Die demokratische Linke muss Anstöße zum Umdenken geben

Hier kommt ein längerer Leserbrief von Klaus Philipp Mertens aus Frankfurt, den ich im Print-Leserforum nur stark gekürzt veröffentlichen konnte. Herr Mertens macht darin klar, dass er von der demokratischen Linken erwartet, sie möge sich endlich gegen den Rechtsruck der Bundesrepublik stemmen. Wie schon oft in solchen Fällen veröffentliche ich die Zuschrift hier ungekürzt als Gastbeitrag im FR-Blog.

Die demokratische Linke muss Anstöße zum Umdenken geben

Von Klaus-Philipp Mertens

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Der nicht zu leugnende Rechtsruck in der Gesellschaft, den die Linken sowie die Linken in SPD und Grünen beklagen, ist auch das Ergebnis ihrer eigenen Unentschlossenheit sowie fehlender klarer Standpunkte gegenüber relevanten Problemen.

So hat die SPD es geschafft, von 1998 bis 2017 ca. 45 Prozent ihrer Wähler zu verlieren und fragt sich nach wie vor, woran das liegen könnte. Erst als ihr letzter Kanzlerkandidat zaghaft eine bessere soziale Gerechtigkeit einforderte, gingen die Umfragewerte leicht nach oben. Doch als klar wurde, dass die Fetischisten der so genannten Mitte eine Neuorientierung nicht zulassen würden, falls diese zu Lasten von besonders Wohlhabenden und Reichen ginge, wanderte die Zustimmung wieder in den Keller.

Die Grünen hingegen stabilisierten sich bzw. verzeichneten leichte Zuwächse, mutmaßlich, weil sie die soziale Frage immer seltener stellen, neue Zielgruppen anpeilen (z.B. in schwarz-grünen Koalitionen) und die Ökologie mittlerweile der persönlichen Befindlichkeit zuordnen.

Die Linke findet ausgerechnet unter jenen, die dringend der sozialen Solidarität bedürfen, den geringsten Zuspruch. Und mangels zukunftsweisender Perspektiven gehen ihr allmählich auch die Intellektuellen verloren.

Alle demokratischen Parteien einschließlich ihrer linken Flügel zeigen sich der Herausforderung durch die Flüchtlingsproblematik nicht gewachsen. Dabei ist das Grundgesetz in dieser Frage eindeutig: „Politisch Verfolgte genießen Asyl“ lautet Artikel 16a, Absatz 1. Die nachfolgenden Absätze dieses Grundrechts regeln die Einreise aus Mitgliedstaaten der EU sowie aus gesetzlich zu definierenden sicheren Herkunftsländern bzw. betonen die Konvention zum Schutz der Menschenrechte, der sich die Bundesrepublik angeschlossen hat.

Die Aufnahme politisch Verfolgter wäre kein Problem für dieses Land. Weder ihre Anzahl noch ihre Gesinnung und Bildung würden es überfordern; ja, diese Menschen könnten sogar eine wichtige Quelle für erwünschte Zuwanderung sein.
Doch der Artikel 16a verkam zu einer Geschäftsidee der global operierenden Schlepperorganisationen. Jedem, der die Passage nach Europa zahlen kann, wurde und wird er als „Sesam öffne dich“ mit auf den lebensgefährlichen Weg gegeben. Folglich bitten Massen von völlig unpolitischen und mehrheitlich ungebildeten Menschen um Asyl in Deutschland, einem Land, das ihnen nahezu unbekannt ist. Das würde selbst einen Staat, der keine sozialen Verwerfungen aufwiese, überfordern.

In Deutschland geht die soziale Schere jedoch auseinander, was nicht zuletzt eine Folge der Schröderschen Deregulierungen ist. Der Anteil der im Wirtschaftsprozess trotz solider Ausbildung Überflüssigen wächst und ebenso wächst die Angst derer, die demnächst von strukturellen Veränderungen potenziell betroffenen sein könnten. In einer solchen Situation kommt es einem Hasardspiel gleich, wenn Zuwanderung nicht klar und – falls nötig – restriktiv geregelt wird. Der Normalbürger hat bereits mehrfach die Erfahrung gemacht, dass die Kosten für politische Fehlentscheidungen ihm aufgebürdet werden. Wer die diesbezüglichen Sorgen der Menschen ausblendet, legt die Hand an die Grundfesten der Demokratie und überlässt das Schicksal der Nation jenen, deren geistige Mütter und Väter für die größte Katastrophe in der Geschichte verantwortlich waren, auch wenn letztere im Sinn der angestrebten Deutungshoheit als „Vogelschiss“ bewertet wird.

Hier vermisse ich von Linken aus den genannten Parteien sowie den unabhängigen Linken, zu denen ich mich zähle, überzeugende Antworten und Lösungsansätze. Denn Humanität, die sich letztlich in Flüchtlingskasernen und in der lebenslangen Abhängigkeit von Transferleistungen manifestiert, ist zutiefst inhuman. Verantwortungsvoll wahrgenommene Humanität sollte vor allem bedeuten, die Lebensrechte dieser Menschen in ihrer jeweiligen Heimat entscheidend zu stärken. Dazu bedarf es sowohl massiven politischen Drucks auf die Machthaber in den Herkunftsländern (eine erste Maßnahme könnte die Beschlagnahme ihrer Konten und ihrer Luxuswohnungen in deutschen Großstädten sein) als auch einer drastischen Warnung an die multinationalen Unternehmen, die weiterhin auf die Rechtlosigkeit ihrer Arbeitssklaven in Kleinasien und Afrika setzen und die die Kriege in den Regionen als Kollateralschäden abtun.

Es wäre fatal für Deutschland, für Europa und die Welt, falls eine nicht zu Ende gedachte Humanität zum Ende von Demokratie, Rechtsstaat und friedlicher Nachbarschaft führte. Von der großen Koalition erwarte ich derzeit keine Umkehr. Die demokratische Linke müsste jetzt entscheidende Anstöße zu einem Umdenken geben. Hoffentlich überhört sie dieses Mal nicht die Signale.

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9 Kommentare zu “Die demokratische Linke muss Anstöße zum Umdenken geben

  1. Ungeachtet meiner recht guten Ausbildung gehöre ich inzwischen seit rund zwei Jahrzehnten den Überzähligen bzw. den Überflüssigen an. Mir bleibt angesichts dessen allein, geduldig abzuwarten, bis mein Leben zu Ende ist. Dennoch gibt es Zeitgenossen, denen auch das nicht schnell genug geht und die darauf drängen, dass mein Tod früher eintritt. Die Hoffnung von Herrn Mertens auf ein Umdenken, scheint mir deshalb naiv zu sein.

  2. Sehr geehrter Herr Mertens,

    vielen Dank! Folgendes möchte ich ergänzen:

    Die Öffnung der sozialen Schere wurde entscheidend gefördert durch die verheerenden Reformen Schröders. Rasch zeigte Lafontaine klare Kante und verabschiedete sich, was letztlich ein wesentlicher Beitrag zur Entstehung der LINKE war (zunächst WASG). Das dürfte die SPD etliche Parteibücher gekostet haben.

    Mittelbare weitere Folge waren wiederholt große Koalitionen, der Tod der Demokratie. Das bedeutet immer: es ändert sich nichts, und das hat der Wähler satt, wie sich in den Umfragen zeigt. Die AfD fand unterdessen für sich das Thema Rassismus (was sonst, auch dazu gibt es eine „Fliegenschiss“-Vorgeschichte), nur dürftig verbrämt. Sie punktet damit, denn den Leuten geht es schlecht, und wenn die Lösung aller Probleme so einfach ist, wie von der AfD dahergelogen, dann bringt das Stimmen.

    Denen rennen nun die schwarzbraunen Schwesterparteien hinterher und versuchen, die AfD rechts zu überholen. Was gar nicht klappen kann. Und was tut die SPD? Sie sitzt mit Ihnen in einem Boot. Selbst als CDU und CSU (das „C“ in den Bezeichnungen gehört schon längst gestrichen) sich auf einen „Kompromiss“ einigen, der das Überschreiten einer roten Linie der SPD für das Zustandekommen der großen Koalition darstellt, fangen sie wieder an zu diskutieren.

    Welchen besseren Zeitpunkt könnte es für die SPD geben, dieses unselige Bündnis zu kündigen? Natürlich würde sie bei Neuwahlen schlecht dastehen. Wenn sie sich jedoch weiter von CDU/CSU am Nasenring durch die Arena ziehen lassen, stehen sie vielleicht bald gar nicht mehr da. Unsere Demokratie braucht dringend wieder eine Opposition mit Menschen, für die Menschlichkeit und Gerechtigkeit keine Fremdwörter sind.

    Mit freundlichem Gruß!

    Rainer Stockmann

  3. @ Rainer Stockmann:

    In Ihren Ausführungen ist mit wenigen Sätzen die ganze Misere, in der wir uns zurzeit befinden, sehr gut dargelegt.

    Diese Wahrheiten sollte denen, die für die GroKo gestimmt haben, zu denken geben. Auch ich halte derzeit eine Aufkündigung dieser Koalition seitens der SPD für besser als weitere drei Jahre zu warten und die Alleingänge Seehofers, getrieben von der AfD, mit der Faust in der Hosentasche, aber ohne erkennbaren Widerstand, weiter zu ertragen.

    Aber, wie Sie schildern, würde die SPD zu einem späteren Zeitpunkt noch schlechter abschneiden, dann doch lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.

    Jedoch steht zu befürchten, dass die Parteispitze ihre Lage weiter beschönigt und deren Ernst einfach nicht wahrhaben will.

  4. Die SPD wird sich Vertrauen erarbeiten müssen. Das kann in der Regierung sogar leichter sein als in der Opposition. Mann müsste nur endlich anfangen das umzusetzen was vereinbart ist. Vielleicht sollte man auch aufhören Schröder als Hauptredner auf Parteitagen sprechen zu lassen. Es besteht aber die Gefahr das es zu spät ist und der Vertrauensverlust so groß ist das Arbeitnehmer immer mehr auf das hören was ihnen aus der rechten Ecke gesagt wird.

  5. Richtig, Hans, natürlich kann man sich Vertrauen in der Regierung erarbeiten. Z.B. indem man Wahlversprechen umsetzt anstatt das Gegenteil zu praktizieren.

    So geschehen damals bei der Mehrwertsteuererhöhung auf 19 %, während im Wahlkampf die von Merkel angekündigte Anhebung um weniger Prozentpunkte noch kritisiert wurde. Solche Beispiele lassen sich beliebig fortsetzen. Und die Wähler der SPD sind halt kritischer als die der konservativen Parteien.

    Leider liest niemand die Forderungen der Rechten nach niedrigeren Steuern oder Abschaffung der gesetzlichen Rente.

  6. Insofern Parteien an der politischen Willensbildung lediglich mitwirken dürfen, sie aber keinesfalls repräsentieren, trägt es wenig aus, unverdrossen danach zu fragen, was die SPD besser machen könnte und was die Union tunlichst unterlassen sollte oder Kritik an dem ungeheuren Frevel zu üben, dem die AfD derzeit frönt. Auf die Gefahr hin, dass Bronski meinen Leserkommentar wieder löscht, möchte ich in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass für gleich welche Willensbildung geistige Arbeit stets unverzichtbar ist. Welcher Geist dafür geeignet ist, kann nicht beliebig sein, weil sonst die Bildung eines Willens nicht solch immense Schwierigkeiten bereiten würde. Adorno etwa setzt erklärtermaßen alle seine Hoffnungen in eine geistige Verfassung des Einzelnen, die jegliche Norm unumkehrbar hinter sich gelassen hat, wie er in einem offenen Brief Horkheimer zu verstehen gibt. Angesichts des geflügelten Sprichworts „Normal ist leichter Schwachsinn“, dem sich insbesondere die ärztlichen Kollegen von Karl Jaspers unwidersprochen bedienten, als er noch kein Philosoph war, gebietet bereits die sittliche Vernunft als erinnerte Natur die Förderung einer Praxis, die ihn notwendig überwindet. Will man sich also nicht in einer Endlosschleife verfangen, die sich bloß darum dreht, welche Partei wählbar ist und welche nicht, käme es gegenwärtig darauf an, den längst aufgezeigten Ausweg zu beschreiten und Erzeugnisse geistig erbrachter Arbeitsleistungen angemessen zu würdigen, die allenthalben eine Dämonisierung erfahren und die zugunsten der inzwischen geradezu enthemmten Reproduktion leeren Geredes von weiten Teilen der Bevölkerung mitunter gewaltsam ausgegrenzt werden. Könnte darin innegehalten werden, wäre schon viel, wenn nicht alles gewonnen.

  7. zu @ Peter Boettel
    Leider liest niemand die Forderungen der Rechten nach niedrigeren Steuern oder Abschaffung der gesetzlichen Rente.
    Leider gab es auf dem letzten Parteitag der AFD vor ein paar Wochen auch andere Stimmen. Man will zu den Landtagswahlen 2019 in der Ex DDR die soziale Frage aufgreifen mit dem Ziel stärkste Partei zu werden und einen Ministerpräsidenten zu stellen. In diesen Bundesländern würde ich das nicht als völlig aussichtslos ansehen. Außerdem müsste man , wenn diese Vorgehensweise funktioniert, von einem Totalversagen der linken Bewegungen in den letzten 20 Jahren reden.

  8. Heute wurden Zahlen veröffentlicht bei denen man eigentlich schon das Totalversagen der Linken in D. unterstellen kann. Besonders wenn man weiß das die Durchschnittsrente in Österreich 800 Euro im Monat höher ist als in D. Was für ein Potential das die AFD nur abschöpfen muss. Wie will diesen Menschen gegenüber, die diese Leistung empfangen dürfen, die Linke eigentlich argumentieren? http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/rente-fast-jede-zweite-rente-liegt-unter-800-euro-drohende-altersarmut-a-1218004.html

  9. Man mag ja geteilter Meinung sein, ob die progressiven Kräfte noch zu nennenswerten Leistungen imstande sind, oder man kann gar wie hans von einem vermeintlichen Totalversagen der politischen Linken sprechen. Die richtigen Fragen indes stellen immer noch die Vertreter der fortgeschrittensten Erkenntnis. So fordert beispielsweise Marcuse schon vor rund achtzig Jahren eine Antwort auf das grundlegende Problem ein: „Wie aber, wenn die von der Theorie vorgezeichnete Entwicklung nicht eintritt, wenn die Kräfte, die den Umschlag herbeiführen sollten, zurückgedrängt werden und zu unterliegen scheinen?“ (in: Zeitschrift für Sozialforschung VI/3, Paris, 1937, S. 636). Dass sich damit kaum noch wer auseinandersetzen will, macht die Sache deshalb keineswegs hinfällig.

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