Marsch marsch, ihr jungen Männer!

Vor mehr als einem Jahrzehnt hat die Bundesrepublik die „Wehrpflicht“ außer Kraft gesetzt. Heute jedoch, in Zeiten russischer Aggression, scheint der „Staatsbürger in Uniform eine Renaissance zu erleben. Wird er wirklich wieder gebraucht?

Zu: „Fast freiwillig“ und „Wenig Pflicht,viel Zahlenspiel“, FR-Titel und -Tagesthema vom 13. Mai


Pistorius‘ Wege führen hinters Licht

Ein bisschen freiwillig soll die Beantwortung eines Fragebogens zur Wehrpflichtwilligkeit schon sein. Nur Strafe steht an, wenn die jungen Männer nicht brav antworten. Dafür erhalten sie aber eine Prämie von 5000 € oder kostenlosem Führerschein bei letztendlicher Verpflichtung. Das alles für eine angedachte Rückkehr zur Wehrpflicht über die Hintertür, die 2011 ausgesetzt wurde.
Jetzt pfeift „der nette Herr Pistorius“ zum Rückzug vom Rückzug. Auf los, marsch marsch, ihr jungen Männer! Habt ihr Lust auf Abenteuer? Oder fast schlimmer noch die Frage, ob Mann etwa nicht unser Vaterland verteidigen wolle ?!
Die jungen Frauen müssen noch nicht, aber können, wenn sie denn wollten. Zwingen könnte man sie nur, wenn’s nach Frau Strack-Zimmermann ginge, über eine Grundgesetzänderung. Aber das ist ein anderes Thema.
Niemand würde gegen seinen Willen ans Gewehr gezwungen, noch sei es keine „verpflichtende Option“ (Pistorius). Erst nach der Bundestagswahl geht es dann ans Eingemachte, denn was wären all die Leoparden, Marder und das übrige todbringende Getier, ohne den Menschen am Auslöser.
Nicht dass er, „der nette Herr Pistorius“ sich nicht selbst mit vollem Elan in die Militärbereiche hineinbegeben würde. So smart und sympathisch, fast liebevoll sind seine Auftritte, wenn er aus den Panzern oben heraus guckt und mit den Soldaten plaudert. Fast könnte man diese Filmchen als Tik-Tok für die Alten, als Aufrüstungszirkus zur Kriegsertüchtigung bezeichnen.
Hinter’s Licht, oder besser, ins Dunkel führen diese Wege.
Wo ist meine Nachkriegsgeneration der vergangenen Weltkriege? Wo die Massen unserer Friedensdemos, die Friedfertigkeit, Empathie, Völkerverständigung auf ihre Fahnen geschrieben hatten? Die ein „Nie wieder“ propagierten und zu Kompromissen bereit waren, mit Worten statt Waffen?
Lassen wir unsere Söhne, Enkel, Urenkel in die gleiche Falle der Kriegsschreier tappen, wie in der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts geschehen?
Spätestens seit Begriffe wie Kriegstüchtigkeit , untermauert nun bald nach Auswertung der geplanten Fragebogenaktion, sich im täglichen Sprachgebrauch festsetzen und Rüstungsfirmen für uns nicht mehr als rotes Tuch, sondern auf den Bannern der Fußballstadien auftauchen, sollten wir hellhörig werden. Und lauthals dagegen halten.

Hanne Strack, Rüsselsheim

Die Rechtslage sollte geändert werden

Ein Verteidigungsminister muss mit der Rechtslage arbeiten, die er vorfindet. Für eine Wehrpflicht für Frauen gibt es nach dem aktuellen Stand des Grundgesetzes keine Rechtsgrundlage. Die Zeit für die Herstellung der Verteidigungsbereitschaft drängt auch zu sehr, um auf die für eine Verfassungsänderung nötige Zweidrittel-Mehrheit zu warten, von der nicht klar ist, ob es sie überhaupt geben wird. Daher ist es zwar nicht gerecht, aber notwendig, sich vorerst bei der Pflicht auf Männer zu beschränken. Mit anderen Genderfragen hat das nichts zu tun.
Trotzdem sollte er dem Gebot der Gerechtigkeit folgen, auf eine Änderung des GG hinzuwirken. Physische Unterschiede zwischen den Geschlechtern und zusätzliche Gefahren für Frauen im Krieg, die es mit Sicherheit gibt, kann man auch innerhalb der Bundeswehr berücksichtigen. Sie besteht nicht nur aus hochexponierten Kampfeinheiten. Angriffen im Hinterland sind sowieso beide Geschlechter ausgesetzt, wurscht ob sie eine Uniform tragen.

Rainer Prosik, Hattenhofen

Zwangskriegsdienst mit möglicher Todesfolge

Der Zeitenwendekanzler und der Kriegstüchtigkeitsminister bekommen jetzt zum Glück zu spüren, was Demokratie nach Art. 4 unseres Grundgesetzes von 1949 bedeutet: „Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden“. Das Liebäugeln mit dem schwedischen Wehrdienstmodell war im Grunde die Hoffnung auf das eritreische Zwangsmodell, vor dem die dortigen jungen Männer und Frauen massenhaft zu uns fliehen, weil hier niemand zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden darf. Hier wird parlamentarische Demokratie zu einer direkten Demokratie wie in der Schweiz. Mag das Parlament sich von der Regierung in eine hysterische Putinangst treiben lassen, so haben doch alle jungen Menschen bei uns ein Vetorecht, wenn sie bemerken, dass ihre Freiheit durch ihren Zwangskriegsdienst mit möglicher Todesfolge verloren geht. Sie können das Grundgesetz genauer befolgen als eine Regierung, die gegen das Verbot der Vorbereitung eines Angriffskriegs in Art. 26 des Grundgesetzes verstößt, wenn sie eine Bundeswehr ausrüstet und im Rahmen der Nato Angriffskriege führt wie 1999 gegen Serbien. Sie können auch Art. 24 des Grundgesetzes ernst nehmen, der „zur Wahrung des Friedens“ ein „System gegenseitiger kollektiver Sicherheit“ vorsieht, bei dem die Sicherheit aller an einem Konflikt Beteiligten berücksichtigt wird. Das hat Putin 2001 im deutschen Bundestag vorgeschlagen und stehenden anhaltenden Beifall bekommen. Diesen Beifall bekam jetzt der kompromisslose Krieger Selenskyj. Nicht nur einige Abgeordnete am rechten und linken Rand des Bundestags , sondern alle jungen Deutschen können den Beifall verweigern und sagen: Wir verbitten uns die angebliche Verteidigung unserer Freiheit in einem sinnlosen Gemetzel wie im 1. Weltkrieg. Für unsere Freiheit müssen wir selbst sorgen durch eine Politik der Entspannung, der Abrüstung und der kollektiven Sicherheit. Das wäre dann wahrhafte Demokratie im Sinne der Präambel unseres Grundgesetzes, „dem Frieden der Welt zu dienen“.

Friedrich Gehring, Backnang

Kriegstüchtig mit „Wehrpflicht“

Eigentlich sollten wir Boris Pistorius dankbar sein für seinen uns eingegossenen reinen Wein: Denn mit seinem Beharren auf seiner Forderung nach „Kriegstüchtigkeit“ und der damit verbundenen Befähigung, „einen Verteidigungskrieg führen zu können“ – um darauf “,vorbereitet zu sein auf das Schlimmste‘“ – spricht er lediglich das aus, was die westlichen Befürworter – einschließlich Deutschland – weiterer Waffenlieferungen an die Ukraine, auch die Lieferung von Waffentechnik, die es ermöglicht, auch russische Stellungen im Bereich des Angriffskrieges gegen dieses Land zu erreichen, verharmlosend kleinreden: nämlich die Gefahr einer ungebremsten und nicht kontrollierbaren Eskalation bis hin zu einem möglichen „Dritten Weltkrieg“, u. U. auch atomar geführt. Herr Pistorius, was wäre denn „das Schlimmste“ in Ihren Augen? Warum wird dann seitens dieser Befürworter so getan, als seien alle, wirklich ALLE Konsequenzen und Reaktionen auf russischer Seite abseh- bzw. vorhersehbar, gleichsam 100%-ig einschätzbar, nach dem Motto: „Das wird schon nicht eintreten, uns wird schon nichts passieren“ und eine sich verselbständigende Eskalation wird ohne logische Beweisführung ausgeschlossen?
Auf der einen Seite wird ständig vor Putins „Marsch durch Europa“ gewarnt, auf der anderen Seite bedient man sich vager Hypothesen und unbelegbarer Annahmen! Aber wenn schon die jetzige – durchaus verständliche und angesichts der brutalen Aggression Russlands nachvollziehbare – Vorgehensweise via Aufrüstung der Ukraine unsererseits und seitens der weitere Waffenlieferungen bejahenden Länder als einzige Voraussetzung, als der einzig mögliche Weg für einen Sieg gegen Russland gesehen wird: Dann wird das Aufzeigen ALLER möglichen Konsequenzen ohne Umschweife zur Pflicht, nämlich das „Schlimmste“ beim Namen zu nennen.
Und dennoch: Der Begriff der Kriegs-“Tüchtigkeit“ ist und war aus meiner Sicht von Anfang an klar kriegsaffirmativ/ -treiberisch, zumindest kriegspropagandistisch konnotiert, hat einen ethisch-moralischen Paradigmenwechsel ausgelöst und erscheint gerade vor dem Hintergrund zunehmender Gewaltbereitschaft kontraindiziert und kontraproduktiv.
Mit dem Ziel, die Wehrpflicht wieder einzuführen, spricht Herr Pistorius die gleiche Sprache, stößt damit „ins gleiche Horn“ und ist damit logisch-konsequent.
Insofern bleibe ich meiner pazifistischen Grundeinstellung treu und lehne diesen Begriff ab. Denn mit Blick auf die Weltgeschichte hat es seit der Obaid-Zeit der Sumerer-Herrschaft keinen, aber auch keinen einzigen dauerhaften Frieden gegeben, dauerhaft im Sinne eines ewig bestehenden Friedens ohne jegliche Waffengewalt; und ihn kann und wird es auch nie geben, denn Gewaltbereitschaft und Aggression sind und waren von je her feste Bestandteile unseres Verhaltensrepertoires. Auch ich würde mein Gesicht meinem Angreifer gegenüber nicht ohne Verteidigung nochmals hinhalten…

Dieter Offermann, Darmstadt

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2 Kommentare zu “Marsch marsch, ihr jungen Männer!

  1. Über den Begriff „Kriegstüchtigkeit“ kann man ja durchaus geteilter Meinung sein; letztendlich läuft aber die Bezeichnung „Verteidigungsfähig“ auf das Gleiche hinaus.
    Und da durch den Angriffskrieg auf die Ukraine ungeachtet aller Erklärungsmuster eindeutig eine rote Linie überschritten wurde, wird man nicht umhin kommen für die Sicherheit in Europa auch bisher tabuisierte Maßnahmen zu ergreifen.
    Es ist auch nicht fair und solidarisch, sich dahingehend nur auf Länder wie Polen, Finnland und die baltischen Staaten zu verlassen und selber die Hände in den Schoß zu legen.
    Auch der Verfasser dieser Zeilen war seinerzeit bei den Friedensdemonstrationen dabei. Was allerdings 1984 richtig gewesen sein mag, muß deswegen für die Situation des Jahres 2024 noch lange nicht auch zutreffen.

  2. Den Versuch genügend Soldaten freiwillig zu bekommen sollte man auf jeden Fall machen. Sollte das nicht gelingen ist es wohl keine Frage das Verteidigungsfähigkeit hergestellt werden muss. Wenn man daran Zweifel hatte, wie ich auch, hat Putin sie beseitigt und man kann nur hoffen das er so großzügig ist mit einem Angriff zu warten bis wir soweit sind. Da ruhen meine Hoffnungen aber eher auf der Ukraine als auf Putin.

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