Es gibt mal wieder eine Diskussion über den Begriff „Heimat“ – wohl nicht von ungefähr just zu dem Zeitpunkt, da die teilweise rechtsextreme Partei AfD mit heimatbezogenen Parolen zu punkten versucht. Bundespräsident Steinmeier hatte in einer bemerkenswerten Rede zum Tag der deutschen Einheit gesagt: „Verstehen und verstanden werden – das ist Heimat.“ „Heimat ist der Ort, an dem das ‚Wir‘ Bedeutung bekommt. „Verstehen und verstanden werden – das ist Heimat. (…) Heimat ist der Ort, an dem das ‚Wir‘ Bedeutung bekommt.“ Auf jeden Fall scheint Heimat etwas zu sein, nach dem viele Menschen Sehnsucht haben. Andere, wie etwa die Jugend der Grünen, sehen es anders: „Heimat ist ein ausgrenzender Begriff. Deshalb taugt er nicht zur Bekämpfung rechter Ideologie.“ FR-Leser Berndt Fischer aus Poxdorf hat dazu einen längeren Leserbrief geschrieben, den ich im Print-Leserforum nur gekürzt bringen konnte. Hier kommt er ungekürzt als Gastbeitrag im FR-Blog.

Deutschland, Land der Unorte

Von Berndt Fischer

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Warum wird eigentlich in die Diskussion um die Heimat (oder geht es nur um den „Begriff“ Heimat) nie einbezogen, unter welchen natürlichen Gegebenheiten Menschen ihre Umgebung als Heimat empfinden? Dabei ist es naheliegend, dass Menschen, die in der Nähe von Bergen, Meeresküsten, Flüssen, großen Wäldern oder Kulturlandschaften ihre natürliche Sozialisation erfahren haben, durch diese geprägt sind. Was wäre z.B. die Millionenstadt Wien ohne ihre stadtnahen Donauauen? Viele Namen von Städten und Orten verweisen ja auch auf Naturräume (Wasser, Wald, Heide usw.), ja selbst auf regional typische Baum- oder Tierarten.

Dass diese „harmlosen“ Zeilen fast wie aus dem Poesiealbum klingen, liegt leider daran, dass dieser natürliche Bezug durch die Naturverwüstung in Deutschland fast wie eine Ironie wirkt, leben wir doch in einem Land, das weitgehend aus „Unorten“ besteht. An die Stelle der Landschaft (Heimat) ist die austauschbare Gegend getreten. Fast überall sieht es gleich aus, industrialisierte Landwirtschaftsflächen grenzen an Verkehrsflächen, Gewerbegebiete, gesichtslose Siedlungen, in denen die Verkehrsteilnehmer und Verbraucher wohnen… Von der bis vor ca. 40 Jahren prägenden Natur (Obstbäumen, Auen und Sümpfen, Sande, Heiden, Wiesen, Wäldern regional unterschiedlichster Prägung usw.) ist sehr viel verschwunden, dem Wirtschaftswachstum geopfert und verbaut worden.

Viele Menschen denken wohl auch (falls sie darüber nachdenken), dass das nicht so wichtig für unser Empfinden und Wohlfühlen sei. Und so nimmt es nicht Wunder, dass selbst der Bundespräsident sich in Heimat-Geschwurbel ergeht („Verstehen und verstanden werden – das ist Heimat“) und dass die angebliche Öko-Partei Grüne Heimat ausschließlich soziologisch definiert, in Bezug auf das Zusammenleben der Menschen mit oder ohne Migrationshintergrund.

Viele (auch ich) leben in einer Region, in der sie nicht geboren wurden. Das ändert aber nichts daran, das man dort verwurzelt und neben dem sozialen Geflecht und der Identifikation mit einer (hoffentlich) historisch und nicht nur ökonomisch gewachsenen Stadt seine emotionalen Wurzeln in der umgebenden Natur findet. Das könnten Seen, Teiche, Bäche, Hügel, Allen, Baumreihen, Blumenwiesen… sein. Und schon wieder klingt es nach Poesiealbum, weil in diesem Land, das wir so lieben (Göring-Eckardt), den Menschen das natürliche Substrat unter den Füßen weggezogen wurde. Nicht nur die Nazis haben den Heimatbegriff vergewaltigt, sondern diese Lebensumwelt oder schöner gesagt Heimat wurde dem „Wohlstand“ geopfert.

„Grün kaputt“ resümierte schon 1983 Dieter Wieland, im selben Jahr zogen die Grünen mit dem Anspruch „Anders leben, anders wirtschaften…“ in den Bundestag ein. Was ist davon übrig geblieben? Mittlerweile sind die meisten Grünen dieselben Naturanalphabeten wie die meisten anderen Machtträger. Und es ist auch nicht verwunderlich, sprechen doch immer wieder dieselben Vertreter einer vorwiegend urbanen Mittel- und Oberschicht aus der naturentfremdeten Position des Soziologen, Ökonomen, Juristen, Informatikers usw. Und an die Stelle einer echten Besinnung auf die natürlichen Wurzeln auch unserer sozialen Existenz sind Scheinlösungen getreten, die die Zerstörung vorantreiben (nachwachsender Rohstoff Holz, Energiepflanzen in der Landwirtschaft…).

Die Rolle, die unser „Heimatland“ bei der Zerstörung anderer, weit entfernter Heimaten durch Rohstoffhunger, Waffenlieferungen, Regenwaldvernichtung zugunsten von Ölpalmen und Sojaimporten spielt, das wäre ein anderes Thema. Aber nicht nur für ein Heimatmuseum, sondern die gesamte Politik und auch die FR.

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21 Kommentare zu “Deutschland, Land der Unorte

  1. Meine Großeltern väterlicherseits, die beide in Bessarabien geboren sind und als Kolonisten am Schwarzen Meer lebten, flüchteten in den 1940er Jahren mit ihren Kindern in die, wie sie selbst sagten, ursprüngliche Heimat nach Württemberg, wo sie nach der bedingungslosen Kapitulation des deutschen Faschismus schließlich auch angekommen sind. Bedenkt man, dass zuvor über die Generationen hinweg eine Migration durch halb Osteuropa erfolgte, kann daran sehr anschaullich abgelesen werden, welch immenses soziales Kapital die Altvorderen meiner Familie im Lauf der Zeit akkumuliert haben. Das äußerte sich bereits in deren Sprachbegabung. Neben Hochdeutsch konnten sich meine Großeltern auf Plattdeutsch verständigen. Sie unterhielten sich aber auch in Teilen auf Russisch oder Rumänisch, jedoch waren sie nicht mehr des Schwäbischen mächtig. Für die Alteingesessenen blieben sie allerdings, obwohl ihre Vorfahren nachweislich aus Württemberg stammten, zeitlebens bloß Flüchtlinge, an deren angehäuftem Vermögen kein wirkliches Interesse bestand. Selbst ihre Enkel erfahren heute noch eine Geringschätzung ihrer Fertigkeiten, sich ohne weiteres in multireligiösen und multiethnischen Gemeinschaften bewegen zu können, die nicht unerträglicher sein könnte, weil sich darin angeblich nichts „Deutsches“ findet; was immer das heißen mag. Wenn also Bundespräsident Steinmeier jüngst davon sprach, dass Verstehen und verstanden werden Ausdruck von Heimat ist, bin auch ich immer noch ein Fremder, der außer tiefes Misstrauen angesichts seiner ererbten Befähigungen nichts zu erwarten hat. Weil meine Großmutter mütterlicherseits Bürgerin der Vereinigten Staaten von Amerika war, habe ich mich deshalb schon vor Jahren an die dafür zuständigen Behörden in Übersee gewandt, um einen etwaigen Anspruch auf die dortige Staatsangehörigkeit klären zu lassen.

  2. Berndt Fischer schreibt mir aus der Seele. Ob er daraus die gleichen energie-
    und umweltpolitischen Schlussfolgerungen zieht wie ich, entzieht sich meiner Kenntnis.

  3. Was mir indes nicht fremd ist, ist die vor über einhundert Jahren öffentlich gewordene Reklamation von Karl Marx einer menschlichen Arbeitskraft, die nicht anders als Naturkraft zu verstehen ist (MEW 19: 15). Im Unterschied zum „deutschen Michel“ bleibt mir deshalb der Leserbrief von Berndt Fischer ein unlösbares Rätsel.

  4. @ deutscher Michel

    Nun ja, aus den vom Braunkohleabbau zerfurchten Landstrichen kann man immerhin schöne Seenlandschaften gestalten, wie es in Ostdeutschland geschieht. Dazwischen rutschen allerdings ab und zu ein paar Häuser in die Grube. Ganze Ortschaften sind schon im Hunger der Menschheit nach Strom (durch Wasserkraft) versunken und im vom Atom-Supergau betroffenen Tschernobyl kann gar niemand mehr leben.
    Was ist nun das kleinere Übel?

  5. @ Brigitte Ernst:
    Das geringste Übel ist nach meiner Einschätzung der Flüssigsalzreaktor mit Thoroumverwendung.
    Dieses fällt z.B. beim Abbau von Lithium (Stichwort: Batterie) als radioaktives Nebenprodukt sowieso an.

  6. @ deutscher Michel

    Hören Sie sich dazu doch mal Harald Lösch auf you-tube an. Der ist anderer Meinung.

  7. Tja , Heimat . Ich glaube , es ist das Gefühl , das einen beschleicht , wenn man an früher denkt , wo auch immer das war , in der Prägephase . Man kann nie wieder hin , weil die Zeit darüber hinweggeht , alles verändert sich , getreu des Spruchs „man kann niemals im gleichen Fluss baden „.Heute wird der Spruch „Heimat“ als Politikum genutzt , um etwas unterzumogeln ,mit Hilfe dieses Begriffs . Für mich ist die Heimat der Planet , auf dem wir alle leben , wenn wir auf den nicht8 aufpassen (und wir tun es nicht ) geht die ganze Heimat den Bach runter .

  8. @Brigitte Ernst
    Der Beitrag von Herrn Lesch ist derartig peinlich, dass man besser den Mantel des Schweigens darüberlegt. Ein kurzer Blick in Wikipedia hätte genügt, um die gröbsten Fehler zu vermeiden.

  9. Kann Ostfriesland denn Heimat sein?
    Ich erinnere mich an einen Sketch (ca. 1970, vermutlich Münchener Lach- und Schiessgesellschaft).
    Ein Mann verkauft an einem Stand kleine Gläser mit Heimaterde. Er hat Ostpreußen, Schlesien und das Sudentenland im Angebot. Als ein Mann nach Hannover fragt, bekommt er als Antwort: «Hannover, das ist doch keine Heimat!»
    Die Verbände der Heimatvertriebenen und ihr Widerstand gegen die Entspannungspolitik haben mir wohl den Begriff Heimat für immer verleidet.

  10. @ Brigitte Ernst:
    Wäre es ein astronomisches Thema, wäre Lesch wirklich ein Profi – zum Thema Kernenergie hat er sich (soweit ich mich erinnere im ZDF) auch schon ordentlich vertan!

  11. @ deutscher Michel und Henning Flessner

    Dann haben Sie also die Lösung des Energieproblems gefunden. Warum wissen das unsere dummen Politiker bloß nicht?

    Aber eigentlich wollte ich mich zum Thema Heimat äußern. Das Wort hat auch für mich einen leicht reaktionären und allzu gefühligen Beigeschmack.
    Zu Hause bin ich da, wo meine Familie und meine Freunde sind, wo ich mich zugehörig fühle, wo ich die Mentalität der Menschen verstehe und das, was im öffentlichen Leben passiert.
    Als ich von 1980 bis 83 in Italien lebte, fühlte ich mich hauptsächlich deshalb lange Zeit heimatlos, weil ich, obwohl ich die Sprache relativ schnell lernte, die politischen Vorgänge, die ja zur besagten Zeit in diesem Land besonders kompliziert waren, nicht durchschaute und das Gefühl hatte, nicht an ihnen teilzuhaben. Was mir die italienischen Zeitungen vermittelten, verstand ich nicht (schon allein die Abkürzungen der Gewerkschaften, Parteien und sonstigen politischen Gruppierungen waren mir fremd, und es gab kein Google, um sich zu informieren), und wenn ich die einzige deutsche Zeitung, die man am selben Tag um 14 Uhr am Kiosk kaufen konnte (die FAZ) las, wurde mir erstens angesichts der dort veröffentlichten Meinungen übel, und zweitens ging mich das, was im fernen Deutschland geschah, gar nichts mehr an, weil ich als damals nicht Wahlberechtigte nicht mehr dazugehörte. Aus diesem Grund fühlte ich mich ausgeschlossen und heimatlos.
    Die räumliche Umbegung spielt für mich keine so zentrale Rolle. Zwar freue ich mich immer, wenn ich beim Einschweben auf den Flughafen oder bei der Einfahrt in den Hauptbahnhof die Frankfurter Skyline wiedersehe, und ich gehe auch gerne in den Niddawiesen und im Taunus spazieren, aber das wird mir auch schnell langweilig und ich setze mich in den Zug oder ins Auto, um in andere Landschaften und Städte einzutauchen.

  12. @Brigitte Ernst:
    Ich bin mir sicher – ein Joschka Fischer und ein Jürgen Trittin wissen es. Die haben die Grünen bestimmt nicht aus „Öko“-Gründen gekapert. Aber das Thema Kernenergie lässt sich herrlich mit Angst besetzen und konnte/könnte vermutlich immer noch die viele Menschen mobilisieren.

  13. @ deutscher Michel

    Gekapert, na ja. Das Thema Kernenergie lässt sich doch deshalb so „herrlich mit Angst besetzen“, weil es Tschernobyl, Fukushima und reichlich andere kleinere Störfälle mit unüberschaubaren Dauerfolgen gegeben hat.
    Und warum stehen nicht massenhaft Wissenschaftler auf und belehren die ungebildeten Massen über diese wunderbare Erlösung aus dem Energie-Loch? Und warum haben nicht schon clevere Geschäftemacher diese hevorragende Geldquelle entdeckt? Rätselhaft!

  14. Zum Begriff „Heimat“:

    Es bietet sich ein Vergleich zu „Patrie“ im Französischen an.
    Die frz. Ausgabe von „Wikipedia“ setzt diesen Begriff in Bezug zum deutschen „Vaterland“, unterscheidet eine politische und eine emotionale Komponente (Übersetzung von mir):
    „Eine relativ moderne und kriegerische Version definiert ‚Patrie‘ als das Land, die Nation, für die man sich aufzuopfern bereit ist.
    Eine eher heitere Version sieht darin den Ort, wo man seine familiären und/oder emotionalen Beziehungen verankert sieht, bzw., im Zuge von Immigration, das Land, das man gewählt hat, um dort sein Leben zu verbringen.
    Patriotismus (Wort, das auf 1750 zurückgeht) ist die gefühlsmäßige oder politische Anbindung an ‚Patrie‘. Der Begriff ‚Patrie‘ ist dabei mit einer identitären Affektivität belastet, er betont die Differenz oder die Nähe zu anderen und kann dabei auch zu Fremdenfeindlichkeit führen.“

    Diese Definition erscheint mir nüchtern und zugleich ziemlich umfassend, zeigt dabei die reduzierte, gefühlsbetont schwurbelige Bedeutung des „Heimat“begriffs auf, wie er im Deutschen oft verwandt wird.
    In dieser Hinsicht stimme ich dem Hinweis von Brigitte Ernst auf einen „leicht reaktionären und allzu gefühligen Beigeschmack“ zu.
    „Gefühlig“ deshalb, weil die – zweifellos gegebene – politische Dimension verschleiert und nur unterschwellig transportiert wird. „Reaktionär“, weil die – in der französischen Version deutlich erkennbare – Veränderung des Wortinhalts im Zuge gewaltiger gesellschaftlicher Umwälzungen und Ereignisse einfach unterschlagen und eine nostalgische, scheinbar bruchlose Rückkehr zu einem romantischen Verständnis suggeriert wird.
    Als Umwälzungen, welche die Wortbedeutung völlig veränderten, wären zu nennen:
    Industrialisierung (die eine naturbezogene Bedeutung nicht mehr erfahrbar macht); politischer Missbrauch zu nationalistischen Zwecken im Kaiser-Reich (deutsch-französische „Erbfeindschaft“) und natürlich zur NS-Zeit; massenhafte Fluchterfahrungen nach dem 2. Weltkrieg („Heimat“-Nostalgie und Rückkehr-Illusionen); zuletzt neue Flucht- und Immigrationsbewegungen in entgegengesetzter Richtung (mit sentimental bis aggressiven Abwehrreaktionen).

    Schlussfolgerung:
    Die Wiederbelebung des „Heimat“-Begriffs im politischen Kontext erscheint höchst suspekt und nicht weit entfernt von ähnlichen AfD-Versuchen, z.B. bez. des Gebrauchs von „Volk“ und „völkisch“.
    Brauchbar und akzeptabel in diesem Zusammenhang erscheint mir der Begriff „Heimat“ nur noch, wenn klar erkennbar ist, in welcher Bedeutung und mit welchen politischen Zielen er verwandt wird, und wenn der Bedeutungsveränderung im Zuge der genannten Umwälzungen Rechnung getragen wird.
    Im politischen Zusammenhang erscheint mir der Begriff „Verfassungspatriotismus“ völlig ausreichend und frei von bedeutungsschwangeren, die politische Absicht vernebelnden Assoziationen.

  15. @ Werner Engelmann

    Interessanter Vergleich. Allerdings bereitet es mir ein wenig Bauchschmerzen, dass in Frankreich diese „Patrie“ noch heute in der Nationalhymne auf höchst martialische Weise besungen wird.
    „Aux armes, citoyens“ etc., bis hin zu dem Wunsch, dass das unreine Blut der Feinde die Ackerfurchen tränken möge. Und das vom royalistischen Autor ganz eindeutig gegen Preußen und Österreich gerichtet, auch wenn man einwenden kann, dass es später als Revolutionshymne verstanden wurde. Als politisch korrekt kann man ein derart blutrünstiges Kriegslied jedenfalls nicht bezeichnen. Wenn so etwas in Deutschland gesungen würde, wäre der Teufel los.

  16. @ Brigitte Ernst

    Das Problem mit der martialischen Marseillaise ist ja vor Jahren schon diskutiert worden. Aber historisch überlieferte Texte verändert man eben nicht. Ich kenne auch niemanden, der sich beim Absingen der Hymne mal irgendwelche Gedanken über den Inhalt gemacht hätte.

    Nebenbei: Der Großvater meiner Frau namens Ulysse (Odysseus) – ein Unikum, er starb mit 95 – konnte keine Gelegenheit auslassen, mit seinen Gesangskünsten zu animieren. Einmal hörte ihn mein Schwiegervater im Radio anlässlich der Tour de France.
    Bei unserer Verlobung (1970) schmetterte er mit voller Leidenschaft antideutsche Lieder aus dem 70er Krieg. Meine Schwiegermutter fiel fast in Ohnmacht. Aber alle nahmen’s mit Humor, und der Beifall war gewiss.
    Er war übrigens der erste, der uns die Glückwünsche zu unserem Sohn nach Berlin übermittelte und seinen Stolz als Urgroßvater zum Ausdruck brachte. Er hat unseren Sohn auch innig geliebt.

  17. @ Werner Engelmann

    Ich muss zugeben, Melodie und Rhythmus der Marseillaise haben etwas Mitreißendes. Als ich mich mit Sohn und amerikanischer Schwiegertochter samt deren Vater und Bruder vor zwei Jahren auf einer Tour durch Südbaden und das Elsass befand, begannen wir alle, unseres mehr oder minder umfangreichen Französischunterrichts eingedenk, beim Überfahren der Grenze diese Hymne zu schmettern. Der Inhalt spielte da tatsächlich keine Rolle.
    Wenn man das allerdings mit dem heutigen Umgang mit dem Deutschlandlied vergleicht, fällt auf, dass es hier umgekehrt war. Hoffmann von Fallersleben wollte mit den Worten „Deutschland über alles“ ja die Notwendigkeit eines vereinten Deutschland angesichts der Zerstückelung in 33 Kleinstaaten anmahnen. Nur weil das später als Aufruf zur Eroberung fremder Territorien missinterpretiert wurde, strich man nach dem Zweiten Weltkrieg die erste Strophe aus dem Text der Nationalhymne.

  18. zum Begriff „Heimat“
    Schobert und Black haben in ihrem Lied „Des Heizers Traum“ es auf den Punkt gebracht:
    „Doch wenn sie alle Heijmat schreijn,
    kann er doch nich dajejen seijn!“

  19. „Wir holen uns unser Land zurück.“ Das (so oder so ähnlich) verspricht die AfD. Als hätten wir es verloren. Für die Rechten meint Heimat Deutsches für Deutsche. So grenzen sie aus und suggerieren Sicher- und Geborgenheit in einer Welt, die diese Sicherheit nicht mehr geben kann oder will. Dass auch die etablierten Parteien das Thema (wenn auch nicht in dieser Ausprägung) für sich entdecken, war zu erwarten. Nein, sie werden nicht neonational wie die Rechten, aber auch sie setzen auf das „Wir“ hier, statt das „Wir“ überall und führen in die Irre, wie ich meine. Für mich ist „Heimat“ mehr. „Heimat“ ist dort, wo der Einzelne wieder Stabilität und individuelle Sicherheit auf dem soliden Fundament einer dem Gemeinwohl verpflichteten Gesellschaft und Wirtschaft findet und diese „Heimat“ nicht in Grenzen presst.„Heimat“ ist so nicht nur ein Fleck Erde – so schön und liebenswert er sein mag -, sondern eine Vision, für die es sich lohnt, zu kämpfen. Denn diese Heimat haben wir wirklich verloren.

  20. Eine Debatte, die ablenkt. Die Entwurzelung des Einzelnen, der ihm auferlegte Zwang, sich immer wieder darzustellen, anzubieten und anzubiedern, sich zu behaupten, sich bewerten zu lassen, wo er geht und steht, ist doch gewollt. Doch nicht jeder ist willens und vor allem nicht in der Lage, auf diesem Markt einen Platz zu finden. Schon gar nicht dann, wenn er alleine gelassen wird mit den Risiken dieser Weltanschauung. Zurück zur heimeligen „Heimat“ hilft da nicht.
    Doch wenn der Begriff Heimat meinen soll, dem Einzelnen wieder Stabilität auf dem soliden Fundament einer dem Gemeinwohl verpflichteten Gesellschaft und Wirtschaft zu geben und er selbst an Grenzen nicht Halt macht, stört er mich nicht. Im Gegenteil. Dann ist „Heimat“ nicht nur ein Fleck Erde, sondern eine Vision, für die es sich lohnt, zu kämpfen. Denn diese Heimat haben wir verloren.

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