Im Angesicht der Katastrophe von Notre-Dame ist Frankreich einig

Es ist fürchterlich, solche Bilder sehen zu müssen: Ein Wahrzeichen Frankreichs ist ausgebrannt, die Kathedrale Notre-Dame von Paris. Es ist für uns Deutsche nicht ganz einfach zu ermessen, was diese Katastrophe für die Franzosen bedeutet. Frankreich hat als zentralistisch geprägtes Land eine andere Kultur als wir. Es ist zugleich säkularer als Deutschland. Trotzdem ist Notre-Dame nicht einfach nur eine Kirche, und trotzdem gehen solche Bilder auch Nicht-Christen und Nichtgläubigen nahe, so wie mir. Ich war mehrmals in Paris und habe dabei auch diese Kathedrale besucht. Neben ihrer schieren und natürlich beeindruckenden Größe waren es vor allem die Kirchenfenster, die es mir angetan haben. Sie dürften jetzt zum größten Teil zerstört sein, so wie viele andere Kunstwerke auch. Im Jahr 2002 war ich sogar mit dem Fahrrad dort. Am Schluss einer dreiwöchigen Radtour durch Frankreich waren wir, von Orleans kommend, am Gare d’Austerlitz in Paris angekommen und hatten ein wenig Zeit, bis der Zug nach Frankfurt am Gare de l’Est abfuhr. Normalerweise benutzt man in Paris die Metro, um beim Umsteigen von einem Bahnhof zum anderen zu kommen. Wir nahmen natürlich unsere Räder und machten einen kleinen Abstecher zu Notre-Dame. Wir waren ein Hingucker auf dem belebten Platz. Manche Touristen, asiatische vor allem, hatten solche Typen wie uns mit ihren schweren, großen Gepäcktaschen an den Rädern anscheinend noch nie gesehen. Sie fotografierten uns vor der wuchtigen Fassade dieser Kirche. Zumindest die Türme und die Fassade konnten gerettet werden.

notredameDie mehr als tausend Eichen, die im Dachstuhl der Kathedrale verbaut waren, haben natürlich leicht Feuer gefangen. Es genügte vermutlich ein wenig Funkenflug. Die Ursache des Feuers ist bisher ungeklärt. Fraglich ist auch, welche Vorkehrungen für Brandschutz vorhanden waren. Es grenzt an ein Wunder, dass es der Feuerwehr gelungen ist, den Brand zu stoppen, ehe das komplette Bauwerk erfasst wurde. Jetzt wird man erst einmal genau prüfen müssen, wie stark die Mauern, die erhalten werden konnten, beschädigt wurden; Stein kann zwar nicht brennen, aber er selbst und mehr noch der Mörtel kann mürbe werden. Einer der Leserbriefe, die gleich folgen, erläutert dies zutreffend.

Bemerkenswert sind die Nachrichten über die Spendenbereitschaft insbesondere reicher französischer Familien. Da sind ganz schnell Zusagen von mehr als 700 Millionen Euro zusammengekommen. Die Kathedrale soll nach den Worten des französischen Staatspräsidenten Emanuell Macron in fünf Jahren wieder aufgebaut worden sein. Ein ehrgeiziges Unterfangen, aber Frankreich scheint sich hinter ihm zu versammeln. Vielleicht gelingt es so, der Katastrophe etwas Gutes abzugewinnen: indem die Frage in den Vordergrund gerückt wird, was die Menschen vereint. Und nicht, wie allenthalben auch bei uns in Deutschland, was sie voneinander trennt.

Balken 4Leserbriefe

Barbara Hüfner aus Heusenstamm:

„Das erste Mal, als ich Notre-Dame in Paris betrat, waren wir – heute unvorstellbar – fast alleine, und ich werde diesen magischen Moment niemals vergessen. Ich war damals 16 oder 17 Jahre alt, und wir trafen uns am Abend des ersten Weihnachtsfeiertages bei einem Freund. Aus Langeweile und weil uns Weihnachten in der Pubertät nervte, machten wir uns auf den Weg nach Paris – einfach so zum Spaß. Wir kamen sehr früh morgens dort an und parkten das Fahrzeug in der Nähe des Eifelturmes, damit wir es wieder leichter finden konnten. Danach schlenderten wir zur und durch die Altstadt von Paris.
Gegen 9 Uhr morgens standen wir vor Notre Dame. Den Platz habe ich nie wieder in meinem Leben bisher so leer angetroffen wie an diesem Morgen. Die Türen waren geöffnet und dieser sakrale Bau zeigte sich uns in seiner ganzen Schönheit, das Licht, die Leere, die Höhe waren die ersten Dinge, die mich in seinen Bann zogen. Erst nach und nach erkundeten wir die kunstvollen Gegenstände und Gemälde die uns dort erwarteten.
Ich kam in all den Jahrzehnten danach immer wieder nach Paris. Die letzten Male hatte ich aufgrund der lange anstehenden Menschen keine Lust mehr hineinzugehen. Das ärgert mich heute sehr. Ich freue mich für mein geliebtes Frankreich, dass dieses Volk wenigstens in solchen Momenten zusammensteht, und wünsche mir, dass Herr Macron sein Wort halten kann. Ich werde, wenn ich in fünf bis sechs Jahren in Paris bin, mich in die längste Schlange einreihen.“

Wolfgang Heininger aus Mömbris:

„Die Flammen in Notre-Dame waren noch nicht verloschen, da meldeten sich bereits reiche französische Familien, Milliardäre und sogar ein Ölkonzern, die für den Wiederaufbau des Nationaldenkmals Hunderte von Millionen Euro in Aussicht stellten, schreibt Birgit Holzer. Das ist einerseits ein tolle Sache, wenn es um die Rettung von Kulturgütern geht. Allein, es geht bei aller Wertschätzung nur um Dinge, um tote Steine.
Und so erhebt sich die Frage: Wo bleibt das Engagement dieser Leute, wenn es um Menschenleben geht? Mit den jetzt so schnell und „großzügig“ avisierten Beträgen ließen sich Hunderttausende von Hungertoten in der Welt verhindern. Aber wahrscheinlich sind derartige Spenden nicht so prestigeträchtig wie für die Instandsetzung einer nationalen Ikone.
Und noch eine Frage: Wo bleibt eigentlich die Finanzzusage der katholischen Kirche als zumindest spiritueller Eigentümerin der Kathedrale? Der Papst ließ bislang nur verlauten, dass er angesichts der Katastrophe schockiert sei und – für wen auch immer – bete. Dass der Vatikan als nicht gerade unvermögende Institution den Löwenanteil aufbringen wird, davon war nicht die Rede.“

Malies Ortmeyer aus Frankfurt:

„Merkel war „tief berührt“. Ist sie auch berührt, wenn sie liest, dass es im reichen Deutschland soundsoviele Wohnsitzlose und soundsoviele unter Armut leidende Menschen gibt. Nein, das ist für sie normal. Aber wenn ein Bauwerk (ich gebe zu, ein wichtiges Naturdenkmal, trotzdem) beschädigt wird, dann ist die Bundeskanzlerin bereit mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln zu helfen.
Trump schreibt: „God bless the people of France!“ Als ob sich die Menschen in Frankreich in Gefahr befanden. Friedrich Merz will gar Spenden sammeln. Für wen? Für die ach so „arme“ Kirchengemeinde?Wird hier etwa ein „spektakulärer Unfall“ für P.R.-Zwecke bzw. eigene Imagepflege genutzt? Diese Falschheit ist zum K…“

Jürg Walter Meyer aus Leimen:

„Der verheerende Brand, dessen Auswirkungen noch gar nicht umfassend erkannt werden können, trifft Frankreich, trifft Europa, ja die Weltgemeinschaft ins Herz. Das zeigen die Reaktionen von Trump über Barak Obama, Papst Franziskus, Giuseppe Conti (Italien), Sadiq Khan (London), Tusk und Juncker (beide EU) bis zu Herrn Seibert, dem Sprecher der Bundesregierung: «Notre-Dame ist ein Symbol Frankreichs und unserer europäischen Kultur». Neben den französischen Fernsehsendern hatten CNN, BBC und Al Jazeera Live-Sendungen geschaltet; von den wenigen Fernsehsendern Deutschlands, die über diese Katastrophe ausführlich berichtet haben, hat – so mein Eindruck – Phönix umfassend informiert.
Ein Monument der oft beschworenen Europäischen Werte ist weitgehend zerstört; Notre-Dame de Paris gehört dem französischen Staat. Es ist ein schwacher Trost, dass die Mauern noch stehen. Wir erinnern uns an Städte, die im Feuerinferno zerstört worden sind: Mauern blieben stehen. Täglich wird von KI, über autonome Fahrzeuge berichtet – daher ist es ist mir schlankweg unverständlich, dass bei einem solch sensiblen Gebäude wie Notre-Dame de Paris die Renovationsarbeiten nicht besser überwacht worden sind und zwar über den Feierabend der Arbeiter hinaus.
Die Zündtemperatur (Selbstentzündungstemperatur) von Holz liegt um 300 Grad Celsius (ein Streichholzkopf entzündet sich bei 80 Grad C). Es braucht eine Zünd-(Wärme)quelle, damit Holz Feuer fängt: Bei Bauarbeiten sind das in den meisten Fällen Schweiß- oder Schneide-/Trennarbeiten. Fürs erste entsteht ein Schwelbrand. Dabei entstehen brennbare Gase. Haben sich diese gut mit Luft (Sauerstoff) durchmischen können, entzünden sie sich schlagartig – um 18:50 schlugen die Flammen aus dem Dachstock der Notre-Dame.
Ob das Steingewölbe, das den hölzernen, völlig abgebrannten Dachstuhl vom darunterliegenden Kirchenschiff trennt, statisch noch genügt, ist zurzeit eine offene Frage. Stein brennt nicht, aber er kann durch die Feuerhitze „mürbe“ werden – ich verweise auf den Begriff ‚Gebrannter Kalk‘: der Sandstein von Notre-Dame hat Kalk als Bindemittel; Marmor besteht aus Kalk. Über das Ausmaß der Wasserschäden an der Innenausstattung der Kathedrale ist eine Bewertung zurzeit noch nicht möglich.
Ich frage mich auch, wie oft die Pariser Feuerwehr Löschübungen an Notre-Dame durchgeführt hat. Medien berichten über das Fehlen von Feuerschutzsystemen gegen einen Großbrand. Wie steht es damit in den vielen Städten mit Monumenten der christlich-abendländischen Kultur – mit Münstern, Domen, Kathedralen? Allein in Deutschland  fehlen derzeit 528 Fahrzeuge für den Brand- und Katastrophenschutz. Wie weit sind solche Kunst- und Kulturdenkmäler  durch stationäre Installationen – Steigleitungen, Sprinkleranlagen – geschützt? Ich bin der Meinung, dass der Brand von Notre-Dame de Paris allenthalben Überprüfungen des Brandschutzes und der Brandbekämpfung und in Konsequenz entsprechende Verbesserungen auslösen muss.
Die EU ist gefordert, denn die Solidarität ist einer ihrer ‚gesellschaftlichen Werte‘, durch die sie sich auszeichnen will. Sie will ja nicht hinter privaten Spendern zurückstehen: Die Milliardärs-Familie Pinault verspricht 100 Millionen Euro, die Arnaults sogar 200 Millionen Euro. Es gibt noch weitere Milliardäre, so der um Europas Wohlergehen besorgte Herr Soros, die spenden können. Auch in Deutschland soll, so Friedrich Merz für den Wiederaufbau gesammelt werden. Die Bundeskanzlerin sieht sich ja in einer besonderen Freundschaft mit Frankreich verbunden …“

Klaus Schwerdtfeger aus Wartenberg

„Ich gestehe, diese Zeilen sind einerseits polemisch, andererseits Ausdruck von einer Betroffenheit, die ich schwer in Worte fassen kann. Notre Dame ist ohne Frage ein großartiges Zeugnis mittelalterlicher Baukunst, aber schon zum Zeitpunkt ihrer Entstehung für mich (wie viele Großprojekte der Vergangenheit und Gegenwart) fragwürdig, einerseits eine gewaltige Arbeitsbeschaffungsmaßnahme über Jahrhunderte, andererseits eine irre Geld- und Materialverschwendung nur um (das Motiv der Gotik) Gott ein paar Meter näher zu sein (in Fehleinschätzung der Größe des Universums durch den Klerus ;-)).
Heute macht es mich betroffen, daß innerhalb von Stunden 700 Millionen Euro für tote Steine zusammenkommen, während für die (noch) lebenden Opfer des Zyklons Idai in Ostafrika lt. Auskunft der „Aktion Deutschland hilft“ innerhalb von Wochen erst 11 Millionen Euro zusammen gekommen sind.
Irgendwie stimmen für mich da die Maßstäbe menschlicher Hilfsbereitschaft nicht. Oder hat es was damit zu tun, das es bei den toten Steinen einerseits um unser christliches Weltkulturerbe geht, andererseits bei den (Über-)Lebenden in Ostafrika nur um „Neger“, die weit weg sind und auch gefälligst dort bleiben sollen.
Zusätzlich betroffen macht mich als Initiator eines Hilfsvereins für Uganda (Uganda Friends e.V., http://uganda-friends.eu), daß ich nur 10 Millionen Euro benötigen würde, um das ganze Schulsystem Ugandas mit verläßlicher, Stromversorgung aus erneuerbarer Energie und günstigen Laptops zu versorgen, als solide Grundlage, die Schüler Ugandas an die Herausforderungen unserer Zeit heranzuführen (https://uganda-erfahren.de/index.php/milchmaedchenrechnung). (Ich habe diese Idee mal dem BMZ vorgestellt, abgelehnt – nicht nachhaltig genug.)
Falls ich irgendjemanden durch meinen Leserbrief animieren konnte, statt für Notre Dame an „Aktion Deutschland hilft“ oder „Uganda Friends“ zu spenden (alles drei im richtigen Verhältnis geht natürlich auch ;-)), hat sich für mich der Zeitaufwand für diese Zeilen gelohnt.“

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12 Kommentare zu “Im Angesicht der Katastrophe von Notre-Dame ist Frankreich einig

  1. Bin zwiegespalten. Ich war entsetzt, als ich die Bilder der brennenden Notre-Dame sah. Bilder der brennenden Zwillingstürme flammten in meinem Gehirn auf und vermischten sich mit dem was ich sah. Ein großartiges Meisterwerk, von den Könnern der damaligen Zeit erschaffen steht in Flammen.

    Das der Wunsch nach einem Wiederaufbau besteht kann ich nachvollziehen, doch es wird nicht das gleiche Gebäude sein.
    Es mag im Moment die großen Probleme die Frankreich hat in den Hintergrund drängen und die Franzosen vordergründig einen, die Probleme bleiben aber bestehen und warten auf Lösungen.
    In diesem Zusammenhang finde ich es wirklich krass, dass es a) Menschen gibt, die es sich erlauben können 100 oder sogar 200 Millionen zu spenden und b) warum ein Gebäude so viel mehr Wert hat, als Menschen.
    Der „Nachbar“ kann verelenden, aber die Kirche wird für unvorstellbare Summen wieder aufgebaut?
    Zeugnisse der Menschen für die Ewigkeit gebaut?
    Ja, wir können großartiges und schönes schaffen, aber auch das Gegenteil und zur Zeit drängt eher dieses Gegenteil danach, das Augenmerk darauf zu richten und dort zu Handeln.
    Ein Gebäude kann ein nationales Bindeglied sein, ist Teil der nationalen Identität, aber sollte es diesen Stellenwert haben?

  2. Ich verstehe die Haltung von Anna Hartl.

    Es ist natürlich traurig, wenn eine solche Kathedrale durch Feuer zerstört wird. Ich hatte das Glück, vor zwei Wochen in Paris noch Notre- Dame zu sehen.

    Allerdings sehe ich auch die andere Seite. Viele Firmen spenden Millionen, zum Teil, um Steuern zu sparen, setzen aber ihre Mitarbeiter*innen vor die Türe, die dann verarmen.

    Es erinnert dabei auch an Kirchenbauten im Mittelalter oder später, die durch Fürsten veranlasst wurden, um ihr Seelenheil zu retten, nachdem sie möglicherweise vorher jemand umgebracht haben.

    Außerdem wurden sowohl durch französische wie auch natürlich durch amerikanische und britische Streitkräfte andere Kirchen zerstört, ohne dass zu deren Wiederaufbau die Millionen so zahlreich geflossen sind.

  3. Der Brand ist eine kulturelle Katastrophe.
    Die Spendenbereitschaft der Milliadäre Frankreichs eine politische.
    Was soll Macron jetzt machen? Das viele Geld der Reichsten der Reichen hier – der soziale Protest von der Straße da.
    So kann man auch einen Präsidenten entmachten, der zur Wiederherstellung des sozialen Friedens bei den Massen steuerlich kräftig an die Reichen und Superreichen ran müsste.

    Das ist doch eine verrückte Situation, angesichts der Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich, der Wut im Land, der „Gelbwesten“!?!?

  4. Insofern in Paris der Wiederaufbau der Kathedrale Notre-Dame nicht ohne geistige Arbeitsleistungen umzusetzen ist, dienen die dort nunmehr zu unternehmenden Anstrengungen nicht zuletzt auch der Lösung der sozialen Frage. Spenden für Notre-Dame sind daher nicht verloren und Vorhaben zur gesellschaftlichen Erneuerung gehen keinesfalls leer aus. Spannend wird sein, ob die Machtstrukturen aus Verbänden einschließlich den Gewerkschaften, politischen Apparaten und Bürokratien überwunden werden können, die bislang herausragende Leistungen des menschlichen Geistes unmöglich machen. Gelingt am Beispiel der Notre-Dame de Paris solch ein Durchbruch, steht auch sonst einem Umschlag der Verhältnisse nichts im Weg. Es ergibt demnach keinen Sinn, die privaten Zuwendungen in Höhe von bald € 1 Mrd. zu kritisieren und so zu tun, als ob es bigott wäre, so viel Geld für einen Kirchenbau auszugeben, weil die Notleidenden darüber eben nicht vergessen werden, sondern im Zentrum des Unterfangens stehen.

  5. zu @ Anna Hartl
    Immer wenn ich mir eine tolle Kirche oder ein schönes Schloss anschaue denke ich an die Menschen die geknechtet wurden um es zu bauen oder zu bezahlen.

  6. Viele Kathedralen im Mittelalter und in der Renaissance wurden von der Gemeinschaft wohlhabenden Bürger finanziert und dienten dem Prestige der großen Städte, oft in Konkurrenz zueinander. Gebaut wurden sie von begabten Baumeistern und Maurern, die in Zünften organisiert waren. Diese sorgten für die angemessene Bezahlung der Mitglieder, für die gute Qualität der Arbeit sowie für die Absicherung in Notfällen und die Versorgung von Witwen und Waisen.
    Diese großen Bauvorhaben waren also auch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und nicht in dem Maße mit Ausbeutung verbunden wie die Industrieproduktion in den Fabriken des 19. Jahrhunderts.

  7. Zur Problem der Spendenbereitschaft (Anna Hartl und Peter Boettel):

    Der – meines Erachtens sehr problematische – Vergleich der Spendenbereitschaft für Notre Dame mit der für Menschen im Jemen im Kommentar von Sonja Thomaser „Notre Dame – die Trauer ist übertrieben“ hat zu einer erstaunlich heftigen Debatte geführt. (https://www.fr.de/meinung/notre-dame-trauer-uebertrieben-12202153.html)

    Zunächst hinkt der Vergleich völlig: Die enorm scheinende Summe für Notre Dame wurde überwiegend durch Groß-„Spender“ bewirkt, die streng genommen nicht in die Kategorie „Spenden“, sondern die der „Imagepflege“ im Sinne eigener Geschäftsinteressen fallen.

    Ein solcher Vergleich lässt aber auch eine problematische Geschichtsvergessenheit erkennen.
    Notre Dame ist eben mitnichten ein Haufen „toter Steine“, wie Wolfgang Heininger in seinem Leserbrief behauptet. Es ist auch mehr als ein bloßes Symbol. Es ist nicht nur für 65 Millionen Franzosen und Französinnen ist zentraler Teil der eigenen Geschichte, mithin auch Teil der eigenen Identität, die auch von anderen zu respektieren ist. Es ist auch ein Wahrzeichen europäischer Kultur, auf das nicht zu verzichten ist.

    Kulturdenkmäler sind Ausdruck des Genies und der Schaffenskraft eines ganzen Volkes und eben nicht vorerst ihrer Auftraggeber.
    So die Erkenntnis von Bertolt Brecht in „Fragen eines lesenden Arbeiters“. Bei dem auf die Eingangsfrage „Wer baute das siebentorige Theben?“ schon im 3. Vers die ironische Antwort folgt: „Haben die Könige die Felsbrocken herbeigeschleppt?“
    Und ein Lenin wusste wohl, warum er die Zarenpaläste in Sankt Petersburg – die weiß Gott auf brutaler Ausbeutung und unsagbarem Leid aufgebaut sind – vor Plünderung und Zerstörung bewahrte: Weil sie dem Volk gehören.
    Es spricht für die Reife eines Volkes, wenn auch einfache Menschen ihren Beitrag zum Erhalt eines Kulturgutes leisten wollen, mit dem sie sich identifizieren.

    Zur Frage von Großspendern:
    Nun wäre es naiv anzunehmen, Großspender wie etwa der Kosmetikkonzern L’Oréal würden vor allem von Kulturbegeisterung getrieben. Es geht aber noch um einiges über das von Peter Boettel erwähnte Problem der Steuerersparnis hinaus, wirft auch die Frage nach der Demokratieverträglichkeit auf.
    Denn diese Steuerersparnis wird von der Allgemeinheit finanziert. Somit trägt jeder Steuerzahler – ob er will oder nicht – einen Teil dieser „Spende“ mit, über welche die Firmenleitung von L’Oréal allein bestimmt, und darüber hinaus zu deren Renommee.
    Ob eine solche „Zwangsspende“ mit demokratischen Grundsätzen vereinbar ist, darf wohl in Frage gestellt werden.
    Darüber hinaus stellt sich die Frage des Ungleichgewichts von Spenden zu humanitären vs. kulturellen und politischen Zwecken. Für Frankreich darüber hinaus noch die problematische Praxis, dass vom Fiskus nur Spenden an französische Träger als steuerlich absetzbar anerkannt werden. (Wir geben jedes Jahr Steuererklärungen in drei Ländern, Deutschland, Frankreich und Luxemburg, ab, wobei hier von Harmonisierung wenig zu erkennen ist.)

    Als praktische Schlussfolgerung hinsichtlich einer allmählichen Angleichung von Steuerpraxis in EU-Ländern einerseits, zur Beförderung humanitärer Anliegen andererseits stelle ich hier eine Idee zur Diskussion (die ich auch an die Spitzenkandidatin der SPD für die Europawahl, Katharina Barley, weiterreichen möchte):
    „EU-einheitlich wird künftig Steuerermäßigung für Spenden zu kulturellen und politischen Zwecken nur dann gewährt, wenn dem mindestens in gleicher Höhe Spenden zu humanitären Zwecken gegenüber stehen.“

    Das wäre ein sehr einfaches Verfahren, das den Staat keinen Cent kostet und mit dem sich zugleich die Spendenbereitschaft für humanitäre Zwecke testen bzw. befördern ließe.
    Sicher wirkungsvoller als über mangelnde Spendenbereitschaft für Menschen in Not außerhalb unseres Blickfelds zu lamentieren oder fragwürdige Vergleiche anzustellen.

    Über Rückmeldungen würde ich mich freuen.

    Ich wünsche allen Mitbloggern ein frohes Osterfest!

  8. Ergänzend zu meinem letzten Beitrag:

    „Victor Hugo dankt euch für Notre-Dame de Paris, aber vergesst nicht die Elenden.“
    Spruch auf einem Transparent der Gelbwesten.
    Der Spruch stammt in Wirklichkeit von dem Le-Monde-Journalisten Olivier Petitjean.

    Hinweis: Victor Hugo ist Autor von „Notre Dame de Paris“ (Der Klöckner von Notre Dame) und von „Les Misérables“ (Die Elenden).

  9. @Werner Engelmann
    Während ich meinem Kommentar schrieb, zog mir auch durch den Kopf, dass ich da evtl etwas in Bezug zueinander setze, das getrennt betrachtet werden sollte.
    Auf der anderen Seite „holt es mich von den Socken“ wenn ich lese, welche Summen so schnell für den Wiederaufbau bereit gestellt werden und die Gelbwesten gehen nach wie vor auf die Straße um darauf aufmerksam zu machen, dass dem Mittelstand immer mehr der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Das kann ich nicht ausblenden.
    Summen dieser Größenordnung zeigen doch eine schreiende Ungleichheit auf und dies spielt sich in einem Land ab und nicht irgendwo außerhalb unseres Blickfeldes.
    Ich liebe alte Gemäuer, ihre Geschichte fasziniert mich und ich bewundere die Handwerkskunst. Meine Identität stellen sie aber nicht dar.
    Geschichte lässt sich auch nicht wieder herstellen. Sie ist bzw war ein Teil der damaligen Zeit. Das ist nicht transportierbar. Sollten die Handwerker gefunden werden, die heute die Fähigkeit besitzen, diesen Bau wieder auferstehen zu lassen ist es dennoch ein Produkt unserer Zeit.

    Was ich in Frage stelle ist, ob der Wiederaufbau zum jetzigen Zeitpunkt die adäquate Antwort ist. Das verstehe ich unter, wie Sie es nannten, Reife eines Volkes. Nicht blindlings zu agieren, sondern sich Zeit zu nehmen, das für und wider abzuwägen.

  10. Laut einem heute aktualisierten Bericht des „Journal du Dimanche“ will die französische Staatssekretärin für europäische Angelegenheiten, Amélie de Montchalin, einen Kooperationsmechanismus für das gefährdete europäische Erbe ins Leben rufen. Bereits zum 3. Mai dieses Jahres soll die gegenseitig zu erbringende Hilfe und der erforderliche Wissensaustausch innerhalb eines Netzwerks von Experten anlässlich eines Treffens der in der EU für Kultur zuständigen Minister besprochen werden. Bedenkt man, dass wesentlicher Teil des europäischen Erbes die Frage ist: „Wie aber, wenn die von der Theorie vorgezeichnete Entwicklung nicht eintritt, wenn die Kräfte, die den Umschlag herbeiführen sollten, zurückgedrängt werden und zu unterliegen scheinen?“ (Marcuse, in: Zeitschrift für Sozialforschung VI/3, Paris, 1937, S. 636), kann in etwa abgeschätzt werden, welche Reichweite inzwischen die Brandkatastrophe der Liebfrauenkirche in Paris hat. Weshalb in diesem Zusammenhang hier im Blog völlig unterkomplex und beliebig über Ausbeutung, tote Steine, alte Gemäuer, Gelbwesten und ähnlich Abseitiges gesprochen wird, erschließt sich zumindest mir angesichts der Notwendigkeit einer Jahrhundertaufgabe nicht, bei der es um das künftige Überleben der Gattung Mensch geht, falls sie nicht bewältigt wird.

  11. @ Stefan Briem

    Ich fürchte, Sie haben dich hier im Thread vertan. Ihr Beitrag gehört wohl zu Notre Dame.
    Der von Ihnen verlinkte Text ist interessant, ich wüsste nur gern, inwiefern er der von mir (…) Information (nicht Meinung) widerspricht. Es ging mir um die Finanzierung von Kathedralen und die Befürchtung, die Bevölkerung sei dafür geknechtet worden.

    (…)

    (…) Passage gelöscht, da nicht zum Thema.
    Bronski

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