Willkommen zum Postfach
vom 2. März 2017
Wieder sind Leserbriefe liegen geblieben, für die ich im Print-Leserforum keinen Platz gefunden habe. Also ab mit ihnen ins „Postfach“ hier im FR-Blog. (Mehr über die Hintergründe –> HIER.) Zuerst wie immer ein kleiner Überblick:
- Wir gehen noch mal zurück in die vergangene Silvesternacht. Stichwort „racial profiling“, „Nafri“-Debatte. Manfred Kirsch aus Neuwied meint: „Generalverdacht gegenüber dunkelhäutigen Menschen muss genauso entgegengetreten werden wie dem Generalverdacht gegenüber der Polizei.“
- Sigurd Schmidt aus Bad Homburg macht sich Gedanken über den Brexit: „Wenn jetzt Theresa May meint, dass das UK die übrige Weltgemeinschaft von rechts in Sachen Wettbewerbsvorsprung überholen kann, weil man in Großbritannien bekanntlich immer noch links fährt, dann täuscht sie sich gewaltig.“
- Auch die Grünen haben sich womöglich getäuscht, wenn sie einen einfachen Wahlkampf erwarteten. Klaus Philipp Mertens analysiert sie nach der Urwahl: „Die rot-grüne Koalition zwischen Gerhard Schröder und Joschka Fischer bereitete ihnen den Weg in den kapitalistischen Pragmatismus. Nunmehr scheinen die Grünen dort endgültig angekommen zu sein.“
- Und zum Schluss ein Frankfurter Thema. Stichwort DFB-Akademie: „Wen in Europa interessiert das unermüdlich von Dezernent Frank zitierte ‚Leuchtturmprojekt‘? Interessiert sich der deutsche Fußballfan für das 140 Mio Euro teure vergleichbare englische Leistungszentrum St. Georges Park in Burton-upon-Trent?“, fragt Monika Hedderich aus Offenbach. Wissen Sie die Antwort?
Los geht’s.
Generalverdacht gegenüber dunkelhäutigen Menschen
Zu: „‚Racial profiling‘ in Köln?“ , FR.de vom 2.1.17, und „Weder innen noch außen“, FR-Meinung vom 3.1.
„Ja, es wäre nicht auszudenken gewesen, wenn auch in dieser Silvesternacht ähnlich widerliches wie im vergangenen Jahr geschehen wäre. Trotzdem hat aber Amnesty International recht, wenn sie eine unabhängige Untersuchung des Polizeieinsatzes verlangt. Es steht viel zu viel Vertrauen in die Polizei auf dem Spiel, wenn es Rechtsverstöße durch Polizeibeamte gegeben haben sollte. Der Rechtsstaat zeigt gerade seine Stärke dadurch, dass er auch bei komplizierten und schwierigen Maßnahmen seiner ausführenden Gewalt eine hundertprozentige Rechtssicherheit gewährleistet. Und es ist auch richtig, dass herabwürdigende Gruppenbezeichnungen wie „Nafris“ für Nordafrikaner auf keine Fall akzeptiert werden können. Generalverdacht gegenüber dunkelhäutigen Menschen muss genauso entgegengetreten werden wie dem Generalverdacht gegenüber der Polizei, sollte er jetzt ausgesprochen worden sein. Die Vorgänge in dieser Silvesternacht sind so vielschichtig, dass eine unabhängige Untersuchung Klarheit über eventuelles Fehlverhalten der Polizei schaffen sollte. Für Stammtischgerede und Populismus darf es auch diesmal keinen Platz geben.“
Manfred Kirsch, Neuwied
Weil man im UK immer noch links fährt
Großbritannien und der Brexit: „Für eine Steueroase zu groß“, FR.de vom 22.1.2017
„Wenn jetzt Theresa May meint, dass das UK die übrige Weltgemeinschaft von rechts in Sachen Wettbewerbsvorsprung überholen kann, weil man in Großbritannien bekanntlich immer noch links fährt, dann täuscht sie sich gewaltig. Nicht nur aus den präzise, volkswirtschaftlich argumentierenden, Gründen kann Großbritannien nicht ein Steuerparadies für Unternehmen werden wie Kleinstaaten .
Mrs. May sollte sich von der Schweizer Bundesregierung unterrichten lassen, dass selbst eine Schweiz nicht mit der – nur vorgeschobenen – Haltung durchkam, man räume ausländischen Privatpersonen in der Schweiz unter dem hehren Bankgeheimnis großzügige (nämlich Steuerhinterziehungs-) Konditionen ein, weil diese „armen Personen“ von ihren Heimatstaaten rücksichtslos durch viel zu hohe Steuern ausgeplündert wurden. Das so „legitimierte“ Bankgeheimnis galt nämlich auch für jegliche Geld-, Schmiergeld-, Drogen- ,Waffenschmuggel Transaktionen sowie die Finanzierung des internationalen Prostitutions-„kommerz'“. Alles übelste Geldwäsche!
Die US-Amerikaner hatten den Schweizern schon bei der Frage der „nachrichtenlosen Vermögen“ (Vermögen ermordeter Juden während des Zweiten Weltkriegs, die Schweizer Banken sackten Milliarden unberechtigt ein) gesagt: Wenn Ihr nicht sofort pariert und die Vermögen an die rechtmäßigen Erben auszahlt, verliert Ihr, die Schweizer, jeglichen Zugang zum US-Markt. Die Schweizer parierten, schoben aber nun gerne den Bundesdeutschen die Schuld für ihr Desaster falscher gegenüber der Weltöffentlichkeit Argumentation in die Schuhe.
Wenn Geschäftsmodelle, so nennt man dies heute, nur zu Lasten Dritter konzipiert werden, werden diese Dritten sich rächen. Die Schweizer waren lange als Rosinenpickerl bekannt, weil sie sich aus den Welthändeln heraus zu halten wussten. Diese Zeit ist vorbei.
Großbritannien wird mit Unternehmens-Steuer-Dumping keinesfalls durchkommen, sondern eine große Bauchlandung machen. Die internationale Staatenwelt lässt sich heute nicht mehr so leicht durch angeblich rechtliche Scheinmanöver angeblicher bürgerlicher Sittlichkeit hinter das Licht führen. Die jetzigen Führungs-„Eliten““ in Washington und London unterschätzen vollkommen die Persistenz = Nachhaltigkeit von Recht. Das UK mit seinem Commonwealth von über 50 Nationen kann unmöglich aus allen wichtigen gemeinsamen Rechtsinstitutionen in der Welt austreten.“
Sigurd Schmidt, Bad Homburg
Im kapitalistischen Pragmatismus angekommen
Nach der Urwahl: „Wundenlecken bei den Grünen„, FR.de vom 19.1.2017
„Wer Ökologie und Umweltschutz auf seine Fahnen schreibt, kommt nicht daran vorbei, die Ursachen der überall sichtbaren Umweltzerstörung zu analysieren und entsprechend politisch zu handeln. Andernfalls bliebe es bei der bloßen Deklaration von Absichten und verschleiernden Alibi-Veranstaltungen. Letztere erscheinen mir mittlerweile zum Markenzeichen der Grünen geworden zu sein. In Frankfurt am Main, wo die Grünen seit vielen Jahren dem Magistrat angehören, vernichtet der Flughafenausbau endgültig das ökologische Gleichgewicht, wächst die Belastung der Menschen durch Lärm und Abgase ins Unerträgliche, erreicht die Gentrifizierung Spitzenwerte, wodurch der Grad sozialer Gerechtigkeit nach unter Null tendiert. Auch der Mitgliederentscheid zu Gunsten von Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt zeigt überdeutlich, dass der linke Flügel intern nur noch wenig Rückhalt besitzt.
Die rücksichtslose Ausbeutung der natürlichen Lebensgrundlagen, die Vergiftung von Böden, Atmosphäre und Wasser, die weit vorangeschrittene Klimakatastrophe und die ungelösten Hypotheken, die mit der Nutzung der Atomkraft verbunden sind, haben eine gemeinsame Ursache. Nämlich ein Wirtschaftssystem, das auf ungehemmtem Gewinnstreben basiert. Zunächst waren es am Ende der 70er Jahre die Risiken der Kernenergie, die das Bewusstsein für die Gefahren, die den natürlichen Grundlagen des Lebens drohen, schärften.
Als sich jedoch Sozialdemokraten, Sozialisten und Wertkonservative mehrheitlich vor der Erörterung und der Lösung dieser Probleme drückten, entstand die grüne Bewegung. Auch wenn sie nicht oder nur zu einem geringen Teil in der klassischen Arbeiterbewegung wurzelt, stand sie während ihrer Gründungsphase tendenziell links. Rudi Dutschke, der die studentischen Proteste der späten 60er mitgeprägt hatte, schrieb den grün-alternativen Listen noch in seinem letzten Lebensjahr (1979) ins Stammbuch, dass politische Ökologie unverzichtbar der Kapitalismuskritik bedürfe, dass die ökologische Frage ohne das gleichzeitige Stellen der sozialen Frage nicht zu lösen sei. Doch das Notwendige wurde von mindestens zwei Seiten verhindert. Zum einen durch die rechtskonservative „Aktion unabhängiger Deutscher“, die 1980 geschlossenen den Grünen beitrat. Zum andern durch das Bündnis 90, das geradezu allergisch auf sozialistische Positionen reagierte (erinnert sei an Konrad Weiß und Vera Wollenberger). Aber auch die rot-grüne Koalition zwischen Gerhard Schröder und Joschka Fischer bereitete schließlich den Weg in den kapitalistischen Pragmatismus.
Nunmehr scheinen die Grünen dort endgültig angekommen zu sein. Wer sie jetzt noch wählt, bevorzugt einen von CDU dominierten Staat. Das sollte der linke Flügel der Partei endlich realisieren und die Spaltung wagen.“
Klaus Philipp Mertens, Frankfurt
Wer interessiert sich für die DFB-Akademie?
Bezug wird nachgeliefert
„Der Größenwahn von Fußballdezernent Frank (CDU) produziert weitere Superlative. War es 2014 noch der von ihm zu jeder Gelegenheit leidenschaftlich vorgetragene, auf Grund der DFB-Korruptionsverdachte jedoch mittlerweile fragwürdige, lokale Image- und Prestigegewinn, der sich durch den Bau der DFB-Akademie für Frankfurt einstellen würde, mutiert nun das Leistungszentrum bei Frank zu einem „wunderbaren Projekt für den Fußball in Europa.“ Wen in Europa interessiert das unermüdlich von ihm zitierte „Leuchtturm- bzw. Jahrhundertprojekt“ eines nationalen Verbandes? Liechtenstein? Slowenien? Interessiert sich der deutsche Fußballfan für das 140 Mio Euro teure vergleichbare englische Leistungszentrum St. Georges Park in Burton-upon-Trent?
Die von Frank bemühte europäische Dimension der DFB-Akademie wirkt einfach nur lächerlich. Inhaltlich entfernt sich das Vorhaben mehr denn je von der vom Frankfurter Magistrat in der Überzeugungsphase euphorisch beschworenen Förderung des Amateur-und Breitensports. Selbst auf der Internetseite der DFB-Akademie wird die Förderung der Basis nur in einem Nebensatz erwähnt. Stattdessen findet man seit 2014 in allen Frankfurter Magistratsvorlagen und im derzeit veröffentlichten Bebauungsplanentwurf in Kurzform folgende Zielsetzungen der zukünftigen DFB-Akademie:
„Mit der Sportakademie sollen Aus- und Fortbildungs- sowie Trainingsangebote für die Leistungsträger des Fußballs, also den Fußballspielerinnen und -spielern, den Fußballlehrern/innen und den Schiedsrichter/innen sowie den Fußballmanager/innen auf international führendem Niveau geboten werden.“
Die Akademie ist die „Kaderschmiede“, der Ort der „Eliteförderung“ und „soll von allen Nationalmannschaften … und auch für die Ausbildung der Bundesligatrainer und Spitzenschiedsrichter genutzt werden (DFB, 2014).“ Löw sieht „das Kompetenzzentrum auch als emotionale Heimat der deutschen Nationalmannschaften, als einen Ort, der Verbundenheit schafft und die gegenseitige Identifikation der Auswahlmannschaften stärkt (2014).“ Wo bleibt die zahlende kickende Basis in diesem Konstrukt?
Neben den inhaltlichen Ungereimtheiten entwickelt sich Bierhoffs Baby zu einer Denkmalsetzung des Promotors und des DFBPräsidiums. Zitat Bebauungsplan: „An der Kennedyallee ist ausschließlich eine repräsentative Vorfahrt für Sonderverkehr (Präsidium, Mannschaftswagen, Übertragungswagen dgl.), 22 Parkplätze,“ vorgesehen. Wenn man bedenkt, dass laut Informationsblatt des Amts für Straßenbau und Erschließung (Stand 15.1.2014) ein Quadratmeter Zufahrt 150 Euro (netto) kostet, kann man mühelos hochrechnen, welche sechsstellige Euro-Zahl allein für repräsentative präsidiale Zwecke in der Kennedyallee verbuddelt wird. Ehrenamtliche Mitglieder der Amateurvereine würden diese Summe sicherlich gerne in ihren Trainingsbetrieb bzw. in die Pflege ihrer Vereinsgelände investieren.
Der DFB, ein nach eigener Definition gemeinnütziger volksnaher Verband, der ‚Verantwortung gegenüber seinen Mitgliedern trägt (Deutschbein, 2014)‘, ist zunehmend geprägt von Maßlosig- und Eitelkeit.“
Manfred Kirsch hat ja so wunderschön neutral geschrieben, dass es sehr schwierig wäre, daran was zu bekritteln – ich will es deshalb nur ergänzen:
Es wäre schön, wenn man als Ergebnis dieser Untersuchung auch einen Schlüssel erhielte, ab wann es sinnvoll ist, von Diskriminierung zu sprechen und bis wo die Diskrimination geht. Es ist nämlich die Aufgabe der Polizei, zu diskriminieren. Diskriminieren kommt aus dem Lateinischen und bedeutet unterscheiden, trennen. Es ist die Aufgabe der Polizei, zwischen Tätern (oder im Vorfeld: möglichen Tätern) und Opfern (im Vorfeld: möglichen Opfern) zu unterscheiden und sie zu trennen.
Selbstverständlich ist die Hautfarbe genauso wie die Haarfarbe oder die Körpergröße ein von außen leicht erkennbares Merkmal, das in der Fahndung eingesetzt werden muss, wenn es taugt. Taugen bedeutet hier, dass es geeignet sein muss, die Zahl der zu überprüfenden Menschen erheblich zu verringern. Wenn der Polizei also eine Ankündigung von nordafrikanischen Gruppen vorliegt, bei denen davon ausgegangen wird, dass Vorfälle wie in Köln vor einem Jahr geplant werden, dann wäre es ziemlich ein schwachsinniger Umgang mit Polizeikräften, aus Proporzgründen genausoviele großgewachsene Blonde wie Männer-Gruppen vom nordafrikanischen bis Nahost-Typ zu beäugen. Ein racial profiling liegt nur vor, wenn die Polizei nicht weiß, wonach und nach wem sie sucht, sich aber in den Untersuchungen trotzdem an ethnischen Merkmalen orientiert.
Es wäre gut, wenn es soetwas wie ein Richtlinie gäbe, wie groß die zu erwartende Verringerung der Anzahl der zu Überprüfenden durch eine Merkmalskombination sein muss, um diese Merkmale legal als Diskriminator einzusetzen. So allgemein formuliert wäre diese Richtlinie auch auf ethnische Merkmale anzuwenden und die Entscheidung, ob hier normale Polizeiarbeit vorliegt oder racial profiling wäre transparent. Aber eins lässt sich auch so sagen: Wer Geschrei erhebt, weil nach ethnischen Merkmalen diskriminiert wird, wenn nach einer ethnisch relativ einheitlichen Gruppe gesucht wird, dem sollte in dieser Gesellschaft ein Platz zugewiesen werden, an dem man ihn nicht so hört. In der Bundespolitik ist er mit Sicherheit überfordert. Sie übrigens auch, sollte es sich dabei um eine Frau handeln.
Hat sich eigentlich schon mal jemand darüber beschwert, dass nur Männer polizeilich überprüft wurden. Das könnte man „Gender Profiling“ nennen. Zum kollektiven Aufschrei von männlicher Seite gegen diese Praxis kam es erstaunlicherweise bisher nie.