Wer Wasser mit dem Drahtkörbchen transportiert

Europas führende Politiker scheinen von der Sorge umgetrieben zu werden, dass Europa den Anschluss an die globale wirtschaftliche Entwicklung verpasst, wenn es nicht mehr Freihandel zulässt. Abkommen wie das Comprehensive Economic and Trade Agreement (Ceta) zwischen der Europäischen Union und Kanada sollen dazu dienen, diesen Handel zu fördern. Zunächst in Geheimrunden verhandelt, wurde der Stand der Dinge in Teilaspekten von Ceta mehrfach geleakt, bis sich die Europäische Kommission im September 2014 endlich entschloss, den Vertragstext zu veröffentlichen. Diese Vorgehensweise hat ihr Kritik eingetragen und Misstrauen gefördert. Bis heute ist die Kritik an Ceta – und dem viel wichtigeren TTIP, einem ähnlichen Abkommen mit den USA – nicht verstummt. Am kommenden Wochenende soll wieder gegen Ceta demonstriert werden.

Auch SPD-Politiker sind von Ceta angetan. Außenminister Frank-Walter Steinmeier schrieb in einem Gastbeitrag für die FR:

„Wir erleben dieser Tage eine heftige, bisweilen ideologische Auseinandersetzung über Sinn und Zweck des Freihandels. Auch hier begegnet uns die Sehnsucht nach Abgrenzung, mal, wenn Offenheit als Bedrohung des eigenen Arbeitsplatzes erlebt wird oder aber, wenn europäische Regelungen per se als überlegen betrachtet werden. Dass diese Debatte ausgerechnet in Deutschland derart vehement geführt wird, mag mit einem Blick auf unsere Wirtschaftsdaten verwundern. Unsere Volkswirtschaft ist doch auch deshalb so erfolgreich, weil wir eine boomende Exportwirtschaft haben. Internationale Zusammenarbeit, wirtschaftliche Verflechtung und offene Märkte haben uns großen Wohlstand beschert.“

Einen Wohlstand allerdings – das vergisst der Sozialdemokrat zu sagen -, der immer weniger Menschen in Deutschland erreicht. Die Frage steht im Raum, wem Ceta tatsächlich nützen wird. Den verarmten Familien und Alleinerziehenden in Deutschland, der wachsenden Zahl von in Armut lebenden Kindern? Mir ist nicht bekannt, dass Herr Steinmeier sich zu diesem Thema auch nur annähernd so wortreich ausgelassen hätte wie jetzt zu Ceta.

Auch der SPD-Vorsitzende und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel findet Ceta gut. Er bringt nach und nach die Parteigremien auf seine Linie mit dem Ziel, Ceta parlamentarisch zu beraten und dabei noch Klarstellungen und Verbesserungen zu erreichen, wie es in einem Antrag für einen Parteikonvent heißt, der am 19. September stattfinden wird. Dabei ist allerdings die Frage noch immer nicht endgültig geklärt, ob Ceta überhaupt zustimmungspflichtig für die Parlamente ist. Die EU-Kommission sieht das anders, sie steht auf dem Standpunkt, dass die Aushandlung von Ceta allein in ihre Kompetenz gefallen sei, so dass kein Parlament bis auf das EU-Parlament dem Abkommen zustimmen müsse. Dagegen sind deutsche Politiker, unter anderem gestützt auf den Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages, zu der Auffassung gelangt, dass Ceta ein sogenanntes „gemischtes Abkommen“ sei, dass in die Gesetzgebungskompetenz des Bundestages eingreife und daher von ihm ratifiziert werden müsse.

Hagen Stieper aus Frankfurt meint zu Steinmeiers Gastbeitrag:

„Leider scheinen Herr Steinmeier und Herr Gabriel uns Bürger für Leute zu halten, die Wasser mit dem Drahtkörbchen transportieren. Die „Präambel“ des Ceta-Abkommen liest sich in der Tat als ein Traktat guter Absichten. Im Text des Abkommens werden diese dann jedoch immer wieder unterlaufen. So ist z.B. „sicherzustellen, dass die gesundheitspolizeilichen und pflanzenschutzrechtlichen (…) Maßnahmen der Vertragsparteien keine ungerechtfertigten Handelshemmnisse schaffen“ (Annex 1, Art. 5.2). Mit schwammigen und schludrigen Formulierungen werden auch weiterhin interessierten Unternehmen Klagemöglichkeiten und Klageandrohungen gegen Staaten nahegelegt. Natürlich nur großen Unternehmen, die sich entsprechende Rechtsabteilungen und Anwälte auch leisten können. Und denen große Wirtschaftsanwaltskanzleien die Klage als zusätzliches Geschäftsmodell schmackhaft machen können.
Die Möglichkeiten regionaler Wirtschaftsförderung werden weitgehend aus-gehebelt. Kleine und mittlere Unternehmen haben das Nachsehen. Maßnahmen im öffentlichen Beschaffungswesen greifen – wenn überhaupt – nur, wenn sie „angemessen“ erscheinen. Ob dies so ist, entscheidet im Zweifelsfall eine Schiedsstelle oder – ein Investitionsgericht.“

Christian Karsten aus Andernach:

„Frank-Walter Steinmeier fragt zu Beginn seiner Ausführungen nach den Gründen für das Erstarken der AfD. Ich kann ihm bei der Ursachenermittlung helfen. Er selbst ist maßgeblich schuld. Als Architekt der Agenda 2010 hat er eine Politik eingeleitet, die große Teile der Gesellschaft abgehängt hat, und das irreversibel, wenn z.B. in der Rentenpolitik nicht umgehend umgesteuert wird. In gewohnter Spitzenpolitikerignoranz blendet er die real vorhandenen, von den etablierten Parteien verursachten Probleme aus und macht die Überforderung des Wählers, der offensichtlich zu dämlich ist, sich in der realen Welt zurechtzufinden, als Ursache des Übels aus.
Ceta soll es nun richten. Kann Herr Steinmeier mir einmal erklären, wie durch Einrichten einer Paralleljustiz, Pflicht zu Privatisierungen, Verbot einer Rückabwickelung von Privatisierungen und die Akzeptanz unterschiedlicher Normen in großem Stil Arbeitsplätze entstehen sollen? Es spricht für sich, dass sich an gleicher Stelle in der FR kurz hintereinander ein Spitzenpolitiker der SPD und der Präsident des BDI nahezu identisch äußern. So wird das nichts mit dem Zurückdrängen der AfD und dem Erringen einer Mehrheit für einen SPD-Kanzler bei der nächsten Bundestagswahl.“

Eckart Seifert aus Glashütten:

„Ceta soll vorläufig eingeführt werden. Wer so etwas vorschlägt, gleicht einem Arzt, der seinem Patienten die vorläufige Amputation eines Beines empfiehlt. Seriös wäre das nicht zu nennen.
Seriös ist es auch nicht, den Widerstand gegen TTIP und Cetals grundsätzlich ablehnende Haltung zum Welthandel zu bezeichnen. Der Widerstand richtet sich nicht gegen den Welthandel, sondern gegen die in den Verträgen vorgesehene Ausgestaltung dieses Handels. Schließlich wird schon seit Jahren Welthandel betrieben, ohne dass er diesen massiven Protest hervorruft gegen den Geist, der Investitionsschutz groß schreibt, aber den Schutz der Arbeitnehmerrechte sowie der Umwelt, also unseres Lebensraumes, als Handelshemmnis versteht. Darum geht es den Vertragsgegnern doch: Sie lehnen die Verträge ab, weil die Verträge Geldschutz vor Lebensschutz stellen.
Geradezu ein Stück aus dem Tollhaus ist es, wenn Politiker solchem Investitionsschutz genannten Dienst am Geld zuzustimmen. Sie stimmen Verträgen zu, mit denen sie ihre Entscheidungen knebeln. Sie geben ihre Verantwortung aus der Hand. Nicht mehr das Kapital ist dem Parlament verantwortlich. Das Parlament ist dem Kapital verantwortlich.
Wenn ein Konzern oder wer auch immer in einem Gesetz ein mögliches Handelshemmnis sieht, kann er das Land verklagen.
Wenn ich nur an die immer neuen Lebensmittelskandale, an die Skandale der Deutschen Bank denke und an den Abgasskandal bei VW und an Vorstandsmitglieder und Banker, die trotz schlechten Wirtschaftens ihre Boni einfordern, soll ich bei einer Stärkung ihrer Position durch Ceta keine Angst bekommen?“

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9 Kommentare zu “Wer Wasser mit dem Drahtkörbchen transportiert

  1. Mit Verlaub, Herr Bundesaußenminister Steinmeier. Zig-Tausende demonstrieren seit Monaten und es sind nicht nur die „üblichen Verdächtigen“, das sogenannte „Pegida-Pack“ von Herrn Gabriel, die sich mit Bedenken gegen die beiden Freihandelsabkommen lautstark zu Wort melden. Es sind auch nicht nur die, denen die Welt zu schwierig und zu unübersichtlich ist. Damit machen Sie sich die Sache zu einfach. Sie sind, zum Glück, auch nicht der einzige, der lesen kann.
    Die Auswirkungen von TTIP und Ceta werden gewaltig sein und in fast jeden Bereich unseres Lebens eingreifen. Ich habe den Hype nicht verstanden, als Greenpeace die Inhalte im Mai d. J. teilweise „enthüllt“ hat. Es gibt doch schon seit Jahren eine Menge Informationen in Presse und TV über TTIP. Seltsam: Nur unsere gewählten Politiker konnten sich nicht ausführlich informieren…. Interessant war eine Sendung im letzten Jahr, wie die Mexikaner, denen ebenfalls wahre Wunder von dem NAFTA-Abkommen versprochen wurden, heute darunter leiden. Machen wir uns nichts vor: Bei dem „glorreichen Deal“ wird Europa die Rolle Mexikos einnehmen. Keiner soll hinterher wieder (wie bei den Kosten der deutschen Einheit oder dem Euro) sagen können, man habe es vorher nicht wissen können.
    Es geht auch nicht nur um die Schiedsgerichte, sondern um Vieles mehr, insbesondere den Investorenschutz. Damit können ganze Staaten von Investoren in den Ruin getrieben werden, was auch schon geschehen ist.
    Jeder kann es heute schon nachlesen in einem 200-Seiten-Taschenbuch von Franz Kotteder: „Der große Ausverkauf – Das TTIP-Komplott“. Keiner unserer Abgeordneten in Europa und im Bundestag sollte sich fit genug fühlen, über die beiden Abkommen abzustimmen, wenn er nicht vorher zumindest dieses kleine Büchlein gelesen hat. Niemand verlangt, dass jeder Tausende Seiten Vertrag liest, aber 200 Seiten zu lesen, ist wohl nicht zu viel verlangt. Es ist spannender, als jeder Krimi.

  2. Ich finde auch sehr erschreckend, wie manche Tageszeitungen unkritisch auf diesen Zug aufspringen. Die Wetterauer Zeitung hat zwei Kommentatoren, die Jubelarien singen, wie toll TTIP ist und wie unglaublich viele Arbeitsplätze es schaffen wird. Wer dagegen ist, kann ja nur Anti-Amerikaner sein.

  3. Die Zuschrift von Herrn Eckart Seifert muss ich mir ins Gedächtnis einprägen, wonach die unsinnige Idee der EU-Kommission, Ceta vorläufig in Kraft zu setzen, einem Arzt gleicht, der seinem Patienten die vorläufige Amputation eines Beines empfiehlt. Denn die vorläufige Inkraftsetzung von Ceta stellt in der Tat die Amputation von Rechten der Staaten, der Parlamente sowie der Bürger dar.

    Da mein Leserbrief zum Thema am Samstag, dem 10.09.2016 stark gekürzt veröffentlicht wurde, möchte ich nachstehend den – unveröffentlichten – Rest wiedergeben:

    Sowohl die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristen in Nordrhein-Westfalen wie auch der SPD-Bundestagsabgeordnete Dr. Matthias Miersch haben, wie von DL 21 dankenswerterweise hingewiesen, den geänderten Entwurf von Ceta kritisch beurteilt und kommen zum Ergebnis, dass dieser nicht zustimmungsfähig ist. Vor allem aber stellt sich die Frage, warum sich Gabriel mit aller Vehemenz für ein solches Abkommen einsetzt. Es gibt nach meinen Recherchen nicht ein Argument, das für Ceta, TTIP und Tisa sprechen würde. Insofern ist es unverständlich, warum sich der SPD-Vorstand (bei nur einer Gegenstimme und drei Enthaltungen) für ein Abkommen so stark macht,
    – das die Macht der Konzerne zu Lasten der Menschen stärkt,
    – Rechte zugunsten der Menschen als sogenannte Handelshemmnisse und Grundübel hinstellt und
    – dazu die Entmachtung der Parlamente in Kauf nimmt,
    – die öffentliche Daseinsvorsorge zur Disposition stellt,
    – eine sonderbare jeglicher Rechtsgrundlage entbehrende Justiz, die ein einseitiges Klagerecht gegen Staaten vorsieht und
    – vieles andere mehr als Erfolg hinstellt.

    Während die Gründerväter der SPD unter Gefahren und Inkaufnahme von Festungshaft sich für eine Stärkung der Parlamente und für mehr Rechte der Bürger einsetzten, werden diese Errungenschaften ohne Not auf dem Altar des modernen Kapitalismus geopfert. Falls, wie Karl Doemens in seinem Kommentar vom 07.09.2016 ausführt, eine Revolte des Parteikonvents abgeblasen und die Zustimmung für Ceta erteilt werden, bedeutet dies einen weiteren Todesstoß für die SPD trotz ihres mageren Erfolgs in Mecklenburg-Vorpommern mit immerhin 5 % Stimmenverlust. Eine Zustimmung zu Ceta bewirkt die folgenschwerste Entscheidung der SPD seit der Zustimmung zu den Kriegskrediten im 1. Weltkrieg. Bereits heute ist die Mitgliederzahl aufgrund vielfacher politischer Versäumnisse und der Anpassung an die Union auf den Stand von 1907 gesunken; nach dem 19. September droht sie möglicherweise auf das FDP-Niveau abzufallen. Doch dies scheint wohl Gabriel, Steinmeier, Schulz und anderen gleichgültig zu sein.

  4. Was nützt das ganze Gerede. Wir sind das Volk,
    der Souverän und die Politiker unsere Zeitarbeiter. Nach Umfragen haben sich 70% unseres Volkes gegen CETA und TTIP ausgesprochen, wenn das unsere Politiker nicht zum Umdenken zwingt müssen wir andere Maßnahmen ergreifen. Also gehen wir auf die Straße und machen mal eine mächtige DEMO.
    Wir leben ja nicht in der Türkei, deshalb brauchen wir auch keine Prügelstrafe befürchten. Was Demos bewirkt haben konnte man in Danzig und Leipzig bewundern.
    Also hebt den Hintern und kommt am Samstag den 17.09.2016 nach Frankfurt auf den Opernplatz. OB Feldmann und Urban Priol sind auch dabei.

  5. Neben den zahlreichen und oft erwähnten Kritikpunkten an den Handelsabkommen von CETA und TTIP scheint mir eine grundsätzliche Überlegung selten diskutiert zu werden, die zu der Schlussfolgerung führt, dass die Abkommen eher überflüssig als nützlich sind. Greift man auf den Grundgedanken eines Urgesteins der Volkswirtschaftslehre zurück, nämlich David Ricardo, um den Sinn der umstrittenen Handelsabkommen CETA und TTIP zu ergründen (was manche Befürworter tun), wird man eher zu einer weiteren grundsätzlichen Kritik inspiriert anstatt sie zu verteidigen.

    Ricardos Grundgedanke war, dass „der Handel zwischen zwei Ländern für beide Länder vorteilhaft sein kann (sic!), wenn jedes Land diejenigen Güter exportiert, bei denen es über einen komparativen (relativen) Vorteil verfügt“. Dabei hat er vor 200 Jahren natürlich nicht an zwei Regionen kontinentalen Formats gedacht (hier EU und Kanada/USA), in denen jeweils sämtliche Güter produziert werden, die „der Markt“ verlangt, so dass kaum sonderlich relevante komparative Vorteile für die Erstellung des einen oder anderen Produktes in der einen gegenüber der anderen Region feststellbar sind. Sowohl die EU wie Kanada/USA verfügen praktisch über alle menschlichen und materiellen Ressourcen, um ihre regionalen Märkte zu versorgen – und darüber hinaus auch noch andere Regionen mit komparativen Nachteilen (z.B. Afrika) zu beeinträchtigen. Ein noch freier(er) Handelsverkehr zwischen EU und USA/Kanada dürfte im wesentlichen nur noch die Logistikbranche und den Handel als solchen wachsen lassen, ohne in Wirklichkeit einen allgemeinen Zusatznutzen zu stiften. Im Gegenteil: Die Umwelt wird zusätzlich belastet durch unnötigen Verkehr. Aber auch der erhöht ja das Bruttosozialprodukt, statistisch natürlich auch „pro Kopf“, einschließlich der durch ihn verursachten Unfälle und der erforderlichen Maßnahmen gegen die Erwärmung der Erdatmosphäre.

    Obendrein hilft beim Nachdenken über CETA und TTIP ein Grundbegriff des anscheinend weitgehend vergessenen Volkswirtschaftlers August Lösch, nämlich der „Reichweite“ oder (in Anlehnung an Walter Christaller) der „Zentralität“ eines Gutes. Güter geringer Reichweite sind zum Beispiel landwirtschaftliche Produkte (inklusive Hühnchen, Milch etc.), die fast überall hergestellt werden können (ubiquitäre Produkte) und deswegen „eigentlich“ keines Handels über große Distanzen bedürfen. Güter mit großer Reichweite sind z.B. Spezialmaschinen wie Tunnelbaumaschinen, Satelliten, Raketen etc.; zahlreiche ehemals „zentrale“ Güter wie z.B. Autos gehören heute fast nicht mehr dazu, auch sie können und werden in den beiden Regionen (und anderswo) hergestellt, ohne dass ein dafür wirksamer komparativer Vorteil in der einen oder anderen Region erkennbar ist. Die oft von TTIP-Befürwortern beispielhaft angeführten unterschiedlichen Rückspiegel, Scheibenwischer und Blinkerfarben sind ja wohl reichlich läppische nichttarifäre Handelshemmnisse (wenn überhaupt), diese zu beseitigen brächte ja wohl ebenso wenig wie eine Vereinheitlichung der Elektrostecker innerhalb der EU, auf die man wohlweislich verzichtet hat.

    Allenfalls könnte man aus dem vielzitierten Hühnchen ein Produkt mit großer Reichweite machen, indem man es in der einen Region mit Chlor desinfiziert und in der anderen als Spezialität für Liebhaber amerikanischen Essens anbietet – aber das braucht man doch nun nicht wirklich, oder? Der Grenznutzen des Abbaus von Handelshemmnissen dürfte umso schneller gegen Null streben und sogar in Übel umschlagen, je größer die Freihandelszonen sind (und je absurder die gehandelten Produkte werden). Solche Übel können die erwähnten Umweltfolgen zunehmender Transporte sein; negativ sind aber auch die Zunahme von Oligopolen oder gar Monopolen zum Zweck der Ausschaltung von Konkurrenz. Jüngstes Beispiel: Bayer und Monsanto.

    Bei alldem bleibt dann noch unberücksichtigt, was Ricardo unerwähnt lässt, nämlich das „cui bono“: Wer profitiert denn von den vermeintlich zu erwartenden Wachstumsimpulsen, wenn es denn überhaupt welche (außerhalb des Logistikgewerbes) geben sollte? Wie sollen denn langfristig Länder mit Handelsungleichgewichten über die Runden kommen (z.B.USA oder Griechenland vs. Deutschland oder Afrika vs. Europa bzw. zukünftig CETA- und TTIP-Land)? Es bleiben zahllose Fragen offen, die die Volkswirtschaftslehre mit ihren notorisch unterkomplexen Modellen nicht beantworten kann, auch wenn besonders neoliberale Makroökonomen und Ökonometriker oft so tun, als ob. Wir haben mit unserer EU wahrhaftig zur Zeit Wichtigeres zu tun, nämlich z.B. den Rückzug ins Nationale zu verhindern, der ja durch ein intransparent verhandeltes TTIP mit weitgehend unglaubwürdigen und unseriösen Heilsversprechungen gerade befördert anstatt gehemmt wird.

    Leider scheint unser Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel weder diese Überlegungen noch die zahlreichen kritischen Veröffentlichungen z.B. von Heiner Flassbeck und der SPD-eigenen Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Betracht zu ziehen (z.B. http://library.fes.de/pdf-files/wiso/10696.pdf und /10965.pdf), wenn er im für ihn typischen Kurzfrist-Opportunismus mal diese und mal jene Position zu CETA und TTIP bezieht, z.B. CETA=ziemlich gut, TTIP=schon unrealistisch. Vielleicht verwechselt er „seine“ FES mit der Frankfurter FES, die ja u.a. Papier sorgfältig entsorgt. Leider bleibt einem da nichts anderes mehr übrig, als sich dem kürzlichen „Tagesthemen“-Kommentar des hr anzuschließen, der Herrn Gabriel als „politischen Windbeutel“ qualifizierte – und man sollte sich auch der Demonstration gegen diese Abkommen am 17.09. anschließen!

  6. ergänzend zu Ernst Reichenbach:
    nach Ricardo hat auch Karl Marx bereits in einer Rede am 09. Januar 1848 in Brüssel sich zum Freihandel geäußert:
    „Meine Herren! Lassen Sie sich nicht durch das abstrakte Wort „Freiheit“ imponieren. Freiheit wessen? Es bedeutet nicht die Freiheit eines einzelnen Individuums gegenüber einem anderen Individuum. Es bedeutet die Freiheit, welche das Kapital genießt, den Arbeiter zu erdrücken.“

  7. Gabriel verkauft Volk und Wähler für blöd, wenn er meint, er könnte uns CETA als etwas Gutes verkaufen, wenn er gegen TTIP ist. Ein schönes trojanisches Pferd, auf dem er da – nicht allein- reitet. Im Bauch des CETA-Pferdes steckt nämlich TTIP, weil alle großen US-Konzerne Niederlassungen in Kanada haben, und daher schön auf TTIP verzichten können. Wenn Gabriel so weiter macht, werden sich die SPD-Granden bei der nächsten Bundestagswahl sehnsüchtig Richtung 20%-Wahlentscheid recken – von unten. Und wieder mal debattieren, warum der Verdruß der Deutschen über die etablierten Parteien so wunderbar von der AfD aufgefangen wird. (welche übrigens auch gegen diese „unfreien“ Handelsabkommen ist)

  8. Wie gerne würde ich dem netten Hern Steinmeier Glauben schenken , aber …. Immerhin haben viele Bürger mittlerweile realisiert, welche Gefahr ihnen durch TTIP und CETA droht. Sie sind nicht so einfältig, dass ihnen “ die wachsende Unübersichtlichkeit der Verhältnisse zu anstrengend ist“ .(Zitat Steinmeier) 1. In wessen Interesse sind die sogen. „Freihandels“abkommen in erster Linie? Wer pusht sie? – Zuerst der ERT, European Round Table of Industrialists, die Lobbyorganisation der internationalen Multis bei der EU,(vgl.: H. Ploppa, Die Macher hinter den Kulissen, S. 181ff.,/ vgl. Film: The Brussels Business .. ) und andere Lobbyorganisationen der Wirtschaft. Dass diese Gruppen die Interessen der europäischen Bürger wohl eher nicht vertreten, hat sich bereits im Verhalten amerikan. Medienkonzerne etc. gezeigt. Es hat sich bei der Übernahme deutscher Firmen durch angloamerikanische Private Equity Firmen (Heuschrecken), bei Privat Public Partnership Projekten und bei Cross-Border-Leasing, der Übernahme von Infrastruktur, z. B. in NRW, gezeigt.Wie problematisch TTIP und CETA sind, belegt die ausgezeichnete Studie von Thomas Fritz zu den o. g.Themen. Sie zeigt die bedrohlichen Folgen der Abkommen anhand unabhängiger, internationaler Untersuchungen. ( hier: ceta-und-ttip-an-rhein-und-ruhr.html ) 2. Steinmeier erklärt uns : “.. .. hier begegnet uns die Sehnsucht nach Abgrenzung, wenn Offenheit als Be-drohung des eigenen Arbeitsplatzes erlebt wird.“ Ja, aber diese Bedrohung ist real und der eigene Arbeits-platz fundamental für das gesamte Leben der Bürger, während die Versprechen der Globalisierung nebulös bleiben. Bisher ging es in erster Linie um die „In- Konkurrenz-Setzung der Arbeitnehmer“ weltweit. Das Arbeitsplatzversprechen bleibt hohl, unabhängige Studien gehen davon aus, dass Arbeitsplätze duch die US-Konkurrenz eher verschwinden. 3. Steinmeier äußert: „Gleichzeitig bietet das Abkommen Schutz vor unkontrollierter Deregulierung etwa in den Bereichen Kultur und öffentlichen Daseinsvorsorge“.. Was bedeutet „unkontrollierte“ Deregulierung? Dazu sei auf Studie von Th. Fritz verwiesen: In seinem Antrag zu TTIP dringt der Bundesrat ggü. der Bundesregierung darauf, „die Kultur- und Medienhoheit der Länder durch eine klare Kultur- und Medien-ausnahme im Verhandlungsmandat zu wahren“. (Diese Ausnahme) „gibt es aber nicht in dem letztlich angenommenen TTIP-Mandat. Dort findet sich nur eine wesentlich engere Ausnahme für sogenannte audiovisuelle Dienste, zu denen meist nur Filme, Videos, Radio und Fernsehen gezählt werden.“ „Die gleiche .. begrenzte Ausnahmeklausel findet sich auch im …. CETA-Abkommen. (Wegen des sehr eng gesteckten Rahmens) können daher viele Maßnahmen zum Erhalt eines vielfältigen Kulturangebots durch CETA und TTIP betroffen sein, etwa die Buchpreisbindung, der ermäßigte Mehrwertsteuersatz auf Kulturgüter oder die städtische Förderung für Theater, Museen und Bibliotheken.“ (vgl. Th. Fritz) 4. „CETA aber enthält keine Regelung, die es erlauben würde, die Einhaltung international verbindlicher Sozial- und Umweltstandards beim transatlantischen Handel durchzusetzen.“ Im Gegenteil: „Zentrale Standards wie die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation und multilaterale Umwelt-abkommen sind in zwei unverbindliche Kapitel zu Arbeit und Umwelt abgeschoben worden. Diese wurden explizit vom Streitschlichtungsmechanismus des Vertrags ausgenommen.“ (vgl. Th. Fritz) 5. Geradezu erschreckend ist : „In CETA… fehlt sogar eine Menschenrechtsklausel, die es beim Verstoß gegen Menschenrechte erlauben würde, das Abkommen ganz oder teilweise auszusetzen. (Fritz, Th.: Analyse und Bewertung des EU-Freihandelsabkommens CETA, Hans-Böckler-Stiftung, 26. 1. 2015) 6. Dramatische Auswirkungen zeigen sich, wenn man sich mit den verfassungsrechtlichen Verwerfungen beschäftigt, die CETA bewirkt. CETA destabilisiert sowohl die europäische Verfassungstektonik als auch die der Nationalstaaten und hebelt die Gesetzgebungskompetenz der nationalen Parlamente aus. (vgl. Prof. S. Bross) Ein zentrales Element von CETA – die Einsetzung privater Schiedsgerichte, d. h. wohl amerikani-scher Anwaltsfirmen, deren Geschäftsmodell entsprechende Prozesse sind – bedeutet einen Eingriff in die staatliche Souveränität. Es gibt keine wirksame rechtsstaatlich-demokratische Kontrolle und vor allem, kein Klagerecht für Staaten gegen Unternehmen. Jene werden vom Entgegenkommen der Unternehmen in den privatisierten Bereichen der Infrastruktur (Energie, Wasser, Verkehr, Daseinsfürsorge, Bildung) abhängig. – Wer schützt dann die Bürger vor den Multis? Steinmeier verspricht dazu: „Erstmals sieht der Vertrag einen öffentlich-rechtlichen Investitionsgerichtshof vor, der die Investor-Staats-Schiedsverfahren in Handels-verträgen zwischen EU-Mitgliedsstaaten und Kanada ersetzen würde.“ Was bedeutet „würde“? Was wir gerade erleben, ist der Versuch der Überwältigung Europas durch die amerikanische Geopolitik und die Selbstentmachtung der EU, ihre Unterwerfung unter das Diktat der angloamerkanischen Konzerne. Zu allererst möchten sich diese mit der Privatisierung staatlicher Infrastruktur in der EU ein neues gigantisches Geschäftsfeld erschließen. Staaten und öffentliche Verwaltung sollen, angeblich weitgehend überflüssig, auf das Allernötigste zurückgestutzt werden mit der Begründung, private Organisation öffentlicher Infrastruktur sei effektiver. Man werfe ein Blick auf die sozialen Zustände in den USA … Ein letzter Hinweis: Hier wird falsch gespielt.CETA ist der Türöffner für TTIP ! CETA ist kein Segen, sondern wird langfristig katastrophale Folgen für die mittelständische Wirtschaft, die Bürger und ihren Staat zeitigen. Die Kritik als Panikmache abzutun, verfängt nicht mehr.

  9. @ Maria Klahm-Rauscher: Sie, wie viele andere,haben Recht, Aber uns, also diese vielen Anderen, müssen Sie, und wir, nicht überzeugen. Die Lobbyisten, und zu denen zähle ich auch Gabriel & Co.,lassen sich sowieso nicht überzeugen, weil sie befangen sind. Und da Herr Gabriel sowieso kein Bundeskanzler werden wird, und seiner Partei der Absturz auf unter 20% droht, hält er weiterhin Maulaffen feil und sichert sich ein gut gepolstertes Bett, so wie Herr Schröder, in Industrie & Co. Nur schade, das es immer noch so viele WählerInnen gibt, die ihr Kreuz bei dieser neoliberalen Partei machen.

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