Missstände in der Entwicklungshilfe
Von Hans-Jürgen Gratz
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Aus einer weitgehend unpolitischen bürgerlichen Familie und mit Hochschulabschluss war ich politisch völlig unbedarft, als ich 1967 meinen ersten Job bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau begann. Dort lernte ich in der Abteilung für Entwicklungsbanken schnell, dass die deutsche Kapitlahilfe zu etwa 70 % an deutsche und europäsische Firmen zurückfloss und zu weiteren 10 % in Kanälen verschwand, die jedenfalls nicht der dortigen Bevölkerung gehörten. Das brachte mich in den Club Voltaire und zu den Jusos. Wir entwarfen Papiere, die auf diese und andere Missstände der Entwicklungshilfe hinwiesen, dann zwar irgendwo auch mal zur Kenntnis genommen wurden, ansonsten aber keinerlei Folgen hatten. Diese Erfahrungen öffneten mir allerdings dann die politschen Augen und ich beteiligte mich nach meinem Arbeitstag an den zahlreichen Diskussionsabenden und friedlichen Demonstrationen der Studenten, wie vor dem damaligen amerikanischen Generalkonsulat in der Siesmayerstraße. Dort habe ich ich mit Begeisterung in die Ho Ho Chi Min-Rufe eingestimmt. Diese Jahre haben mich geprägt und sicher nicht nur mich zu der Erkenntnis geführt, dass wir, denen es so gut geht wie keiner Generation zuvor, etwas von dem zurückgeben sollten, was die Gesellschaft uns ermöglicht hat. Das Ergebnis lautet für mich: Die Achtundschziger waren für Viele, leider aber nicht zahlreich genug, eine politsche Lehre, die uns bis heute begleitet. Inzwischen haben fehlende (politische) Bildung, Konsumdenken und der immer stärkere Einfluss der Wirtschaft auf eine egoistische Politikerkaste zu Vieles davon zerstört. Das weiterhin vorherrschende Groko-Denken wird daher die Kehrtwendung zu einer Gesellschaft verhindern, die sich an den Bedürnisse der Bürger und nicht an den ausschließlich auf Gewinnmaximierung ausgerichteten Interessen der Wirtschaft orientiert. Und das in einem Land, das aufgrund seiner Göße und seiner finanziellen Resssoucen wie kaum ein zweites dazu in der Lage wäre.
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Der Autor
Hans-Jürgen Gratz, Jahrgang 1938. Als Volljurist geriet ich in meinem Berufsleben zum klassischen Banker, was mich von der staatlichen Kreditanstalt für Wiederaufbau über Deutsche und Bank für Gemeinwirtschaft in die Leitung der ersten deutschen grünen Bank, der Ökobank, führte. Von dort aus gründete ich das erste deutsche auf die Finanzierung von umweltverträglichen Projekten spezialisierte Unternehmen. Meine langjährigen beruflichen Erfahrungen ließen mich zum kritischen Beobachter der Finanzwelt und daher in meiner Alters(unruhe)zeit zum Autor von ‚Basiswissen Geldanlage‘ werden, dem immer noch kritischsten Ratgeber auf diesem Gebiet, wie ich meine. An einer erneuerten Kurzfassung arbeite ich. In den acht Jahren als Parlamentarier in Bad Homburg und weiteren acht Jahren im Umlandverband Frankfurt habe ich politisch mehr negative als positive Erfahrungen gemacht. Gegen den Stachel der politisch Etablierten zu löcken dürfte auch heute nicht weniger schwierig sein. Seit Jahrzehnten setze ich mich daher für soziale Projekte ein, im Kirchenvorstand, im Kinderschutzbund, in der örtlichen Bürgerselbsthilfe, zuletzt durch die Gründung und Leitung der Tafel in meinem Wohnort. Seit 45 Jahren bin ich verheiratet, habe zwei erwachsene Kinder und zwei Enkel. Ich empfinde mich als Mensch, der mit seinem Leben zufrieden ist, auch weil ich fast immer beruflich das mir Zusagende tun konnte, was mir auch außerhalb gelang, und weil ich privat und gesundheitlich einfach Glück gehabt habe.
Bild: Privat