Der Protest konnte nicht simpel als Generationenkonflikt abgetan werden

Frankfurter Rundschau Projekt

Der Protest konnte nicht simpel als Generationenkonflikt abgetan werden

Von Klaus-Peter Meeth

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Als Schulsprecher habe ich 1968 bei der Abiturfeier eine Rede  gehalten, in der ich die Schüler- und Studentenrevolte der 68er Bewegung  thematisieren  und einen Bezug zu uns in der Eifelregion herstellten wollte. Ich erinnere  mich noch gut daran, dass eine der ersten politischen Aktionen, die die SMV (Schüler-Mit-Verantwortung) und die Schülerzeitung „Perspektiven“ auf die Beine gestellt haben, eine Sammel- und Spendenaktion für das hungernde Biafra war. Eine Fahrt der Politik-AG führte nach Berlin; dort besuchte ich u.a. die Zentrale des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) und begab mich an die Stelle, an der der Studentenführer Rudi Dutschke ein Jahr zuvor durch drei Kugeln lebensgefährlich verletzt wurde. Mit Studentenvertretern und einigen Schülern aus dem AUSS ( Aktionszentrum Unabhängiger, Sozialistischer Schüler ) war leider nur ein kurzer Gedankenaustausch möglich, es herrschte zu der Zeit in der Zentrale eine hektische Betriebsamkeit.  Ich erinnere mich noch gut daran, dass mich dieses großstädtisch-politische Flair elektrisierte, zugleich faszinierte, aber auch irritierte. Ich erlebte ein politisch brodelndes Berlin mit prägenden Eindrücken und als ein Mosaiksteinchen in meiner politischen Sozialisation.

Auszug aus der Jahreschronik 1969 des Staatlichen Regino-Gymnasium, Abschied der Schüler:

K.P. Meeth - älter - (2)Wenn ich als Schulsprecher in dieser Feier zu unserem Thema „ Freiheit und Verantwortung“ sprechen soll, so liegt  für mich nichts näher als ganz ins Aktuelle einzusteigen, zu der Unruhe, die sich unter Studenten und Schülern ausbreitet. Es mag erstaunlich erscheinen, wenn ich bei den Griechen einen Bezug zu der Jugendrevolte finde. Die frühe griechische Literatur zeigt schon, dass die aktuelle Bewegung, im eigentlichen Sinne gar nicht so neu ist. Das Motiv des „verlorenen Schildes“, das um 600 v. Chr. Archilochos in seiner Lyrik behandelt, ist als einer der ersten in der Literatur festgehaltene Aufschreie gegen das, was man Establisment nennt, zu verstehen. Da verliert ein Soldat seinen Schild im Kampf, vor einer Gesellschaft, die das als äußerste Schande ansieht, vor allem in Sparta – und er reagiert darauf in einem Gedicht, mit den Worten : „Ich kauf mir einen neuen besseren Schild.“ Die Gesellschaft war schockiert.

Klaus-Peter Meeth
zu jener Zeit.
Foto: privat

Mit ähnlichem Entsetzen reagiert  unsere Gesellschaft auf die Rebellion und Provokation der jungen Generation. Viele zeigen in ihren Reaktionen allzu oft die Unfähigkeit zu einer sachlichen, produktiven Auseinandersetzung. Sie wollen nicht anderes als dass wir schweigen und nichts hinterfragen. Aber wir sind doch auf diesem Gymnasium, um gerade das Fragen zu lernen, damit, wenn wir, wie ihr liebe Abiturienten, zur Universität kommen, fähig sind zum Disput, Diskurs, zum Dialog.

Der Mordanschlag am 11.04.1968 auf den Studentenführer, Rudi Dutschke, nötigt uns nicht nur für oder gegen Gewalt, sondern für oder gegen die Voraussetzungen zu dieser Gewalt Stellung zu beziehen, durch die sie genährt wurde. Diese Notwendigkeit ist nicht identisch mit dem Postulat sich für oder gegen demonstrierende  Studenten und Schüler auszusprechen, wohl aber mit der Notwendigkeit eine Position demgegenüber  einzunehmen, was die Jugendrebellion auslöste. Für oder gegen die Weise, wie die Welt nach 1945 zementiert wurde. Damit will ich klarstellen, dass der Protest nicht simpel als Generationskonflikt kleingeredet und abgetan werden kann. Zuerst haben wir den Blick auf die Gesellschaft und dann auf ihre Jugend zu richten. Es ist sicherlich kein Zufall, dass diejenigen, die sich heute gegen unsere System auflehnen, etwa genau so alt sind wie die staatlichen und ideologischen Insitutionen, in denen sie aufgewachsen sind.

Die Bundesrepublik Deutschland – das liegt ja am nächsten – kann uns als Beispiel dienen für die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen und Enttäuschungen, wie sie im Prinzip europaweit eingetreten sind; zu nennen sind die Unruhen in den Metropolen Madrid, Rom, Prag, Belgrad. Die BRD ist bald 20 Jahre alt; sie nahm einen gewaltigen ökonomischen Aufschwung. Sie ist in diesen Jahren konfliktreichen Entwicklungen nicht offen begegnet. Man verhängte über die  KPD ein Verbot und jetzt gibt es eine heftige Verbotsdebatte, die den SDS betrifft. Bedeutet das nicht, dass ein Teil der uns bedrängenden Probleme von der Oberfläche verschwinden soll, obwohl sie aber im Untergrund weiterbrodeln? Haben wir in diesen vergangenen 20 Jahen auch gelernt mit kontroversen Meinungen umzugehen? Ist hier nicht einer der Gründe zu suchen, die heute einem Menschen dazu veranlassen einen anderen niederzuschießen, der sich zu einem anderen Gesellschaftsmodell bekannte oder sich, wie Robert F. Kennedy, für die Rechte der Schwarzen und Verarmten einsetzte?

So, glaube ich, sind viele Schüler und Studenten zu einer Haltung gekommen, die man gesellschaftskritisch bis gesellschaftsfeindlich nennen kann. Sie gingen auf die Straße, um sich Gehör zu verschaffen, es folgte Gewalt und Gegengewalt. Man rief nach der Polizei und versuchte die Probleme nach Art Alexander des Großen zu lösen, als dieser vor dem Gordischen Knoten stand. Ich rede hier nicht der Gewalt das Wort, meine aber, dass sich in der Gewalt etwas Bahn gebrochen hat, was zu lange aufgestaut war: Der Wunsch mitzubestimmen, wenn es um das eigene Leben und die eigene Zukunft geht. Ebenso steht außer Zweifel, dass man kein echtes staatsbürgerliches Engagement erwarten kann von Menschen, die als Schüler, Studenten und Auszubildende nur eingeschränkt die Gelgenheit hatten zur verantwortlichen Beteiligung und zur kritischen Urteilsbildung. Es darf deshalb bei der Schüler- und Studentenbewegung nicht darum gehen sie zu unterdrücken, es muss vielmehr darum gehen, sich zu engagieren, damit sie nicht chaotisch verläuft. Dabei handelt es sich um einen gesellschaftspolitischen Vorgang der schmerzlich ist und  Wunden aufreißt. Aber das haben wir ja bei den Griechen und Römern lernen können.

Wir Schüler werden uns engagieren, ohne dabei das Lernen zu vergessen oder zu vernachlässigen. Leider stehen viele von uns abseits und haben die Zeichen der Zeit noch nicht erkannt. Aber das soll die nicht daran hindern, die sich angesprochen fühlen , sich  den Kräften und Personen anzuschließen und nach neuen Perspektiven zu suchen.“

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Gerlindes 65zigster GeburtstagDer Autor

Klaus-Peter Meeth, geb. 1949 in Wittlich/Eifel. Abitur1969 am humanistischen Regino-Gymnasium in Prüm / Eifel.1969 – 1975;  Studium an der Goethe-Universität Frankfurt,Germanistik, Politologie, Pädagogik Kinderladenarbeit;Schuldienst in Hessen:Gewerkschafter (GEW), Politbarde, Schulpersonalrat, Gesamtpersonalrat, Schulmediator, Förderstufenleiter an einer integrierten Gesamtschule, Rektor an einer Kooperativen Gesamtschule mitgymnasialer Oberstufe, Schwerpunkte: Förderkonzepte – Leseförderung. 2015 im Ruhestand: Lesepate in Seniorenheimen und in Kindertagesstätten.

Bild: privat

 

 

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5 Kommentare zu “Der Protest konnte nicht simpel als Generationenkonflikt abgetan werden

  1. „Ebenso steht außer Zweifel, dass man kein echtes staatsbürgerliches Engagement erwarten kann von Menschen, die als Schüler, Studenten und Auszubildende nur eingeschränkt die Gelgenheit hatten zur verantwortlichen Beteiligung und zur kritischen Urteilsbildung.“

    Diesen Satz meines damaligen Klassenkameraden Klaus-Peter Meeth kann ich nur unterstreichen. Es macht betroffen, wie viele junge Menschen eher angepasst sind und die schnelle Karriere einem gesellschaftlichen Engagement den Vorzug geben.

    Ich würde mich freuen, wenn wir uns im März bei dem 50-Jahr-Klassentreffen wiedersehen. Bis dahin alles Gute.

  2. Das Schlimme ist, dass die heutigen jungen Menschen in den Familien und in der Schule an eine kritischere Urteilsbildung herangeführt wurden und werden als die Jugendlichen der 68er Generation. Und dennoch sind sie angepasster.

  3. Als 1954 Jahrgang war ich kein sog. 68er. Mich prägte in den 1970er Jahren die Jugendzentrums-, Lehrlings- und Schülerbewegung nachhaltig.
    Leider spielt die im öffentlichen Diskurs und in den Medien keinen Nachhall. Da waren wahrscheinlich zu wenig studentische Schreihälse aktiv, die später als Außenminister oder Ministerpräsident uns rechts entgegen kamen.

  4. Ganz großes Kompliment an Klaus-Peter Meeth für seine wunderbare Abiturrede 1969. So pointiert und differenziert hätte ich (derselbe Jahrgang) das mit zwanzig noch nicht gekonnt!

  5. @ Gabriele Schreib:

    Bei allem Respekt für Klaus-peter Meeth, aber er hat bei der Abiturfeier 1969 am Gymnasium Prüm keine Rede gehalten.

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