70 Jahre Nato – und fast nichts ist mehr so, wie es zur Zeit der Gründung des Verteidigungsbündnisses war. Der Gegner ist ihm ebenso abhanden gekommen wie Ideen, was man eigentlich zusammen erreichen will. Ironie der Geschichte: Trotzdem lebt die Nato derzeit im ersten Bündnisfall ihrer Geschichte. Bündnisfall – dieser Begriff beschreibt eine Lage, in der die Verpflichtung des Bündnisses greift, einem angegriffenen Mitglied beizustehen. Dass ein solcher Bündnisfall, nämlich die Anschläge vom 11. September 2001 auf das World Trade Center und das Pentagon in den USA, tatsächlich vorliegt, hat der Nato-Rat am 4. Oktober 2001 beschlossen. Er wurde seitdem nicht beendet. Die „Operation Enduring Freedom“, in deren Rahmen die USA und ihre Verbündeten, darunter die Bundesrepublik Deutschland, unter anderem in Afghanistan militärisch eingriffen, war also eine Selbstverteidgungsmaßnahme. Dieses individuelle und kollektive Recht auf Selbstverteidigung wurde in UN-Resolution 1368 ausdrücklich gebilligt.
Dass der Afghanistan-Feldzug völkerrechtlich in Ordnung war, heißt allerdings nicht, dass er es auch moralisch, ethisch oder selbst nur militärstrategisch war und ist. Nicht nur, weil dieser Krieg nicht zu gewinnen ist. Diese Einsicht ist allerorten längst gewachsen, ohne dass daraus die nötigen Konsequenzen gezogen werden. Wer sollte auch dieses Scheitern eingestehen? Hätte man das Geld genommen, das für den Afghanistankrieg ausgegeben wurde – von 2003 bis 2014 sollen es rund eine Billion US-Dollar (reale Billion, nicht US-Billion) gewesen sein -, und es in einen wie auch immer gearteten Marshall-Plan für die Region gesteckt, wäre Afghanistan heute ein prosperierendes und mutmaßlich friedliches Land.
Die Konsequenz aus dem militärischen Scheitern in Afghanistan ist also konkret die Frage, welchen Sinn solche Einsätze generell haben. So stellt sich auch die Frage nach dem Sinn der Nato. Sie ist in der Krise, weil ihr keine Antworten auf diese Frage einfallen. Sie sucht sich lieber neue Gegner. Russland ist in dieser Hinsicht wohlfeil und tut immer wieder getreulich das Seine, um dieses Feindbild zu bestätigen. Jetzt kommt, das war zu ahnen, China hinzu. Derweil boomen weltweit die Waffengeschäfte. 2018 wurden Waffen im Wert von 420 Milliarden US-Dollar verkauft. Größter Produzent und Exporteur: die USA mit knapp 60 Prozent Anteil an diesem Kuchen. Was könnte man mit diesen Milliarden alles erreichen, wenn sie anders, sinnvoller ausgegeben würden!
Eingedenk der Rufe aus Deutschland, die Waffenexporte zu reduzieren, muss man wohl konstatieren: Daraus wird nix. Die Zeichen stehen nicht auf Entmilitarisierung der Außenpolitik, im Gegenteil: Nach dem Ende des INF-Vertrags über das Verbot von Mittelstreckenraketen in Europa droht ein neuer Rüstungswettlauf. Und es ist bereits verabredete Sache, dass die Nato-Staaten endlich ihre Budget-Verpflichtungen erfüllen und Summen in Höhe von jährlich zwei Prozent ihres BIP ins Militär stecken. Wofür? Um die Rüstungsindustrie zu pampern? Wo ist der Gegner, vor dem sich die Nato so sehr fürchtet? Ist es ihre eigene Ideenlosigkeit?
Kein Anspruch auf demokratische Untadeligkeit
Artikel 5 des Nordatlantikvertrags definierte die kollektive Verteidigung durch gegenseitige Beistandszusicherung im Falle eines Angriffs oder der Drohung eines Angriffs als wichtigste Aufgabe der Nato. Auf der einen Seite stand die kommunistische Sowjetunion und auf der anderen Seite der Westen, dessen Regierungen den Kommunismus ablehnten. Gründungsstaaten der Nato waren 1949 die USA und Kanada sowie zehn westeuropäischen Länder, darunter Portugal, ein Land, in dem ein Militärputsch im Mai 1926 der Beginn einer 48 Jahre währenden Diktatur war. Griechenland und die Türkei traten 1952 bei. In Griechenland putschte sich 1967 das Militär an die Macht, und die Militärdiktatur bestand bis 1974. In der Türkei putschte sich das Militär mehrmals an die Macht. 1974 besetzten türkische Truppen den Nordteil Zyperns, und Anfang 1975 verhängten dann die USA gegen das Nato-Mitglied Türkei ein Waffenembargo, woraufhin die Türkei die US-Stützpunkte schloss. Andreas Schwarzkopfs Appell, vielleicht sollten sich vor allem die Europäer in der Nato daran erinnern, die Nato sei gegründet worden, um jene Werte zu verteidigen, die den Westen ausmachen und definieren sollten: Demokratie, individuelle Freiheit, Rechtsstaat, wird rückblickend der doch komplexeren Vergangenheit nicht gerecht. Während 1956 in Ungarn der Aufstand gegen die dortige Diktatur niedergeschossen wurde, konnte die italienische Regierung auf dieser Seite des Eisernen Vorhangs eine demokratisch gewählte kommunistisch dominierte Regierung in San Marino vor dem Hintergrund des Kalten Krieges nicht tolerieren, zumal diese Regierung engere diplomatische Beziehungen zur Sowjetunion knüpfte. Im Rahmen dieser Krise riegelten italienische Carabinieri den von Italien umschlossenen Kleinstaat sogar mit Panzern teilweise ab. Im Hinblick auf Italien selbst gab es damals im US-Auslandsgeheimdienst CIA aus Angst vor einer angeblichen kommunistischen Machtübernahme sogar kurzzeitig Überlegungen, eine rechte Militärdiktatur zu favorisieren. Größere Wichtigkeit hatte also vor dem Ende des Warschauer Pakts eindeutig der Ost-West-Gegensatz, ein Anspruch auf demokratische Untadeligkeit aller Nato-Staaten bestand nicht.
Siegfried Kowallek, Neuwied
Die Bilanz der Nato fällt negativ aus
Nach 70 Jahren Nato sei daran erinnert, dass es ein Zeitfenster und Gründe zu ihrer Auflösung gab. Als sich 1991 das östliche Militärbündnis, der Warschauer Pakt, auflöste, bestand die große Chance für eine europäische Friedensarchitektur. Zumal sich durch die Abrüstungsverträge und den Fall der Berliner Mauer gegenseitiges Vertrauen gebildet hatte. Die Chance wurde jedoch nicht genutzt. Die Nato wurde nicht aufgelöst. Im Gegenteil: Die Ostblockstaaten von Estland bis Bulgarien wurden Mitglieder der Nato.
Eine Bilanz zur Nato nach Ende des Kalten Krieges bis heute, kann nur negativ ausfallen, da sie jegliche Glaubwürdigkeit verloren hat. Es geht ihr nicht um Werte, sondern um Interessen. Es geht nicht um Verteidigung, sondern um weltweite ökonomische Macht. Die Forderung der Nato zwei Prozent des BIP für das Militär auszugeben ist angesichts der jetzt schon gigantischen Aufwendungen, die Nato ist für etwa 60% der weltweiten Militärausgaben verantwortlich, völlig überzogen. Das Völkerrecht wird von den Nato-Staaten missachtet. Das gilt für den ersten Kampfeinsatz der Bundeswehr im Jugoslawien/Kosovo-Krieg 1999 genauso wie für den Einmarsch der Türkei in Syrien 2019. Die Einsätze im Nahen und Mittleren Osten haben die Länder nur destabilisiert.
Rolf Wekeck, Kassel
Trump hat recht, was die Bundeswehr betrifft
In Anbetracht des gegenwärtigen Zustandes der Bundeswehr würde ich gerne folgenden Vorschlag machen: für die nächsten mindestens 15 Jahre fünf Prozent des Bundeshaushalts (gleich welche Koalition gerade in Amt und hoffentlich Würden sein möge). Die Bundeswehr ist seit Ende des Kalten Krieges derart kaputtgespart worden, dass es mittlerweile schwer ist, sie noch irgendwie ernst zu nehmen. Der Kabarettist Volker Pispers sagte vor Jahren mal, die Aufgabe der Bundeswehr sei es, den Feind so lange aufzuhalten, bis Militär komme. Das Problem dabei ist, ist, dass Herr Pispers dabei mehr Recht hat, als es uns als Bürgern unserer geschätzten Bundesrepublik recht oder lieb sein kann. Stichwort kaputtgespart. Ich bin eigentlich links sozialisiert.
Wir schicken Soldaten in Auslandseinsätze ohne sie jedoch mit dem zu versorgen, was sie benötigen würden. Von der Situation an der „Heimatfront“ ganz zu schweigen. Flugzeuge, Panzer oder sonstiges nicht einmal ansatzweise einsatzbereit, wie man es normalerweise erwarten würde. Was sollen unsere Einsatzkräfte machen? Sich entsprechend in Museen bedienen? Wenn Eurofighter nicht einsatzbereit, dann halt Fokkers aus dem Ersten Weltkrieg – gleiches gilt für Panzer der verschiedenen Kategorien – okay, da zumindest Zweiter Weltkrieg ;-). Also im Sinne von selbst Schuld, wenn man blöd genug ist, zum Bund zu gehen…
Es passiert mir persönlich relativ selten, dass ich Herrn Trump tatsächlich recht gebe, aber in diesem Punkt, Bundeswehretat, muss ich ihm ausnahmsweise wirklich Recht geben! (Selbst wenn er, meiner bescheidenen Meinung nach, noch immer nicht in seinem aktuellen Amt als Präsident geistig angekommen ist und beispielsweise Herrn Putin immer noch als Konkurrenten bezeichnet – so redet ein Unternehmer, aber nicht ein Präsident!
Patrick Libuda, Frankfurt
Am Weltfrieden kann man nichts verdienen
Eine „feine Gesellschaft“ hat sich da in London angefunden. Zwei Erpresser, ein Rebell und eine zögerliche, zur Unterwerfung unter den „großen Zampano“ bereite Schafherde. Die „feine Gesellschaft“ hat sich eine weltpolitische Dummheit ersten Ranges geleistet. Sie hat China als nächste mögliche Bedrohung bezeichnet. Das war so dilettantisch wie Kaiser Wilhelms außenpolitische Brandreden, die den Ersten Weltkrieg mit herbeigeführt haben. Wenn die klugen Herren ernsthaft etwas für den Frieden auf dieser Welt hätten tun wollen, dann hätten Sie Wladimir Putin und Xi Yinping zum NATO – Gipfel mit eingeladen, um gemeinsam mit den beiden über die Schaffung eines globales Sicherheitssystems zu sprechen, dass durch Einbeziehung aller Atomwaffenstaaten einen künftigen Atomkrieg ausgeschlossen hätte. Aber nein, so nicht. Die Herren achten sorgfältig darauf, dass der NATO die Feinde nicht ausgehen, denn nur außenpolitische Spannungen mit den daraus resultierenden Rüstungsaufträgen spülen Geld in die Staatskassen, denn die spannungserzeugende Politik kann sich der Dankbarkeit der Rüstungsindustrie sicher sein. Donald Trump sorgt schon dafür, dass seine Freunde in der amerikanischen Waffenindustrie nicht am Hungertuche nagen müssen. Die USA sind nicht rein zufällig der größte Waffenexporteur und die größte Kriege führende Macht der Welt. Das wird sich erst an dem Tage ändern, an welchem eine kritisch gewordene amerikanische Nation vor dem Weißen Haus gegen die unablässige Vergrößerung amerikanischer Soldatenfriedhöfe aufbegehren wird! Das aber kann noch eine Weile dauern, weil sich die amerikanische Nation an die Heimkehr toter Helden gewöhnt hat, auf deren Särgen die amerikanische Flagge liegt. Nun aber wird sich nach der einfältigen Erklärung von London die Welt erst einmal an einem Anwachsen der militärischen Spannungen zwischen den USA und China im Pazifik erfreuen können! Da beide Staaten Atommächte sind, wird dann wieder der Schatten eines möglichen Atomkrieges über der Welt hängen – in welchem die europäische NATO selbstverständlich nicht „außen vor“ bleiben wird. Unsere Regierungen passen genau auf, dass die Welt nicht zu friedlich wird. Am Weltfrieden kann man nichts verdienen!
Ich habe den Kriegsdienst verweigert. Das war wenig angenehm damals in den 70ern. Das Tribunal, das mein Gewissen beurteilen sollte, bestand aus zumeist alten Herren und der zweite Weltkrieg war gerade weniger als 30 Jahre vorbei. Und bis heute kann ich in dem Handwerk von Soldaten nichts wirklich Friedensstiftendes entdecken. Und doch – landauf, landab wird Stärke und Robustheit gefordert in Deutschlands Auftritt in der Welt. Und auch die NATO braucht es weiter, so redet man uns ein. Russland und Chinas Stärke „be“-drohen uns am Horizont. Und dafür sind wir bereit, Abermilliarden zu verschleudern. Neo-Militarismus macht sich breit. Beängstigend und – für mich – unverständlich. Ein Deja-Vu – man setzt wieder auf Waffen, behauptet, dies würde den Worten Kraft und Nachdruck verleihen. 70 Jahre alt und nichts dazugelernt. Die NATO steht jetzt direkt an der Grenze Russlands, 1000de Soldaten sind dort stationiert und jetzt wundert man sich, dass dieses Land darob nicht „amused“ ist. Es war – Hörensagen – wohl auch anderes be- wenn nicht versprochen. Viele haben hier Verständnis für Russland. Und werden gern als realitätsferne Friedensromantiker dargestellt. Das ist die eine Seite.
Weltweit steht das Bündnis „Gewehr bei Fuß“ an der Seite neoliberaler Globalisierer. Denn deren Interessen gilt es zu schützen. Nicht Werte oder die Freiheit , sondern, wenn Freiheit, dann höchstens die der internationalen Wirtschaftswege. Ein Ex-Präsident hatte recht, als er vor Jahren schon dafür im Notfall einen militärischen Einsatz für notwendig hielt. Denn in der Hauptsache geht es um handfeste wirtschaftliche Interessen. Und natürlich auch um Absatzmärkte für deutsche Waffen. Deutschland ist einer der größten Waffenlieferanten der Welt. Und auch Frankreich, Großbritannien, Spanien und Italien sind wichtige Player in diesem blutigen Geschäft. Kerneuropa! Trifft es sich nicht gut, dass jetzt eine Ex-Verteidigungsministerin der EU vorsteht?
Das ganze Gerede von Werten ist in diesem Zusammenhang doch nur ein Ablenkungsmanöver. Am Weltfrieden kann man nichts verdienen. Da hat Otfried Schrot einfach recht. Und doch: Man stelle sich vor, die gesamte Macht, die versammelte Intelligenz und das gesamte Geld der NATO-Armeen würde aufgewendet, um wirklich Demokratie und Freiheit, eine lebenswerte und gesunde Umwelt, ein auskömmliches Leben für alle zu gewährleisten. Bronski hat das ja schon mit Blick auf Afghanistan getan. Utopia! Stimmt. Aber schön wäre es schon, Frieden zu schaffen, so ganz ohne Waffen …