In letzter Zeit reden wir hier im FR-Blog viel über die Ursachen der Flüchtlingsströme. Eine davon — so auch im vorangegangenen Gastbeitrag von Yousif S. Toma angesprochen — könnte unser Konsumverhalten hier im Westen sein. Ich bringe einen langen Leserbrief von Alex Kunkel aus Essen als Reaktion auf den FR-Artikel „Fair Trade – da geht noch was„. Herr Kunkel kennt sich in der Kaffeebranche, genauer: in deren Fair-Trade-Zweig, gut aus. Im Print-Leserforum konnte ich die Zuschrift nur in gekürzter Form veröffentlichen. Sie setzt sich auch kritisch mit Fair Trade auseinander, der eigentlich ein Teil der Lösung der Probleme sein sollte …

Fairer Espresso to go?

von Alex Kunkel

Die zu Beginn des Artikels geschilderte Vertreibung von Kleinfarmern zugunsten einer Robusta-Großplantage in Uganda war das Werk der Fa. Neumann/Hamburg, dem größten Grünkaffeehändler der Welt. Das ging als der „Fall Mubende“ in die Vertreibungsgeschichte unzähliger Landgrabbing-Vorfälle weltweit ein.

Ich habe diese Plantage 2007 selbst besichtigt und arbeite seit Jahren im Rahmen des Fairen Handels mit Fairtrade-Kaffeeproduzenten aus Uganda zusammen. Dabei werden die Widersprüche das Faien Handels unübersehbar: Der bekannte Röster Dallmayer/München nahm den Fall Mubende zum Anlass bei Neumann künftig keinen Robusta-Kaffee aus Uganda mehr abzunehmen. Ein tolles Placement im Rahmen der „Corporate Responsability“ genannten sozialen Verantwortung von Unternehmen – und gut für Dallmayer, um sich bei Verbrauchern anzudienen.

Andererseits vertreibt Neuman durch seine Tochter „Interamerican-Coffee“ fairtrade-zertifizierten Kaffee aus Uganda von meiner Partner-Kooperative GUMUTINDO: Arabica-Bugisu AA als Gourmet Kaffee in 60-Kilo-Säcken. Die Marktpräsenz von Neumann dürfte so stark sein, dass auch die Fa. Dallmyer wohl nicht umhin kommt, anderen Neumann-Kaffee als grüne Ware zu beziehen. Der Kaffeesektor plaziert seine Auswahl an zertifizierter Ware nach Marktanalyse genau in dem Umfang, wie auch zusätzlicher Umsatz lockt.

Neben Fairtrade kommen die Siegel UTZ, Rainforest-Alliance und BIO zum Einsatz. Das führte beim Kaffee in Deutschland zu einem marginalen Marktanteil von nur rund drei Prozent. Der Erfolg von Fairtrade führt immer häufiger dazu, dass Großplantagen mit Angestellten sich zertifizieren lassen. Damit wird das Terrain zunehmend unübersichtlich. Innerhalb der Fairtrade-Bewegung wird berechtigte Kritik laut, die die Abkehr vom Konzept der Förderung kleinbäuerlicher Landwirtschaft bemängelt – das wird z.B. von der GEPA und ElPuente als Importeuren noch aufrecht erhalten.

Der große Wurf zur Herstellung globaler Gerechtigkeits-Strukturen allein durch Verbaucher-Verantwortung scheitert an inneren Widersprüchen der kapitalistischen Wachstumsdynamik: Fairer Starbucks-Espresso im Wegwerf-Becher? Fairer Kapsel-Kaffee aus dem ökologischen Wahnsinnsautomaten von Nespresso? Hat jemand mal die Klimabilanz von Coffee-to-Go inklusive der gesamten Produktion von Kapsel-und Pad-Maschinen ausgerechnet? Auch der Fairtrade-Bereich nimmt teil an der unsäglichen ständigen Erweiterung der Produktvielfalt – siehe z.B. die Anzahl der Schokoladen-Sorten. Capucchino als löslicher Kafee bei ALDI – aber fair gehandelt!

Trotz aller hier geschilderten Einschränkungen beteilige ich mich weiter am Fairen Handel, weil ich gesehen habe, daß bei Gumutindo in Uganda kleinräumig nicht nur die Farmer profitieren, sondern durch den genossenschaftlichen Zusammenschluss gesellschaftlich wirksame Kollektive entstehen, deren Bedeutung weit über die Frage eines „gerechten Preises“ hinausgehen.

In Uganda leisten die Frauen 80 Prozent der landwirtschaftlichen Arbeit, haben aber nur acht Prozent Landbesitz – Kaffeepflanzen durften traditionell Frauen gar nicht ihr Eigentum nennen. Bei Gumutindo werden planmäßig die Parzellen zwischen Frauen und Männern aufgeteilt und der Frauenanteil ist auf knapp 50 Prozent angestiegen. Frauenkaffee wird eigens vermarktet! Das alles wird wiederum überschattet von der knallhart neoliberalen Wirtschaftspolitik der ugandischen Regierung Museveni, der als Musterschüler des IWF gilt und bereits seine 4. (vierte!) Amtszeit absolviert.

Die Hälfte der in Uganda produzierten Milch kommt nicht an gegen die subventionierten EU-Billigimporte – auch aus Deutschland! Der Strom, der künftig bei Gumutindo die 380 Volt-Verarbeitungsmaschinen in der Kaffeefabrik in Mbale speisen wird, wird aus Wasserkraftwerken am Victoria-See kommen, deren Bau und Betrieb tausende umgesiedelte / vertriebene Kleinfarmer zur Folge hatte. Außerdem sind die ökologischen Folgen für den See höchst prekär.

Man sieht: Die Verhältnisse sind höchst kompliziert. Verbraucherverantwortung gemäß den Möglichkeiten, die der Hartz IV-Geldbeutel bietet ist ganz gut, aber soziale und ökonomische Umwälzungen, die die beschriebenen Profit-Verhältnisse ändern – hier wie dort – sind auch kein schlechtes Ziel.

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2 Kommentare zu “Fairer Espresso to go?

  1. Wenn es nicht möglich ist jedes einzelne Produkt zu überprüfen das man kauft ob es wirklich Fair gehandelt ist muss man akzeptieren das man das eine oder andere mal falsch informiert ist. Man sollte dann aber als erstes mal sich dafür einsetzen das z.B. keine billig gemachte Agrarprodukte aus der EU in die 3 . Welt geliefert werden und da die Eigenproduktion kaputt machen. Dazu sollte man aber besser keine Kanzlerin haben die Vorsitzende einer Bauernpartei ist die sich als Ziel gesetzt hat die Subventionen in der Landwirtschaft hoch zu halten.

  2. Danke, Alex Kunkel, für Ihren so klaren Beitrag! Ich bin froh, dass die FR sich immer wieder ähnlichen Themen widmet – wie über den „Fall Mubende“ (landgrabbing) in Uganda oder vor kurzem auch über das Positivbeispiel der Uganderin, die eine Schokoladenproduktion aufgebaut hat und mit Erfolg ihre Produkte regional vertreibt.
    Ihr Leserbrief zeigt zwar deutlich die Widersprüche auf, entmutigt aber nicht. Wenn ich Produkte von GEPA oder ElPuente kaufe, dann mache ich lieber einen Umweg oder einen Extragang, um sie beim ehrenamtlich betriebenen Weltladen zu kaufen, statt sie aus Bequemlichkeit beim Supermarkt oder einer Drogeriekette mitzunehmen. Es ist sicher nur ein Tropfen auf den heissen Stein, aber besser 1 Tropfen als gar keiner. Auch die engagierten Weltladenbetreiber wissen wohl um die Fragezeichen, geben aber nicht auf.
    Leider gelingt es mir kaum, Freunde oder Nachbarn anzustecken (die trotz ziemlichen Wohlstands treue Aldi-etc-Kunden sind und den Weltladen eher belächeln).
    Ich habe diesen Leserbrief einigen aufgeschlossenen Freunden, die keinen Zugang zur FR bzw. dem Blog haben, weitergeleitet. Ausserdem empfehle ich Interessierten folgenden Link (mit vielen Zusatzinformationen):

    http://blog.worldcoffee.info/?page_id=1573

    DANKE, Alex Kunkel, dass Sie nicht aufgeben!

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