Herzlich willkommen zum
Postfach vom 26. Oktober 2016

Ich bringe hier Leserbriefe, für die ich im Print-Leserforum keinen Platz gefunden habe. Mehr über die Hintergründe? –> HIER.  Anfangs wie immer ein kleiner Überblick.

  • In Deutschland gibt es 1500 verheiratete Minderjährige. Davon seien 361 sogar jünger als 14 Jahre. Das meldetet die FR im September und schrieb dabei von „Kinderehen“. Das sei doch etwas holzschnitthaft, findet Regina Neumann aus Marburg: „Die komplexe Gemengelage mit dem Holzhammer zu lösen, wird der Sache nicht gerecht.“
  • Eine  komplexe Gemengelage anderer Natur  besteht im Nahen Osten. „Mögen diejenigen das Feuer austreten, die es entzündet haben“, schreibt Otfried Schrot aus Ronnenberg und fordert den Rückzug der deutschen Soldaten, die im türkischen Incirlik stationiert sind.
  • Henning Kaufmann aus Frankfurt findet, dass „viele Politiker gleichsam ‚Priester‘ der Automobil-Industrie“ seien und darum strengere Abgasnormen verhindern würden.
  • Außerdem gibt es im neuen Postfach Leserbriefe von Brigitta von Bülow aus Köln, Jürgen E. Aha aus Glashütten und Sigurd Schmidt aus Bad Homburg zur Frage, wie es mit den Städtischen Bühnen in Frankfurt weitergehen könnte.
  • Und Robert Maxeiner aus Frankfurt stellt zum Thema Kinderarmut in Deutschland fest: „Kinderarmut in diesem Umfang in einem so reichen Land wie Deutschland wird zu Recht als Skandal bezeichnet.“

Und nun geht’s los!

fr-balkenNicht mit dem Holzhammer!

Zu: „Kinderehen in Deutschland: 361 Verheiratete unter 14 Jahren„, FR-online vom 9.9.2016, und „Immer mehr Mädchen werden als Kinder zwangsverheiratet„, FR-online vom 11.10.2016

„Mir scheint die Problembeschreibung doch etwas holzschnitthaft, deshalb einige Feststellungen und Fragen.14-Jährige sind keine Kinder, sondern Jugendliche. Sie sind z. B. religionsmündig. 16-Jährige dürfen wählen. Eine Wahl ist für ihre Zukunft ebenso bedeutsam wie eine Ehe – oder etwa nicht? Andererseits: Ehen können auch wieder geschieden werden, zumindest juristisch, wenn die Betroffenen es wollen (und nicht „wir“).
Wie viele Ehen von deutschen 16-Jährigen gibt es eigentlich? Warum erlaubt man in dem geschilderten Fall nicht dem volljährigen Ehemann die Vormundschaft? Das entspricht ja auch der Intention der Eltern. Nach deutschem Recht kann eine Minderjährige einem bestimmten Vormund widersprechen. Warum darf das die Syrerin nicht? Und wenn die Ehe nicht anerkannt wird: Warum darf sie nicht – wie deutsche Mädchen – mit ihrem Cousin zusammenleben, solange sie will? Wenn Ehen Minderjähriger mit Kindern zwangsweise getrennt werden, nimmt man da nicht auch den Kindern den Vater?  Auch in Deutschland soll es ja prügelnde Ehemänner geben und Frauen, die in ihrer Ehe kreuzunglücklich sind. Das ist kein Alleinstellungsmerkmal „rückständiger“ Länder.
Werden auch Ehen von USA-Bürgern (in etlichen Staaten liegt die Ehemündigkeit weit unter 18 Jahren, wenn die Eltern zustimmen) nicht anerkannt? Ist auch geplant, langjährige Ehen von Zuwanderern, die von damals Minderjährigen geschlossen wurden, nicht anzuerkennen? Wenn das Jugendamt alle sexuellen Beziehungen minderjähriger Mädchen in Deutschland mit Erwachsenen über 21 Jahren auf ihre Zulässigkeit prüfen würde, hätte es viel zu tun.
Fazit: Ja, es gibt Zwangsehen, sehr frühe Ehen, Ausnutzung der Notlage einer Familie im Flüchtlingslager, „Kauf“ von Frauen. Sicher ist das Menschenhandel. Aber wäre in diesen Zwanglagen die Alternative, Prostitution, besser? Auch mir wäre es lieber, die Welt wäre besser. Aber die komplexe Gemengelage mit dem Holzhammer zu lösen, wird der Sache nicht gerecht. Eine Erziehungsdiktatur hat noch nie zu Freiheit geführt.

Regina Neumann,  Marburg

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Der nahöstliche Wahnsinn

Syrien: „Gemetzel mit barbarischer Präzision„,FR-online vom 27. September 2016
„Für den europäischen Betrachter wird die Lage im Nahen Osten immer unübersichtlicher. Der Islamische Staat und Präsident Assad setzen Giftgas ein. Die USA kämpfen gegen den Islamischen Staat und unterstützen die Kurden. Russland unterstützt Präsident Assad und kämpft gegen den Islamischen Staat. Herr Erdogan kämpft gegen den Islamischen Staat und gegen die Kurden, weil die, was ihr gutes Recht ist, immer noch von einem selbständigen Staat Kurdistan träumen. Damit schwächt er wiederum die Kurden, was den Sieg über den Islamischen Staat verzögert. Der Weltsicherheit degradiert sich selbst zur „Gurkentruppe“ weil er durch den Dauerstreit zwischen Russland und China einerseits und den USA andererseits keine tragfähige politische Lösung für den Nahen Osten zustande bringt. So setzt sich der Verschleiß von Menschen und Material zur grenzenlosen Freude der internationalen Rüstungsindustrie, deren Chefs an sicheren Orten sitzen, wo keine Bomben fallen, bis in alle Ewigkeit fort. Niemand zählt die Toten, die Assads Fassbomben mit dem Segen Putins produziert haben. Die Kurden sind dem Westen gut genug, um den Islamischen Staat zu vernichten, das Streben der Kurden nach einem eigenen Staat wird aber zum einen durch die Deklaration der PKK zur Terrororganisation durch die EU hintertrieben, zum anderen durch die Aufforderung Vizepräsident Bidens anlässlich seines Besuches in Ankara, die kurdischen Kämpfer dürften den Euphrat nicht in Richtung Westen überschreiten. Erst haben Großbritannien und Frankreich nach dem Ende des Ersten Weltkrieges die Araber mit dem Sykes-Picot-Abkommen um einen eigenen arabischen Staat betrogen, nunmehr sollen die Kurden erneut um einen eigenen Staat betrogen werden. Inmitten dieser Spannungen harrt ein deutsches Luftwaffenkommando auf dem Flugplatz Incirlik aus, das den IS bekämpft, aber vom Gastgeber Erdogan mit der Freundlichkeit eines Besuchsverbotes deutscher Bundestagsabgeordneter bedacht wird. Wir Deutschen sollten uns darauf besinnen, aus welchem Grunde wir ursprünglich einmal der NATO beigetreten sind. Der „Islamische Staat“ ist das Produkt westlicher Kriegführung im Nahen Osten, an der Deutschland – dank sei Gerhard Schröder – keinen Anteil hatte. Mögen diejenigen das Feuer austreten, die es entzündet haben. Mit dem zusätzlichen Blick auf die Unverschämtheiten des Herrn Erdogan ist der Rückzug des deutschen Kommandos von Incirlik geradezu überfällig.“

Otfried Schrot, Ronnenberg

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Priester der Automobil-Industrie

Auto-Industrie: „Klage gegen VW„, FR-online vom 16. September 2016

„Es gibt Mehrheitsmeinungen, die geradezu religiöse Züge haben; dazu gehört der Waffenbesitz in den USA und die „freie Fahrt für freie Bürger“ also der bewusste Verzicht von Tempolimit auf deutschen Autobahnen. So sind denn auch viele Politiker gleichsam „Priester“ der Automobil-Industrie, für die es als Todsünde gilt, die Auto-Industrie in die Schranken zu weisen. Wie denn auch, wenn die Ministerpräsidenten von einigen Bundesländern allein durch ihr Amt im Aufsichtsrat der großen Autohersteller sitzen und damit Lobbyisten sind: In Baden-Württemberg geht es um Mercedes, Bosch, Porsche, in Hessen um Opel, in Nordrhein-Westfalen um Ford, in Bayern um BMW und Audi oder in Niedersachsen um VW.
Nicht nur VW und Opel fälschen Abgaswerte zum Teil um das Zehnfache und belasten damit die Umwelt und die Gesundheit der Menschen, sondern die zu erwartenden Strafzahlungen werden um willkommenen Anlass genommen, Mitarbeiter in Kurzarbeit zu schicken oder ganz zu entlassen.
Gesundheit, Kurzarbeit und Entlassung belasten aber nicht nur die betroffenen Familien sondern belasten auch unser Sozialsystem – und dabei geht es wahrhaftig nicht um „peanuts“, wenn man die wirtschaftlichen Verluste durch Stau und unfallbedingte Kosten hinzurechnet: Krankheit, Invalidität, Tod. Was aber tun die Politiker in Land und Bund? Sie sind Erfüllungsgehilfen der Auto-Industrie und verhindern strengere Abgasnormen in der EU und überziehen Europa mit einer Blechlawine ungeahnten Ausmaßes einschließlich ungebremst wachsender Prognose und profilieren sich durch professionelles Wegschauen. Das Stichwort „Sicherheit der Arbeitsplätze“ muss dann für alles Mögliche herhalten und gleichzeitig der Hinweis, gerade der oben bezeichneten Ministerpräsidenten, dass die Flüchtlinge genauestens untersucht werden müssen, damit sie nicht unrechtmäßig unser Sozialsystem plündern.
Nun zeigt sich seit einigen Wochen, dass die Autobauer selbst es sind, die die Arbeitsplätze gefährden, die Gemeindefinanzen belasten und damit letztendlich das Sozialsystem plündern. Das hindert unsere Politiker allerdings nicht, sich bei der Industrie schon mal rechtzeitig die nach-ministerielle Hängematte auszupolstern.“

Henning Kaufmann, Frankfurt

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Städtische Bühnen:

Gebäudliche Narrative

Frankfurt: „Denkmalschutz für Bühnen„, FR-online vom 29. August

„Die gesamte Welt baut imposante neue Konzert-, Opern- und Theaterhäuser. Darin kulminiert ein jeweiliger regionaler oder gesamtnationaler Kulturanspruch sui generis. Ob Oslo, Kopenhagen, Stettin oder jetzt auch noch Paris, eine Nation braucht gebäudliche Narrative für die eigene Identität. Die Architektenzunft – in sich gespalten – spielt bei diesen Konzeptionsfragen leider nicht immer eine glückliche Rolle. Da sagt man dann gerne: Alles Geschichtsvergessenheit, alte Fassaden wieder herzustellen. Aber letztlich hat doch der Bürger das Sagen, in welcher Architekturumgebung er denn leben möchte!“

Sigurd Schmidt, Bad Homburg

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Der Herr beschimpft eigentlich jeden

Zu: „Frankfurt hat mir die schönste Bühne geboten“, FR-online vom 5. September 2019

„Das Interview mit Herrn Schauspielintendant Reese hinterlässt tiefes Befremden. Der Herr beschimpft eigentlich jeden in der Stadt, den man nur treffen kann: Die FR, weil sie Fakten „zu früh“ veröffentlichte und die Frankfurter, die beim Schauspielhaus-Neubau in „selbsternannten Bürgerinitiativen“ mitreden wollen. Die in einem großen Frankfurter Stadtkonsens entwickelte Altstadt verunglimpft er als „Disneyworld“, das alte Polizeipräsidium als „scheußliche Adresse“ und überhaupt empfand er Honeckers Palast der Rebublik in Berlin als „gelungene Architektur“. Ist das unsere Kultur-Elite?“

Jürgen E. Aha, Glashütten

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Optimierung von Bauen und Sanieren

Zu: „Abriss wäre Barbarei„, FR-online vom 1. August 2016

„Ich möchte anmerken, dass der Artikel die Kölner Situation doch nicht ganz sachgerecht darstellt. Als Kulturpolitische Sprecherin der Grüne im Rat der Stadt Köln habe ich den Prozess der Sanierung des Opernquartiers von Beginn an bis heute intensiv begleitet und war auch an den entsprechenden Entscheidungen maßgeblich beteiligt. Die Entscheidungsfindung in Köln, ob das Schauspielhaus neu gebaut wird oder saniert, hat einen langen Weg genommen. Niemand hat sich die Entscheidung leicht gemacht. Voraussetzung für eine verantwortbare Entscheidung waren denn in Köln auch entsprechende in Auftrag gebene Machbarkeitsstudien – anders als das Ihr Artikel benennt. Die großen Probleme und Schwierigkeiten im Zshg mit der Sanierung jetzt haben nichts damit zu tun, dass es vorab keine Studien dieser Art gegeben habe. Die Gründe dafür sind an anderen Stellen zu suchen und müssen auch gesucht und gefunden werden – nicht nur im Hinblick auf die Kölner Baumaßnahmen, sondern auch im Hinblick auf eine Optimierung des Bauens und Sanierens in öffentlicher Trägerschaft.“

Brigitta von Bülow, Köln

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Die Politik muss dringend eingreifen

Kinderarmut: „Beeinträchtigt für das ganze Leben“, FR-online vom 12. September 2016

„Kinderarmut in diesem Umfang in einem so reichen Land wie Deutschland wird zu Recht als Skandal bezeichnet. Die Politik muss dringend eingreifen. In Deutschland leben überdurchschnittlich viele Reiche, und es herrscht ein Finanzmarkt, der zumindest indirekt erheblich zur Armut dieser Kinder beiträgt. Folglich sollten politisch Verantwortliche dafür sorgen, ihren Einfluss und ihre Entscheidungsmöglichkeiten nicht weiter durch Abkommen wie Ceta und TTIP zu schwächen, die eine konzernorientierte Paralleljustiz ermöglichen, damit sie diese Kinder wirklich unterstützen können. Ja, dies ist vom Grundsatz her eine schwere Aufgabe, vor der Oskar Lafontaine damals als Superminister in einer Nacht- und Nebelaktion resigniert geflüchtet ist. Ich erwähne dies deshalb, weil ich es für dringend geraten halte, dass die politischen Entscheidungsträger sich diese demokratisch legitimierte Entscheidungsmacht zurückholen, zum Beispiel, um von denen mehr Steuern erheben zu können, die hohe Gewinne erzielen. Sonst brauchen wir uns nicht mehr zu wundern, wenn es ausgerechnet in Ländern mit vielen Reichen besonders viele Arme gibt, und es „natürlich“ immer die finanziell Schwachen am härtesten trifft.“

Robert Maxeiner, Frankfurt

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2 Kommentare zu “Postfach: Nicht mit dem Holzhammer!

  1. Zum Thema Auflösung von „Kinderehen“

    Das Problem der minderjährigen Ehefrauen unter den Flüchtlingen ist in der Tat nicht leicht zu lösen. Allerdings vermengt Regina Neumann da einiges, was nicht zusammengehört.
    Die Eltern einer Sechzehnjährigen können dieser in Deutschland die Erlaubnis zur Heirat erteilen, wenn die Tochter das unbedingt möchte, während die Kinderbräute in den Herkunftsländern der Flüchtlinge doch fast immer auf Wunsch der Eltern und gegen ihren eigenen Willen verheiratet werden. Das nenne ich Beihilfe zu Vergewaltigung und Kindesmissbrauch. Und wenn viele Ehen in Deutschland unglücklich sind und scheitern, so doch kaum aus dem Grund, weil der Ehefrau ein Mann aufgezwungen wurde. Und wie kommt Frau Neumann darauf, dass die einzige Alternative zur Ehe für diese Mädchen in der Prostitution (dem erzwungenen Geschlechtsverkehrs mit mehreren statt „nur“ mit dem Ehemann) bestehe?
    Das Problem besteht eben darin, dass man von außen schwer beurteilen kann, ob eine solche jungen Ehefrau ihren Mann tatsächlich liebt, ob sie ihn als Stütze in der beängstigenden Fremde erlebt und deshalb bei ihm bleiben möchte oder ob sie ihn verabscheut, dies aber nicht zu sagen wagt, weil sie nichts anderes kennt als das Objekt der Wünsche anderer zu sein.

  2. Ich stimme Brigitte Ernst zu: Man kann von außen schwer beurteilen, ob die junge Frau ihren Mann liebt. Ebenso aber wissen wir auch nicht, ob die jungen Frauen gegen ihren Willen verheiratet wurden. Mich stört an der gesamten Diskussion, dass unsere Maßstäbe an gänzlich andere Verhältnisse gelegt werden. Dass z. B. die jungen Frauen nicht zur Schule gehen können, hat ja wohl in erster Linie mit den Kriegen zu tun und nicht mit Heirat.

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