Gegen die Gleichberechtigung der Frauen

Wenn es nach Human Rights Watch geht, wird die deutsche Praxis in puncto Kopftuchverbot demnächst vom Menschenrechtskommissar des Europarats und von der UN-Sonderberichterstatterin für Religionsfreiheiten überprüft. HRW hat eine Untersuchung durchgeführt, die unter dem Titel „Diskriminierung im Namen der Neutralität“ veröffentlicht wurde und zu einem vernichtenden Ergebnis gekommen ist: Die Kopftuchverbote mehrerer deutscher Bundesländer benachteiligen Frauen in ihrer Religion, ihrem Geschlecht und in ihrer freien Berufswahl. Denn die Betroffenen werden gezwungen, sich zu entscheiden: Glaube oder Beruf? Manche Frauen hätten Deutschland deshalb bereits den Rücken gekehrt und seien ausgewandert.

Die FR-Leserinnen und -Leser können dagegen keine Menschenrechtsverletzungen erkennen, eher im Gegenteil. So meint Karl-Heinz Grasselt aus Wächtersbach:

„Bevor die Menschenrechtsorganisation HRW großspurig Kopftücher für muslimische Lehrerinnen fordert, sollte sie sich schlau machen und die Frage nach dem Warum klären, statt dies von Europarat und UN zu verlangen. Es gibt drei Gründe für das Koftuchtragen: Tradition gepaart mit Unwissenheit, Gruppenzwang in der Familie, beeinflusst durch Imame, der Glaube, das Kopftuch manifestiere die Überlegenheit und Reinheit gegenüber Ungläubigen – Resultat einer Indoktrination durch das islamische Umfeld.
Der oberste staatliche Islamhüter der türkischen Republik, Ali Bardakoglu, bejaht einen moderaten und toleranten Islam und meint: Das Kopftuch ist kein Muss. Ein Muslim bestimmt sich nicht dadurch, wie er sich kleidet, ob er Alkohol trinkt oder einen Bart trägt. Wer den Glauben danach definiere, widerspreche dem Wesen des Islam. – Unstrittig ist, dass das Kopftuch gegen die Gleichberechtigung der Frauen steht. Aus Sicht überzeugter Demokraten ist es das Kampfsymbol der Islamisten.
Ein mir unbekannter Autor stellte fest: Je mehr ein Mensch an der Religion hängt, desto mehr glaubt er. Je mehr er glaubt, desto weniger denkt er. Je weniger er denkt, desto weniger weiß er. Je weniger er weiß, desto dümmer ist er. Je dümmer er ist, desto leichter kann er regiert werden.“

Marion Woodall aus Schmitten:

„Mein Motto war schon immer: Leben und leben lassen. Zum Kopftuchverbot darf man allerdings nicht vergessen, dass das Kopftuch kein religiöses Zeichen ist, da es der Islam überhaupt nicht verlangt. Es handelt sich um eine rein politische Aussage, die an Schulen nichts verloren hat. Dass christliche Symbole oder Kleidungsstücke erlaubt sind, ist etwas anderes. Wir sind schließlich ein christliches Land. Außerdem treten alle freiwilligen Kopftuchträgerinnen alles, was Frauenrechtlerinnen für uns Frauen erkämpft haben, mit Füßen.“

Rafael Mueller aus Dietzenbach:

„Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gilt der Islam wohl als eine der tolerantesten Religionen der Welt, die zudem jede der Theorien der Aufklärung (Herder, Kant, Hegel, beide Marx) an Weitstirnigkeit weit übertrifft. Wie können wir nur so intolerant gegenüber dem toleranten Islam sein? Wir haben die zehn Gebote (so wenig?). Der Islam hat mit seinen Fatwen eine ganze Vorschriften-Litanei in die Welt gesetzt. Gerade die islamischen Frauen kommen in den Genuss dieser Freiheiten durch von Männern erlassene Vorschriften.
Polemik beiseite: Ich bin der festen Überzeugung, dass das Kopftuchverbot einen höheren Gemeinwohlnutzen hat als die Stattgabe. Kritisch bin ich vor allem einer Religion, die mit dem Schwert verbreitet wurde (oder noch wird).“

Verwandte Themen

71 Kommentare zu “Gegen die Gleichberechtigung der Frauen

  1. mal ist es die Mütze mal das Kopftuch oder die Pappnase,oder die Zipfelmütze ,Nikolausmütze,Karnevalsmütze,Bommelmütze,Helmut Schmidt-Mütze,der halbe Fußball,der Hut beim Pferderennen,Melone,Zylinder,Schlapphut usw.
    Alle haben eines gemeinsam:Symbolik“
    Kopfbedeckung hatte immer schon etwas zum belächeln,aber man kann es auch wichtig reden,oder auch einfach ignorieren.
    Möglicherweise finden wir auch ein Haar in der Su..“Mütze“
    Auf jeden Fall ein wichtiges Thema in diesen Zeiten,wo es manchen an ausreichender Nahrung und sonstigem fehlt.
    Ach ich vergaß noch die Haßkappe,die allerbeste Mütze.
    „Religion mit dem Schwert“Waren da nicht mal die Kreuzritter die im Namen Gottes mit dem Schwert ……

  2. Wahrlich bloß ein Streit um des Kaisers Kleider, wo man längst schon keinen Kaiser mehr braucht.

    „An ihren Taten werdet ihr sie erkennen“ Reicht doch als Antwort.

  3. Leider ist die Diskussion um das Kopftuch viel zu aufgeladen, um sachlich darüber diskutieren zu können. Man sollte es der Muslima doch selbst überlassen, ob sie es tragen möchte oder nicht. Gerade die Verbote führen dazu, dass manche es schon aus rebellischen Gründen tragen. Fragen wir sie doch mal selbst, warum sie es tragen.

    Heinz Grasselt findet drei Gründe:
    „Tradition gepaart mit Unwissenheit, Gruppenzwang in der Familie, beeinflusst durch Imame, der Glaube, das Kopftuch manifestiere die Überlegenheit und Reinheit gegenüber Ungläubigen – Resultat einer Indoktrination durch das islamische Umfeld.“
    Vielleicht gibt es auch ähnliche Gründe, es NICHT zu tragen: Gruppenzwang durch Anpassung an die Mehrheitsgesellschaft, Druck auf die Muslima durch das Tragen von Kopftüchern beruflich benachteiligt zu werden, wer weiß?
    Wir sollten nicht immer unterstellen, dass das Tragen von Kopftüchern ein Symbol der Unterdrückung der Frau ist oder ein „Kampfsymbol der Islamisten“. Bei den älteren Frauen mag die Tradition sicher eine große Rolle spielen, so wie die Dauerwellen der deutschen Frauen in den 50er/60/er Jahren? Ein Hut gehörte zur Kleidung der „Dame“ notwendig hinzu. Auch ein Zwang!
    Bleiben wir doch einfach gelassen und dramatisieren wir dieses Kleidungsstück nicht. Die jungen Frauen machen daraus sowieso ein schickes Modeaccessoire.

  4. In diesem Land kann jeder seine Kleidung selbst bestimmen (solange sie nicht als Erregung öffentlichen Ärgernisses angesehen werden muss). In bestimmten Berufen ist das Kopftuch, dass ganz sicher auch und vor allem Ausdruck einer stark ausgeprägten Religiosität ist, eben unerwünscht oder gar verboten. Wem das nicht passt, lebt im falschen Land. Mit etwas mehr Mut zum Laizismuss wäre hierzulande manches klarer geregelt.

    An staatlichen Schulen zum Beispiel haben religiöse Bekundungen, gleich welcher Ausrichtung, m. E. nichts verloren. Leider sind wir auch hier (außer dem Land Berlin, soviel ich weiß) inkonsequent.

  5. @ napez

    Wenn sie die Prinzipien der säkularen Gesellschaft im Umgang mit Religionen und religiösen Symbolen in dem Text von Reemtsma lesen und ernst nehmen, kommen sie hoffentlich nicht zu der Einsicht, dass SIE im falschen Land leben.

  6. @ # 4 Heinrich

    Danke für den Reemtsma-Text, dem ich aus vollem Herzen und voller Überzeugung zustimme.

    @ # 6 napez
    Passt Ihnen unser Grundgesetzt nicht? Dieses garantiert ausdrücklich die Religionsfreiheit, also auch stark ausgeprägte Religiosität.

    Bekenntnis zu einer politischen Richtung oder Religion ist Lehrern nicht verboten, sonst dürften sie keine öffentlich wahrnehmbaren Positionen in Gewerkschaften, Vereinen, Parteien oder Kirchen einnehmen. Was eine sekuläre Gesellschaft nicht von Lehrern dulden kann, ist eine politische oder religiöse Beeinflussung der Schüler. Dass dies Beeinflussung bereits durch (religiöse) Kleidung beginnt, zweifle ich an.

  7. Christentum und Islam

    Es ist traurig aber war. Hier im Lande ist man gerne ein Demokrat, wenn es alles nach seiner Vorstellung ist. wenn nicht, entweder vergisst man Demokratie oder verschiebt man einfach auf die Seite.
    Zur Sache Kopftuch: Ich komme aus der Türkei und halte von der Religion gar nicht. Meine Frau und meine Kinder gehören zu Römisch-Katolische Kirche. Weder meine deutsche Frau noch meine Tochter tragen Kopfttuch und gut so. Die Frage ist warum nicht jeder selbe entscheiden darf, was an ziehen möchten. Heute verbieten wir Frauen Kopftuch, morgen Jaens. Wo hört es denn Verbote auf.
    Ob in der Türkei oder in Deutschland halte ich von der Kopftuchverbot Nichts. Es ist undemokratisch.Ich kenne Islam und Christentum. Ich muss ehrlich sagen, Islam ist gegenüber andere Glauben viel tolerante als Christentum. Es muss aber möglich sein friedlich nebeneinander bwz. miteinander zu leben.

  8. @ Abraham

    „Danke für den Reemtsma-Text, dem ich aus vollem Herzen und voller Überzeugung zustimme“.

    Ich dachte mir, dass der Text was für dich ist, und mir geht es genauso wie dir. Da wir beide auf unterschiedlichen Seiten des weltanschaulichen Spektrums angesiedelt sind, kann man aus der Übereinstimmung eigentlich nur schlussfolgern, dass der Text, so prägnant, wie er formuliert ist, grundlegend sein sollte für das Zusammenleben der Menschen jeglicher Couleur in unserer säkularen Gesellschaft.

    Ich habe den Text nochmal im „Satanisten“-Thread verlinkt, wo er als ganzer eigentlich hingehört.

  9. Liebe Diskussionsteilnehmer,

    ich als Muslim, möchte gerne darauf aufmerksam machen, dass nur die Muslime selbst das Recht haben, ihre eigene Religion zu definieren.

    Die Kopfbedeckung ist Teil der Kleidervorschrift, die ihren Beleg im Koran hat. Es ist aus islamisch-theologischer Sicht unumstritten, dass die Haare der muslimischen Frau bedeckt sein müssen, wenn die Möglichkeit besteht, dass „Nicht-Mahram-Männer“ sie sehen können. Alles andere sind Interpretationen von Nichtmuslimen bzw. „Möchtegern-Islamkennern“.

    Viele Grüße

    Ali

  10. Hier der Originaltext aus Sure 24, Vers 31:

    „31. Und sprich zu den gläubigen Frauen, daß sie ihre Blicke zu Boden schlagen und ihre Keuschheit wahren sollen und daß sie ihre Reize nicht zur Schau tragen sollen, bis auf das, was davon sichtbar sein muß, und daß sie ihre Tücher über ihre Busen ziehen sollen und ihre Reize vor niemandem enthüllen als vor ihren Gatten, oder ihren Vätern, oder den Vätern ihrer Gatten, oder ihren Söhnen, oder den Söhnen ihrer Gatten, oder ihren Brüdern, oder den Söhnen ihrer Brüder, oder den Söhnen ihrer Schwestern, oder ihren Frauen, oder denen, die ihre Rechte besitzt, oder solchen von ihren männlichen Dienern, die keinen Geschlechtstrieb haben, und den Kindern, die von der Blöße der Frauen nichts wissen. Und sie sollen ihre Füße nicht zusammenschlagen, so daß bekannt wird, was sie von ihrem Zierat verbergen. Und bekehret euch zu Allah insgesamt, o ihr Gläubigen, auf daß ihr erfolgreich seiet.“

    Wo steht hier, dass die Haare einer Frau zu ihren Reizen gehören? Ich halte diese so genannte Kleidervorschrift auch als anerkannter Nicht-Islam-Experte für durchaus umstritten, auch und vor allem unter Moslems. Ich kenne persönlich streng religöse muslimische Frauen, die einen westlichen Kleidungstil bevorzugen, ohne sich deswegen als Muslima 2. Klasse zu fühlen. Oder müssen diese Frauen befürchten, so zu enden, wie das junge afghanische Mädchen aus Hamburg? Wo ist die Toleranz der Moslems, insbesondere die der Männer?

    Letztendlich geht es hier, wie bei allen monotheistischen Religionen (teilweise auch in anderen) in erster Linie um Machtausübung, indem Menschen anderen eine ihnen plausibel oder Nutzen bringende Lebensweise aufoktruieren wollen.

  11. Wie Ali eben schrieb: Ein streng gläubiger Muslim beruft sich mit seinem Kopftuchgebot auf den Koran. Die Vorschrift sei einzuhalten. Im Koran stehen aber auch andere Dinge, z.B. dass ein Mann seine Frau schlagen darf, dass man Dieben die Hand abhacken darf, dass es 2 Frauen als Zeugen benötigt u.v.m. Diese Dinge sind samt und sonders mit unserer Demokratie nicht vereinbar. Wer also mit dieser Begründung Kopftuch trägt, ist also auch ganz klar gegen die Demokratie. Bitte lebt dies in Euren Ländern aus!!!

  12. Und noch was: Das Kopftuchverbot ist ein Schutz für alle muslimischen Mädchen, die durch tyrannische Väter und gehorsame Mütter zum Verhüllen gezwungen werden. Ich kann mich gut an die traurigen Augen einer Schülerin erinnern, die auf einmal mit Kopftuch in der Schule erschien und mir sagte: Mein Leben ist vorbei. Es hat jede Freude verloren. Von da ab wurde sie von Vater oder Bruder in die Schule gebracht und abgeholt. Verabredungen mit Freundinnen waren nicht mehr möglich. Wenn das Kopftuch wirklich nur ein religiöses Symbol wäre, würde es eine Muslimin für den Gang in die Moschee anlegen. Und danach wieder ablegen. Ein Kopftuch zementiert den Minderwert einer Frau, es beschränkt die Sichtweise und spricht der Frau eine selbstbestimmte Sexualität ab. Wenn es nach mir ginge: Kopftuchverbot an Schulen nicht nur für Lehrerinnen! Keine Ausnahmen vom Sportunterricht und bei Klassenfahrten. Autofahren mit Kopftuch verbieten (Schulterblick nicht machbar). Wem das nicht passt: es gibt genügend islamische Länder. Ich empfehle den Iran. Oder Saudi Arabien.

  13. Ich fühle mich in diesem Land tatsächlich nicht heimisch, obwohl ich hier seit 1979 lebe, studiere und arbeite. Ich habe auch schon mit dem Gedanken gespielt auszuwandern, obwohl ich die deutsche Staatsbürgerschaft habe. Der Grund dafür, ist die zunehmende Fremdenfeindlichkeit, insbesondere gegen muslimische Minderheiten. Es werden immer wieder die selben Klischees bedient. Sie empfehlen mir in den Iran oder Saudi Arabien auszuwandern. Ich empfehle Ihnen, sich in eine Zeitreisemaschine zu setzen und ins Jahr 1933 zurückzukehren.

  14. Hallo napez,

    sorry, aber das ist nicht der Originaltext, denn der ist in arabischer Sprache verfasst (-:

    Was den Fall in Hamburg betrifft, bin ich zutiefst darüber erschüttert. Für mich war das Mord und mit keiner Religion vereinbar. Der Täter ist bösartig und psychisch gestört. Ich wäre für lebenslange Haft mit anschließender Sicherheitsverwahrung. Er ist eine Gefahr für die Gesellschaft.

    Das Benehmen der Familie vor dem Gericht war eine Blamage für alle Muslime und ich hoffe, dass es in Deutschland auch noch Menschen gibt, die nicht alle Muslime in einen Topf werfen.

  15. Dann ist die Lutherbibel auch nicht original, den sie ist ursprünglich in Latein geschrieben worden ;-). Hier wird wohl kaum jemand der arabischen Sprache mächtig sein. Ich bleibe bei meiner Behauptung, dass insbesondere die Auslegung der Bekleidungsvorschrift sehr unterschiedlich ist.

    Im ürbigen geht es hier um Unterdrückung von Frauen in Zusammenhang mit dem Kopftuch, nicht von Moslems.

    Wer mit der nun mal vorherrschenden christlich abendländischen Tradition dieses Landes nicht zurecht kommt, mag gern auswandern. Die Klischees werden von Moslems bedient (s. Hamburg).

    Und auf Bemerkungen zu 1933 an dieser Stelle einzugehen, erspare ich mir. Ich muss diese Geschmacklosigkeit nicht noch vertiefen.

  16. @ # 17 Napez

    Sie haben offensichtlich von der freiheitlich-demokratischen Grundordnung genauso wenig Ahnung wie von der christlich-abendländischen Tradition.

    Die Lutherbibel ist selbstverständlich nicht „orginal“, denn sie ist eine Übersetzung von ursprünglich hebräischen („Altes Testament“) und grichischen Texten („Neues Testament“). Die griechische Fassung der Evangelien ist dabei eine Übersetzung der (nicht erhaltenen) aramäischen Urfassung. Wie jede Übersetzung ist auch die von Luther bereits eine Interpretation, wovon Sie sich überzeugen können, wenn Sie unterschiedliche Übersetzungen vergleichen.

    Es ist auch nicht entscheidend, ob alle Muslime ihre Religion so interpretieren, dass den Frauen das Bedecken der Haare vorgeschrieben ist. Entscheidend ist, dass diejenigen, die ihre Religion so verstehen, durch ein staatliches Kopftuchverbot in ihrer Religionsfreiheit eingeschränkt werden.

    Ob ein sekulärer Staat für bestimmte Bereiche diese Einschränkungen vorsehen darf, um die negative Religionsfreiheit anderer zu schützen, darüber kann man unterschiedlicher Meinung sein. Diese sollte man dann aber begründen. Parolen wie „Religion raus“ (oder „Muslime raus“) ersetzen keine Argumente.

    Sie sollten sich schon die Mühe machen, den von Heinrich verlinkten Text von Reemtsma zu lesen und uns dann erklären, was an seinen durchdachten Argumenten falsch ist.

  17. Was soll diese Rethorik von wegen, wem das nicht passt kann ja auswandern. Das klingt sehr nach der Forderung der Neonazis: „Ausländer raus“. Zu deren Rethorik passt auch, dass sie immer wieder lauthals verkünden „die Ausländer sind ja selbst dran schuld, wenn wir sie hassen“.

    Soll das heißen, wenn so ein durchgeknallter rücksichtsloser „Asozialer“ seine unschuldige Schwester ermordet, alle Muslime daran schuld sein sollen. Mit dieser Rethorik wird den Rechtsextremisten schön in die Hände gespielt. Die können dann demnächst auf die Straßen gehen und Muslime jagen. Sie sind ja selbst dran schuld.

    Über Geschmacklosigkeit lässt sich streiten.

  18. Der Kopftuch ist eigeltich ein Zeichen des Rückschrittes. Der Prophet des Islams hatte 9 bis 13 Frauen (sprich: Konkubinen; damals normale Erscheinung im Islam und Judentum); er wollte seine „Ehefrauen“ einfach von den gieren Sex-Blicken der fremden Männer fernhalten. Er hatte ja viele Besuche. Was vor 1400 Jahre gültig war, muss nicht heute gültig sein – also weg mit dem Kopftuch! In unser Familine trägt keine Frau Kopftuch – die Mullahs und die Taliban wollen das unbedingt. Der Islam muss erformiert werden. Das ist ein krankmachende Religion.

  19. Es ist naiv zu glauben, Islam nach christlichen
    Vorstellung zu ändern. Es ist nicht Aufgabe der Christen. Es wäre genau so, wie der Busch mit seinem Demokratie transport ins islamische länder. Es funktioniert bestimmt nicht.
    zu Napez: als nicht muslime erlaube ich mir eine Bemerkung: was für ein Leid der Menschheit in Afrika, in Südamerika im Namen der Christentum zugefügt worden und wird es heute immer noch.
    Kopftuch hat mit Islam nicht zu tun. Meine Mutter lebt in der Türkei und trägt Kopftuch
    nur aus dem selben Grund, wie die deutsche Frauen in den 50´er und 60´er Jahren.
    Denken Sie auch an die deutsche Geschichte.
    Vieles sind von der Kirche geduldet.
    Wie ich oben geschrieben habe, meine Frau und meine Kinder sind Katolisch und leben wir friedlich unter einem Dach. wegen der Religion
    keiner muss auswandern.

  20. Die Verkleidung wechsel und ist zu vernachlässigen,aber die bei allen Religionen
    vorherschende Veranlagung zu Herrschaft und Egoismus wird nicht automatisch durch Bekehrung oder Verkleidung beendet.
    Aber umgekehrt liegt es auf der Hand,dass uns allen angeborenen Untugenden noch üppiger gedeien und es macht es auch nicht besser,wenn diese sich in ferfeinerter Form äussern oder darstellen.(egal welche Religion)
    Was spielt es da noch für eine Rolle ,ob es ein Kopftuch ist oder eine Schwesternhaube.
    Für mich ist ein Glaube so gut oder schlecht wie der andere und erst das Leiden hat der Menschheit ihre Götter erschaffen.
    Der Satte hat keine Zeit zum beten,er muß seinen Lebenshunger stillen so lange er die Mittel hat.
    Sind die Mittel rar betet die Menschschar.
    Fazi: kaum ist das Meßbuch geschlossen zünden alle eine Kerze für den Teufel an,schei..egal unter was für eine Kleidung er
    steckt „Schleier oder Soutane“

  21. @ Lisa-Marie

    Sind Sie Lehrerin? Aus welcher Zeit ist das Beispiel mit dem traurigen Kopftuchkind? Als Pädagogin hätten Sie dem Mädchen doch sehr wohl feinfühlig Hilfestellung geben können.

    In Münster saß ich in den Vorlesungen oft neben Nonnen, die ganz in schwarzes Tuch gehüllt waren, dem Tschador ähnlich. Ich gebe zu, das war mir sehr fremd. Hätte ich ihnen empfehlen sollen, in den Vatikan auszuwandern?

    @ Napez
    Was sind denn unsere „vorherrschenden christlich abendländischen Traditionen“? In Münster wurden Autos gesegnet, damit sie sicher über die Autobahnen kommen; in unserer düsteren Geschichte sogar die Panzer.

    @ Ali

    Der Mord in Hamburg wird von manchen Menschen gern als Beispiel genommen, um den Islam zu diffamieren. Lassen Sie sich davon nicht deprimieren oder irritieren. Es gibt in Deutschland immer noch ausreichend Menschen, die differenzieren können.

  22. @alterbutt
    Ich stimme zu.

    Ich glaube keinem Pfaffen wegen seinem Ornat, keinem Bettler wegen seiner Joppe.

    Uniformen sind ein Symbol der Einfalt.

  23. Steckt er mal selbst in der Uniform fängt er an sie zu lieben und manchmal reicht schon eine einfache Anstecknadel.
    So sind sie nun mal 🙂
    Die britischen Schulkinder haben diese Probleme nicht.
    Der unsinnige Respekt fängt ja schon bei der Krawatte an,obwohl die meisten Gangster in der Oberliga mit Krawatte zu finden sind zollen wir ihnen mehr Respekt als anderen.
    Was ist ein Kopftuch dagegen?

  24. Zu: Reetsma-Vortrag „Muss man Religiosität respektieren?“ (Le Monde diplomatique,
    http://www.eurozine.com/articles/article_2005-08-22-reemtsma-de.html)

    Auch meinerseits Dank an Heinrich für den Hinweis auf den Reetsma-Text, der für mich von besonderem Interesse ist.
    Ich arbeite z.Zt. am 3. Band einer Romantrilogie („Maria“), die Veränderungen des Frauenbilds seit der Nachkriegszeit beschreibt und sich u.a. mit Auswirkungen eines dogmatisch-katholischen Marienbilds auf Selbst- und Weltbild befasst. In den Hinweisen von Herrn Reetsma auf fundamentalistische Tendenzen im Denken eines Johannes Paul oder Benedikt sehe ich meine Ausführungen über die Wirkung von „Reinheits- und Jungfräulichkeits“-Phantasien in der Marienverehrung durchaus bestätigt. Zudem ist m.E. auch die hier im Blog erkennbare Unfähigkeit zu einer rationalen Auseinandersetzung mit dem Thema „Kopftuch“ (Pauschalisierung, Gereiztheit, Zynismus) ein Hinweis darauf, dass dabei weniger religiöse Fragen tangiert werden als Selbstbilder mit tiefsitzenden Wunschbildern und Ängsten, die, sobald sie in Frage gestellt werden, zu aggressiven Abwehrreaktionen neigen.

    Abraham (Nr.17) hat zu einer Auseinandersetzung mit Reetsmas Thesen aufgefordert und ich möchte dies im Folgenden ohne die oben genannten Überspitzungen versuchen.

    1. Zu Bipolarität und Anspruch auf
    Sinnmonopol im religiösen Denken:

    Nach Reetsma ist religiöses Denken (im fundamentalistischen Sinn) geprägt durch vereinfachende Bilder und bipolare Aufteilung der Welt: gläubig – ungläubig, gut – böse, moralisch – unmoralisch, sinnhaft – sinnentleert. Es beansprucht, da vermeintlich im Besitz der „Wahrheit“ und des Sinnmonopols, dabei für sich selbst den jeweils positiven Teil und projiziert das Negative auf Menschen mit anderen Lebensentwürfen, die als Bedrohung, evt. gar als Beleg für die Existenz des „Bösen“ wahrgenommen werden. Daher auch die Neigung zu unseligen Holocaust-Vergleichen oder apokalyptischen Vorstellungen von einer „Kultur des Todes“ im Zusammenhang mit Geburtenregelung, etwa eines Kardinals Meisner.
    Wichtig ist dabei die Erkenntnis, dass bei aller Schärfe der Auseinandersetzung monotheistischer Religionen untereinander um das Wahrheitsmonopol zwei Gemeinsamkeiten erkennbar sind: Die Bekämpfung der säkularen Gesellschaft als einer „Gesellschaft des Irrtums“ und ein gebrochenes Verhältnis zur Geschichte, da der Glaube, im Besitz „göttlicher“ und damit unveränderlicher „Offenbarung“ zu sein, notwendig zur Ablehnung historischer Veränderung und zeitgemäßer Interpretation des Glaubens führen muss (siehe Pius-Bruderschaft). Für die aktuelle Islam- bzw. „Kopftuch“-Debatte wichtig erscheint mir auch Herrn Reetsmas Hinweis, dass in der Einstellung zum säkular verfassten Staat zwischen islamistischen Gruppierungen und einem Johannes Paul bzw. Benedikt kein prinzipieller Unterschied besteht. Dies verbietet verallgemeinernde Angriffe auf den Islam generell oder Thesen vom „Kampf der Kulturen“.

    2. Zur Respektierung religiöser Überzeugungen:

    „Ich respektiere die Freiheit meines Mitmenschen, religiöse Überzeugungen zu haben, die ich zutiefst missbillige.“ Diese Einstellung in der Tradition des Toleranzgebots eines Voltaire ist durchaus ehrenwert. Allerdings zeigt sich bereits hier ein Mangel in der Argumentation Herrn Reetsmas: Er unterscheidet nicht zwischen persönlichem Toleranzgebot und einer freiheitlich verfassten säkularen Gesellschaft, die ihre freiheitlichen Grundprinzipien auch zu verteidigen hat: „Säkularität (…) bedeutet eben auch Nichteinmischung in die Expressionsformen von Religiosität.“
    Dieser Satz kann nur solange Gültigkeit beanspruchen, als diese Religiosität ihrerseits zur Respektierung anderer Lebensentwürfe und Expressionsformen bereit ist und das Grundrecht der Religionsfreiheit nicht zur Unterwanderung bzw. Aushöhlung der liberalen Verfassung mit letztlichem Ziel ihrer Abschaffung missbraucht. Anders ausgedrückt: Eine Religiosität, die den Glauben nicht als private Einstellung und Hilfe für eigene Lebensentwürfe ansieht, sondern eigene Vorstellungen von „Moral“ allgemein verbindliche politische Zielsetzungen formuliert, stellt sich selbst außerhalb dieser säkularen Gesellschaft, in der auch Platz für religiöse Überzeugungen ist. Sie hat den Schritt von Religion zu totalitärer Ideologie vollzogen und kann nicht auf die Rechte einer Religionsgemeinschaft pochen. Dies gilt mit Sicherheit für Islamismus, aber auch für manche fundamentalistische „christliche“ Gruppierungen.

    3. Zum Kopftuch als „Modeaccessoire“:

    Die unter 2) genannte fehlende Differenzierung rächt sich bei der Einschätzung des Kopftuchs als „Modeaccessoire“: Er verlagert die Diskussion von der konkreten historischen Ebene, bei der diesem Symbol klar definierte Bedeutungen zugewiesen sind, auf eine unverbindliche Ebene des persönlichen Geschmacks, die sich rationaler Beurteilung entzieht. Nach der (unter 1) festgestellten fundamentalen Opposition religiöser Einstellungen fundamentalistischer Couleur gegenüber dem säkularen Staat muss dies als ein Zurückweichen vor dem eigentlichen Problem angesehen werden.
    Ein „Modeaccessoire“ ist ein Mittel, um bestimmte Befindlichkeiten oder Lebenseinstellungen des Trägers bzw. der Trägerin sichtbar zu machen, die veränderlich sind und mit transzendenten Zusammenhängen nichts oder nur am Rande zu tun haben. Das Kopftuch in der aktuellen Debatte wird als vermeintlich religiöses Symbol gehandelt, das eine bestimmte, fundamentalistische Interpretation von „Islam“ mit einem fest gefügten Welt- und Frauenbild signalisiert. Es ist dadurch zu einem Kampfsymbol gegen die „sinnentleerte westliche Welt“ geworden. Mit der Bezeichnung „Modeaccessoire“ wird dem Kopftuch von außen eine relativierende Bewertung zugewiesen, welche die Trägerin selbst mit Sicherheit nicht teilt.
    Die Bewertung steht und fällt mit der Einschätzung, ob und in welchem Maße die Trägerin selbst darin den Ausdruck einer Lebenseinstellung, insbesondere eines Frauenbilds sieht, das mit dem Recht von Frauen auf Selbstbestimmung im liberal verfassten Staat unvereinbar ist. Eine Gesellschaft, die auf der allgemeinen Akzeptanz von Menschenrechten aufbaut, kommt nicht darum herum, sich dieser Frage zu stellen, will sie sich nicht selbst aufgeben. Denn die Duldung von Parallelgesellschaften mit eigenem „Rechts“system wie Zwangsheirat, „Ehren“mord u.a. bedeutet nichts anderes als Mitgliedern der Gemeinschaft – etwa Mädchen in islamistischen Elternhäusern – den Schutz des Rechtsstaats, auf den sie einen Anspruch haben, zu verweigern.
    Es ist verständlich, dass der Rechtsstaat sich scheut, dieses zentrale Problem anzugehen, steht er doch in der Pflicht nachweisen zu müssen, dass der Ausdruck einer Gesinnung – mit hoher Wahrscheinlichkeit – im Zusammenhang mit Verstößen gegen die Rechtsordnung steht oder darauf abzielt.
    Der meist beschrittene Umweg über das Beamten-Dienstrecht für Lehrerinnen löst das Problem nicht und bringt sich selbst in ein argumentatives Dilemma: Er akzeptiert einerseits die – nicht durch den Koran begründbare – Behauptung eines religiös motivierten Bekenntnisses, wertet es aber andererseits als hinreichendes Indiz für religiöse Indoktrination. Mit Recht wendet Herr Reetsma dagegen ein, dass dies alleine, ohne entsprechende faktische Handlungen, keine administrative Maßnahmen – sprich: Entfernung aus dem Staatsdienst – begründen kann.
    Konsequent laizistische Staaten wie Frankreich, aber auch die Türkei, die klipp und klar erklären, dass religiöse Bekundungen jedweder Art an öffentlichen Einrichtungen nicht-religiöser Art – nicht nur von Lehrerinnen – nichts zu suchen haben, tun sich da wesentlich leichter und sind wohl auch glaubwürdiger.
    Aber auch Herr Reetsma verliert die entscheidenden Inhalte aus dem Blick, indem er in eine formaljuristische Argumentation verfällt, so beim Vergleich mit dem Verbot des Hakenkreuzsymbols: „Wäre das Kopftuch Symbol einer verbotenen Religionsgemeinschaft, wäre gegen sein Verbot nichts einzuwenden.“
    Der Gebrauch des Hakenkreuzsymbols ist nicht deshalb zu Recht verboten, weil es – auch – Symbol einer verbotenen Partei ist, sondern weil dies das Bekenntnis zu einem verbrecherischen, menschenverachtenden Umgang mit anderen Menschen ausdrückt und ausdrücken soll. Es kann niemand argumentieren, er meine damit das uralte asiatische Symbol des Sonnenrads („Swastika“), denn mit der Monopolisierung für sich selbst haben die Nazis seinen Symbolgehalt grundlegend und dauerhaft verändert.
    Auch der politische Islam hat die Symbolträchtigkeit des Kopftuchs in der Weise geprägt, dass ein voluntaristisches Ignorieren des gesellschaftspolitischen Hintergrunds schlechterdings unmöglich ist. Wer sich ausgerechnet auf dieses Symbol als Ausdruck seiner religiösen Überzeugungen aufgrund „freier“ Entscheidung kapriziert, kann kaum glaubwürdig erscheinen. Rechtfertigungsversuche wie z.B. Hinweise auf Frauen mit Kopftuch bei der Landarbeit in den 50er Jahren sind schlicht lächerlich.

    4. Überlegungen zur möglichen Problemlösung:
    Eine befriedigende administrative Lösung des Problems kann es m.E. nicht geben, schon gar nicht, wenn man sich auf der Ebene vorgegebener oder wirklicher religiöser Bekenntnisse begibt, die sich per se einer rationalen Beurteilung entziehen. Entscheidend ist wohl die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit patriarchalen Strukturen, vor allem in Parallelgesellschaften, ihrem Frauenbild und deren Ausdrucksformen. Dies wiederum ist in erster Linie Angelegenheit der Menschen muslimischer Herkunft selbst. Frauen, welche die Problematik aus eigener Erfahrung kennen und die, selbst unter massiver Bedrohung, den Mut haben, die Probleme klar und unmissverständlich zu benennen, gibt es ja.(So etwa Seyran Ates:„Der Mulikulti-Irrtum“: Rezension bei Amazon.de). Sie verdienen unsere Unterstützung. Vor allem aber geht es darum, Mädchen, die patriarchaler Willkür ausgesetzt sind, nicht durch falsch verstandene relativierende „Toleranz“ den Schutz des Rechtsstaats zu entziehen und sie ihrem Schicksal zu überlassen.
    Werner Engelmann, Luxemburg

  25. Die vielen klugen Gedanken in Ehren gehalten, ich mach mal wieder einen Schuh draus:

    Es geht bloß um ein Tuch, das, eng am Ohr getragen, vor Wind, Kälte und Staub schützt.

    Wenn man es aber durchaus überhöhen will:
    Es ist nicht der richtige Weg, das Gute zu verbergen, der richtige Weg ist, daß das Böse sich selbst verbirgt.

    Es reicht schon, wenn es im richtigen Moment die Lider senkt.

  26. @BvG
    Danke für das doppeldeutige Kompliment. Ob aus Zynismus aber ein Schuh wird, wage ich zu bezweifeln. Und mit zwei linken Schuhen läuft sich’s schlecht.
    Gruß W. Engelmann

  27. @ I.Werner
    Immer diese Vergleiche mit Nonnen. Nonnen sind Mitglieder eines Ordens, verhüllte Frauen leben den Alltag!
    Eine Verkleidung mit langem Mantel und Kopftuch macht ein Teilnehmen an einer freiheitlich demokratischen und gleichberechtigten Gesellschaft unmöglich!
    @ Ali
    Ich kenne es aus zahlreichen Diskussionen mit „strengläubigen“ Muslimen: Auf Argumente wird nicht eingegangen (weiß man keine Antwort drauf?). Man holt die Nazikeule raus (ich kann keinen Zusammenhang erkennen, aber damit kriegt man uns Deutsche ja immer) oder meint, wir hätten als Andersgläubige keine Ahnung. Hallo, ich kann lesen und denken! Ich kann den Koran lesen (habe ich auch) und sehe, wie die Frauen im Islam leben. Und wenn mir einer kommt, eine Muslimin sei laut Koran dazu verpflichtet, ein Kopftuch zu tragen (kommt sie sonst in die Hölle?), dem emfpehle ich die Lektüre: The Place of Women in Pure Islam von M. Rafiqul-Haqq und P. Newton. Alles mit Zitaten aus Koran und Hadithen begründet.
    Kein Mensch behauptet, in der Bibel oder der Geschichte des Christentums habe es nie Frauenunterdrückung gegeben (im Gegenteil). Aber wir wissen Religion, Geschichte und Gegenwart zu trennen. In unserem Land haben wir erst seit 90 Jahren das Wahlrecht. Etwa so lange dürfen Frauen erst auf die Universität. Bis in die Nachkriegszeit brauchten Frauen das Einverständnis ihres Ehemannes, wenn sie arbeiten wollten. Wir haben diese Zeiten zum Glück hinter uns, dank dem Einsatz von vielen mutigen Frauen (und ein paar Männern). Und heute werden wir überflutet von Menschen aus Ländern und Gesellschaften, die noch im Mittelalter leben, was Menschenrechte (=Frauenrechte) angeht. Sie wissen, mit dem Argument Glaubensfreiheit können sie bei uns alles durchsetzen. Warum kommen sie her? Weil sie hier wirtschaftlich besser leben, kostenlos studieren können. Wenn ihr Seelenheil von dem strikten Einhalten von Koranregeln abhängt, warum bleiben sie nicht in den Ländern, wo sie herkommen? Warum stellen sie materielle Aspekte über das „Wohl ihrer Seele“? Und noch einmal mein Argument, auf das sich kein Muslim traut zu antworten: Wer den Koran wörtlich nimmt und auf das Kopftuchtragen besteht, der kann nicht für die Demokratie sein, denn der Koran schließt die Demokratie aus. Ganz klar.

  28. @ Werner Engelmann

    Tröstlich, dass sie mit ihrem Beitrag der feindlichen Übernahme einer sinn- und geistreichen Diskussion durch den gesegneten Schwachsinn entgegenzuwirken versuchen. Die absolute untere Niveaugrenze für veröffentlichte Statements markierte Karl Kraus nicht ohne Grund einmal mit den Worten: „Es genügt nicht, keine Gedanken zu haben, man muss auch unfähig sein, sie auszudrücken.“

    Prompt folgt dann aber auf ihren Beitrag ein Kommentar, der leider nicht ohne Sinn ist, über dessen Sinn sich eigentlich aber kaum streiten lässt. Dass Nonnen den Alltag nicht lebten, darauf muss man ja erst einmal kommen, ebenso wie darauf, dass jemand die seitenlange differenzierte Erörterung des Themas durch Reemtsma mit dem lakonischen Satz: „Eine Verkleidung mit langem Mantel und Kopftuch macht ein Teilnehmen an einer freiheitlich demokratischen und gleichberechtigten Gesellschaft unmöglich!“, Basta! konterkarieren könnte. Da drängt sich denn doch der Gedanke auf, dass solches Denken sich hoffentlich bloß im Rahmen einer friedlichen und freiheitlich demokratischen und gleichberechtigten Gesellschaft äußert und die Denkerin nicht militant sich an Aktivitäten der Leute beteiligt, woher sie das schlichte Schwarz-Weiß-Weltbild bezieht. Es ist ja ein beliebtes Propaganda-Muster der Rechten, dass sie ihre menschenfeindlichen Angriffe mit der angeblichen Menschenfeindlichkeit ihrer Hassobjekte rechtfertigen.
    Dass solches von einer Lehrerin geschrieben worden ist, würde ich aufgrund meiner persönlichen Erfahrungen mit ihren Berufskolleginnen nie und nimmer glauben.

    Zu ihrem Beitrag, dem ich nicht in jeder Hinsicht zustimme, später vielleicht noch mehr, wenn ich die Zeit und Neigung dazu bekommen sollte, mich weiter an solcher Diskussion zu beteiligen.

  29. Vieles des hier Dargelegten ist stichhaltig und gut fundiert. (Auch noch so formuliert, dass es der gewöhnliche Zeitungsleser noch verstehen kann – was nicht immer der Fall ist.)

    Da es sich bei „unserem“ Streit um das Kopftuch der Muslima um hauptsächlich Frauen und Mädchen türkischer Herkunft handelt, sollten wir doch auch die Argumente beleuchten,warum gerade in der zu 99% islamischen Türkei das Kopftuchtragen verboten wurde und zur Zeit auch noch verboten ist.
    Ohne Argumente aus dieser Seite fehlt doch etwas sehr Wesentliches in „unserer“ Diskussion.

  30. @ maderholz

    Kopftuchverbot in der Türkei hat mit Religion nicht zu tun. Es ist politische Entscheidung der antiislamisten und undemokratisch, wie in Deutschland.

  31. Na ja – wenn sich alles so einfach erklären ließe…
    Da hoffe ich doch noch auf etwas mehr Begründungen.

  32. @ Maderholz

    Für den normalen (!) Zeitungsleser ist eben auch schwer verständlich, was nicht stichhaltig und fundiert ist, sondern bloß dem spätabendlichen Brainstorming entspringt, das von einem Heer von selbstdarstellerischen Hobbyautoren in Internetforen für mitteilenswert gehalten wird.

    Schwer verständlich ist allerdings in der Tat unabhängig davon der komplizierte Sachverhalt, den sie hier zur Frage stellen. Ich versuche es gleichwohl in der gebotenen Knappheit und hoffentlich trotzdem stichhaltig und verständlich.

    Die Französische Republik des 18. Jh. und die Türkische Republik des 20. Jh. haben untereinander ähnliche und von Deutschland abweichende geschichtliche Gründe, sich scharf von religiöser Dominanz abzugrenzen.

    Das vorrevolutionäre Frankreich war relativ homogen katholisch und entsprechend nicht nur vom weltlichen Adel, sondern auch vom Klerus beherrscht. Die Abscheu des Volkes vor dem letzten war umso größer, als Ausbeutung und Dominanz durch den Klerus als im Gegensatz zur christlichen Lehre empfunden wurde. Die französischen Revolutionäre waren infolgedessen auf eine Entmachtung und Enteignung der Kirche und auf einen streng antiklerikalen laizistischen Staat bedacht.

    Am Vorabend der Französischen Revolution waren in Deutschland Kaiser Joseph II., der Sohn Maria Theresias, und im mächtigsten Territorialstaat des Reichs Friedrich II., der sog. Große von Preußen, an der Macht. Beide waren Vertreter des sog. „aufgeklärten Absolutismus“, die von den Ideen der Aufklärung beeinflusst waren und diese durch eine Reihe von Reformen zur Geltung zu bringen versuchten, zu denen zumal die Durchsetzung religiöser Toleranz gehörte. Von Friedrich, der z.B. den in Frankreich verfolgten Hugenotten in Preußen eine Heimat bot, ist die Devise überliefert, die Reemtsma zitiert: „Jeder soll nach seiner Fasson selig werden“. Auch die Literaten und Philosophen der Aufklärung, wie Lessing und Kant, nahmen zu Religion und Kirche eine wesentlich moderatere Haltung ein als die französischen. Dieser historische Unterschied wirkt bis heute in den beiden Staaten und ihrem Verhältnis zur Religion nach.

    Die Türkische Republik in ihrer heutigen Gestalt gibt es erst seit 1920. Davor war die Türkei ein Teil des Vielvölkerstaates „Osmanisches Reich“ oder „Ottomanisches Reich“, regiert und beherrscht vom osmanischen (eine türkische Dynastie) Sultan, der in Konstantinopel (früher auch „Byzanz“ genannt, heute „Istanbul“) residierte. Der osmanische Sultan war über die Jahrhunderte seit dem 15. Jh. zugleich der weltliche Herrscher über das Osmanische Reich als auch, in der Nachfolge Mohammeds und der arabischen Kalifen, das religiöse Oberhaupt über den Islam. In der zweiten Hälfte des 19. Jh. ist ein Niedergang des Reiches zu verzeichnen, und sein Zerfall wurde nur dadurch verhindert, dass es von den westlichen Großmächten gestützt wurde, um zu verhindern, dass das Zarenreich sich die Türkei aneignet. 1876 kam es zu einem Staatsbankrott, und ein englisch.französisches Bankenkonsortium übernahm vertraglich die Schulden und damit praktisch die Finanzhoheit.

    Zu dieser Zeit bildete sich die türkisch-nationalistische Partei der „Jungtürken“, die in Staatsstreichen 1909 und 1913 praktisch die Macht im Reich übernahm und sich anschickte, den Sultan zu entmachten und den nichttürkischen Völkern, zumal den Arabern, die türkische Sprache als Nationalsprache auferlegte. Damit kamen sie den arabischen Scheichs und Emiren, die sich als die Hüter der islamischen Heiligtümer und des arabischen Korans definierten, gerade recht. Sie kämpften im I. Weltkrieg an der Seite der Engländer gegen die mit dem Deutschen und Österreich-Ungarischen Reich verbündeten Osmanen.

    Nach dem Sieg über diese gelang es einem türkisch-nationalistischen Offizier namens Mustafa Kemal, in einem Bündnis zwischen jungtürkischen Politikern und Offizieren und religiös motivierten Widerstandsgruppen in Anatolien, die Auflösung des Staates durch die Engländer zu verhindern und mit der Türkischen Republik anstelle dessen einen türkisch-nationalistischen Rumpfstaat zu gründen. Das Bündnis zwischen den westlich orientierten europäischen Jungtürken und den islamisch orientierten Anatoliern war jedoch ausgesprochen labil, da erstere an einem säkularen Staat nach westlichem Muster orientiert waren. Um auftretenden islamisch-politischen widerstand zu brechen, wurde das formell zunächst erhaltene Kalifat abgeschafft, Verwaltungsakte (Eheschließung etc.) in die Hand des Staates gegeben und das Tragen traditioneller und mit dem Islam verbundener Kleidung verboten. Darunter fiel auch der auf alten Bildern noch zu sehende „Fez“, ein krempenloser zylindrischer Hut mit Bommel, der die klassische Kopfbedeckung der türkischen Männer war.

    Näheres auf dieser Seite, die informativ ist, jedoch wohl türkische (Mit-) Autoren hat, wie aus der Darstellung der zum Osmanischen Reich gehörenden Armenier, an denen ein bis heute in der Türkei geleugneter Völkermord verübt wurde, als „Besatzer“ hervorzugehen scheint.

    Die damals schon virulenten Widersprüche zwischen säkularen und politisch-islamischen Türken scheinen sich in der Gegenwart in der Türkei wiederzubeleben und auch auf Deutschland auszustrahlen und u.a. anhand eines Kleidungsstücks die Gesellschaft zu spalten zu drohen.

  33. Ergänzung:

    1. Die Hugenotten flüchteten mehrheitlich schon Ende des 18. Jh. u.a. nach Preußen, die religiöse Toleranz wurde von Friedrich also nicht eingeführt, sondern weitergeführt.

    2. Mustafa Kemal nannte sich selbst und wurde „Atatürk“ genannt, „Vater der Türken“ und ist bis heute die Gallionsfigur des türkischen Nationalstaats.

    3. Hier die angekündigte Seite:

    http://www.cap-lmu.de/themen/tuerkei/geschichte/republik.php

  34. @Engelmann

    War durchaus ernstgemeint, das Kompliment.

    Aber es muß doch auch gesagt werden, und wurde auch schon gesagt, daß es sehr lächerlich ist, ein Kleidungsstück symbolhaft zu überfrachten und damit eine ganze Gesellschaft einem Bekenntnisdruck auszusetzen, den sie mit guten Gründen heftigst ablehnt.

    Dazu werden noch gänzlich Unbeteiligte in diese Diskussion hereingezogen, weil, je nach Sicht, das Tuch als Bekenntnis oder als Nichtbekenntnis gewertet wird.

    Ich lehne das ab .

  35. @ Werner Engelmann

    Hier noch mein Kommentar für sie, bevor ich mich wegen anderer Prioritäten aus der Diskussion zurückziehe.

    Ich glaube, sie verstehen Reemtsma an einigen Stellen nicht ganz.

    Er schreibt: „ich respektiere ihren oder seinen Lebensentwurf. Solange sie die Spielregeln der säkularen Gesellschaft respektieren und damit ihre Tochter nicht über das Eltern allgemein zuzubilligende Maß an Intoleranz hinaus schikanieren.“
    Dabei steht doch zweierlei völlig außer Frage: Erstens gehört natürlich zur Respektierung der säkularen Gesellschaft zuallererst die Einhaltung der Gesetze. Das ist doch überhaupt keine Frage. Insofern ist ihr Kommentar:
    „Denn die Duldung von Parallelgesellschaften mit eigenem „Rechts“system wie Zwangsheirat, „Ehren“mord u.a. bedeutet nichts anderes als Mitgliedern der Gemeinschaft – etwa Mädchen in islamistischen Elternhäusern – den Schutz des Rechtsstaats, auf den sie einen Anspruch haben, zu verweigern.“ verfehlt.

    Tatsächlich ist zwar die Duldung von Parallelgesellschaften nicht hinnehmbar, auch wenn Behörden und Polizei ihre Schwiegigkeiten mit ihrer Bekämpfung haben:
    http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,443154,00.html

    Wenn sie aber mit Parallelgesellschaften soziale und kulturelle Milieus meinen, wäre ich mit meinem Urteil als Deutscher vorsichtiger. Die Vertreibungen im Osten, die mit dem Fall Erika Steinbach derzeit wieder ins Licht gerückt worden sind, waren doch nur deshalb möglich, weil die zu Vertreibenden als Deutsche identifizierbar waren, indem sie über dreihundert bis achthundert Jahre eben nicht in die Mehrheitsgesellschaften integriert bzw. sich diesen assimiliert haben, sondern ihre sprachliche, ethnische und kulturelle Eigenart in deutschen Parallelgesellschaften erhalten haben. Dass die deutschen Gerichte Zwangshochzeiten oder gar Ehrenmorde dulden würden, ist doch einfach ideologisches, wenn nicht demagogisches Gerede, genauso wie der Satz von Lisa-Marie: „Sie wissen, mit dem Argument Glaubensfreiheit können sie bei uns alles durchsetzen.“ Schulpflicht ist Schulpflicht, und wenn der Sportunterricht Pflichtfach ist, dann ist er Pflichtfach für alle. Klassenfahrten sind aber freiwillige Veranstaltungen, und man kann die Freiwilligkeit nicht je nach familiären Motiven einschränken.
    Kinder haben eben einen Anspruch auf den „Schutz des Rechtsstaates“, soweit es um Vernachlässigung der Fürsorge- und Versorgungspflicht geht, um Missbrauch und Misshandlung usw., ob die Familien nun islamisch, katholisch oder sonstwie orientiert sind. Der Rest obliegt der Verantwortung der Eltern, so traurig das im Einzelfall oder auch im Fall ganzer Milieus sein mag. Wenn sie, wie ich, eine Familienhelferin kennen, lassen sie sich von der mal das garstig Lied von dem schönen und gewalt- und repressionsfreien Leben so mancher Kinder in deutschen Familien und Milieus singen.

    Was das Hakenkreuz-Verbot anbetrifft, so geht es nicht darum, ob und aus welchem Grund sie das für legitim halten. Zu unserem säkularen Staat gehört auch zumal das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit. Nach § 86 StGB ist das „Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen“ verboten. Das ist in dieser Hinsicht völlig eindeutig und korrekt von Reemtsma eingeordnet: Das Kopftuch kann insofern legitimerweise, was immer sie zu seinem angenommenen Symbolgehalt vorbringen, nur als Symbol einer verbotenen verfassungswidrigen Organisation verboten werden, in der Reihenfolge. Darüber hinaus gilt der Grundsatz freiheitlicher gegenüber totalitären Staaten: Nur Handlungen, nicht aber Gesinnungen sind strafrechtlich relevant und gehen daher den Staat etwas an. Das ist gemeint mit dem „Modeaccessoire“: Für den Staat hat es das bis zu einer eindeutigen Zuordnung zu einer verfassungswidrigen Organisation zu sein.

  36. @heinrich

    Nicht ganz! Wenn religiöse oder politische Motive außerhalb des säkularen Rechtsraumes moralische Überlegenheit anstreben oder mir auch bloß persönlich moralische Verwerflichkeit unterstellen, so beschädigen sie bereits mein Grundrecht auf Freiheit.
    Sie ergehen sich in dem Unrecht und beleidigen mich damit.

    Im Klartext: Wenn die Begründung für eine Verhüllung der Körperlichkeit einer islamischen Frau meine unterstellte Immoralität ist, dann ist das eine Beleidigung für mich, mindestens eine Projektion der zügellosen Gedanken ihrer Urheber . Dazu hat niemand ein Recht.

    Die Verhüllungsexperten sollten ihre, wenn sie diese so empfinden, schmutzigen Gedanken für sich behalten und besser ihre eigenen Augen bedecken, statt die Haare der Frauen.

    Vor mir braucht keine Frau ihr Haupthaar verbergen und kein Macho braucht sie vor mir beschützen.

    Ich sehe in ihr den Mensch, frei, souverän und schön. Da brauchts keine Regelwerke.

    Ich brauch‘ keine Religion, keine Gesetze, um anständig zu sein.
    Wenn es andere nicht schaffen: Don’t bother me with your mess!

  37. Ich bin des trocknen Tons nun satt! (Mephisto)

    Leute wie Reemtsma nötigen ihre unfreiwilligen Leser und belästigen sie mit ihren komplizierten Gedankenwindungen.

    – In welcher Weise ist ein mühsam vom Gemeinwesen entwickelter Konsens über das Zusammenleben unterschiedlich denkender und glaubender Menschen und Gruppen im Grundgesetz manifestiert?
    – Welchen Einfluss kann, soll, darf man mit seinen persönlichen Überzeugungen auf seine soziale Umwelt nehmen?
    – Welche Formen sind dabei im öffentlichen Diskurs über Weltanschauungen und Religionen im Sinne der Freiheit der Andersdenkenden (Rosa Luxemburg) legitim und welche überschreiten deren Grenzen?
    – Wie kann eine zumindest friedfertige, im günstigeren Fall durch anregenden und produktiven Austausch von unterschiedlichen Andersdenkenden gekennzeichnete Öffentlichkeit gestaltet werden, jenseits der abstrusen Idee von Laizisten der flachköpfigen Art, man solle gefälligst seine Anschauung der Welt zuhause an der Garderobe hängen lassen, wenn man die Wohnungstür hinter sich abschließt?
    – Welche Bedeutung hat die von den Konstrukteuren der säkularen Gesellschaft gesetzte Unterscheidung von legitimem persönlichen Bekenntnis und illegitimer, weil den Andersdenkenden als solchen missachtenden Indoktrination?

    Alles wirres Zeug!

    „clare et distincte (lat.) heißt klar und deutlich. Klarheit (d.h. Unterscheidung des Gegenstandes von allen anderen) und Deutlichkeit (d.h. Gegenwart, Bewußtheit und Verständlichkeit für den aufmerksamen Geist) sind nach Cartesius [Descartes] die Kennzeichen der Wahrheit.“
    (Kirchner, Wörterbuch der philosophischen Grundbegriffe).

    Solche klare und distinkte Wahrheit könnten wirre Geister wie Reemtsma heutzutage nur bei Bloggern finden. Wer weiß, in welchen Fernen der nach der Wahrheit sucht, wo das Gute doch so nah‘ liegt. Eine Unzahl von Bloggern teilt der Welt, nicht zuletzt im FR-Blog, in mitternächtlichen Impressionen nichts als sich selbst mit, das Zentrum, von dem aus die Erkenntnis des Wahren, Guten und Schönen erfolgt, das reine und freischwebende ICH, das „die Welt im Innersten zusammenhält“ (Faust). Die Anderen, das ist die Gegenwelt.

    Traditionen, Konventionen, Religionen, Verfassungen, Gesetze: ICH brauch das alles nicht.

    – SIE beschädigen MEIN Grundrecht auf Freiheit.
    – SIE ergehen sich in Unrecht.
    – SIE beleidigen MICH damit.
    – Vor MIR braucht keine Frau ihr Haupthaar verbergen.
    – ICH sehe in ihr den Mensch (!) – nackend oder verhüllt-, frei, souverän und schön.
    – ICH brauch’ keine Religion, keine Gesetze, um anständig zu sein.

    Denn. Alle mitsingen: Der – Mensch – braucht – bloß etwas Humanitäterä, täterä. täterääää!

    DON’T BOTHER US WITH JOUR MESS!

  38. @heinrich
    zu den mitternächtlichen bloggern: was sonst macht die blogs – manchmal – zur interessanten Lektüre?

  39. @ Ursula Samman

    „zu den mitternächtlichen bloggern: was sonst macht die blogs – manchmal – zur interessanten Lektüre?“

    Wer soll das beantworten? „Interessante Lektüre“ bedeutet ja offenbar nicht für jeden dasselbe. Amüsant sind die mitternächtlichen Ergüsse allemal, und vielleicht befriedigen diese ja auch nicht nur ihr Bedürfnis nach Unterhaltung, sondern zusätzlich das nach Erweiterung der Weltsicht und des geistigen Horizontes, das Unbescheidenere mit interessanter Lektüre verbinden.

    Zudem haben Freizeitforscher ja ermittelt, dass die meisten Menschen in ihrer Freizeit gerne dieselben Tätigkeiten ausführen wie im Beruf, weshalb sich nach Feierabend in den Heimwerker-Märkten die Arbeiter tummeln und Lehrerinnen ihrem Drang folgen, in Blogs Kommentare zu benoten. Vielleicht haben also auch sie nach Feierabend noch nicht genug von den Ich-Erzählungen, die sie sich tagsüber in ihrer Praxis anhören mussten.

    Was mich betrifft, so bevorzuge ich die Lektüre von Urteilen der apodiktischen Sorte. Also: seien sie doch nicht so egoistisch und lesen hier nur zum eigenen Vergnügen, sondern schreiben vielleicht auch einen Kommentar zum Thema. Andere mögen sich auch amüsieren.

  40. Ja ich geb’s ja zu, das (#38) war ein allzu bunter Vogel.

    Mit dem „don’t bother me …“ war aber keiner gemeint, er hier schreibt.

  41. Lieber Heinrich,

    deine Frustration über die Beiträge hier kann ich gut verstehen. Trotzdem möchte ich versuchen, auf Reemtsmas Beitrag zurückkommen. Meine volle Zustimmung zu seinen Ausführungen (# 8) bezog sich auf den letzten Abschnitt zu Kopftuch. Nachdem ich den Artikel nun ganz gelesen habe, muss ich doch einige kritische Punkte ansprechen.

    Zunächst stimme ich Reemtsmas Auffassung von säkularen Gesellschaft zu, wenn er schreibt: “Die säkulare Gesellschaft (sagt), dass es ihre Bürger sind, die die Gesetze machen und sich untereinander darüber einigen, welchen Wertorientierungen diese folgen.“ Und auch die Bewertung teile ich: “Auf der einen Seite bedeutet Säkularität als Möglichkeit, sich nach eigenem Gusto mit Sinnangeboten zu versorgen, den Schutz vor religiöser Zwangsvergemeinschaftung, auf der anderen Seite bedeutet sie eben auch Nichteinmischung in die Expressionsformen von Religiosität. Letzteres in Form eines Bürgerrechts, Ersteres in Form der Überwachung der Einhaltung bestimmter Gesetze.“

    Es stimmt: „In einer säkularen Gesellschaft – nur darum geht es – ist der Zugang eines Bürgers zur Öffentlichkeit nur durch seinen Status als Bürger definiert und nicht dadurch, was er denkt.“

    Doch widersprechen muss ich Reemtsma, wenn er weiter folgert: „Damit kümmert sich eine säkulare Gesellschaft um genau das nicht, was einem religiösen Menschen – wenn er es ernst meint – das Wichtigste sein muss. Für einen religiösen Menschen ist eine säkulare Gesellschaft eine Gesellschaft des Irrtums.“

    Wenn ich die säkulare Gesellschaft ohne Vorbehalt bejahe und sie nicht für einen Irrtum halte, meine ich es dann nicht ernst oder zweifelt Reemtsma an meiner Religiosität? Sind nur „die Geistlichkeit Teherans mit der (orthodoxen) Geistlichkeit Jerusalems und der Geistlichkeit Roms“ für ihn die „wahren“ Religiösen? Sind die religiös empfindenden Menschen, die nicht das Ziel haben, die säkulare Gesellschaft zu bekämpfen, deren Existenz Reemtsma „großzügig“ einräumt, Religiösen minderer Kategorie? Müssen wir, die den liberalen Strömungen der Religionen angehören, uns solche Herabsetzungen (die wir zu genüge seitens der „Fundamentalisten“ erfahren), nun auch von ansonsten differenziert denkenden Atheisten gefallen lassen?

    Ich bin sicher, so meinte es Reemtsma nicht. Es ist aber die Konsequenz dessen, wie er Religiosität versteht. Seine erste Aussage dazu teile ich noch: „Religiosität besteht in der Überzeugung, dass die Welt nicht aus sich heraus verstanden werden kann.“ Richtig und gleichzeitig falsch ist schon der nächste Satz: „Religiös ist derjenige, der meint, was immer wir auf diesem oder jenem Wege noch über die Welt herausbekommen können: Das, was die Welt im Innersten zusammenhält, das Geheimnis der Welt, ihr Sinn – also irgendwie das Eigentliche -, wird es nicht sein.“ Falsch daran ist der Einschub, der Hinweis auf das „Eigentliche“. Denn ich muss deutlich widersprechen, wenn er weiter schreibt: „Und auf dies Eigentliche kommt es an. Denn wer sagt, die Wissenschaften könnten auf alle diese Fragen keine Antwort geben, aber er empfinde das auch keineswegs als Mangel, ist deutlich nicht religiös. Religiös ist derjenige, der die Welt aufteilt in das, was unserem Wissenwollen zugänglich und gerade darum nicht das Wesentliche ist, und das andere, Wesentliche, zu dem es einen anderen Zugang geben muss.“ Es gibt, um mit Leo Baeck zu sprechen, die Polarität zwischen dem Geheimnis und dem offenbarten Gebot. Doch nicht nur für mich ist nicht das Geheimnis das „Wesentliche“, sondern – wenn schon Prioritäten gesetzt werden sollen – das auf die Welt ausgerichtete Gebot des „gerechten“ Handelns. Diese kann ich auch in einer säkularen Gesellschaft vertreten, ohne mit dieser in Grundsätzlichem in Widerspruch zu geraten. Dies um so mehr, da ich auch die Meinung nicht teile: „Religiosität bedeutet die Überzeugung, über einen privilegierten Zugang zu einer nur in diesem Zugang als einheitlich zu verstehenden Welt – sagen wir: zur Wahrheit – zu verfügen.“ Ich denke, dass alle liberalen Strömungen in den Religionen sich der Problematik der Partikularität bewusst sind und sich nicht nur verbal zur Universalität und Pluralität bekennen, statt auf eigener „Wahrheit“ zu beharren.

    Noch ein Aspekt fehlt mir bei Reemtsma: Religion ist nicht nur eine „Privatsache“ des Einzelnen, sondern die Religionsgemeinschaften sind, wie andere Gruppierungen, Teil der Gesellschaft. Nicht nur der Religiöse als Person darf in einer säkularen Gesellschaft Respekt erwarten, sondern auch Religionsgemeinschaften haben das Recht, sich für ihre Werte einzusetzen. Wenn ich bestimmte Vorstellungen zu „richtig“ und „falsch“ habe, darf ich mich auch für eine bestimmte Gestaltung der Gesetze (zum Beispiel zur Patientenvefügung) einsetzen, egal ob ich dies aus religiöser oder anderer politischer oder weltanschaulicher Überzeugung tue.

    Die säkulare Gesellschaft baut auf Konsens. Sie unterliegt aber nicht dem Irrtum autoritärer Gesellschaften von harmonischem Zusammenleben aller, sondern sollte in der Lage sein, Konflikte zu ertragen und geordnet auszutragen. Aber darin bin ich wieder mit Reemtsma einig.

    Einig bin ich mit ihm auch darin, dass es der Preis für die Freiheit der säkularen Gesellschaft ist, dass man in ihr bis zum gewissen Grade Kränkungen ertragen muss. Das gilt sowohl für das Kopftuch der Muslima, wenn es ein Säkularer als Vorwurf der Lüsternheit empfindet, als auch für Kunst, die Religiöse für blasphemisch halten mögen.

  42. Aber, heinrich, ganz so wirre ist es wieder nicht, weil es eine alltägiche Erfahrung ist, daß gerade diejenigen, die solche Regelwerke aufstellen, auch diejenigen sind, die sie mißachten.

    Auch so ein Demenzsymptom?

    Ich verlange jedenfalls, und das mit guten Recht, das diejenigen, die mir Regeln vorgeben wollen, sich zuallererst und bis zuletzt selber daran halten.

    Zu dem Satz..
    „- Welche Bedeutung hat die von den Konstrukteuren der säkularen Gesellschaft gesetzte Unterscheidung von legitimem persönlichen Bekenntnis und illegitimer, weil den Andersdenkenden als solchen missachtenden Indoktrination? „

    ..habe ich doch eine (emotionale) Antwort gegeben: Es ist beleidigend, wenn diese Unterscheidung nicht respektiert wird.

  43. allgemein : Heinrich.

    Ich bedanke mich für die ausführliche Darstellung des Geschichtsabschnitts in # 34.

    In diesem Zusammenhang hatte ich das Thema noch nicht betrachtet.
    Wenn das so weitergeht, ist dieses Forum doch noch eine Bereicherung für mich. (Vielleicht auch noch für einige andere und sog. „stille“ Leser.)*)

    Auch die Gedankengänge von BvG, Engelmann und Abraham fand ich interessant.

    Vor drei oder vier Jahren, als die „Kopftuchdiskussion“ schon einmal einen Höhepunkt erreichte, war ich der Meinung : Was soll das? Lasst sie doch! Das stört uns doch nicht…
    Dann neigte ich mich zu der Meinung : Ja, wenn das als politische Demonstration gedacht ist, und Frauenfreiheit unterdrückt, dann sollte es u.U. doch untersagt werden…
    Nach der „Reemtsma-Lektüre“ bin ich wieder der Meinung : Lasst sie doch tragen was sie wollen!
    Verbote fordern doch nur Widerstand heraus.
    Was wird denn, wenn dann stattdessen grüne Halstücher in „Mode“ kommen? Auch verbieten?

    Ich hoffe, unsere Demokratie und die sie tragende Gesellschaft ist gefestigt genug, Derartiges zu ertragen.

    *) Leider gibt es keine Anzeigen, wieviele Leser sich hier einklinken. Oder doch,Bronski ?

  44. @ maderholz

    Danke, schön, dass sie meine Mühe zu würdigen wissen! So eine Antwort schreibt sich ja nicht mal eben in fünf Minuten.

    Lieber Abraham,

    nein, ich bin nicht wirklich frustriert, wenn ich, wie im Falle maderholz, die Adressaten erreiche. Vielleicht bekomme ich ja von Engelmann auch noch ein Feedback. Und für eine hübsche Steilvorlage zu einer netten ironischen Replik am Samstagnachmittag kann ich ja nur dankbar sein.

    Du hast den Reemtsma-Text genauer gelesen als ich, ich stimme dir da in mehrfacher Hinsicht zu. Statt von mir aus aber in die Einzelheiten zu gehen, habe ich Reemtsma und seinem Institut deine Kritik zur Kenntnis gegeben. Vielleicht ist er ja weniger apart als Widmann hier aus dem Hause, der nur über sich, aber nicht mit sich diskutieren lässt, und antwortet dir hier. Falls nicht, gebe ich dir seine Antwort zur Kenntnis, so ich eine erhalte.

    Hier meine Mail an ihn:

    „Sehr geehrter Herr Reemtsma,

    im Rahmen des Frankfurter-Rundschau-Blogs läuft derzeit eine Diskussion über das leidige „Kopftuch-Verbot“. http://www.frblog.de/zwanghaft/

    Ich habe dort Ihren Artikel „Muss man Religiosität respektieren? – Über Glaubensfragen und den Stolz einer säkularen Gesellschaft“ aus „Le Monde Diplomatique“ zustimmend zur Kenntnis gegeben. Der Artikel hat in mehrfacher Hinsicht Zustimmung, in Bezug auf Ihre pauschalierenden Aussagen zum Weltverständnis von Religiösen und deren Verhältnis zur säkularen Gesellschaft jedoch auch partiellen Widerspruch erfahren von einem Diskussionsteilnehmer aus dem Kontext des liberalen Judentums. (Kommentar # 43)

    Vielleicht haben Sie ja das Interesse und wollen sich die Zeit nehmen, die Diskussion dort mit ihrer Antwort zu bedenken. Damit wären sie jedenfalls mir, der Ihren Beitrag eingestellt hat, und mit Sicherheit auch dem Kritiker „Abraham“ willkommen. Der Einfachheit halber hänge ich Ihnen den kritischen Beitrag an.

    Mit freundlichen Grüßen

    Heinrich XXX

  45. Ich glaube, ich bin mißverstanden worden.

    Ich könnte, mit gleichem Recht und gleichen Gründen, verlangen, daß Frauen sich vollständig freizügig kleiden und bewegen dürfen und daß diejenigen, die dies als Affront empfinden, ihre Freiheit dadurch verwirklichen, daß sie ihren Blick abwenden und ihre Gedanken zügeln..

    Aber ich habe, zu Ende gedacht, nicht einmal das Recht, den Frauen vorzuschreiben, wie sie sich zu kleiden und zu benehmen haben.
    Ich habe auch nicht das Recht, den Männern vorzuschreiben, wohin sie zu blicken haben.

    Wogegen ich mich wehre ist die Phantasie, der Mensch müsse wissen, welche Ansprüche er erfüllen muß, bevor er sie erfahren hat.

    Wogegen ich mich wehre, ist das implizite Kommunikationsverbot zwischen Menschen.

    Nur dies ist das Ziel solcher Symbole und Regelwerke.
    Ich akzeptiere weder das Ziel, noch die Symbole.

    Niemand hat das Recht, mich grundlos der Unmoral zu verdächtigen.

  46. @ BvG

    Hier dann also nochmal im trockenen Ton:

    Dagegen, missverstanden zu werden, hilft, sich verständlich auszudrücken. Damit schafft man sich nicht unbedingt Freunde, aber Klarheit. Wer z.B. mir widerspricht oder gegen mich polemisiert, tut es, weil er oder sie mich verstanden, nicht mich missverstanden hat. Wenn dann von den Kontrahentinnen in Ermangelung von Kultur und Argumenten Verunglimpfungen erfolgen, weiß ich jedenfalls, was ich davon und von ihnen zu halten habe.

    Von diesen Verunglimpfungen ist die Platzhirschmetapher noch die harmlosere Variante, die hier, seit Bronski sie seinerzeit polemisch gegen mich und andere ins Spiel gebracht, von seinen Adeptinnen immer wieder aufgewärmt wird. Dazu gehört natürlich auch die Rede von der „feindlichen Übernahme“, die hier ausgerechnet einer der neuen Platzhirsche führen musste.

    Dazu hier aus gegebenem Anlass einmal Unmissverständliches: Der Unterschied zwischen einem Hirschrevier und einem Blog ist, dass jenes einen begrenzten Raum einnimmt, weshalb, wenn ein junger Hirsch am Platz des alten erscheint, er entweder den alten oder der ihn nach den Gesetzen der Natur verdrängen muss, da es sich eben um einen biologischen Platzhaltertypus und nicht um einen Wandertypus handelt, wie bei den Ratten.

    Ein Blog ist dagegen von der Art, dass sich der anfänglich scheinbar eng umgrenzte Raum mit jedem kürzeren oder längeren Beitrag auf wunderbare Weise ausdehnt, die so, je nach Bestreben der Beiträger, miteinander oder nebeneinander oder auch gegeneinander stehen können. Wer das nur um der Rechthaberei willen betreibt, hat m.E. einen an der Waffel, oder wie sagt man da? Was aber gerade nicht ausschließt, dass demjenigen mit den besseren Argumenten zunächst einmal Recht zu geben ist, natürlich nur in dem begrenzten Horizont, in dem diese Geltung beanspruchen können, und nicht demjenigen oder derjenigen mit den feindseligsten Attacken.

    Was den Horizont des zur Frage stehenden Themas anbetrifft, so kann der kritische Blick nur feststellen, dass das von ihm umschlossene Terrain völlig verseucht ist, und zwar durch das, was ich hier im Blog früher schon die „Ethnisierung sozialer Konflikte“ genannt habe. Das ist allerdings traditionell ein Paradigma von Rechtsradikalen, das leider in dem Moment, wo man der vorher ins Land gerufenen Arbeitskräfte wegen ökonomisch-technischer Veränderungen nicht mehr bedurfte, auch von großen Teilen der CDU demagogisch gegen diese gewendet wurde, statt tragfähige Konzepte zur Integration und zur Lösung der diesen vordergründig in die Schuhe geschobenen ökonomischen Probleme und sozialen Verwerfungen zu entwickeln. Das ändert aber gerade nichts an der Verortung des Paradigmas am rechten Rand des politisch-ideologischen Spektrums, und ich bin immer wieder erstaunt, wenn Leute, die in der rechten Ecke stehen, sich darüber beschweren, dass sie in die rechte Ecke gestellt werden.

    Ein untrügliches Erkennungsmerkmal dieses Paradigmas ist der Gebrauch einer anderen demagogischen Naturmetaphorik als der des Platzhirsches, nämlich der Wassermetaphorik. Die ermöglicht es den Demagogen, die individuellen Immigrationsgründe: Flucht vor Kriegsereignissen, „ethnische Säuberungen“, politische Verfolgung in der Heimat, Suche nach erweiterten Bildungs- und Arbeitsmöglichkeiten usw., als quasi bedrohliche Naturkatastrophen zu nivellieren. Die gängigen, auch hier auftauchenden, wassermetaphorischen Vokabeln sind: „Flüchtlingsstrom bzw. Asylantenstrom“, Ausländerflut, Ausländerschwemme“, „Zuwanderungswellen“, „überfluten“, „einschleusen“ usw.. Dieser Flutkatastrophe muss begegnet werden, indem wir sie „kanalisieren“, „eindämmen“ und uns gegen sie „abschotten“.

    Wer sich damit gemein machen will, soll das tun, sollte sich dabei aber zumindest, schon gar als moralisch Gesonnener, klar machen, worauf das hinauslaufen kann und ob er sich auch damit gemein machen möchte. Die Frage ist doch: Will ich eine Gesellschaft, die unter dem schützenden Dach von für alle geltenden Grundrechten verschiedene kulturelle und soziale Milieus bei allen auftretenden Spannungen und Konflikten und Widersprüchen vereinigt, oder will ich die Gesellschaft spalten in eine Mehrheit, die sich völkisch-national abschottet und eine Minderheit, die tendenziell „eingedämmt, kanalisiert und ausgeschleust“ werden soll. wie das ggf. aussehen würde, dazu gibt es ja historisches Anschauungsmaterial.

    Jedenfalls hat, wer in solche Richtung tendiert, mit meinem Widerspruch zu rechnen. Das wird kaum hier geschehen, wo ich – da dürfen die vereinigten argumentlosen Kontrahenten aufatmen – nur ein Gastspiel gegeben habe, angeregt durch Abrahams Beteiligung an dem Religions-Disput.

    Im übrigen gibt es selbstverständlich ganze Buchregale voll mit Argumenten, dass und wie sich der Islam auch mit der Demokratie verträgt, vor denen eine Lisa-Marie, die solche herausfordert, verstummen würde. Da sie sich zwar selbstbewusst als lesefähig deklariert, offenbar aber wenig lesewillig ist, fehlt hier tatsächlich ein muslimischer Abraham in der Diskussion, was ich auch bedauere.

    Da du, lieber BvG, offenbar aber mich nicht recht verstanden hast, schreibe ich dir gerne bei Interesse unironisch im trockenen Ton, in welcher Hinsicht ich deine erneut in modifizierter, jedoch nicht besser verständlicher Form vorgetragenen Argumente für verfehlt oder jedenfalls für hilflos und unpolitisch halte. Ich muss meine kritischen Überlegungen hier aber nicht verkaufen wie sauer Bier.

    P.S. Die ganzen wassermetaphorischen Begriffe oben passieren locker die FR-Blog-Rechtschreibkorrektur, nur „Asylantenstrom“ wird rot unterstrichen. Aber der ist ja nun mittlerweile erfolgreich eingedämmt und kanalisiert.

  47. Heinrich, zur „Ethnisierung sozialer Konflikte“ teile ich weitgehend Ihre unter #48 klar dargelegte Auffassung.
    Zu #41 Nach mehr als 35 Jahren oft auch intensiver Arbeit mit vielen sehr unterschiedlichen Menschen auch verschiedenster Ethnien ist mir glücklicherweise die Neugier auf andere Menschen erhalten geblieben. Daher finde ich die Lektüre von blogs gelegentlich auch interessant, nicht nur amüsant. Auch hat mich meine Erfahrung gelehrt, das nur Apodiktische sehr skeptisch zu betrachten, es wäre mir zu eng gefaßt. Andererseits bietet es Sicherheit. Doch das Leben ist sehr viel bunter.

  48. Heinrich, danke für die Weiterleitung an Reemtsma. Wenn ich Zeit finde, schreibe ich ihm eine ausführlichere Kritik. Kannst Du mir seine Mailadresse schicken?

  49. @heinrich

    Ja, wenn Du willst, zerpflück‘ die Argumente mal richtig, sodaß die Federn fliegen.

    Ich hab mich da ein bißchen verheddert, aber in die Nähe der Spalter wollte ich mich nun nicht begeben.

  50. Was ich gern wollen möchte ist, daß es eine „Freiheitlichkeit der individuellen Symbole“ gibt.

    Was ist das nun wieder?

    Ich kann nicht den gesamten kulturellen Hintergrund aller Symbloe kennen, ich geb‘ mir Mühe, aber ich mache Fehler und weiß nicht genug.

    Der einzige Ausweg ist Kommunikation.

    Wenn ich also einem Menschen bezüglich seiner Überzeugungen zu nahe trete, mit Blicken auf der Strasse oder Schuhen in der Moschee, dann muß er mir zugute halten, daß ich es nicht besser wußte. Er muß es mir erklären.
    Da bin ich sehr bereit, fürderhin Rücksicht zu nehmen und meine Fehler einzusehen.

    Er kann aber nicht erwarten, daß ich seine emmpfindlichen Punkte im Vorhinein kenne und berücksichtige und seine Regelwerke kenne.

    Ich verlange also Toleranz gegenüber meiner Unkenntnis, ich gebe aber auch Toleranz gegenüber Symbolen und der Unkenntnis meiner Regelwerke.

    Was mich schmerzt ist, daß eine irgendwoher erfahrene Intoleranz auf mich, als Individuum, übertragen wird. Das empfinde ich, da ich gerecht sein will, als ungerecht.

    Es ist,eigentlich, eine Mißachtung meines guten Willens. Der aber besteht zunächst in sich und aus sich heraus, bis zum Beweis des Gegenteils.

  51. @ Ursula Samman

    Danke für die freundliche Antwort!

    Ja natürlich, Diskussionen im Blog sind die eine, irgendwie virtuelle Sache. Die andere und ungleich wichtigere sind ganz bestimmt der reale persönliche Bezug und die entsprechend menschlich offene Haltung.

    @ Abraham

    wird gemacht!

    @ BvG
    wenn du dich verheddert hast, muss ich deinen Text ja nicht gleich zerfleddern.

    Ich kann, da ich von vielen deiner Sätze weder den Sinn verstehe, noch, worauf sie sich beziehen, nur ganz allgemein sagen, dass du m.E. ein allgemeines soziales Problem unangemessen individualisierst und den Unterschied zwischen Recht und Moral vernachlässigst.

    1. Kein Mensch verdächtigt dich persönlich, unmoralisch zu sein, und wenn, kannst du auch nichts dagegen tun, solange er es nicht öffentlich in beleidigender Form behauptet. Wenn eine Frau dir im Dunkeln begegnet und die Straßenseite wechselt und ihre Handtasche fester hält, stellst du ihr doch hoffentlich nicht nach, um ihr vorzuhalten, sie habe nicht das Recht, dich für einen Straßenräuber zu halten. Mit anderen Worten: Hier bekundet sich ein algemeines Misstrauen, eine allgemeine Vorsicht, meinetwegen auch ein allgemeiner Verdacht, den persönlich zu nehmen und sich betroffen zu zeigen an der Allgemeinheit der Sache völlig vorbeigeht.

    2. Wehren kann man sich sinnvoll nur als Opfer von Strafhandlungen und Rechtsbrüchen. Dazu stehen einem dann ggf. Polizei und Staatsanwaltschaft, Anwälte und Gerichte zur Verfügung. Im Bereich der Moral gibt es aber im Gegensatz zum justiziablen Recht nur Pflichten, keine Rechte. Mit anderen Worten: Wenn du das z.B. als deine moralische Handlungsmaxime anerkennst, hast du die Pflicht, einem Armen Wohltätigkeit zu erweisen, aber der Arme hat nicht das Recht, von dir Wohltätigkeit zu verlangen. Das wäre sogar Nötigung.

    Es steht in Wirklichkeit jedem frei, dir Misstrauen entgegenzubringen. Das schaffst du allenfalls dadurch aus der Welt, dass du dich als vertrauenswürdig erweist oder den anderen einen Vertrauensvorschuss gewährst, ihnen selber Vertrauen entgegenbringst, und nicht dadurch, dass du proklamierst: „Ich wehre mich dagegen, dass sie mir misstrauen, dazu haben sie nicht das Recht!“ So ist es um die menschlichen Angelegenheiten bestellt.

  52. @heinrich

    „Es steht in Wirklichkeit jedem frei, dir Misstrauen entgegenzubringen“

    Nein, das sehe ich nicht so. Ein solches Mißtrauen verdächtigt mich ja im vorhinein. Das steht dem Anderen nicht frei, weil ich, vor aller Erfahrung, als vertrauenswürdig gelten darf. Die rechtliche Unschuldsvermutung fordere ich auch im Alltäglichen ein.
    Ich fordere noch mehr: Ich fordere, daß mir ein guter Wille unterstellt wird.

  53. Du kannst deine Forderungen ja noch dreißigmal hier im Blog aufstellen oder im wirklichen Leben gegenüber deinen Mitmenschen den Anspruch erheben: „Ich fordere Vertrauen!“ Dann wird man es dir bestimmt entgegenbringen.

    Ich beende den fruchtlosen Disput.

  54. Verzeiht mir, edle Streiter, wenn ich mir noch eine Bemerkung erlaube, die nicht der Bildung auf diesem Sachgebiet entspringt, sondern nur aus meiner Lebenserfahrung.

    Ich habe Menschen kennengelernt, die gingen fast auf jeden Fremden „offenherzig“ und voller Vertrauen zu. Wurden später auch mal von dem einen und anderen enttäuscht.

    Andere wiederum gaben sich Fremden gegenüber
    meist sehr „verschlossen“ und zurückhaltend,
    ja sogar misstrauisch. Sie brauchten länger, engere Kontakte zu schlie0en. Wurden dann aber meist nicht enttäuscht.

    Jeder bringt da wohl eine Grundeistellung mit, ob angeboren oder anerzogen – ich weiß es nicht.

    Und dann spielt da noch die „Sympathie des ersten Augenblicks“ eine große Rolle – und die momentane eigene Stimmung.

    Ich bin nicht mehr im Kernbereich des letzten Themas – möchte aber die „Grundeinstellung“ betonen. Da muss jeder im Laufe seines Lebens damit umzugehen lernen.

  55. @ Ursula Samman # 49, Nachtrag

    „Andererseits bietet es Sicherheit. Doch das Leben ist sehr viel bunter.“

    Ich bin leider – oder ist es ein Vorzug? – ein langsamer Denker und kaue seit einer geraumen Weile an ihrem Satz herum. Wovor oder wogegen soll das Apodiktische Sicherheit bieten, „das Haus der fertigen Sätze“, wie E. A. Rauter es einmal in einem Buchtitel nannte? Und wem? Doch nicht ihnen und mir, ich bitte sie! Oder bezog sich das auch auf Erfahrungen mit anderen?

    Die Unsicheren brauchen die Sicherheit der fertigen Sätze, die Eindeutigkeit, die den Widerspruch aus den Dingen entfernt.
    Die Selbstsicheren sind sich der Unsicherheit und Vorläufigkeit ihrer Einsichten und ihres Wissens bewusst (Sokrates). Sie bedürfen im Gegenteil der beständigen Kritik und des beständigen Dialogs, in dem Bestreben, Sicherheit zu erlangen und mit dem Effekt, auf höherer Stufenleiter neue Unsicherheit zu erwerben und von vorne beginnen zu müssen. Ist das ein Kennzeichen des bunten Lebens?

    Der Zweifler

    Immer wenn uns
    Die Antwort auf eine Frage gefunden schien
    Löste einer von uns an der Wand die Schnur der alten
    Aufgerollten chinesischen Leinwand, so dass sie herabfiel und
    Sichtbar wurde der Mann auf der Bank, der
    So sehr zweifelte.

    Ich, sagte er uns
    Bin der Zweifler, ich zweifle, ob
    Die Arbeit gelungen ist, die eure Tage verschlungen hat.
    Ob, was ihr gesagt, auch schlechter gesagt, noch für einige Wert hätte.
    Ob ihr es aber gut gesagt und euch nicht etwa
    Auf die Wahrheit verlassen habt dessen, was ihr gesagt habt.
    Ob es nicht vieldeutig ist, für jeden möglichen Irrtum
    Tragt ihr die Schuld.
    Es kann auch eindeutig sein
    Und den Widerspruch aus den Dingen entfernen; ist es zu eindeutig?
    Dann ist es unbrauchbar, was ihr sagt.
    Euer Ding ist dann leblos.
    Seid ihr wirklich im Fluss des Geschehens?
    Einverstanden mit
    Allem, was wird?
    Werdet ihr noch?
    Wer seid ihr?
    Zu wem Sprecht ihr?
    Wem nützt es, was ihr da sagt?
    Und nebenbei:
    Lässt es auch nüchtern?
    Ist es am Morgen zu lesen?
    Ist es auch angeknüpft an Vorhandenes?
    Sind die Sätze, die
    Vor euch gesagt sind, benutzt, wenigstens widerlegt?
    Ist alles belegbar?
    Durch Erfahrung? Durch welche?

    Aber vor allem
    Immer wieder vor allem andern:
    Wie handelt man
    Wenn man euch glaubt, was ihr sagt?
    Vor allem:
    Wie handelt man?

    Nachdenklich betrachteten wir mit Neugier den zweifelnden
    Blauen Mann auf der Leinwand, sahen uns an und
    Begannen von vorne.

    (Bertolt Brecht)

    @ maderholz

    Anknüpfend an Vorhandenes, an vor uns Gesagtes, folgende Antwort:

    Aristoteles bringt in seiner „Ethik“ das Handeln nicht in ein zweiwertiges Schema (gut-böse, richtig-falsch) sondern in ein dreiwertiges. Die Tugend (die er nicht in unserem Verständnis moralisch denkt, sondern als „Arete“, „Tüchtigkeit“, was auch in unserer Sprache mit „Tugend“ verwandt ist) ist demnach nicht der Gegensatz zur Untugend, sondern die Mitte zwischen zwei Extremen (was nicht identisch ist mit dem indifferenten „goldenen Mittelweg“ des Spießers). So ist die Tapferkeit nicht der Gegensatz zur Feigheit, sondern als Tüchtigkeit, Lebenstüchtigkeit in der Mitte angesiedelt zwischen Feigheit und Tollkühnheit.
    In diesem Verständnis läge Vertrauen in der Mitte zwischen Misstrauen und leichtgläubiger Vertrauensseligkeit.

    Das offenherzigen Vertrauensseligen in ihrem Beispiel verfehlen die Tugend in diesem Verständnis ebenso wie die Misstrauischen. Jene bringen sich selber Unheil, vernachlässigen die Sorge um sich selber, die auch einen hohen Wert in der antiken Philosophie darstellt, diese lassen es an der gebotenen Menschlichkeit mangeln. Die Misstrauischen vergiften durch ihre Haltung zudem ihr eigenes Gemüt.

    Vertrauen als Tugend geht immer auch das bewusste Risiko ein, enttäuscht zu werden und bringt dem anderen das Vertrauen immer mit einem „trotzdem“ entgegen. Ein Handeln auf der Basis vorab gewonnener absoluter Sicherheit findet nicht mehr auf der Vertrauensebene statt.

    Solches geziemt den Banken, die in ihrer Werbung vom Vertrauensverhältnis zu ihrer Kundschaft schwadronieren, aber einen Kredit nur demjenigen gewähren, der nachweist, dass er ihn nicht braucht.

  56. „Ein Handeln auf der Basis vorab gewonnener absoluter Sicherheit findet nicht mehr auf der Vertrauensebene statt.“

    !

  57. ! heißt, das ich Recht habe und die Regelwerke , die vorab eine absolute Sicherheit herstellen wollen, die Schwäche ihrer Überzeugungen dadurch verbergen, daß sie erstmal jeden verdächtigen und nur den Genehmen durchdringen lassen.

    Mißtrauen ist verwerflicher als Vertrauen zu fordern.

  58. @57 Heinrich
    Nach meinen Erfahrungen mit anderen und mit mir selbst brauchen Unsichere festgefügte Vorstellungen/Überzeugungen, um sich daran festhalten zu können. Auch deshalb haben Religionen etc. in unsicheren Zeiten größeren Zulauf. Medial geschürte Ängste rechtfertigen immer mehr staatliche Neugier. Dinge zu hinterfragen braucht Mut. Man muß sich der Erkenntnis aussetzen, daß es absolute Sicherheit nicht geben kann. Brecht in seinem Gedicht zweifelt gleich an allem und jedem, was einen völlig lahmlegen kann – daß muß es nun nicht sein! Auch paranoid zu werden scheint eher kontraproduktiv.
    Ich weiß jetzt nicht, ob ich rüberbringen konnte, was ich meine – vielleicht kann man es etwas platt vorsichtiges, abwartendes Vertrauen nennen. Noch ein Bild: ein festgefügt wirkender Gegenstand besteht aus Abermillionen in ständiger Bewegung befindlicher Atome.

  59. @ Abraham # 43

    Lieber Abraham,

    Hier mein Versuch einiger nicht leicht zu formulierender Fragen und Bedenken zu deiner Kritik:

    Reemtsma: „Für einen religiösen Menschen ist eine säkulare Gesellschaft eine Gesellschaft des Irrtums.“

    Abraham: „Wenn ich die säkulare Gesellschaft ohne Vorbehalt bejahe und sie nicht für einen Irrtum halte, meine ich es dann nicht ernst oder zweifelt Reemtsma an meiner Religiosität?

    (…) Sind die religiös empfindenden Menschen, die nicht das Ziel haben, die säkulare Gesellschaft zu bekämpfen, deren Existenz Reemtsma „großzügig“ einräumt, Religiösen minderer Kategorie?“

    Ich denk, es geht hier nicht bloß um die grundsätzliche Ablehnung der säkular verfassten Gesellschaft, die z.B. in den Papst-Zitaten zum Ausdruck kommt, sondern darüber hinaus um ein Problem der philosophischen Logik.

    Dabei geht es, glaube ich nicht, um Großzügigkeit, sondern um die Reflexion eines grundsätzlichen Unterschieds im Verhältnis zur „Wahrheit“.

    Der idealtypische säkulare Bürger kennt nicht DIE Wahrheit. Er kennt nur unterschiedliche Weltsichten und Lebensentwürfe bzw. -prinzipien. Dass er im Regelfall seine für richtiger hält als die konkurrierenden, begründet er innerweltlich, mit Argumenten oder Vorlieben. Ein wirklich Religiöser aber, so denke ich es auch, begründet seine Weltsicht und seine Prinzipien „in letzter Instanz“ außerweltlich, und zwar konfessionsspezifisch. Für diese sozusagen philosophisch begründete „Spannung“ ist es unerheblich, ob der transzendente Bezugspunkt Gegenstand theologischer Spekulation oder Kontemplation ist oder eine außerweltliche Macht als Gesetzgeber. Unerheblich ist auch, ob du mit den Prinzipien oder der Praxis deiner Lebensführung mit Säkularen übereinstimmst. Du beziehst die Prinzipien aus einer anderen, „privilegierten“ Quelle. (eine unglückliche Formulierung, vielleicht hätte er besser geschrieben: „besonderen“, aber ist es nicht auch so, dass die Mitglieder einer jeden Religionsgemeinschaft irgendwie „auserwählt“, „berufen“ etc. sind?).

    Dabei kann ich mir schlecht folgendes sozusagen in Reinkultur vorstellen:
    „Ich denke, dass alle liberalen Strömungen in den Religionen sich der Problematik der Partikularität bewusst sind und sich nicht nur verbal zur Universalität und Pluralität bekennen, statt auf eigener “Wahrheit” zu beharren.“

    Ich denke doch, der fundamentale Unterschied ist der, ob die säkulare Gesellschaft und ggf. die anderen Überzeugungen als „Irrtum“ bekämpft werden oder ob man im Rahmen der säkularen Gesellschaft einander als gleichBERECHTIGT akzeptiert. Darauf nicht deutlich genug abzuheben, kann man Reemtsma vielleicht vorhalten. Aber Religiöse erkennen doch für sich eine je eigene WAHRHEIT an, oder nicht? Das können natürlich auch Gebote sein, deren Gültigkeit aber, im Gegensatz zu moralischen Grundsätzen von Nichtreligiösen, nicht in der eigenen Person begründet liegen, sondern in einem „privilegierten Zugang“.

    „Religion ist nicht nur eine „Privatsache“ des Einzelnen, sondern die Religionsgemeinschaften sind, wie andere Gruppierungen, Teil der Gesellschaft.“

    Das ist, glaube ich, nicht wirklich ein Widerspruch, wenn du hier nicht auf die „Körperschaft des öffentlichen Rechts“ anspielst, die ich für einen Fremdkörper im säkularen Staat halte.

    Eine eigene „Privatsphäre“ entsteht erst mit der bürgerlichen Gesellschaft. Davor waren die Menschen je nach ihrem Stand nicht unterschieden in z.B. Handwerker, Zuftgenosse, Stadtbürger und Katholik. Der mittelalterliche Handwerker war in die Stadtgemeinde, die Zunft und die Kirche mit ihren Verpflichtungen, Festen, Veranstaltungen usw. fest eingebunden, die „Familie“ bestand aus dem Handwerkerhaushalt mit Gesellen und Mägden und größerem verwandtschaftlichen Verbund, ebenfalls mit festen Verpflichtungen. Da gab es weder Freiwilligkeit noch Privatheit.
    Die bürgerliche Privatheit entsteht gemeinsam mit der Öffentlichkeit. die korrespondieren miteinander. Im öffentlichen Raum treffen sich die Privatleute und gehen, je nach Interesse, freiwillige Verbindungen ein. „Privatsache“ heißt also infolgedessen weder: rein häusliche noch erst recht individuell-isolierte Angelegenheit.

    Sehe ich das aus deiner Sicht nicht richtig? Dann würde mich interessieren, inwiefern.

  60. @ Abraham # 18

    Auch wenn oder gerade weil du offenbar besser informiert bist als der gemeine Vertreter der „christlichen Leitkultur“, erlaubst du mir vielleicht folgende Korrektur:

    „Die griechische Fassung der Evangelien ist dabei eine Übersetzung der (nicht erhaltenen) aramäischen Urfassung“.

    Da bist du auf dem Stand des 18. Jh.. Das „Urevangelium“ ist eine hypothetische Annahme von Gotthold Ephraim Lessing, der sich als einer der ersten mit der historischen Authentizität der Bibel befasst und diese in Zweifel gezogen hat,und Johannes Gottfried Eichhorn.
    Beide versuchten die auffälligen, zum Teil wörtlichen Übereinstimmungen der sog. „Synoptiker“, der Evangelien des Matthäus, Markus und Lukas, damit zu erklären, dass ihnen ein verlorengegangener hebräischer (Lessing) oder aramäischer (Eichhorn) Urtext zugrunde gelegen haben müsse.

    Friedrich Schleiermacher setzte dagegen um 1800 die sog. „Fragmententheorie“. Da die Evangelien auch deutliche Unterschiede in der Art und Reihenfolge ihre Erzählungen aufweisen, ging er davon aus, dass den drei Evangelisten kein ganzes Evangelium, sondern zum Teil unterschiedliche, zum Teil gemeinsame Quellen mit separaten Erzählungen vorgelegen hätten.

    Der neuere und heute allgemein anerkannte Stand ist die sog. „Zweiquellentheorie“, die im 19. Jahrhundert entwickelte Hypothese, nach der den Autoren des Matthäus- und des Lukasevangeliums das Markusevangelium als das älteste Evangelium zugrundegelegen hat und zusätzlich die verlorengegangene „Logienquelle Q“, eine Spruchsammlung, die angenommenene authentische Jesusworte enthielt.

    Solche in der Forschung seit über hundert Jahren anerkannten Ergebnisse schlachten Leute wie Gerd Lüdemann marktschreierisch aus, mit publikumswirksamen Titeln, wie „Der große Betrug. Und was Jesus wirklich sagte und tat“.

    Die griechischen Evangelien sind aber, wie die hebräischen Bücher des „Alten Testaments“, Originaltexte, in denen aber ältere mündliche und schriftliche Überlieferungen verarbeitet sind.

  61. @ Ursula Samman

    Ja, ich glaube schon, dass Sie „rüberbringen konnten, was sie meinten. Und da besteht insoweit auch überhaupt kein Gegensatz zwischen uns. Brechts Gedicht ist fiktive Dichtung, die durch Verdichtung wirken soll.
    Aber Infragestellungen, Perspektivenwechsel und Veränderungsbereitschaft setzen bei den Individuen natürlich Kontinuität voraus, welche die intellektuelle und vielleicht auch psychische Identität bildet, nicht nur bei ihnen und den anderen Unsicheren. Aber das wissen sie gewiss besser.

  62. @ # 62 Heinrich

    Mit Aramäisch als Urquelle habe mich auf Pinchas Lapide bezigen, der – ob zutreffend oder falsch, kann ich nicht beurteilen – durch „Rückübersetzung“ einige Aussagen der Evangelien zu erklären versucht. Danke für Deine Erläuterungen über die „Ursprünge“ der Evangelien. Trotzdem können wir uns doch darauf einigen, dass Jesus und die Jünger nicht Grichisch sondern Aramäisch gesprochen haben.

    Zu Deinen Interessanten Ausführungen # 61 komme ich später zurück, dazu bin ich heute zu müde.

  63. @ I. Werner

    Ja natürlich, sorry! Ich hatte den Reemtsma-Text hier ja auch ursprünglich wegen der Kopftuch-Passage verlinkt, aber Abraham hebt dann hier in seiner Kritik auf den allgemeinen Teil ab. Das soll aber natürlich niemanden daran hindern, hier die Kopftuch-Debatte weiterzuführen und zu vertiefen, ok.?

  64. @ heinrich

    War ja keine Kritik.

    Na gut, ich rufe jetzt mal die Frauen auf, die (selbst)bewusst ein Kopftuch tragen, sich hier zu Wort zu melden. Und natürlich auch die Frauen, die es aus Zwang tragen und natürlich auch die Muslima, die das Kopftuch ablehnen.

  65. Also, wenn’s genehmigt ist:

    @ Abraham

    unbedingt haben nicht nur Jesus und seine Jünger aramäisch gesprochen, sondern zumindest drei der Evangelisten stammen aus dem judäischen oder galiläischen Judentum und sprechen jüdisch-christliche Gemeinden an. Die Spruchsammlung Q war vermutlich in aramäisch, es finden sich auch aramäische Wörter in den griechischen Evangelien.
    Die Übersetzung in die, sagen wir „Ausgangssprache“ der christlichen Gemeinden ist natürlich von höchstem theologischen Interesse. Das stelle ich mir auch ohne Kenntnis von Pinchas Lapide vor. einen „Christos“ gibt es im Griechischen nicht, er ist die Übersetzung des hebräischen „Messias“, „Sohn Gottes“ oder „Söhne Gottes“ und „Menschensohn“ gab es in jüdischen Traditionen mit anderer Bedeutung, als sie später in der christlichen Theologie erhielten. An jüdischen Festtagsbeschreibungen kann man sehen, inwieweit die Gemeinden noch jüdisch waren oder, ab 70 n. Chr. von der Synagoge ausgeschlossen. usw.

  66. @ I. Werner

    Da sprichst du aber natürlich einen kritischen Punkt an:

    In solchen Diskussionen wird leider bloß ÜBER Kopftuchträgerinnen und -verweigerinnen und die sie ggf. dominierenden Männer gesprochen, aber nicht MIT ihnen.

  67. Es ist oft mehr der soziale Druck gerade auch der älteren Frauen – von Tugendverächterinnen zu Tugendwächterinnen geworden?
    Ich hatte manchmal den Eindruck, daß die Männer davon gar nicht so begeistert waren, ihre hübschen Frauen lieber gezeigt hätten. Von jungen Frauen dagegen hörte ich, sie fühlen sich geschützt auf der Straße, weil unsichtbar, damit freier. Eben eine andere Kultur, die als solche auch respektiert werden sollte.

Kommentarfunktion geschlossen