Postfach: Politisches Asyl soll zur Disposition gestellt werden

Willkommen zum Postfach
vom 23. Februar 2017

Wieder sind Leserbriefe liegen geblieben, für die ich im Print-Leserforum keinen Platz gefunden habe. Also ab mit ihnen ins „Postfach“ hier im FR-Blog. (Mehr über die Hintergründe –> HIER.) Zuerst wie immer ein kleiner Überblick:

  • „Die AfD möchte ihr unliebsame Grundrechte wie das auf politisches Asyl zur Disposition stellen“, schreibt Klaus Philipp Mertens aus Frankfurt zum Auftakt des neuen Postfachs. Sie „plädiert statt eines Grundrechts auf Asyl für ein Gnadenrecht“.
  • Und die Arbeiterklasse – steht die auch zur Disposition? Jürgen Malyssek aus Wiesbaden macht sich auf die Suche nach ihr und kommt zu dem Schluss, „dass gesellschaftliche Ungleichheit sich durch mehr auszeichnet als durch das Merkmal, abgehängt zu sein.“ Es gibt wohl so etwas wie eine neue Klassengesellschaft.
  • „Neu gegenüber den Analysen von Karl Marx ist, dass wir es beim heutigen Kapitalismus mit einer chronischen Überakkumulation von Kapital zu tun haben“, schreibt Klaus Arnecke aus Gelsenkirchen.
  • Nicht nur vor diesem Hintergrund, sondern auch vor dem des Zustandes der EU findet Sigurd Schmidt aus Bad Homburg es ärgerlich, „dass es auf wirtschaftspolitischem Gebiet zwischen Paris und Berlin keine offene Diskussion gibt.“
    Da tut es ganz gut, mal von etwas völlig anderem zu sprechen, zum Beispiel von Stadtplanung. Konrad Mohrmann aus Frankfurt rät seiner Stadt, endlich den Mythos von der „Freien Reichsstadt“ aufzugeben.
  • Stadtplaner-Kollege Oskar Voigt aus Frankfurt fragt sich: „Wohnungen werden dringend gebraucht. Aber was wird es werden, Luxuswohnungen?“ Dies alles auffrblog.de/postfach-23022017

Reden Sie mit! Los geht’s!

fr-balkenPolitisches Asyl soll zur Disposition gestellt werden

Zu: „Frauke Petry will das Recht auf Asyl abschaffen“, FR-Politik vom 26.JAnuar

Die Vorsitzende der AfD, Frauke Petry, möchte ein Grundrecht abschaffen, nämlich Artikel 16a, Absatz 1 des Grundgesetzes. Der lautet: ‚Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.‘ Diese Bestimmung ist Bestandteil des so genannten Grundrechtekatalogs (Artikel 1 – 19 GG), der als unveräußerlich gilt, soweit er nicht von vornherein gesetzliche Einschränkungen beinhaltet, die sich aus der Sozialgebundenheit von Freiheitsrechten ergeben. Aber selbst Rechte, die solchen immanenten Schranken unterworfen sind, können nicht beliebig verändert werden, sondern immer nur im Rahmen ihres Wesensgehalts (siehe Artikel 79, Absatz 3). Denn die Leitidee der deutschen Verfassung ist ihr Artikel 1: ‚Die Würde des Menschen ist unantastbar‘.
Frau Petry plädiert statt eines Grundrechts auf Asyl für ein Gnadenrecht, das lediglich einigen Wenigen gewährt werden soll. Ihre Begründung dafür ist so abstrus wie das gesamte Programm dieser Partei. Beide basieren auf Geschichtsklitterung, Rassismus und Verherrlichung des Obrigkeitsstaats. Ähnlich wie ihr Vorbild Donald Trump stellt sie Menschenrechte infrage, die während der letzten 240 Jahre (gerechnet seit der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung) autoritären Regimen abgetrotzt wurden.
Die von Petry bewusst falsch ausgelegten Intentionen der Mitglieder des Parlamentarischen Rats bestanden in der Überzeugung, eine deutsche Verfassung zu schaffen, die ausdrücklich auf unveräußerlichen Grundrechten fußt und sich dadurch insbesondere vom nationalsozialistischen Unrechtsstaat unterscheidet. Folglich verstehen sich die Grundrechte als Abwehrrechte des Einzelnen gegen hoheitliche Ansprüche, bestimmen aber auch die Rechtsverhältnisse zwischen Personen.
Die AfD möchte ihr besonders unliebsame Grundrechte wie das auf politisches Asyl zur Disposition stellen und leitet dieses Begehren ausgerechnet aus der Entstehungsgeschichte unserer Verfassung ab, die dazu jedoch keinerlei Anhaltspunkte bietet. Denn wenn es eine Schlussfolgerung aus der Arbeit des Parlamentarischen Rats gibt, dann doch diese, dass für Parteien wie die AfD kein Platz im demokratisch verfassten Staat sein darf.

Klaus Philipp Mertens, Frankfurt

fr-balkenAlte und neue Klassengesellschaft

Zu: „Keine Rückkehr zum Ressentiment„, FR-Feuilleton vom 3. Februar (Achtung, pdf-Dokument)

„In ihrem Beitrag macht F.R. Garzón nochmals aufmerksam auf die Debatte, die Didier Eribon mit seinem Buch „Rückkehr nach Reims“ in Frankreich und auch in Deutschland angestoßen hat: Die Wiederbeschäftigung mit der Arbeiterklasse und den inzwischen Abgehängten, die allerdings hier mit weiteren Überlegungen und Differenzierungen bedacht werden müssen. Ausgangspunkt ist, wie bei der auch hier im Leserforum geführten Diskussion, die Spaltung der Gesellschaft, der Verlust einer Linken, die früher noch wie selbstverständlich wählbar für die Arbeiterklasse war sowie das Abwandern der vielen enttäuschten Bürger (nicht nur der Arbeiter und Angestellten) in das Lager der Rechtsparteien, sprich: Front National und AfD. Und hier weist Fabiola R. Garzón mit Blick auf die Aussagen von Didier Eribon und auch Olivier Nachtwey („Die Abstiegsgesellschaft“) hin, dass wir zwar fast überraschenderweise mit dem Wiederaufleben fast verloren gegangener Begriffe wie Klasse und Klassenkampf zu tun haben, aber auf der Suche nach der verloren gegangenen Arbeiterklasse und dem Kampf gegen Ungleichheit aufpassen müssen, nicht in eine neue Denkfalle zu stoßen. Nämlich die Fokussierung auf die Ausgrenzung einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe, die deswegen als beweinenswert gilt, weil „weiße Armut“ etwas Unnatürliches an sich hat. Und was ist heute noch unter dem Begriff Arbeiterklasse zu verstehen?
Hier bringt Garzón den Gedanken von Eribon ins Spiel, der dafür plädiert, „dass soziale Klassen wieder in einen linken Diskurs aufgenommen werden, jedoch nur um eine gesellschaftliche Beziehung zwischen Herrschenden und Beherrschten benennen zu können, nicht um eine rassistische oder homophobe Klasse aufleben zu lassen“. Denn so schreibt Garzón: „Eribons Arbeiterklasse, die den Front National wählt, ist vor allem eines, rassistisch und homophob und lebt in der deindustrialisierten Peripherie.“ Sie weist aus der Lektüre Eribon’s auf die Widersprüche des Kampfes gegen Ungleichheit hin, durch die fehlende Differenzierung bei der Klassifizierung gesellschaftlicher Ungleichheit, wenn das Merkmal des Abgehängtseins, der Prekarisierung allgegenwärtige andere Machtbezüge außer Acht lässt, die Verhältnisse produzieren, die von Ungleichheit gekennzeichnet sind. Auch festmachend an den Unterschieden zwischen der akademischen Prekarisierung (junge Akademiker verfügen dennoch über soziale Netzwerke) und die der Arbeiterklasse (hier das Fehlen von sozialem und kulturellem Kapital).
Garzón und Eribon zeigen auf, dass gesellschaftliche Ungleichheit sich durch mehr auszeichnet als durch das Merkmal abgehängt zu sein.
Die bürgerlich orientierte Linke aus meist urbanen Verhältnissen, sollte sich hüten, unreflektiert, sich als Sprachrohr der Verarmten (meist aus außerstädtischen Randgebieten) aufzuspielen, wenn sie deren Lebensrealität längst aus den Augen verloren hat. Es könnte dann nämlich so aussehen, als würde man mit derartigen Einsatz sich das eigene schlechte Gewissen über die politischen Fehler der letzten Jahrzehnte auszutreiben versuchen.
Damit sind auch die Sozialdemokraten und die Linken in Deutschland angesprochen.
F.R. Garzón liefert eine nützliche Zusammenfassung und Ergänzung der bisherigen Diskussion zur alten und neuen Klassengesellschaft und den Gefahren tief verwurzelter Ressentiments.“

Jürgen Malyssek, Wiesbaden

fr-balkenChronische Überakkumulation von Kapital

Zu: „Ich stehe quasi auf Marx‘ Schultern„, FR-Wirtschaft vom 21./22. Januar 2017 (Achtung, pdf-Dokument)

„Der Wirtschaftshistoriker Thomas Kuczinski äußert im Interview mit der FR, dass sein Denken »ein auf Marx basierendes« ist, er stehe »quasi auf seinen Schultern.« Das ist ein sehr hoher Anspruch. Marx‘ wissenschaftliche Arbeit war von seiner gemeinsam mit Friedrich Engels entwickelten dialektisch-materialistischen Erkenntnistheorie geprägt. Der zufolge gibt es wohl allgemeingültige, für einen bestimmten historischen Zeitraum zutreffende Wahrheiten, nicht jedoch endgültige, weil die Wirklichkeit von Natur und Gesellschaft in stetiger Entwicklung und Veränderung begriffen ist. Das gilt auch für die kapitalistische Produktionsweise. Wer sich allein auf Marx bezieht, wird also nicht imstande sein, die Phänomene der heutigen Entwicklungsstufe des Kapitalismus mit seinen globalen Übermonopolen und einem alles beherrschenden internationalen Finanzkapital erschöpfend zu erklären.  Hier hat Herr Kuczynski zweifellos Recht. Um auf Marx Schultern zu stehen und zutreffende Prognosen für die heutige Zeit zu erstellen, muss man aber seine Theorie der politischen Ökonomie des Kapitalismus auf die heutigen Verhältnisse anwenden und durch die Erkenntnis neuer gesetzmäßiger Zusammenhänge weiterentwickeln. Hier offenbart Herr Kuczynski allerdings Schwächen, wenn er sich zu der Frage äußert, ob ein großer »Akkumulationsschub« bevorsteht oder nicht. Seiner Ansicht nach bedarf es dazu eines »echten technologischen Fortschritt(s), der zu einem neuen, lang anhaltenden Wachstumsschub führen könnte«. Ein solcher Wachstumsschub, gemessen an der globalen Größe des bereits akkumulierten Kapitals, könnte aber nur durch die Ausdehnung des Kapitals auf neue Gebiete, durch Erweiterung der Produktion, durch eine sprunghafte Vergrößerung der Zahl ausgebeuteter Arbeiter und/oder eine erhebliche Ausdehnung der Arbeitszeit entstehen. Dem steht die Tatsache stagnierender Absatzmärkte entgegen. Im Gegensatz zu dem von Marx so bezeichneten »absoluten Mehrwert« hat die Vergrößerung des »relativen Mehrwerts«, welche maßgeblich das Ergebnis von technischem Fortschritt ist, Grenzen, die in der organischen Zusammensetzung des Kapitals begründet liegen. Rationalisierungsschübe, etwa durch »Industrie 4,0«, würden diesen Widerspruch nur verschärfen. Neu gegenüber den Analysen von Karl Marx ist, dass wir es beim heutigen Kapitalismus mit einer chronischen Überakkumulation von Kapital zu tun haben. Das kommt sehr deutlich darin zum Ausdruck, dass das Wachstum der Umsätze, durch die schließlich der Mehrwert realisiert wird, immer mehr hinter dem Wachstum des Bilanzkapitals zurückbleibt. So stieg der jährliche Umsatz der 500 größten Übermonopole zwischen 1995 und 2013 von 11,4 auf 31 Billionen US-Dollar, also auf knapp das dreifache. Das Gesamtkapital jedoch vervierfachte sich in diesem Zeitraum nahezu von 32,1 auf 123,4 Billionen US-Dollar. Das ist ein Ergebnis der gigantischen Aufblähung des Kapitals durch Spekulation. Zu der von Marx analysierten zyklischen Überproduktionskrise, die letzte wurde 2008 ausgelöst, ist schon seit den 1990er Jahren eine chronische internationale Strukturkrise neu hinzugekommen, in der das Kapital permanent und relativ kontrolliert vernichtet wird. Zwischen 2008 und 2014 betrug die Abschreibung allein in Deutschland 3,33 Billionen US-Dollar, davon war ein großer Teil Kapitalvernichtung. Diese Tatsachen machen einen lang anhaltenden Wachstumsschub heute und in Zukunft unmöglich. Zu dieser Einsicht hat mir die ausgezeichnete marxistische Analyse von Stefan Engel in seinem 2003 erschienenen Buch »Götterdämmerung über der ‚neuen Weltordnung‘« verholfen – ein Buch, dass auch die Leser der FR interessieren könnte.

Klaus Arnecke, Gelsenkirchen

fr-balkenKeine offene Diskussion zwischen Paris und Berlin

Mèlenchon: „Wir suchen die Kraftprobe„, FR-Politik vom 14.1., und „Demagogisches Talent„, FR-Leserforum vom 19. Februar (Achtung, pdf-Dokument)

„Der Leserbrief von Thomas Ollig , Frankfurt a.M., zu den wirklichen Ansichten von Jean-Luc Mélenchon trifft die Dinge, wie sie sind. Es gibt ein offiziöses Frankreich, das sich jeder Anzüglichkeiten gegenüber dem Nachbarn ° d“outre Rhin ° eisern enthält. Dann gibt es aber Personen, wie beispielsweise Christine Lagarde, Chefin des IWF, die dabei bleibt, daß die Bundesrepublik mit ihren Exporten die Kaufkraft anderer Länder rücksichtslos abschöpfe.
Viele französische Bürger, vor allem in wirtschaftlich abgehängten Teilen der tiefen Provinz des Hexagons, verstehen nicht, wieso es möglich ist, dass Deutschland zwei Weltkriege verloren hat und jetzt wirtschaftlich deutlich besser als andere Volkswirtschaften dasteht. Was unsere lateinischen Nachbarn leider gar nicht erkennen wollen, ist, dass die Bundesrepublik mit ihrer Unzahl von Orchestern, Museen und sonstigen musisch-ästhetischen Einrichtungen eine der wichtigsten Kulturnationen der Welt ist. Deutschland wird nur über seinen Exporterfolg wahrgenommen. Man sagt vielmehr: Eigene authentische Kultur habe Deutschland ein für alle Male durch das Hyperverbrechen des Holocaust verwirkt. Aber: Nur die Geschichte befindet darüber, wann ein Volk als Kollektiv seine Sünden eingesehen und ggf. verbüßt hat.
Ärgerlich ist, dass es auf wirtschaftspolitischem Gebiet zwischen Paris und Berlin keine offene Diskussion gibt. Paris sagt: Berlin verordne der gesamten EU Austerität, also Enthaltsamkeit. Berlin sagt wiederum: Auch der Staat kann auf Dauer nicht nur Schulden machen. Ungeachtet des Brexit, der eigentlich eine Beschleunigung des übrigen Europa-Prozesses nahe legen würde, sind heute leider die Zeichen in Europa nicht auf geistige Solidarität im Sinne gesamteuropäischer Überzeugungen gestellt. Dies hat mit dem Besitzstandsdenken in den einzelnen nationalen EU-Mitgliedsstaaten zu tun. Zu unkritisch etwa: Eine gemeinsame französisch-deutsche Republik anzustreben, spricht nicht von überaus scharfer Analyse der wahren Gegebenheiten.“

Sigurd Schmidt, Bad Homburg

fr-balkenGebt den Mythos von der „Freien Reichsstadt“ auf!

Zu: „Modelle für eine wachsende Stadt„, FR-Regional vom 24.11.2016 (Achtung, pdf-Dokument)

„In Deutschland gibt es 11 Europäische Metropolenregionen, eine davon ist das Rhein-Main Gebiet. Zur Zeit wird über ein „Integriertes Stadtentwicklungskonzept“ diskutiert, die Metropolenregion Rhein-Main spielt dabei keine Rolle. Frankfurt wird in dem Konzept fälschlicherweise als Zentrum einer monozentrischen Region gesehen. In der Siedlungsstuktur der Metropolenregionen zeigt sich aber im Vergleich; Rhein-Main ist mit 14.755 qkm eine der kleinsten Regionen (8.Stelle), 25.4% der Einwohner wohnen in Großstädten. Nur 13,3 % der Einwohner wohnen in Frankfurt, ihre Oberzentren sind; Darmstadt, Wiesbaden, Hanau, Mainz und Aschaffenburg. Das weist Rhein-Main als eine polyzentrale Region aus. Die Bevölkerungsdichte ist hoch (374,23 Einwohner/qkm 3.Stelle) bezogen auf die Gesamtfläche, ebenso die Siedlungsdichte (auf bebauten Gebieten) (2.190,5 Einwohner/qkm – 4. Stelle), der Anteil an der Siedlungs- und Verkehrsfläche von 17.1% ist ebenfalls hoch 3.Stelle). Eine hoch verdichtete polyzentrische Metropolenregion. Zum Vergleich; in Berlin wohnen 61,9% der Einwohner in der Kernstadt, in Hamburg 41,3%, in München 30,6%.
In der Metropolenregion Rhein-Main wohnen von 5.604.523 Einwohnern 1.621.775 Personen in den Städten (29%) und 3.982.748 in den Landkreisen (71%). 44,8% der Sozialversicherungspflichtig Beschäftigten arbeiten in den Städten, 55,2% in den Landkreisen 44,8% und dort nehmen die Arbeitsplätze zu.
Ein Vergleich der auch im „Integrierten Stadtentwicklungskonzept“ mit den Monozentren München und Berlin oder Hamburg gezogen wird, geht an der Wirklichkeit im Rhein-Main-Gebiet vorbei. Zudem wird hier zwar von einem „Umland“ gesprochen, aber dieses nicht näher definiert.
In den Informationen zur Raumentwicklung der Bundesamt für Raumordnung und Bauwesen (H7.2005) wird in einer Studie über die polyzentrische Region Rhein Main festgestellt: „die Region wurde über lange Zeit nicht oder nur eingeschränkt als zusammengehörige Region wahrgenommen“, es „besteht bis heute keine zufriedenstellende Kooperation zwischen den Städten und Ländern in der Metropolenregion, wegen widerstreitenden politischen Interessen und dem Standortwettbewerb.“ Trotz vieler Regionaler Einrichtungen ist dieses Urteil auch noch heute gültig.
Im Vergleich zu anderen polyzentrischen Regionen, wie z.B. der Region Rhein-Neckar, dort gilt ein Staatsvertrag zur regionalen Zusammenarbeit mit den Ländern Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Hessen, ist eine solche Kooperation wegen widerstreitenden politischen Interessen wohl auf langer Sicht im Rhein-Main Gebiet nicht zu erwarten. Besonders, wenn Frankfurt seinen Mythos von einer „Freien Reichsstadt“ nicht endlich aufgibt und zu der Erkenntnis gelangt, das sie ihre Wachstumsvorstellungen nur mir der Region und nicht gegen sie, verwirklichen kann. Inzwischen ist am Flughafen Rhein-Main eine zweite Großstadt entstanden, die auch die Bedeutung der Kernstadt Frankfurt wesentlich reduziert.“

Konrad Mohrmann, Frankfurt

fr-balkenLuxuswohnungen?

Stadtplanung: „Stadt bedeutet Dichte“, FR-Regional vom 1. Februar (Achtung, pdf-Dokument)

Es ist ein Trauerspiel, mit welcher Überheblichkeit und nach Gutsherrnart die verantwortlichen Römerpolitiker mit den frischlufterzeugenden, freizeitintensiven und naherholungsträchtigen Kleingartengebieten umgehen. Die Antwort wird sicher — von OB bis zu den Grünen über die CDU natürlich — heißen: Wohnungen, Wohnungen, Wohnungen, sie werden dringend gebraucht. Aber was wird es werden, Luxuswohnungen? Als ob das Wohnungsproblem nur durch Bauen, Bauen, Bauen zu lösen ist. Es gibt so viele Möglichkeiten anderer Art, als unwiederbringbare und überlebensnotwendige Flächen zu vermarkten. Martin Wentz, der ehemalige SPD-Planungsdezernent, hat es vorgemacht. Seine Entscheidung ein bereits versiegeltes Gebiet „Schlachthof“ mit Wohnungen zu überbauen, war so eine Alternative.
Aber es werden Bürgerinitiativen hingehalten, vertröstet und mit ständig neuen Gutachten für dumm verkauft. Die Bewohner, die um Verschlimmbesserung fürchten, werden als St. Florianstypen diskriminiert. Dabei ist es eigentlich recht einfach, Verbesserungen vorzunehmen. Es gibt die Möglichkeiten der Gesetze, Satzungen, Verordnungen, und wenn notwendig, wäre auch die Massnahme eine Fläche zum „Städtebaulichen Entwicklungsgebiet“ zu erklären gegeben. Und es muss Personal im Bereich „Wohnen, Arbeiten und Mobilität“ aktiviert werden. Verbesserungen müssen allen gerecht zugutekommen.
Auf die Debatte zum öffentlichen Raum und wie der für seine Bewohner erträglicher gestaltet werden kann, bin ich sehr gespannt. Es müssten nur die Argumente für die Stadtqualität stimmen.
Die Debatten aber laufen stets auf das gleiche Schema raus: Bauen, bauen und nochmal bauen. Als ob wir in Stadt und Land noch genug Flächen im Übermass zur Verfügung hätten. Man könnte polemisch sagen: Hier betoniert die BRD (und die Stadt!!!) den Rest derselben. Die Wohnungsnot für ärmere Schichten und die gefühlt fehlende Verkehrsinfrastruktur für „freie Fahrt für freie Bürger“ gibt der Bauwirtschaft mächtig Auftrieb. Es muss asphaltiert, betoniert und versiegelt werden für das Funktionieren unseres Wirtschaftsmotors. Das Verdichten der Stadt und Versiegeln jeder von Betroffenen verteidigten Ackerfurche (wie die FAZ polemisch schreibt) gestaltet unsere Umwelt nicht besser. Es dient vor allem der Gewinnmaximierung derer, die eh schon haben. Hier kann und muss anders gelöst werden als die  „Umfeldqualität“ zu verschlechtern, wie es von vielen „Dagegenbürgern“ empfunden wird. Die Stadt wird an Überhitzung leiden, die Frischluftzufuhr und -entstehung nimmt ab, die Automobilität wird zunehmen -was VW, BMW und Mercedes freut. Hier wird Umwelt gegen Wohnungsnot ausgespielt. Der Wohnraum wird den Notleidenden nicht erschwinglicher werden und die Strassen werden in unseren Städten als „Blechkistenbehälter“ weiter gefüllt. Statt unseren Wohlstandsstaat zu reparieren, fehlt den Verantwortlichen der Mut, einen unspektakulären Weg zu gehen. (Siehe oben: Mit Möglichkeiten durch Gesetze, Satzungen und Verordnungen, mit mehr Personal in Bereichen von Wohnen, Arbeiten und Mobilität könnten die Probleme angepackt werden, ohne die Umweltqualität zu verschlimmbessern.)
Zum Schluss eine Erkenntnis, dass -meiner Meinung nach- bei dem allgemein vielfältigen Engagement für Wohnungs- und Strassenbau auch massiv derzeitige und zukünftige Eigeninteressen im Spiel sind. Man denke an Ex-Minister, die in die Bauwirtschaft und zur Bahn geholt wurden oder an Dezernenten, die anschliessend die Privatwirtschaft beglücken. Auch die Architektenschaft ist an mehr Aufträgen interessiert und betreibt logischerweise Akquisitionen.
Also viel Spass allen Entscheidungsträgern mit dem z.B. „Desillusionsquartier“.“

Oskar Voigt, Frankfurt

 

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13 Kommentare zu “Postfach: Politisches Asyl soll zur Disposition gestellt werden

  1. Angesichts der geringen Anerkennungsraten braucht das Asylrecht überhaupt nicht zur Disposition zu stehen.
    Nur könnten die Bescheide vielleicht geringfügig schneller erstellt werden.

  2. @ Karl Müller

    Ist für Sie eine Anrkennungsrate von 50 % „gering“? Allerdings ist nicht das im Grundgesetz verankerte Asylrecht entscheidend, sondern die Genfer Flüchtlingskonvention.

  3. @ JaM
    Sie müssen schon etwas genauer sein.
    23,3% der Asylbewerber bekamen im Januar 2017 die Rechtsstelleung als Flüchtlinge zuerkannt;
    18,4% erhielten subsidiären Schutz, d.h. Aufenthaltsrecht für einen begrenzten Zeitraum;
    bei 5,7% wurde zwar kein Recht auf Asyl anerkannt, sie unterliegen aber einem zeitweiligen Abschiebeverbot (wegen Gefahren in Herkunftsland).

  4. Frauke Petry kann zwar lautstark über das Recht auf Asyl sinnieren, aber sie hat zum Glück in dieser Republik nicht das Sagen. Allerdings finde ich es sehr armselig, dass der jetzigen Regierung nichts Besseres einfällt, als Abfanglager in völlig desolaten Staatsgebilden wie Libyen in Erwägung zu ziehen. Gaddafi hatte ja schon mal solche Lager, die waren schon grässlich genug, aber was sich jetzt dort abspielt , lässt den Atem stocken. Die EU (und die übrige Welt) ist nicht mal in der Lage, die Flüchtlingslager innerhalb Europas so auszustatten, dass es dort menschenwürdig zugeht. Auch ohne den alles zerstörenden Krieg in Syrien, war vorherzusehen, dass sich arme und verfolgte Menschen auf den Weg machen werden, um irgendwo ein besseres Leben zu finden. Das ist ja nichts Neues. Die Menschen haben so viel technischen Fortschritt erfunden, wunderbar und erstaunlich, aber auf humanitärem Gebiet, global betrachtet, einfach nichts. Wir allerdings leben auf einer Insel des Wohlstands und des Friedens. Meine Generation hat einfach nur Glück gehabt. Dafür bin ich dankbar. Aber wir müssen doch global weiter denken. Grenzwälle zu ziehen kann nicht die Lösung sein.

  5. @ JaM,

    schon offenkundig das Sie auch hier wiederholt zu einer angemessenen Differenzierung nur bedingt in der Lage zu sein scheinen. Es geht um Asylrecht, nicht um die Flüchtlingskonvention.

  6. @ Brigitte Ernst

    Erstens sind in den BAMF-Zahlen nicht die Gerichtsentscheidungen enthalten, in denen ablehnendere Bescheide korrigiert wurden. Zweitens ist auch das Recht auf subsidiären Schutz und die Anerkennung von Abschiebehindernissen die Rechtsfolge der Asylgesetzgebung. Aber unabhängig von den Zahlen: Halten Sie die Abschaffung des Rechts auf Asyl bzw. den Ausstieg aus der Flüchtlingskonvention mit dem „Geist“ des Grundgesetzes und den Verpflichtungen, die sich aus den Menschenrechtskonventionen ergeben, für vereinbar?

  7. Wenn auch seit Inkrafttreten des Grundgesetzes viele Grundrechte z.T. stark verwässert wurden, dürfen sie nach Art. 19 Abs. 2 in ihrem Wesengehalt nicht angetastet werden.

    Damit verbietet das Grundgesetz bereits eine Abschaffung des Grundrechts auf Asyl.

    Ich stimme Kalaus Philipp Mertens voll inhaltlich zu, wonach gerade die Entstehungsgeschichte des GG wesentlich zur Aufnahme dieses Artikels beigetragen hat. Denn wieviele frühere Politiker (besonders der SPD und KPD) wie Schriftsteller (z.B. Thomas Mann) mussten wenige Jahre vor der Gründung der Bundesrepublik Asyl in anderen Ländern in Anspruch nehmen.

    Dies scheint bei vielen in Vergessenheit geraten zu sein.

  8. Warum soll man die Zeit mit den Spinnereien einer Frau Petry verschwenden? Das gleiche gilt die Spinnereien eines CDU-Mannes, der jetzt eine Frauenquote für Flüchtlinge forderte.

  9. @ JaM
    Wo habe ich je gesagt, ich sei für die Abschaffung des Asylrechts in unserem Grundgesetz? Würde unser Parlament diesen Paragrafen mit Zweidrittelmehrheit abschaffen, würden wir uns aus der Gemeinschaft der zivilisierten Länder, die die UNO-Menschenrechtskonvention unterschrieben haben, verabschieden und müssten auch aus der EU ausgeschlossen werden. Ich bin auch absolut dagegen, Flüchtlinge in ein gefährliches Land wie Afghanistan zurückzuschicken.
    Trotzdem bin ich für Genauigkeit bei der Darstellung von Fakten.
    Schwierig ist doch nur der Umgang mit denjenigen, die kein Anrecht auf Asyl haben, die teilweise eine falsche Identität vortäuschen oder gar straffällig werden. Im Interesse der wirklich Schutzbedürftigen muss man einen Weg finden, diese Personen abzuschieben oder – besser noch – einen Anreiz für sie schaffen, dass sie den von vornherein vergeblichen Versuch, auf Dauer bei uns zu bleiben, erst gar nicht unternehmen.

  10. Mai, jetzt wird’s aber „political incorrect“; schreiten Sie sofort ein Herr Bronski, wie dauernd bei mir auch! Wie kann Herr Flessner die Frauenquote als hohes politisches Ziel unserer Republik als Spinnerei abtun, ohne gerügt zu werden? (Mal ganz nebenbei: was der „heilige Martin“ uns da mit seinem „Gerechtigkeitsgedusel“ vorlügt ist Betrug an einem großen Teil der Bevölkerung). Da kann man den CDU’ler doch auch mal „a Spässle“ machen lassen. Und wie kann Frau Ernst von der Gemeinschaft der „zivilisierten“ Länder sprechen? Interessant in diesem Zusammenhang wäre von ihr zu wissen, welche denn „unzivilisiert“ sind. Und, Frau Ernst, wenn Sie schon so für Genauigkeit sind: diese Konvention wird 1. nicht unterschrieben sondern, wenn schon, dann ratifiziert und 2. sollte das bei Beitritt in die UN automatisch erfolgen. (…)

    (…) Passage gelöscht, Anm. Bronski

  11. Zu: Jürgen Malyssek, Alte und neue Klassengesellschaft, und F.R. Garzon, „Keine Rückkehr zum Ressentiment“über Didier Eribons Thesen

    Didier Eribons Analyse verdient zweifellos Beachtung,
    Jürgen Malyssek weist auf sein Verdienst hin, aufzuzeigen, „dass gesellschaftliche Ungleichheit sich durch mehr auszeichnet als durch das Merkmal abgehängt zu sein.“
    Dem ist zweifellos zuzustimmen. Ebenso, dass eine Linke, welche die Gefolgschaft rechtspopulistischer Parteien zu allererst in den „Abgehängten“ dieser Gesellschaft ortet, deren Propaganda aufsitzt, sich als Sprecher der „Entrechteten“ und „des Volkes“ aufzuspielen.
    Dennoch sind Schwachpunkte unverkennbar, die ich kurz in folgenden Punkten zusammenfasse: (Ich beziehe mich dabei auf die Rezension von F.R. Garzon).
    (1) Eine Diskussion über ein neues Verständnis des „Klassen“-Begriffs setzt eine Auseinandersetzung mit dessen ursprünglichen Bedeutung, Fehlinterpretationen und Verirrungen voraus. Eine solche ist nach Garzons Rezension bei Eribon nicht erkennbar.
    (2) Eribon beschränkt sich auf die Analyse von Verhältnissen, insbesondere der Arbeiterschaft, in Frankreich, und verallgemeinert diese, ohne vergleichend auf Bedingungen in anderen Ländern (etwa den USA) einzugehen.
    (3) Er verbleibt auf einer Ebene der Beschreibung oberflächlicher Phänomene, die theoretische Grundlage der eigenen Analyse wie auch die Relevanz für praktisches Handeln in der gegenwärtigen Situation wird nicht deutlich.

    Zu 1)
    Der marxistische Begriff der „Arbeiterklasse“ erhält seine Bedeutung erst durch die These eines „Klassenbewusstseins“, das aus der Erfahrung realer Bedingungen des Arbeitsprozesses (Arbeiter als „Anhängsel von Maschinen“) und von Solidarität als wichtigstem Mittel der Selbstbehauptung erwächst.
    Diese These ist in zweifacher Hinsicht nachhaltig desavouiert: Einerseits durch tiefgreifende Veränderungen des Arbeitsprozesses selbst in einer computergesteuerten, mehr und mehr digitalisierten Arbeitswelt, der solche elementare Erfahrungen nicht mehr notwendig macht und z.T. auch nicht mehr zulässt. Andererseits durch eine Praxis des „real existierenden Sozialismus“, insbesondere im „Arbeiter- und Bauernstaat“, die diese Theorie für brutale Machterhaltung einer sklerosen Bürokratenkaste missbrauchte.
    Eine Auseinandersetzung mit solchen Fehlentwicklungen mit dem Ziel, aufzuzeigen, wo und wie eine Neubewertung anzusetzen habe, vermisst man aber nicht nur bei Eribon, sondern z.B. auch bei „linken Theoretikern“ wie etwa Sarah Wagenknecht.

    Zu 2)
    Beispiel USA:
    Der desolate Zustand vor allem der Gewerkschaftsbewegung in den USA hat nicht einmal in Ansätzen die Herausbildung einer Art von „Klassenbewusstsein“ erlaubt, mit fatalen Folgen, die wir heute erleben: Es bedarf nicht einmal mehr, wie bei den Nazis, eines Bündnisses der industriellen mit der politischen Macht („Harzburger Front“). Ein Trump verkörpert beide in Personalunion. Und er leitet hieraus auch den Anspruch ab, „das Volk“ in sich selbst zu verkörpern – und findet damit gerade auch bei denen Gehör, die – der Theorie nach – gegen solche Demagogie eigentlich immun sein müssten. Enteigung, Pauperisierung hat hier nicht nur in sozialer, sondern auch in geistiger Hinsicht stattgefunden: in Form freiwilliger Selbstunterwerfung unter die Interessen geballter ökonomischer und politischer Macht wie auch in Ent-Solidarisierung gegenüber anderen, noch ärmeren „Abgehängten“ mit fremdem Gesicht, als Folge nationalistischen Wahns.
    Beispiel Frankreich:
    Hier zeigt sich, dass auch existierendes „Klassenbewusstsein“ nicht vor ganz ähnlichen Entwicklungen schützt: „Eribons Arbeiterklasse, die den Front National wählt, ist vor allem eines, rassistisch und homophob und lebt in der deindustrialisierten Peripherie.“ Es bedarf aber auch hier der näheren Analyse insbesondere der Ursachen einer solchen Entwicklung.
    Die Tendenz zur „Selbstausgrenzung“ im Arbeitermilieu, bedingt durch fehlende breitere „soziale Netzwerke“, die bürgerliche Intellektuelle kennzeichnen, ist sicher ein wichtiger Hinweis, reicht aber zur Erklärung nicht aus. Ähnliche Erkenntnisse haben – auf sprachlicher Ebene – bereits Sozialisationsforschung und Soziolinguistik der 70er Jahre zutage befördert (mit durchaus erfolgreichen Konsequenzen, etwa Konzepten der „kompensatorischen Spracherziehung“).
    Ein pervertiertes „Klassenbewusstsein“ ist bereits in der französischen KP unter Führung eines Georges Marchais festzustellen: stramm stalinistisch orientiert (im Unterschied etwa zu italienischen Kommunisten), selbst nach Bekanntwerden der stalinistischen Verbrechen. Dieses sieht den „Hauptfeind“ nicht in nationalistischen, sondern in bürgerlich-liberalen und sozialdemokratischen Parteien – Relikt einer verheerenden stalinistischen „Sozialfaschismus“-Theorie, die wesentlich für den Aufstieg des Nazis in Deutschland mitverantwortlich zeichnete.
    Die Verkrustung eines solchen fehlgeleiteten „Klassenbewusstseins“ lässt sich auch heute im Einschwenken breiter Kreise der französischen Arbeiterschaft auf den demagogischen nationalistischen Kurs des „Front National“ beobachten: „Solidarität“ mit Gleichgesinnten unter Franzosen („Français d’abord!“) statt mit Entrechteten. Hass auf alles Bürgerliche ersetzt fehlendes Bewusstsein von eigener Stärke und eigene Identität.
    So vereinigte der FN in unserer – von ehemals kommunistischen „cheminots“ (Eisenbahnern) geprägten – Gegend bei den letzten Regionalwahlen auch im 2. Wahlgang weit über 40 % auf sich. Gefolgt von einem (in der Region chancenlosen) „Sozialisten“, der sich geweigert hatte, in der Stichwahl gegenüber einem FN-Kandidaten seine Kandidatur zugunsten des besser plazierten „bürgerlichen“ Bewerbers zurückzuziehen. Wäre es nach ihnen gegangen, wäre der FN ins Regionalparlament eingezogen: Für solcher Art von „Klassenbewusstsein“ stellt dieser schon lange nicht mehr nur das „kleinere Übel“ dar.
    (Zur Relativierung sei aber auch darauf hingewiesen, dass die eigentlichen Hochburgen des FN sich nicht, wie oft behauptet, in von Industriearbeiterschaft geprägten Gegenden, etwa der Pariser „Banlieue“, in Lyon oder Lille, befinden, sondern in eher ländlichen Gegenden wie unserer.)
    Zu 3)
    Bezüglich praktischer politischer Strategien lässt sich aus Eribons Analyse die (bereits eingangs formulierte) negative Erkenntnis gewinnen, dass eine „linke“ Strategie, die sich von Identifikation mit „Abgehängten“ der Gesellschaft Impulse für gesellschaftliche Veränderungen erhofft, von falschen Voraussetzungen ausgeht und Gefahr läuft, selbst in nationalistisches Fahrwasser zu geraten. Zu einer positiven Bestimmung einer langfristigen Strategie reicht dies aber nicht.
    Eine Strategie, wie ein Martin Schulz sie einzuschlagen scheint, die sich nicht scheut, Fehler zu benennen und zu korrigieren, die konsequent „soziale Gerechtigkeit“ und „Solidarität“ mit Entrechteten- unabhängig von deren Bewusstsein – in den Mittelpunkt stellt, die so den zentralen Antagonismus der überwältigenden Mehrheit in Abhängigkeitsverhältnissen zu einer vom Casino-Kapitalismus schmarotzenden Clique Trumpscher Prägung wieder in den Vordergrund rückt – eine solche verspricht da erfolgreicher zu sein als das Verfolgen theoretisierender Begriffsbestimmungen. Nicht zuletzt mit der Chance, auch die zu erreichen, die zwar in nationalistischen Klischees befangen, aber noch nicht vollends von ihnen bestimmt sind.

  12. @ Ulrich Niewiem
    Ich bin Ihnen noch ein paar Antworten schuldig.

    1. Unzivilisiert nenne ich Länder, die keine demokratische Verfassung besitzen, in der die Menschenrechte verankert sind. Oder Staaten, die zwar eine solche Verfassung besitzen, in denen sich staatliche Autoritäten aber nicht an deren Prinzipien halten. Und dass das Recht auf politisches Asyl zu den Menschnerechten gehört und deshalb in jeder demokratischen Verfassung verankert sein muss, dürfte Konsens sein.

    2. Um ganz genau zu sein: Der Ratifizierung eines völkerrechtlichen Vertrages geht meist dessen Unterzeichnung durch die entsprechende staatliche Delegation voraus.

    3. Ich dachte, Henning Flessner spreche von einer Frauenquote speziell bei der Einwanderung nach Deutschland. Auch wenn man sich manchmal fragt, wie es kommt, dass, gemessen an der Geschlechterverteilung bei den Flüchtlingen und Zuwanderern, anscheinend so viel mehr Männer politisch verfolgt werden und in Kriegen vom Tod bedroht sind – eine Frauenquote wäre praktisch wohl nicht durchführbar.

  13. Ich sage mal was zu Ihrer letzten Frage, Frau Ernst: die Frauen haben es bei der Flucht sehr schwer. Sie sind auf dem Fluchtweg viel mehr bedroht als Männer, und kommen daher häufig extrem traumatisiert an. Wo habe ich das noch gelesen? Der Satz geht etwa so: Die Familien schicken ihre jungen und gesunden jungen Männer vor, wenn es darum geht, in der Welt Ausschau zu halten, wo es Arbeit und Nahrung und Sicherheit gibt. Das war auch bei den großen Wanderungsbewegungen von Europa nach Amerika so vor ein paar hundert Jahren. Es ist sozusagen die forschende Vorhut der Migration. Wenn es direkt um Leben und Tod geht, kein Stein mehr auf dem anderen steht – wie jetzt bei dem Syrienkrieg, vielfach während der Afghanistankriege und vor 20 Jahren bei der Fluchtbewegung aus dem Kosovo u.a. – dann kommen die ganzen Familien.

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