Klimaschutz ist das wichtigste Thema unserer Zeit. In Paris wurde eine bahnbrechende globale Vereinbarung ausgehandelt, und zur Klimakonferenz in Marrakesch konnte Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) dann letztlich doch noch mit einem Klimaplan fahren, in den allerdings bis zuletzt eingegriffen wurde. Aus dem Land der Energiewende wurde auf geheimnisvolle Weise ein Land, das von der Kohleverstromung nicht lassen will. Und dann sagt auch noch Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt im FR-Interview (online nicht erhältlich, pdf wird nachgereicht), dass er es für richtig halte, die Ziele anzupassen. Unglücklich formuliert oder Politikschwenk? Folgenden Gastbeitrag von FR-Leserin Helga Nitsche habe ich am 24.11.2016 in gekürzter Fassung im Print-Leserforum der FR veröffentlicht.
Maßnahmen anpassen, nicht Ziele
Helga Nitsche, Obertshausen
Der deutsche Klimaschutzplan 2050 wird mittlerweile offenbar allgemein positiv beurteilt, obwohl er zum Schluss auch unter dem Einfluss des Landwirtschaftsministeriums noch entschärft wurde. Das Interview mit dem Landwirtschaftsminister Schmidt vor einigen Tagen zeigt jedoch deutlich, wovor wir uns hüten müssen. Als ich es las, war ich erschrocken. Die Argumentation, man müsse die Ziele anpassen, da man nicht abschätzen könne, ob sie in den nächsten 30 Jahren erreicht werden können, klingt in meinen Ohren so wie das Anpassen von Grenzwerten für Luftschadstoffe, wenn man die ursprünglichen nicht eingehalten hat. Der Minister setzt offenbar allein auf technischen Fortschritt, mit dem die Klimaziele erreicht werden sollen und ordnet die Ansprüche des Klimaschutzes den wirtschaftlichen und ökologischen Apekten offenbar nachrangig oder bestenfalls gleichrangig ein. Abgesehen davon, dass mir kein Beispiel dafür einfällt, dass ökologische Gesichtspunkte und Klimaschutz in Konkurrenz stehen, sind auch sonst die Antworten auf manche Fragen unscharf oder nicht treffend.
So ist z.B. das Argument der globalen Ernährungssicherheit und Hungerbekämpfung als Begründung dafür, daß eine Reduzierung der Fleischüberproduktion aus dem Klimaschutzplan gestrichen wurde, nicht treffend. Der Grund für Fleischüberproduktion ist ja nicht Hungerbekämpfung sondern Preiskampf. Undeutlich ist, welche Potenziale der Minister bei der CO2-Bindung durch Wald sieht und wie er diese durch professionelle Waldwirtschaft heben will.
Ich vermute, dass diese Potenziale gemessen am CO2-Einsparungsbedarf eher nachrangig sind. Eine Entwicklung zu mehr Aufforstung auf Kosten von Freiflächen wäre negativ. Ähnlich undeutlich erscheint mir, welche Vorstellungen der Minister beim Schutz von Moorgebieten als CO2-Senken hat. Er meint, man könne heute keine Flächen zur Torfgewinnung mehr auf die Weise gewinnen wie zu Zeiten des Alten Fritz. Tatsächlich geht es aber heutzutage doch eher um die Rückgewinnung und Wiedervernässung von Mooren als um Flächengewinn für die Nutzung.
Zwar hoffe auch ich, dass uns technische Entwicklungen und neue Ideen helfen werden, die anstehenden Probleme zu meistern. Aber verlassen dürfen wir uns darauf nicht allein. Geeignete begleitende und steuernde Maßnahmen müssen von Seiten der Politik dazukommen, die verhindern, dass der ökologische Nutzen aufgrund wirtschaftlicher Interessen vernichtet oder sogar überkompensiert wird. Dies wird an vielen Beispielen deutlich. Denken wir allein an die Entwicklung auf dem Biodieselsektor. Im Ursprung war es eine gute Idee, Energie aus Bio-Abfall zu gewinnen. Mittlerweile – unter dem Druck des wirtschaftlichen Nutzens – wird großer Schaden dadurch angerichtet, dass landwirtschaftliche Flächen ihrer eigentlichen Bestimmung der Nahrungserzeugung zugunsten des Anbaus von Energiepflanzen entzogen werden oder bislang nicht genutzte Flächen (in anderen Ländern auch Waldflächen) zur Nutzung umgewidmet werden.
Zusammenfassend gesagt kann und muss man sicherlich im einzelnen immer wieder die getroffenen Maßnahmen überprüfen und gegebenenfalls anpassen, nicht jedoch die Ziele. Denn die Ziele sind aufgrund wissenschaftlicher Forschung unabhängig formuliert worden und sollten nicht in Zweifel gezogen werden, solange nicht neuere Forschungen eine Änderung nahelegen. Der Klimazustand und die Folgenabschätzung unseres Handelns für das Klima werden regelmäßig überprüft und aktualisiert. Diese Aktualisierungen bilden die Grundlage für die Klimakonferenzen und die Klimaschutzziele.
Ich frage mich, ob irgendjemand diesen Klimaschutzplan gelesen hat.
Da heisst es z. B.: «Damit kann und will er nicht ein über Dekaden festgelegter detaillierter Masterplan sein.» Eigentlich ist es gar kein Plan.
Von einem Plan würde ich mindestens erwarten, dass er mir so viel Daten liefert, dass ich nachrechnen kann, ob er funktionieren kann oder was dafür notwendig ist.
Gemäss dem «Plan» lösen wir die Probleme, indem wir immer effizienter werden:
«Der Energiebedarf von Gebäuden, Verkehr und Industrie sinkt durch eine immer effizientere Energienutzung stark.» (Seite 28)
Wie effizient wir jetzt sind und wo wir hinwollen, wird aber nicht gesagt. Elektromotoren haben heute einen Wirkungsgrad von mehr als 94%. Da ist nicht mehr viel zu holen.
Der Klimaschutzplan sagt einfach, dass eine vollständige Dekarbonisierung mit Hilfe von Wind- und Sonnenenergie machbar ist. Diese Aussage lässt sich nicht überprüfen, da keine konkreten Aussagen gemacht werden.
Wenn ich an die Energiewende denke, kommt mir immer wieder Brechts «Lied von der Unzulänglichkeit menschlichen Strebens» in den Sinn:
Ja, mach nur einen Plan!
Sei nur ein großes Licht!
Und mach dann noch’nen zweiten Plan
Gehn tun sie beide nicht.
[]
Doch sein höhres Streben
Ist ein schöner Zug.
@ Helga Nietsche:
Sollte jemand die Ansprüche des sog. Klimaschutzes den wirtschaftlichen und ökologischen Aspekten nachrangig betrachten, hätte er mein volles OK.
Das wäre meiner Ansicht nach sowohl mit Kernenergie als auch mit der Verstromung fossiler Brennstoffe möglich.
Was bliebe uns damit nicht alles erspart!
Sie meinen aber vermutlich ökonomisch.
In der Abwägung zwischen Klimaschutz (in Form von CO2-Minderung) und Ökonomie würde ich auch hier der Ökonomie den Vorrang geben, nicht jedoch in der Abwägung zwischen (auch meiner Sicht ernsthafter) Ökologie und Ökonomie.