Ortsvorsteher – eine Arbeit, die keiner machen will

JagschDer Aufschrei war laut und bundesweit: In der hessischen Provinz ist ein NPD-Politiker zum Ortsvorsteher eines Ortsteils von Altenstadt gewählt worden, einer Gemeine in der Wetterau nicht weit von Frankfurt entfernt. Und zwar gewählt mit den Stimmen der örtlichen Vertreter von CDU, SPD und FDP. Stefan Jagsch heißt der Mann, es ist derselbe, der 2016 mit Hilfe von Flüchtlingen aus dem Wrack seines Autos gerettet wurde, das er gegen einen Baum gesetzt hatte. Die Geschichte ging damals weltweit durch die Medien. Die NPD wirbt unter anderem mit dem Slogan „Stoppt die Invasion – Migration tötet“ um Stimmen. Auf diese Weise hatte Jagsch bei der Wahl zum Bürgermeister in Altenstadt immerhin sechs Prozent der Stimmen bekommen. Die Wahl zum Vorsteher des Ortsteils Waldsiedlung ist sein bisher größter Erfolg.

War man in Altenstadt nicht informiert, wer Jagsch ist? Mit ihm als Person habe er keine Probleme, sagte der SPD-Lokalpolitiker Ali Riza Agdas. Warum er für Jagsch gestimmt habe, wisse er auch nicht so richtig: „Das ärgert mich sehr.“ Inzwischen wird Jagschs Abwahl betrieben. Nur eine Provinzposse? In Teilen Hessens hat Rechtsextremismus durchaus Tradition.

Balken 4

Kann diese Naivität noch gesteigert werden?

Kommunalpolitiker von CDU, SPD und FDP wählen nach eigenen Angaben einen Rechtsradikalen ins Amt weil er einen Computer hat und Mails versenden kann. Geht diese Menge an Naivität eigentlich noch zu überbieten und zu steigern? Was vor allem, sagt das über die Wähler in diesem Ortsteil aus, die solche Menschen in den Beirat gewählt haben?

Rolf Lang, Heusenstamm

Deutschland ist jetzt wachgerüttelt

Gewiss darf in Deutschland kein Nazi in einer verantwortungsvollen Position sein. Aber es ist auch zu bedenken, dass landläufig die Vorstellung auf große Zustimmung stößt, Kommunalpolitik dürfe nicht der ideologischen Verbohrtheit der zentralen Parteilinien folgen, sondern müsse sich an den Erwartungen und Bedürfnissen der Bürger vor Ort ausrichten. Besonders scharf sind auf der anderen Seite die Kriterien auf Bundesebene, weil da auch die Differenzen zwischen den Parteien in Fragen der Außenpolitik eine Rolle spielen. So koalieren SPD und Linkspartei problemlos auf Bundesländerebene, weil die Länder keine Außenpolitik machen. Somit ist es übertrieben, die Fehlentscheidung des Ortsbeirats von Altenstadt-Waldsiedlung übermäßig anzuprangern. Es ist angemessener, durch das Geschehene in dem Sinne wachgerüttelt zu werden, dass menschliche Nähe und vorhandene Kompetenz bei einem kommunalpolitisch Aktiven trotz gemeinsamer Projekte in der jeweiligen Stadt und Gemeinde nicht dazu führt, dass dabei übersehen wird, wo der Mitstreiter weltanschaulich steht. Deutschland ist jetzt erwacht. Der Skandal wird erst stattfinden, wenn so etwas noch einmal passiert.

Siegfried Kowallek, Neuwied

Auf allen Ebenen der Gesellschaft

Die Reaktion unserer Gesellschaft und Politik ist meines Erachtens schon ein wenig widersprüchlich und verkehrtherum. Auf der einen Seite schauen sie mit zu wie der Wert des Ehrenamtes immer mehr abnimmt und alles nach Profit und Bezahlung schielt und auf der anderen Seite gibt es einen Aufschrei wenn dann der Fall passiert, daß ein kleiner rechtsradikaler Politiker ungeliebte Arbeit über nimmt die keiner machen will. Dies passiert aber auf allen Ebenen der Gesellschaft und nicht nur in der Politik.

Eugen Berker, Nauheim

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Ein Kommentar zu “Ortsvorsteher – eine Arbeit, die keiner machen will

  1. Leider kann ich den Optimismus von Siegfried Kowallek nicht teilen, wonach Deutschland jetzt nach dem Skandal von Altenstadt-Waldsiedlung und den darauf folgenden Reaktionen wachgerüttelt sei. Alle Erfahrungen in dieser Republik nach ähnlichen Nazi-Eruptionen zeigen doch, dass in diesem Tätervolk auch schlimmste Annäherungen an Rechtsaußenparteien eben nicht zu einem Wachrütteln im Sinne des notwendigen Lehren-Ziehens aus Katastrophen führen. Ich befürchte eher, dass der hessische Vorfall mit dem braunen Protagonisten von der Nazipartei NPD in der langen Liste naziorientierter Skandale nicht der letzte ist. Erinnern wir uns daran, dass bei rassistischen Übergriffen in vielen Ortschaften der Republik immer wieder abgewiegelt und verharmlost wurde. Ich sehe keine Anzeichen dafür, dass sich das nach der Erfahrung von Altenstadt-Waldsiedlung ändern wird. Bestenfalls wird es nach der Wahl eines NPD-Mannes zum Ortsvorsteher vielleicht eine Schamfrist geben, bis der nächste rechte Aktivist in der einen oder anderen kleinen oder mittleren Kommune wieder in Amt und Würden sitzen wird. Wie viele Gemeinden gibt es in diesem Land, in denen Kommunalpolitiker doch angeblich demokratischer Parteien versucht haben, rassistische Naziübergriffe klein und schön zu reden? Richtig ist allerdings, dass das in vielen Regionen immer noch vorherrschende falsche Bewusstsein, bei Kommunalpolitik gehe es nicht um Weltanschauungen und Gesellschaftspolitik, ein Problem ist. Gerade Kommunalpolitik ist eminent Gesellschaftspolitik und deshalb muss insbesondere sogar auf der kommunalen Ebene darauf geachtet werden, dass keine Braunen in Ämter gehievt werden.

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