Die Willkommenskultur bröckele, wurde kürzlich gemeldet, basierend auf einer Studie der Uni Bielefeld. Der Wille zur Integration von Flüchtlingen in Deutschland scheine abzunehmen. Die Studie, gefördert von der Mercator-Stiftung, kann man HIER downloaden. Sie beruht auf zwei repräsentativen Umfragen, die erste am Jahreswechsel 2013/14 erhoben, die zweite 2015/16. Das heißt, im Unterschied zwischen den Umfragen sollte sich der Einfluss des Flüchtlingszustroms auf die öffentliche Meinung ablesen lassen. Ich zitiere aus der FR-Meldung zur ZuGleich-Studie:
„Dass sich ablehnende Haltungen gegenüber Einwanderern und Flüchtlingen verstärken, lässt sich darüber hinaus an zahlreichen Indikatoren festmachen. Die Grundbotschaft dabei lautet: Immer mehr Alteingesessene in der Gesellschaft pochen auf ihre Vorrechte. ‚Der sollte sich hinten anstellen, wenn es nicht für alle reicht.‘ Das ist ein Satz, dem in Bezug auf neu hinzukommende Migranten vor zwei Jahren knapp 17 Prozent der Menschen zustimmten. Jetzt sind es laut Studie immerhin rund 26 Prozent. ‚Der sollte auf keinen Fall Forderungen stellen oder Ansprüche erheben.‘ Einer solchen Forderung schlossen sich bei der ersten Befragung knapp 20 Prozent an, mittlerweile sind es 32,5 Prozent.“
Interessant ist, dass sich auch integrierte Migranten in diesen gesamtdeutschen Trend eingliedern. „Auch sie finden in zunehmender Zahl: Die Bedürfnisse derjenigen, die neu dazukommen, müssen im Zweifel erst mal zurückstehen“, heißt es in der FR-Meldung. Man kann das positiv deuten, so wie die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Staatsministerin Aydan Özoguz (SPD), die meint, dafür sei letztlich ein erfolgreich erarbeitetes Zugehörigkeitsgefühl der Einwanderer verantwortlich. Man kann aber auch sagen, dass die Bereitschaft, Flüchtlingen zu helfen, mit dem Grad der Etablierung in Deutschland abnimmt: Wer es geschafft hat, sich in Deutschland so weit zu integrieren, dass alles reibungslos läuft, beginnt möglicherweise — so wie manche Angehörigen der Urbevölkerung –, einen Verdrängungswettbewerb zu befürchten, der durch weitere und immer noch mehr Zuwanderer ausgelöst wird. Ein ernstes Problem.
Aber sagt das wirklich etwas darüber aus, ob die Willkommenskultur bröckelt? Willkommenskultur — das war die für Viele überraschende Offenheit und Freundlichkeit, mit der die Syrien-, Irak- und Afghanistanflüchtlinge an deutschen Bahnhöfen in Empfang genommen wurden. Die Bereitschaft einer hohen Zahl Deutscher zu helfen: Sprachkurse, Behördengänge, durchaus auch Unterbringung — diese Hilfsbereitschaft war enorm in jenen Monaten in der zweiten Jahreshälfte 2015. Sie kam, ohne gefordert worden zu sein. Es gibt in Deutschland offenbar trotz der Online-Kanonaden der rechten Kamarilla eine Kultur der humanitären Hilfsbereitschaft, die niemand so erwartet hätte, obwohl die hohe Spendenbereitschaft der Deutschen durchaus auch vorher schon Empathie für das Leid von Menschen vermuten ließ.
Diese Hilfsbereitschaft sollte nicht als naiv oder blauäugig diskreditiert werden, denn das Leid der Menschen, denen sie gilt, ist konkret. Es darf wohl unterstellt werden, dass niemand von denen, die gegen die Willkommenskultur polemisieren, ein Flüchtlingsschicksal am eigenen Leib erleben möchte. Es darf aber in diesem Zusammenhang daran erinnert werden, dass Flüchtlingsschicksale ein Kernbestandteil deutscher Identität sind, denn nach dem Zweiten Weltkrieg waren geschätzte zwölf Millionen Menschen als Binnenflüchtlinge in Deutschland entwurzelt. (Zur Startseite des FR-Projekts „Ankunft nach Flucht“ –> HIER.) Wie stark diese Erfahrungen, die in vielen deutschen Familien und damit im kollektiven Bewusstsein präsent sind, die Gegenwart in Sachen Willkommenskultur prägen — dies ist eine Frage, die bisher kaum wissenschaftlich erforscht ist.
Ich habe zwei Leserbriefe bekommen, die kontroverse Positionen zu diesem Thema einnehmen. Der eine meint, die Willkommenskultur bröckele nicht, sondern habe sich zu einer Integrationskultur weiterentwickelt. Der andere meinte, dass der Willkommenskultur – ich sag’s mal etwas verkürzt – der „Kompatibilitäts-Check“ noch bevorstehe.
Zuerst Karl-Heinz Leister aus Hanau:
„In den vergangenen Tagen wurden Umfrageergebnisse über die Einstellung der deutschen Bevölkerung zu Flüchtlingen publiziert und kommentiert. U.a. meinten Kommentatoren, dass es mit der Willkommenskultur nicht mehr weit her sei. Die Journalisten beziehen sich dabei auf Statistiken (Projekt ZuGleich Universität Bielefeld), auf Umfragewerte, deren Richtigkeit ich gar nicht anzweifeln möchte, aber deren Sinnhaftigkeit. Natürlich steht heute niemand tage- und nächtelang auf Bahnhöfen Plakate zeigend mit dem Slogan „Refugees Wellcome“, und niemand verteilt dort Teddys und frisches Obst an Flüchtlinge, weil eben wenige Flüchtlinge ankommen.
Willkommenskultur ist doch nichts Statisches, das einmal etabliert immer in dieser Form weiterläuft und sich nun deshalb verabschiedet hat, weil es in dieser Form nicht mehr zu sehen ist. Dass im Herbst 2015 die Willkommenskultur in der damaligen Form entstand, zeigt doch gerade die große Dynamik dieser Bewegung. Es wäre also geradezu hirnrissig zu erwarten, dass diese Bewegung einfach die zu dieser Zeit angebrachten Verhaltensweisen unsinnigerweise fortsetzt. Der Jahresurlaub ist einmal aufgebraucht, das spontane Jubeln nicht mehr gefragt.
Die Willkommensbewegung reagierte 2015 sehr spontan und äußerst effektiv auf die damalige Lage, und sie tut das noch heute: Sie reagiert auf die heutige Lage – und diese ist anders.
Offensichtlich ist einigen Journalisten entgangen, welches Engagement Städte und Gemeinden, Amtliche und Ehrenamtliche, Vereine und Verbände, Firmen und öffentliche Stellen noch immer an den Tag legen, um zu zeigen, dass Flüchtlinge hier willkommen sind. Die Aktivitäten sind jedoch andere und spielen sich in der Regel nicht mehr in der großen Öffentlichkeit ab, sondern in den Erstaufnahmelagern, den Gemeinschaftswohneinrichtungen der Städte und Gemeinden, den Läden der Tafel, den Privatwohnungen und -zimmern, den Ämtern und Kirchen, den Arztpraxen und Krankenhäusern.
Und diese Bilder, wenn man sie denn schießen würde, sind nicht mehr spektakulär und anrührend, sondern alltäglich. Sie sind nicht geeignet für große Aufmacher in den Zeitungen oder im Abendfernsehen. Damit erklärt sich auch, dass die Öffentlichkeit – und die wurde in den zitierten Umfragen befragt – das Interesse verliert und die Prioritäten verlagert.
Man sollte aber einmal schauen und häufiger berichten, welche Vielfalt an Aktivitäten die „neue“ Willkommenskultur an den oben genannten Stellen entfaltet. Ich kann hier speziell von meiner Heimatstadt Hanau berichten, wo sich die Stadt als solche über gesetzlich geforderte Maß hinaus einsetzt, wo sich aber auch die private Bürgerschaft, die Vereine und die Firmen immer neu engagieren und die Willkommenskultur pflegen und wachsen zu lassen. Das Wachstum zeigt sich sowohl in der Qualität als auch in der Masse.
Hier gibt es separate Organisationen in verschiedenen Stadtteilen, die dezentral untergebrachte Flüchtlinge betreuen, die Flüchtlingslotsen, die sich hauptsächlich um die Bewohner der Gemeinschaftswohneinrichtung kümmern, die Sprachlotsen und Deutschlehrer, die zum überwiegenden Teil ehrenamtlich unterrichten, die Vereine, die vor allem junge Flüchtlinge integrieren. Es gibt Gartenprojekte, Willkommenscafés, Fahrradprojekte, abendliche Treffen. Dazu kommen Patenprogramme des Seniorenbüros.
Inzwischen kann man dazu übergehen, auch Flüchtlinge selbst für praktische und organisatorische Zwecke einzusetzen, was deren Selbstwertgefühl und Sprachfertigkeit enorm steigert.
Es gibt also einen bunten Blumenstrauß an neuen Aktivitäten im Rahmen der Willkommenskultur, die als Einzelne vielleicht nicht so spektakulär sein mögen, in Summe aber eine sehr gute Weiterentwicklung der Willkommenskultur von 2015 darstellen. Die Willkommenskultur ist also vielfältiger und breiter geworden und entwickelt sich dynamisch weiter zu einer Integrationskultur; so dynamisch, wie sie 2015 entstanden ist.
Bitte motivieren Sie Ihre Kollegen von der schreibenden Zunft dazu, regelmäßig über diese positive Entwicklung zu berichten, dann ändert sich auch möglicherweise der Trend in den Umfragen wieder. Die Presse, Funk und Fernsehen bezeichnen sich doch als Meinungsmacher, oder?“
Klaus Philipp Mertens aus Frankfurt:
„Neben dem Recht auf Asyl sowie den zusätzlich aus der UN-Flüchtlingskonvention abzuleitenden Menschenrechten gibt es auch eine in der Verfassung verankerte Bestandssicherung der herrschenden Rechtsordnung. Grundgesetz, allgemeines Recht (BGB), Verwaltungs-, Steuer- und Strafrecht bilden einen gesellschaftlichen Konsens ab, dessen Ursprünge vor allem in der Aufklärung und der abgeschlossenen Säkularisierung des einstmaligen Abendlands (Heiliges Römisches Reich deutscher Nation) liegen. Die letzten zweihundert Jahre deutscher Geschichte zeigen jedoch auch, dass das Prinzip Veränderung mehr als je zuvor zu den Grundelementen dieser Gesellschaft gehört. Deutlich wird das in der Emanzipation der arbeitenden Bevölkerung, der Frauen, vieler Minderheiten, dem Kampf um ein allgemeines und freies Wahlrecht und nicht zuletzt im Auf- und Ausbau des Sozialstaats.
Jeder Integration von Neubürgern aus anderen Ländern stehen diese gewachsenen, wenn auch permanenter Wandlung unterzogenen Strukturen gegenüber. Dabei ist nicht das Begehren auf Einlass in diese Gesellschaft das entscheidende Kriterium, sondern die Frage, ob Integration die positiven Errungenschaften eines die Generationen übergreifenden Prozesses fördert oder sie ganz bzw. in Teilen in Frage stellt und in ihr Gegenteil verkehrt.
Ein Flüchtling (männlich oder weiblich) aus dem arabischen Raum, der sich in Deutschland niederlassen möchte, muss akzeptieren, dass er schneller als ein hier Geborener die Landessprache erlernen und beherrschen muss. Als zu erreichender Standard sollte dabei das Hauptschulniveau gelten, ohne das ein Einstieg in qualifizierte Berufe unmöglich ist. Ebenso muss ein Einwanderer die Rechtsordnung vollumfänglich als verbindlich anerkennen, selbst wenn er – wie die meisten Bundesbürger – nicht sämtliche Gesetze kennt.
Und er muss verinnerlichen, dass der Stellenwert der Religion hierzulande ein völlig anderer ist als in seiner Heimat. Die christlichen Konfessionen in Deutschland haben längst die Frage nach dem Menschen und weniger die Frage nach (einem) Gott ins Zentrum ihres Glaubens gerückt. Fundamentalistische Tendenzen im Katholizismus und bei evangelikalen Gruppierungen stellen im Wesentlichen Minderheitenmeinungen dar. Caritas und Diakonie werden als die zeitgemäßen Äußerungen des Christentums wahrgenommen und nicht etwa der Streit um ein gemeinsames Abendmahl von Katholiken und Protestanten oder die nach wie vor verkrampfte katholische Sexualmoral. Vom Fürwahrhalten eines Lebens nach dem Tod in einem himmlischen Paradies ganz zu schweigen.
Der traditionelle Islam hingegen, der Hingabe an Gott (und de facto an Männer, politische Herrscher, Autoritäten) bedeutet, verträgt sich nicht mit einer säkular geprägten Welt. Er wird sich mindestens in der Geschwindigkeit verändern müssen, mit der die Einwanderer gezwungen sind, die deutsche Sprache zu erlernen. Ob sowohl das eine als auch das andere gelingt, bleibt fraglich.
Als vor nahezu einem Jahr Flüchtlinge in Deutschland auf Englisch (!) begrüßt wurden („Refugees welcome“), zeichnete sich das vielgestaltige Problem bereits ab. Denn faktisch wurde den Ankommenden signalisiert, dass man sich auf ihre Erwartungen und Lebensgewohnheiten einlassen würde. Exakt das war den Menschen auch von Schleppern in Aussicht gestellt worden. Von einem radikalen Schnitt war nirgendwo die Rede. Der Bruch mit Vergangenheit und Althergebrachtem ist jedoch in allen Epochen der Menschheitsgeschichte typisch für das Schicksal von Vertriebenen. Erfolgreiche Integration war immer Anpassung an die vorgefundenen Verhältnisse. Das Ausmaß, in dem die Neuen Spuren hinterließen, war abhängig von ihrem praktisch-kulturellen Beitrag, der im positive Fall als Bereicherung empfunden wurde.
Dass die unreflektierte Willkommenskultur des Spätsommers 2015 über kurz oder lang Brüche zeigen würde, war bei objektiver Analyse der Sachlage zu erwarten. Ebenso vorherzusagen war die Reaktion auf dem rechten bis rechtsradikalen Flügel der deutschen Gesellschaft. Denn dort sammeln sich seit jeher die nichtintegrationsfähigen Eingeborenen, die sich bei jeder Gelegenheit als die Betrogenen und Entrechteten fühlen und nach Schuldigen suchen. Statt ihre tatsächliche oder befürchtete Benachteiligung auf ungelöste soziale Fragen zurückzuführen, wird diese denen angelastet, die auf der sozialen Leiter noch weiter unten stehen. Und da kommen ihnen die Fremden wie gerufen.“
Ein sehr guter und lesenswerter Leserbrief von Klaus Philipp Mertens, den sich auch viele Politiker zu Gemüte führen sollten.
Vor allem ist auch an den bereits in der FR gemachten Hinweis zu erinnern, dass besonders vorher eingereiste Migranten negativ gegenüber den Flüchtlingen eingestellt sind, wobei diese doch z.T. Nutznießer unserer Gesellschaft waren. So wurde bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg deutlich, dass viele Russlanddeutsche AfD gewählt haben, obwohl diese durch Initiative von Kohl (um sich als Einheitskanzler feiern zu lassen) selbst mit Steuergeldern hier eingeflogen wurden und zahlreiche Vorteile (zinsgünstige Darlehen etc.) genießen konnten, von denen weder die ursprünglichen Einwohner noch die heutigen Flüchtlinge träumen können.
Ich sehe gar nicht so, dass Karl-Heinz Leister und Klaus Philipp Mertens gegensätzliche Positionen zum selben Thema vertreten, wenn wir das Thema nicht ganz allgemein mit Flüchtlingsproblem beschreiben – sie schreiben zu verschiedenen Themen: Karl-Heinz Leister schreibt über die geänderten Aufgaben derer, die „die Willkommenskultur“ praktisch ausmachen, Klaus Philipp Mertens beschreibt den Wandel vom unreflektierten Bild der Flüchtlinge durch die realen Erfahrungen, die mit Flüchtlingen gemacht werden, von der Kölner Silvesternacht bis hin zu Berichten über religiösen Terror innerhalb der Flüchtlingsheime.
Ich habe den Bericht von ZuGleich nur ganz kurz überflogen, aber es reicht ein kurzer Blick auf das zusammenfassende Poster, um ein klares Defizit dieses Projektes zu erkennen: Da ist vom Missverhältnis zwischen dem Ideal der Integration und einseitigen Anpassungsvorstellungen die Rede. Wer bestimmt dieses Ideal und wie realistisch ist es? Offensichtlich sind da Leute am Werk, die bereits über höhere Wahrheiten verfügen.
Wer einfach nur allgemein vom Erhalt der kulturellen Identität faselt, ist sich nicht im Klaren darüber, wie weit die gehen kann: Es gibt Teile kultureller Identitäten, die sich mit unserer Verfassung beißen, und das fängt nicht erst da an, wo, um ein Beispiel zu nennen, bei dem Übereinstimmung herrscht, Religionen bzw. Kirchen vorschreiben, Mädchen zu verkrüppeln. Wegen dieser viel zu naiven Vorstellung vom „Ideal der Integration“ ist es bei uns noch ein weitgehendes Tabu, über Übergriffigkeiten im religiösen Verhalten, also religiöses Verhalten, das nicht mehr von unserer Verfassung gedeckt ist, auch nur zu diskutieren, wie auch die künstlich unterdrückte Diskussion um die Beschneidung von Jungen gezeigt hat. Fast lustig finde ich in diesem Zusammenhang, wie unsere linken Kulturidealisten und unsere Industrie da zusammenarbeiten: Auf der einen Seite dieses „jede Kultur ist gut“ und auf der anderen Seite die Märchen vom Fachkräftemangel und den gut ausgebildeten Flüchtlingen, die wir brauchen, um die „demographische Lücke“ zu schließen.
Wer die wirtschaftlichen und kulturellen Probleme mit Flüchtlingen leugnet und deshalb versäumt, etwas dagegen zu tun, der wird aber letztlich immer diejenigen stärken, die nicht die Probleme, sondern die Flüchtlinge bekämpfen. Wenn ich mir bestimmte Programmpunkte unserer Populisten ansehe, z.B. das Erbrecht, kann ich mir übrigens vorstellen, dass auch das unserer Industrie bzw. den Kapitalseignern dahinter nicht unwillkommen ist.
Klaus Philipp Mertens hat es schon angesprochen , es ist normal , daß die Willkommenskultur abflaut , genauer , der schrille Teil davon , der wohl auch ein wenig aufgesetzt war.
Gerade den lautesten Schreihälsen traue ich da nicht über den Weg , wer weiß , welche Kräfte die unterstützen würden , wenn wir das Jahr 1930 hätten.
Auch ist es nicht neu , daß sich etablierte Einwanderer gegen neue Zuwanderer wenden , das haben wir schon seit langen jahren.
Oft sind die sogar die schlimmsten , was die Abgrenzung angeht , gerade unter Osteuropäern und Moslems gibt es Viele , die Sprüche über andere Migranten reißen , bei denen selbst der deutsche Neonazi noch neidisch wird.
Ein bißchen entsteht auch der Eindruck , daß wir bei den Flüchtlingen versuchen , Dinge nachzuholen , die bei den Arbeitsimmigranten im Argen liegen , vor allem , was den beiderseitigen Respekt angeht.
Das kann aber nicht funktionieren , beides sind eigentlich zwei völlig verschiedene Themen , die nur unter dem Oberbegriff der Migration stehen , so vergessen wir völlig , daß etwa 70 Prozent der Flüchtlinge wieder gehen werden , und daß Flüchtlinge mit einer sehr viel offeneren Haltung zu uns kommen als andere Zuwanderer.
Es ist nicht notwendig, jemanden, den man willkomen heißt, auch zu integrieren. Hier findet eine Vermischung der Begriffe statt. Man heißt Gäste willkommen, bewirtet sie und sorgt für ihr Wohlergehen, erwartet, daß sie die Gepflogenheiten der Gastfreundschaft beachten, man erwartet aber nicht von ihnen, daß sie sich integrieren.
Die „Willkommenskultur“ war und ist ein klares Zeichen gegen die Vertreiber, die Menschen in ihrem eigenen Land unwillkommen heißen.
Es ist ein unzulässiger Trick, ein kurzes Willkommen und Hilfe in der Not an der Bereitschaft und dem Können dauerhafter Hilfe und Integration zu messen.
Selbstverständlich werden Gäste und Notleidende zunächst bevorzugt und rücksichtsvoll behandelt und mancher Fauxpas verziehen, das gebieten Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft.
Aber eine Integration erfordert selbstverständlich gegenseitige Anpassung, jedoch keine einseitige.
Besonders witzig ist der Begriff der „Urbevölkerung“. Das wären je nach Zeitskala Neandertaler, Urpferdchen oder Cyanobakterien.
Je näher man da an die Wurzeln geht, desto dümmer der Urbevölkerer…
@ BvG
„Aber eine Integration erfordert selbstverständlich gegenseitige Anpassung, jedoch keine einseitige.“ (BvG)
Wo steht das geschrieben? Warum soll das so sein?
Wenn wir mal davon ausgehen, dass wir alle auf dem Boden unserer eigenen Verfassung stehen, dann haben wir ein System, das unabhängig von der Religion ist, in dem die Menschenrechte gewährleistet sind und alle vor dem Gesetz gleich. Wo erfordert das Anpassungen von uns an Neuankömmlinge?
Sollen wir etwa unsere religiöse Freiheit dahingehend zurücknehmen, dass wir darüber hinwegsehen, dass der Druck der ankommenden Religionsgemeinschaften auf die Individuen höher ist, als wir ihn unserer Kirche noch erlauben?
Diesen Allgemeinplatz von der gegenseitigen Anpassung möchte ich doch einmal etwas detaillierter ausgeführt und begründet haben.
Was wir zum Teil sicher noch nötig haben, ist eine weitergehende Verwirklichung unserer eigenen Verfassung – aber wenn wir das als Anpassung bezeichnen wollen, ist das keine an Neuankömmlinge sonder eine an die eigenen Utopie.
@Wohlgemuth
a. Eine einseitige Anpassung ist dem Menschen nicht möglich.
b. Gegenseitige Anpassung ist dort notwendig, wo es Berührungspunkte gibt, einfach deshalb, weil es Konflikte vermeidet und das Leben bereichert.
c. Eine strikte Trennung ist ebenso schädlich, wie eine erzwungene Gemeinsamkeit.
d. Es gibt in jeder Kultur Festlegungen, die niemand aufgeben will. Diese sind dann zu tolerieren, wobei man diese Toleranz auch als eine Form der Anpassung betrachten kann.
„Und er muss verinnerlichen, dass der Stellenwert der Religion hierzulande ein völlig anderer ist als in seiner Heimat.“
Dazu fällt mir ein, was mir ein Kollege erzählt hat. Er ist in Pakistan aufgewachsen und Religion bedeutete in seiner Familie, dass der Vater am Freitag in die Moschee ging, betete und sich dann mit den anderen Männern unterhielt. So ähnlich war es in unserer katholischen Umgebung auch, erst zum Hochamt und dann zum Frühschoppen. Als er nach Europa zum Studieren kam, fand er in einer öffentlichen Bibliothek ein Buch des damaligen Bischofs von Basel über das Leben im Islam. Das hatte aber mit seiner Lebenswirklichkeit nicht das Geringste zu tun. Vielleicht tue ich ihm Unrecht, aber Herr Mertens erinnert mich an den Bischof von Basel.
Wenn immer davon geredet wird, dass Religion in Europa eine Privatsache ist, erinnert mich das daran, welche Probleme wir bei unserer Eheschliessung hatten, weil meine französische Frau partout der Meinung war, dass den Staat ihre Religionszugehörigkeit nichts angeht.
@ BvG
So ähnlich hatte ich mir das vorgestellt.
„a. Eine einseitige Anpassung ist dem Menschen nicht möglich.“
Dieses erste BvGsche Axiom ist einfach Unsinn: Jede Einzelperson oder kleinere Gruppe, die es in eine fremde Gesellschaft verschlägt, beweist das Gegenteil. Die Bereitschaft, die eigene Kultur aufzugeben, hängt von ganz vielen Parametern ab – ich kürze es ab: Nach dem Kulturbruch durch das dritte Reich ist gerade die Bereitschaft der Deutschen, sich nur einfach anzupassen, sehr ausgeprägt. (Ich habe Auswanderer in die USA kennengelernt, die nach vier Jahren behaupteten, kein Deutsch mehr zu können)
„b. Gegenseitige Anpassung ist dort notwendig, wo es Berührungspunkte gibt, einfach deshalb, weil es Konflikte vermeidet und das Leben bereichert.“
Nicht alles was fremd ist, ist eine Bereicherung, und es gibt einige Konflikte, die man besser austrägt als sie zu vermeiden.
(Wenn ich diesen Satz in dieser Form ernst nähme, müsste ich übrigens sofort gegenfragen: Ist Ihnen eigentlich klar, um welche Bereicherungen Sie die Neuankömmlinge mit dieser Einstellung bringen?)
„c. Eine strikte Trennung ist ebenso schädlich, wie eine erzwungene Gemeinsamkeit.“
Was hat das mit dem Thema Integration zu tun?
„d. Es gibt in jeder Kultur Festlegungen, die niemand aufgeben will. Diese sind dann zu tolerieren, wobei man diese Toleranz auch als eine Form der Anpassung betrachten kann.“
Ich habe überhaupt nichts gegen Toleranz. Aber ob „kulturelle Festlegungen“ zu tolerieren sind, entscheidet nicht derjenige, der sie nicht aufgeben will, sondern in erster Linie das Recht und in der gesellschaftlichen Realität auch die Moral der Gesellschaft. Mit einigen „kulturellen Festlegungen“ unserer Neuankömmlinge, die ich überhaupt nicht als Bereicherung empfinde, wären sie hier noch vor 60 Jahren, als die Rechte von Frauen und Kindern zwar schon in der Verfassung aber noch nicht in der Gesellschaft angekommen waren, viel leichter integrierbar gewesen als heute. Damals hätte man auch religiös motiviertes Unrecht noch leichter toleriert, heute benötigt man political correctness, um religiöse Intoleranz zum Zu-Tolerierenden zu erklären.
@ Henning Flessner
Ich gebe Ihrer Frau völlig Recht: Das Einziehen der kirchlichen Vereinsbeiträge durch den Staat ist eine Konstruktion im deutschen Recht, die schleunigst abgeschafft werden sollte – wie auch einige andere kirchliche Privilegien.
Und was die Aussagen von Berufs-Christen angeht, fällt es mir außerordentlich schwer, mir vorzustellen, dass die überhaupt in irgendetwas recht haben könnten. Sollte der allerdings etwas geschrieben haben, was sich mit ihrer anekdotisch erwähnten Lebenswirklichkeit eines einzelnen Pakistani nicht in Einklang bringen lässt, würde ich die Möglichkeit, dass auch ein Bischof mal etwas Vernünftiges von sich gibt, in Betracht ziehen.
Um das zu belegen, könnte ich jetzt untersuchen, wofür Menschen in muslimischen Ländern auf die Straße gehen und wofür nicht, da gibt es viele Beispiele vom Teddy mit dem Namen Mohammed oder dänischen Karikaturen bis zum Blogger Raif Badawi, aber ich mache es mir einfacher: Ich zitiere jemanden, dessen ganzes Berufsleben darin bestand, sich mit dem Koran und den Muslimen zu befassen: Im Vorwort zu seinem Aufsatz „Kann es einen säkularen Islam geben?“ schreibt Tilman Nagel:
„Der Leser möge bei der notwendigerweise gedrängten Darstellung im Auge behalten, dass alles, was vorzutragen ist, für den gläubigen Muslimen kein intellektuelles Spiel ist, sondern seine Existenz unmittelbar und tief berührt. Sich dies vorzustellen, ist für jemanden, der an den postmodernen Synkretismus aus unüberschaubar vielen Religions- und Weltanschauungssplittern gewöhnt ist, kein geringes Ansinnen; aber es ist ihm zuzumuten, sofern er die Herausforderung begreifen will, vor der er steht.“ (Der Link zu diesem Aufsatz steht am Ende des Wikipediaartikels zu Tilman Nagel)
Es spricht sehr viel dafür, dass Herr Mertens mit der von Ihnen zitierten Aussage Recht hat, nicht nur Tilman Nagel oder die nicht von mir zusammengesuchten Berichte darüber, worüber sich Muslime aufregen, sondern auch eine Untersuchung des WZB zum Thema Fundamentalismus, in der für Europa folgende Werte ermittelt werden:
Im Islam ca 50 % Fundamtalisten, im Christentum ca 5 %. (Falls Sie diese Untersuchung im Netz suchen wollen: der Autor ist Ruud Koopmans)
Die ganze Diskussion scheint mir so grau und theoretisch. Ich war 20 Jahre (unbeliebter) Ausländer und konnte in den letzten Jahren praktisch jede Woche in der Zeitung lesen, wie ich Deutscher bin (unhöflich, laut, arrogant, etc.). Ich habe mich in den Beschreibungen aber nie wiedererkannt.
Ich konnte mir auch nicht vorstellen, was man machen muss, um sich zu integrieren. Einmal sah ich einen Politiker im Fernsehen, der sagte, dass, wer seinen Wein trinkt, integriert ist. Ich fand seinen Wein leider ungeniessbar. Die Gemeinde empfahl zur Integration den Beitritt in lokale Vereine. Den Schützenverein fand ich für einen ehemaligen Kriegsdienstverweigerer unpassend und Singen ist nun auch nicht gerade meine Stärke. Ich empfinde diese Zeit heute doch als eine sehr nützliche Erfahrung. Ich habe das Gefühl beide Seiten der Medaille gesehen zu haben. Als Inländer kann man für die Aussage, dass Menschen Angst vor Ausländern haben, vielleicht noch Verständnis aufbringen, wenn man selber Ausländer ist, erscheint es einem absurd. Wieso sollte jemand Angst vor mir haben? Weil er Statistiken über Deutsche gelesen hat?
Zustimmung zu Hennig Flessner: „Die ganze Diskussion scheint mir so grau und theoretisch.“ Dennoch ein kurzer theoretischer Exkurs:
„Kommunikation ist ein Prozess, in dem sich etwas verändert und entwickelt.“ (Wikipedia: Zwischenmenschliche Kommunikation). Nach Watzlawick ist „nicht kommunizieren“ unmöglich. Prinzipiell ist daher mit jedem Kommunikationsakt, auch der Verweigerung der Kommunikation (etwa von Fremdenfeinden gegenüber Fremden) eine gegenseitige Veränderung verbunden.
So weit genug der Theorie. Kommunikationsakte vollziehen sich immer in der Praxis. Es stellt sich lediglich die Frage nach Art der Veränderung.
Dazu ein Beispiel aus der Praxis (Aufbau eines Theaterprojekts mit Flüchtlingen und Einheimischen in einem Nachbarschaftsheim eines Sozialbau-Viertels):
Zwei Kontakt- und Übungstreffen sind ausgezeichnet verlaufen. Ich erinnere zum Abschluss an das nächste Treffen. Außer einer Entschuldigung nur Zustimmung. Beim nächsten Treffen vergebliches Warten, Nachhaken. Erste Auskunft: „Ramadan“. Ich lasse das nicht gelten. Möchte wissen, was beides miteinander zu tun habe, wo denn geschrieben stehe, dass „Ramadan“ bedeute, andere hereinzulegen. Schnell treten verschiedene wirkliche Gründe zutage, überwiegend begründet in einer Situation, die es einigen erschwert, ihr Leben in den Griff zu bekommen. Klare Hinweise von mir, was „Verlässlichkeit“ bedeutet und weshalb sie nötig ist. Das folgende Treffen wird wieder zum vollen Erfolg, einer hat auch einen Gast mitgebracht.
Was es für mich zu lernen gab: Sich nicht ein X für ein U vormachen zu lassen und vor allem Begründungen zu misstrauen, die alles und jedes auf Religion zurückführen möchten, konkretes Verhalten aus Verallgemeinerungen (oder Vorurteilen) meinen ableiten zu können. Und die Erkenntnis, dass, was an „Anpassung“ an grundlegende gesellschaftliche „Regeln“ nötig ist – nicht zu verwechseln mit „Assimilation“ – möglichst schnell eingefordert werden muss. Bei einem Besuch eines ähnlichen Projekts in der Schweiz, das auf völliger Freiwilligkeit aufbaut, wurde deutlich, dass andernfalls das Problem der Unzuverlässigkeit auch noch nach Jahren existiert.
@ den Ausländer Henning Flessner
„Wieso sollte jemand Angst vor mir haben?“ (Henning Flessner)
Vor einzelnen Ausländern hat man eigentlich nur Angst, wenn sie gerade als Männer oder mit Waffen übergriffig sind.
Ansonsten hat man vor Ausländern nicht vor einzelnen Angst, sondern vor „zu vielen“, und dafür gibt es im Wesentlichen zwei Gründe:
Angst um die soziale Position: Wer schon am unteren Rand der Gesellschaft lebt, bekommt mehr Konkurrenz. Durch Flüchtlinge in großen Mengen wird der billige Wohnraum verknappt, außerdem ist zu sehen, dass die Diskussion um die Integration benutzt wird, um die Mindestlöhne anzugreifen. Gezielt erzeugte Märchen wie die „Facharbeiterlücke“ zeigen, dass diese Effekte auch beabsichtigt sind. Da halte ich es für normal, dass das neben einer Willkommenskultur auch eine Abwehrkultur aufbaut – Wer deshalb allerdings die AfD wählt, macht den Bock zum Gärtner – man braucht nur deren Haltung zur Erbschaftssteuer zu sehen, um das zu erkennen.
Angst aus kulturellen Gründen: Wer in starren religiösen Verhältnissen aufgewachsen ist, für den sind Bedrohungen seines Gottes durch offen religiöse Andersgläubige ähnlich angstbesetzt wie offener Atheismus und wird mit entsprechendem Hass quittiert. Allerdings gibt es im religösen Lager auch eine Gegenseite, die sich hier ein Beispiel für neue Religiosität erhofft, siehe Göring-Eckardt.
Aus meiner eigenen Sicht:
Ausländer lösen bei mir zwar keine Angst, aber Ärger aus, wenn ich sehe, wie relativ einflussreiche Menschen wie Volker Beck in ihrem krampfhaften Bemühen um Xerophilie Akzeptanz für archaische Riten wie die Knabenbeschneidung fordern, also versuchen, Kinderrechte, die wir gerade beginnen zu entdecken, wieder rückgängig zu machen. Ähnliches ist bei den Frauenrechten zu sehen. Ein grundsätzliches Erstarken der Stellung der Religiosität im Politischen in einem Land mit so weitgehenden kirchlichen Privilegien finde ich auch nicht gerade prickelnd. Da gehen mir die Xerophiliebemühten ähnlich auf den Wecker wie die Facharbeiterlückendichter.
@Frank Wohlgemuth
Ausländerfeindlichkeit gibt es nach Ihrer Theorie also hauptsächlich bei religiösen Menschen oder solchen die einen schlecht bezahlten Job haben. Werden Sie mal Ausländer und Sie werden sich wundern.
@Wohlgemuth
„a. Eine einseitige Anpassung ist dem Menschen nicht möglich.“
Dieses erste BvGsche Axiom ist einfach Unsinn:“
Ok, dann geben Sie bitte den Herrn Wohlgemuth an der Garderobe ab und argumentieren Sie zukünftig als Karl Valentin.
@ Frank Wohlgemuth: Mir gefällt Ihre Sicht der Dinge. Mich stört schon seit geraumer Zeit, das mir, der mit und unter einer fundamentalistisch geprägten kath. Familie aufwuchs, und daher zum Agnostiker wurde, jetzt durch die Hintertür unter dem Siegel der Toleranz, wieder eine Zuneigung zu fundamentalistischen Überzeugungen aufgedrückt werden soll. Zuwanderung ist o.k., aber ich möchte, bitteschön, nicht wieder mit dem Kopftuch belästigt werden, welches meine Fundi-Oma, derem Tun ich jahrelang ausgesetzt war, gepflegt hat. Und all meine ach so christlich gesinnten Verwandten haben weggeschaut, und weggehört, wenn ich gerufen habe.
Ich bin nicht verantwortlich für Flüchtlinge und Migranten, weil die internatinale Politik nicht fähig ist,
a) den Waffenhandel zu unterbinden – schadet ja dem Umsatz der Konzerne und
b) kein Interesse hat, dermaßen soziale Stabilität in den Fluchtländern herbei zu führen, das die Menschen, aufgrund einer Grundsicherung, weder abhauen noch das Zeugen von Nachkommen als ihre Lebensaufgabe begreifen.
Ich lasse mich da auch gerne als Darwinist beschimpfen. Aber ich habe inzwischen null Bock, mich dauernd mit importierten
Problemen auseinander zu setzen, für die ich nicht verantwortlich bin.
qWohlgemuth
Aus meiner therapeutischen Erfahrung heraus kann ich behaupten, daß es auch bei Ihnen nur wenige Minuten brauchen wird, um Grenzen aufzufinden, über die Sie auch bei bestem Willen nicht hinausgehen können. Ihr Konzept der vollständigen Anpassung ist nur Unsinn und ignoriert die Entwicklungspsychologie.
Ansonsten befürchte ich, daß Sie über meine Thesen nicht genügend nachgedacht haben.
@ BvG
Was erwarten Sie? Sie machen eine Allaussage, für die jeder Gegenbeispiele kennt – bei Einzelpersonen in einer neuen Umgebung ist es sogar das Normale, dass die sich einfach einseitig anpassen, alles andere wäre auch unverständlich. Es ist ein schlichtes Gesetz der Logik, dass Allaussagen mit dem ersten Gegenbeispiel gestorben sind. Wenn Sie diese Aussage nicht als Sachaussage formuliert hätten, sondern als moralischen Appell, könnte man sich darüber ja noch unterhalten. Aber so kann ich kann ich das nur als Unsinn bewerten.
@ Henning Flessner
„Ausländerfeindlichkeit gibt es nach Ihrer Theorie also hauptsächlich bei religiösen Menschen oder solchen die einen schlecht bezahlten Job haben. …“ (Henning Flessner)
Zumindest sind das leicht mobilisierbare Quellen.
Natürlich kann Fremdenfeindlichkeit auch ein Bestandteil der Kultur sein, also in der Sozialisierung weitergegeben werden. Wo die aktuelle Fremdenfeindlichkeit einer Gesellschaft ihren hauptsächlichen Ursprung hat, kann also nicht allgemein gesagt werden, sondern liegt am Zustand der betreffenden Gesellschaft zum betreffenden Zeitpunkt.
Der Zusammenhang zwischen religiösem Fundamentalismus und Fremdenfeindlichkeit wurde übrigens auch von Ruud Koopmans festgestellt, dessen Untersuchung ich hier schon zitiert habe und die mit vollem Titel „Fundamentalismus und Fremdenfeindlichkeit – Muslime und Christen im europäischen Vergleich“ lautet.
@ Wolfgang Fladung
Damit wir uns nicht missverstehen: Ich glaube nicht, dass wir uns vor dem Helfen drücken können, wenn wir weiterhin in den Spiegel sehen können wollen. Ich bin allerdings dagegen, mir Probleme (religiöser Fundamentalismus und hartes Patriarchat als „Bereicherung“) schönzureden oder als Sachzwänge verkaufen zu lassen (Facharbeiterlücke, Rentenlücke usw.), um der Wirtschaft die Möglichkeit zu geben, hiesige Sozialstandards zu schleifen.
Dieser Apfel ist sauer. Wenn wir ihn trotzdem essen wollen, sollten wir das vorher wissen, sonst spucken wir ihn entweder wieder aus oder kauen ihn nicht genügend, als dass er uns nicht dauernd wieder aufstieße. Wir wissen inzwischen ganz offiziell, dass es eine Lüge war, dass die, die da kommen, alle gut ausgebildet sind. Wir werden Milliarden brauchen, um auch nur einen ordentlichen Anteil der Flüchtlinge in die Lage versetzen zu können, aus dem Stand des Leistungsempfängers herauszukommen. Komischerweise sehe ich wenig Planung zu diesem Thema.
@ BvG
„Aus meiner therapeutischen Erfahrung heraus kann ich behaupten, daß es auch bei Ihnen nur wenige Minuten brauchen wird, um Grenzen aufzufinden, über die Sie auch bei bestem Willen nicht hinausgehen können. Ihr Konzept der vollständigen Anpassung ist nur Unsinn und ignoriert die Entwicklungspsychologie.“ (BvG)
Aber gerade, wenn Sie als Therapeut die Anpassung auf der persönlichen Ebene sehen, sollte ihnen klar sein, dass sie da nur einseitig funktioniert – jeder kann nur sich selbst anpassen. Das bedeutet nicht, dass jemand seine Sozialisierung komplett vergisst (ich habe kein „Konzept einer vollständigen Anpassung“), und das bedeutet auch nicht, dass alle das im gleichen Maße können. Maßstab ist auch nicht die Vollständigkeit der Veränderung des Verhaltens, sondern seine Funktionalität in der neuen Umgebung.
Auf der soziologischen Ebene kann man dann sagen, dass die Funktionalität schneller erreicht wird, wenn beide Seiten sich anpassen, aber es ist nicht zwingend, dass sie das tun. Wie weit das passiert, wird von den Machtverhältnissen (Mehrheit / Minderheit) und den sozialen oder kulturellen Kosten abhängen, die die Mehrheit zu tragen bereit ist. Ich bin z.B. nicht bereit, dem Thema Religion einen größeren Stellenwert zu geben, als es ihn ohnehin in dieser Gesellschaft hat. Und wer damit nicht leben kann, dass Religion für einen erheblichen Anteil dieser Gesellschaft, zu dem ich mich auch zähle, kein Gegenstand der Achtung, sondern höchstens einer des Mitleides ist, der wird es schwer haben. Und an dieser Stelle habe ich nicht vor, es ihm zu erleichtern. Da muss es also einen einseitige Anpassung geben – oder es gibt Konflikte.
@Wolfgang Fladung
Ihre Grossmutter hat Sie nicht gut behandelt. Aus Rache sind Sie Agnostiker geworfen. Da sich ihre Grossmutter vermutlich Ihrer Rache durch Tod entzogen hat, brauchen Sie jetzt ein neues Objekt und das sind jetzt Frauen, die wie Ihre Grossmutter ein Kopftuch tragen. Das erinnert mich an die Sündenbock-Geschichte. Das Problem sind wohl nicht die Kopftücher, sondern Ihre nicht verarbeitete Erfahrung mit Ihrer Grossmutter.
Wer macht Sie denn verantwortlich für Probleme?
Wenn jemand vor mir hinfällt, helfe ich ihm wieder auf, auch wenn ich nicht verantwortlich bin, weil ich ihm kein Bein gestellt habe.
Sie machen den Eindruck eines Menschen, der mit sich und seinem Leben sehr unzufrieden ist und schuld sind daran sind die Konzerne, Lobbyisten, S. Gabriel, Frauen mit Kopftuch, etc.
@Frank Wohlgemuth
Ich habe grosse Probleme mit Studien, die auf Umfragen beruhen, die sich leicht mathematisch auswerten lassen. In meiner ehemaligen Firma wurde jedes Jahr eine derartige Umfrage gemacht. Die Fragen waren von externen Sozialwissenschaftlern formuliert worden. Als Gruppenleiter hatten wir dann die Aufgabe, die Ergebnisse auszuwerten und Verbesserungen abzuleiten. Es endete jedes Mal damit, dass wir feststellten viele Fragen unterschiedlich verstanden zu haben. Wir konnten uns meistens nicht darauf einigen, wie die Mitarbeiter diese Fragen wohl verstanden haben.
Es ist immer noch alles zu theoretisch. An wen sollte man sich denn anpassen: an Sie, BvG, Bronski, hans, Werner Engelmann oder an die deutsche Leitkultur, wobei ich denn gerne wüsste, was das ist.
In meinen Augen gibt es nur eins, was man erwarten darf und das ist die Einhaltung der Gesetze.
@ Henning Flessner
Interessant, dass Sie schon Bedenken äußern, bevor sie die Studie gelesen haben. Welche andere Art als die Untersuchung von Selbstauskünften kennen Sie denn, um religiöse oder Einstellungen überhaupt zu untersuchen?
„In meinen Augen gibt es nur eins, was man erwarten darf und das ist die Einhaltung der Gesetze.“ (Henning Flessner)
Ja. Das ist so im säkularen Staat.
Aber hier sind Missverständnisse vorprogrammiert, die man klären muss. So ist Religionsfreiheit im Islam im Wesentlichen die Freiheit des Islam, der andere Religionen zulässt, weniger die Freiheit des Einzelnen. Die Freiheit des Einzelnen geht z.B. nicht so weit, dass er sich vom Islam lossagen dürfte. Deshalb ist es bei uns in Flüchtlingsheimen durchaus nicht unüblich, dass z.B. der Ramadan auch mit körperlicher Gewalt durchgesetzt wird, wenn sich da jemand nicht dran halten will, auch wenn derjenige gerade gar kein Muslim ist. Der Ausweg der Heimleiter besteht dann nicht etwa darin, Religionsfreiheit von der Polizei durchsetzen zu lassen (für mich wäre so ein Verhalten ein Ausweisungsgrund), sondern ein Asyl außerhalb des Heimes für die drangsalierten Leute zu suchen. (Diese Zustände waren vor ein paar Tagen Thema eines Beitrages in der ARD.) Auch die innerfamiliäre Gewalt gegenüber Frauen und Kindern gehört hierher, sie ist allerdings schwerer zu fassen. Beides sind Teile der kulturellen Identität, die aufgegeben werden müssen. Da ist es mit allgemeinen Hinweisen auf die deutsche Rechtslage nicht getan, hier muss den Leuten präzise vermittelt werden, was Gleichberechtigung, Religionsfreiheit, Religionsmündigkeit usw. bei uns genau bedeuten. Es muss den Leuten explizit beigebracht werden, dass die Aussage „Es gibt nur einen Gott und Mohammed ist sein Prophet“ bei uns keinen Vorrag vor der Aussage hat, dass Mohammed heute heilbar wäre. Die Vertreter beider Aussagen haben einander zu ertragen.
Die Kultur, an die sich anzupassen ist, ist unsere Verfassung und unser Rechtsstaat.
@Frank Wohlgemuth
„Auch die innerfamiliäre Gewalt gegenüber Frauen und Kindern gehört hierher…“
Sich zu besaufen und dann Frau und Kinder zu verprügeln, hatte ich bisher eher in der kulturellen Identität der Europäer vermutet.
@Wohlgemuth
ok, damit kann man leben
Ob Integration gelingt wird sich am Arbeitsmarkt entscheiden. Zuwanderer die es schaffen einen einigermaßen gut bezahlten Job zu finden werden sich mit hoher Wahrscheinlichkeit auch integrieren. Menschen die das nicht schaffen, haben, wenn auch noch alle anderen Randbedingungen nicht passen, wenig Chancen sich zu integrieren. Ich denke nur mit Hilfsbereitschaft wird es auf Dauer nicht funktionieren.
Wie sieht also der Arbeitsmarkt aus? Man konnte die Tage lesen das bisher 7 Flüchtlinge einen Arbeitsplatz in DAX Unternehmen gefunden haben. Davon 5 Menschen bei der Deutschen Post. Diese Woche stand ein Kommentar in der FR der sich mit dem Thema der Leerstellenversorgung von Hauptschülern befasst. Die Versorgung dieser jungen Menschen funktioniert seit Jahren nicht und der Kommentar hatte als Überschrift, wenn ich mich recht erinnere, die Leestellenlüge. Das ist die Willkommenskultur am Arbeitsmarkt. Es hat sie da nie wirklich gegeben und es wird sie auch nicht geben. Arbeitsplätze gibt es dann wenn die Bewerber eine so hohe Wertschöpfung erwarten lassen das für den Arbeitgeber ein Gewinn zu erwarten ist. Das gilt für Deutsche genau so wie für jeden anderen. Das Flüchtlinge es schwer haben diese Erwartungen zu erfüllen liegt glaube ich auf der Hand. Wie diese Menschen reagieren wenn sie merken das die Zukunft eher bei Hartz 4 liegt weiß ich nicht. Die Gefahr das es auf französische Verhältnisse rausläuft ist groß und es wird schwer möglich sein da gegen zu steuern.
Noch einmal konkret zu „Anpassung“:
Mohammed war einer der schwierigeren Fälle der hiesigen Afghanen-Gruppe. Unter dem Aspekt „Anpassung“ sicher einer, der in die Negativ-Kategorie fällt: Probleme mit Alkohol, gelegentlich (nach Aussagen von Mitbewohnern) Neigung zu Gewalttätigkeit. Er war dennoch der erste, dessen Asylantrag in Frankreich positiv beschieden wurde. Vor einigen Wochen erhielt er die Nachricht, dass sein Bruder in Afghanistan umgekommen ist (vermutlich durch Taliban). Nächste Woche steht seine offizielle Rückkehr an.
Nun wollte uns Mohammed vor seiner Abreise unbedingt noch einmal sehen. Erkennbar um auszudrücken, was trotz allem an Bindungen entstanden ist. Sicher auch, um etwas von dem mitzunehmen, was er demnächst wohl nicht mehr wird erfahren können. Was gerade nicht kulturabhängig ist. Und vor allem nichts mit Religion zu tun hat. Ein Vorgang, welcher einer Sicht von einereinseitiger „Anpassung“ entgeht. Der deutlich macht, worauf es vor allem ankommt: Durch Begegnungen Veänderungen anzustoßen, Chancen zu eröffnen, positive Entwicklungen überhaupt erst zu ermöglichen oder zu bestärken.
Ein St.Exupéry hätte dies beschrieben als „Bindungen schaffen“. Immerhin ein hervorragender Schriftsteller mit außerordentlicher Lebenserfahrung.
Sicher ist es nötig festzulegen, was – nach rechtsstaatlichen Kriterien – an Verhalten zu akzeptieren ist und was nicht. Ein Irrtum aber zu meinen, damit eine ausreichende Beurteilungsgrundlage zu haben. Zu meinen, überhaupt alles und jedes beurteilen zu müssen oder zu können – und dabei die eigene Brille zu vergessen.
Begegnungen mit Veränderungspotential finden wohl nur statt, wenn man die eigene Brille auch mal absetzen kann.