Gerechtigkeit als Maßstab für Lastenverteilung

Europa braucht Geld, und weil das niemand freiwillig herausrückt, fordert das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) eine Zwangsanleihe für Vermögende zur Krisenbewältigung. „Borgen bei den Reichen„, schrieb die FR dazu. Der DIW-Experte Stefan Bach sagt: „So könnten vermögende Privathaushalte zum Abbau von Staatsschulden herangezogen werden, ohne dass eine Dämpfung der Konsumnachfrage zu befürchten wäre.“ Die Bundesregierung sieht in einer Zwangsanleihe für Reiche zur Finanzierung der hohen Staatsschulden kein Modell für Deutschland. Ein Sprecher des Finanzministeriums sagte, Deutschland sei ganz solide aufgestellt und habe derzeit „keinerlei Probleme“ mit dem Steueraufkommen. Das deutsche Haushaltssystem sei erfolgreich.

2011 erklärten 48 Millionäre, dass sie nichts gegen höhere Abgaben einzuwenden hätten. Milliardär Michael Otto sagte der FR in einem Interview im Juni: „Wer gut verdient, kann höhere Steuern am ehesten verkraften.“ Die deutsche Wirtschaft lehnt eine Vermögensabgabe zur Bewältigung der ausufernden Staatsschuldenkrise dagegen ab. «Die aktuell vorgeschlagenen Vermögensabgaben sind kontraproduktiv», sagte der Chef des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Hans-Peter Keitel, der „Welt am Sonntag“.

Zu den Ergebnissen des DIW ein Leserbrief von Berthold Wittich aus Ludwigsau:

Die Schieflage in der Einkommens- und Vermögensverteilung verletzt massiv das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes und führt in fataler Weise zum Verlust der Handlungsfähigkeit des demokratisch verfassten Gemeinwesens. Unter dem Druck leerer Kassen werden momentan Schwimmbäder, Bibliotheken und Jugendhäuser geschlossen. Eine dramatische Unterfinanzierung trifft Kindertagesstätten, Schulen und Hochschulen. Und zwölf Millionen Frauen, Männer und Kinder leben in Armut – ohne Perspektive und Vertrauen in die Zukunft.
Dass Solidarität von denjenigen eingefordert werden muss, die große Lasten schultern können, beweist ein Blick in die aktuellen Untersuchungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Während die ärmere Hälfte der Bevölkerung nichts oder ein extrem niedriges Vermögen besitzt, konzentrieren sich 66,6 Prozent des Nettovermögens in den Händen des reichsten Zehntels der Familien. Und was kaum zu glauben ist: Dem reichsten Prozent der Deutschen gehören 25,8 Prozent des privaten Geld- und Sachvermögens.
Jetzt ist die Politik in die Pflicht genommen, angesichts des unermesslichen Reichtums in den Händen mächtiger Konzerne, reicher Erben und finanzstarker Eliten die Vorschläge der DIW-Ökonomen zu einer Vermögensabgabe umzusetzen – orientiert an der Maxime des Grundgesetzes Art. 14 Abs. 2: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“
Weil unser Gemeinwesen Solidarität braucht, gehören alle vermögensbezogenen Steuern der Superreichen auf den Prüfstand. Die Parlamentarier sollten der Wiedereinführung der Vermögenssteuer im weitesten Sinne Vorrang einräumen. Im Beschluss vom 22. Juni 1995 hat das Verfassungsgericht diese nicht abgeschafft, sondern ausgesetzt. Damit verbunden war die Aufforderung an die Politik, die ungleiche Bewertung des Geld- und Sachvermögens aufzuheben. Weil der Gesetzgeber diese Auflage nicht realisiert hat, haben die Reichsten im Land 15 Jahre lang nicht einen Cent Vermögenssteuer gezahlt.
Angesichts der drohenden Verschärfung der Krise wird es höchste Zeit, dass sich die politischen Entscheidungsträger von der Ideologie der Marktradikalen verabschieden, den warmen Regen für Millionäre beenden und die Gerechtigkeit zum Maßstab für die Verteilung der Lasten machen.“

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8 Kommentare zu “Gerechtigkeit als Maßstab für Lastenverteilung

  1. So,so Herr Keitel und die Deutsche Wirtschaft ist dagegen. Ich bin gespannt wie die Alternative aussehen soll. Da fällt den Herren bisher nichts ein.

  2. Doch es gibt sie, die Alternative: Bei einem privaten(!) Geldvermögen von ca. 5 Billionen Euro, von dem ein nicht unerheblicher Teil jährlich vererbt wird und damit zu leistungslosem Einkommen führt, ist die Erbschaftsteuereinnahme extrem unterentwickelt. Die Tabaksteuereinnahmen sind etwa dreimal so hoch. Wir sind die Generation der Erben. Erbschaftsteuer ist die Einnahmequelle der Zukunft. Der Steuerzahler ist kaum je belastbarer als bei der Vereinnahmung von großen Erbschaften. Erben in direkter Linie müssen nur 30% bei Erbschaften von über 26 Mio. zu entrichten, bei 6 Mio. sind es gar nur 19%. Hier besteht dringender Handlungsbedarf.

  3. Erbschaftssteuer und Vermögenssteuer sind die richtigen Ansätze , sowie eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes und nicht zuletzt eine kräftige Finanztransaktionssteuer.

    Borgen bei den Reichen hingegen nicht, das hat etwas von Betteln an sich.

    Die Einkommens – und damit auch die Vermögensverhältnisse – werden in einer Weise festgelegt , die nur wenig zu tun hat mit Gerechtigkeit , hingegen sehr viel mit struktureller – und mit Marktmacht , und dann soll der Staat auch noch um ein paar Groschen hausieren gehen – kommt mir so vor , als ob die marktliberale Ecke ahnt , daß sie nicht ohne Beteiligung davonkommen wird – und versucht , es so billig wie möglich zu halten.

  4. Die Erschaftsteuer ist keine Vermögensabgabe sondern eine Steuer auf den Mittelzufluss (also keine Bestandssteuer). Dazu hat Herr Keitel nichts gesagt. Aber ich denke, ich kenne auch dazu seine Meinung. Aber interessiert mich die???

  5. zu @ Wolfgang Fladung
    Vor einigen Wochen haben sie mich gemeint naiv nennen zu müssen, weil ich gesagt habe das die Eurorettungsschirme noch um ca 2 Billionen Euro aufgestockt werden bevor der Euro untergeht.ich habe darauf geantwortet das ich mich dazu wieder melde wenn es soweit ist. Das es so schnell geht das Regierungen den unbegrenzten Rettungsschirm fordern hätte ich auch nicht gedacht. Nur zu denken das der Euro einfach so untergeht ist wohl wirklich naiv.

  6. Heute bei der ARD im Presseclub konnte man richtig zum Optimisten werden wenn man zugehört hat. Also sehr empfehlendswert sich das in der Mediathek anzusehen. Da war man einer Meinung wenn es darum geht die Gläubiger endlich zu beteiligen oder die Finanzierung der Staaten über Banken zu hohen Zinssätzen die vorher für 1% bei der EZB geholt worden sind als völlig unsinnig zu beenden. Man könnte fast denken die hätten hier im Forum mitgelesen. Jetzt kann man nur hoffen das auch ein paar Politiker zugehört haben.

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