Wut auf die Hetze der Springer-Presse

Frankfurter Rundschau Projekt

Wut auf die Hetze der Springer-Presse

Von Hartmut Contenius

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Ich habe von 1964 bis 1968 am politikwissenschaftlichen Otto-Suhr-Institut (OSI) der Freien Universität Berlin studiert. Es war eine aufregende, eine wilde Zeit. Unsere Diplom-Prüfung im Sommersemester musste um Wochen verschoben werden, weil linksradikale oder auch anarchistische Kommilitonen das OSI besetzt hatten. Unter uns Politologen gab es eine ganze Reihe von Aktivisten der Studentenbewegung. Man musste sehr darauf achten, das Studium nicht zu vernachlässigen. Ein Mitglied des Sozialdemokratischen Hochschulbundes (SHB) versuchte, mich für den SHB zu werben. Der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) war mir zu extremistisch. Ich schwankte, entschied mich dann aber, doch nicht zum SHB zu gehen, weil ich fürchtete, zu stark vom Studium abgelenkt zu werden. Meiner Familie war ich schuldig, das Studium planmäßig abzuschließen.

H. Contenius 1960Sehr angesprochen an der Studentenbewegung hat mich: vor allem das Antiautoritäre, das Aufbegehren gegen die vorgegebenen Autoritäten, gegen die Ordinarienuniversität. Die rebellierenden Studenten wollten sich mit den Herrschaftsstrukturen, wie man damals sagte, nicht einfach abfinden. Hinterfragen war ein Schlüsselwort. Wir wollten genau wissen, was die Ordinarien eigentlich berechtigte, Macht auszuüben – Stichwort: Unter den Talaren Muff von tausend Jahren. Wir wollten Veränderungen; manche meinten sogar in einer Art Größenwahn, die gesamte Gesellschaft umkrempeln zu können. Man müsse nur die „jungen Arbeiter“ gewinnen; hieß es, aber die interessierten sich im Allgemeinen gar nicht für die Studenten und deren abgehobene Sprache. Weitgehend einig war man sich. im Protest gegen den Krieg der USA in Vietnam, gegen die von der Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD vorangetriebene Notstandsgesetzgebung, gegen die unterentwickelte Bereitschaft der meisten Älteren, sich kritisch mit der Nazi -Vergangenheit auseinanderzusetzen. Gestört hat viele von uns zudem die weithin spießige Sexualmoral.. In der Studentenbewegung waren – ungeachtet des antiautoritären Gestus – Wortführer sehr gefragt, Rudi Dutschke vor allem, der mit seinem rhetorischen Talent viele Studenten faszinierte. Er redete meist im Stakkatostil. Sein marxistisch geprägtes Vokabular – man könnte auch sagen: sein Kauderwelsch – verstand allerdings nicht unbedingt jeder. Andere so genannte Studentenführer beeindruckten mich mehr: Knut Nevermann zum Beispiel, der Sohn des ehemaligen Hamburger Ersten Bürgermeisters Paul Nevermann. Der noch recht junge Jurastudent bestach durch seine Intellektualität. Er wurde Vorsitzender des Allgemeinen Studenten-Ausschusses (AStA) der FU. Nevermann könne, soll der angesehene Theologe Prof. Helmut Gollwitzer seinerzeit gesagt haben, später mal Bundeskanzler werden. Letztlich wurde er Staatssekretär. Eindrucksvoll fand ich auch die Studentenfunktionäre Wolfgang Lefèvre, Wolfgang Roth, Christoph Zöpel. Am OSI studierten spätere Politikaktivisten wie Gesine Schneider, die später Prof. Alexander Schwan heiratete und nach ihrem Studium von sich reden machte als Politikwissenschaftlerin, Publizistin, Universitätspräsidentin, SPD-Vordenkerin und Bundespräsidentschaftskandidatin. Am OSI waren auch Herta Däubler-Gmelin (SPD), die Bundesjustizministerin im Kabinett von Bundeskanzler Gerhard Schröder wurde, Horst Teltschik, zunächst Assistent bei Prof. Richard Löwenthal, dann viele Jahre außernpolitischer Berater von Bundeskanzler Helmut Kohl, Peter Radunski, CDU-Bundesgeschäftsführer und Senator in Berlin. Es herrschte seinerzeit ein „Wir-Gefühl“ unter vielen Studenten. Man berauschte sich geradezu an viele Stunden dauernden turbulenten Diskussionen, an Sit-ins und Teach-ins. Das OSI war Anfang/Mitte der sechziger Jahre der einzige Ort in der Bundesrepublik, an dem die Diplom-Prüfung für Politikwissenschaftler möglich war. Es war weithin bekannt dank seiner renommierten Professoren – Richard Löwenthal, Ernst Fraenkel, Kurt Sontheimer, Gert von Eynern, Alexander Schwan.
Im Hörsaal A des OSI dozierte der junge Staatsrechtslehrer Roman Herzog, sehr professoral, auch schon recht präsidial wirkend. Zu den Assistenten am OSI gehörten die späteren Professoren Heinrich August Winkler, Arnulf Baring, Ekkehart Krippendorff, Johannes Agnoli.

Viele Lehrkräfte sympathisierten zunächst mit den rebellierenden Studenten, befürworteten die Liberalisierung der Universität. Aber je mehr sich manche Studenten radikalisierten, umso mehr wandten sich immer mehr Lehrende von ihnen ab. Kurt Sontheimer warnte in einer Lehrveranstaltung einmal sehr direkt und geradezu seherisch: „Wenn Sie so weitermachen, werden Sie im Zuchthaus landen.“ Zuchthaus – das gab es damals noch. Tatsächlich scheuten einige Rebellen nicht den Weg in die Krimialität. Ulrike Meinhof verkündete bald: „Polizisten sind Schweine, und natürlich darf geschossen werden.“ Es war vorbei mit dem Spaß, den die so genannten Kommunarden Fritz Teufel, Dieter Kunzelmann und Rainer Langhans ihrem Publikum bereiteten. Aus dem Spaß wurde blutiger Ernst.

Gewalt kam für mich nicht in Frage. Als Spross einer Richterfamilie in der niedersächsischen Kleinstadt Helmstedt war ich für Terror nicht zu haben. Gewiss ärgerte ich mich sehr über die zeitweilig maßlose Hetze der rechtsgerichteten Springer-Presse („Bild“, BZ, „Berliner Morgenpost“) gegen „die Studenten“. Ich arbeitete mit an einer Dokumentation über die Springer-Zeitungen. Wir übergaben die Dokumentation einer ganzen Reihe von Bundestagsageordneten, die sich zu Ausschusssitzungen im Reichstagsgebäude versammelt hatten. Womöglich hätte ich voller Wut sogar Steine gegen das Springer-Hochhaus geworfen nach dem Attentat auf Rudi Dutschke am Gründonnerstag 1968. Aber in jenen Tagen hielt ich mich in meiner Heimatstadt Helmstedt auf. Dieser Mordanschlag empörte uns ebenso wie fast ein Jahr zuvor während der Anti-Schah-Proteste die Erschießung des Kommilitonen Benno Ohnesorg durch den Berliner Polizisten Karl-Heinz Kurras vor der Deutschen Oper am 2. Juni 1967. Beide Gewalttaten radikalisierten zahlreiche Studenten.

Mehr und mehr stieß mich der Fanatismus vieler Kommilitonen ab. Helmut Schmidt sprach damals von „elitärer Arroganz“, Jürgen Habermas von „linkem Faschismus“.- später rückte er von dieser Einschätzung ab. Ein ausgesprochen liberaler Professor wie Alexander Schwan wurde am OSI drangsaliert. Der marxistisch getränkte Dogmatismus, die ausgeprägte Intoleranz verbohrter Studenten, ihre Blindheit gegenüber dem kommunistischen Herrschaftssystem jenseits der Berliner Mauer – das alles missfiel mit sehr. Als der „Prager Frühling“ 1968 zu blühen begann, meinte ein Kommilitone, da breite sich doch wohl die Konterrevolution aus. Nicht wenige Studenten glaubten tatsächlich, von der Universität ausgehend lasse sich die gesamte Gesellschaft umstürzen. Manche schwärmten vom „Marsch durch die Institutionen“. Revolution galt vielfach als Zauberwort. Das war realitätsblind Ich habe nie verstanden, warum angeblich antiautoritär gestimmte Studenten von Che Guevara und Fidel Castro schwärmten, hinter Ho Tschi Minh- oder Mao-Plakaten herliefen und „Ho ho ho Tschi Minh“ skandierten. Sie ließen sich von der „Mao-Bibel“, den Worten des „Großen Vorsitzenden“, berauschen.

Hartmut Contenius

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Der Autor
Contenius 2004Hartmut Contenius, Geboren 1941 in Schlesien. Abitur 1961 in Helmstedt, anschließend Redaktionsvolontär bei der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (HAZ), von 1963 bis 1968 Studium der Politikwissenschaft in Bonn und am Otto-Suhr-Institut (OSI) der Freien Universität (FU) Berlin, Diplom-Examen am OSI im Sommersemester 1968; in Bonn zwei Semester lang Chefredakteur der Studentenzeitung „akut“, von 1968 bis 2003 Politikredakteur bei der HAZ. verheiratet, zwei Kinder, drei Enkel.

 

Bild: privat

 

 

 

 

 

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3 Kommentare zu “Wut auf die Hetze der Springer-Presse

  1. Mit der nicht mehr widerlegbaren Erkenntnis, dass selbst die massivsten Bestrebungen Dritter niemals von Erfolg gekrönt sind, die bestehende Gesellschaft zu zerstören, um an ihre Stelle etwas anderes zu setzen, dessen Gesetzgeber und Machthaber sie selbst sind, entfällt ein Aufbegehren gegen vorgegebene Autoritäten von vornherein in Gänze. Herr Contenius mobilisierte insofern seine Kräfte für ein Unterfangen, das längst und nicht erst im Sommer 1968 komplett gegenstandslos war. Weitaus sinnvoller wäre es gewesen, menschliche Arbeitskraft für eine autoritative Setzung zu verausgaben, die sich davon verabschiedet, besserem Wissen frontal zuwider die Natur dem Selbst zu unterjochen, wie es die Volkswagen AG beispielgebend in den frühen 1990er Jahren getan hat. Dass Teile der dortigen Belegschaft sich nicht daran orientiert haben und das Unternehmen deswegen inzwischen zweistellige Milliardensummen für Strafzahlungen aufwenden musste, gewährt einen tiefen Einblick in die wahren Verhältnisse weltweit, sobald es politisch ernst wird.

  2. An den Krieg habe ich keine Erinnerungen mehr – Jahrgang 1942 – aber um so intensiver an die Nachkriegszeit:
    Nichtwahrhabenwollen des vergangenen Grauens und der fürchterlichen Handlungen der deutschen Bevölkerung (nicht einiger weniger, sondern unter Zustimmung der Mehrheit)
    Besetzung aller wichtigen Posten in Politik und Wirtschaft mit Nazis, die kritische Meinungen wegbügelten und sich gegenseitig unterstützten,
    Schullehrer, die naturgemäß auch mehr oder weniger fanatische Nazis waren,
    ein Elternhaus (Vater Unternehmer), das ebenfalls faschistisch/rassistisch war und z.B. Gewerkschaften als Teufelswerk ansahen.
    Aus dieser extrem konservativen Umgebung ging ich nach dem Abitur mit 19 Jahren sogar noch 2 Jahre freiwillig (!) wegen des höheren Wehrsoldes zur Bundeswehr, um dann 1964 an der FU in Berlin BWL zu studieren. Ich bin heute noch meinem Vater, der sich der Konsequenzen sicher nicht bewußt war, dankbar dafür, daß er mich nach Berlin gehen ließ.
    Heute kommt es mir so vor, als ob ich dort zum ersten Mal frei atmen konnte, ich wurde zunehmend von einem völlig unpolitischen Menschen zu jemandem, der danach lechzte, die Vorträge kritischer Professoren und Philosophen an einer fachfremden Fakultät (Otto-Suhr-Institut=OSI) aufzusaugen.
    Mein Bewußtsein wurde geprägt von den Konfrontationen, die auf der einen Seite die kritischen Studenten und auf der anderen Seite offensichtlich den gesamten Rest der Gesellschaft auseinandertrieben. Wenn wir friedlich gegen Notstandsgesetze oder den immer widerwärtigeren Vietnamkrieg demonstrierten, gab es eigentlich unpolitische Hausfrauen am Straßenrand, die mit Regenschirmen auf uns schlugen, da sie von BILD und BZ aufgehetzt waren. Studenten waren in Berlin in fortschreitendem Maße der Abschaum der Gesellschaft, der eigentlich ausgemerzt gehörte. Kritik an bestehenden Verhältnissen wurde mit der Aufforderung beantwortet: „Geht doch rüber über die Mauer!“, obwohl uns das System dort überhaupt nicht zusagte.
    Während mir die Vorträge kritischer Intellektueller den theoretischen Überbau vermittelten, lernte ich durch praktische Erfahrungen auf Demonstrationen, welcher Haß auf Studenten sich in der Gesellschaft breit machte. Der linke Publizist Erich Kuby war mir schon allein deswegen sympathisch, weil er zunächst Hausverbot an der FU hatte und somit nach Karl Jaspers wieder mal ein Redeverbot verhängt wurde.
    Am 02. Juni 1967 waren wir fassungslos, daß die Agenten des Schahs am Schöneberger Rathaus ungestraft mit langen Holzschlägern auf die demonstrierenden Studenten einprügeln durften, aber als später an der Oper Benno Ohnesorg erschossen wurde, bekam auch der letzte zunächst unbeteiligte Student mit, daß in dieser Gesellschaft etwas nicht stimmt. Schlimmer für mich waren die Reaktionen danach: Die Springer Presse und der Berliner Senat sprachen nicht die Polizei, sondern die Studenten schuldig, und im Abgeordnetenhaus wurden die Studenten mit Nazis gleichgestellt.
    Als der Polizist Kurras, der Benno Ohnesorg erschossen hatte, freigesprochen wurde, steigerte sich der Frust an diesem System, das offensichtlich Verbrecher deckte, noch weiter. Und als viel später klar wurde, daß Kurras ein Agent der Stasi war, bekam das Ganze die Krone aufgesetzt.
    Als im Februar 1968 ein internationaler Vietnam-Kongreß in der TU stattfand, nahm das der Senat zum Anlaß, ein paar Tage später zu einer „Gegendemonstration“ aufzurufen, zu der alle öffentlich Angestellten und viele aus der Privatwirtschaft frei bekommen hatten. Dabei geschah es, daß jemand irrtümlich für Rudi Dutschke gehalten wurde, und bezeichnend ist der Auszug aus dem Bericht eines Polizei-Offiziers:
    »Es war für uns eine ganz neue Erfahrung: Das war ja eine entmenschte Masse. Ich war gerade nach vorn gegangen, um die Lage zu erforschen, als mir der junge Mann entgegengerannt kam. Er fiel mir um den Hals und stammelte: Um Gottes Willen schützen Sie mich, die wollen mich totschlagen. Hinter ihm her kamen an die tausend Leute, die johlten und riefen: >Schlagt den Dutschke tot!< Ich bekam Schläge auf den Rücken, wir wurden zu Boden geworfen, die Menge war außer sich. Wir haben uns dann die letzten Meter bis zum Wagen irgendwie hingeschleppt. Ich konnte gerade noch die Tür aufreißen und den jungen Mann hineinstoßen. Die Leute wollten daraufhin den Mannschaftswagen umkippen, zwei von ihnen schlugen eine Scheibe ein. Die Menge brüllte: Lyncht ihn! Hängt ihn auf!.«
    Das ist nur ein einzelner Hinweis auf die Pogromstimmung, die damals in Berlin herrschte.
    2 Monate später war ich Ostern zu Besuch in meinem Elternhaus, als die Nachricht kam, daß Rudi Dutschke am Kudamm angeschossen und schwer verletzt worden war. Ich weiß noch heute, daß ich vor Wut und Trauer weinte, während mein Vater, der die Nachricht auch gehört hatte, meinte: "Na endlich, das geschieht dem ganz recht!"
    Das Verhältnis zu meinem Vater war nie gut, und noch heute macht es mir Probleme, mit Leuten unbefangen umzugehen, die eine extrem konservative, rechte Meinung vertreten.
    Daß ich nach dem Studium im Marketing gearbeitet habe und später sogar selbständig als Berater war, hat mir schon einige Gewissenskonflikte zwischen meiner erzkapitalistischen Tätigkeit und meinen politischen Idealen und Grundüberzeugungen bereitet.
    Ich stelle mir manchmal vor, war aus mir geworden wäre, wenn ich nicht in Berlin, sondern woanders studiert hätte… Und ich bin froh, daß es Berlin war!

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