Kommentar zur Landtagswahl in Sachsen-Anhalt

Dieser Wahlabend war auf den ersten Blick nicht besonders spannend, denn das erwartete Ergebnis ist eingetreten: Die „Große Koalition“ in Magdeburg dürfte weiter bestehen. Groß ist diese Koalition allerdings nur nach den Begriffen der alten Bundesrepublik Deutschland, die in Zeiten von Drei-Parteien-Parlamenten entstanden. In Sachsen-Anhalt ist die SPD nur die Nummer 3 im Ranking der Volksparteien. Wie gern wäre sie auf Platz 2 gesprungen, wie gern hätte sie die Linke überrundet; das hatte sie zur Bedingung für eine rot-rote Landesregierung gemacht. Doch trotz minimaler Gewinne und leichter Verluste der Linken ist ihr das nicht gelungen. Eine Debatte darüber, ob die stärkere Linke der schwächeren SPD den Ministerpräsidentenposten überlassen könnte, wird es wohl nicht geben.

Wenn man jedoch die Details anschaut, ist das Wahlergebnis spannender, als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis sieht das Wahlergebnis so aus:

CDU 32,5 % (- 3,7) / Linke 23,7 (- 0,4) / SPD 21,5 (+ 0,1) / FDP 3,8 (- 2,9) / Grüne 7,1 (+ 3,5) / NPD 4,6

Die Wahlbeteiligung lag bei 53 Prozent, rund 9 Prozent über der der letzten Landtagswahl in Sachsen-Anhalt.

Dieser Mobilisierung dürfte es zu verdanken sein, dass die NPD den Einzug ins Parlament verpasst hat. Dies registriert man mit Erleichterung: Wenn die Menschen in diesem Land sich engagieren, haben extreme Gruppierungen es deutlich schwerer. Wobei 53 % Wahlbeteiligung natürlich immer noch traurig wenig ist. Erster Punkt.

Zweitens: Die Parteien, die in Berlin die Regierung stellen, haben 6,6 % verloren. Die FDP fliegt sogar hochkant aus dem Landtag. Das lag an einem schwachen Spitzenkandidaten, aber auch am Bundesimage der FDP, die von drei Vierteln der Wähler in Sachsen-Anhalt als Lobby-Partei eingestuft wird. Auch die Steuerprogrammatik der FDP wird von den Wählerinnen und Wählern als unrealistisch eingeschätzt. Am meisten litt die Landes-FDP aber unter dem Pro-Atom-Kurs der Bundes-FDP. Hier spielt Fukushima und die Atomwende der Bundesregierung eine Rolle. Dieses Thema hat wahrscheinlich auch zu der relativ hohen Wahlbeteiligung geführt.

In Hamburg hatte die FDP noch einen schönen Erfolg herausholen können. Guido Westerwelle wurde heute abend nicht müde, dies zu betonen. Das muss er natürlich, auch wenn er damit über die Ursachen des Hamburger Erfolgs hinwegging: Der lag in der Schwäche der Hamburger CDU mit ihrem unbeliebten Spitzenkandidaten Ahlhaus. Die FDP bekam 19000 Stimmen von der CDU. In Sachsen-Anhalt war es umgekehrt: Die FDP gab an alle anderen Parteien Stimmen ab – 5000 an die CDU, 3000 an die Linke, 2000 an die SPD, 1000 an die Grünen und noch einmal 3000 an die „anderen“; in Sachsen-Anhalt waren auch Freie Wähler und die Piratenpartei recht erfolgreich. (Angaben des tagesschau-Wahlarchivs)

Ob die Verluste der CDU in Sachsen-Anhalt ebenfalls auf das Atomthema zurückzuführen sind? Ich glaube eher, dass sie damit zu tun haben, dass der beliebte Ministerpräsident Böhmer nicht zur Wiederwahl stand. Zudem gab es bei Landtagswahlen bisher oft den allgemeinen Trend, gegen die Bundesregierung zu votieren. Das konnte man zu Helmut Kohls Zeiten ebenso beobachten wie in der Ära Schröder. Diese eher diffuse Unzufriedenheit mit der Berliner Regierungspartei könnte auch hier eine Rolle gespielt haben. Man sollte hier nicht übersehen, dass die CDU immerhin 57000 bisherige Nichtwähler von sich überzeugen konnte.

Drittens: Ganz eindeutig hat das Ergebnis der Grünen mit dem Atomthema zu tun. Die Grünen konnten ihren Stimmenanteil verdoppeln und ziehen damit erstmals seit 13 Jahren wieder in den Landtag ein, obwohl sie, übrigens genau wie die FDP, in der Landespolitik keine Rolle spielten. Fukushima bringt die Menschen an die Wahlurnen, wo sie offensichtlich für die Partei votieren, die das Motto „Raus aus der Atomkraft“ glaubhafter verkörpern als alle anderen. Zu einem guten Teil speiste sich die Gründung der Grünen aus dem Widerstand gegen die Atomkraft.

Nun steht allerdings in Sachsen-Anhalt kein Atomkraftwerk, ebensowenig wie in Rheinland-Pfalz, wo nächsten Sonntag gewählt wird. In Baden-Württemberg dagegen gibt es zwei AKWs mit je zwei Reaktorblöcken und einen Ministerpräsidenten, der sich wie kaum ein anderer für die Laufzeitverlängerung eingesetzt hatte. Als die Kanzlerin unter dem Eindruck von Fukushima ihr Atom-Moratorium verkündete, schien Stefan Mappus sich um 180 Grad zu wenden: Zwei Altreaktoren im Ländle müssen vom Netz. Seitdem hat der Ministerpräsident ein Problem mit seiner Glaubwürdigkeit.

Das schlug sich auch im Deutschlandtrend vom Donnerstag nieder, der im Zeitraum 14. bis 17.3. erhoben wurde. Nur eine Umfrage, natürlich – aber doch ein Indikator, wohin die Reise gehen könnte. Danach verliert die Mappus-CDU auf den vorigen Deutschlandtrend drei Prozent und kommt auf 39 Prozent. Die bisherige Koalition aus CDU und FDP kommt zusammen auf 44,5 Prozent. Nicht genug, denn Grün-Rot bringen es zusammen auf 46 Prozent. Hinzu kommt, dass die FDP ebenso wie die Linke die Fünf-Prozent-Hürde fürchten muss. Auch wenn sie jetzt noch knapp darüber liegt (Linke knapp darunter), kann sie noch drunterrutschen. Das wäre ein arges Ergebnis, aber ein angemessener Denkzettel. Denn von den einstigen Werten des deutschen Liberalismus ist nichts übrig geblieben als eine hier und da standhafte Bundesjustizministerin, und die kommt aus Bayern.

Kanzlerin Merkel muss ein solches Ergebnis in Baden-Württemberg fürchten. Es könnte für sie die gleiche Bedeutung gewinnen wie die verlorene NRW-Wahl vom 22.5.2005 für Gerhard Schröder. Damals brach für die SPD ein Stammland weg, die SPD stürzte in eine Sinnkrise. Eine Glaubwürdigkeitskrise hatte sie vorher schon, auch wenn sie das nicht wahrhaben wollte. Ich will die Analogie nicht zu weit treiben, aber auch der deutsche Konservatismus steckt schon seit längerem in einer solchen Sinnkrise. Offenkundig wurde sie, als die Kanzlerin in Zeiten der Großen Koalition als die „bessere Sozialdemokratin“ bezeichnet wurde. Was ist heute noch konservativ? Darauf hat die CDU keine Antworten, nur Worthülsen parat. „Leitkultur“ etwa ist so eine Worthülse. Orientierung bietet sie damit nicht mehr, denn es gibt keine breite gesellschaftliche Debatte über eine solche Leitkultur; eigentlich wird der Begriff nur in einem negativen, fordernden Sinn eingesetzt, indem Migranten damit ein Bekenntnis abgefordert werden soll. Eine echte Werte-Debatte ist damit nicht verbunden.

Auch in der Atompolitik ist diese Orientierung verloren gegangen, und zwar schlagartig. Die Kanzlerin hat zwar nur ein Moratorium verkündet und nicht das endgültige Aus für die AKWs, aber angesichts der Gewissheit, mit der zuvor wieder und wieder die Sicherheit deutscher AKWs behauptet wurde, wirkt diese Wende alles andere als glaubwürdig. Die Kanzlerin ist in einer schwierigen Situation, denn angesichts von Fukushima war ein „Weiter so“ natürlich keine Option. Die Sicherheiten der Konservativen schwinden – auch wenn es nur behauptete Sicherheiten waren. Und dies mit einem Koalitionspartner an der Seite, der schon lange keine Werte mehr vertritt.

Die Wahl in Sachsen-Anhalt war die erste nach dem Fukushima-Schock. Sie war in Teilen eine Anti-Atom-Wahl. Damit ist ein Trend gesetzt, der sich fortsetzen dürfte. Im Südwesten dürfte das Atom-Thema eine ungleich größere Rolle spielen. Die Wahl in Baden-Württemberg wird eine kleine Bundestagswahl.

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9 Kommentare zu “Atomwahl (die erste)

  1. Leider geht in der Atomdiskussion völlig unter, dass die NPD mehr Stimmen hat als die FDP, und nur knapp an der 5% Hürde scheitert. Letzten Endes bin ich froh, das beide Parteien nicht vertreten sind, aber das eine rechtsextreme Partei mehr Stimmen bekommt als eine demokratische, das ist bedenklich.

  2. Ich fände es extrem unfair, wenn der Erfolg der Grünen in BaWü an Fukushima festgemacht würde. Schon viel früher ist man da auf den richtigen Zug aufgesprungen (anti-s21) und hat entsprechende Umfragewerte bekommen.

    In RLP darf man das Lächeln einer ehemaligen Weinkönigin in einer ländlichen Region nicht unterschätzen.

    Ich schwöre, ich habe das Video erst gesehen, nachdem ich diesen Kommentar geschrieben habe. http://www.youtube.com/watch?v=tjONYNHqLIA

    (Mag mir gar nicht vorstellen, was die als Journalistin verzapft hat.)

  3. Für mich ist das erfreulichste Ergebnis, dass es die NPD nicht ins Parlament geschafft hat. Obwohl sie so offensiv Werbung gemacht hat und genau jene Reste der Gesellschaft ansprach die sonst gerne der Wahl fern bleiben konnte man sie draußen halten. Stimme aber auch Argus zu, das es schon etwas erschreckend ist, dass die FDP weniger Wähler bekommen hat als die NPD, Das bedeutet doch ganz klar, dass noch immer zu viele NPD Wähler da draußen unterwegs sind.Das ist doch schon mal sehr beruhigend. Was die große Koalition angeht naja bisher ging es so und es wird wohl auch weiterhin in dieser Weise weitergehen.

  4. Die für mich positivste Nachricht bei der Sachsen-Anhalt-Wahl war die wieder gestiegene Wahlbeteiligung. Daran zeigt sich für mich doch ein wieder gestiegenes Interesse an der Einmischungsfreude des Souveräns – des Wählers. Dieser hat ja – leider – nur diese Möglichkeit, und sollte sie daher auch wahrnehmen.

    Ich gehöre zu denen, welche in den Kernaussagen zwischen NPD und FDP inzwischen kaum noch große Unterschiede entdecken. Man denke an die rechtspopulistischen Äußerungen von Herrn Westerwelle zu Hartz-IV-Empfängern, an die Ereignisse rund um Möllemann und den eindeutigen Klassenkampf von oben, der von dieser Partei gefördert und von der verbändelten Industrielobby massiv unterstützt wird. Was eine FDP des Freiburger Programms mit den Vorbildern Hirsch und Baum ausmachte, wurde schon lange entkernt und marschiert inzwischen als reine Vermögens-Klientel-Partei.

    Und daher hoffe ich in RP und BW am nächsten Sonntag auf ebenso krachende Niederlagen für die FDP wie in SA. Es wäre übrigens vermessen anzunehmen, daß das rechtspopulistische und faschistische Gedankengut, welches von der NPD verbreitet wird, nur deshalb keine Erfolg hat, weil es dieser Partei nicht gelang, in den Landtag einzuziehen. Hier sind mit Sarrazin, Westerwelle und anderen Zündler zugange, welche im indirekten Sinne den Teppich für das braune Gedankengut mit ausrollen.
    Das sich die NPD als Vertretung für sozial Schwache, Arbeitslose, HARTZ-IV-Empfänger und andere Zukurz-Gekommene geriert, heißt nicht, das hier nicht das gleiche Großkapitalisten-Lied gesungen wird wie bei der FDP, eben nur mit anderer Melodie. Auch die NSDAP war ja in ihrem tatsächlichen Wirken weder eine Arbeiter- noch eine soziale Gerechtigkeits-Partei.

  5. Na ja, bei etwas über 50% Wahlbeteiligung über „gestiegen“ zu reden, ist ein wenig blauäugig. Immer noch annähernd die Hälfte der Bürger in Sachsen-Anhalt ist es egal, was passiert. Das wird wohl nur den Splitterparteien nutzen.

  6. BW wird nicht die Wirkung haben wie NRW bei Schröder. Das hat einfach damit zu tun das egal wie die Wahl in BW ausgeht keine 2/3 Mehrheit gegen schwarz/gelb im Bundesrat entsteht. Das war bei Schröder so deshalb konnte er nicht weiter machen

  7. # 5 – Argus: Es dürfte Ihrer Aufmerksamkeit wohl nicht entgangen sein, daß ich in meinem Kommentar das Wort „wieder“ in Bezug auf die Wahlbeteiligung verwendet hatte.
    Damit meinte ich den Anstieg von 44,4% in 2006 auf jetzt 51,2% in 2011. Das dies immer noch ein trauriges Ergebnis hinsichtlich Wahlbeteiligung ist, gebe ich gerne zu. Aber ein Anstieg um 6,3% läßt mich auch auf eine höhere Wahlbeteilgung in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg hoffen.

  8. Ich gebe Bronski recht. In Baden-Württemberg wird das Atom-Thema die Wahl entscheiden. S21 dagegen spielt (seit der Schlichtung) für die Wahlentscheidung keine bedeutende Rolle mehr-so die Umfragen.

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