Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat (gefühlt) in der kurzen Zeit seiner bisherigen Ministertätigkeit bereits mehr Schlagzeilen produziert als sein Vorgänger Hermann Gröhe (ebenfalls CDU) in 4,5 Jahren als Minister. Manchmal hat man da allerdings das Gefühl, dass Spahn dem komplexen und sensiblen deutschen Gesundheitswesen mit ziemlich populistischen Maßnahmen auf den Leib zu rücken versucht: Gut für Schlagzeilen — aber ist das auch durchdacht?
Es gibt zweifellos einen Notstand in der Pflege, und zwar nicht nur in Krankenhäusern, sondern vor allem in der Altenpflege. Spahns neuester Vorschlag lautet in Kürze: Krankenhäuser, die zu wenig Pflegekräfte beschäftigen, dürfen künftig weniger Patienten behandeln. Ganz abgesehen davon, dass der Pflegekräftemangel ein Fachkräftemangel ist, der unter anderem daraus resultiert, dass in der Pflege in den vergangenen rund zwei Jahrzehnten sehr gern gestrichen, gekürzt und „gespart“ wurde – also abgesehen hiervon wirkt Spahns Ansatz bei den Krankenhäusern einseitig. Will er die Krankenhäuser nun zu Sündenböcken machen? In der zersplitterten deutschen Krankheitsbewirtschaftung gehören sie keineswegs zu den mächtigsten Akteuren.
Zu diesem Thema erreichte mich der folgende megalange Leserinbrief der Kinderkrankenschwester Diana Tetzner aus Hattersheim. Ein knappes Drittel davon konnte ich im Print-Leserforum veröffentlichen. Hier die vollständige Zuschrift.
Eine neue Dynamik
Von Diana Tetzner
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Sowohl in seinem Beitrag als auch im Kommentar hat der Autor T. Szent-Ivanyi zu Recht bemerkt, dass man die Personaluntergrenzen nicht einem Kompromiss einer Arbeitsgruppe aus der Deutscher Krankenhausgesellschaft (DKG) und dem Spitzenverband der Krankenkassen (GKV) überlassen darf. Hier werden, unter Ausschluss der Betroffenen (Patienten und Pflegekräfte), reine Eigeninteressen verfolgt. Das BGM muss jetzt endlich aktiv werden, auch im Namen der Patienten (-sicherheit). Es ist nicht das erste Mal, dass mir der Autor, positiv zu Themen Pflege und Gesundheitssystem auffällt.
So sehr ich es begrüße, dass die schlechte Personalausstattung der Krankenhäuser endlich in den Fokus der Politik und in die öffentliche Diskussion rückt habe ich Angst, dass hier mal wieder der Weg zu weiteren Personalabbau (vermutlich in den nicht „pflegesensitiven“ Bereichen) bereitet wird! Dazu kann ich die Rolle des BGM und des Herrn Spahn noch nicht so recht zuordnen. Wie Transparent und wirksam das Instrument sein wird bleibt abzuwarten. Die Mindestvorgaben werden wahrscheinlich zum Richtwert für die neue „Unterbesetzung“!
In meinem persönlichen Werdegang setzte der Abbau von Pflegekräften mit dem Aussetzen der PPR (Pflegepersonalregelung) unter dem damaligen Gesundheitsminister H. Seehofer Ende der neunziger Jahre ein. Mitte der neunziger Jahre wurde die PPR als Instrument implementiert den täglichen Pflegeaufwand in ganz primitiven Kategorien, unterteilt in der Allgemeinen Pflege und der Speziellen Pflege, nach einem Punktesystem einzugruppieren. Obwohl der Pflegeaufwand in diesem System nach oben hin gedeckelt war und sehr pflegeaufwendige Patienten gar nicht berücksichtigte, kam es in Folge dieser Erhebungen zu Neueinstellungen. Dies war vermutlich vom BGM nicht das gewünschte Ziel, in Folge wurde die PPR dann ausgesetzt. Das ist die einzige Phase in meinem Berufsleben, an der ich mich an mehrere Neueinstellungen und ausreichendem Personal auf meiner Station erinnere. Später wurde die DRG eingeführt und das Abteilungs- und Krankenhaussterben setzte ein. Der Personalabbau bei den Pflegekräften nahm langsam Fahrt auf.
1988 habe ich meine Ausbildung zur Kinderkrankenschwester in Köln begonnen. Schon in der Ausbildung arbeitete ich nicht selten mehr als 14 d am Stück. Aus Mangel an Personal musste ich viele sogenannte “Teildienste“ absolvieren. In diesen geteilten Diensten war man zu den Stoßzeiten (4h am Morgen und 4h am Abend) eingesetzt, schon während meiner Ausbildung hatte ich mit Erschöpfung und Schlafmangel zu kämpfen, aber ich hielt durch und machte 1991 mein Examen. Am Ende meiner Ausbildung wurde der Teildienst durch die Gewerkschaft, damals die ÖTV, abgeschafft. Ich war voller Hoffnung, arbeitete weiter in der Pflege, trat der ÖTV bei und glaubte, dass sich die Gewerkschaft auch weiter für Pflegekräfte und Gesundheitsschutz einsetzen würde. Unter dem Kanzler Schröder wurden die steuerfreien Schichtzulagen abgeschafft, ein großer monetärer Anreiz für junge Pflegekräfte viele Wechselschichten und Feiertage zu absolvieren fielen damit weg. Pflegekräfte mit Kindern mussten plötzlich wieder mehr wechselnde Schichten absolvieren, einige konnten das nicht mit der Kinderbetreuung vereinbaren und orientierten sich beruflich um. Später folgte, basierend auf einer Tarifverhandlung, der 100%ige Verlust des Urlaubsgeldes und des ehemals volle dreizehnte Monatsgehaltes, bzw. das Weihnachtsgeld. Dies scheint bis heute prozentual mit den zarten Lohnerhöhungen der letzten Jahre verrechnet worden zu sein. Es wird heute nur noch anteilsmäßig gezahlt. Ich trat aus einer mittlerweile fusionierten Gewerkschaft, die nicht mehr in der Lage war meine Interessen zu vertreten, aus.
Hatte ich Ende der neunziger Jahre im Schnitt 4-5 Patienten zu versorgen, wurden die Arbeitsprozesse immer weiter verdichtet, so dass ich heute, je nach Belegung, eine Versorgung von 1:8 bis 1:10 am Tag und Nachts 1:15, zzgl. je einer Begleitperson pro Patient, zu stemmen habe. Trotzdem hat die Kinderkrankenpflege i.d.R. noch einen besseren Personalschlüssel als eine Innere oder gar eine geriatrische Abteilung! Prioritäten setzten statt Pflegequalität, die politisch vorgegebene Ökonomie rechtfertigt jegliche Einsparung, und wurde so zum Totschlagargument. Die Pflegequalität durfte plötzlich nur noch „ausreichend“ sein (siehe auch SGB) und die Pflege ließ das einfach, ohne Aufschrei jahrelang geschehen, so dass ich heute leider sagen muss das die Pflege sich auch selbst mit abgeschafft hat! Heute sorgen in der Kinderkrankenpflege überwiegend die begleitenden Eltern für die einfache Grundpflege und die Betreuung. Die Pflegekraft kümmert sich hauptsächlich um die spezielle Pflege und führt die Anordnungen des Arztes aus. Gute Patientenbeobachtung, soziale Belange, Anleitung der Bezugsperson, die Kind gerechte Betreuung und Beschäftigung –abgeschafft.
Jetzt kommt nach all den Jahren und meinen persönlichen Erfahrungen eine neue Dynamik hinein! Oder ist es nur eine neue Variante weitere Einsparungen gut zu verkaufen? Zumindest rücken die Arbeitsbedingungen von Pflegekräften, vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels, endlich in den Fokus der Politik und wird öffentlich diskutiert. Beinhaltet dies doch auch die Chance, dass Pflegekräfte sich endlich zur Wehr setzen und sich in Pflegekammern und einer starken Gewerkschaft organisieren. Lange von der Politik (zu teuer!) ignoriert und am Ende doch noch kapiert! Darf man Hoffen?
Vermutlich wird es aufgrund eines erzwungenen Kompromisses zum 1.1.2019 zu erste sogenannte Personaluntergrenzen in den vorab definierten pflegesensitiven Bereichen kommen. Es gibt im deutschen Gesundheitssystem kaum Instrumente die Pflegequalität richtig und vollständig messen können. Studien aus dem angelsächsischen Raum bringen die Ausstattung der Abteilungen mit Pflegekräften mit den pflegesensitiven Ergebnisfaktoren (PSEI), beispielsweise im Krankenhaus erworbene Infektionen, Druckgeschwüre etc, in Zusammenhang (Prof. J. Schreyögg. Expertise zur Ermittlung des Zusammenhangs zwischen Pflegeverhältniszahlen und pflegesensitiven Ergebnisparametern in Deutschland. 2016:5).
So sehr ich daran glauben will, dass dies endlich zu einer verbesserten Personalausstattung für Pflegekräfte und mehr Pflegequalität sowie Sicherheit für die Patienten führt, bin ich eher zutiefst misstrauisch. Neben der Pflegequalität ist auch die Patientensicherheit ein schlecht messbarer Faktor! Es ist nur das quantitativ erfassbar, was auch zeitnah und richtig dokumentiert wird und eine gute Dokumentation kostet Zeit, zudem steckt die Digitalisierung noch in den Anfängen!
Mutmaßliche Motivation der GKV, über seinen Lobbyisten MDK, wie immer Gelder zu kürzen. Mutmaßliche Motivation der DKV Personalkosten so gering wie möglich zu halten um aus den roten Zahlen kommen oder gar Gewinne (Private Träger) zu erwirtschaften. Da die Krankenkassen damit das Recht erhalten (Straf-) Abschläge bei den Krankenhäusern anzusetzen, wird es ohne Zweifel zu Personalverschiebungen innerhalb der Krankenhäuser kommen. Gut vorstellbar, das die oberste Priorität sein wird, Abschläge durch die GKV um jeden Preis zu verhindern! Dies wird die Personalsituation in einigen Bereichen, in denen sich der Pflegeaufwand nicht so gut abbilden lässt, noch weiter verschlechtern.
Schon seit einigen Jahren holen wir Pflegekräfte aus dem Ausland und integrieren diese erfolgreich in das deutsche Pflegesystem. Ohne diese Pflegekräfte wären die Stationen überhaupt nicht mehr zu besetzen! Auch der angestrebte Qualifikationsmix von dreijährig ausgebildeten Pflegekräften und Pflegehelfer, kann nur in Bereiche mit viel Betreuung und Grundpflege sinnvoll sein. In Bereichen mit viel Überwachung und spezieller Pflege ein riskanter und gefährlicher Weg. Was die generalisierte Pflegeausbildung, v.a. für die Alten- und Kinderkrankenpflege, bringen wird bleibt abzuwarten.
So sehr ich auf die gesetzlich festgeschriebene Personaluntergrenzen als Instrument der Regulation und der Qualitätssicherung gehofft habe, wird dies vermutlich wieder nur eine weitere bittere Pille für Pflegekräfte werden, v.a. in Abteilungen die nicht als Pflegesensitiv definiert sind. In pflegesensitive Abteilungen wird vermutlich die Unterbesetzung (siehe Kompromiss der nur eine Aufstockung beim schlechtesten Viertel bzw. nur bei den schlechtesten zehn % der Krankenhäuser vorsieht) dann gesetzlich festgeschrieben sein.“