Keine Zeit für Experimente

Jürgen Eiselt aus Frankfurt schreibt mir einen langen Leserbrief, den ich auf der Bronski-Seite leider nur stark gekürzt veröffentlichen konnte. Hier kommt der volle Text als Reaktion auf den Kommentar „Das AKW-Virus geht um“ von Vera Gaserow:

„Der Süden Europas glüht wie schon seit langem nicht mehr und in Mitteleuropa toben heftigste Unwetter. Genau dies haben Experten vorher gesagt, allerdings erst für den Zeitraum nach 2010.
Der mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete Weltklimarat der UNO hat in gleicher Studie den CO2-Speicher der Atmosphäre für beschränkt aufnahmefähig bezeichnet. Inzwischen gilt es als sicher, dass wir spätestens 2020 den Super-Gau haben werden und die Atmosphäre kein CO2 mehr aufnehmen kann.
Mit der Steigerung der Durchschnittstemperatur taut jetzt schon der Permafrostboden in Sibirien auf. Dadurch werden gigantische Mengen vom Klimagas Methan frei gesetzt. Vor Australien sterben die Korallen, weil sich das Meerwasser erwärmt. Weiterhin verschwinden auch die Mikroorganismen, welche CO2 speichern. Damit versiegt die Quelle der Nahrungskette. Die weiter andauernde Brandrodung von riesigen Regenwäldern in Südamerika wird ebenfalls als sehr gefährlich für das Weltklima angesehen.
Noch ist nicht klar wie die Erde spätestens 2020 reagieren wird. Aber wir müssen JETZT die Erwärmung mit allen verfügbaren Mitteln eindämmen. Wir fangen am besten hier bei uns vor Ort an.
Es muss endlich klar sein, dass nichts mehr so sein wird, wie es einmal war und die Gefahr eines Super-Gaus für die Erde sich immer mehr raus kristallisiert.
Deshalb können wir es uns nicht mehr erlauben auch nur ein einziges neues Kohlekraftwerk zu planen, bauen oder gar in Betrieb zu nehmen. Die Atomkraft verursacht zweistellige Milliarden-Kosten an Steuergeldern allein für die Beseitigung des undichten staatlichen Atommüll-Lagers Asse. Längere AKW-Laufzeiten binden also dringend für den Umbau der Energieversorgung benötigte Steuergelder. Da das Uran vermutlich schneller ausgeht als berechnet und Heizungen und Verkehrsfahrzeuge gar nicht mit Atomkraft betrieben werden können bleibt ist jede AKW-Laufzeit-Verlängerung und deren Befürwortung ein Fass ohne Boden und eine gigantische Steuergeldverschwendung.
2006 und vor allem 2003 haben wir bei den ebenfalls von Klimaforschern vorhergesagten Extrem-Hitzewellen gesehen, dass die Stromversorgung durch an Kühlwasser gebundene Kraftwerke mehr als ungesichert ist. Auch hier ist die Frage bis heute unbeantwortet: Wie wollen wir die Stromlücke bei großer Hitze schließen, wenn die Kraftwerke in Europa alle ihre Leistung drosseln müssen oder gar der Betrieb komplett eingestellt wird? Wo kommt das Rheinwasser her, wenn die Gletscher in den Alpen geschmolzen sind?
Die meisten bestehenden Kohlekraftwerke müssen aus Altersgründen erneuert werden. Wir haben aber weder das Geld noch die Zeit, uns Experimente mit ungewissem Ausgang zu leisten. 2020 motten wir die Kohlekraftwerke schon wieder ein und haben dann keine ausreichenden Alternativen.
100 Prozent Strom plus Reserve rein aus regenerativen Quellen sind rechnerisch und technisch weit vor 2020 möglich, auch hier bei uns. Zusätzlich gibt es bereits installierte alternative Heizungen und Antriebsaggregate im Verkehr, die ebenfalls ohne fossile Brennstoffe auskommen. Die entsprechenden Techniken sind bereits real im Einsatz.
Deshalb stellen sich Fragen, auf denen die Atom- und Kohlekraftbefürworter bis heute noch gar keine Antwort gegeben haben. Was passiert denn 2020, wenn weltweit keine fossilen Brennstoffe mehr verbrannt werden dürfen?
Die geplanten neuen Kohlekraftwerke oder gar Atomkraftwerke werden es nicht schaffen die Erderwärmung zu stoppen. Wir benötigen so schnell wie möglich ein neues Konjunkturprogramm. Diesmal aber mit einer Abwrackprämie für Benzin/Dieselfahrzeuge UND Kohlekraftwerke. Ersetzt werden diese mit regenerativ erzeugtem Strom, bzw. Wasserstoff, in Verbindung mit Energie-effizienten Geräten und sinnvolle Sparmassnahmen. Speichertechniken für windarme Zeiten bei Nacht sind längst im Einsatz.
Die Technik ist also vorhanden. Doch einige Politiker und Kraftwerksbetreiber wollen einfach nicht wahrhaben, was außerhalb des Elfenbeinturms und neben den Scheuklappen passiert.
Ein wirklich bezeichnendes Beispiel ist die Feinstabverordnung der EU. 10 Jahre war der Termin klar, wann die Grenzwerte verbindlich werden. Doch erst im letzten Jahr, als die Gesetze dann real in Kraft traten, entdeckten die Politiker – plötzlich -, dass man ja die Vorgaben nun einhalten muss. 9 Jahre Überganszeit wurden verschlafen. Außer den Umweltverbänden hat es bei uns niemanden interessiert.
Auch jetzt sind es nur noch 10 Jahre bis zum möglichen Super-GAU. Doch dieses Mal kann im schlimmsten Fall das Methan in der Atmosphäre brennen und unseren Sauerstoff mit dazu. Der Preis ist viel zu hoch um den einzigen Grund für den Weiterbetrieb oder gar Neubau von Atom- und Kohlekraftwerke zu rechtfertigen: Geldgier.
Wer Atom- und Kohlekraftwerke plant, geplante oder in Bau befindliche Umweltverschmutzer in Betrieb nimmt und längere Laufzeiten für AKWs fordert, handelt gegen jede Verantwortung und sollte vom Volk ebenfalls abgewrackt werden.
Wir haben die Lügen und falschen Meldungen über angeblich nicht einsatzfähige Solarzellen oder Windkraftanlagen satt und fordern Antworten auf die berechtigten Fragen zu den möglichen Gefahren. Hoffentlich nicht erst beim nächsten Horror-Tornado oder bei der vorhergesagten extremen Hitzewelle mit vielen Opfern. Dann könnte es schon zu spät sein, eventuell für die gesamte Menschheit.“

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10 Kommentare zu “Keine Zeit für Experimente

  1. Da der Text so schnell zugänglich wurde, will ich mal als Laie meine Gedanken dazu preisgeben.
    Wenn das alles stimmt,was Jürgen Eiselt schreibt – da meine ich nicht die Zeitvorgabe des kritschen Punktes ab 2020, da macht 2030 oder 2050 nicht viel Unterschied – da drängen sich bei mir vor allem zwei Fragen auf :

    1. Wie bewerten die maßgeblichen Politiker, die Macht besitzen, diese Situation ? Können oder wollen sie nichts dagegen unternehmen ?
    Wenn sie die Macht nicht mehr dazu haben, sondern sie schon ganz bei den Finanzjongleuren liegt – ja, dann sind wir verloren. Die Gier wird über die Vernunft triumpfieren.
    Interessant wäre es, die Meinungen bei den „Bilderberger“-Treffen zu erfahren…

    2. Es könnte aber auch sein, dass die Sache von allen mächtigen Regierungen durchaus ernst genommen wird, aber es scheint keine Rettungswege mehr zu geben. Alles zu spät.
    So wird versucht, die Gefahr herunter zu spielen, um Panik zu verhindern.
    Auch da bleibt wenig Hoffnung.

    Das Grundübel sehe ich nach wie vor im ungesteuerten Wachstum der Menschheit. Aber da spricht niemand mehr darüber.

    So bin ich nun gespannt auf Meinungen von Leuten, die Aufgrund ihres Berufes und der erweiterten Bildung mehr von der Materie verstehen als ich.

    Gruß

    maderholz

  2. Die Antwort von ?? auf den Kommentar von Vera Gaserow enthielt ja bereits viele physikalische Fakten, die alle nicht mehr bestätigt oder erläutert werden müßten. Dies wäre müßig. Für mich besteht das Problem an ganz anderer Stelle, nämlich darin, das bis jetzt die Energieversorgung fest in den Händen multinationaler Konzerne bzw. nationaler Großkonzerne liegt, und diese nicht an Einsparungen, da dann kein Gewinn, sondern an möglichst hohem (Ressourcen-)Verbrauch interessiert sind. Wir wissen, das selbst mit Einsatz herkömmlicher Ressourcen sich eine flächendeckende Versorgung mit Strom und Wärme sehr gut durch dezentral betriebene Blockheizkraftwerke sicher stellen ließ, mit der Hälfte der Kosten und des CO2-Ausstoßes von Großkraftwerken. Noch einfacher und wirkungsvoller wäre dann der Betrieb mit regenerativen Energien, wie Wasser, Sonnenkraft, Wind, Erdwärme, Biogas, Holz- und sonstige Abfälle aus Land- und Forstwirtschaft und und und. Doch würde dies an die Erbhöfe von EON, RWE, Vattenfall und EnBW gehen, und dies darf natürlich nicht sein.

    Einer der Gründe, warum Frau Ypsilanti hier in Hessen nichts werden durfte, lag hier verborgen – in ihrem Willen mit Hilfe von Solarpapst Scheer genau eine solche dezentrale regenerative Energiegewinnung auf die Beine zu stellen. Knechte der Großkonzerne wie Clement mußten dies natürlich mit allen Mitteln verhindern, und Walter & Co., die 4 Gewissens-Schwerathleten, waren da nur willfährige Helfer.

    Das jetzt das neue Energiegewinnungsparadies in der Sahara liegen soll, betrieben natürlich von genau diesen Großkonzernen, lenkt nur davon ab, das mit weniger als dem halben Geld dies flächendeckend auch in Old Germany möglich wäre. Aber dann würden möglicherweise Verbraucher profitieren und kommunale Betriebe oder Gebietskörperschaften kassieren, und nicht EON & Co. und deren Aktionäre.

    Es ist nur bedauerlich, daß derzeit alle Welt von der Wirtschaftskrise spricht und wie man da wieder herauskommt, und die viel größere drohende Klimakatastrophe dadurch ins Hintertreffen gerät.

  3. Noch eine – mögliche – Entgegnung auf die Bemerkung von Ihnen – Maderholz – auf das ungesteuerte Wachstum der Menschheit. Ja, dies ist ein riesiges Problem, und ließe sich nur bewältigen, indem man die weltweite Armut bekämpft und die Menschen in den Entwicklungs- und Schwellenländern zumindest auf einen bescheidenen sozialen Standard anhebt, der ihnen zur aus Verzweiflung entstandenen Ausweichmöglichkeit vieler Kinder zur Alterssicherung eine Alternative bietet. Und diese Alternative könnte heute schon eine dezentrale, regenerative Energieversorgung in allen Hungerleider-Ländern, bis hin zur kostenlosen Vergabe von Solar-Kochtöpfen, sein.

    Allerdings müßte dies auch bei uns mit Verzicht einhergehen. Oder im übertragenen Sinne: Das Spritzwasser für unsere Golfplätze könnte von einem Sahel-Bauern sinnvoller verwendet werden.

    Leider befürchte ich auch hier die gleiche Ignoranz, um nicht zu sagen, Zynismus, der bei uns die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander klaffen läßt. Wenn Sie bei uns auf dem Golfplatz stehen, und anschließend in ihren Cayenne steigen, um zum Häuschen am See zu fahren, ist es ihnen scheißegal, wieviele gerade aufgrund fehlender Lebensmittel, verschmutzten Wassers oder nicht existierender Gesundheitsversorgung in Afrika über die Wupper gehen.

  4. @ maderholz

    „Wie bewerten die maßgeblichen Politiker, die Macht besitzen, diese Situation ? Können oder wollen sie nichts dagegen unternehmen ?“

    Die europäische Klimaschutzpolitik hat mit der Einführung der CO2-Zertifikate einen durchaus erfolgsversprechenden Weg beschritten. Sicherlich ist das System des Emissionshandels noch verbesserungsbedürftig, aber es legt für die Energiewirtschaft und die Industrie europaweit „Emissionsbudget“ fest, die nicht überschritten werden können. Der Preis der ab 2013 deutlich knapper werdenden Zertifikate wird quasi automatisch dafür sorgen, dass künftig nur eine begrenzte Menge Strom in (neuen oder alten) Kohlekraftwerken erzeugt wird. Der Emissionshandel ist ein Steuerungsinstrument, bei dem tatsächlich die Marktkräfte in die richtige Richtung lenken, aber nur dank der strengen staatlichen Regulierung.

    Was die von Wolfgang Fladung beklagte Macht der Konzerne betrifft, die dezentrale Energieerzeugung behindert, so lieg dies auch daran, dass die Mehrzahl der Verbraucher ihre Macht nicht nutzt. Wenn „nur“ alle Wähler der SPD, der Grünen und der Linken zu einem der Stromanbieter wechseln würden, die Strom ausschließlich aus erneuerbaren und dezentralen Anlagen liefern, sähe unsere Energiewelt anders aus.

  5. zu @4 EM
    wenn man die derzeitige Ausstieg aus dem Ausstieg Diskussion bei der Atomenergie sieht, muss man schon ein sehr possitv denkender Mensch sein um zu glauben das die CO2 Emissionen ab 2013 so wie heute vorgesehen reduziert werden. Unseren Energieversorgern werden schon die passenten Argumente einfallen. Ich denke sie werden schon im Herbst 2009 im Koalitionsvertrag stehen.

  6. @ #5 Hans

    Es gehört zu den von der Öffentlichkeit fast nicht wahrgenommenen Erfolgen der EU, dass die Gestaltung des Emissionshandels einschließlich der den einzelnen Mitgliedsländern zugestandenen Emissionsbudgets nach einheitlichen Regeln erfolgt, die von der EU-Kommission überwacht werden. Diese verhinderte schon in der 2. Handelsperiode (2008 bis 2012) ettliche von der deutschen Regierung gewünschte Sonderregelungen, von denen vor allem die Stromkonzerne profitiert hätten. Dies begrenzt entsieden den Einfluss der (deutschen) Energielobby, die auch bei der Festlegung der Regeln für die 2013 beginnende 3. Handelsperiode in Brüssel wenig erfolgreich war.

    Aber auch dann, wenn durch politische „Kompromisse“ einzelne Staaten oder Industriegruppen bei den Zuteilungsregeln bevorzugt werden, bleibt die Gesamtmenge der EU-weit zur Verfügung gestellten CO2-Zertifikate begrenzt – den entsprechenden politischen Willen der EU-Gremien vorausgesetzt.

    Auch durch das wirksame Instrument des Emissionshandels wird die EU die Verpflichtungen des Kioto-Protokolls erfüllen, im Gegensatz zu manchem anderen Vertragsunterzeichner.

  7. zu @6 EU
    das es in 4 Jahren noch den politischen Willen die CO2 Mengen zu 100 % zu versteigern gibt, glaube ich erst wenn es soweit ist. Das ist genau so unglaubwürdig wie die Schuldenbremse 2020.

  8. @ # 7 Hans

    Es wäre zwar ein Fehler, wenn die vollständige Versteigerung der CO2-Zertifikate nicht umgesetzt werden würde. Dadurch würden vor allem die Betreiber von Kohlekraftwerken ungerechtfertigte Gewinne erzielen, weil sie auch die kostenlos zugeteilten Zertifikate in ihre Strompreise „einpreisen“ würden. So lange aber der „Gap“, die Begrenzung des der Energieerzeugung zugestandenen Emissionsbudgets, bestehen bleibt, wird die Reduzierung der CO2-Emissionen trotzdem erreicht.
    Der politische Wille zur Begrenzung der Emissionen bleibt die Voraussetzung für mehr Klimaschutz. Mit dem „Instrument“ Emissionshandel lässt sich aber das politische Ziel relativ einfach umsetzen.

  9. Es wird nur allzu deutlich, dass die anstehende Bundestagswahl eine absolute Entscheidungswahl ist. Auch für das Thema Klimaschutz. Doch was aus der ehemaligen Klimakanzlerin Angela Merkel geworden ist, sieht man ja nur allzu deutlich. Ihre Reise in die Polgebiete war nichts mehr als reiner Populismus und Aktionismus. Als die Finanzkrise ausbrach war das Thema Klimaschutz bei ihr ganz schnell verschwunden wie auch bei den meisten Medien. Doch gerade beim Klimaschutz darf keine Sekunde vergeudet werden. Ein einfaches „weiter so“ oder Klimaziele, die sich auf 2050 beziehen, sind keine Lösungsstrategien. Vielmehr sind die ein Ergebnis von Atom- oder Kohlelobbyisten. Eine Regierung Schwarz-Gelb wird und will den Klimawandel nicht mit der nötigen Energie anpacken. Auch die Umstrukturierung der Finanzmärkte wird von ihr nicht umgesetzt. Hoffentlich besinnt sich der Wähler am 27. September eines besseren, als wie es die Umfragen zur Zeit zeigen. Möge er richtig wählen. Für Deutschland und den Planeten.

  10. zu@EU
    siehe heute auf der Titelseite der FR
    über das Industriepapier von H.Guttenberg und was darin über Emmisionshandel steht, dann kann man sich denken von was ich oben geschrieben habe.

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