Der Plan von Bundesgesundheitsminiser Jens Spahn (CDU), dem Mangel an transplantierbaren Organen mit Hilfe der Widerspruchslösung abzuhelfen, sind im Bundestag gescheitert. In einer Abstimmung ohne Fraktionszwang sprach sich das Parlament mehrheitlich für eine andere Option aus: Nun sollen wir auf dem Bürgeramt auf unsere Bereitschaft zur Organspende angesprochen werden. Das sieht die „erweiterte Entscheidungslösung“ vor, die nun kommen wird. (Was man jetzt über Organspenden wissen muss.)
Die FR hat das Für und Wider der Widerspruchslösung vor der Abstimmung in Pro und Kontra abgewogen. Diese Lösung sah vor, dass jeder Mensch von vornherein Organquelle ist – von Spende kann man dann wohl nicht mehr sprechen – und dass jeder Mensch, der das nicht will, dem aktiv widersprechen muss. Nun wäre der Aufwand, den dies für den Einzelnen bedeutet, gewiss zumutbar, doch darum geht es nicht. Der Punkt ist, dass die Organe jenem Menschen gehören, dessen Leben sie ermöglichen – und zwar ohne Abstriche. Das gilt über den Tod hinaus und ist durch den wichtigsten Satz des Grundgesetzes garantiert: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das schließt seine Organe selbstverständlich ein. Also darf der Staat nicht hingehen und einfach sagen: Wir stellen das unter Vorbehalt; diesem Vorbehalt kannst du widersprechen, aber wenn du das nicht tust, nehmen wir uns deine Organe bei Bedarf. Nein, Herr Spahn: Selbst wenn ich meine Organe nicht mehr brauche, weil ich tot bin, ist diese Regelung verfassungswidrig! Daher ist es gut und richtig, dass die Widerspruchslösung im Bundestag gescheitert ist, nach einer eindrucksvollen, emotionalen Debatte, die eine Sternstunde des Parlaments war.
Gleichwohl muss etwas geschehen. Viele kranke Menschen in Deutschland warten auf Organe. Umfragen zufolge ist die Spendenbereitschaft groß, doch nicht jede und jeder, der sich dafür ausspricht, hat einen Organspendeausweis. Warum ist das so? Zwischen Bereitschaft und Realität klafft eine Lücke, die der Staat mit Bevormundung schließen wollte. Doch man muss an einer anderen Stelle ansetzen. Eine Organspende ist eben dies: eine Spende. Ein Akt der Solidarität und Hilfsbereitschaft. Sie muss freiwillig erfolgen. Wenn Jens Spahn erkannt hat, dass die Bereitschaft zur Spende gefördert werden muss, dann sollte er nicht mit Zwangsmaßnahmen beginnen, sondern mit Überzeugungsarbeit. Offenbar brauchen die Menschen vor allem mehr Information, um ihre Spendenbereitschaft zu erklären und sich einen Organspendeausweis anzuschaffen. Das Thema ist offenkundig von Ängsten überlagert. Es geht um die Auseinandersetzung mit dem Tod, die jede und jeder auszustehen hat, der und die sich mit dieser Frage beschäftigt. Niemand mag die Vorstellung, dass man aufgeschnitten wird, während man vielleicht noch was mitbekommt. Das heißt, dass der Minister Aufklärungsarbeit vor allem im Hinblick auf den entscheidenden Aspekt Hirntod leisten muss. Er muss glasklar darstellen, dass Organe erst dann entnommen werden dürfen, wenn es keinen Zweifel mehr daran gibt, dass ihr Besitzer sie nie mehr brauchen wird. Und er muss darstellen, dass dies erst passiert, wenn das Bewusstsein dieses Besitzers und sein Wahrnehmungsvermögen für immer erloschen ist. Das ist keine schöne Debatte und keine einfache Aufgabe, aber es ist nötig, sich damit auseinanderzusetzen, denn auch dies ist klar: Meine Organe können anderen Menschen das Weiterleben ermöglichen. Deine auch.
Viele wartende Patienten sind sehr enttäuscht
Widerspruchslösung: „Klare Niederlage für Spahn“, FR-Politik vom 17. Januar
Ich habe meinen Mann viele Jahre in die MHH begleitet nach Hannover. Er wurde im Jahr 2000 herztransplantiert. Seitdem waren wir sehr oft für die Nachsorge dort. Zu der Ambulanz kommen auch Patienten, die auf ein Organ warten. Viele Menschen tragen auch ein Kunstherz über der Schulter, weil es keine Organe gibt. So sehe ich noch einen jungen Vater mit einem 6 Wochen alten Säugling. Der Vater hatte ein Kunstherz und wartete dringend auf ein Organ.
Ich hatte auf die Widerspruchslösung gehofft! Sehr schade, daß sie nicht angenommen wurde. Viele wartende Patienten sind sehr enttäuscht. Sie schreiben von Selbstbestimmung und dem Recht auf Unversehrtheit des Körpers. Ich spreche von Nächstenliebe und Leben retten. Dies ist nun leider wieder sehr schwierig geworden. Sie müssten mal einen Tag in der Ambulanz der MHH verbringen und den kranken Menschen zuhören. In meinem ersten Heimatland(Niederlande) ist nun auch die Widerspruchslösung eingeführt. Ich bin stolz darauf.
Anke Kiltz-van Vliet, Wiesbaden
Mit welchem Recht setzt man uns moralisch unter Druck?
Nach der Entscheidung über die Organspende im Bundestag müssen nun die Krankenhäuser und die Ärzteschaft ihre bisherigen Konzepte überprüfen, wo evtl. die Bedingungen durch ärztliche und pflegerische Unterbesetzung und Fehlplanungen mit eine Ursache sind, dass zu wenige Organe zur Verfügung stehen. Das ist ein sehr sensibler Medizinbereich, der m. E. erst dann eine größere Zustimmung bekommt, wenn das Vertrauen in unser Gesundheitssystem wieder gewachsen sein wird. Ich persönlich würde als Angehörige eines geliebten Verstorbenen, der Spender sein wollte, der Organspende natürlich zustimmen. Ich erlaube aber keine eigene Spende, weil ich meinen Kindern nicht als Letztes von mir die Erfahrung eines von den Apparaten diktierten Sterbeprozesses zumuten möchte.
Die Widerspruchslösung belastet im Höchstmaß auch die Spender und deren Angehörigen. Sie sind in der manchmal rigiden Diskussion kaum im Blickfeld gewesen, dabei möchte man doch von ihnen etwas haben, ohne ihnen gute Bedingngen schaffen zu können, sie aber leichtsinnig verspricht. Außerdem wäre diese Lösung für unser gesellschaftliches Empfinden ein zu großer Schritt.
Der Tod gehört doch zum Leben dazu, wie wir oft betonen – aber hier bekäme er auch etwas von Enteignung und Instrumentalisierung. Außerdem möchte ich ärgerlich fragen: wieso muss(!) sich jeder und jede mit dem Tod auseinandersetzen? Wie ist das Recht begründet, uns alle moralisch unter Druck zu setzen? Auf der Straße befragt, hat man altruistisch wohl hauptsächlich den dringend wartenden Empfänger im Blick. Das ist gut so und verständlich, aber manchmal auch leichtsinnig und zeugt gerade nicht von Auseinandersetzung.
Ich bin überzeugt, dass mit eindeutig klaren und ethisch diskutierten Konzepten einerseits und mit der jetzt beschlossenen Freiwilligkeit andererseits die Anzahl der Organspenden wachsen wird. Ich wünsche das ausdrücklich.
Kann es sein , dass Jens Spahn Probleme mit Tod und Sterben hat?
Er wünscht alle Bundesbürger zu Spendern zu machen – natürlich mit der Möglichkeit zum Widerspruch – verweigert Todkranken die Wahl, wenn das Leiden unerträglich geworden ist, aus dem Leben zu scheiden.
Herr Spahn ist eine schlechte Besetzung für diese Themen. Es fehlt ihm an Empathie und dort, wo ein Zugehen auf die Menschen gefragt ist, will er auf Gesetze setzen. Er agiert über die Menschen hinweg, anstatt zu versuchen diese wirklich zu erreichen. Beim Thema Sterben die denkbar schlechteste Wahl.
Da kann ich mich nur fragen, wer Herr Spahn sind sie denn, mich zu einer Auseinandersetzung mit dem Tod zwingen zu wollen, wo es ihnen an allem fehlt, sich selbst und andere auf einen abnehmbaren Weg der Beschäftigung mit diesem Thema zu bringen und kann es sein, dass im Falle eines unerträglichen Leidens, das C in ihrer Partei so ausgelegt wird, das Leiden zum Leben gehört und Nächstenliebe und das Verstehen von großem Schmerz, in diesem Moment kein Thema sind? Für mich ist das einseitig und bigott. Sie setzen bei der Organspende auf staatlich verordnete Nächstenliebe, besitzen aber selbst nur ein sehr eingeschränktes Maß davon.
Vielleicht wäre es besser, ihren Geltungsdrang in einem Resort auszuleben, das nicht mit so existentiellen Themen befasst ist.
Sehr geehrte Frau Mika!
Ich muss von vorneherein sagen, dass ich Ihren Kommentar zum Transplantationgesetz (FR v. 17.01.2020) nicht verstanden habe. Das ist kein sprachliches Problem, sondern eines der Wertvorstellungen. Aber vielleicht ist es auch so, dass ich die wirklich relevanten Werte dieser Gesellschaft nicht wirklich verstehe.
Soweit ich weiß warten hierzulande cira 9.400 schwer kranke Menschen auf ein lebensrettendes Organ. Auch wenn die Organspende mithilfe der Stiftung Eurotransplant international organisiert ist, sterben laut eines Berichts der Wochenzeitung Die Zeit in Deutschland durchschnittlich drei Menschen, die auf der Warteliste stehen.
Das nun im Bundestag verabschiedete Gesetz verändert substantiell an dem bestehenden Mangel an Organen kaum etwas, denn auch bisher konnte ich einen Organspendeausweis unbürokratisch erhalten und dennoch haben dies – trotz großer bekundeter Spendenbereitschaft – nur wenige gemacht. Inwiefern da der Hinweis des Hausarztes oder eines Angestellten der Verwaltung etwas ändern kann, leuchtet mit nicht ein.
Warum es „unendlich erleichternd (ist), dass sich die Abgeordneten des Deutschen Bundestags mehrheitlich dieser Sicht angeschlossen haben“, nämlich dass der Mensch ein Recht darauf hat, dass sein Körper auch nach dem Tode unversehrt bleibt, erschließt sich mir nicht.
Warum ist die Würde des Menschen – und in diesem Fall das Recht einen toten Körper als Ganzes zu beerdigen höher zu bewerten als die Tatsache, dass deswegen drei Menschen sterben müssen, weil sie das lebensspendende Organ nicht bekommen?
Und wenn man den Fachleuten zuhört (z.B. Prof Bruno Meisen, Leiter der Stiftung Eurotransplant im BR , Bayern 2 ), dann wird diese im Bundestag beschlossene „Lösung“ die Zahl der Organspender*innen reduzieren statt vermehren, wie die Erfahrungen mit ebendieser Lösung vor 20 Jahren in den Niederlanden belegen. Da stellt sich mir schon die Frage, welcher Humanität Sie sich hier verpflichtet fühlen. Für die 9.400 schwer kranken Menschen jedenfalls ist dies ein schlimmer Tag und diese Entscheidung des Deutschen Bundestags wird die Situation eher verschlechtern. Und was die Aufmerksamkeit anbetrifft, die diese Debatte in der Öffentlichkeit ausgelöst hat und die so viele als positives Signal sehen, da sich jetzt die Bereitschaft vieler einen Ausweis zu beantragen erhöhen würde, bin ich sehr skeptisch.
Viele Studien zeigen, dass die Nachhaltigkeit der psychischen Wirkung von Medien gering ist. Deswegen wird in drei Wochen kaum jemand mehr die Debatte über das im Bundestag beschlossene Gesetz im Bewußtsein haben und es wird alles so bleiben, wie es bisher war. Kein Trost für die Betroffenen.
Wie gesagt, es bleibt die Frage, ob ich die wirklichen Werte dieser Gesellschaft verstanden habe.