gaddafis-Neoliberaler-ist-nun-Rebellenchef.
Wahr, Fälschung, übertrieben, Fakten entstellt? Alles möglich, aber solange ich nicht sicher sein kann, daß das, was mir präsentiert wird, die Wahrheit ist und nichts als die Wahrheit, halte ich mich mit einer Befürwortung eines Eingreifens zurück. Es könnte ja sein, daß hier nur ein Radikal-Tyrann durch einen Pseudo-Demokraten ausgetauscht wird. Und die Frage, wo wir dann als nächstes eingreifen, und warum dann dort vielleicht nicht, hat mir noch niemand, auch Sie nicht, beantwortet.
Und auch meine Zweifel bzw. Vermutungen, inwieweit der „Schutz der Zivilbevölkerung“ für beide Seiten gilt, wurde nicht beantwortet.
Ich habe mit Bauchgrimmen noch – als damaliges Grünen-Mitglied – den Balkan-Kosovo-Krieg mitgetragen, und mich auch von den Völkermord und Holocaust-Vergleichen von Fischer & Co. beschwichtigen lassen. Und danach? Ja, Srebrenica ist – furchtbar – passiert, aber wir wissen auch, daß in Bezug auf den angeblichen Völkermord im Kosovo mit gezinkten Karten gespielt wurde. Bei Afghanistan hat es mir dann gereicht – ich bin raus. Die Irak-Gegnerschaft von rot-grün war ja auch eine Mogelpackung, zwar direkt keine Soldaten senden, aber indirekt mit der kompletten möglichen Logistik dann doch den – völkerrechtswidrigen – Einsatz unterstützen!
Ich möchte nicht schon wieder, von US- oder anderer Seite, in einen Konflikt hineingezogen werden, bei dem angebliche humane Interessen und das daraus abgeleitete nötige Eingreifen letztendlich ganz anderen Interessen dient. Das Schlagwort „(Kein) Blut für Öl“ könnte als, wohl schon etwas abgegriffenes, Beispiel dienen.
Vielleicht geht es um das Desertec-Projekt, wer weiß?
# 32, Werner Engelmann: Ich habe mir nochmals Ihre Argumentation angeschaut und bemerkt, daß ich wohl nicht auf alle Ihre Argumente eingegangen bin. Um hier eine Diskrepanz zu vermeiden, möchte ich dies nachholen:
Die Einteilung in „Gut“ und „Böse“ sehe ich durchaus nicht nur beim Westen, sondern selbstverständlich auch bei asiatischen Staaten, auch Schwellenländern oder Entwicklungsländern. Diese wird für mich bestimmt in der Frage: Wer nützt mir und wer schadet mir? Ich hatte ja mit den Waffenexporten auch angesprochen, daß hier kein „Stopp“ von irgendeiner Seite geplant ist. Oder anders ausgedrückt: Der liberalere Diktator von heute könnte morgen mit dem Heckler + Koch-Arsenal sein Volk massakrieren, aus Angst, Paranoia oder anderen irrationalen Beweggründen.
Wenn wir also nicht lernen und weiterhin inkonsequent bleiben, werden wir demnächst uns um einen neuen „Gaddafi“ kümmern müssen, irgendwo auf der Welt. Und: wieso betrachten wir die verhungernden Opfer eines verbrecherischen Regimes, z.B. in Nordkorea, anders als die massakrierten in Libyen – weil woanders das Sterben „leiser“ geschieht oder weil Nordkorea kein Mittelmeer-Anrainer ist?
@ Werner Engelmann
Wo ich war, als Gaddafi bombte? Meinen Sie etwa dass ich solche Tat befürworte? Ich werfe der nato vor, dass sie jetzt Bomben wirft, die mit abgereichertem Uran bestückt sind. Ein sehr langlebiges Strahlenpotential wird da freigesetzt. Außerdem macht jetzt die Nato das, was durch die UN-Resulotion nicht gedeckt ist. In der UN-Resolution heißt es nämlich „Flugverbot. Da dürfen Flugzeuge abgeschossen werden. Was aber macht die Nato? Sie greift aktiv mit Bomben in einen Bürgerkrieg ein. Nochmal: Erst wird Gaddafi mit Waffen versorgt. Wenn er sie dann nutzt, muss sich der Lieferant fragen lassen, wieso er Waffen lieferte. Auch zu Ihrer Information: Soldaten sind Mörder!
@ Wolfgang Fladung, @ Werner Thiele-Schlesier
Ich teile Ihre Bedenken voll und ganz. Ich fühle mich vor allem schlecht informiert und weiß eigentlich gar nichts über Libyen. Der „Standard“ gibt wenigstens ein paar Hintergrundinformationen.
Den Aufruf der französischen Intellektuellen (http://www.perlentaucher.de/artikel/6802.html bzw. http://www.lemonde.fr/idees/article/2011/03/16/oui-il-faut-intervenir-en-libye-et-vite_1493895_3232.html) finde ich schwülstig und unredlich. Vielmehr hätten sie viel früher versuchen müssen, mit der gleichen Vehemenz auf die europäische und französische Politik Einfluss zu nehmen, spätestens aber, nachdem Gaddafi so überaus freundlich in Paris empfangen wurde. (siehe auch Hebel-Blog)
@ Werner – woher wissen Sie das mit den Uran angereicherten Bomben? Das wäre ja ungeheuerlich.
@ I. Werner
Da wurden Cruise Missiles genutzt, um es mal vorsichtig zu formulieren. Die aber sind mit – wie ich schrieb – abgereichertem Uran bestückt. So wird der Rest des Urans, der zur Kernspaltung unnütz ist, entsorgt. Dass das Zeug nicht ungefählich ist hat schon der krieg gegen Yugoslawien wg Kosovo bewiesen.
@ I. Werner
Habe dazu bereits im Hebel-Blog geschrieben, was eine kurze Google-Recherche ergeben hat:
Laut breakfastpaper (www.breakfastpaper.de/2011/03/29/libyen-und-plotzlich-reden-alle-von-uran-munition/) wird die Meldung, wonach in Libyen Boben und Marschflugkörper mit abgereichertem Uran abgeworfen wurden, vom staatlichen Rundfunk des Iran verbreitet. Als Quelle wird dabei die Organisation “Stop the War Coalition” genannt. Deren Meldung laute aber im Original: “In the first 24 hours of the Libyan attack, US B-2s dropped forty-five 2,000-pound bombs. We do not know if these massive bombs, along with the Cruise missiles launched from British and French planes and ships, contained depleted uranium (DU) warheads. But if past evidence of their deployment by the US and British military is any guide, they may well be part of the bombardment Libya is now experiencing.”
Es handelt sich also um eine Spekulation, nicht um eine Tatsachenbehauptung. In der Version des iranischen Rundfunk wird daraus antiwestliche Propaganda.
Nach meinem Informationsstand (aus den Zeiten des Balkankrieges, daher leider etwas vage) wird abgereichertes Uran (möglicherweise in Legierung mit anderen Metallen?) bei panzer- oder bunkerbrechender Munition verwendet, weil es eine große Dichte und Härte aufweist. Insofern wäre es plausibel, dass solche Munition auch in Libyen eingesetzt wird. Die Radioaktivität als Nebeneffekt ist den Militärs, die diese Waffen anwenden, zunächst einmal herzlich egal. Sie wird höchstens dann als Problem wahrgenommen, wenn eigene Bodentruppen der Strahlung ausgesetzt sind. Ein schönes Beispiel für menschenfreundliche Militärlogik…
@ dreas
Im Hebel-Blog schreibt zum Einsatz abgereicherten Urans Schneider:
„Uran in Bomben und Raketen ist definitiv Quatsch.
Abgereichertes Uran ist nur für panzerbrechende Wuchtgeschosse verwendbar. Dabei geht es um hohes Gewicht bei kleinen Abmessungen und damit grosse Durchschlagskraft und das nur, wenn die Kanone hinreichend hohe Geschossgeschwindigkeiten erlaubt.
Das schaffen nur die Kanonen von Kampfpanzern und eingeschränkt die Bordkanone des Fairchild-A10.“
Abraham, danke für den Hinweis. Statt zu spekulieren, hätte ich natürlich auch gleich in die Wikipedia schauen können: http://de.wikipedia.org/wiki/Uranmunition
@ dreas
DU wird auch mit Cruise Missiles verschossen.
@ Werner Thiele-Schlesier
Können Sie eine Quelle für Ihre Information nennen, wonach DU auch bei Marschflugkörpern eingesetzt werden kann? Schneider hat begründet, warum dies technisch nicht möglich ist und auch in dem von dreas verlinkten Wikipedia-Eintrag finden sich keine Hinweise auf Cruise Missiles.
Zerstörte Panzer lassen mich darauf schließen.
Bez. des Kommentars von Stephan Hebel „Frieden machen mit dem Krieg“ verweise ich auf mein Schreiben an Herrn Hebel im Parallel-Blog „Hebel macht Mittag“, Nr.32.
@ Werner Thiele-Schlesier
Lassen sich Panzer nur mit DU-Munition zerstören?
Wie verträgt sich Ihr recht lockerer Umgang mit Fakten mit Ihrer Kritik, über die Kriegsführung werden nur Lügen verbreitet?