Von der FDP hört man erstaunliche Sachen. „Wenn wir im Mai eine Steuerschätzung bekommen, die besser ausfällt als erwartet, dann bin ich dafür, dieses zusätzliche Geld in die Haushaltskonsolidierung zu stecken“, sagte der designierte Parteivorsitzende Philip Rösler auf dem Landesparteitag der niedersächsischen FDP. Und was ist mit Steuerentlastungen, dem bisherigen Topthema der Liberalen? Nein, Rösler ordnet die Prioritäten neu: Erst Haushaltskonsolidierung, dann Entlastung der Bürger. „Damit geht er auf Bundeskanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble (beide CDU) zu, so dass diese Wende dem Koalitionsfrieden dienen dürfte“, schreibt Markus Sievers im FR-Artikel „Abkehr vom Mantra„. Und Parteifreund Rainer ich-hab-das-nicht-gesagt Brüderle, Wirtschaftsminister, sagte Bild am Sonntag: Die Zeitachse für Entlastungen „hat sich aber tatsächlich nach hinten verschoben.“
Sind die Zeiten vorbei, da die FDP nur ein einziges Thema hatte, nämlich Steuerentlastungen? Das war Westerwelles Mantra, und Westerwelle wird auf dem FDP-Parteitag im Mai nicht mehr als Vorsitzender antreten. Ihm hat die FDP einen massiven Einbruch ihrer Glaubwürdigkeit zu verdanken. Naja, und Brüderle mit seinen BDI-Worten hat auch ein bisschen beigetragen, das wollen wir mal nicht vergessen. In Teamwork haben sie dafür gesorgt, dass die FDP aus den Landtagen von Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz flog, und dass sie in Baden-Württemberg mal gerade so drin blieb, wollte der sonst so hartleibige Westerwelle offenbar nicht unbedingt zum Verdienst umdeuten. Kaum war er aus China zurück, zog er Konsequenzen und beendete die seit langem schwelende Führungsdebatte. Außenminister will er allerdings bleiben. Und das wird wohl auch so kommen, es sei denn, die Kanzlerin bildet das Kabinett um. Und warum sollte sie das tun? Die FDP ist geschwächt. Jetzt lässt sich vermutlich komfortabel mit ihr zusammen regieren.
Nachfolger soll also Philip Rösler werden. Der Smartie tritt ein schweres Erbe an, aber gleichwohl deutet sich schon an, dass er die FDP für andere Themen – ihre alten Themen? – öffnen will. Wir werden es erleben. Die FR-Leser jedenfalls sind skeptisch. So schreibt Otto Michael aus Frankfurt:
„Was für eine Partei! Neulich meinte Herr Kubicki im ZDF noch, man werde Herrn Westerwelle nicht wie einen räudigen Hund vom Hof jagen. Weit weg davon ist es aber nicht. Westerwelle gibt einen Posten ab, den es offiziell gar nicht gibt (Vizekanzler). Herr Rösler will (soll) Bundeswirtschaftsminister werden. Wer hat ihm eingeredet, dass er dazu die Befähigung hat? Er ist doch schon grandios als Gesundheitsminister gescheitert. Und als Doppelspitze wird auch er sein Waterloo erleben wie Westerwelle. Diese Partei hat weit und breit kein Personal zu bieten, das für große „Weihen“ befähigt ist. Die FDP macht sich mit Riesenschritten auf in die Bedeutungslosigkeit. Mein Bedauern hierüber hält sich in Grenzen.“
Der Leserbrief von Klaus Jürgensen aus Köln dagegen ist etwas überholt. Ich veröffentliche ihn trotzdem:
„Erschreckend, ja völlig daneben, was uns da seit zwei Tagen geboten wird! Eine Medienkampagne, der – im Gegensatz zum Fall Guttenberg – jede Substanz fehlt! Man mag Westerwelle mögen oder nicht mögen – Tatsache ist: dies ist ein Minister ohne Affären (Möllemann), ohne Fehlentscheidungen (Jung), ohne blamable Auftritte (Guttenberg)! Im Gegenteil: Seit Beginn der offenen Krisen in den nordafrikanischen Ländern hat er zunehmend Profil gewonnen. Es ist richtig, dass er der Versuchung widerstanden hat, Deutschland in ein militärisches Abenteuer zu führen, deshalb kein „Ja“ zur Beteiligung am Militäreinsatz. Diese Entscheidung entstand in enger Abstimmung mit den Fraktionsvorsitzenden der beiden Oppositionsparteien. Dennoch war es eine mutige Entscheidung – gegen den Druck aus Union und all den Lobby-Verbänden der Rüstungsindustrie. Man muss deshalb sagen: Hut ab! Guido, bleib!“
Sigurd Schmidt aus Bad Homburg:
„Dass der Mann mit dem Guido-Mobil und seinem (allerdings nur fast) 18-prozentigem letzten Bundestagswahlergebnis sich gnädig bereit erklärt, zugunsten jüngerer FDP-Granden abzudanken, ist nur konsequent. Unverschämt ist aber, dass er als Außenminister nicht zurücktritt. Hätte er eine gute Leistung hingelegt, könnte man dies noch einigermaßen nach vollziehen. Dies ist aber nicht der Fall. Westerwelle war eindeutig einer der schlechtesten Außenminister, den die Bundesrepublik je hatte. Er möge doch dieserhalb bei seinem Parteifreund Genscher anrufen.
Die Kanzlerin ist jetzt in einer hochnotpeinlichen Situation. Sie müsste Westerwelle mit sofortiger Wirkung – oder zudem auch noch Brüderle – entlassen. Schluss aber damit: Macht doch bitte das Gerhard Schröder-Manöver nach und löst diese Quatsch-Koalition zwischen Schwarz-Gelb sofort – mit Einwilligung des Bundespräsidenten Wulff –auf!
Es erstaunt, dass Westerwelle dieses unglaubliche Festhalten des Freiherrn von und zu Guttenberg an seinem Posten – trotz eindeutiger moralischer Verfehlungen – nicht verinnerlicht hat. Noch ist Deutschland keine Bananenrepublik: Wir steuern aber leider darauf zu!“
Rainer Bohnet aus Bonn
„Den Satz des Tages am Wahlsonntag, 27.03.2011, sagte der ZDF-Journalist Theo Koll im Rahmen einer Hochrechnung aus Rheinland-Pfalz: „Die FDP stabilisiert sich außerhalb des Landtags.“ Dieser Satz ist genial. Er ist einerseits absurd, weil es unterhalb der Fünf-Prozent-Hürde völlig egal ist, wie viele Prozente eine Partei bekommt. Ob man mit zwei oder vier Prozent abschmiert, ist einerlei. Andererseits dokumentiert dieser Satz das parlamentarische Ende der FDP, die sich mit ihrer Politik ins Abseits begeben hat. Und wenn sie sich im politischen Abseits stabilisiert, ist dies medial immerhin eine Meldung wert.“
Norbert Zimmering aus Dortmund:
„Der Patient FDP liegt am Boden und Dr. Rösler soll ihm die richtige Medizin verordnen. Die Wahlniederlagen, der Ansehensverlust bis zur Bedeutungslosigkeit- sie wirken wie bittere Pillen. Warum soll man die FDP wählen, die einst als Kämpferin der Freiheitsrechte geliebt wurde? Das Auswechseln des Bodenpersonals allein wird für den Genesungsprozess auch dem Herzspezialisten nicht ausreichen können.“
Stefan Otto aus Rodgau:
„Die Geschichte lehrte zeigt bereits im „alten“ Rom, wie stets sogenannte Doppelspitzen und/oder gar Triumvirate zum Scheitern verurteilt waren. Das wird auch bei der FDP nicht anders sein. Insofern hat die Wahl von Rössler zum Vorsitzenden, begleitet von Lindner und Bahr nichts Neues gebracht. Auch in der Nachruf-Sendung des ZDF hat sich Rössler zwar wortgewaltig dargestellt, jedoch nichts gesagt – geschweige Neues. Vor allem so wird die FDP nicht aus ihrem Stimmentief herauskommen und die Verengung auf eine „Steuerpartei“ nicht verlieren.“
Jutta Rydzewski aus Bochum:
„Ich denke, dass es nun an der Zeit ist, Herrn Westerwelle etwas Tröstliches mitzuteilen. Die beiden nachfolgenden Gedichte sollen keineswegs als Spott und Häme verstanden werden. Oh, nein, DAS ist die Welt in der wir leben: ERWACHEN Brennend heiß sind meine Tränen, heute ist es doch geschehen, was mir unbegreiflich schien, deshalb hab ich laut geschrien, warum nur musste das so sein, war alles nur ein greller Schein? Wer hilft mir jetzt an diesem Ort, wer bringt mich endlich von hier fort? Es kann nicht sein und ist doch wahr, es ist so grausam was geschah, ich wollt meist helfen, auch vertrauen, Verständnis schaffen und verbinden, und damit wahre Freunde finden. Diesen Weg bin ich gegangen, dieses Ziel hat mich gefangen, nun steh ich fassungslos davor, hab meine Worte noch im Ohr, warum könnt ihr mich nicht verstehen, darum nur konnte dies geschehen. ABSCHIED Der Abschied kam in dieser Nacht, der lang sich angekündigt hat, es waren viele gute Jahre, es war das Beste was ich habe, es gab mir mehr als ich verdiente, ich sah mit an wie es verblühte, es war mein Stolz und auch sehr schön, doch nun will man mich nicht mehr sehn. Es war viel mehr als nur das Gel(d)b, es war doch unsere eigne Welt, es teilt sich auf in Freud und Leid, zum Schluss war nur noch Bitterkeit, und Rösler steht auch schon bereit. So viele waren hier dabei, vergessen wird unmöglich sein. Nun sitz ich hier, wie schon so oft, begreifen will noch nicht der Kopf, doch sagt mein Herz, jetzt muss ich gehen, Leb Wohl, geliebte FDP! Es ist genug der vielen Tränen, was war, das wird es nicht mehr geben, es ist genug der schlimmen Pein, nun muss doch endlich Ruhe sein.“
Wenn ich etwas verwunderlich finde, dann den Wirbel um maximale verbale Ankündigungen bei minimalen realen Veränderungen in einer Partei, die selbstverschuldet auf dem Niveau angelangt ist, das schon vor Jahren in der spöttischen Deutung ihres Namens mit „Fast Drei Prozent“ vorausgesagt wurde. Ob das wohl auch so wäre, wenn sich die Linkspartei in ein solches Schlamassel hereingeritten hätte?
Die Frage nach der Existenzberechtigung als eigenständige Partei ist ja nicht so neu. In der Nach-Adenauer-Ära bis Genscher die klassische Mehrheitsbeschaffer-Partei, dann die Umfaller-Partei, mit den Freiburger Thesen und einer Hamm-Brücher als bescheidenen Lichtblicken dazwischen.
Ich kann mich erinnern, als Außenstehender in einem Kommentar von Westerwelle als dem „Totengräber des Liberalismus“ im Sinne der Freiburger Thesen gesprochen zu haben. Das ist etwa zwei Jahre her.
Was aber haben diejenigen, die plötzlich die ganz neue FDP aus dem Hut zaubern wollen, eigentlich die ganze Zeit von diesem Prozess des Niedergangs gemerkt? Haben sie sich nicht alle einlullen lassen von den Sprüchen ihres großen Vorsitzenden und der Selbsthypnose, ausgehend von der 18 auf den Schuhsohlen?
Nun sollte man sicher jedem Neuen in einer neuen Funktion seine Chance geben. Die Frage, die Herr Rösler aber in erster Linie zu beantworten hat, wäre die nach der Existenzberechtigung einer Partei, die, seit Jahren als auf „Leistungs“ideologie eingeschworene Ein-Punkt-Partei rechts von der CDU, nun in der Frage der AKWs und sogar in der Steuerpolitik plötzlich Grüne und SPD links überholen will.
Und, wenn sich auch mein Bedauern wie bei Otto Michael in Grenzen hält: Das ist wohl nicht einmal mehr FDP-Wählern zuzumuten.
Die FDP scheitert daran , daß sie Liberalität unter Ausschluß der sozialen Freiheit denkt.
Damit ist Freiheit aber nicht komplett und jetzt sucht die Partei händeringend nach neuen Inhalten.
Und gerade die soziale Komponente der Freiheit wäre DAS Thema ,denn es ist von den meisten anderen Parteinen aus ihrem Tun verdrängt worden.
Zwar wird es vor allem bei den Grünen gesehen , aber das stimmt nur bedingt , immerhin haben selbige Hartz 4 mit abgenickt.
Der Aufschrei gegen Hartz 4 hätte zuallererst von der FDP kommen müssen ,dieses Gesetz ist zutiefst antiliberal und gegen den selbstbestimmten Menschen gerichtet.
Ob sich die Trümmer dieser Politik noch werden aufsammeln lassen und die Partei wieder einen Platz findet im Gefüge , ist völlig offen.
Die FDP ist im Grunde eine Lobby Partei. Diese lobby wird sich auch wieder hinter ihr sammeln und das wird für über 5% reichen. dafür wird die FDP auch alles tun. Die restlichen Wähler bei der letzten Bundestagswahl waren ein Missverständniss